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Novelle Hinter den Dingen

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12.02.2020
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Hinter den Dingen

Samstag, 30. Juli
Ich blinkte, bog in die Auffahrt ein und fuhr durch den Schatten des Walnussbaums auf den sonnigen Hinterhof. Als Kind hatte ich hier mit meinen Freundinnen gespielt. Wäscheleinen, auf denen die Wäsche der Hausbewohner trocknete, waren zwischen Metallpfosten gespannt. Nach der Wende war der Trockenplatz durch fünf Parkplätze ersetzt worden. Ich parkte auf dem Stellplatz mit der Nummer Vier, nahm den Rollkoffer aus dem Kofferraum und klingelte an der Haustür. Es summte und ich betrat das kühle Treppenhaus. Der Boden war mit Linoleum belegt, Stäbchenparkettoptik. Es roch nach meiner Kindheit in diesem Treppenhaus: nach gekochten Kartoffeln, nach Muff und Enge.

Meine Mutter stand schon in der Tür, als ich die Stufen ins zweite Geschoss hochstieg. Ihre Daumen steckten in den Taschen ihrer Kittelschürze, sie lächelte mich an. „Hast du Hunger?“
„Hab unterwegs gegessen.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. War sie noch zerbrechlicher geworden seit meinem letzten Besuch? „Aber einen Kaffee würde ich nehmen.“ Ich stellte den Koffer in den Flur und während ich meine Sandalen auszog, trug meine Mutter ihn in mein altes Zimmer.
„Vati ist im Garten“, sagte sie aus dem Zimmer heraus. „Setz dich auf den Balkon! Ich bring dir gleich den Kaffee.“
Ich folgte ihr in die kleine, vom Walnussbaum beschattete Küche. „Schön kühl hier!“ Ich setzte mich an den Küchentisch und legte die Hände flach auf die karierte Wachstuchdecke, vermied es aber, meine nackten Unterarme darauf abzulegen. Meine Mutter stellte eine Tasse Kaffee mit Milch vor mich und setzte sich mir gegenüber.
„Und wann geht’s heute abend los?“, fragte sie.
„Um acht im Belling.“
„Wird Alex auch da sein?“
„Ich denke schon!“
„Du hast sie lange nicht mehr gesehen.“
„Ja, Mutti, ich weiß!“
Meine Mutter schwieg und ich fragte: „Kann ich heute Abend dein Rad nehmen?“
„Na klar!“ Sie stand auf, legte ihre Hand auf meine und gab mir einen Kuss auf das Haar. „Wenn du nicht auf dem Balkon sitzt, geh ich eben die Wäsche aufhängen.“

Am Abend nahm ich nicht das Rad, sondern ging zu Fuß zum Belling. Die Einladung zum dreißigjährigen Klassentreffen hatten sie mir in mein Büro an der Uni Hamburg geschickt. Im Gegensatz zur letzten Einladung war sie nicht gleich im Papierkorb gelandet. Ich hatte mir das Foto auf der Karte angesehen, hatte an Alex gedacht, an unseren letzten gemeinsamen Abend im Sommer nach meinem ersten Studienjahr. Ich hatte die Klausuren hinter und einen langen Sommer vor mir, wollte mit Freunden aus Berlin durch Italien reisen, das ganze Geld ausgeben, das ich während des Semesters als Schreibkraft verdient und gespart hatte. Wir saßen am Strand, schauten aufs Wasser und tranken Bier. Sie erzählte von einem Typen, den sie kennengelernt hatte, aber alles, was sie sagte, schien mir farblos und unbedeutend zu sein. An diesem Abend fragte sie mich: „Magst du mich überhaupt noch?“ Wie ein ungebetener Gast stand diese Frage im Raum und wollte, dass ich Stellung bezog.
„Ja klar, warum fragst du?“
„Ich glaube, mein Leben ist zu langweilig für dich, zu spießig und provinziell.“
Genauso war es, doch ich log: „Nein, du bist meine beste Freundin!“ Aber das stimmte nicht mehr. Vielleicht hatte sie schon in dem Moment aufgehört, meine beste Freundin zu sein, in dem sie entschieden hatte, in Kudrow zu bleiben. Ich dachte: Du denkst von der Stirn bis zum Tellerrand, weiter nicht. Wie kannst du dich so leicht zufrieden geben? Schau dir die Welt doch an, wie groß und vielfältig sie ist, und du versauerst in Kudrow und machst eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Zur Zahnarzthelferin!

Als ich Weihnachten wieder zu meinen Eltern fuhr, rief ich Alex nicht an. Schon vor dem Abend am Strand hatten wir kaum noch miteinander geredet. Still und leise war ich aus ihrem Leben verschwunden, war feige gewesen, hatte nicht gesagt, ich habe jetzt neue und interessantere Freunde.
Nach dem Physikstudium schrieb ich meine Doktorarbeit; fürs Militär wollte ich jedenfalls nicht arbeiten. Ich zog nach Göttingen dafür, arbeitete viel, schloss neue Freundschaften und traf einen Mann, der mich nachts wärmte. Nach der Promotion bekam ich eine Postdoktoratsstelle an der Caltec in Kalifornien und war mir sicher, dass ich zu Großem bestimmt war. Ich zog in die USA und arbeitete so viel, dass ich von Kalifornien wenig sah, freundete mich mit den neuen Kollegen an und verbrachte die Nächte mit einem Postdoktoranden aus Schweden. Nach zwanzig Monaten ging ich als Research Fellow ans CERN. Es war in der Schweiz, als mir klar wurde, dass es keinen Menschen gab, der mir wirklich wichtig war, dass alle meine Freunde austauschbar und nicht mehr als Reisebegleitungen waren. Ich genoss unsere gemeinsame Zeit, hatte Spaß und lachte mit ihnen, führte erkenntnisreiche Gespräche, lernte dazu, aber vermisste niemanden.
Ich habilitierte am KIT in Karlsruhe, bekam eine Stelle als Wissenschaftliche Leitung und Privatdozentin an der Universität Hamburg und wurde dort schließlich auf den Lehrstuhl für Astroteilchenphysik berufen. Auf dem saß ich jetzt fest, 48 Jahre alt. Ich hatte eine Affäre mit Thomas, einem verheirateten Kollegen, und Bekannte, die ich nach meiner Erkenntnis in der Schweiz aufgehört hatte, Freunde zu nennen. Dass Alex vor dreißig Jahren in Kudrow bleiben und sich der Welt nicht hatte stellen wollen, einfach so zufrieden gewesen war, hatte mich enttäuscht. Ich war raus in die Welt gezogen und hatte sie bezwungen, hatte sie kleiner und meinen Horizont weiter gemacht. Und doch: Nach der Einladung zum Klassentreffen, dachte ich immer öfter an Alex. Vielleicht war meine Ruhelosigkeit nur Ausdruck meines Vermissens. Vielleicht war es Zeit, an unseren letzten gemeinsamen Abend anzuknüpfen. Nur darum war ich nach Kudrow zum Klassentreffen gekommen: wegen Alex.

Im Eingangsbereich des Belling stand ein Tisch mit Namensschildern. Ich war früh dran, eine Menge Schilder lagen noch herum. Ich seufzte, als ich mein Schild entdeckte, und heftete es mir an mein Kleid - seit Jahren hatte mich niemand mehr Leni genannt. Das Restaurant selbst bestand aus einem großen Saal mit Tischen und Stühlen. Vor der gesamten Rückwand verlief eine Bar. Rechts war eine Glasfront wie eine Ziehharmonika aufgezogen und gab den Weg auf eine Terrasse frei. An den Tischen saß niemand; stattdessen stand eine Gruppe draußen auf der Terrasse und eine weitere vor der Bar. Ich fühlte mich fremd unter diesen Menschen, mit denen ich vor dreißig Jahren zur Schule gegangen war, und wusste nicht, zu welcher Gruppe ich mich stellen sollte. Ich versuchte, bekannte Gesichter auszumachen und mir Namen in Erinnerung zu rufen. An der Bar erkannte ich Caro, sie war genauso dünn wie früher, wirkte aber noch unsympathischer; als wäre alles Weiche, das jemals in ihr gewesen war, von der Zeit ausgewaschen worden und nur hartes Gestein zurückgeblieben. Neben ihr erkannte ich Jule, Caros beste Freundin. Als sie mich sah, kam sie mit einem Lächeln auf mich zu. Das erste, was mir auffiel, waren ihre grauen Haare, die in Wellen auf die Schultern fielen.

„Elena Schneider“, sagte sie.
„Immer noch! Und du? Immer noch Juliane Schwandt?“
„Ich habe einen Ami geheiratet und heiße jetzt: Meyer.“ Sie sprach es amerikanisch aus.
„Du heiratest einen Amerikaner und heißt jetzt Meyer?“ Ich sprach ihren Namen norddeutsch aus, mit einem langen ä am Ende.
Sie lachte.
Und so war das zweite, das mir auffiel, ihr Lachen. Ich mochte es. „Und wo wohnt ihr? In Deutschland oder den USA?“
„In Kalifornien. Mein Mann Ryan macht Audio- und Videoproduktionen für die Caltec. Kennst du Big Bang Theory, die Serie?“

Natürlich war ich begeistert über die Caltec reden zu können. Wir redeten auch über Kalifornien und die USA, über Jules Arbeit als Journalistin, über meinen Weg von Pasadena nach Hamburg. Dann kam Steffen, er umarmte Jule, umarmte mich, fragte, wohin es uns verschlagen hatte, erzählte von sich, von seiner Familie, erzählte, mit wem er über die lange Zeit in Kontakt geblieben war. Ich ließ meinen Blick schweifen, schaute, ob Alex mittlerweile da war, und sah sie schließlich hinter einem großen, breitschultrigen Mann an der Bar stehen. Sie redete und lachte.

„Ich dreh mal weiter meine Runde“, sagte Steffen schließlich und ich blieb mit Jule zurück. Wir schauten uns um, versuchten Namen zu erinnern und sie Gesichtern und Geschichten von früher zuzuordnen.
Jule erzählte, dass sie schon während des Studiums den Kontakt zu Caro verloren hatte.
Als sie nach Alex fragte, sagte ich: „Wir haben auch keinen Kontakt mehr. Ich bin vor allem wegen ihr hier. Dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, um mal zu reden.“ Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich Alex um Entschuldigung bitten wollte. Ich wollte sie bitten, mir meine Arroganz zu verzeihen, mein leises Verschwinden aus ihrem Leben, meine Lüge am Strand. Ich hoffte, dass sie die Tür zu unserer Freundschaft, die ich so leichtsinnig geschlossen hatte, wieder öffnen würde. Ich hing fest in Hamburg, in meinem Leben, in mir. Ich konnte eine Freundin gebrauchen.
„Oh, sorry!“, sagte Jule. „Ich halte dich die ganze Zeit auf.“
„Nein, nein“, sagte ich. „Später! Ich will später mit ihr reden. Viel später. Vielleicht auch erst morgen.“
„Dann hol ich uns mal nen Shot!“

Ich setzte mich auf einen Tisch, der vor der Terrasse stand. Der Abendwind strich kühlend über meine nackten Arme, streichelte meinen Nacken. Jule stellte sich neben Alex an die Bar, mischte sich ins Gespräch mit ihr und dem breitschultrigen Mann ein. Ich hoffte, dass sie Alex nichts von meinem Plan erzählte, fragte aber nicht nach, als sie zurückkam. Sie hatte ein Tablett dabei, auf dem zwei Gläser Bier und zwei Schnapsgläser mit einer klaren Flüssigkeit standen.
Ich reichte ihr ein Schnapsglas und nahm selbst das andere. Wir stießen auf unser Wiedersehen an, ich roch Anis und kippte die Flüssigkeit möglichst weit in meinen Rachen.

Es war schön, mit Jule vor der offenen Terrassentür zu sitzen, auf dem Tisch, nicht auf Stühlen. Ich war in Kudrow, Alex war da, der Anisschnaps wärmte mich von innen und ich saß mit Jule auf diesem Tisch wie auf einer Insel außerhalb der Zeit. Es waren dreißig Jahre vergangen und doch auch nicht vergangen, sie fanden genau jetzt statt, in diesem Augenblick.

Wir saßen auf dem Tisch und redeten, es war leicht. Immer wieder kam jemand vorbei, mit dem wir das immergleiche Gespräch führten: Kalifornien, wow, Hamburg, aha. Und du?
„Cool“, sagte Jule, nachdem Martin weitergezogen war. „Die kommen hier alle zum Rapport vorbei. Find ich gut!“ Und wir prosteten uns zu.
Es war gegen Mitternacht, als Alex, so betrunken wie wir und Katzenbewegungen imitierend, auf uns zu schlich. Erst jetzt konnte ich sie richtig ansehen. Sie hatte zugenommen. Ihr Haar war noch immer schokoladenfarben und sie trug einen dieser schrecklichen Mikroponys, der ihr Gesicht aber toll einrahmte.

„Catwoman“, sagte ich und sie sah mich an, mir direkt in die Augen. Dann umarmte sie mich auf so eine feste Art, dass ich wusste, sie freute sich, mich zu sehen. Ich war erleichtert. Sie umarmte auch Jule. Wir führten nicht das obligatorische Gespräch, stattdessen rückten Jule und ich zur Seite. Alex setzte sich zwischen uns auf die Tischplatte und nahm einen Schluck von meinem Bier. Dann zog Jule Alex und mich auf die Tanzfläche und ich war so leicht und frei, so betrunken vielleicht, dass ich nicht protestierte. Jemand hatte eine Playlist mit Songs aus den 90ern angemacht und aus den Boxen sangen die 4 Non Blondes. Lauthals verkündete ich der Welt und mir selbst: „And I try, oh my god do I try, I try all the time, in this institution. And I pray, oh my god do I pray, I pray every single day for a revolution.“ Selbst Mr. Vain von Culture Beat konnte mich nicht schocken. „Call him Mr. Raider, call him Mr. Wrong“, sang ich und hüpfte auf der Tanzfläche umher.

Gegen eins ging Jule nach Hause, wir verabredeten uns zu dritt für den nächsten Tag auf einen Eisbecher im Schroeters. Um zwei wurde das Belling geschlossen und die vier Leute, die noch nicht gegangen waren, vor die Tür gesetzt. Ich atmete die frische Luft ein. Der Rausch des Alkohols hüllte mich mit seiner Wärme ein, aber die Luft war kühl und ich zog meine Jacke über. Hinter den Dünen hörte ich die Wellen leise am Strand aufschlagen. Ich wollte noch nicht nach Hause.
„Kommst du noch mit baden?“, fragte ich Alex.
„Sicher nicht!“, sagte sie, aber wir gingen runter an den Strand, zogen die Schuhe aus und spazierten barfuß durch den kühlen Sand Richtung Seebrücke. Alex fragte, wie es mir in Hamburg gefalle, ob ich in meinem Job zufrieden sei, ob ich in einer Beziehung sei. Ich war unkonzentriert. Mir ging die Entschuldigung im Kopf herum und ich wusste nicht, was ich sagen konnte, das nicht total peinlich klang. In jeder Gesprächspause dachte ich: Jetzt!, aber dann füllte Alex die Stille mit Worten und ich hatte nichts gesagt.

Irgendwann sagte sie: „Okay …“
Aber ich wollte nicht, dass dies unser Abschied war, sagte schließlich: „Alex, ich war blöd. Es tut mir leid!“
„Was meinst du?“
„Dass ich mich nie gemeldet habe! Dass ich einfach so verschwunden bin.“
„Alles gut, Schnee von gestern“, sagte sie leichthin und ich spürte das Brett, das sie mir gerade an den Kopf knallte. Aber was hatte ich erwartet? Es war an mir, zu zeigen, dass es mir Ernst war und ich Wiedergutmachung leisten wollte. Ihre lapidare Antwort hinzunehmen, war ein erster, kleiner Schritt.
„Gut“, sagte ich deshalb. „Das erleichtert mich.“

Sonntag, 31. Juli
Am späten Nachmittag trafen wir uns bei Schroeters. Draußen waren alle Plätze besetzt, aber im Innern des Cafés war es angenehm kühl und leer. Ich bestellte einen Eiskaffee, Jule einen Eisbecher mit einem großen Berg Sahne, an dem Schokosoße herunterlief, Alex nahm einen Milchkaffee mit einem Stück Apfelkuchen. Wir sprachen über den gestrigen Abend und lachten viel. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit, in der das Leben noch vor uns lag, wir noch nicht wussten, wo unsere Entscheidungen uns absetzen würden. Mich hatten meine zur einsamen Insel der Ernüchterung getragen. Mein zwanzigjähriges Ich wäre stolz auf mich gewesen. Professuren waren nichts aus meiner Welt, sondern etwas für andere Leute. Und wenn ich, Elena Schneider aus Kudrow, eine richtige Professorin an einer richtigen Universität sein sollte, dann hätte ich alles erreicht, was es zu erreichen gibt, die Lösung aller Probleme läge in meinen Händen.

Ich hatte hart gearbeitet, auf vieles verzichtet, nicht zuletzt auf eine Familie und Kinder. Ich bedauerte nicht, keine Kinder bekommen zu haben, hatte ich nie, aber mit der Professur stellte sich nicht die Befreiung ein, auf die ich gehofft hatte. Im Gegenteil, ich fühlte mich genauso gefangen wie früher in Kudrow. Hamburg war größer, aber die Enge in der Brust war dieselbe. Obwohl ich immer öfter nach einer neuen, besseren Stelle suchte, war mir klar, dass auch die mir keine Erlösung bringen würde.

Nach dem Eis fuhren wir mit den Rädern die Strandstraße in Richtung Westen bis zum Küstenschutzwald. Betonplatten führten hindurch und erinnerten an das Militärgebiet, auf dem zuerst die Wehrmacht und dann die NVA ihre Soldaten untergebracht hatten. Sie endeten im Strandsand. Wir schlossen unsere Räder aneinander und gingen durch die Dünen an den Strand. Hier war es ruhiger als in Kudrow. Immer wieder schoben sich Wolken vor die Sonne, spendeten wohltuenden Schatten. Der Wind, der übers Meer heranwehte, hatte die erfrischende Kühle des Wassers in sich aufgenommen. Alex führte uns zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man den Strandsee sehen konnte. Wir alle drei hatten als Kinder darin gebadet, jetzt war er ein Naturschutzgebiet, von Schilf umgeben. Zurück in Kudrow kauften wir uns Fischbrötchen, die wir am Strand aßen, mit den Rücken an einen Strandkorb gelehnt, die Füße im Sand vergraben, vor uns das Wasser, dunkelblau bis zum Horizont.

„Ich hab so keine Lust wieder nach Hamburg zu fahren.“ Ich schluckte den letzten Bissen von meinem Fischbrötchen herunter.
„Bleib doch!“, sagte Jule. „Ich bin noch die ganze nächste Woche da und es sind doch gerade Semesterferien.“
Das stimmte. Ich arbeitete kaum im Uni-Büro. Meine Mails konnte ich auch in Kudrow bearbeiten, genauso das Kapitel über dunkle Materie, das ich noch zu schreiben hatte.
„Du hast Recht!“, sagte ich. „Ich hole morgen noch ein paar Sachen. Irgendjemand Lust auf Hamburg?“
„Au ja“, sagte Jule, „lasst uns nach Hamburg fahren.“
Alex musste arbeiten, aber Jule und ich wollten fahren. Wir spazierten auf der Promenade bis zur Seebrücke, tranken auf dem Rückweg ein Glas Bowle vom neuen Strand-Imbiss meerfarbig, saßen auf der Promenadenmauer dabei und beobachteten die Leute, während im Westen die Wolken zu glühen begannen.

Montag, 1. August - Mittwoch, 3. August
Jule gefiel meine Altbauwohnung in Eimsbüttel mit den hohen Decken, dem Schlafzimmer Richtung Hinterhof und den zwei Balkonen. Wir schlenderten durch die Stadt und Jule kaufte sich eine Handtasche, wir spazierten an der kleinen Alster entlang, aßen am Abend einen Döner in der Schanze. Vorm Schlafengehen saßen wir auf dem Balkon und tranken ein Glas Wein. Jule schaute vom Handy auf und sagte: „Es gibt eine Ausstellung von Yayoi Kusama in den Deichtorhallen. Können wir da morgen noch hin?“ So verschoben wir unsere Rückfahrt auf Mittwoch.

Jule schlug vor Thomas zu fragen, ob er mitkommen wollte. Ich log und sagte: „Der ist mit seiner Familie in Frankreich.“ Ich wollte nicht, dass die beiden sich trafen, dass diese neue Welt, die sich mir gerade schüchtern offenbarte, von Thomas durchdrungen wurde. Ich fragte mich, was ich an ihm attraktiv fand, an diesem verheirateten Mann mit der Bilderbuchfamilie, der blonden Anwaltsfrau, den zwei klugen und wohlgeratenen Kindern und dem Haus im versnobbten Eppendorf.

Am nächsten Morgen frühstückten wir in einer Brasserie nicht weit von meiner Wohnung und gingen danach in die Ausstellung. Ich kannte Yayoi Kusama nicht und war sofort fasziniert von ihren immersiven Räumen. Kusamas Kunst bot an, in ein universelles Feld aus Verbundenheit einzugehen. In ihrem Infinity Room sah ich mich selbst unendlich oft kopiert, mein Ich verzweigt in verschiedene Versionen, wie von der universellen Wellenfunktion vorhergesagt. Hinter der Materie gab es Beziehungen, die das Eine und das Alles beinhalteten und uns unmöglich zu sein scheinen. Das war, was die Quantenmechanik uns gelehrt hatte, zumindest wenn man die Schrödingergleichung ernst nahm. Das hier war der Grund, warum ich einmal Physik studiert hatte, weil die Physik die 42 ist, die Antwort auf alle Fragen. Die Frage, woher wir kommen und woraus wir gemacht sind, hatte mich in die Kosmologie geführt und auf den Lehrstuhl für Astroteilchenphysik, aber diese Frage beschäftigte mich schon lange nicht mehr. Stattdessen ließ ich Doktoranden und Postdoktoranden mit Hilfe von Computern Daten auswerten, schrieb Kapitel für Lehrbücher, nahm an Sitzungen und Kolloquien teil, unterrichtete und wusste nicht, wann mich dass letzte Mal Erkenntnisdrang angetrieben hatte.

Am Mittwoch fuhren wir gegen Mittag nach Kudrow zurück. Ich setzte Jule am Haus ihrer Eltern ab, sie gab mir einen Kuss auf die Wange und sprang aus dem Wagen.
„Bis morgen abend“, sagte sie. „Ich bring die Gläser mit.“
„Ich bring den Wein und Alex mit“, sagte ich.
Am Abend aß ich mit meinen Eltern am kleinen Küchentisch mit der Wachstischdecke, schaltete die Deckenleuchte ein, weil der Walnussbaum die Küche verdunkelte. Wir aßen schweigend unsere Brote, mein Vater trank ein Rostocker aus der Flasche, meine Mutter wie immer eine Tasse Kräutertee. Ich fragte mich, warum mein Leben so eintönig auf mich wirkte, so karg und unfruchtbar. Ich war erfolgreich und hatte die Anerkennung meiner Mitmenschen gewonnen. Aber ich wollte mehr, mehr Leben, nicht diese Tristesse. Selbst in dieser einfachen Küche, in der sich seit 30 Jahren nichts verändert hatte, schien mir das Leben wahrhaftiger zu sein als jemals in Hamburg. Das Schweigen meiner Eltern, erinnerte mich an das Schweigen in meinem eigenen Leben. Ich hatte so viel Krach geschlagen und mich mit Arbeit abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie das Schweigen sich langsam in mein Leben geschlichen hatte. War mein Leben nur eine Kopie des Lebens meiner Eltern? War unter der verschiedenartigen Oberfläche die gleiche alltägliche Existenz?

Nach dem Abendessen saß ich in meinem alten Zimmer, meine Mutter hatte sich hier ein kleines Nähzimmer eingerichtet, aber die Möbel waren die alten. Ich wollte an dem Buchkapitel arbeiten und saß am Schreibtisch, als Thomas anrief.
„Wo bist du?“, fragte er ohne Begrüßung.
„In Kudrow.“
„Aber es ist Mittwoch!“
„Ich weiß“, sagte ich und erst dann fiel mir ein, dass wir verabredet waren. Wie jeden Mittwoch, wenn seine Frau beim Badminton und im Anschluss mit ihren Mädels noch in der Kneipe war.

„Wäre schön, wenn du wenigstens absagst, wenn du nicht da bist.“ Er sprach mit dem Habitus eines Menschen, der weiß, dass andere seine Erwartungen erfüllen wollen. Ich wusste, dass er eine Erklärung erwartete, eine Entschuldigung, denn es war weder möglich, dass ich ihn vergessen hatte, noch dass ich ihn mit Absicht versetzt hatte.

„Ich bleib erst mal hier“, sagte ich. „Ich weiß noch nicht wie lange.“
Obwohl er in Hamburg am Telefon war, spürte ich seine Irritation, konnte ich seinen missbilligenden Gesichtsausdruck sehen. Ich hatte das alles attraktiv gefunden, hatte mich in diese Selbstsicherheit und Gewissheit, jemand zu sein, verliebt. Wie souverän und distanziert er blieb, wenn die Menschen um ihn herumwuselten und sich ins Zeug legten, um einen Händedruck zu bekommen, ein „Gut gemacht!“ oder Schulterklopfen. Er brachte die Menschen dazu, ihm gefallen zu wollen, einfach nur mit dieser ihm eigenen Gewissheit. Alle bewunderten ihn, auch ich. Dass er sich scheiden ließ, wollte ich nie. Ich war immer lieber die Affäre als die betrogene Ehefrau und ich hatte so viele Affären mit verheirateten Männern gehabt, dass ich den Glauben an eheliche Treue längst aufgegeben hatte. So etwas, was meine Eltern hatten, gab es nicht in der Stadt, nicht in den Kreisen, in denen ich mich bewegte. Und so etwas hatte ich auch nie gewollt.

Er wusste nicht, wie er mein Verhalten deuten sollte. Darum sagte er nur: „Aha!“
„Ja!“, sagte ich und entschied, so lange in Kudrow zu bleiben, wie es mir gut tat. Mit Thomas und mir war es aus. War ich nach meinem Ausflug nach Hamburg noch nicht sicher gewesen, so war ich es in diesem Moment, in dem ich erkannte, was er war: ein Vierjähriger im Körper eines Erwachsenen. Und wie bei allen Vierjährigen ging es darum, was er wollte, andere Menschen interessierten ihn nur als Wunscherfüller.
„Ja“, wiederholte ich und fügte hinzu: „Ich komme nicht mit zur Konferenz nach San Diego. Flieg allein.“ Dann legte ich auf. Er rief noch mal an, aber ich nahm nicht ab und machte das Handy aus, legte mich aufs Bett und starrte an die Decke.

Donnerstag, 4. August
Am Donnerstag wachte ich früh auf und hörte eine leise Stimme aus der Küche die Nachrichten vorlesen. Ich wusste, dass mein Vater die Stille am Morgen genoss, wenn keiner etwas wollte, er in Ruhe Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen konnte. Ich stand auf und ging zu ihm in die Küche.
„Guten Morgen!“, sagte ich.
„So früh wach?“
„Ja. Hast du noch einen Kaffee für mich?“
„Die Kaffeemaschine ist schon lange hin“, sagte er und füllte Wasser in den Wasserkocher.

Ich nahm den Becher mit dem Caltec Logo aus dem Küchenschrank, füllte gemahlenen Kaffee hinein und wartete darauf, dass das Wasser kochte. Er saß wieder am Küchentisch, hatte ein Kreuzworträtsel vor sich auf dem Tisch liegen, trug gerade ein Wort ein, dann sah er mich an. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, wie wohlwollend und liebevoll er die Welt und auch mich betrachtete. Ich lächelte ihn an.
„Alles in Ordnung?“
„Weiß nicht“, sagte ich, „glaub schon.“
„Milch?“
Ich nickte. Vom Stuhl aus öffnete er die Kühlschranktür hinter sich, nahm eine Packung Milch heraus und reichte sie mir. Ich kippte einen Schluck in den Kaffee und gab ihm die Packung zurück.

Er sagte: „Poetisch Nadelwald, vier Buchstaben.“
„Tann“, sagte ich.
Er trug es ein. Ich trank einen Schluck Kaffee, schlürfte, weil er so heiß war, sagte: „Noch eins!"
„Faser der Kokosnuss. Vier Buchstaben.“
Ich hatte keine Ahnung. Es war ‚Coir‘. Wir lösten noch ein paar Wörter, dann nahm er die Packung Zigaretten vom Küchentisch.
„Kann ich eine schnorren?“, fragte ich.
„Hast du wieder angefangen?“
„Nein, nicht wirklich.“
„Aber wir müssen raus auf den Balkon.“

Ein Tisch mit zwei Stühlen füllte den Balkon zu zwei Dritteln aus. Wenn meine Mutter den Wäscheständer darauf stellte, musste sie einen der Stühle zusammenklappen. Mein Vater hielt mir die Schachtel hin. Ich griff nach der Zigarette, deren Filter herausschaute, klemmte sie mir zwischen die Lippen und entzündete sie an der Feuerzeugflamme, die mein Vater mir entgegenhielt. Ich atmete den Rauch in die Lunge und setzte mich auf den Stuhl.

