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Hilflose Rache

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27.04.2006
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Hilflose Rache

Richard stand vor einer Tür, atmete tief durch und wappnete sich für den Anblick der ihn erwartete. Er öffnete sie und trat ein. Es war ein Schlafzimmer mit einem großen Bett, einem Nachttisch und einem Kleiderschrank. Auf dem Bett lag ein lebloser Körper, Blut färbte die Laken rot und bildete eine Lache auf dem Boden. Schon oft hatte Richard dieses Bild gesehen und doch gewöhnte er sich nicht an den Anblick.
„War er das?“ fragte Stefan der hinter ihm in dem Raum trat.
„Sieht so aus“ antwortete Richard tonlos und trat näher an die Leiche heran. „Mehrere Einstiche in Brust und Bauch, die Genitalien abgetrennt und ihm in den Mund gesteckt. Unser Mann ist pünktlich wie ein Uhrwerk.“
„Wir müssen den Scheißkerl endlich erwischen! Er hält uns seit Monaten zum Narren.“ Stefan war wütend. Das war bereits die siebte Leiche dieser Art in sieben Monaten.
„In der Zeitung nennen sie ihn den Rächer, der noble Held, der für Gerechtigkeit sorgt.“
„Mag sein, aber die haben auch nie gesehen, wie er das tut!“ schnauzte Stefan ungehalten.
„Ruf die Spurensicherung“ war Richards ruhige Antwort, als er sich umwandte und den Raum verließ. Im Flur lehnte er sich an die Wand, legte den Kopf zurück und rieb sich die müden Augen. Jeden Monat am dreizehnten schlug der Mörder zu, immer waren seine Opfer Vergewaltiger, die entweder freigesprochen oder aus dem Gefängnis entlassen worden waren. Immer tötete er sie mit mehreren Stichen in Brust und Bauch, trennten ihnen die Genitalien ab und steckte sie ihnen in den Mund. Eine solche Serie hatte Richard in seiner langen Dienstzeit bei der Polizei noch nicht gesehen. Bei den ersten Morden hatte er eine gewisse Sympathie für den Täter empfunden, da seine eigene Frau vor vielen Jahren auf dem Heimweg überfallen, vergewaltigt und getötet worden war. Man hatte den Täter nie gefunden und Richard hatte oft von dem geträumt, was er mit ihm machen würde, wenn er ihn schnappen sollte. Aber inzwischen war zuviel Blut geflossen, er wollte den Mann nur noch erwischen und für immer wegsperren.
„Irgendwer muss doch mal was gesehen haben!“ klang Stefans ratlose Stimme aus dem Zimmer. „Bei all dem Blut muss der Kerl doch auffallen! Oder jemand muss Schreie hören oder sonst was!“
„Hier hört niemand irgendwas. Wenn du in so einer Gegend was hörst, verschließt du die Tür und versteckst dich. Die Hälfte der Leute hier sind illegale Einwanderer. Meinst du, die wollen die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen? Ein anonymer Anruf mit einer Adresse ist da schon purer Luxus. Ich frage mich eher, wie der Kerl immer zu den Opfern in die Wohnung kommt, es gab nie irgendwelche Einbruchsspuren. Es ist, als ob sie ihn kennen.“ Richards Kopf brummte, er wollte nur nach Hause und ins Bett.
„Das, oder er ist einer von...“ setzte Stefan an, aber Richard fiel ihm ins Wort und brüllte: „Ist er nicht!“ Stefan kam zur Tür und sah ihn mit großen Augen an.
„Tut mir leid, ich bin total fertig. Die ganze Sache kotzt mich echt an, und das Letzte was wir gebrauchen können ist ein Gerücht, dass ein Polizist hier einen Rachefeldzug führt,“ entschuldigte sich Richard.
„Schon ok, geht uns allen so. Fahr nach Hause und geh ins Bett, ich warte hier noch auf die Jungs.“ Stefan klopfe ihm mitfühlend auf die Schulter.
„Danke,“ murmelte er und ging.


