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Hirnstoffwechsel

Wortkrieger-Team
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09.12.2016
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Hirnstoffwechsel

Ich zerrte meinen Koffer aus dem Bus und sah mich nach einer Riksha um, aber es gab keine. Über der leeren Dorfstraße brütete die Mittagshitze. Während ich überlegte, wen ich nach einer Unterkunft fragen sollte, hörte ich den Bus davonrumpeln und war kurz davor, ihm hinterherzujagen. Selbst ein Stehplatz schien mir verlockender, als allein durch dieses abgelegene indische Dorf zu stolpern. Aber genau das hatte ich ja gewollt. Einen Ort, an dem ich ungestört schreiben konnte.
Ich zog den Haltegriff aus dem Koffer, rollte ihn hinter mir her die Straße hinunter und warf einen flüchtigen Blick auf das Gebirgspanorama. Das Röhren des angeschlagenen Busmotors wurde leiser.
Ein Gemischtwarenladen, eine Bäckerei, eine Werkstatt. Alle geschlossen. Keines der kommenden Häuser sah nach einem Hotel aus. Ich beschleunigte meinen Schritt. Der Typ im Reisebüro in Delhi hatte gesagt, dass es hier eine Pension gäbe. Meine Finger krallten sich fester um den Griff, bis ich schließlich stehen blieb. Der Ort war zu Ende.
Ich sah die Landstraße hinunter und zwang mich, ruhig zu atmen, als mein Blick auf ein kleines Holzschild am Straßenrand fiel. Rams Familiengästehaus, las ich. Darüber war ein Pfeil gezeichnet, der auf eine Seitenstraße zeigte. Sie schlängelte sich steil einen Berg hinauf. Irgendwo bellte ein Hund.
Während ich losmarschierte, dachte ich an die Kollegen aus der Verwaltung bei Lebensfroh-Versicherungen und versuchte, mir ihre Gesichter vorzustellen. Es gelang mir nicht. Zehn Jahre. Arbeiten. Schlafen. Arbeiten. Bis ich nicht mehr konnte. Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt.
Ich kickte einen Kieselstein zur Seite und ging schneller. Endlich Ruhe. Endlich das tun, was ich schon immer machen wollte. Ausspannen, meditieren, schreiben.
Nach einer Weile blieb ich keuchend stehen. Der Schweiß strömte mir übers Gesicht, und das Blut rauschte in meinen Ohren. Bisher war ich nur an ein paar Bauernhäusern vorbeigekommen. Ich trank die lauwarme Wasserflasche fast leer, blinzelte in die Landschaft und ärgerte mich, dass ich keine Sonnenbrille dabeihatte. Unverschämt grün thronte der Himalaya über dem staubigen Tal. So grün, als wollte er es verspotten. Ich atmete einmal tief durch. Es roch nach Kuhfladen und Kiefernnadeln. Der Koffer nervte. Hätte ich doch lieber einen Rucksack mitnehmen sollen? Nein, irgendwie war ich aus dem Alter raus.
Das Haus tauchte direkt in der Kurve vor mir auf. Es war einstöckig und hatte eine schmutzig-weiße Fassade. Nur die Türen waren gestrichen worden, sie leuchteten blauer als der Himmel.
„Du haben große Tasche!“, rief mir eine füllige Bauersfrau mit schiefen Zähnen zu, die vor einem der beiden Erdgeschossräume auf einem Plastikstuhl saß. Ich lachte.
„Na ja, soll ja auch für ein halbes Jahr reichen“, sagte ich und fragte nach einem Zimmer.
Die Frau lächelte mich breit an, zog ihre enge Strickjacke fester um sich und erhob sich schwerfällig. Dann gab sie mir ein Zeichen, ihr die Außentreppe hinauf zu folgen, die zu einem weiteren Zimmer im ersten Stock führte. Ich stellte meinen Koffer ab und folgte ihr.
Eigentlich wäre alles voll, meinte sie. Es würden nur die unteren Räume vermietet, einer wäre besetzt, und in dem anderen hätte jemand noch Gepäck stehen, der vor einer Woche in die nächst größere Stadt verschwunden war. Sie drückte die Tür auf und winkte mich hinein. „Hier du können bleiben.“
Ich sah mich in dem Raum um. Ein Privatschlafzimmer. Über dem breiten Bett hing das gerahmte Schwarzweiß-Porträt eines jungen Mannes mit Afro und vollen Lippen, vom Sofa glotzten mich mindestens ein Dutzend Stofftiere an.
„Mein Name Vimla“, sagte die Frau. „Dein Name?“
„Alice.“
„Schöner Name. Wo du herkommen?“
„Aus Deutschland … äh … Hamburg?“
„Du verheiratet?“
„Nein.“
„Gut!“ Sie hielt den Daumen hoch. Ich lachte, handelte den Preis für das Zimmer aus und holte mein Gepäck.
„Essen extra“, sagte Vimla, als ich zurückkam. „Ich kochen. Du geben, was du wollen.“ Sie zeigte auf die Wand zum Nachbarhaus und erklärte, dass da die Familie wohne. Dann ließ sie mich allein.

Einen Moment lang blieb ich im Raum stehen und kam mir vor wie ein Einbrecher zwischen all dem fremden Kram. Mein Blick fiel auf das Porträt. Der junge Mann schaute rebellisch und gleichzeitig sanft in die Kamera. Er erinnerte mich an die Anarchisten, für die ich als Teenager geschwärmt hatte. Ich ging näher an das Bild heran. Ram stand darunter. Vor dem Fenster brummte eine Fliege. Draußen fuhren Kinder mit Holzbrettern auf Rädern die Straße hinunter.
Ich setzte mich so vorsichtig aufs Bett, als sollte niemand merken, dass ich da wäre. Die Minuten verstrichen. Dann stand ich mit einem Ruck auf, schob die Stofftiere in eine Ecke, verteilte meine Klamotten auf dem Sofa und schnappte mir Ringbuch und Stift. Über den Himalaya wollte ich schreiben, den Einfluss seiner Sagen und Mythen auf die Kultur. Material hatte ich schon genug gesammelt, aber die spezielle Atmosphäre konnte ich nur vor Ort erfahren. Ich öffnete die Tür, setzte mich auf die Schwelle und betrachtete die Berge.
Der Himalaya ist ... begann ich und kaute am Stift. Unten hockte ein junger Inder auf einer kleinen Mauer, die das erste Zimmer von der Straße trennte. Er war westlich gekleidet, mit Jeans und einem roten weiten T-Shirt. Seine helle Haut, das schulterlange Haar und die spitze Nase ließen mich vermuten, dass er Student war. Ich klopfte mit dem Stift aufs Papier. Dann starrte ich die Berge an, als würde mir jemand ein Foto vor die Nase halten, das ich unbedingt gut finden sollte.
Der Himalaya ist ... Über den Bergwipfeln zogen Wolken auf. Unten hielt ein weißer Roller und ein kleiner, gedrungener Typ in weißer Kurta und Hose stieg ab. Ich schätzte ihn etwas älter als mich, etwa Mitte vierzig. Er blickte geschäftig umher, redete mit dem jungen Mann, der reglos vor sich hinstarrte, und sah dann zu mir nach oben. Ich klopfte weiter mit dem Stift aufs Blatt und nickte ihm freundlich zu. Er nickte zurück und winkte mich mit einem glatten Lächeln hinunter.

Als ich unten ankam, lief er sofort auf mich zu. „Ram.“ Er streckte mir seine Hand entgegen.
Ich zögerte kurz, bevor ich sie ergriff. Das war Ram? Der Typ auf dem Bild?
„Alice … Du bist also der Besitzer hier?“
„Oh nein, nein. Der Besitzer ist Gott.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und schielte zu dem jungen Mann hinüber. Vimla rief nach Ram. Als er Richtung Haus wieselte, blickte ich ihm nach. Von dem Mann auf dem Bild war nichts mehr übriggeblieben. Ich fragte mich, ob die Leute das auch über mich dachten, wenn sie ein altes Foto von mir sahen.
„Gehörst du zur Familie?“, fragte ich den Unbekannten auf der Mauer.
„Nein. Ich bin hier auch Gast“, sagte er, ohne mich anzusehen.
„Und wo kommst du her?“
„Delhi.“
„Oh, okay. Ich heiße Alice.“
„Vijay."
Ende der Konversation.

Bei Einbruch der Dunkelheit ging ich ins Familienhaus zum Abendessen. Der Speiseraum war ein Holzverschlag auf dem Flachdach der Küche und grenzte an eine Kammer, in der Vimla und Ram schliefen. Ich kletterte die Stiege zur Dachluke hoch und kam in einen niedrigen Raum mit einem kleinen, verrosteten Ofen in der Mitte. Auf dem Boden lagen Teppiche, an den Wänden Matratzen. Ram saß auf einer von ihnen und hielt den Blick auf einen großen Fernseher gerichtet, der am Ende des Raumes zwischen zwei Plüschgiraffen stand. Ihre Hälse reichten bis zum oberen Bildschirmrand. Vijay hing ein paar Matratzen weiter in den Kissen und betrachtete seine Fingernägel. Ich stakste auf den Platz ihm gegenüber zu, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und setzte mich schnell hin.
Vimlas im Nacken zusammengeknotetes Kopftuch erschien in der Dachluke. Sie trug einen großen Topf mit gerußtem Boden und drei Plastikteller, die sie kurz darauf randvoll mit Reis und Linsen füllte. Den ersten gab sie ihrem Mann, die anderen beiden Vijay und mir. Dann setzte sie sich in eine Ecke, zupfte sich die Pumphose zurecht und beobachtete mich. Ram sprach das Tischgebet.

Als ich den Teller halb geleert hatte, sah er immer noch voll aus. Ich legte den Löffel zur Seite und spähte in die Runde. Vijay und Ram schoben sich das Essen geschickt mit den Fingern in den Mund, Vimla verscheuchte eine Fliege und starrte mich nach wie vor an.
„Isst du nichts?“, fragte ich.
Sie lächelte mir zu.
„Sie isst später unten in der Küche“, sagte Ram in väterlichem Ton und wandte sich wieder dem Programm zu.
Obwohl bereits der Reis in meinem Magen aufging, beugte ich mich wieder über meinen Teller und schaufelte mir das Essen bis zum letzten Bissen rein. Wenn die arme Frau schon in die Küche verbannt wurde, sollte sie wenigstens stolz auf ihre Kochkünste sein.
Vimla griff nach dem Topf und steuerte mit leuchtenden Augen auf mich zu. Ich winkte ab.
„Du hast doch einen kräftigen Körper, warum isst du nicht“, sagte Ram.
Ich lehnte abermals ab.
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er.
„Neununddreißig.“
„Fast vierzig, aha, aha. Du erinnerst mich an eine Tante von mir. Dasselbe Gesicht, die Haare hat sie auch immer aufgesteckt und ein bisschen fett ist sie auch.“
Ich schnappte innerlich nach Luft. Hatte ich jetzt richtig gehört? Bevor mir eine passende Antwort einfiel, stellte er schon die nächste Frage.
„Hast du Kinder?“
Ich schüttelte den Kopf. Vimla warf mir einen mitfühlenden Blick zu.
„Was? Neununddreißig und keine Kinder?“ Ram lachte. „Was machst du denn dann den ganzen Tag? Meine Tochter ist zwanzig Jahre jünger als du und im neunten Monat schwanger. Wenn die in deinem Alter ist, habe ich mindestens fünf Enkel.“
Ich zog die Mundwinkel auseinander und nickte.
„Danke fürs Essen, es war wirklich sehr gut“, sagte ich, stand etwas zögernd auf und sah zu Vijay hinüber, aber der betrachtete seine Fingernägel.

„Chai?“, rief Vimla, als ich mich am nächsten Morgen mit meinem Ringbuch in den Türrahmen hockte.
„Nein. Später“, sagte ich. Ihr Lächeln erlosch.

Drei Stunden später hatte ich fünf Sätze geschrieben, von denen ich vier wieder strich. Dann sank meine mühsam aufrecht erhaltene Laune in den Keller.
Vijay schlich unten herum, die Haare standen ihm zu Berge. Nach einer Weile hörte ich, wie er seine Zimmertür abschloss. Er hängte sich eine Stofftasche über die Schulter, sah zu mir hoch und schien tatsächlich zu lächeln.
„Ich geh runter ins Dorf. Wie sieht‘s mit Mittagessen aus?“
Ich schüttelte den Kopf.
Er sah mich forschend an. „Soll ich dir Schokolade mitbringen?“
Ich nickte.

Als Vijay eine Stunde später zurückkam, zerknüllte ich das Blatt. Er kam zu mir nach oben, gab mir ein KitKat und warf einen Blick auf mein leeres Ringbuch.
„Schreibst du?“
„Ich versuche es.“
„Manchmal klappt es einfach nicht. Egal, wie sehr man sich bemüht.“
„Hm. Stimmt. Vielleicht sollte ich einfach warten, bis mir was einfällt. Unter Druck setzen bringt eh nichts."
„Außer, du hast 'ne Deadline. Morgens tritt Narendra Modi zurück, und nachmittags musst du den Text fertig haben. Inklusive Analyse und Prognose."
Ich hob den Kopf und sah ihn an.
Er lächelte. „Standardübung bei uns an der Uni."
Wieder sah er auf mein Buch, warf mir einen aufmunternden Blick zu und sprang die Treppe hinunter, die flachen Hände in den Hosentaschen. Er setzte sich im Schneidersitz auf die Mauer und begann, in seinem Schoß einen Joint zu bauen.
Ich legte das Buch weg und trat hinaus auf die Treppe. Die Sonne stand hoch, die Luft klebte. Wolken schoben sich über die Wipfel.
„Möchtest du?“ Vijay hielt den fertigen Joint hoch. Grinsend zog ich die Tür hinter mir zu und lief zu ihm hinunter. Ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekifft, und nach ein paar Zügen merkte ich, wie sich meine Glieder entspannten. Es schien doch noch ein guter Tag zu werden.
„Was machst du denn, wenn dir nichts einfällt?“, fragte ich, während ich eine Regenwolke beobachtete. Sie waberte auf einen Bergwipfel zu und lullte ihn ein, bis er verschwand.
„Na ja, das hast du ja gestern gesehen“, sagte Vijay und lachte. „Aber heute geht's mir schon besser. Ich habe das hier.“ Er hielt mir den Joint hin. Ich lachte. Dann fiel mein Blick auf das Türschloss vor dem Raum neben seinem.
„Der Typ scheint immer noch nicht zurück zu sein.“
Vijay folgte meinem Blick. „Ja, der ist schon seit ‘ner Woche verschwunden. Keine Ahnung, was mit dem ist, ich kenn den auch nur flüchtig. Ich weiß nur, dass er Jack heißt, aus England kommt und vierundzwanzig ist. Genau wie ich.“
Ich nahm einen tiefen Zug.
„Soll ja helfen", sagte ich mit erstickter Stimme. Er sah mich fragend an. Ich nickte dem Joint zu, reichte ihn ihm und blies den Rauch aus.
„Kommt drauf an", sagte er und begann, von dem Roman zu erzählen, an dem er schrieb. Es ging um Reisen und Drogen. Fünf Kapitel hatte er schon geschafft, aber zufrieden war er nicht.
Ich musste innerlich grinsen und empfahl ihm ein paar Bücher zu dem Thema, die mich in seinem Alter auch begeistert hatten. Die kannte er aber schon und empfahl mir Bücher zu meinem Thema, die ich noch nicht kannte. Erst als ich Ram auf seinem Scooter die Straße hochtuckern hörte, fiel mir auf, dass es bereits später Nachmittag sein musste.
„Ist dieser Jack jetzt endlich mal aufgetaucht?“, wollte er von Vijay wissen, während er abstieg. Vijay schüttelte den Kopf. Ram rückte sich die Hose unter dem Bauch zurecht und sah mich mit festem Blick an. „Seit über einer Woche blockiert der mit seinem Gepäck das Zimmer.“ Er wies mit dem Kinn auf die verschlossene Tür.
„Ja, das habe ich schon gehört“, sagte ich. Mein Mund fühlte sich trocken an.
„Wieso hat er es nicht einfach mitgenommen, wenn er woanders hinfährt?“
Ich zuckte die Achseln. Er klappte den Sitz hoch, holte einen Jutebeutel mit Lebensmitteln aus dem Inneren seines Scooters und verschwand schimpfend im Familienhaus. Vijay malte mit einem Stöckchen kleine Kreise vor sich hin.
„Ich geh jetzt mal rein“, sagte er nach einer Weile. „Ram hat mir irgendwie die Laune verdorben. Wir sehen uns bestimmt später.“ Ohne ein weiteres Wort hüpfte er von der Mauer.

Zurück im Zimmer, legte ich mich aufs Bett. Als ich erwachte, dämmerte es. Neben mir lag das leere Ringbuch. Ich beachtete es nicht weiter, rappelte mich auf und trat vor die Tür. Es war immer noch bewölkt, aber die Treppe unter meinen Füßen war warm und trocken. Vijay und Ram saßen auf den Plastikstühlen und schauten die Straße hinunter. Als Vijay mich entdeckte, erhellte sich sein Gesicht.
„Komm runter“, rief er. „Hast du was geschafft?“
„Nein. Du?“
„Nein.“ Er stand auf und bot mir seinen Platz an.
„Nee, lass.“ Ich blieb an der letzten Stufe stehen.
„Ist schon okay. Ich wollte sowieso mal eben ins Dorf runter, um ein bisschen was einzukaufen. Brauchst du was?“
Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, warum ich überhaupt heruntergekommen war.

„Ich denke, er verkauft Drogen“, begann Ram, als Vijay außer Hörweite war. „Der hängt hier schon seit Wochen rum und arbeitet nicht. Wie kann der sich das leisten?“
„Er kommt aus einer wohlhabenden Familie und studiert“, wiederholte ich, was Vijay mir am Nachmittag erzählt hatte. „Sein Vater finanziert ihm das Studium und den Unterhalt.“
„Ich sehe ihn aber nie studieren.“
„Es sind Semesterferien.“
„Na ja, was soll ich dazu sagen. Das beeindruckt auch die Mädchen nicht, wenn man nicht arbeitet. Ich hab mein Leben lang hart auf der Farm meines Vaters gearbeitet und hab immer viele Freundinnen gehabt. Auch jetzt manchmal noch. Aber leider ist schon lange keine hübsche junge Touristin mehr hier gewesen.“ Er sah mit verschleiertem Blick in die Dämmerung, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Ich trommelte mit der Faust auf das steinerne Treppengeländer und beschloss gerade, zurück ins Zimmer zu gehen, als Vimla uns zum Essen rief.

Dummerweise lief der Fernseher diesmal nicht, also starrte ich aus dem Fenster. Vijay ließ sich nicht blicken. Ram betete und wünschte mir dann einen guten Appetit.
„So schnell zu essen ist gar nicht gesund“, sagte er nach einer Weile und deutete auf meinen Reis. Ich antwortete nicht, schob kurz darauf den leeren Teller von mir und stand auf. In Indien gilt es als unhöflich, nach dem Essen nicht sofort zu gehen, also brauchte ich nicht nach einer Ausrede suchen. Ram hörte auf zu kauen, rülpste und sah mich mit ausdruckslosem Gesicht an.
„Hast du deinen Körper eher von deiner Mutter oder von deinem Vater?“, begann er.
Wieder schnappte ich nach Luft.
„Dein Gesicht ist sehr weiblich, aber dein Körper ist eher wie von einem Mann.“
Ich atmete hörbar ein und wieder aus. „Ich habe keine Lust, mir ständig Kommentare über meinen Körper anzuhören“, sagte ich und ärgerte mich, dass meine Stimme dabei zitterte. Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte ich aus dem Zimmer.
Unten ertappte ich mich dabei, wie ich an mir hinabsah. Alles noch dran. Gut, ich war nicht gertenschlank, aber deshalb sah ich noch lange nicht aus wie ein Sumoringer. Ich eilte an Vijays offener Tür vorbei. Er lag im Dunkeln auf dem Bett und klimperte einen Bob Marley-Song auf der Gitarre.
„Wie war das Essen?“, rief er mir nach.
„Wie immer.“ Ich drehte mich um und knipste ein schiefes Lächeln an. „Hattest du keinen Hunger?“
„Nein, ich versuche, Ram aus dem Weg zu gehen.“
„Kann ich verstehen.“
Er stimmte einen Song von Neil Young an. „Old man look at my life, twenty four and there’s so much more.“
Ich musste grinsen und wünschte ihm eine gute Nacht. Seufzend setzte ich mich auf die oberste Treppenstufe. In den Büschen sägten die Zikaden. Ich legte den Kopf weit in den Nacken. Die Wolken hatten sich verzogen, und ein sternenklarer Himmel blickte auf mich herab.
Als ich in meinem Zimmer Licht machte, fiel mein Blick sofort auf das Porträt. Ich nahm es ab und ließ es in der Nachttischschublade verschwinden. An der Wand blieb ein heller Fleck zurück.

Vijays Tür war verschlossen, als ich am nächsten Morgen vom Außenklo zurück in mein Zimmer trottete. Vimla kam mit einem kleinen Tablett und brachte mir ein Glas Chai. Sie bemerkte meinen Blick.
„Vijay in die Stadt fahren. Geld holen“, sagte sie. „Abend zurück sein.“
Ich ging ins Zimmer und brachte tatsächlich ein paar Zeilen zustande, die nicht gleich in den Mülleimer flogen. Draußen entlud sich die Schwüle des letzten Tages mit einem heftigen Regenschauer und kroch dann langsam wieder heran. Ich grübelte über einem Satz und schnappte mir gerade mein Wörterbuch, als es klopfte.
„Ja?“
„Ram.“
Ich verdrehte die Augen, legte den Stift weg und stand auf.
„Ich hab dich heut den ganzen Tag nicht gesehen.“ Ram quetschte sich an mir vorbei und schloss die Tür. „Der Engländer war endlich da und hat sein Gepäck abgeholt. Das Zimmer ist jetzt wieder frei. Willst du umziehen?“ Er schob meine Schreibsachen zur Seite, seine Hosenbeine ein Stück hoch und setzte sich aufs Bett. Ich rührte mich nicht und merkte, wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
„Ich hab aber niemanden unten gehört“, sagte ich.
„Hab oben im Haus mit ihm geredet, und dann ist er alleine in sein Zimmer und hat gepackt.“
„Und warum war er so lange weg?“
„Ach na ja, Hippies.“ Er winkte ab. „Er hat kein Geld gekriegt. Tsss. Deshalb hing er in der Stadt fest, bis ihm jemand was geschickt hat. Was soll ich dazu sagen.“ Kopfschüttelnd sah er auf den Boden. „Ich kenne diese Leute. Alles Drogenleute. Immer dieselbe Leier, ich hör da schon gar nicht mehr hin.“ Er blickte mich an. „Warum setzt du dich nicht?“ Mit der flachen Hand klopfte er auf den Platz neben sich.
„Ich war eigentlich grad auf dem Sprung und wollte mir mal ein bisschen die Beine vertreten, jetzt, wo der Regen nachgelassen hat. Ich überleg mir das mit dem Zimmer“, sagte ich und öffnete die Tür. Er zögerte einen Moment, bevor er sich erhob. Sein Blick fiel auf den hellen Fleck an der Wand. Ich hielt kurz die Luft an und suchte nach einer Ausrede, aber er sagte nur: „Gut, du darfst gehen. Aber denk daran, dass es bald dunkel wird.“ Er streifte im Vorbeigehen meinen Arm.

Nachdem er gegangen war, durchfuhren mich nur vier Worte: Ich. Muss. Hier. Weg. Ich lief im Zimmer auf und ab. Bis ich gepackt hätte, wäre der letzte Bus weg und der nächste Taxistand zwei Stunden Fahrt entfernt. In der Stadt.