„Und du musst jetzt immer raus zum Rauchen?“
„Gibt eben doch Dinge, die sich ändern.“
Nach zwei weiteren Zügen, drückte ich die Glut im Aschenbecher vorsichtig aus und legte die Zigarette daneben.
„Bleibst du länger?“, fragte er.
„Ich weiß nicht, vielleicht, wär das okay?“
„Klar, weißt du doch.“
„Ich überlege, das Buchkapitel, an dem ich gerade arbeite, hier zu schreiben.“
„Ich kann dir die Laube zum Arbeiten fertig machen. Da haste vielleicht mehr Ruhe.“
"Das wäre toll."
Gegen acht hörte ich meine Mutter ins Badezimmer gehen, hörte die vertrauten Geräusche ihrer Morgenroutine.
„Ich geh ihr mal einen Kaffee machen“, sagte ich. „Soll ich dir dein Kreuzworträtsel bringen?“
„Nee, lass ma min Deern. Wenn deine Mutter aufsteht, frühstücken wir. Ich komm auch gleich.“

Ich ging in die Küche, deckte den Tisch, setzte Wasser auf und frühstückte gemeinsam mit meinen Eltern. Nach dem Frühstück fuhr mein Vater mit dem Fahrrad in den Schrebergarten. Ich wusste, er würde mir in der Laube einen Arbeitsplatz herrichten. Meine Mutter begann mit ihren üblichen Hausarbeiten. Ich ging ihr zur Hand, begleitete sie zum Supermarkt, schälte die Kartoffeln fürs Mittagessen und genoss den Frieden, der in der Wohnung herrschte. Nach dem Mittagessen machten meine Eltern ihren Mittagsschlaf. Ich setzte mich an den Schreibtisch und versuchte, mit dem Buchkapitel voranzukommen.

Am Nachmittag ging ich mit meiner Mutter ins neu eröffnete Schwanencafé. Ich aß einen Eisbecher mit Nüssen, meine Mutter einen Schwedenbecher. Sie erzählte mir Klatsch und Tratsch von den Nachbarn im Haus, vom ehemaligen Direktor der Grundschule, dessen Enkel in die Psychiatrie in Gehlsdorf eingewiesen worden war, von einer ehemaligen Mitschülern, die jetzt bei ihrem Hausarzt arbeite.
Ich hörte ihr geduldig zu und freute mich, sie in meiner Gegenwart entspannt zu sehen. Anders als üblich nervten mich ihre Geschichten nicht, ihre Einfalt und die Begrenztheit, die sie sich selbst auferlegt hatte. Ich hatte meinen Eltern immer übel genommen, dass sie sich nie die Mühe gemacht hatten, ihren Horizont um meinetwillen zu erweitern. Ich habe sie nie ein Buch lesen sehen. Vor der Wende waren wir genau zweimal im Urlaub: einmal im Harz und einmal in der Tschechoslowakei. Nach der Wende hatten meine Eltern nie genug Geld für Urlaub, außerdem arbeitete meine Mutter als Zimmermädchen in einem Hotel und bekam in den Schulferien nie frei. Das war einfach so. Ich glaube nicht, dass sie die Welt vermissten.

Mein Vater war viel krank, wurde schon mit Anfang Vierzig berentet. Als Jugendliche waren mir meine Eltern vor allem peinlich. Mir war unangenehm, dass sie in ihren schäbigen Klamotten zum Abiball kamen und stolz auf mich waren. Ihr Stolz war nicht groß und stark und selbstverständlich wie der von Thomas, sondern klein und voller Ehrfurcht. Er machte mich wütend. Meine Mutter, das Zimmermädchen, und mein Vater, der kränkliche Alte - mehr waren sie nicht für mich gewesen. Aber jetzt mit 48 Jahren sah ich sie mit anderen Augen, ich sah ihre Sanftmut, sah, wie viel Schmerz ihnen meine Wut und meine Scham bereitet haben musste, sah die Mühe, die es gekostet haben musste, mich meinen Weg gehen zu lassen. Sie hatten sich sogar damit abgefunden, enkellos zu bleiben. Wo ich früher fehlenden Ehrgeiz gesehen hatte und plumpe Zufriedenheit, sah ich jetzt eine Form von Selbstverständnis dem Leben gegenüber, die ich nicht kannte.

Am Abend holte ich Alex ab, um Jule am Strand zu treffen. Ich hatte zwei Flaschen Grüner Veltliner dabei und einen Korkenzieher, Jule packte drei Weingläser aus, die sie in karierte Geschirrtücher ihrer Eltern gewickelt hatte. Ich füllte die Gläser und wir stießen an.
„Auf uns!“, sagte ich.
Als das Gespräch auf Thomas fiel, sagte ich: „Das ist aus und vorbei.“
„Wie das? Gestern war davon aber noch nicht die Rede", sagte Jule.
„Warum?“, wollte Alex wissen und Jule fügte hinzu: „Ja, genau, warum so plötzlich?“
„Ach, das ist schwierig zu erklären.“
„Wir haben Zeit!“, sagte Jule und nickte Alex zu. „So jung kommen wir jedenfalls nicht mehr zusammen, also los …“ Sie trank den Wein in ihrem Glas in einem Zug aus, forderte uns mit einer Kopfbewegung auf, es ihr gleichzutun, und füllte die drei Gläser erneut. Die Flasche war leer und Jule warf sie über ihren Kopf nach hinten, wo sie in den Dünen landete.
„Nee, das ist scheiße!“, sagte Alex.
„Stimmt!“ Jule reichte mir ihr Glas, stand auf und holte die Flasche aus den Dünen zurück. Dann ließ sie sich wieder in den Sand fallen, ich gab ihr das Glas zurück.
„Auf die Wahrheit!“, sagte Jule. „Jetzt und hier und heute abend.“

Ich wollte nicht über Thomas reden, musste aber Jule irgendwas anbieten, damit sie Ruhe gab. „Also gut, wir wären gestern eigentlich verabredet gewesen. Ich war nicht da, er hat angerufen, ich hab gesagt, dass ich in Kudrow bin, er hat gefragt, wann kommst du wieder, ich hab gesagt, weiß nicht, er hat gesagt, er findet es blöd, dass ich ihn einfach versetze, ich hatte keine Lust auf seine Nörgelei und hab ihm gesagt, dass ich noch eine Weile bleiben werde und er nach San Diego alleine fliegen soll. Das wars!“
„Und? Was hat er dazu gesagt?“
„Keine Ahnung. Ich hab aufgelegt und mein Handy ausgemacht.“
„Du bist echt knallhart!“, sagte Jule.
„Ach, der hat mich eh schon genervt mit seinem Scheißmittwoch. Nee, das ist schon gut so.“

Alex sagte nichts dazu. Sie schaute aufs Wasser, hörte zu und sah nachdenklich aus.
„Alles gut?“, fragte ich sie.
Jetzt war sie es, die das Glas in einem Zug leerte. Jule und ich exten ebenfalls unsere Gläser. Ich öffnete die nächste Flasche und füllte die drei Gläser nach.
Alex sagte: „Auf die Freiheit!“
Wir tranken.
Ich sagte nichts, roch an dem Wein, nahm einen weiteren Schluck, schaute aufs Wasser, auch Jule war still, bis Alex schließlich meinte: „Du hast es gut! Kannst einfach gehen. Hast keinen Bock mehr und: Hasta la vista, Baby!“
Ich hatte gedacht, sie sei glücklich. Aber wir hatten seit Jahren keinen Kontakt. Ich wusste von ihr nur das, was meine Mutter mir am Telefon erzählte: „Alex hat einen süßen Jungen bekommen.“ Ich hatte die Liebe zu ihrem Mann mit der Anzahl ihrer Kinder potenziert. Natürlich wusste ich, dass es unglückliche Ehen gibt, auch welche mit drei Kindern, aber zu denen gehörte Alex' Ehe nicht. In dem Bild, das ich in meinem Kopf zurechtgezimmert hatte, war Alex die geliebte Ehefrau und erfüllte Mutter. Ich sagte: „Ich kann das so leicht sagen, weil ich niemanden habe. Ich gehöre zu niemandem und niemand gehört zu mir. Du hast Christoph!“

„Ja, ich habe Christoph“, sagte sie, „und eine Paartherapeutin.“ Sie nahm einen großen Schluck Wein und blähte ihre Wangen auf, bevor sie schluckte. „Christoph ist ein Arsch und hat seine Kollegin gevögelt. Wenn Lina nicht wäre, wäre ich schon längst weg. Seine Scheißkollegin, die er jeden Tag in der Scheißschule sieht!“ Dann fiel ihr auf, dass ich etwas mit dieser Kollegin gemeinsam hatte und sie sagte: „Siehst du, du hast es besser! Du vögelst den verheirateten Mann und wenn du keinen Bock mehr hast, schickst du ihn in die Wüste. Seine Frau muss es weiter mit ihm aushalten.“
„Sie muss nicht“, sagte ich.
„Ja, ja“, sagte Alex.
„Ach Mensch, das tut mir leid, Süße“, sagte Jule.

Alex starrte auf den Horizont, trank ihr Glas aus. „Lina war vier und wir haben gedacht, wir kriegen das hin, aber ich kann ihm das nicht verzeihen. Und jetzt machen wir seit zwei Jahren diese bescheuerte Paartherapie, wir könnten das Geld auch im Garten verbuddeln, das würde wahrscheinlich mehr bringen.“
Ich verteilte den Rest des Weins auf die drei Gläser.
„Blöd!“, sagte Alex und nahm einen großen Schluck, „ich hab morgen frei und Lust mich zu betrinken.“
Jule nahm meinen Rucksack und fuhr mit ihrem Rad Nachschub kaufen. Alex und ich warteten am Strand. Ich malte mit dem Zeigefinger ein Herz in den Sand und schrieb ‚A+E‘ hinein. Dann nahm ich ihre Hand und verflocht ihre Finger mit meinen. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und so saßen wir da und schauten aufs Wasser.

Jule hatte drei Flaschen Grauburgunder gekauft, der besser war, als erwartet. Sie schenkte ein und sagte: „Ich bin jetzt 24 Jahre mit Ryan verheiratet. Ich liebe ihn von ganzem Herzen, so sehr dass es ganz warm wird in meinem Bauch, wenn ich an ihn denke. Aber es gab auch Zeiten, da hab ich gedacht, dass wir es nicht schaffen, da wurde beim Gedanken an ihn nix warm in mir. Ich bin sicher, deine Liebe für Christoph, die ist da noch irgendwo in dir drin.“ Ihr Zeigefinger kreiste über Alex' Brust.

Ich musste an die Vergangenheit denken, als Jule Caros beste Freundin gewesen war und sagte: „Wer hätte gedacht, dass wir jemals freiwillig zusammen am Strand sitzen und Wein trinken?“
„Ich jedenfalls nicht“, sagte Jule. „Ihr wart früher immer so komisch.“
„Nee, du warst komisch!“, sagte Alex.
„Ich weiß! Ich hab keine Ahnung, wer diese Jule früher eigentlich war - außer Caros Anhängsel.“

Wir saßen und redeten, tranken Wein, das Licht wurde golden, bevor der Himmel im Westen orange zu leuchten begann. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont, Orange wich Blau und von Süden her zog Schwärze über den Himmel herauf. Als es dunkel war und der Himmel voller Sterne, gingen wir jede hinter einem Strandkorb pinkeln. Ich buddelte ein Loch, hockte mich darüber und buddelte es wieder zu. Wir zogen unsere Jacken über, rückten eng zusammen, mit Alex in unserer Mitte.
„Ich hasse es, mich in Kirchen klein zu fühlen”, sagte ich, “aber unter dem Sternenhimmel liebe ich es.“

Gegen Mitternacht wurde uns trotz der Jacken kalt, wir waren müde und der Wein war alle. Alex nahm die letzte Flasche und warf sie über ihren Kopf nach hinten in die Dünen. Auf dem Weg nach oben, sammelte sie die Flasche wieder ein und steckte sie zu den anderen in meinen Rucksack. Wir drückten Jule, die sich auf das Fahrrad ihrer Mutter schwang und gefährlich schwankte.
„Fahr vorsichtig!“, rief ich ihr nach.
„Ich versuchs!“ Dann bog sie rechts ab und war nicht mehr zu sehen.
Alex und ich hatten die gleiche Richtung. Sie nahm meine Hand und fragte: „Kann ich heute bei dir schlafen?“
„Klar! Es steht immer noch mein altes Bett im Zimmer.“

Hand in Hand gingen wir zu mir. Ich schloss die Haustür auf und wir stiegen die Treppen hinauf in die zweite Etage. Ich versuchte, die Wohnungstür möglichst lautlos aufzuschließen und flüsterte: „Leise! Meine Eltern schlafen.“
Wir kicherten und torkelten in mein Zimmer. Ich ging ins Bad, putzte meine Zähne und als ich zurück ins Zimmer kam, lag Alex schon im Bett und schlief. Ich hob ihre Jeans und den BH vom Boden auf und legte beides über den Schreibtischstuhl. Ihre nackten Beine leuchteten fahl im Mondlicht. Ich öffnete das Fenster, um die kühle Nachtluft herein zu lassen und deckte Alex mit einem Laken zu, bevor ich mich neben sie legte.

Freitag, 5. August
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Alex schon weg. Auf meinem Handy fand ich eine Nachricht von ihr: Christoph ist sauer. Schön, dass du wieder da bist. Ich fand es auch schön, wieder in Kudrow zu sein, las die Sätze mehrmals und schrieb zurück: Frühstück bei dir?
Klar, komm rum

Ich brauchte sieben Minuten zu Alex, ging durch den kleinen Vorgarten und klingelte. Durch vier in die Haustür eingelassene Scheiben konnte ich in den Flur sehen. Auf dem Boden lagen etliche Schuhe durcheinander. Auf einer Truhenbank lag ein Federballspiel, daneben, auf dem Boden, ein Fußball. Über der Truhenbank hingen an Haken, die über die gesamte Wand verteilt waren, Jacken, Taschen und Kopfbedeckungen, in einem Einkaufsnetz auch ein Basketball.

Alex öffnete die Tür und umarmte mich: „Komm rein!“ Sie war allein. Ihr großer Sohn machte eine Ausbildung in Rostock und hatte dort ein Zimmer. Der mittlere Sohn hatte dieses Jahr Abitur gemacht und tourte mit zwei Freunden durch Europa, bevor er studieren wollte.
„Christoph ist mit Lina einkaufen“, sagte sie, kochte sich einen frischen Pfefferminztee und mir einen Kaffee, schmierte mir eine Scheibe Vollkornbrot mit Frischkäse und Gurke und führte mich auf die Terrasse.
„Ist schön bei dir“, sagte ich.
„Danke“, sagte sie.
„Ein bisschen chaotisch vielleicht.“ Nach gestern abend, wollte ich anknüpfen an unsere alten Tage, in denen sie die Chaotin und ich die Ordentliche gewesen war, aber sie schaute ernst und antwortete: „Willkommen in meiner Welt!“
„Das war nur ein Witz“, sagte ich.
„Ich weiß! Christoph regt das auch immer auf.“
„Es regt mich nicht auf. Ich habe wirklich nur einen Witz machen wollen.“
„Egal!“, sagte Alex. „Sag mir lieber, wie lange du bleibst?“
„Mindestens so lange, wir ich für das Kapitel brauche. Ich kann in der Laube arbeiten und bei meinen Eltern schlafen.“
„Und du meinst, das geht gut? Du und deine Eltern in der kleinen Wohnung?“

Wir redeten über mich und meine Pläne. Sie erzählte wenig über sich und ich hatte Mühe sie nicht zu bedrängen. Gestern Abend waren wir uns näher gekommen, sie hatte sich geöffnet und das, was sie beschäftigte, mit Jule und mir geteilt, aber heute hatte sie, was in ihr war, wieder verschlossen; sie verbarg es vor mir und vielleicht auch vor sich selbst. Mit dem Auto fuhren wir aus Kudrow raus, zu einem Parkplatz am Haff, den ich noch nicht kannte.
„Wenns windig ist, ist hier alles voll mit Kitesurfern“, sagte sie.
Gerade standen nur vereinzelt Wohnmobile herum.
„Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal am Haff war. Es ist so schön hier, nicht nur am Haff!“, sagte ich. Ich mochte das sanfte Ansteigen und Abfallen der Landschaft, die Felder, die bis zum Horizont reichten. Vor allem mochte ich die Farben: das Gold des Weizens, das im Laufe des Sommers immer fahler wurde, das Beige des Strandsands, das sich im Strandhafer der Dünen wiederholte, das Blau des Wassers, in dem sich der Himmel spiegelte. Wir kamen zur Steilküste. Sie war übersät von Nistlöchern und es gab einige Abbrüche. Zurück gingen wir über eine Weide, auf der Kühe standen. Ich war mir nicht sicher, ob das erlaubt war, aber Alex sagte: „Keine Sorge, ich geh hier immer lang.“

Als wir wieder bei ihr ankamen, wollte ich mich verabschieden, aber sie sagte: „Komm mit rein, dann kannst du Christoph kennenlernen.“ Also ging ich mit.
„Lina ist bei deinen Eltern“, sagte Christoph. Er war groß und schlacksig, sein Haar war kurzgeschoren, der dunkle Dreitagebart durchwoben von Silberstreifen.
„Kaffee?“, fragte Alex.
Christoph nickte.
„Ich hätte lieber ein Wasser“, sagte ich.
Er gab mir die Hand. „Hey, ich bin Christoph. Du musst Leni sein.“
„Elena!“, sagte ich.
„Komm mit!“ Er führte mich auf die Terrasse. Kurze Zeit später brachte Alex die Getränke auf einem Tablett. Sie hatte noch einen Apfel aufgeschnitten und ich griff dankbar nach einem Schnitz. Die Zwei wechselten kein Wort miteinander, stattdessen unterhielt ich mich mit Christoph oder besser: er sich mit mir. Wir redeten über das Universum, dunkle Materie, das Xenon-Projekt und seinen Chemieunterricht an der Schule, die auch Alex und ich besucht hatten. Er war interessiert, trotzdem fühlte sich das Gespräch künstlich an und es war mühsam zwischen ihm und der schweigsame Alex zu sitzen. Ich trank das Wasser in kleinen Schlucken und verabschiedete mich, als das Glas leer war. Später bekam ich eine Nachricht von Alex: Christoph und ich wollen Jule und dich zum Essen einladen. Passt dir morgen?

Ich hatte eigentlich keine Lust noch mal Zeit mit den beiden zu verbringen, aber da Jule auch dabei sein würde, sagte ich zu.
Am Abend aß ich wieder mit meinen Eltern zusammen. Meine Mutter hatte Tomatensalat gemacht und mit Wurst und Käse belegte Stullen auf einem Teller verteilt. Wir aßen im Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich füllte Tomatensalat in drei Schüsseln und griff nach einem Brot mit Käse.
„Heut warn die Kinder vom alten Michels da“, sagte mein Vater. „Die räumen alles aus, wolln den Garten verkaufen. Du kannst das alte Sofa haben, dann kannste in der Laube schlafen.“
In der Laube schlafen, wieso hatte ich daran noch nicht gedacht? Im Sommer nach dem Abi, bevor ich nach Berlin ging, hatte ich in der Laube ein paar Wochen auf einer Luftmatratze geschlafen, ich hatte gute Erinnerungen daran. Man stand morgens auf, öffnete die Tür und stand zwischen Apfelbäumen und Amseln. Ich wollte nicht mehr so viel brauchen, wollte mit weniger zufrieden sein, da kam die Laube gerade recht.

Samstag, 6. August
Am nächsten Tag, rief ich nach dem Frühstück Alex an und fragte, ob sie beim Sofatragen helfen könnte. Sie schickte Christoph, den ich am Eingangstor zur Gartenanlage traf. Als wir das Sofa durch die enge Tür ins Innere der Laube manövriert hatten, war mein T-Shirt durchgeschwitzt. Ich reichte Christoph, der auf dem Sofa saß, ein Glas Wasser, trank selbst eines. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, sagte: „Danke, echt nett von dir.“
Er winkte ab. „Und du ziehst jetzt hier ein?“
„Das ist der Plan!“
Dann schwiegen wir wieder. Alex war zu Hause geblieben. Ihre Abwesenheit füllte den kleinen Raum der Laube so sehr aus, dass nur wenig Platz für Worte blieb. Christoph trank sein Wasser aus, drehte das leere Glas in den Händen. Ich leerte mein Glas ebenfalls.
Ich merkte, dass er etwas auf dem Herzen hatte, fragte aber nicht nach. Dann sagte er: „Ist gut, dass du wieder da bist. Hat Alex was erzählt?“
„Was soll sie erzählt haben?“
„Keine Ahnung ... Ich bin froh, wenn sie mit jemandem redet.“

Sie redete nicht mit mir, aber das sagte ich ihm nicht. Für Worte über Alex war in der kleinen Laube definitiv kein Platz. Er fuhr sich mit der Hand über seinen kurzgeschorenen Schädel. Ich mochte ihn, seine Ruhe, das kurzgeschorene Haar und auch sein T-Shirt, mit den drei Walen vorne drauf. Er erinnerte mich an den schwedischen Post-Doc von der Caltec. Mats. Auch der hatte sein Haar kurz geschoren und ich hatte gerne mit der Hand darüber gestrichen. Christoph stand auf, sagte: „Danke für das Wasser“ und reichte mir das leere Glas. Seine Augen hatten die Farbe eines wolkenverhangenen Himmels.
„Danke fürs Tragen“, sagte ich und stellte die Gläser in die Spüle.
„Wir sehen uns heute abend." Er ging durch die Tür.
Auf der Rückseite seines T-Shirts waren drei angekreuzte Kreise, „Dritte Wahl“ stand darüber und ich nahm mir vor, im Internet später danach zu suchen. Ich ging zu meinen Eltern, aß mit ihnen Mittag, packte meinen Kram zusammen und zog in den Garten.

Ich schloss die Tür der Laube auf, stellte den Koffer auf das Lineolum, auch Stäbchenparkettoptik, und legte die Tasche mit meinem Laptop auf den Tisch. Wie im Sommer vor dreißig Jahren wohnte ich in der Laube meiner Eltern, doch dieses Mal wartete ich nicht schlecht gelaunt darauf, dass die Zeit käme, bald schon da sein würde, in der ich abhauen, alles hinter mir lassen und endlich frei sein würde. Im Gegenteil, ich wollte jeden Moment genießen, die Hitze, den Schweiß, das nervige Vogelgezwitscher am frühen Morgen, das vermutlich unbequeme Sofa und den schlechten Schlaf, den die Hitze mit sich brachte; das Zusammensein mit Alex und Jule wollte ich genießen und die zehn Quadratmeter, die nichts von mir verlangten, nichts erwarteten und mich einfach so in sich aufnahmen.

Ich spülte die beiden Gläser, trocknete sie ab und stellte sie zurück in den Schrank, setzte mich draußen mit gekreuzten Beinen in die Hollywoodschaukel, die Hände auf den Knien, die Weite des Himmels über mir. Ein graubrauner Vogel mit einem rostroten Schwanz landete auf der Rückenlehne eines Gartenstuhls. Sein Schwanz zuckte nervös.
„Hallo!“, sagte ich, „ich wohne jetzt auch hier.“ Er flog weg. Ich nahm mein Handy und fand heraus: ein Hausrotschwanzweibchen.

Jule war schon da, als ich bei Alex und Christoph ankam. Wir saßen auf der Terrasse, die Luft war noch warm, der Wetterbericht hatte eine tropische Nacht vorhergesagt. Christoph stand am Grill, brachte einen Teller mit Gemüse. „Das Hüftsteak ist auch gleich fertig“, sagte er.

Wir sprachen über gute Badestellen, als Christoph das Hüftsteak brachte und sich zu uns setzte. Jule stürzte sich auf das Gemüse, während wir anderen ein Hüftsteak aßen, dazu Tomatensalat und Rosmarinkartoffeln aus der Pfanne, Tzatziki und selbstgebackenes Brot.

Im Kirschbaum der Nachbaren lärmten die Stare, dann erhob sich der Schwarm lauthals in die Luft, schwappte von einer Form in die nächste, eine schwarze Wolke, die sich ständig transformierte und sich schließlich in einer Kastanie niederließ. Wir redeten über die, trotz der vielen Stare, gute Kirschernte in diesem Jahr, über die Hitze, den Klimawandel, darüber, ob Schlafen auf der Hollywoodschaukel ohne Fliegennetz eine gute Idee wäre und Christoph bot an am Montag ein Fliegennetz ans Fenster der Laube zu kleben, damit ich das Fenster, auch ohne Gefahr zerstochen zu werden, weit aufmachen konnte. Wir tranken Wein, aßen gegrillte Banane und Ananas zum Dessert, redeten über das Leben in den USA, darüber, was Jule am meisten gefiel und was sie am meisten vermisste. Dann redeten die anderen drei über Kinder und die Veränderungen, die sie bedeuteten.

Jule sagte: „Als Frau ist man 24/7 für das Baby da. Am Anfang ist noch alles chic, Honeymoon und so, aber irgendwann laugt es einen aus, die Fremdbestimmung, der Schlafentzug. Ryan war arbeiten und ich hatte den ganzen Tag ein Baby an mir kleben und wenn er da war, wollte ich meinen Körper für mich haben und auch Zeit allein verbringen. Ich war schrecklich eifersüchtig, dass er arbeiten ging. Für Ryan blieb kaum was von mir in diesem ersten Jahr. Damit konnte er gar nicht gut umgehen.“

Alex sagte: „Ja, die ersten Monate zu dritt waren wunderschön. Aaron war total pflegeleicht, hat gut geschlafen, gut gegessen. Es war leicht, und für uns genau das Richtige, gleich wieder schwanger zu sein. Ben kam, als Aaron anderthalb war.“
„Als Tom anderthalb war, hat's bei mir und Ryan mega gekriselt. Unvorstellbar, dass da dann noch ein Säugling dazugekommen wäre, mit der ganzen Stillerei und so. Wir haben fast zwei Jahre gebraucht, um uns wieder zurechtzuruckeln. Er hat gearbeitet und alles blieb an mir hängen. Ich wollte auch arbeiten, das war aber ohne Großeltern vor Ort auch schwierig, insbesondere weil Tom auch viel krank war. Ich hab mich total allein gefühlt ohne meine Familie und ohne Freunde in einem fremden Land.“

„Ich hab mich nie allein gefühlt“, sagte Alex und mit dem Finger schnippte sie einen Krümel vom Tisch. Christoph sah sie an, während Alex auf die Tischdecke starrte und mit der Hand Brotkrümel zu einem Haufen zusammenschob.
Das dunkle Schweigen war mir unangenehm und ich war froh, dass Jule da war.
Sie sagte: „Das ist echt schön. Ich glaube nicht, dass das viele Frauen sagen.“ An Christoph gewandt fügte sie hinzu: „Und für dich war es auch niemals schwer? Deine Frau teilen zu müssen, hat dich nicht gestört?“

Christoph schaute Alex an, sie schob weiterhin Krümel zusammen. Er sagte: „Doch, klar war es schwer. Alex war nonstop mit Aaron beschäftigt und dann ja auch schon wieder schwanger und viel müde. Ich wusste aber auch vorher, dass es anstrengend sein würde. Für mich war immer klar, dass meine Aufgabe darin besteht, Alex zu unterstützen, sich um den Kleinen zu kümmern, sie zu entlasten. Ich hab einfach versucht, jeden innigen Moment mit Alex zu genießen, auch wenn es nicht mehr viele gab.“
„Was soll das denn?“, fragte Alex. „Du wolltest doch auch ein zweites Kind!“
„Ja, wollte ich. Und trotzdem hab ich dich vermisst. Es geht doch auch beides.“

Alex schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Ich überlegte, ob es ein guter Moment war, um mich zu verabschieden, da sagte Christoph: „Ach Alex, ich sag doch nur, dass ich dich vermisst habe, als die Jungs noch klein waren. Das wird ja wohl erlaubt sein, dich zu vermissen.“
„Erstens war ich die ganze Zeit da. Das klingt, als wäre ich gar nicht da gewesen …“
„Nicht für mich“, sagte Christoph leise.
„Und zweitens“, fuhr Alex fort, „warum wolltest du überhaupt noch Lina, wenn du die Zeit so schrecklich fandest.“
„Ich fand die Zeit nicht schrecklich. Das hab ich doch gar nicht gesagt. Ich fand sie auch schön und einzigartig und innig und voller Wunder. Aber irgendwann haben wir aufgehört ein Paar zu sein, wir waren nur noch Familie Köhler. Und wenn ich überlege, warum ich eigentlich noch ein Kind wollte, dann ... ich habe keine Ahnung.“
„Dass du über unsere Tochter sprichst, ist dir aber schon klar, oder?“

Ich fühlte mich wie ein zwangsrekutierter Zuschauer einer TV-Paarberatungsshow. Auch Jule war still.
„Wie lange willst du eigentlich noch auf mich sauer sein?“, fragte Christoph.
„Keine Ahnung, vielleicht bis Lina auszieht? Das Kind, von dem du nicht weißt, warum du es wolltest.“
Christoph sah Jule und mich an. „Tut mir leid, das war so nicht der Plan.“
„Tja, so ist das wohl. Da plant man und mittendrin merkt man dann: Das ist gar nicht, was ich will! Gut, dass es Kolleginnen gibt, die man vögeln kann, wenn die Frau nicht performt wie geplant.“
Christoph stöhnte. Jetzt war er es, der den Kopf schüttelte. „Schon gut!“ sagte er und ich nutzte die Pause, die entstand, um zu sagen: „Vielleicht gehen wir besser. Dann könnt ihr in Ruhe weiter streiten.“
„Wer streitet denn?“, fragte Alex und jetzt war ich auch sauer.

Mir war das zu doof. Die Art, wie sie nach dem Klassentreffen meine Entschuldigung an sich hatte abperlen lassen, schien grundsätzlich ihr Weg zu sein, mit Konflikten umzugehen. Sie zog einfach ihren Teflonanzug an, sparte aber nicht mit Vorwürfen, die sie einem von hinten durch die kalte Küche servierte. Sie selbst offenbarte sich nicht.