Richard stand in seinem Badezimmer und betrachtete das Gesicht im Spiegel: Sein Haar war mehr grau als braun, tiefe Schatten lagen unter den müden Augen und ließen ihn noch älter wirken. Nächstes Jahr sollte er in den Ruhestand gehen, warum musste ausgerechnet jetzt noch so ein Irrer auftauchen? Die Morde geschahen immer am 13. des Monats, also hatte er die letzte Nacht wach bleiben wollen, um sofort, wenn ein Hinweis kam, bereit zu sein. Aber irgendwann war er doch eingeschlafen. Er war wohl langsam zu alt für den Job. Als er am nächsten Morgen ins Büro kam lag schon der vorläufige Bericht der Spurensicherung auf seinem Tisch. Wie immer weder Fingerabdrücke, noch DNS-Spuren, noch sonst irgendwas. Er hängte das Foto der Leiche an die Wand zu den anderen und steckte eine Nadel mit rotem Kopf in den Stadtplan, um den Tatort zu markieren. Sie waren kreuz und quer über die Stadt verteilt. Es gab kein Muster. Welches auch? Es war klar: Alle waren Vergewaltiger, alle lebten hier in der Stadt. Jemand räumt einfach auf, immer da wo er gerade Schmutz findet. Er dachte, was wohl auch jeder andere hier dachte: „Es muss einer von uns sein!“. Niemand sonst konnte all die Adressen haben und sich Zugang zu jedem einzelnen Opfer verschaffen. Er setzte sich wieder an seinen Tisch und begann die Dienstpläne zu studieren, die er angefordert hatte. Die Kollegen aus seiner Sondereinheit waren die einzigen, die zu allen Tatzeiten Dienst hatten. War das ein Alibi oder eine Gelegenheit? Er warf die Pläne beiseite, sie halfen ihm nicht weiter. Auf dem Tisch lag eine Liste mit Dingen, die man wohl brauchte um die Morde begehen zu können: Ein Jagd- oder Fleischmesser mit zwölf Zentimeter langer Klinge, vermutlich Handschuhe, vielleicht einen Regenmantel aus Kunststoff oder einen Overall gegen das Blut, und Plastikschuhschoner, um keine Spuren zu hinterlassen. Er war versucht der Liste das Wort Dienstausweis hinzuzufügen, nichts eignete sich besser um ohne Gegenwehr in eine Wohnung eingelassen zu werden. Er grübelte über diese Utensilien. Nichts davon war auffällig, wenn man es kaufte. Das Meiste hatte er sogar selbst zuhause. Das Jagdmesser seines Vaters hatte ungefähr diese Größe, den Regenmantel aus dem Nordseeurlaub mit seiner Frau... den Dienstausweis. Einweghandschuhe gab es in jeder Apotheke, ebenso wie Schuhschoner. Ein Polizist hätte sogar beides einfach in der Rechtsmedizin auftreiben können. Er musste grinsen. Er selbst war sein bester Verdächtiger.
„Guten Morgen, wieder fit?“ klangt Stefans Stimme hinter ihm.
„Ja, danke. Ich werde langsam zu alt, um mir die Nächte um die Ohren zu schlagen.“ grinste er.
„Keine Sorge, wir schnappen den Kerl, dann kannste mit ruhigem Gewissen in Pension gehen und angeln, oder dir ein Boot kaufen oder was wir Bullen im Ruhestand halt so machen,“ lachte Stefan.
„Ein Boot kaufen? Wirst du besser bezahlt als ich?“ fragte er mit gespielter Verwunderung.
„Nee, aber zum Angeln reicht ein Ruderboot. Gibt der Bericht was her?“
„Alles wie immer. Die gleiche Vorgehensweise und keine verwertbaren Spuren“ brummte er und reichte Stefan den Bericht, der die Seiten durchblätterte und ihn wieder auf den Tisch legte. Dann ging er hinüber zum Stadtplan mit den Stecknadeln und fragte: „Wie viele potentielle Opfer gibt’s hier noch?“
„In einer Stadt wie dieser? Zu viele, um sie alle zu überwachen“ antwortete Richard resigniert.
„Dann haben wir also wieder einen Monat Zeit, um uns was einfallen zu lassen“ sagte Stefan abwesend.
„Ja, aber wenn wir nicht langsam Ergebnisse vorweisen können, steigt uns der Chef aufs Dach.“
„Hm, ist anzunehmen. Ach ja, Hanna hat mich gefragt, ob wir für sie einen Zeugen befragen können. Ihr Junge ist krank und sie möchte den Tag frei nehmen, um sich um ihn zu kümmern.“
„Ist gut, ein bisschen Ablenkung schadet nicht,“ antwortete Richard und folgte Stefan zum Wagen. Der Zeuge war ein junger Mann, der am Nachtschalter einer Tankstelle arbeitete, als diese Überfallen wurde. Er stand unter Schock und war keine große Hilfe. Nach der Befragung gingen sie anderen Fällen nach und versuchten, den Rächer wenigstens für einen Tag zu vergessen.


