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Hitze im August

Seniors
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02.01.2011
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Anmerkungen zum Text

Alte Version: 17.03.2021 (zu finden im Spoiler in meinem Kommentar vom 26.11.2021)
Neue Version: 26.11.2021 (Neuer Text, Sprache überarbeitet, Mittelteil hart runtergekürzt, neues Ende! :D Eigentlich eine neue Story, nach meinem Empfinden)
Überarbeitung: 10.08.2023 (Kürzungen)

Hitze im August

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann. Einen Nachmittag stand ich mit ihm in der glühenden Hitze im Dachboden des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters: Wir rissen alte Holzschränke ein und bauten verrostete Metallregale auf, die mein Vater von einer der benachbarten Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. Sicherlich ein Mädchen. Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt. Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte. Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen. Meine Mutter war sicher gerade zu Hause, im Tomatenbeet; mit geblümter Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen. Wie meine Mutter das Gesicht in ihre zarte, blasse Hand legte, die Zigarette zwischen den Fingern, und zu weinen begann. Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.

Ich betrat das Büro und sah die beiden Männer dort in Drehstühlen sitzen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; beide lächelten und drehten ihre Köpfe zu mir. Der Mann war einen Kopf größer als ich, das blonde, lichte Haar angegraut, sein Gesicht seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie der Himmel, wenn wir aus einem der engen Fenster des Büros meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Da war eine gewissenhafte, ruhige Schwere in seinem Blick. Er trug eine graue Latzhose, hatte Bauchansatz, seine Finger kurz und kräftig. Seine schmalen Lippen wie langgezogene Striche. Das Lächeln, das er im Gesicht trug. Mein Vater und er waren Bekannte: Sie hatten sich in der Kneipe gegenüber kennengelernt. Ich ging durch das Büro, strich mir die langen Haare aus dem Gesicht und streckte dem Mann die Hand entgegen. Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl. Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und scherzte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.

Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen. Ich könnte meinen Vater anrufen, dort, wo er jetzt wohnt, aber das wäre schwierig. Ich könnte bis zu den Weihnachtsfeiertagen warten, bis ich meinen Vater in meiner alten Stadt treffe, wir uns am Busbahnhof oder vor seinem alten Laden verabreden und irgendwo in eine der umliegenden Kneipen ziehen, drei, vier Bier trinken, und ihn dann nach dem Namen des Mannes fragen. Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Im Dachboden räumten der Mann und ich die Lederwaren aus den Regalen. Ich zog mir schon nach fünf Minuten das T-Shirt aus. Die Hitze stand drückend unter dem Dach. Der Geruch des Leders hing schwer und trocken in der Luft, klebte an unseren Händen und Armen. Die Sonne brach grell durch die schlitzartigen, auf Kopfhöhe liegenden Fenster. All der Staub, der umherwirbelte. Mir lief der Schweiß den Rücken und das Gesicht hinunter.
Der Mann lächelte und wischte sich über die Stirn.
»Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und fing an, hinauszuschauen, aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Er lächelte, als er hinaus auf die Stadt schaute.
Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holzregal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er.
Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er lächelte mich an und da wuchs in mir das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Da entspannte sich etwas in mir, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er die Nägel aus dem Holz zog.
»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte. Der Himmel strahlte in einer hellblauen Schönheit.
»Alles klar?«, fragte mein Vater. Wir drehten uns um und sahen ihn auf den Treppenstufen stehen, die hinunter zum Büro führten. Mein Vater sah müde aus. Als hätte er seit Tagen nicht richtig geschlafen. Sein Gesicht wirkte ledrig, mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Mein Vater nickte. Er ging die Treppe hinab und holte uns zwei Wasserflaschen. Der Mann und ich nahmen ein paar große Schlücke. Wir trugen noch unsere Handschuhe. Der Schweiß glänzte in seinem Gesicht.
»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah mich an und lächelte. Er stellte die Wasserflasche ab, kniete sich zum Werkzeugkasten und steckte die verschiedenen Teile eines langen Hammers zusammen. Er schnaufte etwas, als er wieder aufstand. Er lief zum hintersten der zehn, elf mannshohen Holzregale. Er bat mich, einen Schritt zurückzugehen, dann inspizierte er mit kritischem Blick die Bretter und die Holzkonstruktion, holte mit dem Hammer aus und schlug auf eines der Bretter. Es krachte und die Hälfte der Mittelbretter fiel aus dem Regal. Der Mann sah mich jetzt an und lächelte stark, und ich stand am anderen Ende des Dachbodens, wischte mir über Stirn und lächelte zurück. Er holte aus, schlug auf ein verbliebenes Brett und auch das donnerte aus dem Gestell. Schließlich lehnte er den Hammer an die Wand. Er stemmte sich mit beiden Händen gegen das Holzregal, schnaufte und drückte. Das komplette Gestell fiel in sich zusammen. Als all das Holz dort auf dem Boden vor uns lag, blickte er mich an, lächelte und begann auf einmal, laut zu lachen. Ich blickte auch ihn an, lächelte, sah all das Holz und begann ebenfalls für einen langen Moment laut zu lachen. Ich dachte an meinen Vater, wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch.
»Ist alles okay?«, rief mein Vater von unten hoch.
»Ja«, rief ich zurück.
Der Mann nahm den Hammer von der Wand und hielt ihn mir hin.
»Willst du auch mal?«, fragte er.
»M-hm«, machte ich, stieg über das Holz und nahm den Hammer. Er war so schwer, dass ich ihn mit beiden Händen kaum hochheben konnte. Der Mann stieg ebenfalls über das Holz und zeigte mir am nächsten Regal den Punkt auf einem der Mittelbretter, auf den ich schlagen sollte. Ich atmete tief ein und hob den Hammer mit aller Kraft. Ich schnaufte. Ich zielte, schlug aber daneben, in die Luft. Der Hammer rutschte mir ungeschickt aus den Händen und fiel auf den Boden. Ich drehte mich zu dem Mann. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken. Mein Gesicht wurde heiß und ich spürte, wie ich errötete.
»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr.Schweißperlen rannen an seiner Stirn und seiner Wange herab. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer vom Betonboden auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.