„Ok, Alex“, sagte ich, „dann sag doch mal: Was waren deine Pläne? Was hast du gewollt und nicht bekommen? Was willst du?“
Wütend schaute sie mich an. Aber ich war auch wütend und nicht leicht einzuschüchtern durch Blicke einer wilden Dreijährigen. Ich hatte zwar keine Kinder, aber mit erwachsenen Dreijährigen konnte ich sehr wohl umgehen. Und die erste Regel lautet: Kein Zurückweichen. Die Front halten.
„Und?“, sagte ich. „Komm schon, sei doch mal ehrlich und hör auf, dich hinter der betrogenen Ehefrau zu verstecken.“

Sie funkelte mich an, stand auf und sprach im Stehen, sah mir in die Augen dabei. „Einen ehrlichen Ehemann, ja, klar, den hab ich gewollt. Einen, der mir nicht ins Gesicht lügt. Und weißt du, ich hatte auch auf eine loyale Freundin gehofft, nicht eine, die sich heimlich aus dem Staub macht und mir irgendwelche Scheiße erzählt. Es ist mir so peinlich, wenn ich überlege, wie lange ich deiner Mutter gesagt habe, sie solle dich grüßen. Ich hab einfach nicht kapiert, was läuft.“ Sie schnaubte verächtlich. „Aber das scheint ein generelles Problem von mir zu sein. Und dann tauchst du hier auf, brabbelst irgendeine Entschuldigung und denkst, es ist alles wieder gut? Was seid ihr zwei nur für Menschen?“
Sie machte einen Schritt zurück, riss den Stuhl um dabei und ging ins Wohnzimmer. Wir hörten die Haustür ins Schloss fallen.
Jule stand auch auf. „Ich geh ihr mal nach!“ Dann war sie auch weg.

Die Sonne war schon untergegangen, aber es war noch hell, am Himmel kreischte eine Möwe und ich wusste nicht, ob ich gehen oder bleiben sollte. Da sagte Christoph: „Tut mir leid!“
Und ich sagte: „Sie hat ja recht. Also zumindest mit mir. Bei dir bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, du hast genug gebüßt.“
„Vielleicht …“ Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Kinn in die Hände gelegt und sah mich an. Ich zog die Füße hoch, stellte sie auf die Kante der Sitzfläche, umschlang mit den Armen meine Knie und hatte Angst ihm in die Augen zu sehen. Ich blieb sitzen, anstatt zu gehen, wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte ihm Trost spenden, wollte selbst Trost empfangen, wollte auf jeden Fall weiter hier sein, in diesem Garten von Alex und Christoph, in dem ich nicht allein war, sondern mit Christoph in Schuld vereint.

„Es ist gut, dass sie wütend ist“, sagte er. Und dann redeten wir über Alex und saßen zusammen, während der Himmel sich langsam schwarz färbte. Ich dachte, dass ich diese Nähe mit Thomas schon lange nicht mehr gefühlt hatte, eigentlich nie. Ich hatte mich in seiner Aufmerksamkeit gesonnt. Sie erhob mich aus meiner Mittelmäßigkeit, aus der Schäbigkeit, die ich ihm gegenüber immer empfand und die er gleichzeitig von mir nahm. Jetzt hier im Garten mit Christoph fühlte ich mich nicht schäbig, schuldig ja, aber nicht minderwertig wie ein abgetragener Mantel. Ich erzählte, dass ich wegen Alex in Kudrow war, dass ich ihr eigentlich Zeit lassen wollte, dass ich verstand, dass er froh war über ihre Wut. Ich erzählte ihm, wie sie mich in der Nacht des Klassentreffens hatte auflaufen lassen, dass ich abgesehen, von dem einen Abend am Strand, immer das Gefühl hatte, es gäbe eine Wand zwischen uns, durch die hindurch ich sie nicht erreichen konnte und er nickte zustimmend.

Er erzählte, wie verzweifelt sie gewesen war, als sie von der Affäre erfahren hatte.
„Erst war sie krankgeschrieben und nach zwei Monaten hat der Arzt sie in eine Klinik geschickt. Danach war sie stabiler, hat wieder gearbeitet, aber sie war auch verschlossener. Ich hab sie angefleht, mich nicht zu verlassen. Und sie hat mich nicht verlassen. Ich bin dankbar dafür.“ Er strich sich wieder mit der Hand über den Kopf. Die Kerze im Windlicht war jetzt heruntergebrannt und erloschen, das Muster aus Licht und Schatten, das gerade noch über sein Gesicht getanzt war, hatte aufgehört zu existieren.

„Ich kann nicht mehr!“, sagte er. „Ich will auch nicht mehr können.“
„Kennst du Kintsugi?“, fragte ich.
Christoph schüttelte den Kopf. „Nein, was ist das?“
„Eine Reparaturmethode für Keramik: Zerbrochenes wird wieder zusammengeklebt und die Risse werden mit Gold überzogen. Man braucht Geduld und Zeit dafür. Dinge zerbrechen schnell.“
„Ich habe lange daran festgehalten, dass ich Geduld haben muss und Alex Zeit braucht. Manches Zerbrochene kann nicht wieder zusammengeklebt werden. Es ist besser, man sieht das irgendwann ein. Sicher ist, ich kann diese Beziehung nicht allein reparieren, ich brauche Alex dafür.“
„Du hast gesagt, es ist ein gutes Zeichen, dass sie wütend ist.“
„Wir werden sehen“, sagte er müde.

Der Himmel war schwarz und mit Sternen bestickt, die Luft noch warm. Wir saßen beide noch mit T-Shirt am Tisch. Mir fiel auf, dass er das Wal-T-Shirt gegen ein kurzärmeliges Hemd getauscht hatte. Alex war noch nicht wieder da, auch Jule nicht. Ich schaute auf mein Handy, das 0:13 Uhr anzeigte und eine Nachricht von Jule. Alles ok. Macht euch keine Sorgen. Christoph brachte mich zur Tür. Wir umarmten uns und er gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Schlaf gut, Elenotschka! So oder so, es ist schön, dass du da bist!“
„Du auch“, sagte ich.

Auf dem Weg nach Hause suchte ich im Webbrowser des Handys nach ‚Dritte Wahl‘. Es gab einen Wikipedia-Eintrag, der mich lehrte, dass es sich um eine Punkband aus Rostock handelte. Ich ging durch die Nacht, hörte in ein paar Songs rein und weinte dabei.
Im Garten legte ich mich auf die Hollywoodschaukel, aber die Mücken nervten so, dass ich mich nackt auf das mit einem Laken bezogene Sofa vom alten Michels legte und die Tür mit dem Fliegenvorhang offen stehen ließ. Die Luft war stickig, ich schwitzte und konnte nicht schlafen. Stattdessen dachte ich an Christoph, die Umarmung, den Kuss auf meiner Wange. Noch nie hatte mich jemand Elenotschka genannt.

Sonntag, 7. August
Es war kurz nach sechs, als ich erwachte. Im Licht der Morgensonne war der gestrige Abend weit weg. Wie durch ein Fernglas konnte ich ihn sehen, aber nicht greifen. Wieso war ich so wütend gewesen, so ungeduldig, war Alex so angegangen? Es stand mir nicht zu meine Meinung zu äußern, sie unter Druck zu setzen oder etwas von ihr zu verlangen. Gestern Abend fand ich sie ungerecht und selbstgefällig, vor allem Christoph gegenüber. Aber wer war ich, das zu beurteilen?
Ich überlegte Jule zu schreiben, aber sie schlief sicher noch. Außerdem: mit mir über Alex zu reden, war nicht ihre Aufgabe. Ich dachte an Christoph und schämte mich für die Nähe, die ich ihm gegenüber empfunden hatte. Was könnte ich Alex sagen, das nicht total verlogen war?

Ich stand auf, kochte Kaffee, setzte mich, trank einen Schluck, trank einen zweiten, stand auf, klemmte ein Handtuch auf den Gepäckträger, setzte mich, trank einen weiteren Schluck, ließ den halb vollen Kaffeebecher schließlich auf dem Gartentisch stehen und nahm mein Rad. Ich fuhr den Dammer Landweg entlang. An der ersten Gabelung entschied ich, den Hügel hinauf zum Leuchtturm zu fahren. Der Anstieg war herausfordernd, aber ich stieg nicht ab, um zu schieben, sondern trat in die Pedale, bis mir die Oberschenkel schmerzten und mir der Schweiß in den Augen brannte.

Oben angekommen setzte ich mich auf die Stufen des Cafés, das noch geschlossen hatte, und schaute zur Ostsee hinunter, deren tiefes Blau am Horizont auf den wolkenlosen Himmel traf. Der Wetterbericht hatte wieder Temperaturen von über 30 Grad vorhergesagt. Ich war froh, nicht in Hamburg zu sein, und dankbar für die leichte Brise, die meinen Schweiß trocknete und meine Haut kühlte. Aber was war Kudrow ohne Alex? Ich hatte Ruhe gefunden in der vergangenen Woche. Wenn ich am Strand saß, dehnte sich die Weite des Himmels bis in meine Brust hinein aus, das Meer rauschte in meinen Ohren, und der Sand unter meinen Füßen ließ mich das Leben spüren. Ich musste mit Alex reden, mich entschuldigen und ihr ehrlich sagen, wie es mir ging und warum ich in Kudrow war.

Auf dem Rückweg ließ ich mich den Wanderweg hinunterrollen, der vom Leuchtturm direkt zur Ostsee führte. Die Sonne stand noch tief und war hinter einem schmalen Waldstreifen, der den Wanderweg säumte, verborgen. Unten angekommen lehnte ich mein Rad an einen Baum und ging durch die Dünen zum Strand. Das Wasser war klar und ich schwamm zur Sandbank. Als ich wieder im Garten ankam, war es kurz nach Neun. Ich schrieb Alex eine Nachricht. Hey Süße, tut mir leid wegen gestern. Wollen wir noch mal reden? Das würde mich sehr freuen.

Ich legte das Handy weg und fuhr zum Supermarkt. Zurück im Garten schlug ich zwei Eier in eine Schüssel, gab Milch dazu, verquirlte alles mit einer Gabel und ließ die Masse in eine erhitzte Pfanne mit Öl laufen. Ich schnitt etwas Schnittlauch klein und gab es zum Ei, das ich zu einer Scheibe Vollkornbrot aß. Ich wartete auf eine Nachricht von Alex, wusste nicht, was ich tun sollte, hatte keine Ruhe, um am Kapitel zu arbeiten, traute mich nicht, Jule anzurufen und drehte eine Runde zu Fuß durch die Gartenanlage. Aber die Sonne schien schon so erbarmungslos, dass die Runde nur klein war und ich mich anschließend in den Schatten auf die Hollywoodschaukel legte. Ich rief Alex an, aber sie nahm nicht ab. Ich wartete, dachte wieder an das Buchkapitel, konnte mich wieder nicht aufraffen aufzustehen, wartete weiter. Wenn Alex mir nicht verzieh, was würde dann werden? Würde ich in Kudrow bleiben? Weiter in der Laube wohnen und mein Kapitel hier schreiben? Es wäre sinnlos, ohne Alex in Kudrow zu sein. Gegenüber unterhielten sich zwei Nachbarn über das Schneiden der Hecken.

Ich erwachte gegen halb drei, fand eine Nachricht von Jule auf dem Handy, aber kein Zeichen von Alex. Geht's dir gut?, fragte Jule und ich antwortete: Alles gut! Melde mich später. Ich überlegte, noch mal baden zu fahren, blieb aber sitzen und wartete. Endlich: mein Handy vibrierte.
Hab die ganze Nacht mit Jule geredet. Dann mit Christoph. Mag nicht mehr reden.
Wir müssen nicht reden. Würde dich einfach nur gerne sehen. Hast du Lust her zu kommen? Oder auf einen Spaziergang?
Zu warm für Spaziergang. Ich komm zu dir. Brauch ne halbe Stunde.

Alex wollte kommen. Ich hatte sie nicht verloren. Sie wollte kommen.

Als ich sie auf ihrem Rad hinter der Hecke sah, ging ich ihr entgegen und umarmte sie.
„Magst du was trinken?“, fragte ich.
„Gerne. Die Hitze macht mich fertig!“
Ich stellte zwei Gläser und eine Karaffe mit Wasser auf den Tisch, dann setze ich mich zu ihr auf die Schaukel. Sie sah müde aus. Ich nahm ihre Hand.
„Nur ganz kurz“, sagte ich. „Ich will nur ganz kurz sagen, dass mir gestern leid tut. Ok?“
„Ich weiß. Mir geht es nicht um gestern. Du warst ein Arsch, Elena!“
„Ich weiß!“, sagte ich und schaute auf ihre Hand, die in meiner lag.
Alex seufzte. „Aber ich finde auch schön, dass du wieder da bist. Du bist anderes als früher.“
„Du auch.“
„Kennst du das, dass dich was innen drinnen schmerzt, das nur eine Person wieder gutmachen kann? Aber dass genau dieser Mensch, der dir den Schmerz zugefügt hat, etwas für dich tut, das willst du ihm nicht gönnen? Du dachtest du kommst vorbei, sagst: Entschuldigung! und alles ist ok. Wir machen weiter, wo wir aufgehört haben.“

Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte nicht weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Naja, eigentlich schon, aber jetzt wollte ich überhaupt nur noch weitermachen oder auch neu anfangen, mir egal. Ich wollte Alex in meinem Leben, ich wollte, dass es jemanden gab, der für mich bedeutsam war.
Darum sagte ich: „Nein, ich habe nie gedacht, dass ich mich entschuldige und alles ist vergessen. Nach der Nacht beim Klassentreffen hatte ich aber die Hoffnung, dass du und ich wieder zueinander finden könnten. Du bist mir wichtig, Alex, und das ist nicht nur so dahin gesagt. Ich hab dich vermisst, seit langem schon, aber ich wusste nie, wie ich alles ungeschehen machen konnte. Ich war so blöd und hätte schon viel früher kommen sollen. Die letzten 20 Jahre waren wir eine Mauer aus Unmöglichkeiten, die immer höher wuchs.“
Ich küsste ihre Hand, sah ihr in die Augen. „Ich bin so froh. Wirklich! Ich bin so froh, dass ich gekommen bin, dass ich mich getraut habe, herzukommen. Ich bin so froh, dass du jetzt hier bei mir sitzt.“
„Na gut“, sagte sie, „erzähl mir, was passiert ist, damit ich es verstehe.“

Und ich erzählte ihr alles. Erzählte von meinen wahren Gedanken, damals am Strand, erzählte von meiner Arroganz, erzählte von meiner Ruhelosigkeit, von Liebschaften und Freundschaften, die nichts bedeuteten, erzählte von der Angst, die immer mehr zur Gewissheit wurde, eine oberflächliche Person zu sein, unfähig, tiefe Gefühle zu empfinden. Ich erzählte von meiner Einsamkeit in Hamburg, meiner Unzufriedenheit, davon, dass ich wieder Ausschau hielt nach einer neuen Stelle, erzählte von meinen Gedanken an sie, meinem Vermissen, von meinem Wunsch, ihr so viel Zeit zu lassen, wie sie brauchte, erzählte von den goldenen Narben des Kintsugi.
An der Stelle lächelte sie. „Davon hat Christoph auch geredet. Hat er das von dir?“
„Ja, wir haben noch geredet als du und Jule ... Er ist ein Guter, Alex. Lass ihn nicht gehen.“
„Weißt du, ich habe kein Problem damit, dass er Sex mit ner anderen hatte. Aber was mich wirklich abfuckt, ist, dass er mir direkt ins Gesicht gelogen hat. Der Mann von seiner Tussi stand einfach vor der Tür. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihr Mann und meine Frau eine Affäre haben, hat er gesagt. Jetzt gerade ficken die, oder ist ihr Mann zu Hause? War er nicht. Er war bei Johannes, dachte ich zumindest. Ich hab erst gedacht, das sei ein schlechter Scherz. Ich meine, das ist doch bescheuert. Sowas passiert doch nur in schlechten Filmen. Als Christoph nach Hause kam, hab ich ihn gefragt, ob zwischen ihm und der Kollegin was läuft. Aber er hat gesagt, das sei Quatsch. Dann hab ich von ihrem Mann erzählt und Chris meinte, dass der sich irre. Dann hab ich ihm die Mails auf seinem Rechner gezeigt, die ich in der Zwischenzeit gefunden hatte, die er der Tussi geschrieben hat und sie ihm. Da war's dann aus mit den Lügen. Und jetzt ist alles nur noch beschissen. Wie soll ich ihm denn jemals wieder vertrauen? Aber so gehts auch nicht weiter. Da sind wir uns einig.“

Gegen siebzehn Uhr kam mein Vater, um die Pflanzen zu wässern. Er war sichtlich erfreut Alex zu sehen.
„Ich kann auch gießen. Du musst nicht extra deswegen kommen“, sagte ich, aber er winkte ab.
„Hast du Lust baden zu fahren?“, fragte ich Alex.
„Total“, sagte sie. „Ist es ok, wenn Christoph mitkommt?“
„Klar! Ich frag auch Jule. Ist doch ihr letzter Abend.“
Und so fuhren wir zu viert zum Strand beim alten Armeegelände. Hinter den Betonplatten schlossen wir unsere Räder an und Alex führte uns zu einer Stelle, an der es kaum Steine gab. Christoph hatte einen Ball mitgebracht, den wir uns zuwarfen, und als Jule, Christoph und ich noch zur Sandbank schwammen, ging Alex raus und legte sich aufs Handtuch. Sie war noch nie gerne rausgeschwommen.

Wir sprachen nicht mehr über den gestrigen Abend. Alex hatte mir verziehen und die Wand zwischen uns war verschwunden. Wir saßen lange am Strand, atmeten die sommerschwere Luft, lachten und gingen noch mal baden. Alex saß in Christophs Armen und es machte mich glücklich, zu sehen, wie nah sie einander waren. Lina war mit Alex’ Eltern für eine Woche auf einen Pferdehof gefahren, Christoph hatte noch eine Woche Ferien und Alex in der nächsten Woche Urlaub. Jule flog morgen wieder zurück in die USA.
Ich fuhr mit dem Fahrrad nach Kudrow zur Tankstelle und kaufte zwei Flaschen Wein mit Schraubverschluss, während die anderen am Strand auf mich warteten. Wir tranken aus der Flasche, redeten und machten Pläne für unser Wiedersehen mit Jule. Ich versprach, mich zu melden, wenn ich auf einer Konferenz in Kalifornien sein sollte. Das Meer war so schwarz wie der Himmel, als wir uns trennten und Christoph mich wieder auf die Wange küsste.

Montag, 8. August
Ich hatte schon zwei Stunden am Schreibtisch gesessen, als ich eine Nachricht von Alex bekam. Kommste mit baden?
Da treffen oder holst du mich ab?
Wir holen dich ab.

Sie klingelten wild mit ihren Fahrradklingeln als sie vorm Gartentor hielten. Ich hatte das Handtuch bereits auf den Gepäckträger geschnallt, schnappte mein Rad und schob es durch das Tor auf den Weg hinaus.

Es war noch früh und wir fanden eine freie Bucht in den Dünen, legten unsere Kleidung und die Handtücher in den Sand. Durch die Dünen und über den Strand liefen wir ins Wasser. Alex ging raus, als Christoph und ich zur Sandbank schwammen und dann weiter aufs Meer hinaus, dem Horizont entgegen. Wir ließen uns auf dem Rücken liegend im kühlen Wasser treiben. Ich hielt die Augen geschlossen, ließ mich vom Wasser tragen und wiegen. Auf einem Wellenkamm trafen sich Christophs und meine Fingerspitzen, tanzten miteinander, nicht länger als ein Wimpernschlag, doch lang genug.

„Komm“, sagte er, “lass uns zurück zur Sandbank schwimmen!“ Auf der Sandbank machte er einen Handstand, verschluckte sich am Wasser und prustete wie ein Seelöwe. Ich lachte. Er tauchte und griff nach meinen Fesseln, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich ließ mich fallen, schwamm weg von ihm, tauchte auf, tauchte unter, versuchte lachend ihm zu entkommen. Da hatte er meinen Fuß erwischt. Ich drehte mich und griff nach seiner Hand, deren Finger sich mit meinen verflochten. Es war länger als ein Wimpernschlag, dass sein Daumen über meinen streichelte. Ich dachte an Alex, an Christophs Kollegin und an Thomas, für dessen Frau ich die Kollegin war. Ich zog meine Hand weg und schwamm zurück zum Strand.
„Elena, warte!“, hörte ich ihn sagen. Aber ich schwamm weiter, ging zu unserer Bucht in den Dünen, trocknete mich ab und zog mich an.
„Was ist denn?“ fragte Alex und schaute von ihrer Zeitschrift auf. „Warum machst du denn solchen Stress?“
„Hab nen Termin vergessen“, sagte ich.
„Jetzt?“
„Ja, Telefontermin mit einer Doktorandin.“

Sie sagte nichts. Ich nahm mein Handtuch, sagte: „Tschüss!“, und fuhr nach Hause, in meine Laube, meinen Garten, zu den Amseln und Spatzen, dem Apfelbaum und der Hollywoodschaukel. Ich ließ das nasse Handtuch auf dem Gepäckträger, legte mich aufs Sofa, versteckte mich unter dem Kopfkissen vor der Welt, meinen Gefühlen und den Bildern in meinem Kopf: seine Fingerspitzen an meinen, seine Finger mit meinen verflochten, Gute Nacht, Elenotschka, sein Kuss auf meiner Wange, Alex gestern abend in seinen Armen. Vielleicht war das der Grund, warum ich nie bedeutsame Beziehungen gehabt hatte, vielleicht war ich nicht dafür geschaffen, so viel zu empfinden. Irgendwann erinnerte ich mich daran, dass es Hamburg gab. Dort wohnte ich und hatte ein Leben, in das ich jederzeit zurückkehren konnte. Hamburg bot die Fluchtmöglichkeit, die meinen Herzschlag normalisierte. Ich tauchte wieder auf, ging aus der Laube in den Garten, die Sonne schien noch immer, dort stand der Apfelbaum, die Hollywoodschaukel, der Gartentisch, hier der Schuppen mit den Gartengeräten, an den war mein Fahrrad gelehnt. Ich hängte mein nasses Handtuch an die Leine, die ich an meinem ersten Tag gespannt hatte. Ich würde nach Hamburg zurückkehren, aber vorher musste ich Alex erklären, wieso. Ich konnte nicht einfach so verschwinden, nicht dieses Mal.

Ich schrieb ihr eine Nachricht. Können wir uns heute noch sehen?
Ich saß auf der Hollywoodschaukel und war in meinen Gedanken verloren. Alex stand plötzlich vor mir. Wir umarmten uns.
„Sorry, dass ich vorhin so schnell weg musste.“
„Ich weiß, das du ihn magst“, sagte sie und sah mich an dabei.
„Wen?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Ich kratzte meine juckenden Unterarme, was das Jucken nur schlimmer machte. „Verfluchte Sonnenallergie!“, schimpfte ich und kratzte mehr. Dann gab ich auf.
„Woher weißt du's?“, fragte ich.
„Er mag dich auch.“
Eine leichte Röte hatte sich auf ihre Wangen gelegt.
„Es stimmt!“, sagte ich. „Ich mag ihn. Vielleicht bin ich sogar ein kleines bisschen verknallt. Aber du musst dir keine Sorgen machen.“ Ich nahm ihre Hand und küsste sie. „Ich bin nur deinetwegen hier.“
„Hattest du jemals was mit einer Frau?“
„Was?“
„Du hattest doch so viele Liebschaften, hast du gesagt. Auch welche mit Frauen?“
„Nein!“
„Keine einzige?“
„Einmal eine halbe.“
„Ich hatte nie was mit einer Frau. Aber manchmal hab ich es mir vorgestellt.“
„Okay.“
„Christoph und ich haben viel geredet in den letzten zwei Tagen. Auch über dich.“ Sie wurde wieder rot. „Denkst du nicht auch, dass zwei Menschen allein zu wenig sind? Wie soll eine einzige Person denn alles für einen sein?“ Sie schaute mir in die Augen, ihre Hand lag noch immer in meiner und sie verflocht ihre Finger mit meinen.

Mein Körper bebte, ich schluckte. Sie küsste meine Hand. Ich schaute auf ihre Lippen, die voll und weich aussahen, nichts sagten. Ich wollte diese Lippen küssen, traute mich nicht, küsste ebenfalls ihre Hand. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie über meine Stirn, meine Wange entlang, dann über meinen Mund und ich schloss die Augen und war nur noch Gesicht. Dann spürte ich ihre Lippen auf meinen.
Es war ein zarter Kuss, sanft und leicht wie die Brise, die über die Ostsee an den Strand wehte. Ich hielt sie im Arm und steckte meine Nase in ihr Haar, das nach Algen und Seetang roch. Dann fuhr sie das Auto in die Werkstatt und ich stand allein am Gartentor. Sah den Apfelbaum, den Schuppen, die Schaukel, das Fahrrad, alles stand an seinem Platz. Nur ich war verrückt worden, war geküsst worden von Alex. Ich dachte an ihre Hände auf meinem Gesicht, an ihre Lippen auf meinen Lippen. Ich dachte auch an Christoph, dachte an Hamburg, wollte nicht schuld sein, wenn Alex'und Christophs Ehe zerbrach. Ich hatte nie alles in nur einer Person gesucht und hatte immer Angst, dass jemand meinte, alles in mir zu finden.

Gegen fünf bekam ich eine Nachricht. Ich denke immerzu an den Kuss.
Und ich an deine Lippen
Christoph sagt, du schuldest ihm jetzt auch einen Kuss.

Bäm! Sie hatte ihm von dem Kuss erzählt! Wir haben viel geredet, auch über dich, hatte sie gesagt. Sie wollten es anders machen dieses Mal. Wollten ehrlich sein. Auch ich wollte Veränderungen, wollte mutig sein und mich lebendig fühlen. Mir war klar, dass beides zusammengehörte wie das Vorwärts und Rückwärts eines Palindroms.
Ich schrieb zurück: Sag mir wann und wo.
Jetzt gleich bei uns?
Bin unterwegs

Nicht nur meine Hände schwitzten, als ich mein Rad vor Alex' und Christophs Haus anschloss. Ich klingelte an der Tür. Durch die Sprossenfenster sah ich Alex. Das braune Haar hatte sie wie eine Krone auf ihrem Kopf befestigt. Sie lächelte, öffnete die Tür und zog mich ins Haus. Dort küsste sie mich, drückte ihr Becken gegen meines. Christoph sagte: „Meine Güte, Alex, lass Lena doch erst mal reinkommen!“ Er kam auf mich zu, „Hallo!“, küsste mich auf die Wange. Er schaute mir in die Augen, nahm meine Hand und verflocht seine Finger mit meinen. Eine Erinnerung von Salzwasser lag auf meiner Zunge. Dann küssten wir uns und alles was war, löste sich auf unter seinen Lippen. Alex nahm seine Hand, Christoph hielt meine und so zogen wir ins Wohnzimmer, setzten uns auf das Sofa, ich in der Mitte.

„Und jetzt?“, fragte Alex.
Gute Frage.
„Vielleicht sollten wir ein paar Regeln besprechen“, sagte Christoph.
„Vielleicht sollten wir Lena erst einmal sagen, was wir besprochen haben“, sagte Alex und fing an: „Ich hab dir ja schon erzählt, dass wir es noch einmal probieren wollen. Diesmal anders, ehrlicher, wir beide. Die klassische Kleinfamilie, die isses nicht. Ich meine, das ist doch genau das, was Jule auch beschrieben hat, oder? Dass sie sich allein gefühlt hat. Und ich habe jetzt erst verstanden, dass es Christoph auch so ging. Und als das mit Anke rauskam - ich hab mir vorgenommen, sie nicht mehr 'seine Tussi' zu nennen -, war ich so voller Angst und Panik, als wäre der Boden weggebrochen, der mich jahrelang zuverlässig getragen hatte.“
„Wir denken, dass es mehr als zwei Erwachsene braucht“, sagte Christoph.
„Christoph hat erzählt, dass er sich dir nahe gefühlt hat, in der Nacht als ich abgehauen bin, näher als mir in den letzten Jahren. Und erst war ich stinkwütend. Hab gesagt, denk nicht, dass ich das nochmal mitmache. Aber dann hat er mir klar gemacht, dass es wichtig für uns ist, darüber zu reden. Ihm fehlt Nähe und Vertrauen genau wie mir. Ich hab genug davon unglücklich zu sein.“
„Es ist nicht toll fremdzugehen. Lügen und Betrügen macht nicht nur den Belogenen kaputt, auch den, der lügt. Und wenn ich zu sowas fähig bin, wieso dann Alex nicht auch? Ich will das nicht in meinem Leben. Aber wie lange muss man verzichten können? Was ist, wenn ich liebe, obwohl ich nicht alles bekomme, was ich brauche? Was ist, wenn man etwas braucht und gleichzeitig nicht will, das der andere dafür verantwortlich ist? Wie soll ich Alex Raum zur Entwicklung und Entfaltung geben, wenn ich selber so bedürftig bin?“
„Ich finde, Beziehungen sollten kein Entweder-oder sein, sondern ein Sowohl-als-auch. Wenn wir aussprechen dürfen, was wir brauchen, der andere aber nicht verpflichtet ist, sich zu kümmern, wenn es noch jemanden gibt, noch andere gibt, denkst du nicht, das macht es einfacher?“
„Es geht uns hier nicht um Sex. Wir wollen gerne mehr und vielfältigere Beziehungen in unser Leben lassen, wie die genau aussehen, wissen wir auch noch nicht. Was passiert, wie sich das am Ende wirklich anfühlt, keine Ahnung.“
„Ich will dich nicht wieder verlieren, Lena! Wir reden nur. Darüber, was sein könnte, was möglich wäre, was sich jeder von uns wünscht. Was denkst du?“, fragte Alex.

Das waren eine Menge Informationen gewesen. Sie wollten es anders machen dieses Mal. Ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich wusste nicht, was ich dachte. Sie wollten, dass ich mich festlegte. Ich saß zwischen ihnen und die Enge wieder in meiner Brust. Ich hatte nie über Beziehungen geredet. Es gab Blicke, Berührungen, dann Küsse, Sex. Es entwickelte sich ohne Worte. Das hier war nicht, wie ich Beziehungen führte. Aber es war Alex, die hier neben mir saß.