Die Tage strichen in monotonem Trott vorbei. Man erledigte die Alltagsarbeit, diskutierte und fachsimpelte immer wieder über die Mordserie ohne zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Der Abteilungsleiter hielt vor versammelter Mannschaft eine Ansprache darüber, wie wichtig es war, diesen Mörder zu fassen und die Sicherheit und Ordnung wieder herzustellen, von der Verantwortung gegenüber der Bevölkerung und der inakzeptablen Praktik der Selbstjustiz. Danach bestellte er Stefan und Richard in sein Büro um ihnen noch einmal den Ernst der Lage zu verdeutlichen und sie zu mehr Einsatz zu motivieren. All das half Richard nicht weiter. Er brauchte keine Reden oder Drohungen. Inzwischen ließ ihn seine Unfähigkeit diesen Mörder zu finden an seinen Fähigkeiten als Ermittler zweifeln, und das konnte er nicht hinnehmen. Tag für Tag zermarterte er sich das Hirn über diese Fälle, wälzte immer wieder die Akten und Berichte auf der Suche nach dem einen übersehenen Hinweis. Aber da war nichts.


Er saß in seiner Wohnung an seinem Schreibtisch und brütete über den Tatortfotos und Beschreibungen, als seine Gedanken wie so oft in den letzten Tagen, zum Jagdmesser seines Vaters wanderten. Richard hatte lange nicht an seinen Vater gedacht und war traurig, dass sich das ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Mord änderte. Er öffnete die Schublade seines Schreibtisches und suchte das Jagdmesser. Es war nicht dort. Verwundert stand er auf, ging zur Kommode im Flur und suchte dort; erfolglos. Das Messer war ihm lieb und teuer, er hatte es als Junge von seinem Vater bekommen, wie es schon seit Generationen vom Vater an den Sohn gereicht wurde. Richard hatte immer gehofft es eines Tages seinem Sohn zu schenken, doch als man ihm damals seine Frau nahm, war diese Hoffnung erloschen. Er durchsuchte sämtliche Schränke, aber konnte es nirgends finden. Der Gedanke, es verloren zu haben bedrückte ihn zu tiefst. Er stand vor dem Kleiderschrank, den er eben noch nach dem Messer durchsucht hatte, als sich ein Gefühl bemerkbar machte, dass etwas nicht stimmte. Er runzelte die Stirn, trat einen Schritt zurück und betrachtete den offenen Schrank grübelnd. Der Regenmantel, er war fort! Verwirrt starrte er in den Schrank; hatte man ihn bestohlen? „Aber wie...?“ brummte er vor sich hin als er angestrengt grübelnd in den Flur zurückkehrte. Hatte er die Sachen weggeräumt, weil er sie nicht brauchte? Nein, er konnte sich nicht erinnern. „Im Keller!“ sagte er hoffnungsvoll, griff seinen Schlüssel und verließ die Wohnung. Im Keller des Hauses hatte er einen Verschlag, in dem er einige alte Kisten lagerte, die von seinem Umzug aus dem Haus, das er mit seiner Frau bewohnt hatte, übrig geblieben waren. Er öffnete das Schloss am Gitter und trat ein. Er wusste nicht mehr wann er das letzte Mal hier unten gewesen war. Als er das Licht einschaltete, sah er ein Stück gelbes Plastik, das hinter einem Kistenturm herausragte. Er ging hinüber und dort hing der Regenmantel an einem Kleiderbügel. Es war kein Staub darauf. Auf den Kisten rundherum war an manchen Stellen der Staub verwischt. „Jemand ist hier unten gewesen!