Am späten Nachmittag hatten wir alle alten Regale eingerissen. Mein Vater stand wieder auf den Treppenstufen, in Sakko und weißem Hemd, mit zwei vollen 1,5-Liter-Flaschen Wasser in den Händen. Vor ihm lag all das Holz. All die eingerissenen Dinge. All die aufgeheizte, drückende Luft. Der Staub, der den Dachboden in einen Nebel hüllte. Wir standen da, schnaufend, verschwitzt, und blickten meinen Vater an. Der Arbeiterstolz, mit den eigenen Händen, mit dem eigenen Körper und der eigenen Kraft Dinge zum Besseren gehoben, geschlagen, getragen und gehämmert zu haben, glühte in mir. Hatte ich mich jemals so zufrieden gefühlt?
Mein Vater stellte die Flaschen ab. Sein Blick wanderte durch den Dachboden. Er sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte und sagte für lange Zeit kein Wort. Er sah uns nicht an. Dann stellte er einen Fuß auf den Bretterhaufen und stakste über das Holz, langsam, wankend und stolpernd, bis er an den Fenstern der Wand stand. Mein Vater blickte durch das Glas, mit dem Gesicht ganz nah an der Scheibe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann öffnete er das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.
»Helft mir mal«, sagte er.
Der Mann und ich standen einige Sekunden perplex da, verstanden nicht. Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter. Danach krabbelte ich über das Holz zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und zog mich ebenfalls durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste. Draußen kamen wir auf einem Flachdach an. Als der Mann etwas Holz zusammengeschoben hatte und sich ebenfalls ächzend durch den Fensterrahmen zwängte, hielten ich und mein Vater ihn von draußen an den Händen und zogen an ihm.
Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte. Mein Vater blickte zu dem Einkaufszentrum. Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit. Der Bekannte meines Vaters keuchte neben mir. Als ich zu ihm rüber sah, drehte er den Kopf zu mir und streckte mir lächelnd die Zunge raus. Ich lachte und streckte auch ihm die Zunge raus. Dann blickte er wieder auf die Stadt, in die Ferne; aus der Blaumanntasche zog er eine L&M-Packung, fingerte sich ein Zigarillo heraus und hielt die Schachtel meinem Vater hin.
»Auch eine?«, fragte er. Mein Vater nickte abwesend und zog ein Zigarillo aus der Packung. Der Mann hielt ihm die Flamme seines Feuerzeugs hin, und mein Vater beugte sich hinunter zum Feuer und brachte den Tabak zum Brennen.
Und dann standen wir gemeinsam an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.

Acht oder zehn Wochen später hörte ich wieder von dem Mann, dem Bekannten meines Vaters. Es war schon Herbst, fast Winter. Mein Vater kam abends von seinem Laden, im grauen Wollmantel. Ich hörte ihn die Kühlschranktür öffnen. Dann setzte er sich mit einer Scheibe Brot, einer Salami und einem Weizenbierglas an den Wohnzimmertisch.
»Komm mal«, sagte er. Seine Stimme klang leise und heiser. Der Fernseher lief. Ich stand vom Sofa auf und setzte mich zu ihm. Mein Vater sah mir wortlos in die Augen, einen langen Moment; er biss von der Wurst ab und nahm einen Schluck Bier. Der Schaum hing ihm im Bart. Ich weiß noch, dass ich mich kniend auf den Stuhl gesetzt hatte, die Ellbogen auf dem Küchentisch, das Gesicht abgestützt auf den Händen. Ich lachte, weil mir das alles lustig vorkam. Ich hatte keinen Moment mehr an den Mann gedacht. Er war für mich nichts weiter als ein Erwachsener, der in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden war, wie so viele.

Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich nach diesem Gespräch die Gasse vor zu unserer Garage gingen. Wortlos. Ich erinnere mich an die kalte Herbstluft, an den Geruch des Verbrannten in ihr. Ich erinnere mich, dass wir in den Ford meines Vaters stiegen, ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, nachdem wir vom Tisch aufgestanden waren. Als sei das das natürliche nächste Glied in der Kette der Ereignisse. Ich hibbelte im Fußraum des Wagens mit den Beinen und spürte eine Leere und Schwere in mir, die ich kaum ertrug. Ich erinnere mich, dass wir langsam durch unser Viertel fuhren, Straße um Straße. Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen. Niemand von uns beiden sprach ein Wort. Wir fuhren einen kleinen Hügel hinauf und parkten auf dem Kieselsteinplatz neben dem Funkmast. Mein Vater schaltete den Motor ab. Vor uns lag unser Viertel, die Stadt: Lichter, Laternen, Dächer, Hochhäuser, das Krankenhaus. Dunkler Ackerboden am Rand.
Mein Vater griff in die Innentasche seines Mantels, blickte durch die Windschutzscheibe. Er hielt ein Softpack Ernte 23 in Händen, riss das Zellophan ab und hielt es mir hin.
»Ich weiß, dass du es willst«, sagte er und nickte auf die Zigaretten. »Greif zu«, sagte er. »Lieber hier mit mir, als irgendwo sonst.«
Ich griff nach einer Zigarette, legte sie wie eine Hostie in beide Hände und blickte sie an, als hätte ich nie zuvor eine Zigarette gesehen. Aber ich konnte nicht aufhören, an all das Blut zu denken, von dem mein Vater mir erzählt hatte. Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre. Dass es beim Reinigen seiner Waffe passierte. Dass er sich ein Loch ins Gesicht geschossen haben soll. Dass er in all dem Blut gelegen war. Dass ihn seine Frau gefunden hätte.
Ich erfuhr, dass der Mann einundsechzig war. Er hatte vor vier Monaten erst wieder geheiratet. Man wusste von seinen Depressionen. Der Arbeitslosigkeit. Mein Vater und er; wenn ich heute an diese Männer denke, dann denke ich an zwei stille, nachdenkliche und höfliche Männer, die sich im Pulk fremder, lauter Menschen nach drei, vier Flaschen Bier in der Stehkneipe gegenüber vom Lederwarengeschäft durch eine Art natürliche Anziehung finden und fortan beisammen bleiben.
In der Dunkelheit des Wagens sah ich den Blick meines Vaters; die müden, abgeschlagen Augen; die Härte und Strenge seines faltigen Gesichtes. Er sah durch die Windschutzscheibe nach draußen, hinunter auf die Stadt, und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da etwas von ihm abfiel, dass ich etwas Weiches und Verletzliches an seinem Gesicht wahrnahm, das ich so nie zuvor gesehen hatte. Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.
Ich hielt die Zigarette ungeschickt zwischen Mittel- und Zeigefinger, umschloss den Filter mit meinen Lippen.
»Erstmal paffen«, sagte mein Vater und blickte mich streng an. »In die Backen ziehen, so, nicht einatmen. Ja, so.«
Er ließ sich wieder in den Fahrersitz sinken. Aber selbst in dieser Situation hatte seine Haltung etwas Steifes, sein Rücken durchgestreckt. Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.« Er spitzte die Lippen. Dann biss er die Zähne zusammen, ich sah das Anspannen der Muskulatur seines Kiefers. Er aschte in die kleine Klappe unter dem Autoradio und blickte wieder durch die Windschutzscheibe hinaus in die Dunkelheit. »Die Welt ist so furchtbar, dass du es manchmal nicht aushalten wirst. Manche Leute halten es nicht aus.« Er rauchte und zog die Nase hoch. Er drehte sich zu mir und blickte mir ins Gesicht. Ich erinnere mich, wie sehr ich in diesem Moment erschrak. Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon, wer mein Vater wäre, änderte. In seinen Augen standen Tränen, und ich sah die Hilflosigkeit gegenüber all dem Grauen, von dem er sprach. »Ich möchte dir sagen«, sagte er, »dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist. Die Welt mit ihren eigenartigen Regeln. Manche können das nicht.«
Es war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er weinte auf eine seltsame Weise. Er begann, sich mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen zu streifen. Sein Gesicht verformte sich auf eine Art, dass ich zuerst glaubte, er würde schlagartig totmüde. Er vergoss keine Träne. Sein kleiner Mund japste in einem seltsam hohen Ton nach Luft.
»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Er sah mich an, mit gläsernen Augen, und ich hielt die glimmende, rauchende Zigarette in der Hand.
»Wenn du dich an diese Werte hältst, wird dein Leben besser. Jedes Mal, wenn du dich treu, ehrlich, mutig und fleißig verhältst, machst du dein Leben ein Stück besser. Immer, wenn du das nicht schaffst, machst du dein Leben ein Stück schlechter. Das ist das Gesetz dieser Welt«, sagte er. Er blickte in Richtung Wagendach und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. »Nur Werte können uns retten«, sagte er. »Ich möchte, dass du dir das merkst. Ich möchte, dass du das niemals vergisst. Das Schlechte der Welt wird dich holen, wenn du das vergisst. Das gebe ich dir schriftlich.«

Wir saßen noch einige Zeit dort oben, im Ford auf dem Kieselsteinplatz des kleinen Hügels, direkt neben dem Antennenmast über unserem Viertel. Meiner Erinnerung nach rauchten wir noch drei oder vier Zigaretten. Über was wir noch sprachen, weiß ich nicht mehr. Vielleicht über die Schule. Oder über seinen Laden. Oder Mama. Dann startete mein Vater den Motor. Mit leuchtender Zigarette im Mund, den Filter zwischen den Zähnen. Seine hochgewachsene Statur. Das rabenschwarze, pomierte Haar. Die feinen, intellektuellen Gesichtszüge. Die rahmenlose Brille. Wir fuhren den Hügel im Dunkeln hinab, ohne Scheinwerfer. Als wir in unser Viertel bogen, blendeten mich die grellen Neonröhren der Straßenlaternen so sehr, dass ich mir die Augen zukniff. Die Häuser, die an uns vorbeizogen, das Licht, das aus ihren Fenstern brach, schienen verändert.
Ich stieg aus dem Wagen. Mein Vater fuhr in das enge Garagenhäuschen. Die Gasse zu unserem Reihenhaus gingen wir nebeneinander, ich mit wackligen Beinen. Das Nikotin hatte mein Gesicht taub gemacht. Es nieselte. Der Geruch des Verbrannten lag in der Luft. Ich erinnere mich an die großen, sicheren Schritte meines Vaters. Das Klacken der Absätze seiner Budapester. Seine Hände in den Wollmanteltaschen. Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas vergessen, im Auto.
Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.