„Ich weiß nicht ...“, sagte ich. „Ich hab das noch nie so gemacht.“
„Wir auch nicht!“, sagte Alex.
Christoph sagte: „Ich glaube, es geht in diesem Moment nur um die Frage: Willst du mich und Alex noch mal küssen?“
Das wollte ich.
„Aber ich weiß wirklich nicht, wen ich zuerst küssen soll", sagte ich.
Alex setze sich rittlings auf meinen Schoß und ich nahm ihr Gesicht in meine Hände, behutsam betasteten sich unsere Lippen, bevor sie sich öffneten. Weite spannte sich in mir auf. Wir waren zusammen. Alex, Christoph und ich. In diesem Moment. Mehr gab es nicht zu entscheiden.

 

Irgendwie ist mir die Geschichte davongallopiert, sodass sie nun furchtbar lang ist.
Ich nehme gerne Kürzungsvorschläge entgegen. Und falls ihr nicht bis zum Ende lest, dann freue ich mich auch über die Info, bis wohin ihr gelesen habt und warum ihr dort ausgestiegen seid.

Herzlichen Dank und
gute N8!
Katta

 

Hallo Katta
Ich habe Deine Geschichte gerne und bis zum Schluss gelesen. Es ist eine Geschichte ganz nach meinem Gusto und ich dachte mir, schön, endlich wieder einmal eine Frauengeschichte. Die Geschichte von Elena, die auszog in die grosse Welt, mit grossen Plänen und dann merkt, was ihr fehlt und zurückkommt in ihr altes, kleines Leben auf der Suche nach Freundschaft und Versöhnung und die Liebe findet. Die Annäherung der Figuren hast Du sensibel und gut nachvollziehbar beschrieben. Auch die einzelnen Charaktere haben Substanz und ich kann sie mir gut vorstellen. Jule finde ich eine wichtige Figur in der Geschichte, auch wenn es vor allem um Lena, Alex und Christoph geht. Mir gefällt die Leichtigkeit die durch sie hinein kommt.
Weiter finde ich, dass die sinnlichen Beschreibungen, wie zum Beispiel sich Fingerspitzen berühren, miteinander tanzen oder wie sich das Wasser, die Sonne, der Sand anfühlt, wie sie sich zu ersten Mal küssen (und noch viele weitere Beispiele) der Geschichte eine besondere Atmosphäre geben, die mir gut gefallen hat.

Sehr berührt hat mich die Beschreibung der Welt ihrer Eltern und wie sie sich geschämt hatte früher für die einfachen Eltern und heute merkt, was für sanfte und tolle Menschen die beiden sind. Da hatte ich tatsächlich das eine oder andere Mal Tränen in den Augen. Vielleicht auch, weil sie mich an meine Eltern erinnern und an meine Arroganz früher....

Nur die Geschichte mit Thomas und dem plötzlichen Bruch mit ihm war für mich nicht so stimmig. Wieso genau hat sie sich auf den Narzissten eingelassen, sich von ihm blenden lassen und weshalb gerade jetzt die Erkenntnis, dass sie dies nicht mehr möchte. Sie trennt sich ohne dass da ein Gefühl von Zweifel oder Trauer auftaucht. Ist das wirklich realistisch?

Nachdenklich hat mich der Schluss gemacht. Einerseits dachte ich, schön, sie haben sich gefunden und versuchen etwas Neues und vielleicht funktioniert es. Aber sofort dachte ich auch, oje, und wenn es nicht funktioniert? Dann bleiben drei verletzte Seelen zurück und ob das dann wieder zu flicken ist, bezweifle ich. So fragil scheint mir das ganze Gefüge. Einerseits bewundere ich ihren Mut, anderseits denke ich aber, ist das nicht ein wenig dumm, auf was sie sich da einlassen? Wie oft am Ende einer Geschichte würde ich gerne wissen, wie es weiter geht...

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen. Kürzungen möchte ich nicht vorschlagen. wüsste nicht wo.

Ausser: der folgende Abschnitt kommt doppelt vor.

Ich bleib erst mal hier“, sagte ich. „Ich weiß noch nicht wie lange.“
Obwohl er in Hamburg am Telefon war, spürte ich seine Irritation, konnte ich seinen missbilligenden Gesichtsausdruck sehen. Ich hatte das alles attraktiv gefunden, hatte mich in diese Selbstsicherheit und Gewissheit, jemand zu sein, verliebt. Wie souverän und distanziert er blieb, wenn die Menschen um ihn herumwuselten und sich ins Zeug legten, um einen Händedruck zu bekommen, ein „Gut gemacht!“ oder Schulterklopfen. Er brachte die Menschen dazu, ihm gefallen zu wollen, einfach nur mit dieser ihm eigenen Gewissheit. Alle bewunderten ihn, auch ich. Dass er sich scheiden ließ, wollte ich nie. Ich war immer lieber die Affäre als die betrogene Ehefrau und ich hatte so viele Affären mit verheirateten Männern gehabt, dass ich den Glauben an eheliche Treue längst aufgegeben hatte. So etwas, was meine Eltern hatten, gab es nicht in der Stadt, nicht in den Kreisen, in denen ich mich bewegte. Und so etwas hatte ich auch nie gewollt.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Viele Grüsse
Aida Selina

 

Guten Morgen, @Aida Selina, vielen Dank für deinen Kommentar und dein gutes Auge. Habe den doppelten Absatz entfernt. Zum Rest melde ich mich später noch einmal. Viele Grüße, Katta

 

Moin @Katta,

danke für Deine Geschichte.

Ich hab sie einmal komplett gelesen und sie gefällt mir gut. Sehr gut sogar. Die Länge von über 13.000 Wörtern verblasste beim Lesen, denn die Figuren und die Themen brauchen den Raum, um sich und ihre Beweggründe zu entfalten. Ich glaube, viel kürzer kann man diese Geschichte nicht erzählen, im Gegenteil, an ein paar Stellen hätte ich mir (noch) mehr Informationen gewünscht.
Du hast eine handvoll großartiger Sätze eingeflochten, auf die ich gleich noch eingehen werde. Über ein paar Stellen bin ich gestolpert, wirkliches Kürzungspotenzial sehe ich nur bei der Beziehung zwischen Elena zu ihren Eltern, denn die ist zwar wichtig, steht aber nicht im Mittelpunkt der Story (Stichwort: Kreuzworträtsel) und vielleicht noch an wenigen Stellen, wenn Schauplätze zum wiederholten Mal auftauchen, die man vorher schon gut auf dem Schirm hatte (die Laube und die Strände beim Baden).

Gerne möchte ich noch ein paar Gedanken zu unterschiedlichen Passagen teilen:

Still und leise war ich aus ihrem Leben verschwunden, war feige gewesen, hatte nicht gesagt, ich habe jetzt neue und interessantere Freunde.
Das ist für mich so einer dieser wirklich gelungenen Sätze. Konnte ich gut mitfühlen.

Nach dem Physikstudium schrieb ich meine Doktorarbeit; fürs Militär wollte ich jedenfalls nicht arbeiten.
Das Militär hat mich stolpern lassen. Steht diese Möglichkeit sofort im Raum, wenn man erfolgreich Physik studiert hat?

Es gehörte Thorbens Eltern, die nach der Wiedervereinigung aus Hamburg gekommen waren, und die HO-Gasttätte Strandperle in ein Steakhaus verwandelten.
Wer ist Thorben?, habe ich mich gefragt? Das passiert später noch öfter, auf dem Klassentreffen haust Du Vornamen von Personen raus, die vorher nicht erwähnt werden, das hat mich jedes Mal kurz straucheln lassen.

Dann kam Steffen, er umarmte Jule, umarmte mich, fragte, wohin es uns verschlagen hatte, erzählte von sich, von seiner Familie, erzählte, mit wem er über die lange Zeit in Kontakt geblieben war.
Hier zum Beispiel. Wer ist Steffen? Kommt vorher nicht vor. Wird der noch wichtig? Keine Ahnung. Hm, mal weiterlesen.

Es waren dreißig Jahre vergangen und doch auch nicht vergangen, sie fanden genau jetzt statt, in diesem Augenblick.
Wieder einer dieser starken Sätze. Toll!

Gegen eins ging Jule nach Hause, wir verabredeten uns zu dritt für den nächsten Tag auf einen Eisbecher im Schroeters. Gegen halb drei wollte Thorben das Belling schließen und auch ins Bett. Draußen war es kühl, ich zog meine Jacke über, hörte die Wellen hinter den Dünen leise rauschend am Strand aufschlagen und wollte noch nicht nach Hause.
„Kommst du noch mit baden?“ fragte ich Alex.
„Sicher nicht!“, sagte sie, aber wir gingen runter an den Strand, zogen die Schuhe aus und spazierten barfuß durch den kühlen Sand Richtung Seebrücke.
Anscheinend sind sie wieder nüchtern? Vorher waren sie doch so betrunken? Da fehlt mir hier ein kurzer Satz zu.

Am späten Nachmittag trafen wir uns bei Schroeters. Draußen waren alle Plätze besetzt, aber im Innern des Cafés war es angenehm kühl und leer. Ich bestellte einen Eiskaffee, Jule einen Eisbecher mit einem großen Berg Sahne, an dem Schokosoße herunterlief, Alex nahm einen Milchkaffee mit einem Stück Apfelkuchen. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit, in der das Leben noch vor uns lag, wir noch nicht wussten, wo unsere Entscheidungen uns absetzen würden. Mich hatten meine zur einsamen Insel der Ernüchterung getragen. Mein zwanzigjähriges Ich wäre stolz auf mich gewesen. Professuren waren nichts aus meiner Welt, sondern etwas für andere Leute. Und wenn ich, Elena Schneider aus Kudrow, eine richtige Professorin an einer richtigen Universität sein sollte, dann hätte ich alles erreicht, was es zu erreichen gibt, die Lösung aller Probleme läge in meinen Händen. Ich hatte hart gearbeitet, auf vieles verzichtet, nicht zuletzt auf eine Familie und Kinder. Ich bedauerte nicht, keine Kinder bekommen zu haben, hatte ich nie, aber mit der Professur stellte sich nicht die Befreiung ein, auf die ich gehofft hatte. Im Gegenteil, ich fühlte mich genauso gefangen wie früher in Kudrow. Hamburg war größer, aber die Enge in der Brust war dieselbe. Obwohl ich immer öfter nach einer neuen, besseren Stelle suchte, war mir klar, dass auch die mir keine Erlösung bringen würde.
Worüber reden sie bei dem Besuch im Café? Und warum fühlt sich Elena gerade hier und jetzt in diese Zeit zurückversetzt? Über die anderen Figuren erfahren wir an dieser Stelle nichts weiter.

Ich hatte gedacht, sie sei glücklich mit Christoph.
Wieder kommt der Vorname aus dem Nichts. Wer ist Christoph?, dachte ich und schon bin ich raus. War der beim Klassentreffen? Zurückgelesen, überflogen: Nee, tut er nicht. Mal weiterlesen...ah, das ist Alex´Mann. :)

Ihre Abwesenheit füllte den kleinen Raum der Laube so sehr aus, dass nur wenig Platz für Worte blieb.
Starker Satz.

Wie im Sommer vor dreißig Jahren wohnte ich in der Laube meiner Eltern, doch dieses Mal wartete ich nicht schlecht gelaunt darauf, dass die Zeit käme, bald schon da sein würde, in der ich abhauen, alles hinter mir lassen und endlich frei sein würde.
Das fett markierte wirkt wie ein Überbleibsel einer früheren Version?

Ich wollte Alex in meinem Leben, ich wollte, dass es jemanden gab, der für mich bedeutsam war.
Wichtiger Satz, auf den ich irgendwie unbewusst die ganze Zeit gewartet hatte. Gut, dass der hier steht.

Wir warfen uns drei Bälle zu und als Jule, Christoph und ich noch zur Sandbank schwammen, ging Alex raus und legte sich aufs Handtuch.
Was für drei Bälle? Wieso genau drei? Spielen Sie Ball?

Alex hatte mir verziehen und die Wand zwischen uns war verschwunden.
"eingerissen" würde hier mMn besser passen, denn dafür, dass die Wand komplett verschwindet, ginge mir das zu schnell.

Mir war klar, dass beides zusammengehörte wie das Vorwärts und Rückwärts eines Palindroms.
Wieder ein starker Satz.

„Ich wünsche mir, dich noch einmal zu küssen.“
Sagt hier wer zu wem?


Liebe Katta, vielen Dank für diese interessante Geschichte. Jetzt, nach dem Einfügen der Zitate und dem finalen Bearbeiten des Kommentars fällt mir noch auf, dass Du zwischendurch mehr Baustellen im Innenleben der Protagonistin aufmachst, als dass sich es sich am Ende wirklich auch um alle dreht. Vielleicht kannst Du hier noch Kürzungen vornehmen, wobei diese Nuancen ja schon auch wichtig für die komplette Charakterzeichnung sind.
Dir gelingt es, schon früh eine besondere Art romantischer Schwingungen zwischen der Dreiecksbeziehung aufzubauen, deren Ausgang Du aber bewusst lose führst, sodass ich ab einem gewissen Punkt (den ich gerade gar nicht benennen kann) neugierig wurde, auf welches Ende es denn hinausläuft.
Das Tempo der Ereignisse ab dem letzten Badegang, wo sich erst zwischen Christoph und Elena und dann zwischen Alex und ihr etwas abzeichnet, fand ich genau richtig gewählt.
Auch das offene Ende hat mir gut gefallen.

Du merkst schon, ich hab sie gerne gelesen und das, obwohl dieses Genre eigentlich nicht unbedingt meins ist. ;)

Vielen Dank dafür und noch einen entspannten Sonntag.
Beste Grüße
Seth

 

Hallo @Aida Selina,
so nun komm ich noch mal richtig dazu, dir auf deinen Kommentar zu antworten.

Es ist eine Geschichte ganz nach meinem Gusto und ich dachte mir, schön, endlich wieder einmal eine Frauengeschichte.
Das freut mich. Und ja, ich hatte in letzter Zeit auch öfter den Gedanken, dass die weibliche Perspektive (sowohl auf Autoren- als auch auf Geschichtenebene) gerade nicht so stark vertreten ist oder war hier im Forum, aber nachgezählt habe ich nicht wirklich. Tatsächlich war das auch ein bisschen ein Motiv beim Schreiben.

Die Annäherung der Figuren hast Du sensibel und gut nachvollziehbar beschrieben. Auch die einzelnen Charaktere haben Substanz und ich kann sie mir gut vorstellen. Jule finde ich eine wichtige Figur in der Geschichte, auch wenn es vor allem um Lena, Alex und Christoph geht. Mir gefällt die Leichtigkeit die durch sie hinein kommt.
Auch das freut mich. Mir war wichtig, eine bestimmte Stimmung zu transportieren und die sollte eben nicht "verschwitzter Threesome-Sommer mit Eifersüchteleien" sein. Zumindest sollte es am Ende wie ein möglicher Lebensentwurf erscheinen können, nicht wie ein Sommerabenteuer um mal das langweilige Großstadtleben zu vergessen. Da fällt mir auf, ich hab hier schon mal so ne Dreierkiste-Beziehung beschrieben, ob das was zu bedeuten hat? :confused:

Nur die Geschichte mit Thomas und dem plötzlichen Bruch mit ihm war für mich nicht so stimmig. Wieso genau hat sie sich auf den Narzissten eingelassen, sich von ihm blenden lassen und weshalb gerade jetzt die Erkenntnis, dass sie dies nicht mehr möchte. Sie trennt sich ohne dass da ein Gefühl von Zweifel oder Trauer auftaucht. Ist das wirklich realistisch?
Oje, du liest ihn als Narzissten. Dann muss ich da vielleicht noch mal ein bisschen nachbessern. Ganz so krass sollte er nicht rüberkommen. Ob das realistisch ist, dass sie sich ohne Zweifel und Trauer trennt? Für mich schon, aber ich schaue mal, manchmal helfen ja schon ein, zwei Sätze, um da Fragen auszuräumen.

Dann bleiben drei verletzte Seelen zurück und ob das dann wieder zu flicken ist, bezweifle ich. So fragil scheint mir das ganze Gefüge. Einerseits bewundere ich ihren Mut, anderseits denke ich aber, ist das nicht ein wenig dumm, auf was sie sich da einlassen? Wie oft am Ende einer Geschichte würde ich gerne wissen, wie es weiter geht...
Ja, aber Verletzungen gehören ja auch dazu. Und man kann auch vieles flicken ;-) Aber es stimmt natürlich, dass es zu diesem Zeitpunkt noch sehr fragil erscheint. Ich hatte eigentlich geplant, mit einer Erotikszene aus der Geschichte rauszugehen und ich überlege gerade, ob das dem Ganzen mehr Stabilität verpasst hätte, so rein vom Leseempfinden. Aber natürlich wäre das auch keine Langzeitbeobachtung gewesen, aber der Leser hätte im Text noch etwas mehr Zeit mit den dreien gehabt. Jetzt wirkt es schon sehr: In diesem Moment - weiter brauchen wir nicht denken. Das stimmt, das wirkt etwas naiv. Muss noch mal überlegen und abwarten.

Vielen Dank jedenfalls für deinen Kommentar. Ich bin sehr froh, dass dich der Text bei Leselaune halten konnte.
Viele Grüße
Katta

Hallo @Seth Gecko,

auch dir vielen lieben Dank für deinen Kommentar.

Ich hab sie einmal komplett gelesen und sie gefällt mir gut. Sehr gut sogar. Die Länge von über 13.000 Wörtern verblasste beim Lesen, denn die Figuren und die Themen brauchen den Raum, um sich und ihre Beweggründe zu entfalten. Ich glaube, viel kürzer kann man diese Geschichte nicht erzählen, im Gegenteil, an ein paar Stellen hätte ich mir (noch) mehr Informationen gewünscht.
Sehr schön, ich hab da jetzt einfach nach der Idee gehandelt, dass eine Geschichte eben soviel Platz braucht, wie sie braucht, um erzählt zu werden, und versucht mich nicht von der Anzahl der Worte zu sehr beeindrucken zu lassen. Aber für ein Forum kam es mir dann doch schon gewagt vor. Vielen Dank auch für die Auflistung der Sätze, die du gelungen fandest. Das liest sich natürlich immer sehr schön :-)

Über ein paar Stellen bin ich gestolpert, wirkliches Kürzungspotenzial sehe ich nur bei der Beziehung zwischen Elena zu ihren Eltern, denn die ist zwar wichtig, steht aber nicht im Mittelpunkt der Story (Stichwort: Kreuzworträtsel) und vielleicht noch an wenigen Stellen, wenn Schauplätze zum wiederholten Mal auftauchen, die man vorher schon gut auf dem Schirm hatte (die Laube und die Strände beim Baden).
hmmm... ich hatte ja eher überlegt den Ausstellungsbesuch rauszuschmeißen. Das Kreuzworträtselding ... ja, verstehe ... ich lass das noch mal sacken. Grundsätzlich braucht es für mich auch die Veränderung in der Beziehung zu den Eltern, weil das ist für mich irgendwie das übergeordnete Thema des Textes ist: Beziehungen, aber ich verstehe auch, dass es nicht viel zu der eigentlichen Dreierbeziehungskiste was beiträgt. Ich wollte ein bisschen sowas wie ein Geflecht darstellen (auch zB mit den erinnerungen in/an Kudrow, die immer mal aufploppen, das wir eben nicht im luftleeren Raum existieren, sondern in vielerlei verwoben sind). Ich glaube aber, dass ich das nicht ganz so hingekriegt habe, wie ich es eigentlich gerne gehabt hätte.

Das Militär hat mich stolpern lassen. Steht diese Möglichkeit sofort im Raum, wenn man erfolgreich Physik studiert hat?
Da fragst du mich was. Ich _glaube_ tatsächlich schon. Ich kenne jemanden der tatsächlich aus Mangel an Alternativen in Physik promoviert hat. Physiker können auch gut rechnen, deswegen sitzen sie möglicherweise auch auf Mathematikerstellen oder teilweise Ingenieursstellen, aber ich glaube (ohne wirklich recherchiert zu haben), dass auch viele fürs Militär arbeiten.

Wer ist Thorben?, habe ich mich gefragt? Das passiert später noch öfter, auf dem Klassentreffen haust Du Vornamen von Personen raus, die vorher nicht erwähnt werden, das hat mich jedes Mal kurz straucheln lassen.
Ja, damit habe ich gerechnet, dass die Namen zu viele werden. Das nehm ich aber tatsächlich so hin und gehe davon aus, dass der Leser jetzt einfach mal denkt, ok scheint irgendjemand vom Klassentreffen zu sein. Das man nicht weiß, ob die noch mal wichtig werden ist doof, muss mal überlegen, vielleicht fällt mir noch was ein, um subtil klar zu machen, dass es nur name dropping ist.

Anscheinend sind sie wieder nüchtern? Vorher waren sie doch so betrunken? Da fehlt mir hier ein kurzer Satz zu.
Oh ja, der ist mir bei den Kürzungen irgendwie abhanden gekommen. Eigentlich hatte ich da mal irgendwann einen Satz zu ... Danke fürs genaue Lesen.

Worüber reden sie bei dem Besuch im Café? Und warum fühlt sich Elena gerade hier und jetzt in diese Zeit zurückversetzt? Über die anderen Figuren erfahren wir an dieser Stelle nichts weiter.
Auch das finde ich einen guten Hinweis. Da werde ich noch etwas nachfüttern.

Wieder kommt der Vorname aus dem Nichts. Wer ist Christoph?, dachte ich und schon bin ich raus. War der beim Klassentreffen? Zurückgelesen, überflogen: Nee, tut er nicht. Mal weiterlesen...ah, das ist Alex´Mann. :)
Ja genau, das soll dann hier nicht so sein, weil er wichtig ist und dass soll dir klar sein. Da muss ich noch mal überlegen.
Wie im Sommer vor dreißig Jahren wohnte ich in der Laube meiner Eltern, doch dieses Mal wartete ich nicht schlecht gelaunt darauf, dass die Zeit käme, bald schon da sein würde, in der ich abhauen, alles hinter mir lassen und endlich frei sein würde.
Das fett markierte wirkt wie ein Überbleibsel einer früheren Version?
Haha, nein ... Ich habe mich gefragt, ob das zu verstehen ist. Das Fette bezieht sich auf die Zeit: dass die Zeit bald käme, dass die Zeit bald schon da sein würde, in der ich abhauen könnte ... Ich mag irgendwie den Rhythmus und warte noch mal ab ...

Was für drei Bälle? Wieso genau drei? Spielen Sie Ball?
Ok, das schreib ich auch noch mal anders, das fand ich auch schon unglücklich ... muss aber erstmal überlegen

"eingerissen" würde hier mMn besser passen, denn dafür, dass die Wand komplett verschwindet, ginge mir das zu schnell.
Ist auch notiert. Braucht aber auch noch etwas Überlegung ...

Sagt hier wer zu wem?
Eigentlich Christoph zu Elena, aber ist das wirklich wichtig?

fällt mir noch auf, dass Du zwischendurch mehr Baustellen im Innenleben der Protagonistin aufmachst, als dass sich es sich am Ende wirklich auch um alle dreht. Vielleicht kannst Du hier noch Kürzungen vornehmen, wobei diese Nuancen ja schon auch wichtig für die komplette Charakterzeichnung sind.
ja, auch die Unzufriedenheit mit dem Job, die wird ja gar nicht mehr thematisiert, hab da auch überlegt, ob ich das noch mit einbaue, aber die Geschichte ist ja schon so lang. Andererseits war mir wichtig, Elena recht umfassend in ihrer Krise zu beschreiben und da gehört der Job mit dazu ... muss da auch noch mal abwarten und alles sacken lassen

Dir gelingt es, schon früh eine besondere Art romantischer Schwingungen zwischen der Dreiecksbeziehung aufzubauen, deren Ausgang Du aber bewusst lose führst, sodass ich ab einem gewissen Punkt (den ich gerade gar nicht benennen kann) neugierig wurde, auf welches Ende es denn hinausläuft.
Oh super. Das freut mich. Es sollte nicht so offensichtlich sein, aber auch nicht plötzlich vom Himmel fallen.

Das Tempo der Ereignisse ab dem letzten Badegang, wo sich erst zwischen Christoph und Elena und dann zwischen Alex und ihr etwas abzeichnet, fand ich genau richtig gewählt.
Auch das offene Ende hat mir gut gefallen.
Auch hier war ich mir sehr unsicher, ob das Tempo am Ende nicht zu hoch ist und ich so drüber wegerzähle. Super, dass das für dich gepasst hat, auch das offene Ende.

Du merkst schon, ich hab sie gerne gelesen und das, obwohl dieses Genre eigentlich nicht unbedingt meins ist.
Ich schreib das ja auch immer: Das ist eigenltich nicht mein Genre! (wenn es denn nicht mein Genre ist). Aber eigentlich denke ich, dass es wirklich wurscht ist. Ich glaube, wir können auch bei für uns genreuntypischen Texten sagen, ob wir den grundsätzlich vom Schreibstil, vom Plot usw. gelungen finden. Klar, ein Genrekenner, weiß dann noch besser Bescheid, ob das nicht alles schon total ausgenudelte Plots, Bilder usw sind (ich habe bei Romantik aber jetzt auch nicht so das Wissen dazu ;-)). Aber das heißt ja eigenltich, dass man als Nicht-Kenner sogar eher großzügiger, also weniger kritisch kommentiert.

Jedenfalls vielen Dank für deinen Kommentar, werde einiges davon aufgreifen.
Viele Grüße
Katta

 

Hallo @Katta,
eine schöne Geschichte über die Suche nach dem Glück mit der Erkenntnis, dass es immer nur temporär ist, egal, was man macht. Die überraschende Wende mit dem Dreier hat mir gut gefallen, auch, weil da auch wieder das Temporäre mitschwingt, die alten Wunden irgendwann sicher wieder aufreißen werden, wenn das mit der Eifersucht losgeht oder man sich womöglich verliebt. Das fand ich alles gut miteinander verwoben.

Zwischendurch hat die Geschichte aber Längen für mich, MMn könntest du da eine Menge streichen.

Ich gehe Mal durch den Text:


Nach der Promotion bekam ich eine Postdoktoratsstelle an der Caltec in Kalifornien und war mir sicher, dass ich zu Großem bestimmt war. Ich zog in die USA und arbeitete so viel, dass ich von Kalifornien wenig sah, freundete mich mit den neuen Kollegen an und verbrachte die Nächte mit einem Postdoktoranden aus Schweden. Nach zwanzig Monaten ging ich als Research Fellow ans CERN. Es war in der Schweiz, als mir klar wurde, dass es keinen Menschen gab, der mir wirklich wichtig war, dass alle meine Freunde austauschbar und nicht mehr als Reisebegleitungen waren.
Daraus könntest du einen ganzen Roman machen, inhaltlich finde ich das spannend. Aber so schnell runtererzählt, zieht es eher an mir vorbei, weil es mir keinen Raum lässt, mich in die Erzählerin einzufühlen. Ich würde den Absatz kürzen und eher zwischen den Zeilen vermitteln, dass sie keine echten Freunde hat, aber es nicht so deutlich sagen. Ich hab immer nur gearbeitet. Menschen kamen. Menschen gingen. Ist jetzt nur ein Beispiel.


Über Caro sagte sie schließlich:
Da habe ich angefangen, Sätze zu überfliegen, weil Caro ja gar keine Rolle spielt. Ich denke, hier braucht es keinen ausführlichen Dialog, das könntest du kürzen.


Dachte, dass wäre eine gute Gelegenheit, um mal zu reden.“
Ein s zuviel.


Rate mal, wer der Typ bei Alex ist, der Arnold da!“
„Keine Ahnung!“
„Thorben Belling!“
Das ufert mir auch zu sehr aus. Es klingt schon authentisch, so redet man halt in so einer Situation. Aber es treibt die Geschichte nicht voran, deshalb würde ich Thorben eher beiläufig erwähnen.
Das ging mir mit vielen Dialogen so, bei denen es nur um Smalltalk ging. Ich warte dann immer, dass etwas offenbart wird, das Geplänkel nur eine Einleitung ist. Wenn es aber dabei bleibt, zieht es sich an den Stellen unnötig in die Länge für mich.


Alex, ich war blöd. Es tut mir leid!“
„Was meinst du?“
„Dass ich mich nie gemeldet habe! Dass ich einfach so verschwunden bin.“
„Alles gut, Schnee von gestern“, sagte sie leichthin und ich spürte das Brett, das sie mir gerade an den Kopf knallte.
Diesen Absatz finde ich schön, da passt auch der Dialog, und das Brett ist auch ein schönes Bild.


Wir schafften es nicht über Oberflächlichkeiten hinaus in dieser Nacht. Wir benutzten Worte, die es uns ermöglichten, zu verstehen, was der andere sagte, uns einander aber nicht näher brachten.
Hier erklärst du nochmal, was du mit dem Brett am Kopf schon gezeigt hast. Könntest du streichen.


Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit, in der das Leben noch vor uns lag, wir noch nicht wussten, wo unsere Entscheidungen uns absetzen würden. Mich hatten meine zur einsamen Insel der Ernüchterung getragen. Mein zwanzigjähriges Ich wäre stolz auf mich gewesen. Professuren waren nichts aus meiner Welt, sondern etwas für andere Leute. Und wenn ich, Elena Schneider aus Kudrow, eine richtige Professorin an einer richtigen Universität sein sollte, dann hätte ich alles erreicht, was es zu erreichen gibt, die Lösung aller Probleme läge in meinen Händen.
Das gefällt mir sehr.