Ich lief einfach drauf los. Vor mir wand sich die Straße zum Dorf hinunter. Nach dem Regen sah sie aus wie gebohnert. Über mir hing ein weißer Himmel, graue Wolken krochen langsam die Wipfel herunter. Es wehte kein Lüftchen.
Während ich lief, hoffte ich, einen klaren Kopf zu bekommen, aber meine Gedanken schossen wie Düsenjäger durch mein Hirn, ohne, dass einer von ihnen landete. Unten an der Hauptstraße folgte ich einem Trampelpfad, der den Berg wieder hinaufführte. Ich musste nur noch diese Nacht überstehen, und dann wäre ich weg. Weit weg von diesem Ram.
Als ich nach einiger Zeit den Kopf hob, bemerkte ich, dass die Kiefern dichter geworden waren. Allmählich begann es zu dämmern. Ich blieb stehen und sah mich um. Zurücklaufen war zwecklos, der Weg war zu lang. Also beschleunigte ich meinen Schritt und marschierte weiter geradeaus. Nach einer Weile begann ich zu laufen. Bloß nicht den Kopf verlieren. Irgendwann musste doch wieder eine Straße kommen. Ich stolperte über Baumwurzeln, saute mir die Sandalen in dem schlammigen Boden ein und lief immer weiter. Die Luft wurde kühler und roch nach feuchter Erde.
Es war schon fast dunkel, da erblickte ich die Straße. Die zerzausten Kronen der Kiefern hoben sich schwarz gegen den milchigen Himmel ab. Ich blieb kurz stehen, keuchte und rannte dann bergab, immer am Waldrand entlang. In das Keuchen mischte sich Wimmern. Der Asphalt wurde undeutlicher.
Zwei Minuten später sah ich Vijays verschlossene Tür. Eine Sekunde atmete ich auf, aber dann erinnerte ich mich wieder an die Situation. Ich lief ins Zimmer und sammelte mich ein paar Minuten. Dann spülte ich die Sandalen in dem kleinen Handwaschbecken neben dem Nachttisch ab. Ich hätte ja sowieso wieder hierher zurückgemusst.

Nach einer unruhigen Nacht wurde ich von der Sonne geweckt, die durch die hellen Vorhänge schien. Während ich mir die Zähne putzte, kam mir der gestrige Abend plötzlich unwirklich vor. Das war eben eine andere Kultur, Privatsphäre gab es hier nicht. Und dass Ram meinen Arm gestreift hatte, konnte auch Zufall gewesen sein.

„Vijay ist nicht zurückgekommen“, sagte Ram beim Abendessen.
Ich schüttelte den Kopf und bedankte mich bei Vimla, die mir den Teller aufgefüllt hatte.
„Indische Jack“, sagte sie.
„Ja“, sagte Ram. „Das ist jetzt das zweite Mal innerhalb von zwei Wochen, dass jemand sein Gepäck hier abstellt und in die Stadt verschwindet. Ich habe jetzt seit fünf Jahren dieses Gästehaus, und das ist vorher noch nie passiert. Und jetzt gleich zwei Mal in zwei Wochen! Wahrscheinlich will mir das Leben eine Lektion erteilen.“ Er schob sich eine Handvoll Reis mit Linsen in den Mund, kaute und nahm dann den Faden wieder auf. „Ich hab ja auch keine Adresse und nichts von ihm. Als Inder braucht er mir seinen Ausweis nicht zeigen. Viele haben nicht mal einen. Das einzige, was ich weiß, ist, dass er Vijay heißt. Tja. Viele Leute in Indien heißen Vijay. Vijay aus Delhi. Kann man nicht viel mit anfangen.“
Eine Zeit lang sagte niemand etwas.
„Willst du nun das Zimmer?“, wollte Ram schließlich von mir wissen.
„Nein“, sagte ich. „Ich brauche ein bisschen Privatsphäre.“

Als ich im Bett lag, schien der Mond hell ins Zimmer. Die Dorfhunde bellten und heulten um die Wette. Ich drehte mich auf den Rücken und sah zu den Stofftieren hinüber.
„Wieso verschwinden hier ständig Leute in die Stadt und kommen nicht wieder?“, fragte ich. „Ist dieser Jack wirklich da gewesen und hat seine Sachen geholt? Ich hätte doch hören müssen, wenn draußen jemand gewesen wäre. Schließlich hab ich extra darauf geachtet, weil ich gehofft hab, dass Vijay wiederkommt.“
Die Stofftiere glotzten mich an.
„Jaha, das glaub ich, dass ihr euch darüber ausschweigt“, fuhr ich fort. „Schließlich werde ich den Gedanken nicht los, dass es was mit euren Besitzern zu tun hat.“
Weil sie meinem Blick sowieso standhielten, gab ich mich kurz darauf geschlagen, drehte den Kopf weg und sah in den Vollmond. Er war hell genug, um einen Blick in Jacks Zimmer werfen zu können. Ich sprang aus dem Bett und schlüpfte in Jogginghose und T-Shirt. Der Omawecker auf dem Nachttisch ging auf drei Uhr zu. Ich öffnete die Tür so leise, als würden Vimla und Ram in meinem Bett liegen. Trotzdem war ein Knarren unvermeidbar. Vor mir lag der einsame Hof. Während ich auf nackten Füßen hinunterschlich, blickte ich zum Familienhaus hoch. Stand da jemand hinter der Gardine? Nein. Ich spähte durch das vergitterte Fenster in Jacks Zimmer. Dann wich ich schnell zurück. Da saß jemand auf dem Bett. Ich trat zur Seite und presste mich mit dem Rücken an die Wand. Ein Murmeln drang zu mir heraus. Eine Frauenstimme. Sie schien irgendetwas zu beschwören. Bemerkt hatte sie mich nicht, denn sie stockte nicht eine Sekunde.
Nach einiger Zeit wagte ich es, erneut ins Zimmer zu spähen. Die Frau trug einen feierlichen mintgrünen Sari und einen gleichfarbigen Seidenschal, eine Dupatta, auf dem Kopf. Sie saß mit dem Rücken zu mir und hielt etwas in den Händen. Um sie herum lagen orangegelbe Tagetesköpfe auf dem Bett verstreut.
Gerade wollte ich noch ein bisschen näher herantreten, als der Kleiderhaufen sich raschelnd zum Fenster drehte. Ich zuckte zurück, aber die Frau hatte die Augen geschlossen, hielt das Gesicht ins Mondlicht und sprach weiter leise vor sich hin. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es Vimla war. Sie war geschminkt und ihr Gesicht schwärmerisch wie das eines jungen Mädchens. In ihrem Schoß lag das Bild von Ram.
So schnell ich konnte, schlich ich zurück ins Zimmer und riss die Nachttischschublade auf. Rams Portrait lag noch genauso da, wie ich es zurückgelassen hatte. Auch sonst war alles unverändert. Langsam setzte ich mich aufs Bett und fühlte mich so schäbig, als hätte ich Vimla dabei beobachtet, wie sie ihren Mann betrog. Mit ihm selbst.

Es war bereits Nachmittag, als ich beschloss, einen Spaziergang zu machen. Auf der letzten Treppenstufe stutzte ich. Vijays Tür war offen. Mit einem breiten Lächeln steuerte ich darauf zu.
„Hier, guck mal, ob du da irgend‘ne Adresse findest“, sagte Ram, warf mir Vijays Tagebuch zu und wühlte sich weiter durch seine Klamotten auf dem Bett.
„Ich geh doch nicht an seine Sachen“, sagte ich, blätterte aber doch kurz durch das Buch. Vijay hatte auf Englisch geschrieben. Es tauchten irgendwelche Namen auf, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ram warf mir einen fragenden Blick zu. Ich legte das Tagebuch zurück aufs Bett.
„Nein, keine Adresse“, sagte ich.

Als ich später zum Abendessen ging, stand mein Teller bereits aufgefüllt auf meinem Platz, daneben ein zweiter Teller. Einen Moment lang dachte ich, dass Vijay zurückgekommen war, aber dann hörte ich Rams Stimme auf der Stiege.
„Ich habe einen Jungen!“ Ram betrat leicht schwankend den Raum und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Meine Tochter hat einen dreieinhalb Kilo schweren Jungen zur Welt gebracht. Danke, Gott!“ Er legte die Handflächen vor der Brust aneinander und sah zur Decke.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich und hielt nach dem Rest der Familie Ausschau.
„In einigen Tagen wird ihm von unserem Dorfältesten das Horoskop erstellt“, begann Ram, schwankte noch ein bisschen mehr und ließ sich dann auf den Platz neben mir fallen. Eine Schnapsfahne schlug mir entgegen, und ich rückte ein Stück von ihm ab.
„Der hat das damals bei mir auch gemacht, und es ist alles hingekommen“, fuhr er fort. „Dass ich eine Farm erbe und viele Freundinnen hab, alles.“
Während er sich über seinen Reis hermachte, spannten sich meine Muskeln an. Im Fernsehen lief ein Zeichentrickfilm. Ich nahm meinen Teller in die Hand, drehte Ram den Rücken zu und tat so, als würde mich das Fernsehprogramm brennend interessieren. Alles ist gut. Vimla musste ganz in der Nähe sein.
Der Cartoonheld lachte ein ratterndes Lachen. Ich begann, schneller zu essen. Unten in der Küche war es still.
„Wo ist denn Vimla?“, fragte ich nach einer Weile.
„Die ist noch mit meinem Enkel ...“ Er schluckte und wischte sich wieder ein paar Tränen aus den Augen, „ ... auf der Farm und kommt später mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn zurück.“
Ich hörte auf zu kauen. „Und warum bist du hier?“
„Damit du nicht so alleine bist. “
Mein Herz klopfte schneller. Der Held lachte erneut. Ich glotzte in seine Augen, die als immer größer werdende Spiralen auf die Kamera zu kreisten. Alles ist ganz harmlos. Bitte lass alles ganz harmlos sein.
„Und wir uns mal ungestört unterhalten können. So wie du dich mit Vijay unterhältst.“ Rams Stimme war auf einmal viel sanfter.
„Wie meinst du das, wie ich mich mit Vijay unterhalte?“
Statt einer Antwort spürte ich, wie er näherkam. Dann seinen Atem an meiner Schläfe. Ich zog die Schultern hoch, als könnte ich mich dadurch in Luft auflösen. Er murmelte irgendetwas Unverständliches und rückte noch näher. Ich wollte ihn zur Seite boxen, aber ich rührte mich nicht. Erst als er mich an die Wand drängte und seine Lippen an meinem Hals schlabberten, fing ich an zu zappeln. Der Teller fiel auf den Boden. Ich versuchte, um mich zu schlagen, aber Ram kniete sich auf meine Oberschenkel und drückte mich mit ausgebreiteten Armen an die Wand. Ich presste alle Kraft aus mir heraus, aber sie reichte nicht. Er packte mich noch fester und versuchte, mich zu küssen, aber ich drehte den Kopf weg und kniff die Augen zusammen, bis ich Sterne sah.
„Hör auf, oder ich knall dir eine“, hörte ich seine Stimme wie aus weiter Ferne. „Wenn du nichts machst, ist es ganz schnell vorbei.“ Er zerrte an meinem Hosenbund.
Ich gab nach wie eine leere Hülle. Ich war das nicht. Das geschah einer anderen.
Im selben Augenblick hielt er inne und lockerte seinen Griff. Dann ließ er mich los. Ich riss die Augen auf.
Ram glättete sich die Haare und schaltete auf ein anderes Programm um. Draußen hörte ich einen Wagen vorfahren. Eine Autotür wurde zugeschlagen, und kurz darauf kam jemand zügig die Stiege herauf. Ehe ich richtig begriff, was passiert war, stand Vimla im Zimmer. Ohne ein Wort sammelte sie das Essen vom Boden und legte es zurück auf den Teller. Sie gab mir zu verstehen, dass sie mir neuen Reis mit Linsen bringen wollte. Ich schüttelte den Kopf, sprang auf und lief nach unten.

Der Tag war gerade angebrochen, da war ich bereits abfahrbereit, schloss den Koffer und wollte meine Bauchtasche umbinden, als ich draußen Schritte hörte.
„Alice?“ Rams Stimme war gedämpft.
Ich wollte brüllen, dass er abhauen solle, aber ich presste die Lippen zusammen.
„Alice, bitte. Mach auf. Ich weiß nicht, was gestern mit mir los war. Ich hatte ein bisschen zu viel getrunken, wegen der Geburt von meinem Enkel. Es wird nicht wieder vorkommen.“
Ich biss mir die Unterlippe blutig.
„Alice. Bitte. Lass uns reden. Ich möchte, dass du dich hier wohl fühlst. Wir brauchen das Geld jetzt noch mehr als vorher. “
„Hau ab!“ Meine Stimme kippte. Ich zitterte am ganzen Körper.
Es war eine Weile still, dann entfernten sich seine Schritte. Er ließ seinen Scooter an. Ich stand mitten im Zimmer. Erst als nichts mehr zu hören war, legte ich die Miete auf den Nachttisch, ging langsam zum Fenster und lugte hinaus. Er war tatsächlich weg.
Meine Beine bebten so sehr, dass ich Mühe hatte, den Berg hinunterzulaufen. Im Haltestellenhäuschen setzte ich mich auf eine Bank. Außer mir wartete niemand.

Nach etwa einer Stunde fing es an zu regnen. Mir fiel auf, dass es hier keinen Fahrplan gab. Ich scharrte mit der Spitze meiner Sandale im Sand. Endlich sah ich einen alten Farmer mit Pudelmütze die Straße überqueren. Ich lief in den Regen hinaus, rief nach ihm und deutete auf die Bushaltestelle.
„Kein Bus seit zwei Tagen“, sagte er. Als ich wissen wollte, warum, bekam ich keine Antwort. Ich setzte mich wieder hin und überlegte, wie ich sonst in die Stadt kommen sollte. Der Bus war das einzige Transportmittel in diesem Kaff.
Der Regen ließ etwas nach, aber ich wartete, bis er ganz aufhörte. Dann machte ich mich wieder an den Aufstieg. Außer Rams Haus gab es keine Gästehäuser. Ich marschierte zurück ins Zimmer, setzte mich aufs Bett und wartete auf eine Eingebung.

Erst als ich Ram draußen schimpfen hörte, bemerkte ich, dass es dunkel geworden war. Ich konnte nichts verstehen, weil er Hindi sprach. Kurz darauf klappten Autotüren, und ein Wagen fuhr weg. Ich spitzte die Ohren. Jemand kam die Treppe hoch. Sofort raste mein Herz wie ein Technobeat.
„Alice?“, hörte ich von draußen. Das war nicht Rams Stimme. „Alice, ich bin es. Vijay.“
Ich sprang auf und hechtete zur Tür. „Vijay! Wo warst du denn so lange?“ Eine Sekunde zuckten unsere Oberkörper nach vorne.
„Magst du rauskommen? Oder willst du weiter im dunklen Zimmer sitzen.“
Ich schlüpfte in meine FlipFlops und setzte mich neben ihn auf die Treppe. Er erzählte, dass er in der Stadt einen Freund getroffen hätte. Sie wären mit dem Motorrad in einen Touristenort gefahren, der eine weitere Stunde entfernt lag. Als sie sich am nächsten Abend auf den Rückweg machen wollten, ging das Motorrad kaputt, und sie mussten einen Tag in der Werkstatt verbringen. Glücklicherweise hätte sein Freund ihn dann zurückgefahren, weil ja grad keine Busse fuhren.
„Wie lange denn noch?“, wollte ich wissen.
„Keine Ahnung, ich hab nur gehört, dass es irgendeinen Streik gibt. Kann also noch eine Weile dauern. Ist alles in Ordnung mit dir? Deine Arme sind ja voller blauer Flecken.“
Ich holte einmal tief Luft. Dann quollen die ganzen letzten Tage aus mir heraus. Als ich geendet hatte, sprang Vijay auf.
„Dieses Arschloch!“, rief er. „Ich hab schon sowas geahnt!“ Er rannte in den Hof hinunter und lief vor der Treppe auf und ab. „Dem reiß ich den Arsch auf, wenn er wieder da ist.“
„Wenn er wieder da ist?“
„Ja, der ist weg.“
„Echt? Wohin ist er denn? In die Stadt?“
„Nee, er hat mir erst ‘ne Moralpredigt gehalten und ist dann mit Tochter, Schwiegersohn und Baby auf die Farm gefahren. Nur noch Vimla ist da. Die anderen kommen erst übermorgen wieder.“
„Gut! Sehr gut! Bis übermorgen fällt mir vielleicht ‘ne Lösung ein.“
„Bis übermorgen? Nee, so lange warte ich nicht!“ Vijay lief auf die Straße. „Ich werd jetzt zu dieser Scheißfarm gehen und dem den Arsch aufreißen. Wenn er glaubt, dass ...“
„Komm, lass“, sagte ich und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Wir werden hier schön die Füße stillhalten, bis wir hier weg sind. Ich will nicht noch mehr Ärger, wir müssen jetzt diplomatisch bleiben.“
„Ich könnte meinen Freund anrufen, ob er uns mit dem Motorrad abholen kommt.“
„Aber wir können nicht zu Dritt mit dem ganzen Gepäck auf dem Motorrad fahren.“
„Kein Problem.“ Er ging ins Zimmer, um zu telefonieren. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er wieder herauskam.
„Und? Hast du ihn erreicht?“
„Mein Telefon ist weg.“
„Was?“
„Ja. Ich kann es nirgends finden.“
„Hast du es vielleicht auf der Reise verloren?“
„Nein, ich hab es gar nicht dabei gehabt. Eigentlich wollte ich ja abends wieder hier sein.“
Ich erzählte ihm, dass Ram in seinen Sachen gewühlt hatte, aber verschwieg meinen Blick in sein Tagebuch. Vijay schien gar nicht zuzuhören.
„Dreißig Hochzeitsfotos von meiner Schwester. Alles weg“, sagte er. „Offenbar verschwinden hier nicht nur Leute, sondern auch Dinge.“ Er sah an mir vorbei und schwieg einen Augenblick. „Na ja, das ist schon okay“, sagte er dann. „Ich hab nichts dagegen, wenn Leute klauen.“
„Du hast nichts dagegen, wenn Leute klauen?“
„Wenn sie arm sind, nicht.“
„ … “
„Na dann lass uns morgen trampen.“ Vijay grinste. „Anders kommen wir hier nicht weg.“

Am nächsten Tag regnete es so heftig, dass es unmöglich war, sich an die Straße zu stellen. Wir verschoben unsere Abreise, hingen auf Vijays Bett herum, kifften und dachten uns bizarre Geschichten über die Familie aus. Gegen Abend ließ der Regen etwas nach. Wir teilten uns eine alte Zeitung, hielten sie über unsere Köpfe und liefen zum Familienhaus. Vor der Tür zögerte ich.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte Vijay. „Das Auto ist immer noch weg, der ist nicht da. Und falls doch, werd ich dir nicht von der Seite weichen.“

Beim Essen lauschte ich auf jedes Geräusch. Erst als ich merkte, dass Vijay sich wie zu Hause fühlte, löste sich meine Anspannung allmählich auf. Er hielt einen kurzen Plausch mit Vimla, schnappte sich die Fernbedienung und zappte durch das Fernsehprogramm. Bei einem amerikanischen Serienkanal blieb er hängen. Ich legte mich hin und stopfte mir eines der Rollkissen unter den Kopf, die überall herumlagen. Vijay legte sich auf die Matratze an der Wand gegenüber und baute einen Joint.
„Wollen wir heute mal ein bisschen fernsehen?“, fragte er, als die Serie zu Ende war.
„Warum nicht.“
Es hatte aufgehört zu regnen. Vimla stand auf und meinte, dass sie jetzt ins Bett ginge, wir könnten aber ruhig noch weiter fernsehen. Vijay schaltete auf den Cartoon-Sender um. Es lief die gleiche Serie wie am Vortag.
Ich merkte, dass ich unruhig wurde und wäre gerne gegangen, aber ich traute mich nicht alleine runter. Eine Zigarette noch.
„Ich glaube, ich will jetzt ins Bett“, sagte ich fünf Minuten später und raffte mich auf. „Das Programm ist nichts für mich.“
„Aber wir können doch umschalten. Wir finden schon irgendwas, das wir beide sehen wollen.“
Ich plumpste in die Kissen zurück. Madonna erschien auf dem Bildschirm.
„Wow, die hat echt noch ‘ne super Figur für ihr Alter“, sagte Vijay.
Während ich Madonna in schwarzer, enger Lederkluft und ohne ein Gramm Fett durch das Programm tanzen sah, konnte ich nur langsam nicken. Dann kam ein Video mit Paul McCartney, und ich war froh, dass das Thema damit beendet war. Draußen setzte wieder der Regen ein.
„Eigentlich könnten wir heute auch hier schlafen, ist doch ganz gemütlich“, sagte Vijay nach einer Weile.
„Dann müssen wir aber noch runter, um Decken zu holen, und dann wieder rauf. Ich weiß nicht, ob ich das packe.“
„Ich geh schon. Und auf dem Weg kann ich ja mal gucken, ob ich in der Küche noch was zu essen finde. Irgendwie hab ich schon wieder Hunger.“ Er hüpfte die Stiege hinunter.
Ich hievte mich auf die Seite, betrachtete die Dachluke wie ein großes schwarzes Loch und ärgerte mich, nicht mitgegangen zu sein. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, nachts noch ein Picknick zu veranstalten.
Wieder raffte ich mich auf. Allerdings schien mir der Weg doch ein bisschen weit. Ich kämpfte noch mit mir, da kam Vijay mit den Decken zurück.
„Ich hab nichts zu essen gefunden“, sagte er, warf mir eine karierte Wolldecke zu und legte sich wieder auf seinen Platz.
Nach einer Weile schielte ich zu ihm hinüber. Er verfolgte weiter das Programm. Ich stellte mir vor, wie ich aufstehe, ihn bitte, ein Stück zu rücken und mich neben ihn lege. Langsam kam der Gedanke in meinem Bauch an und drohte, immer weiter hinabzugleiten. Stopp! Ich war nichts weiter als eine ältere Schwester für ihn, und so sollte es auch bleiben. Schwester? Nee, Moment mal. Ich konnte ja schon seine Mutter sein. Nee, das ging gar nicht. Weg mit dem Gedanken. Schließlich war ich keine Madonna. Eher eine Miss Marple mit meiner Herumschnüffelei.
Wieder sah ich zu ihm hinüber. Alles unverändert. Ich schloss die Augen.
„Hier, kennst du das?“, hörte ich Vijays Stimme.
„Was?“ Ich hob den Kopf.
„Dieses Video. Kennst du das?“
„Nein“, sagte ich, ohne darauf zu achten, was da eigentlich lief.
„Ich kann auch umschalten.“
„Nee, ist schon gut.“ Ich blinzelte auf den Fernseher. Der Regen trommelte immer heftiger auf das Dach. Über mir tanzte ein Mückenschwarm.
„Wieso kommen die immer zu mir“, sagte ich und fuchtelte mit den Armen.
„Weil sie dich mögen.“
„Oder weil ich direkt unter der Lampe liege.“ Ich schaute zu der Glühbirne, die an einem langen Kabel über meinem Kopf baumelte. „Wo geht denn hier das Licht aus?“
Wir standen auf und liefen durchs Zimmer, fanden aber keinen Lichtschalter. Schließlich begegneten wir uns vor dem Fernseher. Gemeinsam standen wir vor den Plüschgiraffen.
„Hier muss der irgendwo sein“, sagte Vijay und trat etwas näher an den Fernseher heran.
Ich entdeckte den Schalter über der Fußleiste, knipste das Licht aus und eilte auf meinen Platz zurück. Nicht, dass der noch dachte, ich wolle was von ihm.
Mit Schlafen war es jetzt endgültig vorbei. Vijay lachte über einen Bollywood-Film und versuchte zu übersetzen, aber ich hörte nicht hin.
„Das regnet hier rein“, sagte er, setzte sich auf, schloss das kleine Fenster über seiner Matratze und schaute über das Dach auf die Straße. „Das sieht total schön aus, wie das regnet. Komm mal her, guck dir das mal an.“
Ich rappelte mich hoch, schlenderte betont langsam zu ihm hinüber und hockte mich neben ihn. Draußen ging ein Platzregen auf die Straße herab. Oben am Ende war ein kleines Licht zu sehen. Vijay langte nach der Fernbedienung und machte den Fernseher aus.
„Was denkst du?“, fragte er nach einer Weile.
„Ich weiß nicht. Und du?“
„Nichts. Außer, dass du schön aussiehst, wie du da sitzt und in den Regen rausguckst.“
Wir rückten näher zusammen, und er legte sanft die Hand auf meinen Rücken. Nach einer Weile begann er kaum spürbar, mich zu streicheln. Ich lehnte mich an ihn, und wir sahen wieder in den Regen. Mein letzter Gedanke war, dass er hoffentlich gut küssen könne.
Er konnte. Es dauerte nicht lange, und wir lagen knutschend auf der Matratze. Dann auf dem Teppich. Und wieder auf der Matratze. Mein Körper rannte mir davon.