“ dachte er nervös. Er nahm den Mantel vom Bügel und betrachtete ihn genauer. Auf der Innenseite war ein dunkler Fleck im Futter, außerdem war er ungewöhnlich schwer. Er tastete die Taschen ab und fand einen harten Gegenstand. Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er in die Tasche griff und seine Knie drohten nachzugeben, als sich seine Finger um den Griff eines Messers schlossen. Er stolperte zu einer Kiste und setzte sich. Mit wild pochendem Herzen untersuchte er das Messer: Die Klinge war sauber, aber am Ansatz des Hefts war eine dunkle eingetrocknete Kruste. Seine Hände begannen zu zittern, das Messer entglitt ihm und landete laut klirrend auf dem Steinboden. Er schaute hinunter und sein Blick fiel auf einen Pappkarton mit Einweghandschuhen, der auf einer Packung Schuhschoner stand. Er sprang auf, ließ den Mantel fallen und rannte zur Tür. Kaum vermochte er das Schloss anzubringen, so sehr zitterten seine Hände. Dann rannte er die Treppe hinauf, rammte den Schlüssel ins Schloss, warf die Tür hinter sich zu und griff zum Telefon. Er wählte Stefans Nummer und schritt mit dem Hörer am Ohr aufgebracht im Flur auf und ab. Es klickte: „Bergmann.“ Richard legte auf. Was würde Stefan von ihm denken? Das konnte nicht möglich sein. Es musste eine andere Erklärung geben! Er ging ins Wohnzimmer, griff eine Flasche Gin aus der Vitrine und schenkte sich zittrig ein Glas ein. Gerade als er das Glas ansetzte, klingelte das Telefon und beinahe wäre ihm das Glas entglitten. Er stellte es ab und drückte den Gesprächsknopf. „Ja?“ fragte er leise.
„Richard? Hattest du grad angerufen?“ klang Stefans Stimme.
„Äh ja... ich... ich hab mich verwählt, entschuldige“ stammelte er.
„Achso, kein Problem. Ist alles ok bei dir?“
„Äh ja... ja, alles ok. Wollte nicht stören.“
„Keine Sorge. Ok, dann bis morgen?“
„Ja, bis morgen dann“ sagte Richard erleichtert, legte auf und kippte den Gin hinunter.
„Ok, ganz ruhig. Eins nach dem andern.“ Beruhigte er sich selbst während er sich mit der Ginflasche aufs Sofa setzte und nachschenkte. „Irgendwer hat bei mir eingebrochen und die Sachen benutzt...“ erklärte er sich und leerte ein weiteres Glas. Aber das klang zu sehr nach Verschwörung um überzeugend zu sein. Ein Fall von vor ein paar Jahren kam ihm in den Sinn. Ein Mann hatte seine Frau getötet und behauptete er müsse es im Schlaf getan haben und sei deshalb unschuldig, da er nicht Herr über sich selbst war. Damals hatte Richard das als lächerliche Ausrede angesehen, aber jetzt… „Hab ich sie alle umgebracht?“ fragte er ängstlich. Er sah auf seine Hände, und stellte sie sich in blutigen Handschuhen vor. War ihm dieser Anblick vertraut? Angestrengt überlegte er ob er immer in den Mordnächten früh eingeschlafen war. An die vorherigen Male konnte er sich nicht erinnern, aber beim letzen Mal wusste er es genau. Er Sprang aufgeregt auf und holte einen Stadtplan aus dem Regal. Dann maß er mit zitternden Händen die Entfernung zwischen dem Tatort und seiner Wohnung ab. Ja, das war problemlos machbar. Wieder füllte und leerte er fahrig ein Glas, setzte sich aufs Sofa und ließ die Schultern hängen, während seine Gedanken wild umherirrten.
„Was soll ich tun?“ schluchzte er hilflos.
Nachdem er die Flasche geleert hatte ohne eine Lösung zu finden, schlief er ein.