Ich kannte Yayoi Kusama nicht und war sofort fasziniert von ihren immersiven Räumen. Ich wollte die Enge loswerden und die Weite sein und Kusamas Kunst bot an, in ein universelles Feld aus Verbundheit einzugehen. In ihrem Infinity Room sah ich mich selbst unendlich oft kopiert, mein Ich verzweigt in Versionen meiner selbst, wie von der universellen Wellenfunktion vorhergesagt. Kusama lud ein, hinter die Dinge zu reisen. Hinter der Materie gab es Beziehungen, die das Eine und das Alles beinhalteten und uns unmöglich zu sein scheinen. Das war, was die Quantenmechanik uns gelehrt hatte, zumindest wenn man die Schrödingergleichung ernst nahm.
Das ist auch wieder sehr erklärend. Ich finde die Erfahrung/Erkenntnis zwar interessant, aber auf mich wirkt es überladen, daraus könnte man wieder eine ganz eigene Geschichte machen. :)


Das hier war der Grund, warum ich einmal Physik studiert hatte, weil die Physik die 42 ist, die Antwort auf alle Fragen.
Hier musste ich lachen. Douglas Adams lässt grüßen.


Ich fragte mich, warum mein Leben so eintönig auf mich wirkte, so karg und unfruchtbar. Ich war erfolgreich und hatte die Anerkennung meiner Mitmenschen gewonnen. Aber ich wollte mehr, mehr Leben, nicht diese Tristesse. Selbst in dieser einfachen Küche, in der sich seit 30 Jahren nichts verändert hatte, schien mir das Leben wahrhaftiger zu sein als jemals in Hamburg. Das Schweigen meiner Eltern, erinnerte mich an das Schweigen in meinem eigenen Leben. Ich hatte so viel Krach geschlagen und mich mit Arbeit abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie das Schweigen sich langsam in mein Leben geschlichen hatte. War mein Leben nur eine Kopie des Lebens meiner Eltern? War unter der verschiedenartigen Oberfläche die gleiche alltägliche Existenz?
Das finde ich wieder spannend.


Sein Vater war ein einflussreicher Hamburger Arzt gewesen so wie sein Großvater auch. Dass der Sanitätsoffizier bei der Waffen-SS gewesen war und es bis zum Obersturmbannführer gebracht hatte ...
Die Info brauche ich auch nicht, weil das im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielt. Der Dialog vermittelt mir schon ein gutes Bild von ihm, mehr muss ich gar nicht wissen.


Aber jetzt mit 48 Jahren sah ich sie mit anderen Augen, ich sah ihre Sanftmut, sah, wie viel Schmerz ihnen meine Wut und meine Scham bereitet haben musste, sah die Mühe, die es gekostet haben musste, mich meinen Weg gehen zu lassen. Sie hatten sich sogar damit abgefunden, enkellos zu bleiben. Wo ich früher fehlenden Ehrgeiz gesehen hatte und plumpe Zufriedenheit, sah ich jetzt eine Form von Selbstverständnis dem Leben gegenüber, die ich nicht kannte.
Gefällt mir sehr.


Ich hatte eigentlich keine Lust noch mal Zeit mit den beiden zu verbringen, aber da Jule auch dabei sein würde, sagte ich zu.
Das hat mich gewundert, ich dachte, sie verbringt gerne Zeit mit den beiden.


Als mein Vater mit dem Rad nach Hause fuhr, rief ich Jule an, fragte, ob sie Lust hätte, mit mir baden zu fahren. Meine Haut klebte vom Schweiß und es gab keine Dusche im Garten. Dann fiel mir ein, das ich meinen Badeanzug in Hamburg vergessen hatte.
„Dann lass uns zum Effi fahren“, sagte Jule.
Sie holte mich ab. Bei einem Fahrradverleih in der Nähe lieh ich für eine Woche ein Rad und wir fuhren zum FKK. Nahe am Wasser legten wir unsere Kleidung und die Badetücher in den Sand. Das Wasser war kalt, aber nachdem ich untergetaucht war, gewöhnte ich mich schnell daran und wir schwammen zur Sandbank. Zurück am Strand legten wir uns bäuchlings auf die Handtücher und warteten bis wir trocken waren.
Den Absatz finde ich auch überflüssig, weil nichts passiert, weder außen noch innen, noch zwischen den beiden. Inzwischen denke ich aber, dass das so gewollt ist von dir, weil es ja das Tagebuch deiner Erzählerin ist. Für meinen Geschmack ist das aber eher eine Füllszene.


Die Art, wie sie nach dem Klassentreffen meine Entschuldigung an sich hatte abperlen lassen, schien grundsätzlich ihr Weg zu sein, mit Konflikten umzugehen.
Aber sie kennt sie doch, ist ihr das früher nie aufgefallen? Oder hat sie es da eher hingenommen, weil sie nicht weiter darüber nachgedacht hat?

Mit dem Streit wird dann das Finale eingeleitet. Ab da läuft es für mich rund, und der Kreis schließt sich.

Einen schönen Restsonntag wünscht Chai.

 

Hallo @Chai,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich, dass dir die Geschichte grundsätzlich gefallen hat. Deine Auflistung der Längen bzw auch irrelevanten Teile war hilfreich. Stimme dir fast überall zu, insbesondere was den Smalltalk angeht. Ich glaube, ich habe versucht damit was Konkretes, was Äußeres in den Text zu kriegen. Insgesamt habe ich versucht da ein hin und her von außen und innen, von Szene und Narration, von Aktion und Reflektion hinzukriegen.

Das ging mir mit vielen Dialogen so, bei denen es nur um Smalltalk ging. Ich warte dann immer, dass etwas offenbart wird, das Geplänkel nur eine Einleitung ist. Wenn es aber dabei bleibt, zieht es sich an den Stellen unnötig in die Länge für mich.
Ich glaube ich habe wirklich alle von dir genannten Stellen gelöscht bzw. eingedampft plus die Stelle mit dem Kreuzworträtsel, die @Seth Gecko genannt hat --> Und auch Thorben ist komplett rausgeflogen. Und ich bin auch generell mit dieser Brille noch Mal über den Text. An der Ausstellung hänge ich noch ein bisschen, da hab ich noch keine Entscheidung treffen können. Auch die Rückblende am Anfang, ihr ganzer Werdegang, da frag ich mich gerade, wofür brauch ich den überhaupt? Ich glaube, den kicke ich noch raus, weil der Text auch ohne funktionieren soll, aber da brauch ich noch mal Zeit zum gegenchecken, dass ich da nicht irgendwo Löcher reinbaue.

Das hat mich gewundert, ich dachte, sie verbringt gerne Zeit mit den beiden.
Am Anfang findet sie es anstrengend, da hab ich aber noch einen Satz, den ich rausgelöscht hatte, wieder reingenommen. Vielleicht ist es jetzt klarer.
Aber sie kennt sie doch, ist ihr das früher nie aufgefallen? Oder hat sie es da eher hingenommen, weil sie nicht weiter darüber nachgedacht hat?
Ich denke, dass man mit 18 oder so da noch gar nicht drüber nachdenkt. Außerdem glaube ich, dass sie das dann auch erst später so als Hardcore Strategie durchgezogen hat, vielleicht erst nach der Affäre....

Dein Kommentar hat den Text auf jeden Fall etwas schlanker und stringenter gemacht. Vielen Dank und viele Grüße
Katta

 

Aber jetzt mit 48 Jahren sah ich sie mit anderen Augen, ich sah ihre Sanftmut, sah, wie viel Schmerz ihnen meine Wut und meine Scham bereitet haben musste, sah die Mühe, die es gekostet haben musste, mich meinen Weg gehen zu lassen. Sie hatten sich sogar damit abgefunden, enkellos zu bleiben. Wo ich früher fehlenden Ehrgeiz gesehen hatte und plumpe Zufriedenheit, sah ich jetzt eine Form von Selbstverständnis dem Leben gegenüber, die ich nicht kannte.

Hallo Katta! Dies ist für mich ein entscheidenden Punkt in deiner Geschichte, die ich gerne gelesen habe, weil die Figuren lebendig sind, mich mitnehmen und ich die Gegend gut vor Augen habe. Okay, ein bisschen lang ist sie, doch du schilderst alle Ereignisse interessant und nicht zu ausufernd, was bei einer Ich-Perspektive schnell passiert.
Doch letztlich denke ich, dass Elena an den Punkt gekommen ist, sich mit ihren Wurzeln und somit ihrer Identität auseinanderzusetzen. Ihr Werdegenag, ihre Liebesbeziehungen, ihre Erfolge.., alles macht sie nicht zufrieden. So weit, so gut, mit 48 Jahren darf jeder Mensch an diese Stelle kommen. Mich beschäftigt als Leserin die Frage, warum Elene keine Lebenszufriedenheit erreichen konnte, denn offensichtlich haben die Eltern sie unterstützt, sind liebevoll und sicher auch stolz, was ist passiert? Hier fände ich einen auktorialen Erzählstil besser, erkönnte mehr Einblick in das seelische Erleben geben.
Elena muss subjektiv bleiben, ihre Wertungen lassen keine Metaebene zu, das finde ich schade.
Doch wie es immer ist bei Lesenden: Ich spinne die Geschichte für mich weiter, denke über Elena nach und dabei verblassen die Freundinnen fast ein bisschen.
Interessant dein Schluss: Nochmal Hingabe an den Augenblick oder bewusst Hingabe ? Keine Planung für den nächsten Erfolg? Vielleicht passiert danach ja etwas ganz entscheidendes...
Es könnte weitergehen mit Elena.
Viele Grüße,
Jutta

 

Moin Katta,

ich hab deine Story gerne gelesen. Gerade der Turn am Ende und der Figurenwandel deiner Prots hat für mich deine Geschichte lesenswert gemacht. Davor wurde ich nicht ganz warm mit deinen Prots. Was ich genossen habe, war die Ruhe und Stimmung, die deine Geschichte ausstrahlt. Diese Sommertage an der Nordsee. Das fand ich sehr schön zu lesen. Zu deinen Prots: Mir war unklar, wie alt die eigentlich sind, bi zu der Stelle, an der es heisst, Alex‘ Sohn macht eine Ausbildung - da sind die mindestens Ende vierzig. Professur, das hatte ich auch auf jüngstens Ende 40 geschätzt. Aber deine Prots kamen mir einfach, verzeih, so jung vor. In ihrem Verhalten, ihrer Sicht auf die Welt und wie sie sich gegenseitig verhalten, kamen sie mir maximal 25 vor. Auch das Drama, wer mit wem, das sich nicht festlegen wollen, diese Unruhe und Getriebenheit, das bei den Eltern noch mal in der Gartenlaube unterkommen, das klingt für mich viel eher nach 25 als 49 - gerade, wenn das in diesem gutbürgerlichen Metier passiert. Also das wäre mein Kritikpunkt: Warum müssen die so alt sein? No offense natürlich, aber das wirkte auf mich unauthentisch. Lass sie doch einfach 28 sein, und deine Prot eine Doktorantin, dann fände ich das viel plausibler. Meine persönlich Meinung.
Aber das Ende ist gut.

Sie stellen fest, das, was sie unglücklich macht, ist die Monogamie. Sie funktioniert einfach nicht für die Personen. Und gemeinsam probieren sie es anders.

Mitgeschriebenes:

An der Bar erkannte ich Caro, sie war genauso dünn wie früher, wirkte aber noch unsympathischer; als wäre alles Weiche, das jemals in ihr gewesen war, von der Zeit ausgewaschen worden und nur hartes Gestein zurückgeblieben.
würde ich genauer beschreiben, wie ihr Aussehen konkret ist

Ich hoffte, dass sie die Tür zu unserer Freundschaft, die ich so leichtsinnig geschlossen hatte, wieder öffnen würde.
Hier noch ein Punkt. Deine Prot wirkt auch so jung, weil sie so herrlich naiv über Freundschaft denkt und so jugendlich unreflektiert ist, finde ich. Sie ist auch eine Bitch. Haut ab, hält sich für besser, meldet sich nicht. ABER dann zu denken, ich kehre mit fast 50 ins Dorf meiner Eltern zurück und bändle mit meiner Freundin als ich 18 war wieder an, das klingt so unglaubwürdig für mich, das passt doch hinten und vorne nicht. Man hat sich doch so massiv auseinander entwickelt bis dahin! Lass sie 25 oder 26 sein, dann wirkt das authentisch
Ich konnte eine Freundin gebrauchen.
Hier ist deine Prot auch eine unsympathische Bitch. Es geht ihr nur um sich. Sie ist einsam und dann nimmt sie sich diese Alex wieder. Das finde ich grenzwertig, das als Leser noch sympathisch zu finden. Ich denke auch: In jedem Ich kann nicht steckt ein ich will nicht. Ich konnte der Prot nicht glauben während der Lektüre, dass sie Alex wirklich interessant als Freundin findet. Wäre sie irgendwie interessiert gewesen, hätte sie sich doch mal gemeldet? Ich habe auch so einen Kumpel. Ich meine es nicht böse, aber ich habe mich auch ewig nie bei ihn gemeldet und er hat immer mal durchgeschrieben. Wir kannten uns als wie Teenager waren. Irgendwann ist mir aufgegangen, dass ich einfach nicht mehr diese Person sein möchte, die ich mit diesem Kollegen bin. Ich bin rausgewachsen, deswegen melde ich mich nie. Ich hoffe die verstehst wie ichs meine, ich begreife nicht ganz, warum jetzt plötzlich wieder mit Alex, wo sie davor doch uninteressant war

„Später! Ich will später mit ihr reden. Viel später. Vielleicht auch erst morgen.“
Stelle ich mir auch schräg vor. Alex wird sie ja wohl gesehen haben. Sie sitzt den ganzen Abend hackedicht da rum und sagt kein Wort zu Alex, obwohl die früher so dicke waren, und Alex ist am Ende des Abends nicht mal mad drüber?
Als Jugendliche waren mir meine Eltern vor allem peinlich.
Klingt auch nach der Erkenntnis einer 25-jährigen. Wer als 50-jährige Professorin da noch dran zu knabbern hat, ich weiss nicht, ich kaufe es nicht. Ich denke, die späten 20er sind genau die Zeit, in der man diese Dinge aufarbeitet und noch einmal ins Elternhaus geht, nicht die späten 40er
. Meine Mutter, das Zimmermädchen, und mein Vater, der kränkliche Alte - mehr waren sie nicht für mich gewesen.

Als das Gespräch auf Thomas fiel, sagte ich: „Das ist aus und vorbei.“
das ist auch ein Lifestyle, finde ich. Leute mit Ende 40 wollen mal zur Ruhe gekommen sein, meinem Menschenverständnis nach, natürlich nicht alle, aber dieses Affärenhaben kommt mir wieder wie 25 vor. Ich meine, deine Prot ist auch wahnsinnig unreflektiert, wenn sie sich einsam und sinnentleert fühlt, aber nur Affären ohne Aussicht auf eine wirkliche menschliche Begegnung führt, und das so quicklebendig und abenteuerlustig mit knapp 50
Alex und ich hatten die gleiche Richtung. Sie nahm meine Hand und fragte: „Kann ich heute bei dir schlafen?“
Das klingt wieder so jugendlich! Eine 3fache Mutter könnte doch nicht einfach so abhauen

Alex und ich hatten die gleiche Richtung. Sie nahm meine Hand und fragte: „Kann ich heute bei dir schlafen?“

„Klar! Es steht immer noch mein altes Bett im Zimmer.“ Hand in Hand gingen wir zu mir. Ich schloss die Haustür auf und wir stiegen die Treppen hinauf in die zweite Etage. Ich versuchte, die Wohnungstür möglichst lautlos aufzuschließen und flüsterte: „Leise! Meine Eltern schlafen.“
dito - ich wiederhole mich ;)
Auf meinem Handy fand ich eine Nachricht von ihr: Christoph ist sauer. Schön, dass du wieder da bist. Ich fand es auch schön, wieder in Kudrow zu sein, las die Sätze mehrmals und schrieb zurück: Frühstück bei dir
Ich finde deine Prot sehr unsensibel, sich einfach einzuladen an der Stelle!
Seine Augen hatten die Farbe eines wolkenverhangenen Himmels.
Kitsch, Katta! :D
Wie im Sommer vor dreißig Jahren wohnte ich in der Laube meiner Eltern

Christoph bot an am Montag ein Fliegennetz ans Fenster der Laube zu kleben, damit ich das Fenster, auch ohne Gefahr zerstochen zu werden, weit aufmachen konnte.
Ach du Scheisse. Also gut, im Nachhinein ergibt das Sinn. Aber ich bin erstaunt, wie naiv dann doch alle Beteiligten hier sind. Wenn ich mir die Szene vorstelle, ich hätte meine Kollegin gepimpert, meine Frau und Mutter meiner drei Kinder wäre durchgedreht, würde ich never ever so ein Angebot an dienJugendffeundin raushauen :D Das klingt ja nach einer Anmache 100%
In diesem Moment, an diesem Tisch, wusste ich nicht mehr, ob ich noch ein Teil von Alex' Welt sein wollte, ob ich diese feige Alex, die sich gekränkt in ihrem Selbstmitleid suhlte, wieder in meinem Leben wollte.
Ich finde das auch so unreif von deiner Prot. Sie ist so egozentrisch und ichbezogen. Auch unempathisch. Die Frau wird von ihrem Mann betrogen und ist im Arsch, und deine Prot ist nur von negativen Vibes genervt. Klingt sehr unreif
Ok, Alex“, sagte ich, „dann sag doch mal: Was waren deine Pläne? Was hast du gewollt und nicht bekommen? Was willst du?“
Also ich kann mich nur wiederholen, die ist höchstens 25, und nie 50. Das klingt nach einer Teenagerin, die die Dimension des Leids, die Alex aushalten muss, einfach noch nicht begreifen kann. Alex ist soo langweilig und soo spiessig, und jetzt sagt sie gar nicht, was sie ärgert! Mann, nervt die! Ich denke nicht, dass eine Professorin so etwas fragen würde, kP, irgendwie kaufe ich es nicht, ws heizt das Drama an, ist aber absolut infantil von deiner Prot
Und?“, sagte ich. „Komm schon, sei doch mal ehrlich und hör auf, dich hinter der betrogenen Ehefrau zu verstecken.“

Und weißt du, ich hatte auch auf eine loyale Freundin gehofft, nicht eine, die sich heimlich aus dem Staub macht und mir irgendwelche Scheiße erzählt.
Glaube ich nicht, dass sie an der Stelle noch an eine Jugendfreundschaft denkt
Ich dachte, dass ich diese Nähe mit Thomas schon lange nicht mehr gefühlt hatte, eigentlich nie.
Ufff you are a bitch
Christoph brachte mich zur Tür. Wir umarmten uns und er gab mir einen Kuss auf die Wange.
Ich wollte Alex in meinem Leben, ich wollte, dass es jemanden gab, der für mich bedeutsam war.

Er ist ein Guter, Alex. Lass ihn nicht gehen.
Er ist das Gegenteil von einem Guten! Dachte ich an der Stelle. Er fickt andere und macht Freundinnen der Frau an, uff, aber ja, nach dem Ende, verstehe ich, dass Christoph ja bereits mit Alex gesprochen hat und das in Ordnunger ist, aber ja …
Aber was mich wirklich abfuckt, ist, dass er mir direkt ins Gesicht gelogen hat.

Alex ging raus, als Christoph und ich zur Sandbank schwammen und dann weiter aufs Meer hinaus, dem Horizont entgegen.

Komm“, sagte er, “lass uns zurück zur Sandbank schwimmen!“ Auf der Sandbank machte er einen Handstand, verschluckte sich am Wasser und prustete wie ein Seelöwe. Ich lachte. Er tauchte und griff nach meinen Fesseln, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen

Ich schrieb ihr eine Nachricht. Können wir uns heute noch sehen?

Es stimmt!“, sagte ich. „Ich mag ihn. Vielleicht bin ich sogar ein kleines bisschen verknallt. Aber du musst dir keine Sorgen machen.“

Also, eigentlich stört mich nur das Alter der Prots :) Unbedingt auf 26 o.ä. runtersetzen, ansonsten wäre das für mich unglaubwürdig, wie sie sich verhalten und denken. Ich denke, da geht noch was, das Ende gefällt mir sehr gut, es kommt unvorhergesehen und gibt der Story eine tiefere Ebene, weil es dann nicht mehr nur um wer mit wem und kichern in den Sanddünen und ich sage mal, Teenagerthemen geht, sondern im Endeffekt entdecken hier Menschen, dass sie aufgrund der gesellschaftlich etablierten Monogamie unglücklich sind, und befreien sich daraus. Das fand ich wirklich schick.

Beste Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Jutta Ouwens,
vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar.

weil die Figuren lebendig sind, mich mitnehmen und ich die Gegend gut vor Augen habe. Okay, ein bisschen lang ist sie, doch du schilderst alle Ereignisse interessant und nicht zu ausufernd, was bei einer Ich-Perspektive schnell passiert.
Das freut mich alles, was du hier schreibst.

So weit, so gut, mit 48 Jahren darf jeder Mensch an diese Stelle kommen.
Unbedingt!

Mich beschäftigt als Leserin die Frage, warum Elene keine Lebenszufriedenheit erreichen konnte, denn offensichtlich haben die Eltern sie unterstützt, sind liebevoll und sicher auch stolz, was ist passiert? Hier fände ich einen auktorialen Erzählstil besser, erkönnte mehr Einblick in das seelische Erleben geben.
Elena muss subjektiv bleiben, ihre Wertungen lassen keine Metaebene zu, das finde ich schade.
Ich wollte einiges mit diesem Text üben und ausprobieren. Unter anderem eine eher "auktoriale" Ich-Perspektive, also eine die rückblickend bewertet und einordnet. Ich wollte herausfinden, wie weit Leser bei diesen Reflektionen mitgehen, wann es zuviel wird, wann es in Geschwafel ausartet. Darum finde ich interessant, dass du dir quasi eine noch stärker auktoriale Erzählweise wünschst.
Es fällt mir total schwer, mir den Text mit einem auktorialen Er-Erzähler vorzustellen und damit meine ich meine Fähigkeiten beim Schreiben, darum kann ich gar nicht sagen, ob ich es besser oder schlechter fände (und darum habe ich mich auch für die Ich-Perspektive entschieden, um mich da ranzutasten). Wäre nicht auch ein auktorialer Erzähler in seinen Wertungen subjektiv? Aber du meinst vielleicht, der könnte noch etwas über Elena sagen, was sie selbst nicht weiß, oder? Ein echter auktorialer Erzähler würde ja auch über das Innenleben der anderen Personen berichten, oder? Wie gesagt, ich kann mir das kaum vorstellen, würde das dann nicht schon langsam Richtung Roman ausufern? Vielleicht hast du ja auch ein Beispiel mit einer konkrete Stelle im Text (vielleicht wo du genau das vermisst hast), was genau du meinst. So richtig zu fassen kriege ich das nämlich nicht.

Noch mal: Danke! und viele Grüße
Katta


Hallo @zigga,
vielen Dank für deinen Besuch und das Lesen und Kommentieren.

Gerade der Turn am Ende und der Figurenwandel deiner Prots hat für mich deine Geschichte lesenswert gemacht.
Das freut mich natürlich.

Was ich genossen habe, war die Ruhe und Stimmung, die deine Geschichte ausstrahlt. Diese Sommertage an der Nordsee.
Und das auch. Das war natürlich auch ein Aspekt, der mir wichtig war. Aber: Nordsee? *kreisch* Hast du dich verschrieben? Ich hoffte, es käme an, dass es die Ostsee ist ...

Aber deine Prots kamen mir einfach, verzeih, so jung vor. In ihrem Verhalten, ihrer Sicht auf die Welt und wie sie sich gegenseitig verhalten, kamen sie mir maximal 25 vor. Auch das Drama, wer mit wem, das sich nicht festlegen wollen, diese Unruhe und Getriebenheit, das bei den Eltern noch mal in der Gartenlaube unterkommen, das klingt für mich viel eher nach 25 als 49 - gerade, wenn das in diesem gutbürgerlichen Metier passiert. Also das wäre mein Kritikpunkt: Warum müssen die so alt sein? No offense natürlich, aber das wirkte auf mich unauthentisch. Lass sie doch einfach 28 sein, und deine Prot eine Doktorantin, dann fände ich das viel plausibler. Meine persönlich Meinung.
Haha, ja, das zieht sich ja dann auch komplett durch den Kommentar, dass du das Alter nicht glaubst, dass es sich für dich wie Mitte 20 liest. Ich frage mich, ob das tatsächlich im Text so angelegt ist, oder ob es eine Frage des Alters ist. Wie alt bist du denn? Blöde Frage, ich weiß. Selbst wenn du noch jung bist, sollte der Text auch funktionieren. Also, die müssen natürlich nicht so alt sein, aber ich verstehe eben auch nicht so genau, warum sie nicht Ende 40 sein dürfen. Weil es Liebesdrama gibt? Ich geh mal deine Anmerkungen durch, vielleicht lichtet es sich dann für mich.

würde ich genauer beschreiben, wie ihr Aussehen konkret ist
ja, stimmt. Da denk ich noch mal nach.

Hier noch ein Punkt. Deine Prot wirkt auch so jung, weil sie so herrlich naiv über Freundschaft denkt und so jugendlich unreflektiert ist, finde ich. Sie ist auch eine Bitch. Haut ab, hält sich für besser, meldet sich nicht. ABER dann zu denken, ich kehre mit fast 50 ins Dorf meiner Eltern zurück und bändle mit meiner Freundin als ich 18 war wieder an, das klingt so unglaubwürdig für mich, das passt doch hinten und vorne nicht. Man hat sich doch so massiv auseinander entwickelt bis dahin! Lass sie 25 oder 26 sein, dann wirkt das authentisch
Tatsächlich glaube ich, dass es genau umgekehrt ist. Dass es mit 25 oder 26 nicht passen würde. Inwiefern denkt man mit 48 anders über Freundschaft als mit 25? Ich glaube, dass man mit 48 weiß, was man mit zwischen 13 und 18 hatte und man weiß dann auch, dass man es nie wieder bekommen hat. Ich glaube, dass man mit 48 eher wertschätzen kann, was man mit 25 möglicherweise noch nicht so wertschätzt, weil das Leben da noch vor einem liegt. Es ist komisch, aber umso älter man wird (und damit meine ich mich und einige andere Menschen, die ich kenne, die noch älter sind auch), umso heller leuchtet die eigene Jugend. Und natürlich muss das nicht für jeden gelten. Ich denke auch, dass sie nicht denkt, ich bändle mal an, sondern, dass sie sich traut es zu versuchen, dass sie nicht weiß, wie es ausgehen wird, aber das ist vielleicht nicht deutlich geworden.

Ich konnte eine Freundin gebrauchen.
Hier ist deine Prot auch eine unsympathische Bitch. Es geht ihr nur um sich. Sie ist einsam und dann nimmt sie sich diese Alex wieder. Das finde ich grenzwertig, das als Leser noch sympathisch zu finden. Ich denke auch: In jedem Ich kann nicht steckt ein ich will nicht. Ich konnte der Prot nicht glauben während der Lektüre, dass sie Alex wirklich interessant als Freundin findet. Wäre sie irgendwie interessiert gewesen, hätte sie sich doch mal gemeldet?
Ja, bei dem Satz hatte ich auch überlegt, weil mir exakt die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen, die du auch formulierst. Ich hab ihn dann drin gelassen, weil ich dachte, dass wir alle schon auch Egoisten sind und an uns denken und denken: Ich bräuchte eine Freundin. Aber vielleicht kann ich das an dieser Stelle abmildern, indem sie Alex Perspektive mal einnimmt und dadurch dann nicht ganz so unreflektiert wirkt. In meinem Kopf ist ihr natürlich klar, wie oben schon geschrieben, dass sie nicht weiß, wie Alex auf sie reagieren wird.

Ich hoffe die verstehst wie ichs meine, ich begreife nicht ganz, warum jetzt plötzlich wieder mit Alex, wo sie davor doch uninteressant war
Man ändert ja schon Prioritäten im Leben. "interessant sein" (was auch immer das jetzt genau meint) ist wenn man jung ist möglicherweise bedeutsamer als wenn man älter ist. Alex war ja eher wie ihre Eltern, ist in Kudrow geblieben, hat die Welt nicht vermisst usw. Sie war draußen, hat Erfolg gefunden, aber das ist es nicht. Es gibt ein Zitat von Jim Carrey, das ich mag:

“I think everybody should get rich and famous and do everything they ever dreamed of so they can see that it's not the answer.”​

Aber ich glaube, das ist ein Prozess, dass es eben nicht die Antwort ist.

Stelle ich mir auch schräg vor. Alex wird sie ja wohl gesehen haben. Sie sitzt den ganzen Abend hackedicht da rum und sagt kein Wort zu Alex, obwohl die früher so dicke waren, und Alex ist am Ende des Abends nicht mal mad drüber?
Ja, da hakle ich auch noch. Vor allem, weil ja dann auch Alex auf sie zukommt. Das funktioniert auch nur, weil Alex später kommt, glaube ich. Es ist ja nicht alles klar zwischen den beiden, aber dann sind halt doch auch 30 Jahre vergangen, man hat ohne einander gelebt, das hat ja auch gut funktioniert. Aber vielleicht rede ich mir hier auch etwas schön, da bin ich unsicher.

Klingt auch nach der Erkenntnis einer 25-jährigen. Wer als 50-jährige Professorin da noch dran zu knabbern hat, ich weiss nicht, ich kaufe es nicht. Ich denke, die späten 20er sind genau die Zeit, in der man diese Dinge aufarbeitet und noch einmal ins Elternhaus geht, nicht die späten 40er
Ach, die Beziehung zu den Eltern. Da knabbert man ja ein Leben lang dran rum. Ja, die Frage ist hier wohl und im gesamten Text, ob man als Leser dem Text glaubt, dass Elena mit 48 Jahren noch mal so eine Wandlung durchmacht, ob man glaubt, dass sie an einem Punkt ist im Leben und nie vorher war, der ihr Reflektion ermöglicht, die vorher vielleicht nicht da war. Ich habe da selbst gerade gar kein Gefühl mehr zu, bin viel zu sehr drin im Text. Hatte beim Schreiben auch zwischendurch das Gefühl, dass alles total belanglos ist. Aber dann hab ich ihn trotzdem eingestellt, weil selbst wenn er belanglos ist, Schreiben zu üben ist es nicht!