Als wir nackt waren, fiel die Dämmerung durchs Fenster. Mein Hirn meldete sich zurück. Ich schob ihn ein Stück von mir weg.
„Was?“, fragte er.
„Wir sollten runtergehen.“
„Warum?“ Er kam wieder näher.
„Weil die Familie hier jeden Augenblick aufkreuzen könnte“, sagte ich und schob ihn abermals weg.
„Na und?“
„Na und?“
„Könnte doch ganz lustig werden.“
Ehe ich antworten konnte, küsste er mich. Ich ließ mich kurz hinabgleiten und machte dann die Augen auf. Draußen hatte es zu regnen aufgehört und wurde immer heller.
„Lass uns runtergehen“, sagte ich. „Ich hab immer das Gefühl, die Familie steht hier jeden Moment im Zimmer.“
„Okay, lass uns runtergehen.“
Wir suchten unsere Klamotten zusammen und wickelten uns in die Wolldecken. Vijay spähte durch die Dachluke. Niemand zu sehen. Kichernd schlichen wir nach unten.
Vijays Zimmer war ein graues Betonloch, aber mit einer Kerze fiel das nicht weiter auf. Kaum war sie angezündet, landeten wir auf dem wackeligen Holzbett. Bald waren wir wieder nackt und rollten über die dünne Matratze. Erst als Vijay mich losließ, öffnete ich die Augen und sah, dass er sich ein Kondom überstreifte. Er zwinkerte mir zu und glitt langsam in mich hinein. Ich stöhnte laut auf. Dann rammelte er los, als hätte ich eine Stoppuhr in der Hand.
Ich war schlagartig nüchtern und wollte mich gerade beschweren, da war es schon wieder vorbei. Schweigend lagen wir nebeneinander. Vijay baute einen Joint.
„War es schön für dich?“, fragte er.
Ich biss die Zähne zusammen. Bisher hatte ich geglaubt, dass Männer sowas nur in schlechten Filmen fragten.
„Ja“, sagte ich. Und das stimmte ja eigentlich auch. Was waren schon zehn Sekunden gegen einen ganzen Abend?
Von draußen drang Vimlas schrille Stimme zu uns herein. Vijay rollte mit den Augen.
„Diese Familiengästehäuser nerven mich so“, begann er. „Ständig muss man am Familienleben teilnehmen, als wäre man deren Sohn oder Tochter. Was wir hier treiben, ist eigentlich Inzucht.“
Rams Schatten huschte auf dem schmuddeligen Vorhang vor dem Fenster vorbei. Vijay nahm meine Hand und drückte sie. Im selben Moment fing das Baby an zu schreien. Ich schreckte hoch.
„Siehst du, das meine ich“, sagte Vijay. „Man hat keine Privatsphäre.“

Nachdem das Baby verstummt war, wurde es ruhig vor dem Fenster. Wir warteten eine Weile, bis wir sicher waren, dass die Familie ins Haus gegangen war. Dann nahm Vijay den letzten Zug vom Joint und lief zum Klo. Ich wickelte mich in die Wolldecke, setzte mich auf und spielte ein bisschen mit seinem Kissen herum. Es war mit kleinen Blümchen bestickt, und ich fand, dass es sehr niedlich aussah.
Vijay kam ins Zimmer zurück. Ich sah zu ihm hoch. Irgendwie sah er plötzlich wie Ram aus. Ehe ich genauer hinsehen konnte, war er schon wieder verschwunden.
Kurz darauf erschien Vijay. Diesmal war es wirklich Vijay.
„Ich glaube, ich hab zu viel geraucht“, sagte ich. „Ram war hier eben im Zimmer, und ich weiß nicht mehr, ob das wirklich so war, oder ob ich mir das nur eingebildet habe.“
„Ich hab ihn eben draußen getroffen.“
„Ja, aber … Findest du das nicht komisch, dass der einfach hier ins Zimmer kommt?“
„Wie – hat er nicht mal geklopft, oder was?“
„Nein. Der kam hier einfach rein, hat geguckt und ist wieder rausgegangen. Glücklicherweise hatte ich ‘ne Wolldecke um.“
„Der Typ hat wirklich ‘ne Vollmeise.“
„Ich mag jetzt gar nicht aufs Klo gehen.“
„Kannst aber gehen, der ist eben ins Haus hochgegangen.“

Auf dem Rückweg merkte ich, wie müde ich war und freute mich darauf, in Vijays Arm einzuschlafen. Aber auf dem Bett war kein Platz mehr für mich. Da stand Vijays schwarze Reisetasche, die mit aufgerissenem Schlund schon die Hälfte seiner Sachen verschluckt hatte. Ich blinzelte ein paarmal, um mich zu vergewissern, dass ich mir nicht wieder irgendetwas einbildete.
„Was ist denn jetzt los?“
„Ich hau ab“, sagte Vijay und ließ eine Jeans in der Tasche verschwinden.
„Wieso das denn?“
„Ram hat mich rausgeschmissen.“
„Was?“
„Ja. Er kam eben rein und hat mich gefragt, ob wir hier letzte Nacht Sex hatten.“
„ …“
„Und ich hab ihm gesagt, das ginge ihn nichts an. Da ist der völlig ausgetickt und meinte, dass das hier ein Familienhaus wäre, und ich wäre doch Inder, ich wüsste doch, dass man sowas nicht macht. Da hab ich ihm gesagt, dass er doch auch Inder wäre. Also wüsste er ja wohl auch, dass man niemals so intime Fragen stellt. Da hat er mich rausgeschmissen.“
Ich schob ein paar T-Shirts zur Seite und setzte mich aufs Bett. „Das glaub ich ja jetzt nicht.“
Vijay packte weiter seine Sachen.
„Ich komme mit!“, rief ich. „Das lasse ich nicht auf mir sitzen!“
Er sah mich eine Weile an. „Gut, dann geh ich jetzt mal rauf und zahl schon mal das Essen“, sagte er. „Dann tramp ich in die Stadt, weil ich Geld abheben muss, sonst kann ich das Zimmer nicht bezahlen.“
„Ich komm mit“, sagte ich abermals. „Ich muss auch Geld holen, außerdem habe ich keinen Bock, hier auf Ram zu treffen.“

Auf der Straße kam ich kaum vorwärts. Meine Beine schienen wie Sirup einen Moment am Boden festzukleben, bevor ich den nächsten Schritt tun konnte. Vijay ging ein ganzes Stück vor mir, aber das störte mich nicht. Schließlich blieb er stehen und wartete. Er sah ungeduldig aus.
„Ram hat mir viel zu viel berechnet, obwohl ich nur dreimal hier gegessen hab“, sagte er, als ich ihn erreichte.
„Wieso berechnet? Ich denke, man kann hier geben, was man will.“
„Ich offenbar nicht. Komm, wir nehmen die Abkürzung.“ Er rannte einen Schotterweg hinunter, der direkt auf die Hauptstraße führte. Ich kam kaum hinterher.
Als ich die Straße erreichte, sah ich schon von Weitem Leute im Haltestellenhäuschen. Trotzdem fanden wir noch einen Sitzplatz. Vijay holte einen Roman von Jack Kerouac aus seiner Umhängetasche und vertiefte sich darin.
„Ich bin stinksauer“, sagte er. „Ich muss mich jetzt erstmal runterbringen.“
Ich glotzte in die Gegend. Mir gegenüber saß ein blondes Touristenpärchen mit Fotoapparat um den Hals und lächelte mir freundlich zu. Daneben eine tibetische Familie in traditioneller Kleidung, sonst waren nur Männer anwesend.
„Wieso kommt denn der Scheißbus jetzt nicht“, sagte Vijay nach einer Weile. „Stehen die hier alle nur zum Spaß rum, oder was.“
Ich stand auf, um mir ein bisschen die Füße zu vertreten, und zündete mir gerade eine Zigarette an, als ich Ram auf seinem Scooter den Berg herunterfahren sah. Er kam auf die Bushaltestelle zugerast und hielt direkt davor.
„Wieso hast du deine Sachen nicht mitgenommen!“, fuhr er Vijay an.
Alle Umstehenden drehten die Köpfe zu Vijay und warteten auf eine Erklärung. Er blickte von seinem Buch auf. „Ich muss doch sowieso noch mal hierher zurück, um zu bezahlen.“
Ram sprang von seinem Scooter und wollte auf Vijay zu rennen, aber ein paar Männer hielten ihn zurück.
„Wann kommst du wieder!“, rief er und versuchte, sich durch die Arme der Männer zu rangeln.
„Spätestens heute Nachmittag.“
„Na hoffentlich!“ Er sagte etwas zu den Männern. Sie ließen ihn los, und er stieg wieder auf den Scooter, ließ ihn aufheulen und verschwand den Berg hinauf.
„Der spinnt doch“, sagte Vijay. Die Haltestelle füllte sich immer mehr. Als niemand mehr hineinpasste, kam der Bus.

Die nächsten zwei Stunden stand ich in einem Karussel und sah die Landschaft an mir vorbeifliegen. Immer wieder fiel ich gegen irgendwelche Leute, bis endlich die kleine Stadt vor uns auftauchte.
Kurz darauf standen wir an der Straße. Um uns herum wirbelten Leute. Rikshas knatterten vorbei und machten so einen Lärm, dass ich mir die Ohren zuhielt.
„Da vorne ist ein Bankautomat“, sagte Vijay, der stocknüchtern zu sein schien. Er lief schon wieder vor. Bis ich hinterhergeschlurft war, kam er schon wieder aus dem Automatenhäuschen. Allmählich begann mich seine übertriebene Zielstrebigkeit zu nerven.
„Meine Karte funktioniert nicht“, rief Vijay mir zu.
„Was?“
„Ja, komm rein und guck.“ Er drückte mir die Karte in die Hand. „Hier. Steck rein.“
Ich steckte die Karte in den Schlitz. Kartenfehler leuchtete auf dem Bildschirm auf.
Nun wurde auch ich nüchtern. In meinem Kopf ratterte es. Was sollte ich denn machen, wenn er mich nach Geld fragte? Woher konnte ich wissen, dass das kein Trick war?
„Vor zwei Tagen ging sie noch“, sagte Vijay. „Wahrscheinlich ist der Automat kaputt. Was ist heute für ein Tag?“
Ich überlegte kurz. „Sonntag.“
„Hm. Dann hat auch kein Schalter auf.“ Sein Blick wanderte durch die Fußgängerzone. „Aber bestimmt ein Reisebüro, das sonntags fleißig Tickets verkauft. Da gibt’s auf alle Fälle ein Kartengerät. Komm, wir gucken mal.“
Wir bogen in eine Straße ein und kamen in ein Labyrinth aus Seitengassen, in denen es nach Curry roch. In den Erdgeschossen der heruntergekommenen Hotels und Mietshäuser waren Garküchen und Läden. Im ersten Reisebüro warteten zu viele Kunden, das zweite war geschlossen. Erst das dritte war vollkommen leer. Ein freundlicher Herr mit feistem Gesicht und Schnauzbart händigte uns problemlos unsere Scheine aus, stellte sich als Mohammed vor und erzählte, dass er auch ein Hotel hätte, etwas außerhalb der Stadt. Er gab uns seine Karte, und wir versprachen, später bei ihm vorbeizuschauen.
„Ich wusste doch, dass es am Automaten liegt“, sagte Vijay. „Komm, wir nehmen uns jetzt ein Taxi. Wenn das wieder so lange dauert, bis der Bus kommt, verpassen wir den letzten Bus zurück hierher. Mach dir keine Sorgen um das Geld, ich zahl, okay?“
„Aber das ist doch auch irgendwie blöd.“
„Aber mit dem Bus schaffen wir das nicht mehr, und ich hab keine Lust, hier noch ewig durch die Gegend zu gondeln.“
„Okay, dann lass uns ein Taxi nehmen, aber ich zahle die Hälfte.“
„Wenn du unbedingt willst.“
Während wir ins Taxi stiegen, bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn verdächtigt hatte, mir auf der Tasche zu hängen.
„Jetzt mach dir doch nicht immer so viele Gedanken“, sagte er. „Das gleicht sich schon irgendwie wieder aus.“
Den Rest der Fahrt sahen wir schweigend aus dem Fenster. Als der Taxifahrer das Dorf erreichte, wurde mir eng um die Brust. Kurz darauf tauchte das Gästehaus vor uns auf.

Ich stopfte meine Sachen in den Koffer und war fast fertig, als Vimla erschien. Sie trug den gleichen Sari wie in der Nacht, als ich sie in Jacks Zimmer gesehen hatte.
„Du gehen?“, fragte sie.
„Ja, ich gehe mit ihm.“
Sie setzte sich zu den Stofftieren und sah mich ernst an. „Warum?“
Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich mich mit Vijay solidarisieren wollte, aber das verstand sie nicht. Wahrscheinlich hatte ich es auch nicht besonders gut erklärt.
„Du müssen nicht gehen“, sagte sie. „Ram sagen, du auch gehen?“
„Nein.“ Ich hielt im Packen inne und sah sie an. Sie hatte Tränen in den Augen.
„Du? Er?“, flüsterte sie und deutete in Vijays Richtung.
Ich zögerte kurz und nickte dann.
„Letzte Nacht?“
Ich nickte wieder.
„Uiiii!“ Sie schüttelte ihre Hand, als ob sie sich verbrannt hätte. Dann versuchte sie mir zu erklären, dass wir uns nicht hätten erwischen lassen dürfen. Ihr Schwiegersohn wäre uns auf die Schliche gekommen. Er hatte gesehen, dass meine Tür abgeschlossen war und Ram sofort informiert.
Ich packte weiter. Sie beugte sich zu mir herüber, zwinkerte mir verschwörerisch zu und flüsterte, dass ihr Ram auch bald wieder jung und schön wäre, sie arbeite daran. Ich wandte den Kopf ab, damit sie nicht sah, wie ich rot wurde. Hastig sammelte ich mein restliches Zeug zusammen.
„Bitte nicht gehen“, sagte Vimla.
„Doch, ich gehe.“ Ich bemühte mich, hart zu bleiben und gab ihr noch ein fettes Trinkgeld. Dann stürzte sie weinend aus dem Zimmer. Ich schluckte und hievte den Koffer die Treppe hinunter. Vijay lehnte am Taxi.
„Kommst du“, sagte er mit ausdrucksloser Miene. Ich verstaute mein Gepäck im Kofferraum und kontrollierte noch mal meine Geldtasche. Pass, Ticket, Kreditkarte, alles da. Während wir aus der Einfahrt fuhren, drehte ich mich noch mal um und sah Rams Familiengästehaus in der Kurve verschwinden, als hätte es nie existiert.
„Die tun ja wirklich so, als ob du ihre Tochter wärst, und ich hab dich jetzt entführt“, sagte Vijay und grinste. „Aber – mir gefällt die Rolle.“
„Ich wollte schon immer mal wissen, wie das ist, eine entführte Prinzessin zu sein“, sagte ich.
Wir lachten. Langsam verließen wir das Dorf und fuhren über die Serpentinen. Mir wurde ein bisschen schwindelig. Ich kurbelte das Fenster herunter und steckte den Kopf hinaus. Von den Abgasen wurde mir schlecht. Ich hielt mir den Ärmel meines Sweatshirts über Mund und Nase und versuchte, mich auf die Landschaft zu konzentrieren.
„Meinst du, wir sollten uns zusammen ein Zimmer nehmen oder lieber getrennt?“, wollte Vijay nach einer Weile von mir wissen.
„Ich bin noch nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken“, würgte ich hinter meinem Ärmel hervor.
„Ich denke, wir sollten getrennte Zimmer nehmen“, fuhr er fort. „Wir sollten realistisch bleiben.“
„Wie du willst“, sagte ich.

Das Hotel war simpel, dreistöckig und hatte einen Gemeinschaftsbalkon vor den Türen. Mohammed kam uns schon am Eingang entgegen und bedauerte, dass nur noch ein Doppelzimmer frei wäre. Wir sahen uns an und grinsten.
„Na, das ist dann wohl Schicksal“, sagte Vijay.
Als ich hinter ihm die Treppe in den dritten Stock hinauftrabte, war ich so müde, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Außerdem war mir immer noch schwindelig.
„Ich muss sofort ins Bett“, sagte ich.
Er warf mir einen leicht enttäuschten Blick zu, aber riss sich gleich wieder zusammen.
„Okay, Prinzessin, dann bringe ich Euch in Euer Gemach. Ich hoffe, Eure Hoheit haben nichts dagegen, wenn ich mir noch ein wenig die Beine vertrete?“
„Wir wünschen zu ruhen, mein Herr. Ihr könnt derweil tun, wonach Euch dünkt.“

Das Zimmer war ein bisschen schäbig, aber gemütlich. Durch die rubinroten Vorhänge fiel das Licht der Abendsonne. Ich warf mich sofort auf das Riesenbett und schlüpfte, so wie ich war, unter die Decke.
„Schlaf gut, meine Schöne“, flüsterte Vijay und strich mir übers Haar. „Ich geh noch mal los und guck, ob ich ein paar Bekannte treffe. Und wenn ich wiederkomme, weck ich dich auf, da kannst du dich drauf verlassen.“ Er schloss leise die Tür.

Als ich erwachte, war es draußen hell. Der Platz neben mir war leer. Ich setzte mich auf und sah mich im Zimmer um. Vijays Reisetasche stand neben dem abgeschabten Holztischchen, daneben mein Koffer. Auf dem Nachttisch entdeckte ich einen Zettel.
Wünsche wohl geruht zu haben, Prinzessin. Frühstück ist unterwegs.
Ich sank in die Kissen zurück. Bei dem Gedanken an Bananenpfannkuchen und frisch duftenden Kaffee knurrte mein Magen. Ich streckte mich wohlig, setzte mich auf und stopfte mir das Kopfkissen in den Rücken. Dann legte ich die Hände flach auf die Bettdecke und wartete auf mein Frühstückstablett. Draußen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten und ein leichter Wind ließ die Vorhänge ins Zimmer wehen wie in einem Hollywoodfilm.

Zwei Stunden später knurrte mein Magen so laut, dass ich es kaum noch aushielt. Ich schlug die Decke zurück, lief zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Die Straße war voller kleiner Läden mit Hippieklamotten vor den Türen, Fressständen und Gästehäusern, die Sonne und Mond hießen. Händler mit gescheiteltem Haar riefen ihre Waren aus, und Touristen mit Decken um die Schultern schlurften über den Basar, als kämen sie gerade vom Woodstock-Festival.
Nicht, dass der wieder spontan irgendwo hingefahren war. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, riss die Vorhänge wieder zu, zerrte ein paar frische Klamotten aus dem Koffer und stampfte unter die Dusche.
Als ich mich abtrocknete, hörte ich Schritte auf dem Gang. Ich hielt inne und lauschte. Mein Herz begann zu hämmern. Die Schritte wurden leiser und am Ende des Ganges wurde eine Tür aufgeschlossen. Ich rubbelte mich trocken, zog mich an und verließ das Zimmer, um irgendwo etwas zu essen.

Auf dem Basar wich ich Ochsenkarren, Fahrrädern und Menschen aus. Ein paarmal zuckte ich zusammen, weil ich glaubte, Vijay gesehen zu haben. Aber es war dann doch jemand anders gewesen. Schließlich ließ ich mich auf der Dachterrasse eines Restaurants nieder, bestellte Frühstück, sah auf die Straße hinunter und zuckte ab und zu zusammen.

Das Zimmer war unverändert. Mein Blick fiel auf Vijays Reisetasche, und ich atmete auf, ging wieder zum Fenster, zog die Vorhänge auf und schaute hinaus. Ein gleichbleibender Menschenstrom lief den Basar auf und ab. Irgendwann versank die Sonne hinter den Bergen, und kurz darauf gingen überall die Lichter an. Die Straße füllte sich noch mehr, bis die Lichter schließlich ausgingen und nur noch ein paar vereinzelte Gestalten herumschlenderten. Der Stein, der sich den ganzen Tag zu meinem Magen hinabgerollt hatte, blieb zentnerschwer in der Magengrube liegen. Irgendetwas musste passiert sein.
Ich lief zu Vijays Reisetasche, fand aber nur ein paar alte T-Shirts und Hosen. Während ich mich zum Boden der Tasche vorkämpfte, kam ich mir plötzlich wie Ram vor und wollte schon aufgeben, als ich einen harten Gegenstand im Innenfutter ertastete. Er war in ein Loch im Futter gerutscht und klemmte zwischen Boden und Seitenwand. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn zu fassen bekam. Als es schließlich so weit war, stutzte ich. Vijays Telefon. Der Akku war leer, aber in der Vordertasche fand ich ein Ladekabel. Ich stöpselte es ein und wartete.

Erst spät in der Nacht döste ich kurz weg, schreckte aber bald darauf wieder hoch. Ich schnappte mir das Telefon und ging Vijays Adressliste durch. Ratlos sah ich auf das Display. Dann schob ich es zurück auf den Nachttisch, legte mich wieder hin und starrte in die Dunkelheit.

Morgens hörte ich das Scheppern der schweren Metall-Jalousien, die die Verkäufer vor ihren Läden hochzogen. Mein Kopf fühlte sich schwer an, die Muskeln schmerzten. Ich quälte mich zur Rezeption, um Mohammed zu fragen, ob er Vijay gesehen habe. Aber hinter dem Tresen saß nur ein hagerer Typ mittleren Alters und schlief.
Auf der Straße nahm ich eine Riksha, fuhr in die Stadt und lief durch die Seitengässchen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich vor dem Haus mit dem Reisebüro stand. Mehrmals lief ich auf und ab und suchte nach dem Schild. Es gab eine Garküche, einen Schmuckladen und einen Lebensmittelladen mit Gewürzsäcken vor der Tür. Nur das Reisebüro konnte ich nicht finden. Ich sah mich um. Gegenüber war eine Wäscherei, daran konnte ich mich erinnern, also war ich richtig. Ich guckte noch etwas genauer, und dann sah ich es. Der Laden war geschlossen. Das Schild war weg.