 

Hallo @zigga,

du erzählst die Geschichte, wie sich dein Protagonist an seine Zeit mit 13 Jahren zurückerinnert und zum ersten Mal von einem Selbstmord hört. Dabei hat er den Mann, der sich umbrachte, selbst gekannt und das ist für ihn ein Ding, das seinen Horizont übersteigt. Er findet es seltsam, kann es nicht richtig nachvollziehen.
Ich bin etwas hin- und hergerissen, was deinen Text angeht. Einerseits gibt es Stellen, wo ich ein eigenartiges nostalgisches Gefühl habe. Denke, dass das an der Erzählweise liegt und ich deinem Prota nahe bin. Andererseits hat mir etwas gefehlt, der Sog war nicht extrem stark für mich. Habe die Geschichte gestern schon gelesen und dann heute noch einmal. Es kann natürlich sein, dass das mit meinen Präferenzen zu tun hat, allerdings versuche ich dir meinen Eindruck bestmöglich zu schildern. Woran liegt es, dass ich nicht vollständig in der Geschichte versunken bin? Ich finde, dass das Tempo nach meinem Geschmack etwas höher hätte sein können. Die vielen Erinnerungen und Beschreibungen wiederholen sich meiner Einschätzung etwas zu stark. Dein Prota erinnert sich an den Mann, mit dem er das erste Mal Geld verdient hat und mit dem er gearbeitet hat. Danach schilderst du den Vater und die Mutter, die Arbeitsszene und die Szene mit Johnny - baust damit also ein Gerüst um deinen Prota und er bekommt definitiv Tiefe. Ich finde, dass dir das gut gelungen ist. Allerdings hätte ich den Fokus stärker auf den Mann und den Vater gelegt. Wozu brauche ich die Informationen der Mutter? Wieso ist es wichtig, dass er sich mit Johnny Kleber reinzieht? Die Tiefe ist auf jeden Fall da, da bräuchtest du meiner Meinung nach gar nicht die anderen Erinnerungen.
Die Botschaft ist gut: Es gibt Dinge, die einfach nicht zu verstehen sind. Besonders gelungen finde ich dann auch die Entwicklung, die dein Prota durchmacht: Am Anfang fühlt er sich unbesiegbar, versteht die Welt und wie sie funktioniert, nur um dann am Ende das Gefühl zu haben, sie eben doch nicht zu verstehen. Er ist innerhalb der Geschichte gereift. Finde ich stark gemacht.


Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Mochte den ersten Satz, führt in deine Geschichte ein und der Mann wird eingeführt, der sich am Ende umbringt.

Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Habe mich gefragt, wie eine nervöse Körperhaltung steif sein kann? Das Bild habe ich nicht greifen können.

Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde.
Das ist eine zentrale Stelle für mich, sie ist der Kernpunkt für die Entwicklung deines Protas. Finde ich gelungen.

Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte.
Das bräuchte es meiner Meinung nach, lese ich als Wiederholung zu der darüber angesprochenen Kernstelle. Übersehe ich da etwas?

Meine Mutter war sicher gerade zu Hause
Du hast bei der Stelle in deinen Sätzen insgesamt dreimal "sicherlich". Daher fand ich das "sicher" hier zu wiederholend.

mit blumenfarbiger Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun.
Deine Beschreibungen sind gelungen, die Bilder stellen sich bei mir ein. Ich habe mich jedoch gefragt, weshalb die Mutter vorgestellt wird. Sie hat für mich keine direkte Funktion in der Geschichte. Nehme an, dass du der Geschichte Tiefe geben willst und die Welt bauen willst. Kann ich verstehen, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht. Wollte dir meinen Leseeindruck dalassen.

Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.
Sehr schön!

Sein Gesicht war seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie die Sicht, wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten.
Ich habe erst etwas gezuckt, dann habe ich mir vorgestellt, wie die Farbe wohl ist, wenn man da rausschaut und dann hat es Klick gemacht und für mich funktioniert. Definitiv eine eigene Darstellung der Farbe.

Es war die Andersartigkeit des Wesens des Mannes im Vergleich zu dem meines Vaters, die mich seine Bewegungen und Blicke aufmerksam beobachten ließ.
Du kontrastierst den Mann mit dem Vater, das hat bei mir Interesse ausgelöst. Diesen Kontrast hätte ich mir noch stärker in deiner Geschichte gewünscht. Statt den Erinnerungen an die Mutter und Johnny fände ich es als Leser spannend, wie dieser Kontrast weiter aussehen würde? Denn am Ende will ich mehr über den Mann wissen, der sich umgebracht hat, mehr aus seinem Leben hören.
Sprachlich finde ich die beiden Genitive etwas unglücklich, vielleicht fällt dir da noch etwas ein?

Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an und ich erinnere mich an das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein, als er die Nägel aus dem Regal zog. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Ich erinnere mich, dass sich da etwas in mir entspannte, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er jeden einzelnen der Nägel aus dem Holz zog.
Insgesamt ist mir aufgefallen, dass du stark mit Wiederholungen arbeitest. Für meinen Geschmack ist das etwas zu viel. Ich finde, dass mehr als drei Wiederholungen etwas zu redundant auf mich wirken.

Sein Gesicht wirkte ledrig, mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
Finde ich eine sehr gute Beschreibung, mochte dieses Bild.

Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Hier lese ich eine erste Andeutung, dass es dem Mann nicht so gut geht, dass er möglicherweise psychische Probleme hat.

»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.
Das habe ich als entscheidende Stelle für deinen Prota gelesen. Er hat hier ein erstes Erfolgserlebnis, stellt sich den Schwierigkeiten. Ich sehe das als Hauptgrund, weshalb er sich so lebhaft an die Zeit erinnert. Denn das ist eine Erfahrung für ihn gewesen, die wichtig für seine Entwicklung war. Verknüpft wird das dann damit, dass sich der Mann umgebracht hat.

Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt:
Hier hatte ich dieses nostalgische Gefühl, das ist eine meiner Lieblingsstellen.

Der Mann gab ihm Feuer, und gemeinsam standen wir an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.
Ich habe das gerne gelesen, die Bilder sind passend für mich. Der Geruch ist auch da und ich fühle mich ein wenig so, als wäre ich selbst dabei.

Es wäre beim Reinigen seiner Waffe passiert.
Das habe ich nicht verstanden. Wenn es beim Reinigen seiner Waffe passiert ist, war es denn dann nicht ein Unfall? Kann man hier von Selbstmord sprechen?

»Selbstmord«; seltsam, das zu hören.
Für mich war es nicht ganz klar, ob es sich wirklich um einen Selbstmord gehandelt hat. Das hat mich etwas stolpern lassen.

Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen. Dass dort jemand, den man für einen kurzen Augenblick gekannt hatte, jetzt nicht mehr existierte. Dass er sich selbst gerichtet hatte. Dass er in all dem Blut gelegen hat. Dass das passieren kann. Dass einem das als Erwachsener einfach über den Weg laufen kann:
Die Wiederholungen als Stilmittel. Ich finde es etwas zu viel, wobei ich verstehe, was du ausdrücken willst. Bin mir nicht ganz sicher hier, wollte ich dir dalassen.

»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.
Gutes Ende, du zeigst die Entwicklung des Protas auf. Das finde ich gelungen, macht deinen Text besonders.

Insgesamt finde ich, dass es ein starker Text ist. Für mich könnte der Schwerpunkt noch etwas stärker auf dem Mann und auf dem Vater liegen. Hervorheben möchte ich deine Beschreibungen, die Bilder in mir ausgelöst haben, die ich mochte.

Beste Grüße
MRG

 

Mahlzeit @zigga,

klasse Story, aus dem Leben, direkt und unprätentiös. Im Hintergrund stirbt der Einzelhandel, Biografien erodieren. Menschen und Beziehungen lösen sich auf. Die Welt marschiert weiter. Nichts bleibt und alles ist - für einen Augenblick.

alte Holz-Schränke einriss
Kann man getrost zusammenschreiben, Holzschränke und Metallregale
Metall-Regale

wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde.
vielleicht kann das erste "zusammenhielt" weg, da es am Ende ja den Schlusspunkt setzt.
Er hätte vor vier Monaten erst wieder geheiratet, sagte er. Er hätte Depressionen gehabt, seit Jahren schon. Er wäre seit einigen Jahren arbeitslos gewesen. Er hätte einen Sportschützen-Ausweis gehabt. Es wäre beim Reinigen seiner Waffe passiert. Seine Frau habe ihn gefunden, in all dem Blut. Mein Vater sah mich einen langen Moment an. Vielleicht, um zu sehen, wie ich reagiere. Vielleicht, um zu sehen, wie er selbst darauf reagiert. Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er.
Da bin ich einfach über die "hätte" und "wäre" gestolpert.

Habe ich sehr gerne gelesen, weil es genau meinem Geschmack entspricht. Geschichten aus dem Leben. Und gerne noch Erinnerungen aus der Jugend, mit den Augen von Neugier und Unschuld auf die seltsame Welt der Erwachsenen.

Schön.

Griasle
Morphin

 

Hey @zigga,

wie schön, mal wieder etwas von dir zu lesen. Du probierst verschiedene Stilmittel aus, wenn ich das richtig lese. Bei manchen Sätzen hatte ich Schwierigkeiten damit, aber erstmal zum Inhalt: Dein Erzähler ist dreizehn, steht also auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, und zunächst wirkt es auf mich, als hätte er nicht allzu große Schwierigkeiten damit. Er versteht die Welt der Erwachsenen zwar noch nicht wirklich, ist auf vieles wütend, scheint aber auch zu verstehen, dass ihre Art zu leben seine Richtigkeit hat. Da schwingt eine trügerische Idylle mit, die Mutter im Blumenbeet, der nervöse Vater.

Das Zerkleinern der Regale habe ich nicht nur so gedeutet, dass der Vater arbeitslos wird - was sich im Verlauf dann ja bestätigt hat - sondern für mich war es auch das Ende der Unschuld, der Erzähler zerschlägt im Prinzip seine Kindheit, auch ein Stück weit die Unbeschwertheit und ist unheimlich stolz, mit den Männern auf dem Dach zu stehen, weil er jetzt dazugehört. Später zeigt sich dann ja auch, dass der Mann sich umbringt, diese Begegnung also tatsächlich etwas mit dem Verlust der kindlichen Naivität zu tun hat.

Das Schnüffeln hätte es für mich jetzt nicht gebraucht. Ich hatte das Gefühl, du machst damit einen weiteren Strang auf, der zeigen soll, dass es jetzt kippt, die Eltern streiten sich, die ohnehin schon trügerische Idylle hat es nie gegeben. MMn hätte das aber auch ohne das Schnüffeln funktioniert. Zumal du anfangs nur von ersten Erfahrungen mit Zigaretten und Alkohol erzählst, der Erzähler sich also kaum Gedanken darüber zu machen scheint. Und so naiv schätze ich ihn nicht ein. Nun kann man sich natürlich darüber streiten, wie gefährlich auch Alkohol und Zigaretten sind, als Jugendlicher probiert man ja alles mögliche aus. Aber für mich hätte es das, wie gesagt, nicht gebraucht.

Oh, ich sehe gerade, dass weitere Kommentare eingegangen sind, während ich hier tippe, also falls sich im Folgenden was doppelt - du weißt schon ...

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Der erste Satz ist mir zu wuchtig. Ich würde zwei Sätze daraus machen. Ich weiß, du spielst hier mit Wortwiederholungen, aber ich würde statt: des Dachbodens eher auf dem Dachboden schreiben.

Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol
Jetzt sehe ich, dass mit den ersten Räuschen auch das Schnüffeln gemeint sein könnte. Und heißt es nicht Schlucke statt Schlücke?

aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte.
Schön!

Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hinein biss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte;
Hier deutet sich schon an, dass die Idylle trügt.

mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
Das gefällt mir auch.

Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Schöne Beschreibung.

»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Auch eine schöne Szene, wie es der Erzähler erst vergeigt. (Nach meiner Interpretation auch den Schritt in die Welt der Erwachsenen hinauszögert). Und wie der Mann vom Willen redet und sich später umbringt, hat schon etwas sehr Zynisches.

Grundsätzlich gefällt mir die Geschichte. Nur mit dem Stil habe ich Schwierigkeiten, aber das ist wohl eher Geschmackssache. Manchmal ist es mir zu überladen, gerade am Anfang.