Das Klingeln des Telefons riss Richard aus dem Schlaf, die Sonne stach ihm in die Augen und sein Schädel dröhnte. „Ja?“ krächzte er ins Telefon. Sein Hals brannte.
„Wo steckst du? Es ist schon neun Uhr!“ sagte Stefans besorgte Stimme.
„Ich... ich hab verschlafen, bin unterwegs.“ antwortete Richard und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Er stand auf und tappte vorsichtig in den Flur, hielt sich am Türrahmen und dem Schrank fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Im Bad angekommen spritzte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, um wieder klar zu werden. Er sah sich im Spiegel an und erschrak vor seinem Anblick, als wäre er plötzlich zehn Jahre gealtert. Langsam fügten sich die Erinnerungen an den letzten Abend wieder zusammen und er musste sich am Waschbecken festhalten, um seine weichen Knie zu entlasten. Was konnte er tun? fragte er sich während er sein Spiegelbild anstarrte. „Ich könnte mich stellen, damit sie mich wegsperren,“ überlegte er. „Und wegen diesen Schweinen in den Knast gehen, so kurz vor dem Ruhestand?“ drängte sich sofort der nächste Gedanke aus seinem Hinterkopf auf. „Ich könnte mich am nächsten Dreizehnten in der Wohnung einschließen und den Schlüssel abbrechen.“ „Aber dann könntest du immer noch über die Feuerleiter raus.“ kam sofort der nächste Einwand. Er runzelte die Stirn. Diese Stimme... Sein Spiegelbild begann plötzlich zu grinsen. „Das ist die Stimme der Vernunft, mein Lieber“ sagte es mit hämischem Ton. Richard stolperte zurück und stieß gegen die Tür. Der Mann im Spiegel lachte gehässig. Richard wirbelte herum, riss die Tür auf und stürmte hinaus. Im Flur hing ein großer Wandspiegel, auch dort grinste sein Spiegelbild ihn an. „Du solltest dich beeilen, du kommst zu spät zur Arbeit!“ sagte es.
„Wer bist du?“ schrie er.
„Ich bin du, und jetzt mach, dass du unter die Dusche und zur Arbeit kommst, sonst merken sie noch was!“ lachte das Spiegelbild.
„Was willst du?“ fragte er fassungslos.
„Was ich will? Die Frage ist, was du willst. Ich tue, was du tun willst. Ich tue, wofür du zu feige bist.“ Richard starrte fassungslos in den Spiegel, seine Gedanken überschlugen sich, doch er verstand nicht, was da gerade passierte.
„Als deine Frau starb, wolltest du jemanden der stark ist, Jemanden, der die Dinge für dich in die Hand nimmt, während du weinend in der Ecke lagst. Dieser Jemand bin ich! Ich nehme die Dinge in die Hand und bin stark. Und jetzt reiß dich zusammen und setz dich in Bewegung, sonst tu ich es!“ Das Grinsen war verschwunden und Entschlossenheit hatte seinen Platz eingenommen.
„Du tust was?“ fragte Richard verwirrt. Er zweifelte an seinem Verstand, stand er doch da und diskutierte mit seinem eigenen Spiegelbild, das noch dazu ein Mörder zu sein schien. „Das!“ antwortete es. Richard spürte, wie er heftig nach hinten geschleudert wurde, aber er sah, dass sein Körper sich nicht bewegte. Das Gefühl ließ nach, aber seine Sicht verdunkelte sich als hätte er einen Schleier vor den Augen. Mit Mühe konnte er erkennen, dass sich sein Körper ohne sein Zutun Richtung Bad wandte und losging. Er versuchte, das Geschehen zu beeinflussen, aber sein Körper ignorierte ihn. Ebenso wenig spürte er etwas, er hörte nur seine Schritte und andere Geräusche wie aus weiter Ferne. Machtlos sah er mit an, wie er duschte, sich rasierte, anzog und zur Arbeit fuhr.
Als er im Büro ankam und Stefan sah, schrie er aus Leibeskräften, aber niemand hörte ihn.
„Entschuldige die Verspätung, ich hab die Nacht kein Auge zugetan,“ hörte er sich sagen.
„Kommt vor. Heute steht ohnehin nichts Wichtiges an“ Obwohl Stefan sicher normal sprach, kam seine Stimme nur als Flüstern an.
„Ich hab mir überlegt, wir könnten dem Killer eine Falle stellen. Er scheint ja Rache zu nehmen an Vergewaltigern, vielleicht könnten wir ihn anlocken, indem wir einen extremen Fall inszenieren.“
„Was schwebt dir vor?“ fragte Stefan interessiert.
„Mehrere Vergewaltigungen mit Mord auf einmal, vielleicht zwei oder drei Frauen, und dann eine Entlassung wegen Verfahrensmängeln. Das sollte ihn reizen, oder?“
„Das klingt super!“ Stefan war begeistert.
„Aber wir müssen das mit Leuten von der Dienstaufsicht organisieren, falls er doch einer von uns ist.“
„Gute Idee, ich kenne jemanden bei denen. Ich ruf gleich an und frag, was er davon hält“ sagte er und hastete zu seinem Telefon. Nachdem er eine Weile leise und eindringlich mit jemandem gesprochen hatte legte er auf und nickte Richard zu. „Die sind dabei und kümmern sich um alles. Morgen steht es in der Zeitung. Wir kriegen ihn!“ Stefan strahlte. Richard tobte und versuchte den Schleier zu durchdringen, aber es schien zwecklos. Auch der andere in seinem Körper kümmerte sich nicht mehr um ihn, so war er also dazu verdammt, als machtloser Beobachter mitanzusehen, wie eine fremde Kraft seinen Körper steuerte und sein Leben lebte. Er sah zu, wie er seiner Arbeit nachging, Verhöre führte, Berichte schrieb, als wäre nichts gewesen. Jeden Tag ging der andere Richard zum Kalender im Büro und rückte die Anzeige mit quälender Langsamkeit ein Feld weiter, ganz so, als wolle er ihm damit zeigen, dass das Unausweichliche immer näher rückte. Immer wieder während dieser endlosen Tage stürmte Richard gegen den Schleier an, versuchte ihn zu zerreißen, in der Hoffnung die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangen zu können, doch er schaffte es nicht. Allerdings gewann er den Eindruck, dass der Schleier nachts, wenn der Andere schlief, dünner wurde. Er beschloss seine ganze Kraft zu sammeln, um sie in einer Nacht dagegen zu werfen und sich zu befreien. Die Zeit wurde knapp, es war schon der Zehnte. In der letzten Nacht wollte er es versuchen und hoffte inständig, dass es ihm gelingen möge.