Als ich zurück zum Hotel lief, war ich mehrmals kurz davor, stehen zu bleiben und meinen Magen zu entleeren, aber meine Beine liefen immer schneller. Es war bereits Mittag, als ich die Treppe hinaufstürmte und die Zimmertür aufriss. Im Raum war es stickig, sonst hatte sich nichts verändert. Niemand hatte angerufen. Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter und lief zur Rezeption.
„Ist Mohammed da?“, rief ich dem schlafenden Typen zu. Er plierte mich unter schweren Lidern an und schüttelte den Kopf.
„Wo kann ich ihn denn finden?“
„Ich kenne keinen Mohammed“, murmelte er und schloss wieder die Augen.
Am liebsten hätte ich ihn von seinem Stuhl gerissen und geschüttelt, aber ich sagte betont freundlich: „Ich meine den Hotelmanager, der uns das Zimmer vermittelt hat.“
„Hier gibt es keinen Mohammed. Der Hotelmanager heißt Sunny und ist ein Sikh.“
Unter mir begann sich der Boden zu drehen. „Vijay?“
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Hör mal, du musst mir helfen“, sagte ich. „Mein Freund ist verschwunden. Und ein gewisser Mohammed hat uns hier ein Zimmer vermietet.“
Er öffnete die Augen und überlegte eine Weile. Dann blätterte er abwesend im Gästebuch vor und zurück. Ich zwang mich, langsam von zehn abwärts zu zählen. Als ich bei vier angekommen war, zeigte er mir den Eintrag von unserer Ankunft. Von Mohammed wusste er nach wie vor nichts. Nur, dass da ein Mann gewesen wäre, der zwei Einzelzimmer buchen wollte, aber nur ein Doppelzimmer bekommen hätte. Das Doppelzimmer für Vijay und mich.

Zurück im Zimmer setzte ich mich aufs Bett und starrte auf den Fußboden. Wo auch immer Vijay war, ich konnte nicht Ewigkeiten warten, bis er vielleicht wieder auftauchte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, zur Polizei zu gehen, aber ich hatte nicht mal ein Foto von ihm. Ich beschloss, ein Ticket nach Ladakh zu kaufen. Das ist der höchste Punkt im Himalaya. Da hatte ich garantiert meine Ruhe. Vijays Gepäck würde ich an der Rezeption abgeben.
Als ich meine Sachen gepackt hatte und ins Bad ging, um mein Duschgel zu holen, hörte ich Musik aus dem Zimmer. Einen herzzerreißenden Bollywood-Song. Ich lief zum Bett. Auf dem Nachttisch zuckte Vijays Telefon. Ich zögerte eine Sekunde, dann griff ich danach. Meine Handfläche war so nass, dass es mir fast aus der Hand gerutscht wäre.
„Vijay?“, meldete sich eine gehetzte Männerstimme, bevor ich etwas sagen konnte. „Mann, endlich erreich ich dich. Wenn du stehst, setz dich hin, ich muss dir was Wichtiges sagen.“
„Hier ist nicht Vijay“, sagte ich. „Wer spricht denn da?“
Ein paar Sekunden war es still.
„Ist Vijay nicht da?“, fragte die Stimme.
„Nein.“
„Wo ist er denn?“
Ich schwieg.
„Scheiße!“, tönte es aus der Leitung. „Sag Vijay, dass ich angerufen habe.“
„Wer bist du denn?“
„Ich bin Jack.“
Jetzt war ich an der Reihe, einige Sekunden zu zögern.
„Der Jack aus Rams Familiengästehaus?“, fragte ich dann.
„Ja. Wieso? Wer bist du denn?“
„Ich bin Alice, eine Freundin von Vijay. Ich war da auch Gast.“
„Ich versuch schon seit Tagen, Vijay zu erreichen. Es ist echt dringend. Er soll mich sofort anrufen, wenn er wieder da ist.“
„Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob er wiederkommt“, sagte ich. „Er ist schon seit gestern Morgen weg. Nur seine Sachen sind noch da. Und das Telefon. Und das sollte eigentlich auch weg sein.“
„Seid ihr noch bei Ram?“
„Nein, wir sind irgendwo in der Nähe der Stadt, oder besser gesagt, ich. Wo er ist, ist mir selbst ein Rätsel. Was ist denn passiert?“
Jack stieß die Luft aus. „Wir waren vor zwei Wochen zusammen in der Stadt, weil wir Kohle brauchten“, begann er in aufgesetzt lässigem Ton. „Abends war ich da auf ‘ner Party, weil ich ‘nen Gig hatte, wo ich fett Kohle machen konnte. Vijay sollte da auch spielen, aber er hat sich scheiße gefühlt und ist noch am gleichen Abend abgehauen. Hat er Schwein gehabt, weil, die Wichser haben nicht gezahlt. Ich bin dann am nächsten Tag noch mal zum Automaten, weil ich Cash brauchte. Aber ich hab nix gekriegt und wollte dann in das Reisebüro, in dem wir am Vortag waren, aber ...“
„Ihr habt Geld im Reisebüro abgehoben?“ Ein Ziehen jagte durch meine Magengrube. „Bei Mohammed?“
„Genau. Aber das Ding war zu, und ich hab auch sonst nirgendwo was gekriegt.“
Ich bekam Ohrensausen.
„Ich hab dann meine Bank in England antelefoniert, und die haben mir gesagt, dass meine ganze Kohle weg ist. Viertausend Pfund, Alter.“ Er redete noch weiter, aber seine Stimme rauschte nur noch durch mich hindurch. Ich sprang auf, klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und riss meine Geldtasche auf. Alles noch da.
„Wir haben ‘ne richtig coole Zeit gehabt bei Ram“, hörte ich Jack wie durch Watte. „Wir sind gleiches Alter, und wir haben viel gequatscht. Über die Musikschule, wo Vijay studiert und so. Er wollte, dass ich ...“
Ich hörte nicht mehr hin. Erst jetzt fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, nach einem Auszahlungsbeleg zu fragen. Wie konnte ich nur so dumm sein? Hatten unsere Mütter uns nicht immer vor Männern gewarnt, die uns Schokolade anboten?
Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand. Um nicht durchzudrehen, prägte ich mir jeden Gegenstand im Zimmer genau ein.
„Jack“, unterbrach ich ihn schließlich. „Warum genau rufst du eigentlich an?“
„Na, das hab ich doch gesagt. Um Vijay zu sagen, dass er seine Kreditkarte checken soll. Bei der Bank hat er nix gekriegt, aber im Reisebüro hat er auch kräftig abgehoben. Die Bullen haben gemeint, der Wichser vom Reisebüro ist ein Betrüger, also ist Vijays Kohle auch weg.“
Vor meinem inneren Auge blitzte ein Bericht über Betrugsmaschen im Urlaub auf, den ich mal im Fernsehen gesehen hatte. Ich musste plötzlich lachen.
„Was?“, rief Jack. „Wieso lachst du denn jetzt? Drehst du jetzt irgendwie durch, oder so?“
„Hast du einen Beleg gekriegt?“
„Eben nicht! Alles war so hektisch irgendwie, und wir waren auch schon ziemlich dicht. Vijay hatte ein fettes Piece dabei, damit die Mucke besser reingeht und ...“
„Vijay steckt da mit drin“, sagte ich. „Wir waren vorgestern in dem gleichen Reisebüro. Das hatte nämlich plötzlich wieder auf. Und weißt du auch, warum? Weil die die Bullen mit deinem Geld geschmiert haben.“ Ich erzählte ihm die ganze Geschichte.
„Bist du noch da?“, fragte ich dann.
„Scheiße“, sagte er. Dann stieß er wüste Beschimpfungen gegen Vijay aus.

Zwanzig Minuten später stand ich am Bankautomaten, steckte mit zitternden Fingern die Karte in den Schlitz und vertippte mich bei der Geheimzahl. Zweiter Versuch. Die Buchstaben verschwammen. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augen und tippte erneut: Auszahlung. Kreditkarte. Betrag: 10.000 Rupien, etwa hundertdreißig Euro. Das Tageslimit. Der Automat ratterte. Ich atmete auf und fixierte das Geldfach.
Willkommen bei der Staatsbank, erschien auf dem Bildschirm. Bitte geben Sie Ihre Karte ein. Zeitgleich schob sich die Karte aus dem Schlitz. Noch mal. Es lag bestimmt am Automaten. Wieder ratterte es. Die Karte kam heraus. Das Fach öffnete sich, und da lag mein Geld. Ich stieß einen kurzen Schrei aus und stopfte es in die Bauchtasche. Die Erleichterung rauschte wie eine Sturzflut durch mich hindurch. Vor dem Häuschen hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Mit einem breiten Grinsen riss ich die Tür auf und stieß mit einem alten Mann zusammen, der sich wortlos an mir vorbeidrückte. Draußen sah ich mich nach einem Telefonladen um, aus dem ich günstig meine Bank in Hamburg anrufen konnte. Am Ende der Fußgängerzone entdeckte ich ein Schild und marschierte los.
„Hallo?", hörte ich eine männliche Stimme hinter mir. Aber das war hier den ganzen Tag zu hören. Irgendwer wollte immer was. Ich eilte auf den Laden zu.
„Junge Frau?" Jemand zog mich am Ärmel. Ich fuhr herum. Vor mir stand der alte Mann aus der Schlange.
„Sie haben Ihre Karte steckenlassen." Er hielt mir meine Visakarte hin. Ich sah ihn an. Sein hageres Gesicht schien nur aus Falten zu bestehen, aber die Augen waren groß und klar.
Zögernd nahm ich die Karte. „Danke ... Ich ... Was kann ich ..."
Er winkte ab und verschwand in der Menschenmenge. Kurz darauf sah ich ihn in eine Gasse gegenüber einbiegen. Ich blieb noch eine Weile stehen, als wäre klar, dass er gleich wiederkäme. An der Gassenecke kicherten Schulmädchen in grauen Faltenröcken und großen Schleifen in den streng geflochtenen Zöpfen. Ein Junge eilte barfuß vorüber, in der Hand einen Halter mit Teegläsern. Von irgendwoher erklang eine Flöte. Langsam setzte ich mich in Bewegung und drehte mich noch ein paarmal um.

Am Telefon sagte mir die Bankangestellte, dass meine Karte auf ein Tageslimit beschränkt wäre, das hätte ich doch selbst unterschrieben. Es fehlten fünfhundert Euro. Mehr konnten die Betrüger nicht abheben. Ich schluckte und wusste nicht, ob aus Frust oder Freude.

Der Busbahnhof lag etwas außerhalb. Ich zog den Koffer die Landstraße hinunter, strich mir eine Strähne aus der klebrigen Stirn und dachte an den alten Mann. Aus den Büschen erhob sich der Gesang der Grillen, in der untergehenden Sonne tanzten Mücken. Ich blieb stehen und sah zu den Bergen hinauf. Seichte Wolkenschwaden umschmeichelten die Wipfel wie rosa Gespenster. Einen Moment lang schloss ich die Augen, breitete die Arme aus und spürte, wie mein Brustkorb sich dehnte.
Neben mir hielt ein Taxi. Ich lächelte den Fahrer an und schüttelte den Kopf. Während er davonfuhr, sah ich noch einmal zu den Wipfeln hinauf. Irgendwo da oben würde ich in zwei Tagen sein und könnte endlich das tun, was ich schon immer machen wollte. Ausspannen, meditieren, schreiben. Die Wolken verdichteten sich und nahmen eine dunklere Farbe an. In der Ferne hörte ich den Bus hupen.

 

Chai ?

... , rief Vimla, als ich mich am nächsten Morgen mit meinem Ringbuch in den Türrahmen hockte.
„Nein. Später.“

So ging es mir auch zuerst, als ich gesehen habe, wie lang deine Geschichte ist. Aber man kann ja eh nichts tun bei diesem Hundewetter, und so lege ich mein Buch dann doch mal kurz zur Seite, schon seh ich den Himalaya vor mir, schon bin ich versunken.

… und ein bisschen fett ist sie auch.“

Und spätestens hier habe ich den "Nein, später"-Gedanken vollkommen verdrängt und mich fallengelassen, wollte wissen, was es hier, weit weg, alles zu erleben gibt, fremde Natur, fremde Menschen, und ich schüttele den Kopf über meinen Anfangsgedanken, von wegen die Geschichte sei zu lang … Ich sehe die Erzählerin vor mir und Vijay und Ram, scrolle noch mal runter, und wie der Mensch so ist – nie zufrieden – denke ich: Mist, viel zu kurz. Hoffentlich nur das erste Kapitel eines Romans.

Und nur für den Fall, dass jemand ähnlich tickt wie ich und sich denkt, hm, nein, später, oder gar nicht, und stattdessen meinen Kommentar liest, würde ich ihm raten, damit aufzuhören und sich dadurch nicht diese tolle Geschichte zu versauen. Sondern zu lesen.

Das ist eben eine andere Kultur, dachte ich, während ich mir die Zähne putzte. Privatsphäre kennt man hier nicht. Und dass Ram am Schluss meinen Arm gestreift hat, kann auch Zufall gewesen sein. Nein, ich werde hierbleiben. Schließlich gibt es ja auch noch Vijay.

Das war an der Stelle auch mein Gedanke. Ich empfand ihre Flucht nämlich fast als überstürzt, Ram machte auf mich zwar einen ungehobelten Eindruck, mehr wollte ich ihm aber vorerst nicht unterstellen. Gleichzeitig fiel es mir durch die Fremde aber unheimlich schwer, die Situation einzuschätzen. Dass Vergewaltigungen in Indien keine Seltenheit sind, ist ja eine der wenigen Sachen, die man in den deutschen Medien über dieses Land erfährt, und wahrscheinlich ließe sich Ram auch nicht von einem Vijay oder einer Vimla abhalten, wenn er das denn wirklich tun wollte. Na ja, mal sehen, wie es weitergeht.

Hm. Vijay verschwindet und langsam fühlt es sich an, als würde sich hier eine Horrorgeschichte entwickeln, anfangs dachte ich sogar noch an Stephen King, der ja allzu gerne Schriftsteller zu den Helden seiner Bücher macht, und natürlich verschlägt es sie immer in irgendwelche Häuser fernab der Zivilisation … Aber da steht doch Sonstige und nicht Horror? Oder willst du mich auf eine falsche Fährte locken … Hm. Aber hey, sauer wäre ich nicht, eine Horrogeschichte in der indischen Pampa – hat man sowas schon mal gelesen?

Oh Mann, eine Vimla, die nächtliche Séancen abhält, ein schnapsbetankter Ram. Ich beginne, mir ernsthafte Sorgen um die Erzählerin zu machen.

Während er sich über seinen Reis hermachte, spannten sich meine Muskeln an. Im Fernsehen lief ein Cartoon. Ich nahm meinen Teller in die Hand, drehte Ram den Rücken zu und tat so, als würde mich das Fernsehprogramm brennend interessieren. Alles ist gut, Vimla muss ganz in der Nähe sein.

Super! Und grausam, was folgt. Aber so großartig umgesetzt … Genau wie die Entwicklung, die die Geschichte dann nimmt, hach, wie schön, die beiden kommen sich nah, aber ich glaub dir nicht, Chai, irgendwo lauert der Axtmörder, ich weiß das! Und natürlich ist es viel schlimmer, wenn der Axtmörder den tollen Prinz Vijay tötet, als wenn er irgendeinen Unbekannten tötet, also wag dich nicht mal, daran zu denken!

wie in einem Hollywoodfilm.

fühlte auch ich mich dann nach einer Weile. Alles läuft so wunderbar gut. Zu gut. Wo ist Vijay? Sag's mir! Ram hat ihn erwischt, oder? Ich halt's nicht aus!

Kein Axtmörder. Aber auch kein Prinz. Arschloch.

:(

Diese Geschichte ist so vieles, spannend und schön, lehrreich und interessant, lustig und manchmal auch scheiße, also das, was passiert. Wie eine Geschichte sein sollte, wie ein Buch sein sollte. Irgendwie ist es nämlich doch ein Roman, ein kurzer zwar, aber auf gleiche Art unterhaltsam, mit einer tollen Handlung, einem tollen Setting und vor allem tollen Menschen – ich bin ein großer Vimlafan. Und ohne quälende Längen, das soll dir mal jemand nachmachen. Vielen Dank für die Nachmittagsunterhaltung, fast habe ich dabei sogar die Hitze vergessen!

Paar Notizen, die ich mir noch gemacht habe - viele sind es nicht, dafür war ich zu sehr versunken:

aber meine Gedanken schossen wie Düsenjäger durch mein Hirn, ohne, dass einer von ihnen landete.

Hätte es für meine Begriffe nicht unbedingt gebraucht, den Vergleich. Aber ist wohl Geschmackssache.

dass ich mir die Ohren zu hielt.

wir versprachen, später bei ihm vorbei zu schauen.

Ich meine, das wird beides zusammengeschrieben - "Ohren zuhielt" und "vorbeizuschauen"

„Ich wünsche zu ruhen, mein Herr. Ihr könnt derweil tun, wonach Euch dünkt.“

Wenn sie eine echte Prinzessin ist, spricht sie von sich selbst vermutlich eher als "Eure Majestät" oder so ;) Ich ist viel zu ... pöbelhaft.

Liebe Grüße,

Lani

 

Hi Chai,

ich schreib mal beim Lesen mit:

sah mich nach einer Riksha um
Ein Wort und man weiß direkt wo man ist – zumindest ungefähr. ;)

„Naja, soll ja auch für ein halbes Jahr reichen“, sagte ich
Wow, ein ganzes halbes Jahr! Wer träumt nicht von so etwas?!

„Oh nein, nein. Der Besitzer ist Gott.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Im Smalltalk war ich noch nie gut gewesen.
Bei so Themen ist das aber eher Smalltalk für Experten! Da sollte es doch nur ums Wetter gehen!

Wahrscheinlich schaut sie es heimlich beim Sex an, dachte ich.
Wenn sie Sex im Gästezimmer hat?
Ich les oben noch mal nach, anscheinend soll es das Zimmer von Vilma und ihrem Mann sein? Irgendwie hatte ich angenommen, sie ist in dem Zimmer von dem Typen, der abgehauen ist. Da habe ich wohl etwas unaufmerksam gelesen.

„Fast vierzig, aha, aha. Du erinnerst mich an eine Tante von mir. Dasselbe Gesicht, die Haare hat sie auch immer aufgesteckt und ein bisschen fett ist sie auch.“
Nett. :D

„Chai?“, rief Vimla, als ich mich am nächsten Morgen mit meinem Ringbuch in den Türrahmen hockte.
Du Schlingel. ;)

Aber leider ist schon lange keine hübsche junge Touristin mehr hier gewesen.
Wieso ist der denn so unverschämt? Ist das Absicht von ihm?

„Warum setzt du dich nicht?“ Mit der flachen Hand klopfte er auf den Platz neben sich.
Gruuseelig!

„Nein“, sagte ich. „Ich brauche ein bisschen Privatsphäre.“
Hmm, hätte sie das in dem anderen Gästezimmer nicht?

Erst als er mich an die Wand drängte und seine Lippen an meinem Hals schlabberten, fing ich an zu zappeln.
Wieso wehrt sie sich nicht schon früher?

Ich gab nach wie eine leere Hülle.
Gibt sie wirklich so schnell auf?

„Ich hab nichts dagegen, wenn Leute klauen.“
„Du hast nichts dagegen, wenn Leute klauen?“
„Wenn sie arm sind, nicht.
Das ist ja süß. :shy:
Und ich fall noch drauf rein! Gar nicht süß ist der Arsch!

Ja, so könnte es kommen, dachte ich und klappte das Ringbuch zu. Über den Bergwipfeln verdichteten sich die Wolken. Der junge Mann saß immer noch auf der Mauer. Ich beschloss, hinunter zu gehen und ihn zu fragen, ob er studierte.
Hä, ist das alles nicht passiert?

Wie du siehst, sind meine Bemerkungen echt mickrig im Verglich zu deinem langem Text. Was soll ich sagen ... deine Geschichte war toll, sie hat mich in ihren Bann gezogen und da hab ich nur noch gelesen und gelesen.
Wie beklemmend die Situation bei Rams Gästehaus war und dann auch im Hotel in der Stadt. Die Leute in deiner Geschichte sind alle schwer zu durchschauen, jeden umgibt ein Geheimnis, was es spannend macht. Ich finde hier ist nichts vorhersehbar. Wirklich gut geschrieben!
Nur das Ende, da bin ich mir nicht sicher, ob ich es denn richtig verstehe. Wenn es wirklich bedeuten soll, dass die Geschichte nur eine Romanidee von Alice ist, dann finde ich es doof. :p

Vielen Dank für die Geschichte und liebe Grüße nach Indien,

Nichtgeburtststagskind

 

Hallo Chai

Ein sehr schöner Text, den ich in einem Rutsch durchgelesen habe. Ich finde, dein Schreiben entwickelt sich. Tastest du dich an einen Roman heran? So empfinde ich das zumindest. Ich finde, dieser Text gibt noch einmal sehr viel mehr her als deine bisherigen, die ich aber auch schon mochte.

Ja, vieles ist hier sehr gelungen. Du hast so kleine Seitenstränge drin, die gut dosiert sind, die Geburt des Enkels, Vimlas Wunsch, Ram möge sich wieder in einen jungen Mann verwandeln. Da hast du auch nicht übererklärt, lässt das einfach stehen, das fand ich sehr gut.
Dann auch der Wechsel von verschiedenen Schauplätzen, der Einbezug des Wetters. Das ist ebenfalls gut gewichtet, finde ich. Zum Beispiel hier:

Sie waberte auf einen Bergwipfel zu und lullte ihn so lange ein, bis er verschwand.

Sehr schönes Bild, wenn man die ganze Geschichte kennt! (Das «so lange» scheint mir aber entbehrlich zu sein.)


Zwei, drei kritische Anmerkungen will ich dir aber nicht vorenthalten, die dir hoffentlich weiterhelfen können.

Erstens haben mir die kursiv gesetzten Einsprengsel oftmals nicht gefallen. Zum einen, aber das ist Geschmackssache, habe ich solches Innenleben lieber direkt im Fliesstext drin, also in der Vergangenheitsform gehalten und ohne «dachte ich». («Ich ging ins Zimmer. Noch immer konnte ich mich nicht damit abfinden, in einem solchen Drecksloch gelandet zu sein.» So was in der Art)
Zum anderen benutzt du diese Einsprengsel sehr häufig, um zu erklären. Leider war mir aber häufig schon längst klar, was du da noch nachschiebst. Ein paar Beispiele:

Ich zog die Mundwinkel auseinander und nickte. Ruhig bleiben. Es hat keinen Zweck, hier eine Diskussion über Emanzipation anzufangen.
„Nein. Später“, sagte ich. Ihr Lächeln erlosch. Wahrscheinlich war ich ein bisschen zu ruppig gewesen.
Morgen bin ich hier weg. Was für ein Vollidiot. Ich etrappte mich dabei, wie ich an mir hinabsah. Alles noch dran. Gut, ich bin nicht gertenschlank, aber deshalb sehe ich noch lange nicht aus wie ein Sumoringer. Vimla ist dicker als ich.
Scheiß auf Ram, dachte ich und legte den Kopf weit in den Nacken. Der denkt sich wahrscheinlich gar nichts dabei, sowas zu sagen. Da steh ich drüber. Außerdem ist er sowieso tagsüber auf der Farm, dann hab ich meine Ruhe.
Ich nickte. Da kann ich nicht mithalten, dachte ich, als ich Madonna in schwarzer enger Lederkluft und ohne ein Gramm Fett durch das Programm tanzen sah. Ich muss mich eben damit abfinden, dass ich eine fette alte Tante bin. Ich hab halt meine Blütezeit gehabt. Alles im Leben hat seine Zeit.
Ich bin in den verknallt, schoss es mir durch den Kopf. Na schöne Scheiße. Aber gut. Ich bin alt genug, um das im Griff zu haben. Eine Nacht lang Musikvideos gucken kann ja auch mal ganz erheiternd sein.