Leute mit Ende 40 wollen mal zur Ruhe gekommen sein, meinem Menschenverständnis nach, natürlich nicht alle, aber dieses Affärenhaben kommt mir wieder wie 25 vor. Ich meine, deine Prot ist auch wahnsinnig unreflektiert, wenn sie sich einsam und sinnentleert fühlt, aber nur Affären ohne Aussicht auf eine wirkliche menschliche Begegnung führt, und das so quicklebendig und abenteuerlustig mit knapp 50
Ja, ich denke, sie fängt gerade an, wirklich zu reflektieren. Aber zu deinem ersten Satz muss ich sagen: Also nee! Ok, ich bin noch nicht Ende 40, aber immerhin 44. Und mir erscheint es so, dass die Vierziger die langweiligesten von allen sind, da ist man gesettelt und hat wirklich mehr als genug Ruhe im Sinne von Eintönigkeit. In den 20ern, da zieht man raus in die Welt, entdeckt und lernt die ganze Zeit und andauernd hat man eine neue Perspektive in Aussicht. Dann kommt das, danach das, danach das. Es gibt immer ein Danach. In den 30ern fangen die Leute an zu heiraten (also in meiner Bubble zumindest, von mir aus auch Ende 20, aber eher in den 30ern), kriegen Kinder, sind gesettlet im Job. Das ist auch noch halbwegs spannend, weil der Job noch neu ist, weil die ganze Situation mit den Kindern neu ist usw., aber Kinder brauchen Routine usw. - laaangweilig! Das mit der Familie hat Elena ausgelassen. Sie hat ihre Zwanziger in die Dreißiger ausgedehnt. Es gab immer ein Danach (beruflich betrachtet). Dann kriegt sie den Lehrstuhl in Hamburg. Ziel erreicht, aber unzufrieden. Was nun? Wie du sagst: Auf Beziehungen setzen. An Altes anknüpfen. Wir sind in den 40ern. Die perfekte Zeit, mMn, sich zu treffen. Weil bei ihr ist ein: Wars das nun? eingetreten, genauso bei Alex auch. Jule gehts noch am besten würde ich sagen. Also ja, wenn irgendwo Abenteuer winkt, dann rein da ...

Das klingt wieder so jugendlich! Eine 3fache Mutter könnte doch nicht einfach so abhauen
Doch! In den 40er geht das. In den 30ern nicht, weil die Kinder da noch klein sind. Nur die kleine Tochter ist noch da, geht noch zur Schule. Sagen wir mal, die ist 8-10. Der Vater ist auch da. Großeltern auch. Alles prima. Nicht nett, einfach so abzuhauen, aber das geht auf jeden Fall!

Ich finde deine Prot sehr unsensibel, sich einfach einzuladen an der Stelle!
Das war meine Schuld, irgendwie hat es das Fragezeichen gekillt.
EDIT: jetzt hab ich's geschnallt... Stimmt. Du hast recht. Das Fragezeichen ist da, aber es zeigt halt ihre egomäßige Sichtweise. Muss da noch Mal in mich gehen und gucken, was ich will ...
Christoph bot an am Montag ein Fliegennetz ans Fenster der Laube zu kleben, damit ich das Fenster, auch ohne Gefahr zerstochen zu werden, weit aufmachen konnte.
Ach du Scheisse. Also gut, im Nachhinein ergibt das Sinn. Aber ich bin erstaunt, wie naiv dann doch alle Beteiligten hier sind. Wenn ich mir die Szene vorstelle, ich hätte meine Kollegin gepimpert, meine Frau und Mutter meiner drei Kinder wäre durchgedreht, würde ich never ever so ein Angebot an dienJugendffeundin raushauen :D Das klingt ja nach einer Anmache 100%
Echt? :eek:
Vielleicht sind die zeitlichen Beuüge alle nicht so klar. Oder ich hab einfach mein Kopfkino nicht runtergeschrieben gekriegt. Also die Affäre ist bestimmt schon 4 Jahre her oder so ... Ich lese da wirklich überhaupt gar keine Anmache raus ... Alex hat ihn ja auch zum Sofatragen geschickt ...

Ich finde das auch so unreif von deiner Prot. Sie ist so egozentrisch und ichbezogen. Auch unempathisch. Die Frau wird von ihrem Mann betrogen und ist im Arsch, und deine Prot ist nur von negativen Vibes genervt. Klingt sehr unreif
Ja, das ist eine andere Stelle an der ich hakel und mit der ich unzufrieden bin. Ich brauchte da irgendwie den Streit, etwas muss aufbrechen ... aber sie ist schon sehr Brechstange da ... das würde ich in diesem Fall auch mir als Autorin anlasten, hatte bisher noch keine bessere Idee

Glaube ich nicht, dass sie an der Stelle noch an eine Jugendfreundschaft denkt
Ok.

Ich dachte, dass ich diese Nähe mit Thomas schon lange nicht mehr gefühlt hatte, eigentlich nie.
Ufff you are a bitch
Wieso bitch? Unfair Thomas gegenüber?

Ich denke, da geht noch was, das Ende gefällt mir sehr gut, es kommt unvorhergesehen und gibt der Story eine tiefere Ebene, weil es dann nicht mehr nur um wer mit wem und kichern in den Sanddünen und ich sage mal, Teenagerthemen geht, sondern im Endeffekt entdecken hier Menschen, dass sie aufgrund der gesellschaftlich etablierten Monogamie unglücklich sind, und befreien sich daraus. Das fand ich wirklich schick.
Bestimmt geht da noch was. Das Alter verändern? Also dass muss ich wirklich sacken lassen. Momentan ist da ein ganz großes und ausgeprägtes: Auf gar keinen Fall! in mir. Wenn dann würde ich eher versuchen wollen, alles, was ich oben geschrieben habe, klarer im Text anzubringen. Ich habe aber auch noch mal zwei Absätze wieder eingefügt am Anfang, die ich gelöscht hatte, weil das so zwei blöde Infodump Blöcke sind. Aber vielleicht sind sie doch notwendig. Jedenfalls ist dann auch das mit dem Alter von Anfang an klar. Aber mich hat wirklich gefreut, dass du diesen gesellschaftlichen Aspekt mit der Monogamie so gelesen hast. Tatsächlich habe ich daraufhin geschrieben, auf dieses Ende, das war mir wichtig. Ich wollte eine Poly-Story schreiben, aber es sollte eben nicht um wer mit wem und FickiFicki gehen.

Vielen Dank @zigga, du hast vieles in mir angestoßen und ich werde noch mal etwas Abstand gewinnen und dann damit nochmal auf den Text schauen.

Viele Grüße
Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Zur Zahnarzthelferin!
Ist so der Punkt, wo ich aufgehört habe, ernsthaft der Geschichte zu folgen. Meine Mutter hat das nach ihren acht Volksschuljahren auch mal gelernt, damals war das sicher mal ein ehrenwerter Beruf. Heute schaut man da als Akademiker sicher despektierlich drauf runter, genau wie natürlich auf die ganze Provinz. Ich weiß, Erzähler ist nicht gleich Autor, aber du färbst deine Figur schon nach den ersten Absätzen so dermaßen ein, da gehe ich davon aus, dass es gewollt ist. Warum sollte ich einer so arroganten, hochnäsigen Erzählerin folgen wollen? Bei mir gibt es so eine Assoziationskette; wenn du nie selber gearbeitet hast, urteile nicht über andere, die es tun. Wenn du nie selber für alles zahlen und haften musstest ... du verstehst, was ich meine. Wenn du nicht jeden Menschen ganz grundsätzlich respektieren kannst, ihn verurteilst für seine Wünsche und Vorstellungen und wie er sein Geld verdient, dann lehne ich es ab, dir und deinen Gedanken weiter zu folgen. Und es ist ja so, das wird auch nie gebrochen oder so, diese Charaktere bleiben ja solche Akademikersnobs die permanent Nabelschau betreiben. Im Grunde schon sehr klassistisch, das Ganze.

Keine einzige Figur aus dieser Geschichte würde ich kennenlernen wollen. Sie sind nicht nur derbst unsympathisch, sondern fürchterliche Narzissten, die zwar vorgeben, ein diffuses Wir zu denken, aber sich im Grunde nur für sich selbst interessieren.

Ich wollte eine Poly-Story schreiben, aber es sollte eben nicht um wer mit wem und FickiFicki gehen.
Vielleicht hätte ich die eher lesen wollen.

Eigentlich müsste diese Geschichte in Berlin spielen oder wenigstens in Köln-Ehrenfeld. Natürlich sind das auch alles Akademiker und Bildungsbürger, weil denken Kassiererinnen bei ALDI über polyamorische Beziehungen nach? Und wenn, dann könnten die das nicht in so wichtig klingende Worte kleiden, die so bedeutungsschwanger klingen, aber im Grunde doch leer bleiben. Vielleicht etwas überspitzt und bösartig. Ansonsten muss ich Zigga Recht geben: die wirken auf mich wie unreife Twens. Polayamorische Beziehungen, offenen Beziehungen, dieses ganze postmoderne Gesülze passiert doch gerade im Moment in diesen Akademiker und Großstadtblasen, die gut verdiendend zwischen 30-40 Jahre alt sind. Ich hab zwei davon in meiner Band. Das sind so Probleme, die andere Menschen einfach nicht haben; die werden auch inszeniert. ICH will jetzt was erleben (mit wem anders!) ICH will ausbrechen! ICH will mich neu erfinden! ICH brauche für die Befriedigung meines Bedürfnisse eine breite Palette emotionaler Antworten von verschiedenen, verfügbaren Optionen! (Mich wundert, dass hier keine Transfrau bzw Mann auftaucht,)

Jule sagte: „Als Frau ist man 24/7 für das Baby da. Am Anfang ist noch alles chic, Honeymoon und so, aber irgendwann laugt es einen aus, die Fremdbestimmung, der Schlafentzug. Ryan war arbeiten und ich hatte den ganzen Tag ein Baby an mir kleben und wenn er da war, wollte ich meinen Körper für mich haben und auch Zeit allein verbringen. Ich war schrecklich eifersüchtig, dass er arbeiten ging. Für Ryan blieb kaum was von mir in diesem ersten Jahr. Damit konnte er gar nicht gut umgehen.“

Das klingt wie aus EMMA. Frauen sind schrecklich eifersüchtig auf ihren Mann, dass er arbeiten geht. Nicht auf andere Frauen oder so, auf weiter bestehende Freundschaften, sondern auf die Lohnarbeit. Weil wir es prinzipiell total geil finden, für unser Wohl hart arbeiten zu müssen. Ich stelle mir vor, wie das so eine Frau sagt, deren Mann Eisenbieger ist. Denkt die eigentlich genauso? Ryan konnte nicht gut damit umgehen, dass kaum etwas von ihr blieb in diesem ersten Jahr ... was sind das für Typen, frage ich mich? Sie haben ein Kind bekommen, aber natürlich fordert er Quality Time mit ihr ein, und sie ist eifersüchtig auf seine Arbeit, warum haben sie dann überhaupt ein Kind bekommen? Kennen diese Leute keine Konsequenzen? Stehen die nicht zu ihren Entscheidungen? Wie fällen solche Leute Entscheidungen? Und fallen die immer weich? Was ich sagen will: Ich musste diese Geschichte lesen und schon schmunzeln, weil ich so dachte: Aha, DAS sind jetzt ernsthafte Probleme? Denken diese Menschen wirklich SO? Auch dass sie noch extra sagt: Ich wollte meinen Körper für mich habe, denn das böse Patriarchat wartet nur darauf, sie zu objektifizieren. Ihr Ehemann wäre das dann. Der Feind im eigenen Bett sozusagen. Dieser ganze Text ist so ausgelegt: voller Thesen. Die dann leider auch noch von unsympathischen Charakteren vorgetragen werden: weinerlich, larmoyant, bösartig narzisstisch, übergriffig, für mich wirken die unreif.
Bäm! Sie hatte ihm von dem Kuss erzählt!
Sie ist wirklich 48 Jahre alt? Ich bin jetzt 45. Ich red viel Stuss wenn ich paar Bier drin hab, aber wenn ich mit meiner Frau über ein solches Thema sprechen würde, würde ich so etwas weder denken noch sagen: Bäm! Whoa! Check this out. Lass drüber reden wie Erwachsene, yo, slay! Nicenstein!

Er schaute mir in die Augen, nahm meine Hand und verflocht seine Finger mit meinen. Eine Erinnerung von Salzwasser lag auf meiner Zunge.
Warum denn eine Erinnerung? Und verflechtet er wirklich seine Finger mit ihren? Auch ganz hart kitschig, oder?
Vielleicht sollten wir ein paar Regeln besprechen“, sagte Christoph.
Hahaha, ja unbedingt! Ich hab mal so eine Doku gesehen über ein polyamorisches Paar, und da ging es auch um Regeln: Wann wer wie wen sehen darf und was man dann dem anderen jeweils alles erzählen muss. Diese Leute hielten sich für große Libertines, aber waren im Grunde nur riesige Spießer. Ist vielleicht auch etwas Urdeutsches - im Grunde geht es um den simplen Fakt, dass vielleicht ein Mensch für ein Leben nicht ausreicht in intellektueller und erotischer Hinsicht, aber man sich nicht entscheiden will, man will sich alle Optionen offen halten, aber auch irgendwie ja keinem wehtun, alles muss allen gefallen und alle müssen da cremig mit sein, und da braucht es einen preußischen Stundenplan. Die großen Emotionen, die da einen übermannen, die Leidenschaft, nee, alles wird ertränkt in einem Regelplan, da darf sich nichts entwickeln, mäandern, auseinanderleben, wieder zusammenwachsen. Es muss über alles fürchterlich viel geredet werden.

Inwiefern denkt man mit 48 anders über Freundschaft als mit 25?
Man investiert seine Zeit nicht mehr in jeden Menschen, den man irgendwie sympathisch findet oder von dem man denkt, dass er Werte und Vorstellung teilt. Man hat ein eigenes Leben für das mein seine Zeit aufwendet, eine Partnerschaft, Kinder. Freundschaften bleiben übrig und nehmen nicht mehr einfach so zu. Man lernt, was zählt in einer echten Freundschaft. Man blickt auf echte Freundschaften zurück, weil diese überdauert haben. Bekannte kommen und gehen, Freunde bleiben. Man weiß, auf wen man sich verlassen kann, weil man mit 48 hoffentlich ein paar Lebenskrisen hinter sich gebracht hat und weiß, wer wirklich da ist, when the shit hits the fan.

Es ist komisch, aber umso älter man wird (und damit meine ich mich und einige andere Menschen, die ich kenne, die noch älter sind auch), umso heller leuchtet die eigene Jugend.

Die eigene Jugend leuchtet dann heller, wenn man sie retrospektiv romantisiert, weil einem sonst nichts mehr übrig bleibt. Wenn dein Leben stillsteht.

Diesen Text müsste man meiner Meinung nach aus einer anderen Perspektive erzählen. Die müsste streng personal sein und wenig Innenansicht haben. Dadurch verliert der Sound schon mal deutlich an Kitschpotential, den er so noch reichlich hat. Vieles, was gesagt wird, klingt thesenhaft, wie ein Modell. Und so lese ich den Text als Versuchsanordnung, weniger als Geschichte, als Narration. Für mich gibt es da auch keine Fallhöhe, irgendwie scheint da keiner wirklich etwas zu risikieren, wenn das alles nicht passieren würde, was wäre dann? Wo ist der Impuls, es jetzt passieren zu lassen, das wird mir nicht klar. Das liest sich ein wenig so wie Torschlusspanik: DAS mit Poly aber auch mal versuchen! Bucketlist, done.

„Ich kann nicht mehr!“, sagte er. „Ich will auch nicht mehr können. Ich hatte gehofft, dass deine Rückkehr irgendwas bewegen würde.“
„Kennst du Kintsugi?“, fragte ich.
Christoph schüttelte den Kopf. „Nein, was ist das?“
„Eine Reparaturmethode für Keramik: Zerbrochenes wird wieder zusammengeklebt und die Risse werden mit Gold überzogen. Man braucht Geduld und Zeit dafür. Dinge zerbrechen schnell.“
„Ich habe lange daran festgehalten, dass ich Geduld haben muss und Alex Zeit braucht. Manches Zerbrochene kann nicht wieder zusammengeklebt werden. Es ist besser, man sieht das irgendwann ein. Sicher ist, ich kann diese Beziehung nicht allein reparieren, ich brauche Alex dafür.“
„Du hast gesagt, es ist ein gutes Zeichen, dass sie wütend ist.“
„Wir werden sehen“, sagte er müde.
Das ist so mal ein Beispiel: Dieser erklärende Text, Kintsugi - das wirkt nicht wie ein echter Dialog. Dinge zerbrechen schnell, sagt der Shaolin-Mönch und geht wieder in sein Kloster um die nächsten dreihundert Jahre zu schweigen. Ich mach mich jetzt etwas lustig, aber leider lese ich das so: es ist nichts, was reale Menschen genau so sagen würden. Das sie ihn auch genau nach der korrekten Bezeichung fragt und nicht so was wie: Kennst du das, was die Japaner da mit ihren kaputten Sachen machen? Auch wie sie diese Kunst-und-Museumserfahrung beschreibt, das sind so bildungsbürgerliche Versatzstücke, die anstelle von echter Physis, von einer unmittelbaren Erfahrung treten, sie ist fasziniert von immersiven Räumen, da geht mir direkt das Messer in der Hose auf.
Ich nickte. „Klar! Und die Caltec kenne ich auch!“

Das Problem ist: die kennen alles. Und sie glauben, auch alles zu wissen. Nur sind sie sich manchmal nicht so ganz sicher, dass alle auf einem Level (sprich: ihrem) sind und wollen dann auf ganz Nummer sicher gehen, damit auch ja keiner irgendwo ein Hindernis überwinden muss und man sich immer noch alle Türen offen hält. Das sind entwurzelte Menschen, die nicht wissen, wo sie herkommen, wo sie hingehören, warum sie so geworden sind, wie sie geworden sind.

Ich blinkte, bog in die schmale Auffahrt ein und fuhr durch den Schatten des Walnussbaums auf den sonnigen Hinterhof. Als Kind hatte ich hier mit meinen Freundinnen gespielt. Zwischen Metallpfosten hatten Wäscheleinen gehangen und wenn wir zwischen der frisch gewaschenen Wäsche herumrannten, hatte die alte Frau Ruprecht aus ihrem Fenster im Hochparterre gebrüllt: „Dunnerslag noch mal to, nu is aver Fieravend!“ Nach der Wende waren die Wäscheleinen durch fünf Parkplätze ersetzt worden. Ich parkte auf dem Stellplatz mit der Nummer Vier, nahm den Rollkoffer aus dem Kofferraum und klingelte an der Haustür. Es summte und ich betrat das kühle Treppenhaus. Der Boden war mit Linoleum belegt, Stäbchenparkettoptik. Es roch nach meiner Kindheit in diesem Treppenhaus: nach gekochten Kartoffeln, nach Muff und Enge.
Du setzt halt auch alle Marker im ersten Absatz. Das schreit so nach: Ja, bestimmt passiert was an einem See/Meer/Baggerloch, und alte Freunde werden getroffen/gehasst/wiedergefunden/abgelegt, es wird viel getrunken/geküsst/vermisst/gevögelt. Ein kleiner Spielfilm in Sepia! Den müssen wir uns ansehen! Das ist schon mal ein großes Problem ganz zu Beginn. Das ist auch ein Problem der Perspektive. Ständig gibt es erlebte Rede. Ständig wird reflektiert und nicht erzählt. Warum? Was ist hier der Pluspunkt? Auch sehr viele Namen; jeder Name ein Charakter, der etwas will, der etwas braucht, der eine Stelle in dem Text beansprucht, die sich immer weiter entfalten und ausfüllen muss; ich denke, zu viel. Was würdest du dem Text nehmen, wen du ihn wirklich fokussierst? Wenn du dir mal die Frage stellst, um wen es hier wirklich gehen sollte? Um die Erzählerin und wen noch? Vieles wird so angerissen und verharrt im Vagen. Dadurch wird es auch zu einem Text, von dem ich mir relativ sicher war, auch nur den Anfang und das Ende hätte lesen zu können und eigentlich nichts Wesentliches zu verpassen. Er operiert halt in einem gewissen Milieu mit gewisser Klientel und einem erwartbaren Ausgang. Da gibt es fast keinen oder wenn nur kleinste Widerstände. Ich hätte es interessant gefunden, wenn da einer Fischer oder Schäfer oder auch nur Imbißbudenbesitzer ist, einer der erdiger ist und der einen echten Widerstand darstellt, der sagt: Nee, so stelle ich mir das vor mit Frau und Kind und ihr seid alle bekloppt. Jemand, an dessen Sicht sich die anderen reiben müssen, die einen Konflikt evozieren, die den Leser auch mitreinziehen, ihn diesen Konflikt aktiv miterleben zu lassen. So stehe ich irgendwie nur daneben und nickte deren Verhalten einfach ab, ohne involviert zu sein.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Katta,

was für eine Story! So viel Alltag, so viel Menschsein mit all seinen Plänen, seinem Wollen und dem Schicksal, dem Unausweichlichen. Mein Vater war viel krank. In diesem Absatz schoss zum ersten Mal Wasser in meine Augen - diesen Lärm, den die Jugend veranstaltet, zwei Schritte vor und später den einen wieder zurück mit der Erkenntnis, dass man sich gar nicht so weit entfernt hat vom Menschsein. Dieses schmerzhafte Abnabeln, jede Generation im vermeintlichen Vollrausch der Veränderung und der Stolz der Eltern. Diese Diskrepanz zwischen den Charakteren, der Egoismus und die Welt im Innern ist nicht so weit entfernt, als dass man nicht darüber reden könnte. Wie du das alles beschreibst, die Gefühle - ich hab die Story in einem gelesen und - nein - ich lese sie nicht noch einmal, denn diese Achterbahn erinnert mich streckenweise an mein eigenes Leben. Ich sage nur: köstlich! Selbst die Möglichkeiten zum Schluss, die du offen lässt, fügen sich harmonisch ein.
Wäre ich Admin, ich würde die Geschichte als Lesetipp vorschlagen.
Herzlichen Dank für diese wunderbare Story
Grüße - Detlev

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta,

vielen Dank für deine Geschichte, sie hat mir sehr gut gefallen!
Ich lasse dir einfach mal chronologisch meine Eindrücke da, bzw. die Stellen zu denen ich mir etwas aufgeschrieben habe:

Ich dachte: Du denkst von der Stirn bis zum Tellerrand, weiter nicht. Wie kannst du dich so leicht zufrieden geben? Schau dir die Welt doch an, wie groß und vielfältig sie ist, und du versauerst in Kudrow und machst eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Zur Zahnarzthelferin!
Das ist eine ziemlich harte Ansage, aber ich habe den Eindruck, dass Elena "dem Muff und der Enge" entgehen will, unbedingt weg will und überhaupt nicht verstehen kann, dass Alex "nichts von der Welt sehen will". Ein bisschen ist mir Elena hier auch unsympathisch, aber mich interessiert viel mehr, wie sie zu der Ansicht gekommen ist, so über das Leben ihre Freundin zu denken.
Nach dem Physikstudium schrieb ich meine Doktorarbeit; fürs Militär wollte ich jedenfalls nicht arbeiten.
War das früher so üblich? Ohne Promotion als Physiker/in zum Militär? Bin da gestolpert...

Es war in der Schweiz, als mir klar wurde, dass es keinen Menschen gab, der mir wirklich wichtig war, dass alle meine Freunde austauschbar und nicht mehr als Reisebegleitungen waren.
Bitter - bringt mir die Figur näher, lässt mich sie mehr begreifen.

Ich hoffte, dass sie die Tür zu unserer Freundschaft, die ich so leichtsinnig geschlossen hatte, wieder öffnen würde. Ich hing fest in Hamburg, in meinem Leben, in mir. Ich konnte eine Freundin gebrauchen.
Hier steck für mich die Motivation der Protagonistin: Sie ist völlig verloren in ihrem Leben. Ich stelle mir sie vor, wie sie von einem Ziel zum nächsten hechtete --> Abitur, die Welt sehen, studieren --> Physik (also die Welt nicht nur sehen, sondern auch verstehen, so richtig ...) promovieren, habilitieren usw. Aber das alles heilt diese Schieflage nicht <--- Das schreibe ich jetzt natürlich nachdem ich die ganze Geschichte kenne, aber in dem zitierten Textabschnitt werden so die ersten Erklärungen gegeben, die für mich zu diesem Bild geführt haben. Gleichzeitig finde ich den Wunsch auch egoistisch --> Sie braucht eine Freundin, ihr Leben ist verdreht, deshalb eine uralte Freundschaft kitten.
„Nein, nein“, sagte ich. „Später! Ich will später mit ihr reden. Viel später. Vielleicht auch erst morgen.“
Vielleicht auch gar nicht ;) Ich glaube Elena weiß oft nicht was sie will, obwohl sie so zielstrebig scheint.
„Catwoman“, sagte ich [...] Selbst Mr. Vain von Culture Beat konnte mich nicht schocken. „Call him Mr. Raider, call him Mr. Wrong“ sang ich und hüpfte auf der Tanzfläche umher.
Ich finde den ganzen Abschnitt richtig gut. Ich seh es vor mir. Sie protestiert nicht, der Alkohol löst die "Kontrollzügel" und dann steht sie da und ist mal einen Moment im Moment. Und spürt ihn. Aber für mich schwingt auch ein bisschen Verzweiflung mit (der Text von What's up). Ansonsten fehlt glaube ich noch ein Komma hinter "... Mr. Wrong", sang...
Und wenn ich, Elena Schneider aus Kudrow, eine richtige Professorin an einer richtigen Universität sein sollte, dann hätte ich alles erreicht, was es zu erreichen gibt,
Müsste es hier nicht "sein würde" heißen und dann auch "was es zu erreichen gäbe"? Also lese es so aus der Sicht des zwanzigjährigen Ichs.
Hamburg war größer, aber die Enge in der Brust war dieselbe. Obwohl ich immer öfter nach einer neuen, besseren Stelle suchte, war mir klar, dass auch die mir keine Erlösung bringen würde.
Das Problem liegt im Innen und nicht im Außen. Die externen Veränderungen helfen nicht. Finde ich einen weiteren guten Schnipsel zur Charakterisierung der Figur.
„Au ja“, sagte Jule, „lasst uns nach Hamburg fahren.“
Weiß nicht wieso, aber stolpere über das "Au ja", muss da an so ein aufgeregtes Kind vor einem Eis oder sowas denken :D
in ein universelles Feld aus Verbundheit einzugehen.
Verbundenheit? Oder ich bin zu doof ;)
nahm an Sitzungen und Kolloquiums teil
Kolloquien
Aber ich wollte mehr, mehr Leben, nicht diese Tristesse. Selbst in dieser einfachen Küche, in der sich seit 30 Jahren nichts verändert hatte, schien mir das Leben wahrhaftiger zu sein als jemals in Hamburg. Das Schweigen meiner Eltern, erinnerte mich an das Schweigen in meinem eigenen Leben. Ich hatte so viel Krach geschlagen und mich mit Arbeit abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie das Schweigen sich langsam in mein Leben geschlichen hatte. War mein Leben nur eine Kopie des Lebens meiner Eltern? War unter der verschiedenartigen Oberfläche die gleiche alltägliche Existenz?
Finde ich an sich einen guten Absatz, sie reflektiert, setzt das eigene Leben in Relation zu dem ihrer Eltern. Für mich beißen sich aber diese beiden Aussagen: "...schien mir das Leben wahrhaftiger zu sein als jemals in Hamburg." und "War unter der verschiedenartigen Oberfläche die gleiche alltägliche Existenz." Beim ersten Satz denke ich sie beneidet diese Wahrhaftigkeit, die sie nicht kennt. Der zweite bezieht sich dann auf das Schweigen, etwas Negatives, dass sich in ihre Leben geschlichen hat, wie das Schweigen bei ihren Eltern zuhause. Dann kommt die Frage, ob ihr Leben eine Kopie des Elternlebens ist. Also ist das Leben der Eltern nun wahrhaftig (und somit irgendwie auch satt) oder fahl, schweigsam und bedeutungslos?
"Schweigen" bezogen auf ihr eigenes Leben passt für mich auch nicht richtig, ich denke es soll eher Leere sein, die sich in ihr Leben geschlichen hat, trotz der ganzen Action? Ich würde den Satz mit der Kopie streichen und im letzten Satz vom Sinn eher sowas erwarten: "Vielleicht hatte die Leere, die sich in mein Leben geschlichen hatte, die Wahrhaftigkeit erdrückt"
Ich hörte ihr geduldig zu und freute mich, sie in meiner Gegenwart entspannt sehen.
zu sehen
Aber jetzt mit 48 Jahren sah ich sie mit anderen Augen, ich sah ihre Sanftmut, sah, wie viel Schmerz ihnen meine Wut und meine Scham bereitet haben musste, sah die Mühe, die es gekostet haben musste, mich meinen Weg gehen zu lassen. Sie hatten sich sogar damit abgefunden, enkellos zu bleiben. Wo ich früher fehlenden Ehrgeiz gesehen hatte und plumpe Zufriedenheit, sah ich jetzt eine Form von Selbstverständnis dem Leben gegenüber, die ich nicht kannte.
"... sah ich jetzt eine Form von Selbstverständnis dem Leben gegenüber, die ich nicht kannte." - finde ich ganz stark. Das ist ja schon eine schwerwiegende Erkenntnis und rüttelt an ihrem Lebensstil.
Jule nahm meinen Rucksack und fuhr mit ihrem Rad Nachschub kaufen. Alex und ich warteten am Strand. Ich malte mit dem Zeigefinger ein Herz in den Sand und schrieb ‚A+E‘ hinein. Dann nahm ich ihre Hand und verflocht ihre Finger mit meinen. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und so saßen wir da und schauten aufs Wasser.
Das Herzchen mit "A + E" war mir irgendwie zu viel - es war für mich auch unpassend an der Stelle. Also so ein bisschen vom Himmel gefallen.
„Christoph ist mit Lina einkaufen“, sagte sie, kochte sich einen frischen Pfefferminztee und mir einen Kaffee, schmierte mir eine Scheibe Vollkornbrot mit Frischkäse und Gurke und führte mich auf die Terrasse.
vielleicht "bot mir eine Scheibe XY an" finde das "schmierte" so Mama-Like
Sie selbst offenbarte sich nicht. In diesem Moment, an diesem Tisch, wusste ich nicht mehr, ob ich noch ein Teil von Alex' Welt sein wollte, ob ich diese feige Alex, die sich gekränkt in ihrem Selbstmitleid suhlte, wieder in meinem Leben wollte.
Das kaufe ich irgendwie nicht. Würde im Prinzip alles hinter "sie offenbarte sich nicht" weglassen. Ich bin so in der Story eingenordet, dass Elena Alex beweisen möchte, dass sie es ernst meint, dass sie eine Freundschaft "wiederbeleben" möchte und da finde ich dann so ein hartes Zweifeln (und potentiell das Vorhaben "wir wollen Alex zurück" abbrechen) nach gefühlten zwei Tagen und wegen eines von außen beobachteten Streits irgendwie too much. Vielleicht reicht es wenn du sowas sagst wie "Ich konnte mit ihrer Reaktion nichts anfangen. Es machte mich wütend..." und dann lässt du es eskalieren. Ich finde beide Varianten zeichnen die Hauptfigur als jemanden, der nicht so richtig gut mit Gefühlen kann (und so ist Elena bisher auch bei mir als Leserin abgespeichert).
Sie funkelte mich an, stand auf und sprach im Stehen, sah mir in die Augen dabei. „Einen ehrlichen Ehemann, ja, klar, den hab ich gewollt. Einen, der mir nicht ins Gesicht lügt. Und weißt du, ich hatte auch auf eine loyale Freundin gehofft, nicht eine, die sich heimlich aus dem Staub macht und mir irgendwelche Scheiße erzählt.
Die Verknüpfung ist mir zu direkt. Die haben sich ja alle ewig nicht gesehen und ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Thema alle schon seit langer Zeit beschäftigt (dazu schreibe ich noch am Ende etwas) aber der Ehemann und Elena werden hier direkt auf einer Problemebene verknüpft. Fände es besser, wenn Alex sich über den 'ehrlichen' Ehemann in Rage redet und das dann in sowas gipfelt wie: "...wie passend, dass ausgerechnet du fragst, was ich mir gewünscht hätte. Du zeichnest dich ja auch nicht gerade durch Loyalität aus. Un solchen Leuten laufe ich noch hinterher. Lasse über deine Mutter Grüße bestellen..." etc pp. Also mehr so aus dem Affekt die Anschuldigung - hoffe du weißt was ich meine.
Und ich sagte: „Sie hat ja recht. Also zumindest mit mir. Bei dir bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, du hast genug gebüßt.“
Wie kann sie das mit dem büßen beurteilen, sie hat ja von der Beziehung kaum was gesehen bisher. Würde ich weglassen.
„Ich kann nicht mehr!“, sagte er. „Ich will auch nicht mehr können. Ich hatte gehofft, dass deine Rückkehr irgendwas bewegen würde.“
Das Problem ist doch schon länger da, wieso ist das so an die Rückkehr geknüpft. Das passt für mich nicht. Würde ich auch eher weglassen.
trank einen weiteren Schluck, ließ den halb vollen Kaffeebecher schließlich auf den Gartentisch stehen und nahm mein Rad.
dem Gartentisch
Gegenüber unterhielten sich zwei Nachbaren
Nachbarn
Ich wollte Alex in meinem Leben, ich wollte, dass es jemanden gab, der für mich bedeutsam war.
Guter Satz - da steckt auch wieder der Wunsch nach Wahrhaftigkeit und Sinn für mich drin.
Und ich erzählte ihr alles. [...] Narben des Kintsugi.
Bei diesem ganzen Absatz hätte ich mir noch etwas deutlicher das Innenleben gewünscht. Ich glaube an dem Punkt kann Elena das auch schon besser fassen alles.
[...] ging Alex raus und legte sich aufs Handtuch. Sie war noch nie gerne rausgeschwommen.
Schönes Detail - Elena schwimmt natürlich raus, so wie sie in die Welt geht. Alex bleibt "kleben". Irgendwie paradox, dass beide trotzdem irgendwie ein ähnliches Problem haben und sie gefangen sind. Die eine, Elena, in sich selbst, Alex durch die äußeren Gegebenheiten (Tochter, Mann, etc.)
Vielleicht war das der Grund, warum ich nie bedeutsame Beziehungen gehabt hatte, vielleicht war ich nicht dafür geschaffen, so viel zu empfinden.
Ich lese das so, dass sie auch Angst vor dieser Nähe hat und solche Empfindungen für gewöhnlich nicht zulässt, sich eher in Arbeit und "Tun" stürzt.
Nur ich war verrückt worden, war geküsst worden von Alex.
Cooler Satz!