Stefan näherte sich einer ramponierten Wohnungstür in einer heruntergekommenen Gegend. Es war die Nacht zum Dreizehnten. Er schaute sich nervös um, aber Richard war nirgends zu sehen. Er war sich nicht sicher, was er von der ganzen Sache halten sollte. Plötzlich hörte er einen erstickten Schrei hinter der Tür. Der Mörder war da! Er konnte nicht auf Richard warten. Er holte seine Pistole hervor, entsicherte sie und lud sie durch. Dann trat er mit voller Kraft gegen die Tür. Krachend flog sie auf und gewährte ihm einen Blick in den Raum. Dort stand ein Mann in gelbem Regenmantel über ein Bett gebeugt und zog gerade ein Messer aus der Brust eines weiteren Mannes, der reglos auf dem Rücken lag.
„Polizei! Hände hoch und Waffe fallen lassen!“ rief Stefan. Der Mann stockte, und drehte sich langsam zu ihm um. „Fallen lassen, hab ich gesagt!“ Der andere reagierte nicht. Stattdessen griff er nach seiner Kapuze und schob sie zurück.
„Richard!“ stieß Stefan entsetzt hervor. „Was tust du?“
„Ich? Ich mache meine Arbeit“ antwortete er gelassen.
„Du bist der Killer und du wolltest, dass ich dich erwische?“ stammelte Stefan verwirrt.
„Das wollte ich eigentlich nicht, wie hast du mich gefunden? Ich dachte, du bist bei den anderen und wartest auf den Sommer,“ fragte er neugierig.
„Du... du hast mich doch angerufen... heute Nacht.“ Stefan begriff nicht was hier vor sich ging, warum sein Freund ihn hierher bestellte mit der Bitte, ihm zu vertrauen und dann angeblich nichts davon wusste.
„Ach so ist das, der Mistkerl!“ antwortete Richard wütend. „Steck die Waffe weg und komm her!“
„Nein, lass das Messer fallen und dreh dich um!“ befahl Stefan, der sich wieder fasste. Egal wie oder warum, aber sein Partner war der Mörder, den er so lange jagte.
„Red’ keinen Unsinn, ich bin dein Freund, du erschießt mich nicht!“ lachte Richard.
„Du sollst das Messer fallen lassen, ich meins ernst!“ rief er und spannte den Hahn seiner Pistole. Plötzlich verschwand das Lachen von Richards Gesicht und es verkrampfte sich wie unter unmenschlichen Anstrengungen. Unsicher stütze er sich an der Wand ab, als würde er seinen Beinen nicht mehr trauen. „Hilf mir...“ erklang ein gequältes Winseln von seinen Lippen, das so viel Schmerz und Leid trug, dass Stefan die Tränen in die Augen stiegen. Mit immer noch verzerrtem Gesicht hob Richard das Messer und tappte fahrig einen Schritt auf ihn zu. „Fallen lassen verdammt!“ schrie Stefan. Richard tat einen weiteren Schritt und holte mit dem Messer aus. „Richard! Lass es fallen!“ Stefans Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte er die Waffe, die er auf seinen Freund richtete. Ein weiterer Schritt, das Messer fuhr auf Stefan herab. Ein Schuss dröhnte. Richard stockte. Klirrend fiel das Messer zu Boden. Langsam sackte er auf die Knie und drückte sich die Hände auf die Brust. Dunkles Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Er hob den Kopf, um Stefan anzusehen. Die Anstrengung war von seinen Zügen gewichen und hatte einem ruhigen, friedlichen Lächeln Platz gemacht. Er setzte zum Sprechen an, brachte aber nur ein Röcheln hervor. Dann wurde sein Blick gläsern und er kippte zur Seite.