Trotzdem gerne gelesen und liebe Grüße von Chai

 

Hallo @zigga

ich habe Deine Geschichte gerne gelesen. Der Text ist sehr dicht, voller Details und Beschreibungen. Viele davon gefallen mir richtig gut. In der Geschichte schwingt sehr viel Melancholie mit. Ich hatte durchgehend Kopfkino. Was mir gefehlt hat war, zu erfahren, an welchem Punkt er sich erinnert. Gab es einen Auslöser? Passiert das einfach so? Interessant fand ich die sehr detaillierte Beschreibung der Arbeiten, die er gemeinsam mit dem Mann verrichtet hat. Im Gegensatz dazu war die Erwähnung des Selbstmords dann sehr kurz.

Hier ein paar konkrete Anmerkungen:

Der Mann lächelte und wischte sich über die Stirn. »Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und fing an, hinauszuschauen, aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Er lächelte, als er hinaus auf die Stadt schaute.

Mir ist aufgefallen, dass in Deinem Text sehr viele Doppelungen hast. Ich hab sie Dir mal markiert.

Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holz-Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an und ich erinnere mich an das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein, als er die Nägel aus dem Regal zog. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Ich erinnere mich, dass sich da etwas in mir entspannte, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er jeden einzelnen der Nägel aus dem Holz zog.

In dem Abschnitt eindeutig zu viel ziehen/ zog.

»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.

Diese Stelle hat mir sehr gut gefallen.
Ich finde es interessant, dass er den Mann praktisch fast vergessen hat, als der Vater vom Selbstmord spricht und dann wieder diese sehr detaillierten Erinnerungen.

Der Mann sah mich jetzt an und lächelte stark, und ich stand am anderen Ende des Dachbodens, schwitzte und lächelte zurück.

Streichkandidat.

Der Hammer rutschte mir ungeschickt aus den Händen und fiel auf den Boden. Ich drehte mich zu dem Mann. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken. Ich spürte, wie ich errötete.

Diese Stelle hat mir sehr gut gefallen. Tolles Kopfkino.

Er schaute sich um und sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte. Er sagte kein Wort. Er sah uns nicht an. Er stieg weiter über das Holz, bis zu den Fenstern. Mein Vater blickte hinaus und fuhr sich mit der Zungen über die Lippen. Er öffnete das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.

Auch wieder Doppelungen.

Vorschlag: Er schaute sich um, sah erschöpft aus; als ob auch in ihm die Dinge zusammengefallen wären. Er nickte, sagte kein Wort, blickte uns nicht an, während er weiter über das Holz stieg, bis zu den Fenstern. Dann starrte er hinaus, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, öffnete das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.

standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte.

Wundervoll beschrieben. Gefällt mir sehr gut.

Ich sah meinen Vater, der zu dem Einkaufszentrum blickte. Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit. Ich hörte den Bekannten meines Vaters neben mir keuchen. Als ich zu ihm rüber sah, drehte er sich zu mir und nickte mir lächelnd zu.

Auch hier wieder Doppelungen.

Vorschlag: Ich schaute meinen Vater an, wie er zu dem Einkaufszentrum blickte. Sah all die Sorge in seinem Gesicht, die Müdikeit. Der Bekannte meines Vaters keuchte neben mir. Als ich mich zu im wandte, drehte er sich in meine Richtung und nickte mir lächelnd zu.

Als ich mich ins Bad einsperrte, sie draußen streiten hörte und mich auf den geschlossenen Toilettendeckel setzte, konnte ich nicht anders, als fürchterlich zu heulen.

Ein sehr intensiver Moment. Ich hab mitgefühlt.

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte noch einmal an den Mann gedacht. Wahrscheinlich hatte ich ihn fast vergessen. Wahrscheinlich war er damals für mich nur ein weiterer Erwachsener, der in meinem Leben auftauchte und wieder verschwand.

Sehr interessant. Fast vergessen und dann doch so krass intensive Erinnerungen.

Er hätte Depressionen gehabt, seit Jahren schon. Er wäre seit einigen Jahren arbeitslos gewesen. Er hätte einen Sportschützen-Ausweis gehabt. Es wäre beim Reinigen seiner Waffe passiert. Seine Frau habe ihn gefunden, in all dem Blut. Mein Vater sah mich einen langen Moment an. Vielleicht, um zu sehen, wie ich reagiere. Vielleicht, um zu sehen, wie er selbst darauf reagiert. Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.

Auch hier wieder viele Doppelungen. Ein wenig Abwechslung wäre schön :)

»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.

Sehr interessant.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Abend,
Silvita

 

Hey Leute!

Danke euch für das schnelle Feedback!

Grüß dich @MRG,

und danke dir erst mal fürs Lesen und Kommentieren - hat mich sehr gefreut.

Ich bin etwas hin- und hergerissen, was deinen Text angeht.
Ich auch :D

Einerseits gibt es Stellen, wo ich ein eigenartiges nostalgisches Gefühl habe.
Das freut mich

Andererseits hat mir etwas gefehlt, der Sog war nicht extrem stark für mich.
OK

Woran liegt es, dass ich nicht vollständig in der Geschichte versunken bin? Ich finde, dass das Tempo nach meinem Geschmack etwas höher hätte sein können. Die vielen Erinnerungen und Beschreibungen wiederholen sich meiner Einschätzung etwas zu stark.
Dein Prota erinnert sich an den Mann, mit dem er das erste Mal Geld verdient hat und mit dem er gearbeitet hat. Danach schilderst du den Vater und die Mutter, die Arbeitsszene und die Szene mit Johnny - baust damit also ein Gerüst um deinen Prota und er bekommt definitiv Tiefe. Ich finde, dass dir das gut gelungen ist. Allerdings hätte ich den Fokus stärker auf den Mann und den Vater gelegt. Wozu brauche ich die Informationen der Mutter? Wieso ist es wichtig, dass er sich mit Johnny Kleber reinzieht? Die Tiefe ist auf jeden Fall da, da bräuchtest du meiner Meinung nach gar nicht die anderen Erinnerungen.
Ja, ich denke, dass Menschen gerade in dem Alter ganz stark beeinflusst sind durch Elternfiguren, und dass man einen Jungen wie ihn ohne seine Eltern kaum annähernd rund beschreiben/charakterisieren kann - ohne Gewähr. Das mit Johnny sollte den Schmerz und Konflikt zeigen, der doch im Prot ist. Aber ja, vllt. kürze ich das