Vor allem, wenn es darum geht, die Unsicherheit von Alice, was ihr Alter und ihre Figur betrifft, zu verdeutlichen, schiesst du meiner Meinung nach übers Ziel hinaus. Die klingen, ehrlich gesagt, zum Teil auch recht unbeholfen, diese Blicke in Alices Kopf.

Auch in den Details hast du manchmal etwas zu viel Erklärung drin, wie ich finde:

Nur die Türen waren offenbar gestrichen worden, denn sie leuchteten blauer als der Himmel.

Das «offenbar» hast du ab und zu im Text. Mir wäre es meistens lieber, wenn einfach beschrieben wäre, wie es ist, und ich die Schlüsse selber ziehen kann. Das ist nicht immer möglich, klar, aber hier zum Beispiel fände ich es eleganter, ohne «offenbar» und «denn» zu erzählen.

Zweitens würde ich die Dialoge vielleicht noch einmal durchgehen. Die sind mir zum Teil etwas zu geradlinig. Ich hatte das leise Gefühl, der Autorin dabei zuzuschauen, wie sie ihre Figuren dahin bringt, wo sie sie haben möchte, und das auf dem schnellsten Weg. Schwierig das zu verdeutlichen, aber ich hatte den Eindruck zum Beispiel, als Alice auf Vijay trifft. Zackbumm: Gemeinsame Leidenschaft (Schreiben), ähnliche Sorgen (Blockade). Das habe ich als sehr linear empfunden. Klar, Dialoge brauchen Zug, den hast du. Aber manchmal könntest du dir etwas mehr Zeit lassen, z.B. müssen die Figuren nicht immer gleich die «richtige» Frage stellen, die den Dialog vorantreibt.

Drittens würde ich noch mal schauen, ob man im Mittelteil vielleicht etwas kürzen (oder ausbauen, je nachdem) könnte. Mir war es für eine Weile etwas zu viel von: Alice geht weg und kommt zurück, Ram geht weg und kommt zurück, Vijay geht weg und kommt zurück, Ram geht noch mal weg etc., das fand ich ein klein wenig ermüdend. Weil ich unbedingt wissen wollten, wie es weitergeht, habe ich ohne Probleme weitergelesen. Vielleicht liegt dennoch noch etwas drin.

Viertens würde ich den Schluss kippen. Du gehst mit den Lesern einen Vertrag ein. Ich weiss, dass das eine fiktive Geschichte ist, aber mit der Zeit stellt sich diese Suspension of disbelief ein, die doch so wichtig ist für den Genuss. Wenn du den Vertrag am Ende wieder so radikal brichst, dann komme ich mir, obwohl ich mir ja bewusst bin, so oder so Fiktion zu lesen, dennoch verarscht vor. Vor allem bringt dein Schluss erzählerisch überhaupt keinen Mehrwert, wie ich finde.

So, das war jetzt unverhältnismässig viel Kritik gemessen an diesem tollen Text. Ich finde, du bist auf einem sehr guten Weg. Sehr gerne gelesen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Chai,

ganz schön lang, der Text. Trotzdem habe ich ihn beinahe am Stück gelesen. Und zwar mit Genuss und Spannung. Selbst der Twist am Schluss hat mich total überrascht. Insofern wunderfein. Die narrative Ebene, also Figurenzeichnung, Spannungsaufbau, Sprache, Stil funktionieren sehr sehr gut.

Auf der inhaltlichen Ebene habe ich Vorbehalte. Einerseits interessieren mich Born-Out-Aussteiger-Kiffer-Geschichten fast gar nicht, hätte ich also auf einem Buchrücken den Plot gelesen, hätte ich das Buch weggelegt und wäre mir die Hände waschen gegangen.
Was aber schwerer wiegt: bist du dir eigentlich sicher, welche Botschaft du da transportiert hast? Bei mir ist folgendes angekommen: Indische Männer sind Monster, die dich austricksen wollen, die Frauen devot, bisschen plemplem und glauben an Dämonen. Und der Himalaya ist nichts als eine Sehnsuchtskulisse für billige Drogenräusche und Sinnsucher.

Textstellen:

Es gelang mir nicht. Zehn Jahre. Arbeiten. Schlafen. Arbeiten. Bis ich nicht mehr konnte. Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt.
drei Roboter?

Er trug Westjeans und ein rotes weites T-Shirt.
westjeans, echt? Klingt nach DDR

Er lachte trocken.
Wahrscheinlich schaut sie es heimlich beim Sex an, dachte ich. Von dem Mann auf dem Bild war nichts mehr übriggeblieben.
sehr hübsch, klasse Bild: der Mann, von dem nichts übrig blieb

Ich empfahl ihm ein paar Bücher zu seinem Thema, aber die kannte er schon und empfahl mir Bücher zu meinem Thema, die ich noch nicht kannte.
mm, etwas ungenau, hölzern, wenn du das erwähnst, muss auch was Konkretes kommen.

Während ich lief, hoffte ich, einen klaren Kopf zu bekommen, aber meine Gedanken schossen wie Düsenjäger durch mein Hirn, ohne, dass einer von ihnen landete.
hübsches Bild!

. „Ich hab nichts dagegen, wenn Leute klauen.“
„Du hast nichts dagegen, wenn Leute klauen?“
„Wenn sie arm sind, nicht.“
gelebtes Gutmenschengedankengut, aber richtig.

„Nichts. Außer, dass du schön aussiehst, wie du da sitzt und in den Regen rausguckst.“
Wir rückten näher zusammen, und er legte sanft die Hand auf meinen Rücken. Nach einer Weile begann er kaum spürbar, mich zu streicheln. Ich lehnte mich an ihn, und wir sahen wieder in den Regen. Hoffentlich kann er gut küssen, war das Letzte, was ich dachte.
Er konnte. Es dauerte nicht lange, und wir lagen knutschend auf der Matratze. Dann auf dem Teppich. Und wieder auf der Matratze. Mein Körper rannte mir davon.
guter Anfang der erotischen Szene, du bleibst nahe bei ihr und wirst nicht allzu deutlich

Ich stöhnte laut auf. Dann rammelte er los, als hätte ich eine Stoppuhr in der Hand.
Ich war schlagartig nüchtern und wollte mich gerade beschweren, da war es schon wieder vorbei. Schweigend lagen wir nebeneinander. Vijay baute einen Joint.
„War es schön für dich?“, fragte er.
Ich biss die Zähne zusammen. Bisher hatte ich geglaubt, dass Männer sowas nur in schlechten Filmen fragten.
„Ja“, sagte ich. Und das stimmte ja eigentlich auch. Was waren schon zehn Sekunden gegen einen ganzen Abend?
hier versaust du die Stimmung und wendest die Situation ins Lächerliche (mMn)

. Vijay holte einen Roman von Jack Kerouac aus seiner Umhängetasche und vertiefte sich darin.
„Ich bin stinksauer“, sagte er. „Ich muss mich jetzt erstmal runterbringen.“
Ich glotzte in die Gegend. Mir gegenüber saß ein blondes Touristenpärchen mit Fotoapparat um den Hals und lächelte mir freundlich zu. Daneben eine tibetische Familie, sonst waren nur Männer anwesend.
klar, Jack Kerouc, klar, die Touristen sind blond, aber wie die tibetische Familie aussieht soll ich mir vorstellen?

Erst spät in der Nacht döste ich kurz weg, schreckte aber bald darauf wieder hoch. Ich schnappte mir das Telefon und ging Vijays Adressliste durch.
mm, wird kaum funktionieren, woher weiß die das Passwort für seinen Sichtbildschirm?

Ja, so könnte es kommen, dachte ich und klappte das Ringbuch zu. Über den Bergwipfeln verdichteten sich die Wolken. Der junge Mann saß immer noch auf der Mauer. Ich beschloss, hinunter zu gehen und ihn zu fragen, ob er studierte.
:Pfeif:

Liebe Ich- will-auch-mal-nach-Indien-Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Mein J,

beste Chai hierorts bis ins hinterste Vorderindien,

über 71.800 Zeichen zeigt mein System für diese Geschichte an, heißt (sofern es sich nicht verzählt hat, ich werd's auf keinen Fall kontrollieren) 40 (!) Seiten Standardmanuskript, wenn ich mich nicht verrechnet hab ( - 60 Zeichen/Zeile, 30 Zeilen/Seite, das Zeichen in Courier 12 pt., die Standardtype der guten alten Schreibmaschine. [71.800/60 x 30 = 39,888...]. Bedeutet: Sitzfleisch und Konzentration und gleich die erste Frage:

Wann ist man zu alt für einen Rucksack? Muss ich mich daran gewöhnen, wenn ich zur Stadtbücherei geh, einen Koffer mitzunehmen? Am besten gleich einen Flugkoffer, falls ich mal abstürz - was ich ja auch schon einmal hierorts breitgetreten hab. Aber schön, wieder nahe beim Dach der Welt zu sein.

Es ist praktisch, nicht der erste Kommentäter zu sein. Da lässt sich leicht Vorrednern anschließen. Kurz: Du machst Dich, keine Frage. Und dass es keine Sozialstudie ist, sollte auch klar sein, selbst wenn der selbstgestellte Auftrag

Über den Himalaya wollte ich schreiben, den Einfluss seiner Sagen und Mythen auf die Kultur
den Gedanken aufflackern lassen kann (mein Gott, was zwirbel ich wieder, dre Verben in Teih und Glied!).

Und weil es zunächst nix zu mosern gibt allein ein winziger Hinweis - hierzu

Ich stellte meinen Koffer ab und ging ihr hinterher.
Warum so aufwändig, wenn's schlicht auch "und folgte ihr" ohne Bedeutungsverlust heißen könnte?

und die Behauptung

Er trug Westjeans und ein rotes weites T-Shirts
hätt' mich fast verführt, in die eigene Hose zu schauen, ob es nicht darinnen "made in Bangla-Desh" heißt ...

Hier nun

... und kam in einen niedrigen Raum mit einem kleinen[,] verrosteten Ofen in der Mitte.
wäre m. E. ein Komma zu setzen, weil beide Adjektive gleichrangig sind und die Gegenprobe mit "und" auch glatt geht.
"Klein" bestimmt "verrostet" zudem nicht näher (dann wäre es "ein kleines bisschen" verostet, z. B.) Ähnlich seh ich's hier
Da kann ich nicht mithalten, dachte ich, als ich Madonna in schwarzer[,] enger Lederkluft und ohne ein Gramm Fett durch das Programm tanzen sah.

„Meine Tochter hat einen dreieinhalb Kilo schweren Jungen zur Welt gebracht. Danke[,] Gott!“
Gott will mir da als Anrede erscheinen ..., darum das Komma
„Wollen wir heute mal ein bisschen fernsehen?“[,] fragte er, als die Serie zu Ende war.

Aber nun zum eigentlichen Problem und natürlich taucht beim Ich-Erzähler das Personalpronomen der ersten Person Einzahl auf, aber doch nicht inflationär, dass jedes weitere "ich" mit Ermüdung droht - und spätestens hier, auf halbem Wege quasi
Ich hievte mich auf die Seite, betrachtete die Dachluke wie ein großes schwarzes Loch und ärgerte mich, dass ich nicht mitgegangen war.
denk ich mir, warum betont sie - Alice/einmal Chai - "sich", wenn a) die Beugung im Deutschen eindeutig ist und somit auch mal das Pronomen weggelassen werden kann oder - wie jetzt, zwo ich-lastige Sätze zusammengefügt werden können, etwa so "Ich hievte mich auf die Seite, betrachtete die Dachluke wie ein großes schwarzes Loch und ärgerte mich, nicht mitgegangen zu sein"? Und nehmen wir den nächsten Absatz bzgl.des Versuchs, das Personalpronoe 1.Person Einzahl mittels Verb einzudämmen
Wenn Ram jetzt käme, hätte er es in meinem Zustand noch leichter, mich zu überwältigen. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, nachts noch ein Picknick zu veranstalten.
Wieder raffte ich mich auf, um ins Zimmer zu gehen.
Warum nicht "Wenn Ram jetzt käme, hätte er es in meinem Zustand noch leichter, mich zu überwältigen. Fühlte mich nicht wohl dabei, nachts noch ein Picknick zu veranstalten.
Raffte mich wieder auf, um ins Zimmer zu gehen."
usw. usf.

Das Personalpronomen als Ausbremser. Lass es weg, wo's weglassen sich lässt. Wer behauptet, dass der Indikativ mit dem Imperativ verwechsel werden könne, kennt nicht den finen Unterschied am Ende - das Endungs-e und ggfs. die Funktion des Apostrophs: Ich gehe, ich geh' / Geh!, ist ja nicht jedes so deutlich wie "ich lese/les'" und "lies!"

Und warum alles im Ton einer Nacherzählung? Du hast doch Witz, Du hast Humor. Warum diese endlose Ich-Leier ...?

Befrei Dich einfach davon!, ruft der

Friedel

Dear zu!

 

Liebe Lani,

So einen tollen ersten Kommentar kann man sich ja nur wünschen! Ich habe mich so darüber gefreut, das glaubst du gar nicht! Genau die Wirkung wollte ich erzielen! Und bei so einem langen Ding hab ich mich oft selbst darin verloren und schreibe und lese durch, schreibe und lese durch ... Bis ich irgendwann gar nichts mehr weiß, weil alles 1000x gelesen und umgeschrieben. Und so dachte ich zum Schluss: Ich poste das jetzt einfach, sonst sitz ich da noch in 10 Jahren dran. Irgendwas passt mir sowieso immer nicht.

Umso mehr freue ich mich, dass die Stimmung, die ich erzeugen wollte, genau so bei dir gegriffen hat. Nein, ist kein Horror, oder doch, irgendwie schon, aber ohne Axtmörder.
Ich wollte aber eben diese gruselige Stimmung erzeugen, dass man immer denkt, es könnte was passieren, aber vielleicht auch nicht, und das ist mir bei dir gelungen! Ich freu mich so!!
Und auch vielen Dank, dass du andere zum Weiterlesen ermunterst. Das ist so ... Ach, mir fehlen die Worte ... Schön einfach.
Ich geh mal deine Anmerkungen durch:

" ... und ein bisschen fett ist sie auch ..."

- Und spätestens hier habe ich den nein später Gedanken verdrängt -, schreibst du.
Freut mich sehr, dass Ram deine Neugierde geweckt hat.

- Ich fand die Flucht nämlich fast als überstürzt. -
Kann ich verstehen. Ist mir beim Schreiben auch in den Sinn gekommen, dass das irgendwie paranoid wirken könnte, nur, weil der Typ ein bisschen schmierig ist. Und do lange ist sie ja noch nicht da, dass sie jetzt schon abdrehen könnte. Aber dann schreibst du:
- Gleichzeitig fiel es mir durch die Fremde aber unheimlich schwer, das einzuschätzen. -
Und so würde ich auch Alices Verhalten begründen. Sie spürt diese Beklommenheit, aber weiß eben nicht, wie sie damit umgehen soll, eben auch, weil sie völlig allein in der Fremde ist.

- Wahrscheinlich ließe sich Ram auch nicht von einem Vijay oder einer Vimla abhalten. -
Das weiß man nicht. Vielleicht wird ihm auch plötzlich bewusst, was er da tut, er entschuldigt sich am nächsten Tag sogar dafür. Nicht, dass das sein Verhalten wieder gut macht, um Gottes Willen. Aber er könnte ja auch einfach darüber hinweggehen.

- Ich bin ein großer Vimla-Fan! -
Ich auch!

"Aber meine Gedanken schossen wie Düsenjäger durch mein Hirn ..."

- Braucht es nicht. -
Ist einer meiner Lieblinge und deshalb schwer sich davon zu trennen ... Isegrims ist der Vergleich positiv aufgefallen, deshalb hoffe ich, dass du es mir nicht übel nimmst, wenn ich meinen Liebling voerst behalte.

" ... dass ich mir die Ohren zu hielt" = zuhielt.
Danke.

"vorbei zu schauen" = vorbeizuschauen.
Dafür auch.

"Ich wünsche zu ruhen, mein Herr."
- Ich ist viel zu pöbelhaft. -
Hast recht! Sie sollte sich in der 3. Person ansprechen.

Noch mal ganz ganz lieben Dank für deinen Kommentar und Leseeindruck.

Freudige Grüße von Chai


Liebes Nichtgeburtstagskind,

was für ein langer Name. Auch über deinen Kommentar habe ich mich sehr gefreut, zumal ich dich hier im Forum als ziemlich kritisch erlebe. Umso mehr begeistert es mich natürluch, dass ich dich mit meiner Geschichte packen konnte. Und ja, es freut mich natürlich auch, dass es so wenig zu verbessern gab. Mal schauen, was dir aufgefallen ist:

"Oh nein, nein. Der Besitzer ist Gott ... Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Im Smalltalk war ich noch nie gut gewesen."
- Bei so Themen ist das aber eher Smalltalk für Experten! -, schreibst du.
Das sollte ironisch gemeint sein. Aber so ist es bei dir wohl nicht angekommen.

"Wahrscheinlich schaut sie es heimlich beim Sex an."
- Wenn sie Sex im Gästezimmer hat. -
Nein, das ist das Schkafzimmer von Vimla und Ram. Deshalb die Kuscheltiere, das Bild etc. Vielleicht hab ich das nicht klar genug gemacht. In den anderen Zimmern gibt es nur ein einfaches Bett.

- Wieso ist der denn so unverschämt? Ist das Absicht von ihm? -
Er fühlt sich besser dadurch.

- Hätte sie im unteren Gästezimmer keine Privatsphäre? -
Nein, denn da läuft jeder an ihrem Fenster vorbei oder sitzt direkt davor. Oben gibt es nur das eine Zimmer.

"Ich gab nach wie eine leere Hülle."
- Wieso wehrt sie sich nicht schon früher? Gibt sie wirklich so schnell auf? -
Weil sie unter einer Art Schockstarre steht. Sie will sich wehren, aber sie kann nicht. Und später gibt sie auf, weil sie bereits alle Kraft aus sich herausgepresst hat. Und jetzt auf stand by schaltet, also praktisch ihre Selbstschutzmechanismen hochfährt.

- Die Leute in deiner Geschichte sind alle schwer zu durchschauen, jeden umgibt ein Geheimnis. -
Schön, dass du das so wahrnimmst. So soll es sein.

- Ich finde, hier ist nichts vorhersehbar. -
Und darüber freue ich mich richtig! Denn das konnte ich beim Schreiben irgendwann überhaupt nicht mehr einschätzen, wie das auf Außenstehende wirkt.

- Naja, das Ende. -
Ja, da muss ich wohl noch mal ran. Das haben auch andere als suboptimal empfunden. Da muss ich noch weiter dran drehen.

In diesem Sinne erstmal liebe Grüße von Chai

 

Lieber Peeperkorn,

- Ein sehr schöner Text, den ich in einem Rutsch durchgelesen habe - , schreibst du.
Das freut mich über alle Maße! Es war mein erster Versuch, eine längere Geschichte zu schreiben, in der ich einen Plot entwickeln, die Spannung halten muss usw. und es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Deshalb freut es mich umso mehr, dass es dir und einigen anderen hier, genauso geht. Ist ja ein ganz schöner Brocken.

An einem Roman schreibe ich bisher noch nicht, aber durch diesen Text habe ich einen Einblick bekommen, welchen Sog eine Geschichte entwickeln kann, wenn man sie langsam entfaltet. Ich kann mir also durchaus vorstellen, mich irgendwann an einen Roman zu setzen. Jetzt bleibe ich aber erstmal bei Kurzgeschichten.

- Du hast so kleine Seitenstränge drin, die Geburt des Enkels, Vimlas Wunsch, Ram möge sich wieder in einen jungen Mann verwandeln. Da hast du auch nicht übererklärt ... -
Das ist schön, dass du das so siehst. Ich war mir nämlich bei dem Vimla-Strang nicht sicher, ob das nicht zu sehr offen bleibt. Aber wie du weißt, neige ich ja zum Übererklären, und von daher beruhigt es mich, dass es das da tatsächlich nicht gebraucht hat, ohne dass ein Strang lose herumhängt. Ja, den Kniff muss ich noch rauskriegen, zu wissen, wann ich nicht viel erklären muss und der Leser sich den Rest schon selber denkt.

"Sie waberte auf einen Bergwipfel zu und lullte ihn so lange ein, bis er verschwand."
Ja, das "so lange" ist entbehrlich, das stimmt. Und dass dir aufgefallen ist, dass das Bild auf das Ende der Geschichte hinweist, begeistert mich natürlich auch, denn das war meine Absicht, die Natur mit der Handlung verschmelzen zu lassen.

Aber nun zu deiner Kritik:

- Erstens haben mir die kursiv gesetzten Einsprengsel oftmals nicht gefallen ... -
Ja, das war ein Versuch. An einigen Stellen habe ich gedacht, es würde authentischer wirken, wenn man Alice direkt in den Kopf gucken kann und dann vielleicht noch näher an ihr dran ist. Zum Beispiel wenn sie denkt: Mist, ich habe ... Das hörte sich für mich in der Vergangenheitsform irgendwie falsch an. An anderen Stellen ist es natürlich überflüssig, wie hier:

"Ich zog die Mundwinkel auseinander und nickte. Ruhig bleiben. Es hat keinen Sinn hier eine Diskussion über Emanzipation anzufangen."
Da hast du einige genannt, wo ich wieder übererkläre. Werde den Text darauf noch mal durchkämmen.

Dann der Satz:
"... die Türen waren offenbar gestrichen worden, denn sie leuchteten blauer als der Himmel."
Ohne "offenbar" und "denn" klingt besser. Stimmt.

Was die Dialoge angeht, hast du mich ins Grübeln gebracht. Die wären zu gradlinig, die Figuren müssten nicht immer die richtige Frage stellen, die den Dialog vorantreibt. Dazu hast du das Kennenlern-Beispiel zwischen Alice und Vijay als Beispiel genannt. (Beide schreiben usw.) Meinst du, sie hätten sich erst übers Wetter unterhalten sollen? Ich mein das jetzt ganz ehrlich und ohne Ironie. Oder irgendein Geplänkel über ihre Herkunft? Ich stehe hier ein bisschen auf dem Schlauch, ehrlich gesagt. Hätte ich es noch mehr rauszögern sollen? Gerade hier hatte ich den Eindruck, es müsse endlich mal was passieren. An anderen Stellen im Text werden ja auch manchmal Sachen gesagt, die die Handlung nicht vorantreiben und die Charaktere deshalb natürlicher wirken lassen, also verstehe schon, was du meinst, aber bei dieser Kennenlern-Szene bin ich erstmal überfragt. Vielleicht kannst du mir da noch ein konkreteres Beispiel nennen?
Man hört ja sonst oft das Gegenteil, dass das Gesagte nicht belanglos sein soll.

Im Mittelteil war es dir etwas zu viel des Kommen und Gehens.
Das muss ich mir noch mal in Ruhe angucken. Vijay soll ja verschwinden, und Ram taucht immer mal wieder an Alices Tür auf. Das gehört ja zur Handlung. Ich hatte ja eher die Befürchtung, dass die Essensszenen zu lang geraten sein könnten, aber hier bin ich erstmal überfragt.

Aber ich muss das sowieso alles erstmal sacken lassen. Deshalb erstmal vielen lieben Dank für den tollen Kommentar, hat mir sehr geholfen.

Liebe Grüße von Chai

 

Liebe Chai,

ich habe deine Geschichte trotz ihrer novellenhaften Länge gerne gelesen. Du hast eine dichte Atmosphäre geschaffen, auf mich wirkt das authentisch, ich hab das Gefühl, ich bin in Indien.