So, jetzt mal noch ein Fazit: Deine Geschichte hat mir insgesamt sehr gut gefallen. Ich habe ein paar andere Kommentare gelesen und gesehen, dass manche Probleme mit dem Alter der Protagonistin hatten, sie unsympathisch fanden oder auch keine richtige Fallhöhe/Probleme erkennen konnten. Ich kaufe das auch einer Professorin ab, die 48 Jahre alt ist. Ich lese das Verhalten in dieser Geschichte auch nicht als ihr Standardverhalten, sondern als etwas, dass durch das Klassentreffen und die Erinnerung an die Jugend getriggert wird (damit meine ich sowas wie die Flaschen am Strand wegwerfen etc.) Das Kernproblem ist für mich hier Elenas Lebenssituation und ich lese da einen großen Leidensdruck raus. Sie ist ja überhaupt nicht mehr zufrieden und schält Stück für Stück raus, was alles schiefgelaufen ist in ihrem Leben. Und da steht dann sehr viel auf dem Spiel, wenn man mit 48 merkt, dass man ein Leben führt, dass man so nicht führen will. Ich frage mich die ganze Zeit: Wie kommt diese Frau wieder ins Spüren und weg von diesen Äußerlichkeiten, die ihr Selbst "verschütten"? Und hilft Alex dabei?
Wenn ihr das Problem jetzt so klar ist und sie das nicht löst, wird sie mindestens mal depressiv - das ist ja dann auch schon eine Fallhöhe. Die eigene seelische Gesundheit verlieren.

Manche Gedanken fand ich im ersten Ansatz auch unsympathisch oder hart, aber es gab auch immer wieder eine Stelle, an der ich das Gefühl hatte, die Figur reflektiert das jetzt oder stellt fest, dass da etwas schief läuft, sie übers Ziel hinausgeschossen ist etc. Ich finde auch nicht, dass die Eltern z. B. als tumbe Trottel dastehen, sondern denke Elena begreift irgendwann, dass die Eltern womöglich viel reicher sind als sie selbst - die ja nichts hat außer portionierte Freunde, Erfolge, Paper schreiben aber gleichzeitig noch verlorenes Interesse an "echter" Forschung.

Was ich etwas problematisch finde: Mir fehlt am Anfang bis hin zur Mitte der Story noch mehr Begründung, wieso Alex wichtig ist, wieso es diese Freundschaft zu retten gilt. Es ist weniger das Problem, dass ich Elena nicht abnehme, dass Alex für sie wichtig ist, aber es fehlt mir so etwas wie "es blieb nur Alex, es war das einzig Echte, an dass ich mich in meiner unechten Welt klammern konnte." oder sowas. Und ich möchte auch sehen, wann Alex früher schon mal Thema war. An Alex gedacht haben muss sie schließlich auch vorher in all den Jahren, sonst wäre sie ja nicht so wichtig. Es gab andere Einladungen zu Klassentreffen, wieso war es da kein Thema. Du schreibst: "Ich hatte mir das Foto auf der Karte angesehen, hatte an Alex gedacht, an unseren letzten gemeinsamen Abend im Sommer" --> Klingt so nebensächlich, aber das muss für meinen Geschmack mehr begründet werden. Irgendetwas anderes, das gerade in Elenas Leben passiert ist --> Dann flattert diese Einladung ins Haus --> und dann? So oder so lese ich es egoistisch (Freundschaft wiederbeleben) und damit ich das Elena als Leserin durchgehen lasse, muss ich dann mehr greifen können, was für sie da dran hängt an dieser Freundschaft. Wieso Alex? Wieso das wieder aufwärmen?

Gleiches gilt auch für Alex --> Wie und wann hat sie an Elena gedacht? Da liegen ja schon einige Jahre dazwischen, gab es mehr Versuche außer die Grüße über die Mutter zu bestellen? Wenn nicht, wie hat sie damit abgeschlossen? Ich meine es ist eine Szene drin, aus der schon klar wird, dass Alex das nie richtig verziehen hat (sie gönnt Elena die Entschuldigung nicht) aber da könnte für meinen Geschmack auch noch etwas mehr Fleisch dran.

Manche Stellen waren auch mit sehr vielen Beschreibungen gespickt, mich hat es nicht dazu veranlasst mit dem Lesen aufzuhören, aber kürzen kann man bestimmt (glaube da haben andere schon Passagen genannt). Auf diese etwaigen Längen in der Geschichte gehe ich mal nicht näher ein.

Mir hat es gefallen, wie du uns da so durch das Leben von Elena geführt hast und immer mehr von ihren Problemen offenbart hast und sich dabei die Beziehung zu Christoph und Alex entwickelt hat. Vielleicht lese ich ja auch etwas raus, was nicht geplant war, lese zu viel "Probleme und Leidensdruck" in Elena, aber für mich hat das gepasst. Viel spannender nun die Frage: Wann gibt es Teil zwei? Ich glaube irgendwie nicht, dass die Beziehung ihr die Wahrhaftigkeit schenkt, die sie sucht - oder vielleicht doch? Vielleicht ist das der Katalysator und sie spürt sich wieder, das Schweigen verschwindet allmählich aus ihrem Leben... any plans für eine Fortsetzung?

Grüße
-Marla

 

Hallo Katta,
schnell nochmal was zum Erzählstil: Gibt es denn einen auktorialen Ich-Erzählstil?? Ich glaube eher nicht.
Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es der Figur Elena gut täte, von außen in ihren Facetten betrachtet zu werden. Das muss nicht ausufern, kann aber differenzieren. Ich denke an das Verhältnis zu den Eltern, da könnten Aspekte auftauchen, vllt. aus der Kindheit, die Elena nicht bewusst sind.
Beispiele:
Warum fragt die Mutter, ob Elena Alex treffen wird?
Warum kann Elenea nicht verbindlich sein, Beziehungsverantwortung übernehmen?
Der häufig kranke Vater, welche Rolle spielt er?
Möglicherweise braucht die Geschichte dann auch weniger Ausführungen, die eher beschreibend bleiben.
Das Alter spielt für Familien- oder Herkunftskonflikte keine Rolle, denn wenn sie nicht gelöst werden können, nimmt jeder Mensch sie mit bis ans Lebensende.
Du fragst, ob ein auktorialer Erzähler nicht auch subjektiv wäre; na klar, denn er/sie ist ja auch in deinem Kopf entstanden, kann sich aber 'mehr trauen'.
Schönes Wochenende,

Jutta

 

Wie ein ungebetener Gast stand diese Frage im Raum und wollte, dass ich Stellung bezog.

Detlevs Empfehlung hat mich geradezu auf Deinen Text „gestoßen“, der mit seinen 44 Normseiten – 77.440 Zeichen (incl. Leerzeichen) unter courier 12 pt. (die Type der guten alten Schreibmaschine), die Zeile zu 60 Zeichen und die Seite zu 30 Zeilen – auch eine gewisse Ausdauer dem Leser abverlangt,

liebe Katta,

und dennoch musste ich hinter den Dingen Empfehlung und Empfohlenes anschauen – und ja, selbst bei einem an sich sturen und vor allem wortkargen niederrheinischen Bock – immerhin wartet die Sportschau und - sowie ich von der Hundswanderung durch das nasskalte Wetter an der Grenze des rheinischen zum westfälischen Ruhrpott (heute mal nach Bottrop zum Quadrat und zurück in die Wiege der Ruhrindustrie - über verblüffende vierzig Meter Höhenunterschied - heimkehre, dass ich schon mal vorab zur allemal verdienten Empfehlung gratuliere, so viel oder doch wenig vorweg – es sind mir zu viele Adjektive und keiner traut sich (oder hat erkannt), wo Schwächen grammatikalischer Art
liegen. Das ist also quasi eine Lieferung:

Meine Mutter stand schon in der TürKOMMA als ich die Stufen ins zweite Geschoss hochstieg.
(die vergleichende Konjunktion leitet einen vollständigen Satz ein, darum „,“!

„Und wann geht’s heute abend los?“KOMMA fragte sie.
...
Meine Mutter schwieg und ich fragte: „Kann ich heute abend dein Rad nehmen?“
„… heute Abend ...“

„Na klar!“ Sie stand auf, legte ihre Hand auf meine und gab mir einen Kuss auf mein Haar.
Fürchtet da jemand um Besitzständ’ – als wäre nicht spätestens durchs „mir“ nicht schon klar, wessen Haar da geehrt wird ...

Vielleicht hatte sie schon in dem Moment aufgehörtKOMMA meine beste Freundin zu sein, in dem sie entschieden hatte, in Kudrow zu bleiben.

Rechts war eine Glasfront wie eine Zieharmonika aufgezogen und gab den Weg auf eine Terrasse frei.
Da gibts den seltenen Fall zweier h’s hintereinanander – fürs ziehen und die Harmonika - Ziehharmonika

Ich fühlte mich fremd unter diesen Menschen, mit denen ich vor dreißig Jahren zur Schule gegangen warKOMMA und wusste nicht, zu welcher Gruppe ich mich stellen sollte.
Der Nebensatz („mit …“) ist zu Ende und die Konjunktion und setzt den Hauptsatz fort

Und so war das Zweite, das mir auffiel, ihr Lachen.
Nicht jedes „das“ erzeugt ein Substantiv, hier sehe ich das „zweite“ als Adjektiv/Attribut zu dem, was unserer Heldin auffiel ...

Natürlich war ich begeistertKOMMA über die Caltec reden zu können.

Um zwei wurde das Belling geschlossen und die vier Leute, die noch nicht gegangen waren, vor die Tür gesetzt.
Hier kommt die Mutter allen Erzählens "Zahl" und deren heutige Disziplin zum Tragen: Plural, denn das Belling und (schon allein) „die vier …“ erfordern den Plural „wurden“, selbst wenn es sich für manches Ohr seltsam anhört. Stünden die vier vorneweg, wäre es auch dem mathematisch Unbedarftesten einsichtig (andernfalls musstu vor die vier Leute noch ein "wurde" schieben ...

Warum hier

Alex fragte, wie es mir in Hamburg gefiele, ob ich in meinem Job zufrieden sei, ob ich in einer Beziehung sei.
Der Wechsel aus Konj. II in I, wenn die Frage sich doch insgesamt ver“einfachen“ ließe, statt „wie es mir in Hamburg gefiele“ besser gefalle. Im Konj. II zweifelt nicht „ich“ als Personal der Geschichte, sondern als Autorin

Ich hatte hart gearbeitet, auf vieles verzichtet, nicht zuletzt auf eine Familie und Kinder. Ich bedauerte nicht, keine Kinder bekommen zu haben, …
Ich pack das Problem, das sich hier auftut, mal etwas anders an:

Wenn ich auf einem Amt nach „Kindern“ gefragt werde, kann einer wie ich aus einer Einkindfamilie getrost mit „nein“ antworten (oder ich müsste Enkel einbeziehen). Die schreibende Zunft sollte da schon etwas bewusster leben und vor allem schreiben als das Einwohnermeldeamt ...

Am Abend aß ich mit meinen Eltern Abendbrot am kleinen Küchentisch mit der Wachstischdecke, schaltete die Deckenleuchte ein, weil der Walnussbaum die Küche verdunkelte.
Einen Abend kannstu sparen (ich würde gleich das „am“ -eigentlich ein verkürzter „an d[ies]em Abend“ …)

Wie dem auch wird,

gern gelesen vom Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @jimmysalaryman,

so, nu komm ich endlich mal dazu, zumindest fang ich schon mal an mit meiner Antwort. Aber so hatte ich noch ein bisschen Zeit über die Kommentare bisher nachzudenken, ist auch ganz gut. Da steckt viel drin in deinem Kommentar, besonders am Schluss hab ich viel rausziehen können. Aber ich gehe mal durch:

damals war das sicher mal ein ehrenwerter Beruf. Heute schaut man da als Akademiker sicher despektierlich drauf runter, genau wie natürlich auf die ganze Provinz. Ich weiß, Erzähler ist nicht gleich Autor, aber du färbst deine Figur schon nach den ersten Absätzen so dermaßen ein, da gehe ich davon aus, dass es gewollt ist. Warum sollte ich einer so arroganten, hochnäsigen Erzählerin folgen wollen?
Genau das ist ja immer die Frage bei den nicht so sympathischen Ich-Erzählern. Mein Plan war eigentlich eine Entwicklung darzustellen, von dieser arroganten und hochnäsigen Art und Weise hin zu der Erkenntnis: Ich bin auch nichts besseres. Ich war zwar draußen in der Welt, ich bin zwar Professorin, aber sonst?, was hab ich sonst im Leben? Sollte ich wirklich auf andere Leute herabschauen? Ich wollte sie ehrlich sein lassen und dieses abschätzige "Zur Zahnarzthelferin!" war, was sie gedacht hat damals. Das wollte ich nicht "sozial erwünscht" und sympathisch einfärben. Ich hatte gehofft, dass ich das breche und ich denke, dass ist, was auch @Jutta Ouwens angesprochen hat, dass die Ich-Perspektive immer subjektiv bleibt. Du hast ja auch eine personale Perspektive vorgeschlagen und vielleicht probiere ich das einfach noch mal für mich aus, aber ich habe da jetzt ne ganze Weile drüber nachgedacht und ich glaube, dass es nicht an der Perspektive liegt. Deine Idee, da einen anderen Charakter nochmal reingrätschen zu lassen, einen der ein bisschen geerdeter ist, das finde ich gut. Und dann ist mir auch noch der Gedanke gekommen, dass sie halt nur redet und reflektiert, aber gar nicht richtig danach handelt. Also im Geiste geht da zwar Erkenntnis los, aber wenn ich es brechen will, das Bild vom Anfang, dann muss der Leser sehen, dass sie sich anders verhält. Beim Schreiben hab ich auch gedacht, dass es alles eigentlich viel zu leicht ist für sie, dass sie sich gar nie richtig Mühe geben muss.

Polayamorische Beziehungen, offenen Beziehungen, dieses ganze postmoderne Gesülze passiert doch gerade im Moment in diesen Akademiker und Großstadtblasen, die gut verdiendend zwischen 30-40 Jahre alt sind. Ich hab zwei davon in meiner Band. Das sind so Probleme, die andere Menschen einfach nicht haben; die werden auch inszeniert. ICH will jetzt was erleben (mit wem anders!) ICH will ausbrechen! ICH will mich neu erfinden! ICH brauche für die Befriedigung meines Bedürfnisse eine breite Palette emotionaler Antworten von verschiedenen, verfügbaren Optionen! (Mich wundert, dass hier keine Transfrau bzw Mann auftaucht,)
Na, dann passt das ja doch (fast) mit dem Alter. Was ich aber nicht verstehe, ist, was für Probleme andere Menschen nicht haben? Unglücklich zu sein? Etwas zu vermissen? Vom Leben gelangweilt zu sein oder sich darin festgefahren fühlen? Oder meinst du, dass das Polyding nun auch nicht die Antwort ist und die sich damit Probleme machen, die andere Leute nicht haben?
Zu dem Satz mit der Transfrau/Mann sag ich mal: Buhuuuu! Nur weil ich auf eine (sogar in sehr geringem Ausmaße) gewisse Art und Weise sage (und ja, an der Stelle sagt das tatsächlich auch die Autorin): Kleinfamilie ist Scheiße!, heißt das ja nun nicht, dass ich den gesamten LGBQT Bereich abdecken muss, oder?

Das klingt wie aus EMMA. Frauen sind schrecklich eifersüchtig auf ihren Mann, dass er arbeiten geht. Nicht auf andere Frauen oder so, auf weiter bestehende Freundschaften, sondern auf die Lohnarbeit. Weil wir es prinzipiell total geil finden, für unser Wohl hart arbeiten zu müssen. Ich stelle mir vor, wie das so eine Frau sagt, deren Mann Eisenbieger ist. Denkt die eigentlich genauso?
Oh jimmy, schon mal vorab: sorry, dat triggert mich :susp: Also, erstens ist ihr Mann kein Eisenbieger. Wahrscheinlich sagt die Frau vom Eisenbieger: Oh Mann, ich wäre so gerne wieder in das Büro, die Gärtnerei, das Krankenhaus, die Schule, den Laden, den Kindergarten, die Fleischerei, das Kosmetikstudio oder wat immer du willst, gegangen. Is ja klar, nicht 100% aller Frauen denken so. Nee, manche finden es toll, zu Hause zu sein und sich um Haushalt und Kinder zu kümmern, und daran ist auch rein gar nichts verwerflich, weil das nämlich mMn Feminismus ist, dass man Professorin sein kann oder auch Hausfrau. Aber hey, sorry, wenn es nicht für alle Frauen die Erfüllung ihrer Träume ist, Hausfrau und Ehefrau und Mutter zu sein. Im Übrigen sind nur ca. 25% der Professuren von Frauen besetzt und das, obwohl es körperlich nicht so herausfordernd ist wie Eisenbieger zu sein. Soviel zum Thema: EMMA.
Für mich ist die Frage: Hätte denn der Herr Eisenbieger Lust, zu Hause zu bleiben, sich um Haus und Kinder zu kümmern?

was sind das für Typen, frage ich mich? Sie haben ein Kind bekommen, aber natürlich fordert er Quality Time mit ihr ein, und sie ist eifersüchtig auf seine Arbeit, warum haben sie dann überhaupt ein Kind bekommen? Kennen diese Leute keine Konsequenzen? Stehen die nicht zu ihren Entscheidungen? Wie fällen solche Leute Entscheidungen? Und fallen die immer weich?
Warum bekommen Menschen Kinder? Ich denke, dass ist halt Biologie, Fortpflanzungstrieb usw. Ob ihnen vorher klar war, dass es Konsequenzen hat? Wäre ja komisch, wenn nicht. Ich verstehe nicht, wie du darauf kommst, dass sie nicht zu ihren Entscheidungen stehen? Die haben zwei Kinder, die haben sie großgezogen, sie sind noch ein Paar. Macht diese kleine Rede von Jule im Text tatsächlich so ein großes Fass auf? Oder ist das was persönliches? So ganz genau wollte ich da gar nicht drauf eingehen, aber jetzt frage ich mich, ob die da so luftleer rumsteht und was aufmacht.

Was ich sagen will: Ich musste diese Geschichte lesen und schon schmunzeln, weil ich so dachte: Aha, DAS sind jetzt ernsthafte Probleme? Denken diese Menschen wirklich SO? Auch dass sie noch extra sagt: Ich wollte meinen Körper für mich habe, denn das böse Patriarchat wartet nur darauf, sie zu objektifizieren. Ihr Ehemann wäre das dann. Der Feind im eigenen Bett sozusagen.
Ich verstehe überhaupt nicht, wie du aufs Patriarchat kommst. Also ich hatte beim Schreiben wirklich 0 EMMA-Feminismus-Gedanken. Das war im Grunde sowas autobiographisches mit dem Körper. Ich fand Mutterwerden einfach ne krasse Erfahrung unter anderem auch, was es mit dem Körper macht. Nicht nur die Schwangerschaft und Geburt sind total körperliche Vorgänge, sondern auch das Stillen. Nach mehreren Monaten in denen man seinen Körper so krass geteilt hat, hat's mir irgendwann einfach gereicht. Das hatte wenig mit meinem Mann zu tun oder dem Patriarchat.

Man investiert seine Zeit nicht mehr in jeden Menschen, den man irgendwie sympathisch findet oder von dem man denkt, dass er Werte und Vorstellung teilt. Man hat ein eigenes Leben für das mein seine Zeit aufwendet, eine Partnerschaft, Kinder. Freundschaften bleiben übrig und nehmen nicht mehr einfach so zu. Man lernt, was zählt in einer echten Freundschaft. Man blickt auf echte Freundschaften zurück, weil diese überdauert haben. Bekannte kommen und gehen, Freunde bleiben. Man weiß, auf wen man sich verlassen kann, weil man mit 48 hoffentlich ein paar Lebenskrisen hinter sich gebracht hat und weiß, wer wirklich da ist, when the shit hits the fan.
Ja genau.

Die eigene Jugend leuchtet dann heller, wenn man sie retrospektiv romantisiert, weil einem sonst nichts mehr übrig bleibt. Wenn dein Leben stillsteht.
ich glaube, das hast du falsch verstanden. Das war erst mal kein besonderes Licht, sondern einfach so was wie ein Scheinwerfer der Aufmerksamkeit. Meine Erfahrung ist, dass das mit Scheißerfahrungen oder sogar Traumata oft genauso ist, auch die tauchen oft später wieder auf. Man braucht ne Weile bis man merkt, wie sehr einen das Elternhaus prägt, wie unfrei man im Grunde ist. Die eigenen Muster stellen sich ja erst nach Weile als Muster heraus.

Diesen Text müsste man meiner Meinung nach aus einer anderen Perspektive erzählen. Die müsste streng personal sein und wenig Innenansicht haben. Dadurch verliert der Sound schon mal deutlich an Kitschpotential, den er so noch reichlich hat. Vieles, was gesagt wird, klingt thesenhaft, wie ein Modell. Und so lese ich den Text als Versuchsanordnung, weniger als Geschichte, als Narration. Für mich gibt es da auch keine Fallhöhe, irgendwie scheint da keiner wirklich etwas zu risikieren, wenn das alles nicht passieren würde, was wäre dann? Wo ist der Impuls, es jetzt passieren zu lassen, das wird mir nicht klar. Das liest sich ein wenig so wie Torschlusspanik: DAS mit Poly aber auch mal versuchen! Bucketlist, done.
Wie oben schon geschrieben, mit der Perspektive bin ich nicht sicher. Mir gings ja auch um die Innenansicht, die Reflektion, auch in gewisser Weise um ein bisschen Kitsch und den Sepia-Filter, aber darunter sollte es schon auch Inhalt geben. Ich mag das manchmal gerne, wenn reflektiert wird und manchmal finde ich es ganz schrecklich. Ich wollte es natürlich so machen, wie ich es gerne mag, aber das weiß man ja selber dann kaum. Ich habe wie gesagt aufs Ende hingeschrieben und mir echt viel Mühe gegeben, sich das ganze organisch entwickeln zu lassen, aber wahrscheinlich merkst du es eben, also meinen Versuch, die Konstruktion. Wenn das alles nicht passieren würde, würden alle weiter festhängen in ihren Leben. Das Polyding ist dir aber irgendwie ein Dorn im Auge, wie mir scheint :silly:
Du setzt halt auch alle Marker im ersten Absatz. Das schreit so nach: Ja, bestimmt passiert was an einem See/Meer/Baggerloch, und alte Freunde werden getroffen/gehasst/wiedergefunden/abgelegt, es wird viel getrunken/geküsst/vermisst/gevögelt. Ein kleiner Spielfilm in Sepia! Den müssen wir uns ansehen! Das ist schon mal ein großes Problem ganz zu Beginn. Das ist auch ein Problem der Perspektive. Ständig gibt es erlebte Rede. Ständig wird reflektiert und nicht erzählt.
Hmm. Auch das war eigentlich geplant, so nach dem Motto: WYSIWYG. Wieso ist das ein Problem? Man liest in den Text rein und weiß schon, was man kriegen wird. Ist das was schlechtes? Zuviel Reflektion soll es nicht sein, aber da brauche ich Hilfe von außen, das zu entscheiden. Wie gesagt, ist das ja Teil des Konzepts, aber es sollte sich mit dem Erzählen die Waage halten, es sollte ein rhythmisches Vor und Zurück geben.
Was würdest du dem Text nehmen, wen du ihn wirklich fokussierst? Wenn du dir mal die Frage stellst, um wen es hier wirklich gehen sollte? Um die Erzählerin und wen noch? Vieles wird so angerissen und verharrt im Vagen.
Auch das war Teil des Konzepts. Also ich wollte so ein Geflecht darstellen, in das man eingebunden ist, ins früher und heute, in verschiedene Orte, verschiedene Rollen usw. Und ich will damit nicht sagen, dass mir das gelungen ist, aber das war, was ich wollte. Aber ich nehm den Hinweis mal mit und werde mal ausprobieren, wie es ist, mit dem Fokus.
Er operiert halt in einem gewissen Milieu mit gewisser Klientel und einem erwartbaren Ausgang. Da gibt es fast keinen oder wenn nur kleinste Widerstände. Ich hätte es interessant gefunden, wenn da einer Fischer oder Schäfer oder auch nur Imbißbudenbesitzer ist, einer der erdiger ist und der einen echten Widerstand darstellt, der sagt: Nee, so stelle ich mir das vor mit Frau und Kind und ihr seid alle bekloppt. Jemand, an dessen Sicht sich die anderen reiben müssen, die einen Konflikt evozieren, die den Leser auch mitreinziehen, ihn diesen Konflikt aktiv miterleben zu lassen. So stehe ich irgendwie nur daneben und nickte deren Verhalten einfach ab, ohne involviert zu sein.
Ja, hier kann ich wieder gut mitgehen. 1. darf die Rückkehr nicht so leicht sein. 2. müssten die Dialoge weniger Smalltalk beinhalten (das hat auch schon @Chai geschrieben) und dafür eben die Thematik anpacken. Mir ist klar geworden, dass ich die ganzen wichtigen Dialoge gar nicht auserzähle, sondern nur anreiße. ZB das Gespräch zwischen der Prot und Alex. Ich erzählte ihr von x und y und z. Auch der Streit, der ist nur kurz, wirkt eigentlich als wäre er nur dazu da, um die Situation so herzustellen (und ist ja auch so), da muss eigentlich mehr passieren bzw. wirklich was passieren. Vielleicht würde das sogar schon reichen, also das ihr einer aus der Gruppe mal die Meinung sagt bzw die sich kontroverser austauschen. Aber ich finde auch die Idee gut, ein Korrektiv von außen in Form einer anderen Figur einzubinden.