 

hall gabriel,

zunächst das positive: ich habe deine längere kurzgeschichte in einem zug gelesen. eventuelle fehler waren mir schnuppe, denn die sache war spannend geschrieben.

einziger negativpunkt:

Auf dem Tisch lag eine Liste mit Dingen, die man wohl brauchte um die Morde begehen zu können: Ein Jagdmesser mit zwölf Zentimeter langer Klinge, vermutlich Handschuhe, vielleicht einen Regenmantel aus Kunststoff gegen das Blut, und Plastikschuhschoner, um keine Spuren zu hinterlassen.
- das ist zu sehr konstruiert. denn es sind ja genau diese dinge, die den fall "lösen". vielleicht hättest du eine gruppe aus hochrangigen spezialisten eine art brainstorming machen können, wobei wesentlich mehr "nützliche" dinge aufgezählt worden wären. was meinst du?

in jedem fall: gern gelesen!

herzliche grüße
ernst

 

danke für den hinweis, werds mir am montag nochmal vorknöpfen wenn ich gelangweilt auf der arbeit sitze ;)

freut mich, dass es dir gefallen hat.

 

Hallo gabriel!

Ab hier:
"also hatte er die letzte Nacht wach bleiben wollen, um sofort, wenn ein Hinweis kam, bereit zu sein. Aber irgendwann war er doch eingeschlafen"
=> wusste ich, wer der Täter ist. Es gibt einfach zu viele Texte dieser Art.

Naja, ich habe den Text dann nur noch überflogen, um zu sehen, ob du am Ende eine vernünftige Erklärung anbietest, warum er selbst nichts davon weiß, Mord, Monat für Monat. Ein Dämon übernimmt? Oder wie? Keine Ahnung, so genau erklärst du das ja nicht. In einem echten Krimi geht das nicht; als Mystery könnte man es verkaufen, aber so einen Text erwarte ich in der Kategorie Krimi/Spannung nicht. Horror oder Seltsam wäre angebracht oder eben Sonstige.