Fangen wir vorne an, lass uns mal über den Titel schwätzen. Ich krieg das gar nicht zusammen, was der mit dem Text zu tun hat. Meine Assoziation zu Hirnstoffwechsel ist diese ewige Debatte über die Ursachen psychischer Erkrankungen. Natürlich haben die immer ganz viele Ursachen. Aber da gibt es eben diejenigen, die alles auf das Umfeld des Betroffenen schieben wollen, Familie, Schule, Arbeit, gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Stichwort: die schizophrenogene Mutter). Und die, die auch den genetischen, chemischen Anteil sehen, dass da eben bei diesen Patienten der Hirnstoffwechsel, die Neurotransmitter, verändert sind. Letzteres kann für das Umfeld eine Entlastung bedeuten. Was das alles mit deiner Geschichte zu tun hat? Nix. :shy:
Falls du Lust hast, erzähl mir doch mal, wie du auf diesen Titel gekommen bist.

Was mir beim Lesen nicht so ganz klargeworden ist: Wie gut kennt deine Alice eigentlich Indien? Ich hab das Gefühl, sie ist nicht zum ersten Mal da, sie bewegt sich doch einigermaßen sicher in diesem exotischen Land. Wobei: Dass sie erst wieder zwei Stunden mit dem Bus über Land rumpeln muss, um Bargeld zu holen, na ja. Ist schon klar, dass das für den Plot gut ist. Lass es ruhig so. Aber ein bisschen desorganisiert wirkt sie da schon.:hmm:

Dass die Alice da kaum eine Zeile aufs Papier bringt, finde ich übrigens sympathisch und realistisch. Wenn ich mir meine Schreibzeiten abends und am Wochenende nehmen muss, kommt ab und zu was Hübsches bei raus. Aber wenn ich den ganzen Tag Zeit hätte und auf den Himalaya gucken könnte, weiß nicht, ich glaube, da käme nicht viel zustande.

Ich finde an der Geschichte toll, dass ich als Leserin zusammen mit deiner Alice (im Wunderland?!) über die Rolle der Frauen nachdenken kann. In den traditionellen Gesellschaften und in den sogenannten modernen. Schuften kann frau überall: entweder für die Großfamilie oder in der Verwaltung.

Während ich losmarschierte, dachte ich an die Kollegen aus der Verwaltung und versuchte, mir ihre Gesichter vorzustellen. Es gelang mir nicht. Zehn Jahre. Arbeiten. Schlafen. Arbeiten. Bis ich nicht mehr konnte. Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt.

Verwaltung ist übrigens ein sehr generischer Begriff, finde ich. Da ist halt die Frage, ob du das nicht ein bisschen näher spezifizieren möchtest, damit es natürlicher klingt. Dabei ist es egal, was du nimmst, denk dir was aus, die mh mh mh Versicherung, was weiß ich. Mir hätte es auch gereicht, wenn sie hinterher zwei auf ihre Stelle gesetzt hätten und nicht drei, aber gut. Wie ein Workaholic wirkt deine Alice auf mich nicht. Oder sie haben drei Luschen auf ihre Stelle gesetzt.:lol:

schwerfällig. Dann gab sie mir ein Zeichen, ihr die Außentreppe hinauf zu folgen, die zwischen den beiden Räumen zu einem Zimmer im ersten Stock führte. Ich stellte meinen Koffer ab und ging ihr hinterher.
Eigentlich wäre alles voll, meinte sie. Es gäbe nur zwei Zimmer, eins wäre besetzt, und in dem anderen hätte jemand noch Gepäck stehen, der vor einer Woche in die nächst größere Stadt verschwunden war. Sie drückte die Zimmertür auf und winkte mich hinein. „Hier du können bleiben.“
Ich sah mich in dem Raum um. Offenbar war es ein Privatschlafzimmer

Hier wimmelt es von zu vielen Zimmern. Zum Beispiel würde Tür reichen, dann wäre es schon mal eins weniger.

„Du verheiratet?“
„Nein.“
„Gut!“ Sie hielt den Daumen hoch.

Dieser Dialog mit Vimla, ist der realistisch? Ist die Vimla schon so weit? Oder entstammt sie nicht doch einer Gesellschaft und einer Frauengeneration, deren Wunsch es ist, verheiratet zu sein, bzw. wo es für die Frauen keine gesellschaftlich akzeptierte Alternative gibt, zumindest wenn sie in der Region bleiben wollen.

Er trug Westjeans und ein rotes weites T-Shirt.

DDR-Jargon? Wie wäre es mit Markenjeans?

Dann starrte ich die Berge an, als würde mir jemand ein Foto vor die Nase halten, das ich unbedingt gut finden sollte

Ich habe die Tage über Vergleiche nachgedacht und den hier finde ich echt gut. :thumbsup:

Ich etrappte mich dabei

:Pfeif:

fiel mein Blick sofort auf das Porträt. Ich nahm es ab und ließ es in der Nachttischschublade verschwinden. An der Wand blieb ein dunkler Fleck zurück.

Nicht eher ein heller? Kommt weiter unten nochmal. Ich würde denken, dass die Wandfarbe nachdunkelt und da, wo ein Bild hing, eben nicht. Oder knallt da die Sonne so rein, dass sie ausbleicht? Keine Ahnung.


Wird getrennt geschrieben. Kommt zweimal vor.

Die Stofftiere glotzten mich an.
„Jaha, das glaub ich, dass ihr euch darüber ausschweigt“, fuhr ich fort.

Süß

Der Zeiger des Omaweckers auf dem Nachttisch ging auf drei Uhr zu.

Der kleine Zeiger für die Stunden, oder?

erkannte ich, dass es Vimla war. Sie war geschminkt wie ein junges Mädchen

Obwohl ich mir nicht so richtig vorstellen kann, wie in Indien ein junges Mädchen geschminkt wird (vielleicht kannst du das noch irgendwie näher beschreiben, scheint ja etwas Spezielles zu sein?), finde ich das ein starkes Bild! Wie sie sich ihren Ram wieder jung und knackig wünscht, ha! So richtig spooky. (Wenn du den Text irgendwann mal zum großen Indienroman erweiterst, dann stünde auf meiner Wunschliste auch noch eine gespenstische Szene in einem Tempel …)

Er zerrte an meinem Hosenbund.
Ich gab nach wie eine leere Hülle. Ich bin das nicht, das geschieht einer anderen.

Gut beschrieben!

Über mir tanzte ein Mückenschwarm.
„Wieso kommen die immer zu mir“, sagte ich

Zu mir kommen sie auch immer. Seufz.

Auf dem Bazaar

Laut Duden geht Basar und Bazar. Kommt zweimal vor.

Ja, nun ist es halt so, dass die beiden Westler, Alice und Jack, beide ganz in Ordnung zu sein scheinen. Während alle Inder auf die eine oder andere Weise Charakterschwächen zeigen. Ram und Vimla sind Heuchler, die hinter ihrer traditionellen Fassade von fleischlichen Begierden getrieben werden. Vijay - also, ich gehe einfach mal davon aus, dass du dieses April-April-Ende so ändern wirst, dass das keine Tagtraum war - ist der Überzeugung, dass arme Leute klauen dürfen.

Du verarbeitest geschickt die wesentlichen Themen, die Zündstoff bieten beim Aufeinanderprallen von Indern und Deutschen. Mir geht es ja schon so, dass ich mich in Osteuropa mies fühle, weil es mir als Deutsche wirtschaftlich besser geht. In Indien ist das Wohlstandsgefälle zu Deutschland noch viel größer. Trotzdem hätte ich mir wenigstens noch einen, sagen wir mal etwas souveräneren Inder in der Geschichte gewünscht, der Charakter zeigt. Kann eine Nebenfigur sein, ein alter Mensch, ein Kind, irgendjemand, der mir signalisiert, dass es das da auch gibt.

Insgesamt hast du aber gezeigt, dass du eine Geschichte langsam entwickeln, planen und aufbauen kannst. Das habe ich vor allem beim zweiten Lesen bemerkt und das hat mir gut gefallen. (Etwa, wo sie von Vijays übertriebener Zielstrebigkeit beim Weg zum Geldautomat genervt ist. Das erklärt sich dann später.) Sehr schön! :)

Liebe Grüße
Anne

 

Liebe Chai,

da komme ich doch glatt auch mal bei dir vorbei, bei der Hitze hier wird das jetzt nicht so viel werden, aber das Wichtigste zuerst: Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen, schön spannend und exotisch und sonstig.
Das Zweitwichtigste, weil es mir da nämlich genau wie Peeperkorn erging: Es war mir tatsächlich auch zu viel Kommen und Gehen im Mittelteil, da habe ich etwas den Faden und die Lust verloren, aber natürlich nicht ganz, dafür ist die Geschichte zu schön geschrieben, da wollte ich schon wissen, wie es weitergeht. Ich würde es aber auch gut finden, wenn du da nochmal rangehst.

Bis ich nicht mehr konnte. Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt.
Da hat sich ja Anne49 im Vorkommentar auch schon ein wenig gewundert, und ehrlich, so herum läuft das doch heutzutage eher gar nicht – normalerweise wird, wenn es gut geht, einer wieder eingestellt, oder die anderen müssendie Arbeit des Gegangenen einfach mitmachen – aber drei …? Ist jetzt nicht so die megawichtige Stelle, aber trotzdem.

Dann finde ich noch (aber das ist sicher nur meiner eigenen Beschränktheit geschuldet),
dass die Namen Vijay und Vimla, die ja für deutsche Ohren und Augen ungewöhnlich sind, sich zu sehr ähneln. Beides mit Vi und irgendwo noch ein a … Da musste ich manchmal kurz nachdenken, wer es denn nu eigentlich ist.

Er trug Westjeans und ein rotes weites T-Shirt.
Vllt. einfach: Er war westlich gekleidet, mit Jeans und …

„Chai?“, rief Vimla, als ich mich am nächsten Morgen mit meinem Ringbuch in den Türrahmen hockte.
Sehr schön :lol: – ich überlege seitdem, wie ich es hinkriege, in meine nächste Geschichte beiläufig einen Raindog einzubauen.

Die Frau trug einen feierlichen mintgrünen Sari und eine gleichfarbige Dupatta, also einen Seidenschal, auf dem Kopf.
Das „also“ würde ich rausnehmen, das ist Erklärbärslang. Vllt.so: „sie trug einen gleichfarbigen Seidenschal, eine Dupatta, auf dem Kopf“.

als hätte ich Vimla dabei beobachtet, wie sie ihren Mann betrog. Mit ihm selbst.
Sehr schön! :thumbsup: Geschieht ihm recht!

Obwohl ich erst vor zwei Tagen gepackt hatte, lag die Hälfte der Sachen wieder im Zimmer herum
Ich glaube, es war an dieser Stelle, dass ich gedacht habe, Mann jetzt, so ein ewiges Hin und Her. Ja, ich weiß, du musst es natürlich für die Story passend machen, aber vielleicht fällt dir noch etwas ein, was das Ganze etwas strafft und nicht so verwirrend werden lässt für solche schlichten Gemüter wie mich. :confused:

Ansonsten habe ich jetzt keinen Textkram weiter.

Zu dem Thema, wie die indischen Menschen in deiner Geschichte wegkommen, muss ich sagen: Natürlich, die Teilnehmer kommen da jetzt nicht gerade positiv rüber, aber ich persönlich habe das gar nicht als störend empfunden. Ich denke einfach, du lebst ja dort, und es ist für dich das Gleiche, wie wenn jemand von uns hier eine Story mit zwielichtigen Deutschen schreibt - da sagt ja auch niemand, nee, so sind wir hier ja gar nicht alle … Aber noch ein kleiner rechtschaffener Inder würde den westlichen Touris und deiner Geschichte vielleicht doch gut tun.

Deine Leute finde ich ansonsten alle gut gezeichnet, vor allem Ram, diesen alten Chauvi.

Und der Schluss: Mach den weg! :peitsch: Da haben wir nun eine sooo lange (und tolle) Geschichte gelesen, da wollen wir doch nicht am Ende noch verarscht werden!

Liebe Grüße nach Indien, wo es bestimmt nur halb so warm ist wie hier … :schiel:
Raindog

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chai

Bitte entschuldige, ich hatte schon ein ungutes Gefühl, als ich die Sache mit den Dialogen schrieb. Ist nicht gut, so etwas hinzuklatschen, ohne es auch richtig zu begründen. Ich befürchte, ich bin mittlerweile etwas faul geworden, nicht nur, was die Anzahl meiner Kommentare betrifft.

Werfen wir also noch einen genaueren Blick auf die beiden ersten Dialoge mit Vijay:

Ich schielte zu dem jungen Mann hinüber.
„Gehörst du zur Familie?“
„Nein. Ich bin hier auch Gast“, sagte er, ohne mich anzusehen.
„Und wo kommst du her?“
„Nun, ich bin aus Indien.“
„Ja, aber wo genau?“
„Delhi.“
„Oh, okay.“

Das ist schon sehr straightforward. Frage und Antwort, alles sehr knapp. Hier hat das für mich noch gepasst, es geht ja auch darum, den Vijay als eher zurückhaltend und wortkarg einzuführen. Darüber hinaus ist aber schon sehr klar, wozu der Dialog da ist: Der Leser soll zwei wichtige Infos erhalten: Vijay ist Gast und er ist Inder. Aber wie gesagt, hier hat das für mich gepasst.

Der zweite Dialog:

„Schreibst du?“
„Ich versuche es.“
„Manchmal klappt es einfach nicht. Egal, wie sehr man sich bemüht.“
„Sprichst du da aus Erfahrung?“
„Ja, ich studiere Journalismus. Ich kann davon ein Lied singen.“ Er sah wieder auf mein Buch und warf mir einen aufmunternden Blick zu. Dann schob er die flachen Hände in die Hosentaschen, sprang die Treppe hinunter, setzte sich im Schneidersitz auf die Mauer und begann, in seinem Schoß einen Joint zu bauen.
Ich legte das Buch weg und trat hinaus auf die Treppe. Die Sonne stand hoch, die Luft klebte. Über den Bergwipfeln zogen Wolken auf.
„Möchtest du?“ Vijay hielt den fertigen Joint hoch. Grinsend zog ich die Tür hinter mir zu und lief zu ihm hinunter. Ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekifft, und nach ein paar Zügen merkte ich, wie sich meine Glieder entspannten. Es schien doch noch ein guter Tag zu werden.
„Wie gehst du denn mit Schreibblockaden um?“, fragte ich, während ich eine Regenwolke beobachtete. Sie waberte auf einen Bergwipfel zu und lullte ihn so lange ein, bis er verschwand.
„Naja, das hast du ja gestern gesehen“, sagte Vijay und lachte. „Ich war ja nicht besonders gut drauf.“
„Dann geht’s dir also grad genauso wie mir?“
„Ja.“
„Zufälle gibt’s ... Und wie kommt es, dass es dir heute besser geht? Warst du heut schon produktiv?“
„Nein. Aber ich habe das hier.“ Er hielt mir den Joint hin. Ich lachte. Dann fiel mein Blick auf das Türschloss vor dem Raum neben seinem.
„Ist der Typ immer noch nicht zurück?“
Vijay folgte meinem Blick. „Nee, der ist schon seit ‘ner Woche verschwunden.“
„Kennst du den?“
„Flüchtig. Der ist ziemlich bald, nachdem ich gekommen bin, abgehauen. Ich weiß nur, dass er Jack heißt, Engländer ist und in meinem Alter.“
„Wie alt bist du denn?“
„Vierundzwanzig.“
„Und was schreibst du, wenn du nicht blockiert bist?“

Hier fand ich das nicht mehr so glücklich. Das Ganze ist mir zu sehr ein Frage-und-Antwort-Spiel. Vor allem am Ende, wo auf das Stichwort «Alter» prompt die Frage kommt: Wie alt bist du denn?

Aber auch schon vorher:
„Sprichst du da aus Erfahrung?“ / „Wie gehst du denn mit Schreibblockaden um? / „Dann geht’s dir also grad genauso wie mir?“ / Und wie kommt es, dass es dir heute besser geht? Warst du heut schon produktiv?“

Das ist mir alles etwas zu direkt erfragt. Klar, du kannst sie damit auch als neugierig charakterisieren oder als froh, dass sie jemanden mit ähnlichen Interessen gefunden hat. Aber dennoch, es wirkt ein wenig so, als würde Alice einen Fragebogen ausfüllen wollen.

Was könnte man anders machen? Nein, nicht übers Wetter sprechen, aber vielleicht:

1.Ich glaube, ich würde Vijay hier mehr aus eigener Initiative sprechen lassen, nicht immer erst auf Nachfrage.

2. Ich würde schauen, Infos etwas subtiler einzubauen (Sprichst du aus Erfahrung? – Ich studiere Journalismus: Das ist schon sehr direkt.)

Also statt ihn die Floskel „ich kann ein Lied davon singen“ sagen zu lassen, lass ihn doch dieses Lied tatsächlich singen:

„Schreibst du?“
„Ich versuche es.“
„Manchmal klappt es einfach nicht. Egal, wie sehr man sich bemüht.“
„Stimmt. Vielleicht sollte ich warten, bis mir was einfällt. Sich bemühen ist eh keine gute Strategie.“
„Ausser es gibt eine Deadline. Am Morgen tritt Narendra Modi zurück, und am Nachmittag musst du den Text fertig haben, inklusive Analyse und Prognose.“
Ich hebe den Kopf und sehe ihn an.
Er lächelt. „Standardübung bei uns an der Uni.“

Ob das jetzt besser ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Aber es verdeutlicht hoffentlich meinen Punkt.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Chai,

Ich habe noch so furchtbar wenig Neues hinzuzufügen, dass dieser Komm unter deinem Monstertext wohl nicht mal als verkrüppelter Zwerg durchgehen kann. Na gut, dann züchte ich jetzt eben Miniaturzwerge.

Ich zerrte meinen Koffer aus dem Bus
Ich bin gerade irgendwie in einer Phase, in der ich vorher total Lust habe, irgendetwas zu lesen und zu kommentieren, dann lese ich die ersten zwei Sätze und habe keinen Bock mehr. Nicht unbedingt, weil die ersten Sätze schlecht sind, sondern einfach weil ... weil ... :confused:
Ich glaube, wenn beim ersten Satz auch nur ein ganz kleines Häuchlein Negatives mitschwingt, dann schalte ich im Moment sofort ab. Das winzige Wörtchen zerren hat mir so die Stimmung vermiest, dass es ausgereicht hat, dass ich mich echt zwingen musste, auch den zweiten und dritten Satz und den Rest der Geschichte zu lesen. Und das, obwohl mich die Geschichte danach fast sofort richtig mitgerissen hat und ich gar nicht mehr vom Bildschirm aufblicken wollte.
Ich bin da gerade etwas sehr hypersensibel, ich lasse trotzdem mal den Vorschlag da, dieses Zerren zu ersetzen.

Ich habe noch ein Fehlerchen gefunden:

Wieso hat du deine Sachen nicht mitgenommen!

Schwups, schon ist der Miniaturzwerg fertig. Damit werde ich der Geschichte bestimmt nicht gerecht, ich belasse es aber trotzdem dabei. Als winziger Vorschlag.

Liebe Grüße,
Anna

 

Hallo Isegrims,
schön, dass du vorbeischaust. Und auch, dass du die Geschichte mit Genuss und Spannung gelesen hast, ( ohne dir hinterher die Hände gewaschen zu haben, hoffe ich ) obwohl dich Themen dieser Art eigentlich gar nicht interessieren. Aber auf der inhaltlichen Ebene hattest du ja auch Vorbehalte.

- indische Männer sind Monster, die Frauen devot, bisschen plemplem ... der Himalaya ist nichts als eine
Sehnsuchtskulisse für billige Drogenräusche und Sinnsucher -, schreibst du.
Ich habe schon damit gerechnet, dass der Text bei dem einen oder anderen so ankommen könnte. Es war nicht meine Absicht, alle indischen Männer als Monster darzustellen. Die zwei in der Geschichte könnte man so sehen, wenn man denn den Begriff "Monster" verwenden will, aber von "alle" war nicht die Rede. Und es sollte auch nicht so rüberkommen, dass zwischen den Zeilen steht:"Guckt euch an, was das für miese Ratten sind. So ist das da und nicht anders." Wenn das bei dir so angekommen ist, tut es mir leid. Ich habe natürlich zwei heftige Themen gewählt: Vergewaltigung und Betrug. Natürlich sind nicht alle so, aber es sind schon beides Dinge, die nicht unüblich sind. Vor bestimmten Betrugsmaschen wird oft gewarnt, auch von den Indern selbst. Ich persönlich sehe hier niemanden als Monster, sondern wollte lediglich zeigen, wohin die Unterdrückung von Sexualität und allgemeine Chancenlosigkeit ( wenn man nicht gerade aus der Mittel- oder Oberschicht kommt ) führen kann. Ich sehe Ram und Vijay eigentlich eher als Opfer, nicht als Monster.
Mir ist schon bewusst, dass das heikle Themen sind, gerade, wenn es um eine andere Kultur geht. Raindog hat mir da aus der Seele gesprochen, indem sie schrieb, dass wahrscheinlich niemand was gesagt hätte, wenn die Geschichte in Deutschland angesiedelt gewesen wäre. Höchstens vielleicht, dass die Männer in der Geschichte nicht gut wegkommen.

Dass indische Frauen auf dem Lande nach wie vor in ihrer traditionellen Rolle gefangen sind, ist eine Tatsache, obwohl sie längst nicht so brav sind, wie sie nach außen hin scheinen, deshalb findet Vimla es auch gut, dass Alice nicht verheiratet ist, bzw. gibt ihr den Tip, ihre Liebelei eher geheim zu halten, um Ärger zu vermeiden. So devot wie sie nach außen hin wirkt, ist sie also nicht. Eher geschickt und gar nicht plemplem. Sie ist halt ungebildet ( was auch keine Seltenheit ist bei älteren Frauen auf dem Land ), spricht nur gebrochen englisch/deutsch, aber als plemplem würde ich sie deshalb nicht bezeichnen.

Dass der Himalaya zur Sehnsuchtskulisse mutiert ist sicher nicht von der Hand zu weisen, obwohl die gestresste Alice mit dieser "Kulisse" ja erstmal gar nichts anfangen kann. Und sie ist in erster Linie zum Schreiben dort hingefahren, nicht, um sich mit Drogen zuzuhauen und nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Zumindest nicht bewusst.

Natürlich hätte ich auch andere Beispiele nehmen können, klar. So richtig gut weg kommt eigentlich niemand, weder die Inder noch die Touristen. Aber es ist eben nur ein Ausschnitt einer bestimmten Klientel, dass alle so sind wird hier nicht behauptet.

"Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt."
- Drei Roboter? -, fragst du.
Es würde mich nicht wundern. Über die drei Leute sind noch andere gestolpert. Habe das Beispiel gewählt, weil ich mal eine Frau getroffen habe, der es tatsächlich so ergangen ist. Von daher hielt ich das Beispiel nicht für sooo unrealistisch.

-Westjeans, echt? Klingt nach DDR.-
Stimmt. Genau wie damals in der DDR wird in Indien viel vom (goldenen) Westen gesprochen und von den Westlern und West-Kleidung. Ich verstehe aber, dass das irritierend wirken kann, zumal du nicht die einzige bist, die darüber gestolpert ist.

"Ich empfahl ihm ein paar Bücher zu seinem Thema, aber die kannte er schon und empfahl mir Bücher zu meinem Thema, die ich noch nicht kannte."
- Wenn du das erwähnst, muss auch was Konkretes kommen. -
Warum? Es geht ja nicht um die Inhalte einzelner Bücher, das würde das Thema mMn unnötig auswalzen. Eher ging es mir hier um Alices arrogante Haltung, dass sie sich ein bisschen über ihn stellt, weil sie älter ist und glaubt, deshalb die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Und sich damit ins Fettnäpfchen setzt.