Besonders gelungen finde ich dann auch die Entwicklung, die dein Prota durchmacht: Am Anfang fühlt er sich unbesiegbar, versteht die Welt und wie sie funktioniert, nur um dann am Ende das Gefühl zu haben, sie eben doch nicht zu verstehen. Er ist innerhalb der Geschichte gereift. Finde ich stark gemacht.
Cool

Habe mich gefragt, wie eine nervöse Körperhaltung steif sein kann? Das Bild habe ich nicht greifen können.
Ok, da gehe ich vllt. noch mal drüber, hast recht. Ich finde, manchmal sind Personen so sehr nervös/angespannt und sie sehen ganz steif aus dabei, ganz verkrampft - so war das gemeint

mit blumenfarbiger Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun.
Deine Beschreibungen sind gelungen, die Bilder stellen sich bei mir ein. Ich habe mich jedoch gefragt, weshalb die Mutter vorgestellt wird. Sie hat für mich keine direkte Funktion in der Geschichte. Nehme an, dass du der Geschichte Tiefe geben willst und die Welt bauen willst. Kann ich verstehen, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht. Wollte dir meinen Leseeindruck dalassen.
Ok!

Es war die Andersartigkeit des Wesens des Mannes im Vergleich zu dem meines Vaters, die mich seine Bewegungen und Blicke aufmerksam beobachten ließ.
Du kontrastierst den Mann mit dem Vater, das hat bei mir Interesse ausgelöst. Diesen Kontrast hätte ich mir noch stärker in deiner Geschichte gewünscht. Statt den Erinnerungen an die Mutter und Johnny fände ich es als Leser spannend, wie dieser Kontrast weiter aussehen würde? Denn am Ende will ich mehr über den Mann wissen, der sich umgebracht hat, mehr aus seinem Leben hören.
Ok, ja ist ein Punkt, mehr Mann, weniger Mutter+Johnny

Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt:
Hier hatte ich dieses nostalgische Gefühl, das ist eine meiner Lieblingsstellen.
Schön!

Gutes Ende, du zeigst die Entwicklung des Protas auf. Das finde ich gelungen, macht deinen Text besonders.
Super, danke

Es wäre beim Reinigen seiner Waffe passiert.
Das habe ich nicht verstanden. Wenn es beim Reinigen seiner Waffe passiert ist, war es denn dann nicht ein Unfall? Kann man hier von Selbstmord sprechen?
Ja, da gehe ich noch mal drüber. Es ist ja einfach sehr schwierig, wenn jemand depressiv war und er dann erschossen aufgefunden wird und es keinen Brief o.ä. gibt. Die Ungewissheit, ob es Freitod oder Unfall war, ist noch mal quälender und auch eine "Unsicherheit", die nagt, und ein Element der "Erwachsenenwelt", das die Realität darstellt, aber Chaos bedeutet und die kindliche Betrachtung des Prots ändert, dass die Welt "im festen Sattel ist", so meinte ich das

Insgesamt finde ich, dass es ein starker Text ist. Für mich könnte der Schwerpunkt noch etwas stärker auf dem Mann und auf dem Vater liegen. Hervorheben möchte ich deine Beschreibungen, die Bilder in mir ausgelöst haben, die ich mochte.
Ok, danke dir für das Feedback!

Über deine Anmerkungen gehe ich drüber, werde einiges übernehmen, vielen Dank, MRG!


Hallo @Morphin,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren und es freut mich natürlich, dass du die Story gerne gelesen hast.

klasse Story, aus dem Leben, direkt und unprätentiös. Im Hintergrund stirbt der Einzelhandel, Biografien erodieren. Menschen und Beziehungen lösen sich auf. Die Welt marschiert weiter. Nichts bleibt und alles ist - für einen Augenblick.
Toll!

Habe ich sehr gerne gelesen, weil es genau meinem Geschmack entspricht. Geschichten aus dem Leben. Und gerne noch Erinnerungen aus der Jugend, mit den Augen von Neugier und Unschuld auf die seltsame Welt der Erwachsenen.

Schön.

Super, vielen Dank.

Deine Anmerkungen werde ich durcharbeiten und einiges übernehmen, vielen Dank!


Liebe @Chai,

ebenfalls sehr schön, mal wieder von dir zu lesen! :)

Das Zerkleinern der Regale habe ich nicht nur so gedeutet, dass der Vater arbeitslos wird - was sich im Verlauf dann ja bestätigt hat - sondern für mich war es auch das Ende der Unschuld, der Erzähler zerschlägt im Prinzip seine Kindheit, auch ein Stück weit die Unbeschwertheit und ist unheimlich stolz, mit den Männern auf dem Dach zu stehen, weil er jetzt dazugehört. Später zeigt sich dann ja auch, dass der Mann sich umbringt, diese Begegnung also tatsächlich etwas mit dem Verlust der kindlichen Naivität zu tun hat.
Das ist eine schöne Sichtweise auf die Geschichte!