Ein Gedanke, als ich noch von einem echten Krimi ausging:
Was du ausbauen, besser erklären solltest, wäre der Gedanke "es muss einer von uns sein". Ist für mich nicht schlüssig. Warum sollte kein Außenstehender an die Namen/Adressen kommen, wenn doch alle Opfer irgendwann mal vor Gericht standen? Solche Verhandlungen sind doch öffentlich.
Dazu solltest du am Anfang auch dazusagen, ob die Opfer Abwehrwunden aufweisen oder nicht (wenn nicht, fehlt die Erklärung dafür, wenn doch, frage ich mich, warum der Täter keine verwertbaren Spuren hinterlassen hat).

Über die Zeichensetzung musst du nochmal drüber. Die Redebegleitung die nach der wörtlichen Rede folgt, wird immer durch ein Komma abgetrennt. Das fehlt bei dir. Die Regeln zur Zeichensetzung kannst du auch im Korrekturcenter nachlesen.

Und ein paar zusätzliche Zeilenumbrüche wären hilfreich.

Grüße
Chris

 

vielleicht hättest du eine gruppe aus hochrangigen spezialisten eine art brainstorming machen können, wobei wesentlich mehr "nützliche" dinge aufgezählt worden wären.
Also da jetzt ein Brainstorming mit Dialogen zu bauen wird mir etwas zu umfangreich. Ich werde mal schauen ob ich die Liste einfach etwas erweitere.

Ein Dämon übernimmt? Oder wie? Keine Ahnung, so genau erklärst du das ja nicht.
Eigentlich erkläre ich das schon recht deutlich, aber eben auch teilweise mitten drin. Da scheiterts vielleicht am Überfliegen. Zumindest noch deutlicher will ich es nicht machen, weil es dann referierend wird.
Was du ausbauen, besser erklären solltest, wäre der Gedanke "es muss einer von uns sein". Ist für mich nicht schlüssig. Warum sollte kein Außenstehender an die Namen/Adressen kommen, wenn doch alle Opfer irgendwann mal vor Gericht standen? Solche Verhandlungen sind doch öffentlich.
Da müsste ich wohl tatsächlich noch einen Hinweis auf fehlende Einbruchspuren an der Tür oä einbauen. der Punkt ist ja, dass der Täter ohne Kampf in die Wohnung kommt, wobei ein Dienstausweis hilfreich ist.
Über die Zeichensetzung musst du nochmal drüber. Die Redebegleitung die nach der wörtlichen Rede folgt, wird immer durch ein Komma abgetrennt.
Ja, da hab ich echte Probleme. Wenn ich etwas selber schreibe, sehe ich beim Lesen was da stehen soll, nicht was da wirklich steht.
Und ein paar zusätzliche Zeilenumbrüche wären hilfreich.
Eigentlich gibt es im Text Einrückungen, die alles etwas übersichtlicher machen, aber die werden hier leider nicht unterstützt.

Danke für Euer Interesse.

 

Hallo Gabriel,

ich fand die Story sehr gut erzählt.

Allerdings war mir schon bei

Bei den ersten Morden hatte er eine gewisse Sympathie für den Täter empfunden, da seine eigene Frau vor vielen Jahren auf dem Heimweg überfallen, vergewaltigt und getötet worden war.
klar, dass mit unserem Freund Richard etwas nicht stimmt.

Da wäre es vielleicht schöner gewesen, wenn sein Dämon ihn erst an der Stelle mit dem Spiegel damit konfrontiert und der Leser erst so davon erfährt.

Außerdem muss ich Ernst Clemens recht geben. Die "Liste" ist zu konstruiert. Vor allem, dass ihm sofort das Messer seines Vaters in den Sinn kommt. Ab da ist klar, wer der Täter ist. Wenn es da noch andere Tatwaffen gäbe, die in Frage kommen, wird es spannender.

Alles in allem aber eine tolle Geschichte ... sonst hätte ich aufgehört zu lesen, als ich wusste wer es war!

 

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