Ganz herzlichen Dank Jimmy. War herausfordernd und nicht immer ganz schmerzfrei, aber ja, am Ende wars hilfreich! :)
Viele Grüße
Katta

 

Genau das ist ja immer die Frage bei den nicht so sympathischen Ich-Erzählern. Mein Plan war eigentlich eine Entwicklung darzustellen, von dieser arroganten und hochnäsigen Art und Weise hin zu der Erkenntnis: Ich bin auch nichts besseres.
Ich verstehe. Allerdings braucht ein solcher Erzähler eben immer auch wirkliche menschliche Momente, in denen er sympathisch wirkt und auch tatsächlich ist; ich ahne dann also, aha, diese unsympathische Art basiert auf etwas anderem, auf persönlichen Verfehlungen oder einer verfahrenen Lebenssituatiion, etwas das mich ihm gegenüber empathisch macht, mir beweist, er ist nicht ganz grundsätzlich so. Das lese ich hier nicht, oder für mein Empfinden sehr rudimentär; da haut die Erzählerin direkt am Anfang so rein, dass ich der eigentlich sofort einen sehr langsam Ertrinkungstod wünsche, um es mal etwas scherzhaft auszudrücken.
Was ich aber nicht verstehe, ist, was für Probleme andere Menschen nicht haben? Unglücklich zu sein? Etwas zu vermissen? Vom Leben gelangweilt zu sein oder sich darin festgefahren fühlen? Oder meinst du, dass das Polyding nun auch nicht die Antwort ist und die sich damit Probleme machen, die andere Leute nicht haben?
Ich denke, diese ganzen Dinge; offene Beziehung, Polyamorie, das ist etwas, dass nur in bestimmten Blasen aufzutauchen scheint. Das sind offensichtlich so Sachen, mit der sich nur einige Menschen zu beschäftigen scheinen. Ich werte das gar nicht, mir ist das nur aufgefallen; du nimmst eben dann in Kauf, das viele Leser erstmal nicht verstehen können, worum es eigentlich geht. Ist aber auch natürlich eine Chance für die Geschichte, dieses Potential zu entfalten und zu zeigen - so könnte das eventuell aussehen, wir wissen es nicht genau, es ist ein Experiment.

Wahrscheinlich sagt die Frau vom Eisenbieger: Oh Mann, ich wäre so gerne wieder in das Büro, die Gärtnerei, das Krankenhaus, die Schule, den Laden, den Kindergarten, die Fleischerei, das Kosmetikstudio oder wat immer du willst, gegangen.
Mir geht es eher um den Fakt, dass hier die Lohnarbeit, egal in welcher Form, als allererstes als eine Art Beweis für ein irgendwie gut oder richtig gestaltetes Leben erscheint. Arbeit scheint immanent wichtig für das Selbstwertgefühl zu sein, das ist einfach eine These, die ich mir so denke. Frauen kriegen Kinder, aber wollen dann umgehend wieder arbeiten, weil ... ja, was eigentlich? Sie sich dann nicht mehr so wichtig fühlen, oder nicht richtig ernst genommen, oder ihr eigenes Ansehen leidet, weil sie "nur" Hausfrauen sind? Ist auch ein bißchen, wie das in dem Absatz erzählt ist, da klebt immer ein Kind an ihr, als sei das etwas Aussätziges, Lästiges. Auch das mit dem eigenen Körper: ich verstehe es, wo du es nun schreibst, wie das gemeint ist. Es liest sich aber in dem ganzen Kontext sehr politisch, als würden sie da diesen Gleichberechtigungskampf ausführen müssen.
Wäre ja komisch, wenn nicht. Ich verstehe nicht, wie du darauf kommst, dass sie nicht zu ihren Entscheidungen stehen?
Ich denke mir immer, Menschen bekommen Kinder, und dann sind sie enttäuscht oder irgendwie entsetzt, was das mit ihrem eigenen Leben macht. Oh, ich habe keine Zeit mehr für mich und meinen Partner! Ja, so ist das eben, wenn man eine Familie gründet. Und dieses ständige Lamentieren und Beschweren darüber klingt in meinen Ohren halt schon wie Jammern auf extrem hohen Niveau; so kommt es in dem Text rüber.
Das Polyding ist dir aber irgendwie ein Dorn im Auge, wie mir scheint :silly:
Das ist mir prinzipiell egal, ich verstehe mich als libertär, da kann jeder machen, was er will. Allerdings ist die Ausgangslange dafür äußerst ungünstig, weil es für die Prot nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen gibt. Stell dir mal vor, sie hätte zwei Kinder und einen Ehemann, und das reicht ihr nicht, und sie stellt fest, vielleicht wäre dieses Modell etwas für sie; und dann bespricht sie das mit ihrem Mann und trifft mit ihm die Entscheidung, wir probieren das, oder wir probieren das eben nicht. Dann wäre auch eine Fallhöhe da, sie hat etwas zu verlieren, ihre Familie, einen Partner, Strukturen, Sicherheit, sie müsste abwägen, wieviel ist ihr das Experiment tatsächlich wert, kann sie dem Druck standhalten? So ist sie ein wenig ein Drifter, der nichts riskieren muss, so wirklich, im besten Fall kriegt sie, was sie will, im schlechtesten Fall hat sie nur eine schlechte Erfahrung mehr. Das ist ein wenig eine erhöhte Position unter den Figuren, die sie allerdings als einzige in der Geschichte hat; jeder andere hätte mehr zu verlieren, oder?
Man liest in den Text rein und weiß schon, was man kriegen wird. Ist das was schlechtes? Z
Das würde ich pauschal nicht so sagen. Ich mag organisch wachsende Texte, die keinerlei Twists haben oder sich um Spannungselemente bemühen. Hier ist es aber so, dass ich auch irgendwie ahne, wie alles passieren wird. Ich kann das nur unzureichend beschreiben, aber es ist so ein Gefühl beim Lesen, dass sich allmählich einstellt, und das bin wahrscheinlich nur ich, aber ich denke dann, okay, das ist abgehakt, das ist abgehakt, das sind so Plotpoints, Rückkehr in die Provinz, Heimat, Freundin, und das fügt sich auch alles in so ein Muster, da sträubt sich nichts, es passiert alles so, wie es eben passieren muss. Was wäre, wenn die alte Freundin direkt im zweiten Absatz sagt: Hör mal zu, du hochnäsige Tusse, verpiss dich einfach, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben? Das restliche Personal und eben auch das ganze Setting wirkt wie ein einzige große Erfüllungsgehilfe für die Protagonistin; sie findet sich am gedeckten Tisch wieder und das große Mahl kann beginnen. Man kann es so machen, dass du den Leser erstmal auf eine vertraute Bahn reinziehst, ihn einlullst und dann gezielt die Erwartung unterläufst; das muss gar nicht unorganisch oder krass sein, aber man spürt, da vibriert noch etwas.
Auch das war Teil des Konzepts. Also ich wollte so ein Geflecht darstellen, in das man eingebunden ist, ins früher und heute, in verschiedene Orte, verschiedene Rollen usw.
Ich verstehe. Ich finde, wenn ich selber schreibe, dann ist es ähnlich: I aim big. 400 Seiten! Dann ende ich immer bei 190 und ich sehe meinen Lektor vor mir, der mahnend den Zeigefinger erhebt; nicht noch mehr rausdampfen! Warum ist das so? Weil sich, für mich jedenfalls, in einer Geschichte irgendwann ein Thema herauskristallisiert, und dafür hast du schon den entsprechenden Träger, den Protagonisten, und man spürt das regelrecht, für den ist der Text eigentlich geschrieben, der ist der Motor, alles andere wirkt schnell wie Ballast. Man muss sich dann (also ich tue das so!) fragen, warum ist dieser andere Charakter eigentlich in der Geschichte? Was macht der? Hat der nur eine Aufgabe? Im richtigen Moment etwas zu sagen? Das ist fürchterlich komplex und mir gelingt das selbst nur seltenst, aber ich versuche, einen Text so zu konzipieren, dass die Charaktere eigenständig agieren könnten!, und nicht nur erdachtes Personal sind, um das Thema herauszuarbeiten, kurz den Mentor zu spielen, also offensichtliche Konstruktionen sind.

Was mir dabei grundsätzlich hilft, auch und gerade bei längeren Texten: Orphan, Wanderer, Warrior, Martyr. Das sind so die Grundschemata, die ein Protagonist sehr oft durchläuft in der Literatur, da gibt es tausend Abwandlungen, es ist auch manchmal deckungsgleich mit der Heldenreise, aber es ist etwas, was du auf einen Charakter fokussierst. In einem Roman sagt man ja, dass ist die Gattung, die alle anderen in sich aufnimmt, wenn du hier 50 000 Wörter geschrieben hättest und es da noch Subplots gibt, wäre das vielleicht eher nachvollziehbar, weil man dann sagen könnte, okay, es gehört zu diesem Gesamtsystem. Hier liest sich das manchmal wie ein Rhizom, wo ich aber die Wurzel vergesse, um wen geht es hier eigentlich genau? Na ja, das sind so meine Gedanken. Ist jedenfalls ein anspruchsvolles Unterfangen, und ich wünsche dir weiterhin gutes Gelingen damit, ist viel Arbeit drin und wird auch sicherlich noch viel Arbeit machen.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Katta , Glückwunsch zur Empfehlung! Es gab ja schon einige Menschen, die deinen Text sehr mochten und ihn geschätzt haben. Jeder hat eben so seinen eigenen Blick auf Geschriebenes. Mein Eindruck von Elena: Ein Mensch ohne Probleme. Da sind die paar Begleitsorgen des Lebens, das Gefühl der Enge und immer und immer wieder lese ich, wie sie das berichtet, diese Enge in Hamburg, die Überraschung einer lebendigen Wahrhaftigkeit in Kudrow Siedlung, das Gefühl, die Welt bezwungen zu haben. Aber ihr Umgang mit ihren Problemen wird nie existenziell. Sie hat gelernt, mit der Enge zu leben. Affäre mit Thomas, gelegentliches Weinen. Ja gut, so lebt der Mensch eben. Jede Bilanz, die Elena über ihr Leben zieht, wird positiv ausfallen. Sie erzeugt Probleme, vielleicht braucht ihre Psyche das, um im Spiegelbild der erzeugten Probleme ihren eigenen Erfolg zu erkennen. Am Ende bleibt satte Zufriedenheit: Ich habe die Welt bezwungen. Ich, Elena. Ich bewundere mich selbst.

Hamburg war größer, aber die Enge in der Brust war dieselbe. Obwohl ich immer öfter nach einer neuen, besseren Stelle suchte, war mir klar, dass auch die mir keine Erlösung bringen würde.
Hier zieht sie eine Bilanz. Hier ordnet Elena ein. Aber ist es wirklich dieses Einordnen, das deinen Charakter erzählenswert macht? Andere sagen ja, was sich an den guten Reaktionen zu deiner Geschichte ablesen lässt. Ich sehe das anders, subjektiv eben anders. Wie zeigt sich diese Enge, die sie in Hamburg fühlt? Warum treibt sie dieses Gefühl an? Warum berichtet Elena immer und immer wieder von großen, zusammenfassenden Erinnerungen über ganze Lebensabschnitte? Wann fühlte Elena dieses Gefühl der Enge?
Ich blinkte, bog in die schmale Auffahrt ein und fuhr durch den Schatten des Walnussbaums auf den sonnigen Hinterhof. Als Kind hatte ich hier mit meinen Freundinnen gespielt. Zwischen Metallpfosten hatten Wäscheleinen gehangen und wenn wir zwischen der frisch gewaschenen Wäsche herumrannten, hatte die alte Frau Ruprecht aus ihrem Fenster im Hochparterre gebrüllt: „Dunnerslag noch mal to, nu is aver Fieravend!“ Nach der Wende waren die Wäscheleinen durch fünf Parkplätze ersetzt worden. Ich parkte auf dem Stellplatz mit der Nummer Vier, nahm den Rollkoffer aus dem Kofferraum und klingelte an der Haustür. Es summte und ich betrat das kühle Treppenhaus. Der Boden war mit Linoleum belegt, Stäbchenparkettoptik. Es roch nach meiner Kindheit in diesem Treppenhaus: nach gekochten Kartoffeln, nach Muff und Enge.
Ich frage mich, welches Thema und welche Stimmung dein Text beschreiben bzw. erzeugen möchte. Für mich scheinen Themen wie Vergänglichkeit, Rückblick und Einordnen vergangener Erinnerungen, Ausbruch, Stadt-Land-Gegensatz, aber auch verpasste Chancen eine große Rolle zu spielen. Das sind sehr emotionale Themen. Oben beschreibst du die Rückkehr von Elena in ihr Heimatdorf. Ja, so stellt man sich eine Rückkehr eben vor, irgendwas aus der Kindheit ist durch was anderes ersetzt worden, man erinnert sich immer an eine alte Frau am Küchenfenster und das Treppenhaus riecht immer nach Kartoffeln, Muff und Enge. Ehrlich gesagt lese ich überhaupt nichts von Elena sondern nur über Elena. Anders gesagt: Jedes Ich könntest du problemlos durch Er oder Sie ersetzen und dein Text würde sich nicht verändern. Die Frage ist ja: Was ist denn das, was Elenas Blick auf die Welt erzählenswert macht? Was ist das Besondere einer Elena Schneider?

Vergänglichkeit zeigt sich nicht nur durch das, was ersetzt worden ist, sondern durch das, was vergessen wurde. Die Wäscheleinen zum Beispiel: Warum bleiben die nicht einfach stehen? Die Bewohner haben sich Wäschetrockner geleistet. Aber man hat sich an die Wäscheleinen gewöhnt, sie standen ja schon immer da. Verschwundene Länder bleiben in Küchenschubladen, Reparaturschuppen und Garagen länger erhalten als in Recht, Gesetz und Ordnung. Ich glaube, dein Text könnte dichter werden, wenn sich Elenas Blick auf jene Details des Vergänglichen konzentriert, die ihre Sicht auf die Welt von der der anderen unterscheidbar macht.

Am Abend nahm ich nicht das Rad, sondern ging zu Fuß zum Belling. Die Einladung zum dreißigjährigen Klassentreffen hatten sie mir in mein Büro an der Uni Hamburg geschickt. Im Gegensatz zur letzten Einladung war sie nicht gleich im Papierkorb gelandet.
Das ist kein Elena-Satz, das ist Katta, die vor die Bühne tritt und dem Zuschauer erklärt, warum sie ins Belling geht und was ihr sozioökonomischer Background ist. Der Satz ordnet ein. Vielleicht kann man das etwas geschickter, schwächer verpacken. Was hat sich denn seit der letzten Einladung geändert? Irgendwas muss ja Elena motiviert haben, die Einladung doch anzunehmen. Ich bin jetzt ganz mutig und behaupte, dass Elenas Background - Professorin, Uni Hamburg, Büro - mit einem einzigen Satz im Dialog abgehandelt werden könnte.
Ich dachte: Du denkst von der Stirn bis zum Tellerrand, weiter nicht. Wie kannst du dich so leicht zufrieden geben? Schau dir die Welt doch an, wie groß und vielfältig sie ist, und du versauerst in Kudrow und machst eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Zur Zahnarzthelferin!
Hier öffnet sich aber ein neues Thema, meiner Meinung nach, denn hier wertet Elena über Lebensentscheidungen anderer Menschen, die große offene Welt vs. das kleine geschlossene Landdorf. Aber dass die Universität, die Vereinigten Staaten und dimensionslose Quantenteilchen offene, freie, spannende Welt bedeuten, ist ja Elenas Interpretation; andere Menschen machen vielleicht die gegenteilige Erfahrung oder empfinden das anders. Ist natürlich kein neues Thema, kein neuer Konflikt, Stadt vs. Land.
Nach dem Physikstudium schrieb ich meine Doktorarbeit; fürs Militär wollte ich jedenfalls nicht arbeiten. Ich zog nach Göttingen dafür, arbeitete viel, schloss neue Freundschaften und traf einen Mann, der mich nachts wärmte. Nach der Promotion bekam ich eine Postdoktoratsstelle an der Caltec in Kalifornien und war mir sicher, dass ich zu Großem bestimmt war. Ich zog in die USA und arbeitete so viel, dass ich von Kalifornien wenig sah, freundete mich mit den neuen Kollegen an und verbrachte die Nächte mit einem Postdoktoranden aus Schweden. Nach zwanzig Monaten ging ich als Research Fellow ans CERN. Es war in der Schweiz, als mir klar wurde, dass es keinen Menschen gab, der mir wirklich wichtig war, dass alle meine Freunde austauschbar und nicht mehr als Reisebegleitungen waren. Ich genoss unsere gemeinsame Zeit, hatte Spaß und lachte mit ihnen, führte erkenntnisreiche Gespräche, lernte dazu, aber vermisste niemanden.
Ich habilitierte am KIT in Karlsruhe, bekam eine Stelle als Wissenschaftliche Leitung und Privatdozentin an der Universität Hamburg und wurde dort schließlich auf den Lehrstuhl für Astroteilchenphysik berufen. Auf dem saß ich jetzt fest, 48 Jahre alt.
Eigentlich schade, dass sie nicht fürs Militär arbeitet. Warum eigentlich nicht? Ja klar, sie ist ein guter Mensch und gute Menschen machen das nicht. Aber an solchen Punkten beginnen Stories: Das Militär bietet Karriere. Oder das Projekt, an dem sie arbeitet, wird für irgendwas militärisches genutzt, aber das stellt sie später erst fest. Ich weiß, hier entsteht eine andere Geschichte.

Der zweite fette Satz: Schade, dass ihr das klar wird. Schade, dass sie dieses Gefühl überhaupt in Worte fassen kann. Es wurde mir klar, das ist ein Rückschausatz, der die Vergangenheit bewältigt hat.

Wir schlossen unsere Räder aneinander und gingen durch die Dünen an den Strand. Hier war es ruhiger als in Kudrow.
Kudrow liegt an der mecklenburgischen Ostsee. Da sehe ich: Strand, angenehme Brise, ein mildes Meer, das leicht nach Salz liegt, marinblaue Streifen auf weißen Klamotten. Aber "Meer", das hat etwas melancholisches, etwas übergreifendes an sich, das über die eigene Szene hinausgreift, am Meer gewinnt der eigene Gedanke über das Leben eine größere, tiefere Bedeutung. Vielleicht, weil das Meer in seiner riesigen Gleichheit die Erhabenheit vor dem Leben spüren lässt, man wird klein und das ist gut. Subjektiv: Warum die Ostsee? Warum spielt die Geschichte nicht in Schwedt an der Ölpipeline? Oder irgendwo in Brandenburg?

Liebe Katta, ich glaube, ich bin kein Leser für deine Geschichte. Mir fehlt das Erzählenswerte einer Elena Schneider. Mir fehlte ein bisschen ihren besonderen Blick auf die Welt. Ich hoffe, ich war nicht zu kritisch.

kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

@alle: Tut mir leid, dass ich momentan so lange für meine Antworten brauche.

Hallo @Detlev,

Wäre ich Admin, ich würde die Geschichte als Lesetipp vorschlagen.
Hehe, da hast du wohl dann herausgefunden, wie das geht. Jedenfalls an dieser Stelle auch noch mal vielen Dank fürs Empfehlen. Es freut mich, dass du mit dem Text so viel anfangen kannst, dass er dich so erreicht hat und nicht alles krumm und schief an ihm ist und er für manche auch funktioniert. Auch wenn es kritische Anmerkungen gibt (die auch hilfreich und motivierend sind), ist es genauso hilfreich und motivierend, einfach mal uneingeschränkt positives Feedback zu lesen.

Viele Grüße
Katta

vielen Dank für deine Geschichte, sie hat mir sehr gut gefallen!
Vielen Dank! Das freut mich!

Ein bisschen ist mir Elena hier auch unsympathisch, aber mich interessiert viel mehr, wie sie zu der Ansicht gekommen ist, so über das Leben ihre Freundin zu denken.
Ja, das darf sie auch sein, soll sie auch sein. Sie sollte aber nicht nur unsympathisch sein, sie sollte sich auch entwickeln, sie sollte vor allem ein Mensch sein, halt einer mit Schwächen ;-)

War das früher so üblich? Ohne Promotion als Physiker/in zum Militär? Bin da gestolpert...
Ja, da hatte Seth auch was zu gesagt. Das überarbeite ich sicher noch mal.

Aber das alles heilt diese Schieflage nicht <--- Das schreibe ich jetzt natürlich nachdem ich die ganze Geschichte kenne, aber in dem zitierten Textabschnitt werden so die ersten Erklärungen gegeben, die für mich zu diesem Bild geführt haben. Gleichzeitig finde ich den Wunsch auch egoistisch --> Sie braucht eine Freundin, ihr Leben ist verdreht, deshalb eine uralte Freundschaft kitten.
Ja, ich will da überall noch mal nachjustieren.
ist mal einen Moment im Moment. Und spürt ihn. Aber für mich schwingt auch ein bisschen Verzweiflung mit.
Ja, genau.

Müsste es hier nicht "sein würde" heißen und dann auch "was es zu erreichen gäbe"? Also lese es so aus der Sicht des zwanzigjährigen Ichs.
Ich schau mal, ob Friedel das in seinem Post auch angemerkt hat, ich würde jetzt erstmal sagen, dass das so richtig ist. Also dass auch "sollte" geht und dass das "gibt" korrekt ist, weil das ja nicht nur hypothetisch ist, sondern etwas ist, dass erreicht werden kann. Aber das ist jetzt auch eher ein Gefühl ;)

Für mich beißen sich aber diese beiden Aussagen: "...schien mir das Leben wahrhaftiger zu sein als jemals in Hamburg." und "War unter der verschiedenartigen Oberfläche die gleiche alltägliche Existenz." Beim ersten Satz denke ich sie beneidet diese Wahrhaftigkeit, die sie nicht kennt. Der zweite bezieht sich dann auf das Schweigen, etwas Negatives, dass sich in ihre Leben geschlichen hat, wie das Schweigen bei ihren Eltern zuhause. Dann kommt die Frage, ob ihr Leben eine Kopie des Elternlebens ist. Also ist das Leben der Eltern nun wahrhaftig (und somit irgendwie auch satt) oder fahl, schweigsam und bedeutungslos?
Ich denke, ich weiß, was du meinst. Da muss ich noch mal drüber nachdenken, wie ich vielleicht klarer machen kann, worum es mir geht. Auch über das Schweigen vs. Leere, da will ich es dann noch einmal anders formulieren. In dem Moment findet sie das Leben ihrer Eltern ehrlicher, die versuchen nicht, etwas zu sein, was sie nicht sind. Das ist schon was, was sie probiert hat, alles hinter sich zu lassen, jemand anderer zu sein auch, und irgendwie hats ja auch funktioniert, aber eben nur auf einer oberflächlichen Ebene. Unten drunter, unter dieser glänzenden Schale, ist halt Alltag wie bei allen anderen Menschen auch. Man isst und verdaut, schläft und arbeitet und kocht seinen Kaffee mit Wasser ;-)

"Schweigen" bezogen auf ihr eigenes Leben passt für mich auch nicht richtig, ich denke es soll eher Leere sein, die sich in ihr Leben geschlichen hat, trotz der ganzen Action?
Ja, siehe oben

Das Herzchen mit "A + E" war mir irgendwie zu viel - es war für mich auch unpassend an der Stelle. Also so ein bisschen vom Himmel gefallen.
ok, muss ich später, mit ein bisschen Abstand noch mal drauf schauen. Nehm ich aber mit.

vielleicht "bot mir eine Scheibe XY an" finde das "schmierte" so Mama-Like
Auch das :D

Ich bin so in der Story eingenordet, dass Elena Alex beweisen möchte, dass sie es ernst meint, dass sie eine Freundschaft "wiederbeleben" möchte und da finde ich dann so ein hartes Zweifeln (und potentiell das Vorhaben "wir wollen Alex zurück" abbrechen) nach gefühlten zwei Tagen und wegen eines von außen beobachteten Streits irgendwie too much.
Stimme dir zu. Das ist ein wenig vom Zaun gebrochen aus dramaturgischen Gründen. Das war auch schon beim Einstellen eine Stelle mit der ich nicht zufrieden war und da will ich auch noch mal ran.

Elena schwimmt natürlich raus, so wie sie in die Welt geht. Alex bleibt "kleben". Irgendwie paradox, dass beide trotzdem irgendwie ein ähnliches Problem haben und sie gefangen sind. Die eine, Elena, in sich selbst, Alex durch die äußeren Gegebenheiten
Finde schön, dass du es so liest.

Ich lese das so, dass sie auch Angst vor dieser Nähe hat und solche Empfindungen für gewöhnlich nicht zulässt, sich eher in Arbeit und "Tun" stürzt.
Ich denke auch, dass das Tun und die Arbeit viel mit Vermeidung von Nähe und ernsthaften Beziehungen zu tun haben.

Ich kaufe das auch einer Professorin ab, die 48 Jahre alt ist. Ich lese das Verhalten in dieser Geschichte auch nicht als ihr Standardverhalten, sondern als etwas, dass durch das Klassentreffen und die Erinnerung an die Jugend getriggert wird
Ich bin froh, dass es für manche dann doch funktioniert.

Das Kernproblem ist für mich hier Elenas Lebenssituation und ich lese da einen großen Leidensdruck raus. Sie ist ja überhaupt nicht mehr zufrieden und schält Stück für Stück raus, was alles schiefgelaufen ist in ihrem Leben. Und da steht dann sehr viel auf dem Spiel, wenn man mit 48 merkt, dass man ein Leben führt, dass man so nicht führen will.
Ja genau. Ich denke aber, auch das war schon so eine Ahnung beim Einstellen, dass sie viel mehr schwitzen und arbeiten muss, um das zu erreichen. Es ist viel zu leicht für sie. Sie kriegt es quasi geschenkt, darum kann es, glaube ich nicht wirklich nachhaltig wirken ...

Manche Gedanken fand ich im ersten Ansatz auch unsympathisch oder hart, aber es gab auch immer wieder eine Stelle, an der ich das Gefühl hatte, die Figur reflektiert das jetzt oder stellt fest, dass da etwas schief läuft, sie übers Ziel hinausgeschossen ist etc. Ich finde auch nicht, dass die Eltern z. B. als tumbe Trottel dastehen, sondern denke Elena begreift irgendwann, dass die Eltern womöglich viel reicher sind als sie selbst - die ja nichts hat außer portionierte Freunde, Erfolge, Paper schreiben aber gleichzeitig noch verlorenes Interesse an "echter" Forschung.
Ja so war es von mir gedacht. Ich habe aber mittlerweile auch erkannt, dass Reflektion alleine nicht reicht, in der Geschichte muss ersichtlich werden, dass sie auch wirklich etwas tut, dass der Leser sehen und nicht nur hören kann, dass sie sich ändert. Das ist ja auch im realen Leben so. Wenn mir jemand sagt, das war nicht richtig und das auch nicht, es dann aber doch immer wieder so macht, sind es nichts als warme Worte, die ich kriege. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Und ich möchte auch sehen, wann Alex früher schon mal Thema war.
[...]
So oder so lese ich es egoistisch (Freundschaft wiederbeleben) und damit ich das Elena als Leserin durchgehen lasse, muss ich dann mehr greifen können, was für sie da dran hängt an dieser Freundschaft. Wieso Alex? Wieso das wieder aufwärmen?
[...]
Gleiches gilt auch für Alex.
Ja, stimme dir zu.

Vielleicht lese ich ja auch etwas raus, was nicht geplant war, lese zu viel "Probleme und Leidensdruck" in Elena, aber für mich hat das gepasst.
Super.

Ich glaube irgendwie nicht, dass die Beziehung ihr die Wahrhaftigkeit schenkt, die sie sucht - oder vielleicht doch? Vielleicht ist das der Katalysator und sie spürt sich wieder, das Schweigen verschwindet allmählich aus ihrem Leben... any plans für eine Fortsetzung?
Hach, ich muss noch mal überlegen, was ich mit dem Text jetzt mache. Ich würde gerne noch mehr zeigen. Die Reflektionsebene soll schon bleiben, das war eine Sache, die ich hier üben wollte, aber die Verhaltensebene soll mehr dazu kommen. Dann wird es aber wohl noch länger. Ich weiß auch nicht, ob ich mir darüber überhaupt Gedanken machen sollte, aber wenn ich hier was einstelle, darf es natürlich auch nicht zu lang sein. Momentan würde ich auch denken, dass sie nicht findet, was sie sucht, genau wie du. Und ich glaube, dass ist ein Zeichen dafür, dass mir nicht richtig gelungen ist, ihre Entwicklung zu zeigen. Es gibt zwar Ansätze, die bleiben aber auf Reflektionsebene stecken. Also mal schauen ...

Jedenfalls vielen Dank, Marla, für deinen Kommentar. Ich bin jetzt nicht auf alles eingegangen, vor allem nicht auf viele Sachen, die ich dann auch mit in die Überarbeitung nehme, da hätte ich dann immer nur geschrieben: Nehme ich mit! Ich brauche noch mal ein bisschen Abstand zum Text. Die Fehler, die du aufgelistet hast, werde ich aber noch korrigieren.
Viele Grüße
Katta

 

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