- Guter Anfang der erotischen Szene ... hier versaust du die Stimmung, ziehst ins Lächerliche ... -
Ja, das ist ein krasser Bruch, über den ich beim Lesen selbst gestolpert bin, weil man plötzlich so rausgerissen wird. Ich hab's aber trotzdem drin gelassen, weil die Stimmung in dem Moment ja tatsächlich wechselt. Erotisch ist das, was folgt, ja nun nicht gerade.

- Jack Kerouac, klar. Die Touristen sind blond, aber wie die tibetische Familie aussieht, soll ich mir vorstellen ... -
Das ist ein guter Punkt, bei dem ich wohl zu viel vorausgesetzt habe. Dass Tibeter schwarze Haare haben, hielt ich nicht für erwähnenswert, auch haben sie nicht gelesen oder sonst irgendetwas getan außer warten, ich beschreibe ja auch nicht die wartenden Männer. Ich werde mir aber noch das eine oder andere Detail überlegen, um die Familie plastischer darzustellen.

- Woher weiß sie das Passwort für seinen Sichtbildschirm? -
Indische Simkarten sind nicht mit einem Passwort versehen. Man kann sich also freiwillig eins auf dem Telefon einrichten, kann es aber auch lassen.

Liebe Isegrims,
ich freue mich darüber, dass du die Geschichte trotz inhaltlicher Vorbehalte gelungen fandest und fast in einem Rutsch gelesen hast. Das nehme ich als Kompliment und danke dir herzlich für die Anregungen.

Viele -vielleicht fährst du ja irgendwann auch mal nach Indien-Grüße von Chai


Lieber Friedrichard,
du treuer Kommentator, du. Auch dir erstmal ein großes Dankeschön, dass du die Geschichte gelesen und kommentiert hast. Auch, wenn ich meine herausgehört zu haben, dass dir meine kurzen Geschichten besser gefallen. Aber erstmal der Reihe nach:

- Wann ist man zu alt für einen Rucksack? -
Wenn du mich fragst, nie. Ich persönlich reise immer mit Rucksack, und das wird sich wohl auch so schnell nicht ändern. Aber Alice tickt da anders.

"Ich stellte meinen Koffer ab und ging ihr hinterher."
- Warum nicht: ... und folgte ihr. -
Ja, warum nicht? Klingt sehr viel besser. Danke für den Vorschlag.

- Westjeans. Made in Bangladesh -
Hahaha. Ja, das stimmt natürlich. Und weil so einige über die Westjeans gestolpert sind, werde ich mir hier was anderes überlegen.

"kleiner verrosteter Ofen" mit Komma. Werd ich ändern. Genau wie:"Danke, Gott", und sage an dieser Stelle: Danke, Friedel.

- Alice/einmal Chai ... -
Nee, du, das war Absicht. Damit meine ich nicht mich, sondern das Getränk. Wird in Deutschland ja oft als Chai-Tee bezeichnet, aber diese Doppelung wollte ich vermeiden, denn Chai heißt bereits Tee.

" ... und ärgerte mich, dass ich nicht mitgegangen war ..."
- nicht mitgegangen zu sein. -
Tja, warum einfach, wenn's auch kompliziert geht. Wird übernommen. Und was die ewigen Ich's angeht ... Da hab ich schon dran rumgebastelt, dass das nicht zu Ich-lastig wird. Dachte ich. Zumindest war das Ich am Anfang öfter mal weg, taucht dann aber natürlich irgendwann im Satz auf. Da muss ich unbedingt noch mal ran, denn die Beispielsätze, die du kopiert hast, hören sich in der Tat ziemlich verquast an. (Ich) schau mal, wie es für mich passt, wenn ich das (Ich) weglasse, oder ob ich dann das Gefühl hab, das bin dann nicht mehr Ich. Auch die Apostroph(e)(s?) schaue ich mir noch mal an, war der Meinung, man bräuchte sie an vielen Stellen nicht. Geh ich noch mal drüber.

- Und warum alles im Ton einer Nacherzählung? Du hast doch Witz, du hast Humor. -
Also so witzlos fand ich das Ganze jetzt nicht. Denke schon, dass man an der einen oder anderen Stelle auch mal schmunzeln kann. Natürlich ist das nicht durchgängig so, das wäre mir bei so einem langen Text aber, ehrlich gesagt, auch schwer gefallen, das hätte ich nicht durchgehalten, und das hätte für mich auch nicht gepasst. Bei kürzeren Texten kann ich viel pointierter schreiben, kürzer halt und knackiger. Beim Auserzählen schien mir das nicht möglich zu sein, wollte ja eher eine etwas beklemmende Stimmung kreieren. Aber wie eine reine Nacherzählung klingt es deshalb für mich nicht.

Also, lieber Friedel, es war mir wie immer eine Freude, und ich wünsche dir ein schönes und sonniges Wochenende. Hier gießt es wie aus Kübeln, und ich hoffe, dass das Internet noch eine Weile durchhält. Muss sonst alles noch mal schreiben.

Liebe Grüße von Chai

 

Liebe Chai,

also an einer Schreibblockade hast du bestimmt nicht gelitten wie Alice(Chai?) oder der junge Journalist. :lol:
Natürlich gerät man bei einer längeren Geschichte ins Erzählen. Man muss Zeiträume überbrücken, hat Bedenken, dass detailreiche Passagen als ausufernd empfunden werden, dass womöglich Langeweile aufkommt und der Leser abspringt, vor allem, wenn er/sie unter Zeitdruck liest ... und dann ist das noch das verflixte Element Spannung. Ich finde, man muss da ganz schön ausbalancieren.

Nun, du hast einen soliden Plot, spannende Charaktere und ein gewichtiges Thema: den Zusammenprall fremder Kulturen einerseits und doch die Erkenntnis, dass in elementaren Bereichen Verhaltensweisen ähnlich sind. Das hast du, finde ich, sehr schön zusammengeführt. Du weißt schon, da wartet ein Roman im Hintergrund ...

Ich habe deine lange Kurzgeschichte gerne gelesen. Wie du an meinen Geschichten schätze ich, dass du sehr authentisch schreibst. Ich glaube, schon seit deinen ersten Geschichten, dass du die Verhältnisse vor Ort sehr gut kennst, womöglich selbsterlebte Szenen einbaust. Ich fühle mich dabei gut unterhalten und gleichzeitig informiert. Isegrims befürchtet, wenn ich mich recht erinnere, dass du gängige Vorurteile bedienst. Die Gefahr besteht immer, aber ich vertraue darauf, dass du für dich selber nicht zu Pauschalierungen neigst und ich in der Lage bin, mir, wenn nötig, zusätzliche Quellen zu erschließen. Im Grunde gilt das für jeden Text, auch für fiktionale.

Nur der Schluss. Falls du ihn behalten willst, fände ich es gut, wenn du ihn ausbauen würdest. Alice hat unter dem Einfluss von Drogen einen „Hirnstoffwechsel“ erlebt, der alle Ängste, Erwartungen und Befürchtungen in reales Erleben transportiert. Erschöpft von der Suche nach einer ordentlichen Unterkunft, sowie von einer Schreibblockade erlebt sie eine Vision von dem, was sein könnte. Als sie zurückkommt ( in doppeltem Sinn) hat sie ihre Blockade überwunden und ihr wahres Thema, Menschen begegnen Menschen, gefunden, statt Mythen nachzujagen. Kommt mir fast autobiografisch vor.

Kann schon sein, dass du das so beabsichtigt hast. Aber da sind mir drei Sätze der Prota am Schluss zu wenig. Zumindest sollte sie nicht nur grinsen, sondern dem Leser vermitteln, dass sie mit einer ganz neuen Einstellung zu Vijay geht, in dem Bewusstsein, ich weiß etwas, was du nicht weißt . So etwas könnte in einen verwirrenden Dialog mit versteckten Botschaften einfließen ... Und der Leser freut sich, dass er mehr weiß als Vijay.

Hat Spaß gemacht zu lesen.

Herzlichst wieselmaus

 

Liebe Anne49,
wie schön, dass du mir wieder einen Besuch abstattest. Und du fängst auch ganz am Anfang an. Bei der Überschrift.

- Meine Assoziation zu Hirnstoffwechsel ist diese ewige Debatte über die Ursachen psychischer Erkrankungen ... Was das alles mit deinem Text zu tun hat? Nix. -
In der Debatte über die Ursachen psychischer Erkrankungen geht es aber um einen gestörten Hirnstoffwechsel. Davon war hier nicht die Rede. Sondern wie eine veränderte Umgebung, neue Erfahrungen und natürlich auch Drogen eine veränderte Sichtweise auf die Dinge bewirken können. Es war für mich auch ein Wortspiel, nämlich der Sprung von Alices altem Leben in das neue, das Gehirn bekommt neuen Stoff, den es verarbeiten muss. Der Vergleich, der dir so gut gefällt (was mich übrigens sehr freut) macht u.a. deutlich, in welcher Stimmung Alice da ankommt.

"Dann starrte ich die Berge an, als würde mir jemand ein Foto vor die Nase halten, das ich unbedingt gut finden sollte."
Ja, meine Güte, sie ist im Himalaya. Spürt die nix? Die sehen doch toll aus die Berge da. Dann nimmt die Entwicklung ihren Lauf, sie muss durch alle möglichen emotionalen Höhen und Tiefen gehen, und trotz Scherereien, fühlt sie sich am Ende lebendig und grinst, obwohl das ganze Geld weg ist. Ja, ich weiß, das Ende ist doof, deswegen kann ihre Reaktion am Schluss wohl auch nicht die Wirkung erzielen, die ich mir erhofft hatte. Aber der Prozess dorthin wird, denke ich, klar.

- Ich finde an der Geschichte toll, dass ich als Leserin, zusammen mit deiner Alice ( im Wunderland?) über die Rolle der Frauen nachdenken kann. -
Ja, Alice im Wunderland, Tür an Tür mit Alice Schwarzer. Tja, man hat's manchmal überall schwer, egal ob Indien oder Verwaltung. Das hat mir sehr gefallen, dass du das so siehst, denn das war für mich einer der Schwepunkte der Geschichte. Apropos Verwaltung. Da bin ich ja von einigen ganz schön ausgemeckert worden mit meinen drei nachträglich eingestellten Leuten. Also ich habe so eine Geschichte tatsächlich mal gehört. Ist vielleicht zehn Jahre her. Aktuell klingt das nicht, da habt ihr natürlich recht. Ich könnte mich jetzt natürlich damit rausreden, dass die Geschichte ja nicht heute spielen muss, aber das Smartphone verrät mich dann wieder. Also da überlege ich mir was. Und Verwaltung ... Stimmt, ist unkonkret. Auch da muss ich nochmal ran. Dank dir dafür.

- Wie ein Worcoholic wirkt deine Alice nicht auf mich. -
Nee, eher wie jemand, der nicht nein sagen kann.

- Der Dialog mit Vimla:
"Du verheiratet?"
"Nein."
"Gut."
ist der realistisch? Enstammt sie nicht einer Generation, die sich wünscht, verheiratet zu sein? -
Einerseits ja, andererseits hat sie natürlich die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere Mensch, und Ram scheint mir nicht gerade das zu sein, was man sich unter einem wünschenswerten Ehemann vorstellt.

- Wie gut kennt deine Alice eigentlich Indien ... -
Gute Frage. Zunächst nicht so gut, denn sie muss sich in der fremden Kultur ja erstmal zurechtfinden. Zum Schluss klärt sie Jack aber über Vijays Betrugsmasche auf. Das kann ich nicht nur mit dem Hirnstoffwechsel erklären. Da muss ich mir noch was einfallen lassen, um den Bogen zu schlagen.

Dass Alice desorganisiert wirkt, weil sie nicht genug Geld dabei hat, ist klar. Ist aber nicht nur wegen der Spannung, sondern sie soll allgemein desorganisiert sein. Der Riesenkoffer, mit dem sie da durch die Berge zieht, die Unordnung, die teilweise überstürzten Handlungen und letztendlich ihr verpeiltes Rumgeeiere mit Vijay in der Stadt. Sie hätte ja auch wirklich bei ihren Himalayamythen bleiben können, die Schreibblockade bezwingen können. So richtig weiß sie aber offenbar nicht, was sie eigentlich will.

- Dass Alice da kaum eine Zeile aufs Papier bringt, finde ich sympathisch. -
Ich auch.

"An der Wand blieb ein dunkler Fleck zurück."
- Nicht eher ein heller? -
Da sagste was. Und Recht haste.

- naja. Getrennt. -
Wird mir ständig gesagt. Schande über mich.

"Der Zeiger des Omaweckers ..."
- Der kleine Zeiger. -
Danke.

- ... geschminkt wie ein junges Mädchen ... -
Da hab ich mich wohl etwas ungenau ausgedrückt. Es sollte bedeuten, dass sie sich schick macht mit Schminke und so, was sie sonst eher nicht tut. Gut, muss ich noch mal ran. Sonst klingt das, als ob sich nur junge Menschen schminken.

"Bazaar"
- Basar/Bazar. -
Ok.

Was die Aussage betrifft, hattest du offenbar einen ähnlichen Leseeindruck wie Isegrims, nur etwas sanfter formuliert, die Touristen fandst du ja sogar ganz in Ordnung. Hmmm. Also dieser Jack war mir persönlich jetzt nicht so sympathisch. Dass er da "fett Kohle" in einem Land absahnen will, in dem viele Menschen nicht mal genug zum Leben haben und sich dann noch darüber aufregt, dass "die Wichser" nicht gezahlt haben, finde ich bestenfalls naiv. Da muss ich Isegrims recht geben, was den Himalaya lediglich als Kulisse für billige Drogenräusche angeht. Und auch Alice ist davor nicht gefeit, wie man feststellen konnte.

- Ram und Vimla sind Heuchler ... Ich hätte mir einen souveränen Inder in der Geschichte gewünscht ... -
Keiner in der Geschichte ist souverän, weder Inder noch Touristen. Alle haben ihre Schattenseiten. Ich persönlich bin ja wie Lani ein großer Vimla-Fan. Ich finde die toll. Hinter religiösen Fassaden schlummern eben doch oft menschliche Bedürfnisse, und ich kann Vimla verstehen, dass sie sich ihren jungen Ram zurückwünscht. Wahrscheinlich war der früher auch netter. Aber so wie es aussieht, ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende, da muss ich mir noch 'nen final clou überlegen. Und vielleicht taucht da ja noch mal jemand auf, der ganz normal ist.

So, liebe Anne. Hast mir wie immer sehr geholfen, und ich freue mich, dass du die Geschichte gerne gelesen hast.

Ein schönes Wochenende dir, und genieß die Sommerhitze. Hier ist grad kühler als in Deutschland.

Liebe Grüße von Chai


Hallo Raindog,

du hältst mir ja auch die Treue. Wie schön. Bin schon sehr gespannt darauf, wie du in deine nächste Geschichte einen Raindog einbaust. Der hätte doch bei "Heini" ganz gut gepasst.

Also zuerst muss ich erstmal loswerden, dass du mir aus der Seele gesprochen hast, was die Sicht auf die indischen Männer und die Aussage der Geschichte angeht, die man evtl. in deren Verhalten sehen könnte. Ich hab eben auch kurz überlegt, dass das falsch ankommen könnte, habe es dann aber genauso gesehen wie du. Es geht eben nicht um indische Männer im allgemeinen, sondern um die aus der Geschichte. Aber da muss ich wohl noch bisschen dran rumdrehen, um das Missverständnis aus dem Weg zu räumen.
Watt sachste noch:

- Es war mir tatsächlich auch zuviel Kommen und Gehen im Mittelteil. -
Kannst du mir da vielleicht nochmal genau sagen, wo du da aussteigst? Du sprichst eine Szene an. Die, wo sie nach Vijays Rausschmiss ins Zimmer kommt und ihre Sachen verstreut herumlagen. Peeperkorn hat aber vom Kommen und Gehen davor gesprochen, denke ich. Als Vijay verschwindet und dann ist Ram wieder weg, dann geht Alice spazieren. Ich denke, da ging es um die Überbrückung der Zeit bis zu Rams Ausfall und Vijays Wiederkehr. Das ist aber eine andere Stelle. Vielleicht weißt du ja noch so ungefähr, wo es ist, dann kann ich mir das nochmal angucken.

- Vimla und Vijay -
Die Namen sind zu ähnlich, meintest du. Kann ich verstehen. Gerade wenn es Namen sind, die man sich evtl. eh schwer merken kann. Ich hab die Namen aber mit Bedacht gewählt, weil sie etwas über die Figuren verraten. Vijay bedeutet Victory, und das schien mir hier gut zu passen und Vimla (Vimala) heißt die Reine, Unbefleckte. Ja, ich weiß, das stimmt nicht 100%, aber wer ist schon porentief. Bei einigen hier ist Vimla ja auch nicht gut weggekommen. Für mich hat sie aber was kindlich unschuldiges und sollte eigentlich auch Sympathieträger sein, weder plemplem noch heuchlerisch.

"Er trug Westjeans ..."
- Er war westlich gekleidet. -
Sehr gut! Übernehm ich.

" ... gleichfarbige Dupatta, also einen Seidenschal auf dem Kopf."
- Sie trug einen gleichfarbigen Seidenschal, eine Dupatta ...-
Klingt viel besser! Das holpert irgendwie, da hast du Recht. So als ob sich die Erzählerin versprochen hat.

- Und der Schluss: Mach den weg! -
Ja, das muss ich dann wohl endgültig. Nur muss mir erstmal was Neues einfallen und so lange muss ich ihn noch lassen, sonst ist es noch verwirrender. Ich fand ja die Option, dass das alles nur in Alices Kopf stattfindet, gut. ( Klar, sonst hätt ich's nicht geschrieben. ) Weil das auch einen Bezug zur Überschrift und zum Schreiben herstellt. Darum geht es ja erstmal am Anfang, und ich wollte das nicht so lose da rumbaumeln lassen. Aber das muss ich wohl. Oder mir kommt noch irgendeine zündende Idee.

- In Indien ist bestimmt nur halb so warm. -
Stimmt. Zumindest hier in den Bergen, wo ich grad bin. Hier ist es einigermaßen erträglich. Aber was meckert ihr denn - endlich mal wieder Sommer! Genießt es!

Ein geruhsames Wochenende wünsche ich dir.
Liebe Grüße,
Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Chai,

ich fand die Geschichte ganz zauberhaft! Ganz ehrlich. Na gut, die letzten zwei, drei Sätze, aber da werde ich jetzt nicht noch mal nachtreten, Du hast es bereits oft genug gehört. Ja, also ich fing an und las und las und fühlte mich wunderbar unterhalten, wurde nirgendwo stilistisch so derart aus der Geschichte gehauen, dass es meinen Lesefluss unterbrach und auch der Spannungsbogen war für mich gut gezogen. Jetzt kann ich Dir aber nicht nur diesen einen Satz unter eine solch mühevolle Geschichte schreiben, das wäre nicht fair, auch wenn es sich wahrscheinlich wunderbar anfühlt: Eins. Setzen. Der nächste Bitte. Also zwei Popel hatte ich doch im Hinterkopf, und ich habe mir das erste Drittel noch mal genauer vorgenommen und ich schreib Dir das jetzt (neben den Popeln) auch auf, heißt aber nicht, dass es zwingend für diese Geschichte ist, kann auch was für die Zukunft sein oder, wenn es Dir nicht gefällt, für den Papierkorb. In jedem Fall ist alles was kommt Jammern auf hohem Niveau und Kleinviehkram.

Ich sah die Landstraße hinunter und zwang mich gerade, ruhig zu atmen, da fiel mein Blick auf ein kleines Holzschild am Straßenrand.

Wegen der Satzrhythmik würde ich umstellen: Ich sah die Landstraße hinunter und zwang mich, ruhig zu atmen, als mein Blick auf ein kleines Holzschild am Straßenrand fiel.

Während ich losmarschierte, dachte ich an die Kollegen aus der Verwaltung und versuchte, mir ihre Gesichter vorzustellen. Es gelang mir nicht. Zehn Jahre. Arbeiten. Schlafen. Arbeiten. Bis ich nicht mehr konnte. Danach hatten sie für meinen Job drei Leute eingestellt.

Ich fand das wunderbar auf den Punkt gebracht. Und was die Diskussion hier zur Einstellung von drei Leuten für einen betrifft, ich bin eine von denen. Nicht alle drei in Vollzeit, und auch eher wegen der verschiedenen Aufgabenbereiche, aber nach fünf Jahren war ich komplett durch, und mein Chef hatte ein Problem. Endlich er und nicht mehr ich. Ist wahr, ich schwöre!

Unverschämt grün thronte der Himalaya über dem staubigen Tal. So grün, als wollte er es verspotten.

Toll!

Naja, soll ja auch für ein halbes Jahr reichen“, sagte ich und fragte nach einem Zimmer.

Anne hat es schon geschrieben. Mach mal auseinander. Bitte. Suche und ersetze. Dauert keine 30 Sekunden.

Eigentlich wäre alles voll, meinte sie. Es gäbe nur zwei Zimmer, eins wäre besetzt, und in dem anderen hätte jemand noch Gepäck stehen, der vor einer Woche in die nächst größere Stadt verschwunden war. Sie drückte die Zimmertür auf und winkte mich hinein. „Hier du können bleiben.“
Ich sah mich in dem Raum um. Offenbar war es ein Privatschlafzimmer.

Hier Popel Nr. 1. Ich bekomme die Gebäude nicht auf die Reihe. Also, da gibt es das Familienhaus und dann die Pension, so eine Art Anbau oder Extrahaus, egal, mit Außenklo. Sie ist aber in dem Pensionsteil, d.h. die Besitzer haben ihr Schlafzimmer dort? Das finde ich komisch. Vielleicht ist das in Indien ja so, keine Ahnung, aber ich will das nicht kapieren, was das da für ein Zimmer ist, zumal die beiden Vermieter ja nun auch irgendwo schlafen. Auf der eigenen Couch? Im Esszimmer ja nicht, wo das natürlich auch gut ginge.

Dann starrte ich die Berge an, als würde mir jemand ein Foto vor die Nase halten, das ich unbedingt gut finden sollte.

Mein Lieblingssatz aus der ganzen Geschichte.

Den ganzen nächsten Absatz finde ich nicht wirklich geglückt. Da Du das Original ja vor Dir hast, und ich echt viele Änderungen, erspare ich mir jetzt das Zitieren und stell mal einfach um, haue weg, was mir sehr, sehr unnötig erscheint, und Du kannst die beiden Varianten einfach vergleichen.

Als ich unten ankam, lief er sofort auf mich zu. „Ram.“ Er streckte mir seine Hand entgegen.
Ich zögerte kurz, bevor ich sie ergriff. Das war Ram? Der Typ auf dem Bild?
„Alice … Du bist also der Besitzer hier?“
„Oh nein, nein. Der Besitzer ist Gott.“
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und schielte zu dem jungen Mann hinüber. Vilma rief nach Ram und er trollte sich Richtung Haus.
„Gehörst du zur Familie?“, fragte ich den Unbekannten auf der Mauer.
„Nein. Ich bin auch Gast“, sagte er, ohne mich anzusehen.
„Und wo kommst du her?“
„Delhi.“
„Oh, okay. Ich heiße Alice.“
"Vijay."
Dann sagte er nichts mehr. Ende der Konversation.

Wie Du siehst, ich habe ziemlich viel rausgenommen. Aber Du kannst nicht sagen: Sie ist schlecht in smalltalk und drei Zeilen später beginnt sie einen solchen von sich heraus. Und Du kannst auch nicht sagen, Sie reden kein Wort mehr, aber seinen Namen erfährt sie doch. Da muss er ja nun doch noch was gesagt haben. Außerdem ist das eine super Zeige-Situation, da muss man nicht ins tell ausweichen. Und die Sache mit dem Foto und Vilmas Sexphantasien - ach Gottchen, ja, die brauchts hier auch so gar nicht nach meinem Empfinden.Und so finde ich das irgendwie cool, wenn sie da so kurz in Folge zwei mal abserviert wird. Das erhöht auch den Kontrastr zur späteren Wendung, wenn die beiden da mit ihr Fummeln (wollen).

Der Speiseraum befand sich direkt über der Küche, in einem Holzhäuschen auf dem flachen Dach. Ich kletterte die Stiege zur Dachluke hoch und kam in einen niedrigen Raum mit einem kleinen verrosteten Ofen in der Mitte. Auf dem Boden lagen Teppiche, an den Wänden Matratzen.

Das musste ich jetzt fünf Mal lesen, um zu kapieren, dass auf dem Dach noch ein Häuschen steht. Ich immer so, ja, jetzt auf oder unter dem Dach? Ich würde das irgendwie anders schreiben. Der Speiseraum war ein Holzverschlag auf dem Flachdach der Küche. Klar, deutlich, nicht die relevante Information am Ende des Satzes verstecken.

„Du hast doch einen kräftigen Körper, warum isst du nicht“, sagte Ram.

„Du hast doch einen kräftigen Körper. Warum isst du nicht?“, fragte Ram.

„Fast vierzig, aha, aha. Du erinnerst mich an eine Tante von mir. Dasselbe Gesicht, die Haare hat sie auch immer aufgesteckt und ein bisschen fett ist sie auch.“

Geil! Was für ein Frauenversteher :D

„Was? Neununddreißig und keine Kinder?“ Ram lachte. „Was machst du denn dann den ganzen Tag? Frauen brauchen auch eine Aufgabe. Meine Tochter ist zwanzig Jahre jünger als du und im neunten Monat schwanger. Wenn die in deinem Alter ist, habe ich mindestens fünf Enkel.“
Ich zog die Mundwinkel auseinander und nickte. Ruhig bleiben. Es hat keinen Zweck, hier eine Diskussion über Emanzipation anzufangen.

Zum einen ist Ram entsetzt und das sollte man auch im Satzzeichen deutlich machen. Zum anderen, dass mit der Frauenaufgabe, so direkt hingezimmert ist das für den Leser echt HOLZHAMMER. Man spürt schon, von welchem Schlag Ram ist, auch ohne den Satz. Und ihre Gedanken sind z.T. auch Erklärbär.

„Was? Neununddreißig und keine Kinder!“ Ram lachte. „Was machst du denn dann den ganzen Tag? Meine Tochter ist zwanzig Jahre jünger als du und im neunten Monat schwanger. Wenn die in deinem Alter ist, habe ich mindestens fünf Enkel.“
Ich zog die Mundwinkel auseinander und nickte. Ruhig bleiben. Es hat eh keinen Zweck.

„Sprichst du da aus Erfahrung?“
„Ja, ich studiere Journalismus. Ich kann davon ein Lied singen.“

Klingt nicht echt. Zumal er bisher auch eher wortkarg rüberkam.

„Sprichst du aus Erfahrung?“
„Ich studiere Journalismus.“

„Dann geht’s dir also grad genauso wie mir?“
„Ja.“
„Zufälle gibt’s ...
Und wie kommt es, dass es dir heute besser geht? Warst du heut schon produktiv?“

Das Dicke kann komplett raus. Das bläht nur ungelenk auf.

Mit meinen Himalaya-Mythen wird er wahrscheinlich nicht viel anfangen können. Ich empfahl ihm ein paar Bücher zu seinem Thema, aber die kannte er schon und empfahl mir Bücher zu meinem Thema, die ich noch nicht kannte.

Widerspruch. Er wir nicht viel damit anfangen können, aber dann kennt er Bücher zum Thema, die sie nicht kennt. Okay, das eine sind ihre Gedanken und das andere die Wirklichkeit, ist auch gar nicht mal schlecht ihre Vorurteile abzustrafen, aber das könnte man dem Leser auch sanfter anbieten. Ich schätze mal, mindestens die Hälfte liest so darüber hinweg, ohne das es auffällt.

„Ist dieser Jack jetzt endlich mal aufgetaucht?“, wollte er von Vijay wissen, während er abstieg. Vijay schüttelte den Kopf. Ram rückte sich die Hose unter dem Bauch zurecht und sah mich mit festem Blick an. „Seit über einer Woche blockiert der mit seinem Gepäck das Zimmer.“ Er wies mit dem Kinn auf die verschlossene Tür.

Und warum nehmen die das Gepäck nicht einfach raus und parken das woanders?

So, jetzt haut mir langsam die Zeit ab. Ich kürz ab und gebe noch zwei Dinge mit, auf weiteres Kleinvieh muss ich verzichten.

„Nein.“ Ich holte meine Sandalen, zog sie an und ging hinunter. „Und du?“
„Nein.“ Er stand auf und bot mir seinen Platz an.
„Nee, lass,“ sagte ich und blieb an der letzten Stufe stehen.
„Ist schon okay. Ich wollte sowieso mal eben ins Dorf runter, um ein bisschen was einzukaufen. Brauchst du was?“
Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, warum ich überhaupt heruntergekommen war.

„Ich denke, er verkauft Drogen“, begann Ram, als Vijay außer Hörweite war. „Der hängt hier schon seit Wochen rum und arbeitet nicht. Wie kann der sich das leisten?“
„Er kommt aus einer wohlhabenden Familie und studiert“, wiederholte ich, was Vijay mir am Nachmittag erzählt hatte. „Sein Vater finanziert ihm das Studium und den Unterhalt.“


Das nenne ich mal einen kreativen Satzbau :D

Und mein zweiter Popel war noch, warum versucht Jack erst so spät Vijay zu erreichen? Warum wartet der damit gefühlte drei Wochen? Verstehe ich nicht. Sehe nur, dass es Dir so in den Plot passt.
Und doch noch ein Kleinvieh. Mir hat mal wer gesagt, die würden bei mir ständig Essen. Ich habe drauf geachtet und tatsächlich, es scheint mir sehr wichtig zu sein, dass immer alle satt sind. Setting Nr. 1 und immer wieder: Tischgespräche. Was mir der Tisch ist, ist Dir die Tür. Immerzu sind Türen auf oder zu oder werden geöffnet, geschlossen, verschlossen. Alles voller Türen ;).

So, sieht jetzt viel aus, ist aber alles so winzig, dass es meinen Eindruck einer tollen Geschichte nicht zerpflückt hat. Sie ist toll, toll, toll. Lies diesen Satz, wenn Dich die Kritiken zu erschlagen drohen.

Beste Grüße, Fliege

 

Lieber Peeperkorn,
ich danke dir herzlich für deine erneute Rückmeldung. Nun begreife ich, was du meinst. Und extrem neugierig sollte Alice natürlich nicht rüberkommen. Der erste Dialog wäre noch okay, meinst du, obwohl schon alles sehr straightforward wäre.

"Gehörst du zur Familie?"
"Nein, ich bin hier auch Gast."
"Und wo kommst du her?"
"Nun, ich bin aus Indien."
"Ja, aber wo genau?"
"Delhi."

Hier gäbe es die Information, dass er da Gast wäre und aus Indien käme, schreibst du. Jein. Also, die gibt es natürlich schon, aber dass er Inder ist, wurde schon vorher gesagt. Ich hatte diesen kleinen Dialog deshalb gewählt, um Vijays Wortkargheit und Desintersse zu zeigen und nebenbei ein paar kleine Infos über ihn einfließen zu lassen. Aber so wie es aussieht, muss ich an die ganze Szene noch mal ran, Fliege hat die mir auch auseinandergepflückt und ist darüber gestolpert, dass Alice kurz vorher sagt, sie wäre nicht gut im Smalltalk, dann aber genau diesen betreibt. Da setze ich mich noch mal in Ruhe ran, wobei ich denke, dass ich den knappen Kennenlern-Dialog erstmal so lasse, denn da wirkt sie - wie du auch sagtest - noch nicht sooo neugierig, eher unsicher auf mich. Dann aber:

"Schreibst du?"
"Ich versuche es."
"Manchmal klappt es einfach nicht, egal wie sehr man sich bemüht."
"Stimmt, vielleicht sollte ich warten, bis mir was einfällt. Sich bemühen ist eh keine gute Strategie."
"Außer ist gibt eine Deadline ..."
Ich hebe den Kopf und sehe ihn an.
Er lächelt. "Standardübung bei uns an der Uni."

Also nix mit Wetter. Hat mir gefallen. Werde ich wohl so ähnlich übernehmen. Zumal das auch Vijays Charakter noch mal hervorhebt. Mit diesem Wissen werde ich auch ähnliche Dialoge noch mal durchgehen.

Vielen lieben Dank für deine Mühe und noch einen schönen Restsonntag dir.

Liebe Grüße von Chai


Hallo annami,
schöner Name. Freut mich, dass du die Geschichte trotz Stimmungstief zu Ende gelesen hast. Deine Hypersensibilität sei dir verziehen, weil du ja trotz Widerwillens reingesogen wurdest und nicht mehr vom Bildschirm aufblicken konntest.

" Wieso hat du deine Sachen ..." ist natürlich korrigiert.

- Das winzige Wörtchen "zerren" hat mir so die Stimmung vermiest ... -
Das war natürlich nicht meine Absicht. Schade, dass das Wort dich so gestört hat, denn für mich passt es genau zu dem, was Alice da tut. "Ziehen" wäre unpassend, denn sie zerrt eben, weil der Bus voll und sie genervt ist. Vielleicht hast du dich ja sofort von ihrer Stimmung anstecken lassen. Aber wie auch immer, ich danke dir herzlich für deinen Leseeindruck und wünsche dir einen ausgeglichenen Sonntagabend.

Liebe Grüße von Chai

 

Hallo Chai,

du sagst:

Kannst du mir da vielleicht nochmal genau sagen, wo du da aussteigst? Du sprichst eine Szene an. Die, wo sie nach Vijays Rausschmiss ins Zimmer kommt und ihre Sachen verstreut herumlagen. Peeperkorn hat aber vom Kommen und Gehen davor gesprochen, denke ich. Als Vijay verschwindet und dann ist Ram wieder weg, dann geht Alice spazieren.
Deshalb noch schnell eine kurze Rückmeldung von mir.
Ich meinte es schon auch so wie Peeperkorn, mit dem zahlreichen Kommen und Gehen davor, nur ging es mir dann spätestens an der von mir genannten Stelle so, dass ich gedacht habe, na, jetzt ist es aber mal gut hier! ;)

Ich weiß, für den Ablauf der Geschichte macht das alles schon Sinn, aber das war ja der Gedanke, es vielleicht etwas einzudampfen, so dass es trotzdem noch Sinn macht. Aber musst du ja nicht – ist eben nur der Eindruck, denn ich hatte, ich fasse das nochmal zusammen:

Vijays Tür war verschlossen, als ich am nächsten Morgen vom Außenklo zurück in mein Zimmer trottete.

Ich versicherte mich dreimal, ob die Tür richtig abgeschlossen war, und lief dann einfach drauf los.

„Vijay ist nicht zurückgekommen“, sagte Ram beim Abendessen.

Der Tag war gerade angebrochen, da war ich bereits abfahrbereit. Das Gepäck konnte ich noch nicht mitnehmen,

Ich marschierte zurück ins Zimmer, verriegelte die Tür, setzte mich aufs Bett und wartete auf eine Eingebung.

„Vijay! Wo warst du denn so lange?“

„Na dann lass uns morgen trampen.“ Vijay grinste. „Anders kommen wir hier nicht weg.“

„Das Gepäck können wir später holen, wir müssen ja sowieso hierher zurück, um zu bezahlen.“

„Wieso kommt denn der Bus jetzt nicht“, sagte Vijay nach einer Weile.

…als ich Ram auf seinem Scooter den Berg herunterfahren sah. Er kam auf die Bushaltestelle zugerast und hielt direkt davor.

„Wieso hast du deine Sachen nicht mitgenommen!“, fuhr er Vijay an.

Obwohl ich erst vor zwei Tagen gepackt hatte, lag die Hälfte der Sachen wieder im Zimmer herum.

„Du gehen?“

Vijay wartete an der offenen Taxitür.

Vielleicht kommt in der Zusammenfassung ja nochmal deutlicher rüber, wie unruhig es wirkt. Aber ich will dir da gar nicht reinreden – mir gefällt deine Geschichte ja! :)

Zum Schluss könnte ich mir ja übrigens ganz einfach vorstellen, dass sie, nachdem sie merkt, wie sie übers Ohr gehauen wurde, ihr Ringbuch schnappt und anfängt, zu schreiben. Stoff hat sie ja jetzt. :D

Liebe Grüße von Raindog

 

Liebe Chai,

deinen Hirnstoffwechsel betrachte ich als Leseprobe für mehr und Größeres. Oder als Appetizer. Denn ich kann dir gar nicht sagen, wie unterhaltsam und lehrreich ich deine Geschichte finde.
Und ich habe mir immer beim Lesen deiner Vorgängergeschichten gewünscht, mehr zu erfahren.
Das liegt vor allem an deiner Sprache und deinem Humor. Zum einen kommt sie leicht und schwerelos daher, zum anderen augenzwinkernd und nie moralisierend. Und gerade weil ich auf dich angewiesen bin, um einen winzigen Einblick in die mir fremde Welt Indiens zu erhalten, fühle ich mich an keiner Stelle belehrt. Immer habe ich das Gefühl, ich könnte noch selbst etwas dazudenken. Ich kann abwägen, ob ich etwas mag oder jemanden, ob ich mich deiner Beschreibung widersetze.

Zum Beispiel hier

Unverschämt grün thronte der Himalaya über dem staubigen Tal. So grün, als wollte er es verspotten.

Deine Negativbeschreibung kommt nicht bei mir an. ;) Ich lese: über dem staubigen Tal thronte majestätisch der Himalaya, so als würde er es schützen.

Ich mag deine ansatzweise verzweifelte und latent resignierte Protagonistin richtig gerne, sie ist nie rund und perfekt, sie sucht und sucht und lässt das Leben und die Menschen auf sich einprasseln, wie den Monsun.

Ach Chai, meinetwegen kanns so weitergehen mit dir und deinen Erzählungen. Jeden Monat eine wäre sicher zu viel verlangt, aber die Richtung würde mich freuen.

Vielen Dank für, dass du sie mit mir teilst und freundlicher Gruß, Kanji

 

Liebe wieselmaus,
was für ein schöner Kommentar. Du scheinst mich wirklich gut zu kennen, teilweise besser als ich mich selbst, denn was du über den Hirnstoffwechsel gesagt hast, war mehr als auf den Punkt gebracht.

- Zum Schluss findet sie ihr wahres Thema, statt Mythen nachzujagen -.
Im wahrsten Sinne.

Ja, ich finde diesen Zusammenprall fremder Kultur wirklich sehr spannend, das Herantasten, das Überdenken der eigenen Vorurteile, die man glaubt nicht zu haben, und dass in elementaren Bereichen Verhaltensweisen ähnlich sind und damit das Fremde irgendwann vertraut wird.

- ... dass du sehr authentisch schreibst, womöglich selbst erlebte Szenen einbaust. -
Das freut mich sehr, und ja, die selbst erlebten Szenen mischen sich mit Fiktion und es freut mich umso mehr, dass mir das gelungen zu sein scheint. Und informative Unterhaltung sollte es auch sein.
Es erleichtert mich, dass du aus meinen Zeilen herausliest, dass ich versuche, nicht zu pauschalisieren, sondern es mir in erster Linie eben um die Begegnungen zwischen verschiedenen Menschen geht, die zwar unterschiedlich aussehen und für den jeweils anderen teilweise unbegreifliche Dinge tun, aber irgendwo doch alle dasselbe wollen. So pauschal gesagt. Haha. Aber ich denke, du verstehst schon, was ich meine.

Und das Ende ...

- ... dass sie mit einer ganz neuen Einstellung zu Vijay geht, und der Leser freut sich, dass er mehr weiß als Vijay. -
Das ist auf alle Fälle eine spannende Idee für einen Roman. Da könnte man noch einiges dazuspinnen, auch das du angesprochen hast, dass Alices Ängste und Befürchtungen diese ganze Geschichte nur ersponnen haben, könnte ich natürlich noch viel mehr ausbauen, nicht nur in drei Sätzen abhaken. Raindog hat einen ähnlichen Vorschlag gemacht, nämlich, sie diese Geschichte eben erst am Schluss aufschreiben zu lassen. Bei meinem momentanen Schluss soll Vijay aber weg sein, im wahrsten Sinne über alle Berge, deswegen lagen ja auch nur alte Klamotten in seiner Tasche. Ich schau mal, wie ich das noch hinkrieg, dass das nicht so abrupt endet. Sie grinst und tschüss. Ist schon klar, dass das bisschen dürftig ist. Immerhin ist das Grinsen nachvollziehbar, da war ich mir nämlich nicht sicher, aber dass es da so verloren rumhängt wird ihm nicht gerecht. Mal schauen, wie sich das in den nächsten Wochen entwickelt. Bei dem Biest von Geschichte gibt's immer irgendwas zu schrauben und zu drehen.

Ich fand deine Interpretation klasse. Es ist immer eine Freude, verstanden zu werden.

Vielen lieben Dank und Grüße,
Chai

Liebe Fliege,

- Ich fand die Geschichte ganz zauberhaft. -
Wow! Das ist ja mal was ganz anderes. Daraus lese ich, dass sie dich verzaubert hat. Das gefällt mir. Es freut mich sehr, dass die Geschichte hier so gut ankommt. Sie lag mir sehr am Herzen.
Dann guck ich mir mal die Popel an:

"Ich sah die Landstraße hinunter und zwang mich gerade, ruhig zu atmen, da fiel mein Blick auf ein kleines Holzschild am Straßenrand."

- ... als mein Blick auf ein kleines Holzschild am Straßenrand fiel. -, schlägst du vor. Ha! Du glaubst gar nicht, wie oft ich den Satz umgestellt habe. Ständig hab ich irgendwo "als", mal was anderes schreiben, nee, doch nicht, und im letzten Moment hab ich das " da" gelassen. Aber ein besserer Satzrhythmus ist schon auch gut, und ein "als" mehr oder weniger ist dann auch egal. Auch die "na ja"'s, drei an der Zahl, aber möglicherweise schlummern noch irgendwo welche.

Also was mich ganz besonders freut, ist, dass sich die Sache mit den drei Leuten für einen Job geklärt hat, und dass du diesen Absatz gut auf den Punkt gebracht fandst. Grad vor zwei Tagen hab ich wieder etwas ähnliches gehört. Das war zwar eine Französin, aber so viel anders läuft das da offenbar auch nicht. Ja, und der Satz:

" Ich starrte die Berge an, als würde mir jemand ein Foto vor die Nase halten, das ich unbedingt gut finden sollte" trifft für mich Alices Zustand auch sehr genau, und es ist schön zu wissen, das er jenandes Lieblingssatz aus der Geschichte ist.

Die Gebäude:
Ja also, ähem, ich hatte ja gehofft, dass die Frage nicht aufkommt, weil es vielleicht nicht wichtig ist. Umso besser, wenn mich jemand mit der Nase drauf stößt. Das ist schon sehr verwirrend, weil nach einem real existierenden Gebäude geschrieben, deshalb der Wirrwarr. Aber schön, dass du eine so aufmerksame Leserin bist. Da das Dach über der Küche ja auch schon etwas ausufernd beschrieben wurde ( danke für deine knappe Variante, die es hiffentlich etwas verständlicher macht), werde ich noch eine Kammer hinzufügen. Die es auch im Originalhaus gab. Neben dem Speiseraum. Warum deren Schkafzimmer im Pensionsteil war? Tja, keine Ahnung. Und ja, der Pensionsteil ist ein Anbau. Das Familienhaus besteht nur aus einer Küche und der Rest ist auf'm Dach.

Dann diese Kennenlern-Szene von Alice, Vijay und Ram. Ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht, das Gelaber über das Bild rauszunehmen und Vimlas eventuelle Sexphantasien. Und ja, das braucht es nicht. Und dass sie erst sagt, sie kann keinen smalltalk und dann betreibt. Hmmm. Sie soll ambivalent sein, aber nicht so ambivalent. Also gut, ist gestrichen. Ich werd die ganze Szene nochmal überarbeiten. Und deinen Vorschlag, von beiden abserviert zu werden und damit einen größeren Kontrast zu schaffen, finde ich richtig gut. Da setz ich mich mal ran.

"Warum isst du nicht", sagte Ram. = " Warum isst du nicht?", fragte Ram.
Danke.

"Neununddreißig und keine Kindet?" = "Neununddreißig und keine Kinder!"
Da überleg ich noch. Ich hör ihn eher fragen, er kann das gar nicht fassen, ist eher belustigt als dass er sie rügt.

Dann das erste Gespräch zwischen Vijay und Alice.
"Sprichst du da aus Erfahrung?"
"Ja, ich studiere Journalismus."

- Klingt nicht echt. -
Ja, das Ding wird überarbeitet. Peeperkorn hat mir auch schon einen Vorschlag gemacht, in welche Richtung der Dialog gehen könnte. Allerdings hat er das Gegenteil von dem vorgeschlagen, was du sagst. Er meinte, ich solle Vijay mehr reden lassen. Du sagtest, er müsse eher noch wortkarger sein, denn so hätte ich ihn eingeführt. Ich denke, ich werde ihn eher reden lassen, obwohl er anfangs nicht so gewirkt hat, aber er ist ja sowieso auf einmal ganz anders, lächelt, will ihr Schokolade mitbringen usw.

"Mit meinen Himalayamythen wird er wahrscheinlich nicht viel anfangen können."
- Kannst du dem Leser auch sanfter anbieten. -
Mal sehen, ob ich da noch was mache, mir da noch was einfällt.

- Und warum nehmen die das Gepäck nicht einfach raus und parken das woanders? -
Vielleicht hatte Jack ein eigenes Schloss oder sie hatten Angst, dass, wenn er wiederkommt und sie haben sein Gepäck entfernt, dass er dann zur Polizei gehen könnte, falls irgendwas fehlt oder so. Oder sie haben einfach abgewartet. Irgendwann wird er schon kommen und wenn nicht, geben sie eine Vermisstenanzeige auf.

Und denn der Abatz mit "und" in jedem Satz ... Ja, Wahnsinn, was einem nach gefühltem 1000 mal lesen und alles mögliche verbessern, immer noch nicht auffällt. Ja, da muss ich was machen, mal schauen, was.

- Warum versucht Jack erst so spät, Vijay zu erreichen? -
Vielleicht hat er das ja schon vorher versucht und Vijay hat ihn immer weggedrückt. Und Jack hat ja in der Stadt auf Geld gewartet und musste seinen Verlust verkraften, vielleicht hat er da nicht gleich an Vijay gedacht. Und dann war ja das Telefon weg. Und der Akku irgendwann leer. Und Vijay grad weg, als er kam, um seine Sachen zu holen.

- Was mir der Tisch ist, ist dir die Tür. -
Also das fand ich echt faszinierend. Und genau wie du mit deinem Essen, hab ich das überhaupt nicht gemerkt. Ich meine, sie passen schon irgendwie als Metapher, aber eigentlich schon viel zu oft benutzt, um den Leset da mit der Nase drauf stoßen zu wollen, aber interessant ist es schon. Ob es daran liegt, dass ich ein Doors-Fan bin? Vielleicht schwingt das unterschwellig mit. Auf alle Fälle hochinteressant, aber an vielen Stellen auch überflüssig, nur ich scheine in diesem Kommen, Gehen, auf- und abschließen etwas zu sehen. Haha. Witzig.

Ein wirklich schöner und lehrreichet Kommenrar. Vielen lieben Dank, Fliege.

türenöffnende Grüße von Chai

 

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