Das Schnüffeln hätte es für mich jetzt nicht gebraucht. Ich hatte das Gefühl, du machst damit einen weiteren Strang auf, der zeigen soll, dass es jetzt kippt, die Eltern streiten sich, die ohnehin schon trügerische Idylle hat es nie gegeben. MMn hätte das aber auch ohne das Schnüffeln funktioniert. Zumal du anfangs nur von ersten Erfahrungen mit Zigaretten und Alkohol erzählst, der Erzähler sich also kaum Gedanken darüber zu machen scheint. Und so naiv schätze ich ihn nicht ein. Nun kann man sich natürlich darüber streiten, wie gefährlich auch Alkohol und Zigaretten sind, als Jugendlicher probiert man ja alles mögliche aus. Aber für mich hätte es das, wie gesagt, nicht gebraucht.
Ja, da hast du recht, hat MRG auch angekreidet. Für mich sollte damit noch ein wenig die Welt des Prots gezeigt werden und dass er Konflikte in sich trägt. Ist jetzt nicht so, dass ich die Story für den größten Schuss halte, aber es macht auf jeden Fall Bock, mal wieder was hochzuladen, auch wenn ich die Story jetzt nicht für mein bestes Ding halte.

Und heißt es nicht Schlucke statt Schlücke?
:D Man kann tatsächlich laut Duden Schlücke sagen! Ich kenne das halt tatsächlich auch nur als Schlücke, das ist so ein regionales Ding, und ich hab für mich beschlossen, das in meinen Texten so zu verwenden, weil ich den Ausdruck irgendwie abfeiere. :D

»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Auch eine schöne Szene, wie es der Erzähler erst vergeigt. (Nach meiner Interpretation auch den Schritt in die Welt der Erwachsenen hinauszögert). Und wie der Mann vom Willen redet und sich später umbringt, hat schon etwas sehr Zynisches.
Auch eine schöne Sichtweise. Hatte ich gar nicht auf den Schirm, deinen letzten Punkt, aber es stimmt.

Grundsätzlich gefällt mir die Geschichte. Nur mit dem Stil habe ich Schwierigkeiten, aber das ist wohl eher Geschmackssache. Manchmal ist es mir zu überladen, gerade am Anfang.

Trotzdem gerne gelesen und liebe Grüße von Chai

Ich werde über den Anfang noch mal drüber gehen, der erste Satz ist echt zu viel, du hast recht.

Vielen Dank fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren, Chai! Hat mich wie immer sehr gefreut.


Guten Abend @Silvita,

vielen Dank dir fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren!

ich habe Deine Geschichte gerne gelesen. Der Text ist sehr dicht, voller Details und Beschreibungen. Viele davon gefallen mir richtig gut. In der Geschichte schwingt sehr viel Melancholie mit. Ich hatte durchgehend Kopfkino.
Das ist schön!

Was mir gefehlt hat war, zu erfahren, an welchem Punkt er sich erinnert. Gab es einen Auslöser? Passiert das einfach so?
Ha, ja, der Auslöser, du hast Recht, das fehlt. Ich frage mich: braucht es das? Ich weiß es nicht

Interessant fand ich die sehr detaillierte Beschreibung der Arbeiten, die er gemeinsam mit dem Mann verrichtet hat. Im Gegensatz dazu war die Erwähnung des Selbstmords dann sehr kurz.
Das stimmt, vielleicht hab ich den Suizid etwas runtergeknallt

»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.

Diese Stelle hat mir sehr gut gefallen.
Ich finde es interessant, dass er den Mann praktisch fast vergessen hat, als der Vater vom Selbstmord spricht und dann wieder diese sehr detaillierten Erinnerungen.
Super

Deine Anmerkungen werde ich durchgehen und ich denke einiges übernehmen, gerade die Kürzungen der Dopplungen! Vielen Dank, dein Leseeindruck hat mich interessiert.

Haut rein,
zigga

 

Hallo @zigga,

ich habe da gleich mal eine Frage: Warum hast du entschieden, die Geschichte als Rückblende zu schreiben? Ich grüble da jetzt schon eine Weile drüber nach. Weil sie mMn genauso gut ohne diese ganzen Erinnerungen funktionieren würde. Ich denke, dass dieser Erinnerungscontainer, in dem du die Geschichte präsentierst, das Erzählen und Lesen verkompliziert, sodass es mglw eine Funktion hat, die ich nicht verstehe. Vielleicht frage ich auch, weil es mir persönlich tatsächlich nicht so gut gefällt. Für mich zerstört es ein wenig die Stimmung, die für mich das eigentliche Thema der Geschichte ist.

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Dein Text, deine Regeln, doch ich hätte es schöner gefunden, wenn du mich mit deinem Einstieg direkt in die Situation geworfen hättest: Auf dem Dachboden des Lederwarengeschäfts meines Vaters stand ich in der glühenden Hitze des Nachmittags, riss alte Holzschränke ein und baute angerostete Metallregale zusammen, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
--> Das soll nur verdeutlichen, was ich meine. Du fändest sicher einen schöneren Satz. Zudem finde ich "glühende Hitze" etwas zu unbedacht, insbesondere für einen Einstieg.

Anderes Beispiel:

Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt
Ich mag die Stimmung, die du erschaffst, fände es aber schöner, wenn ich mich ganz auf den 13jährigen einlassen könnte und nicht noch die heutige Perspektive mitdenken müsste. Außer es geht am Ende um etwas, was im Heute passiert, aber das ist ja nicht der Fall. Du könntest so auch mMn die eher unelegante Wendung "würde einem gehören" umgehen. "Dreizehn Jahre alt, glaubte ich, die Welt würde mir gehören." oder "Mit dreizehn glaubte ich ..."

Naja, genug davon, ich denke, du weißt, was ich meine und das wird ja auch so nicht für jeden Leser gelten.

Abgesehen von dem Erinnern, dessen Funktion ich nicht verstehe, hat mir deine Geschichte gut gefallen, ich mag die Stimmung, die du erzeugst. Allerdings bin ich zwischendurch auch etwas abgeschweift, und dachte, sie könnte auch ein bisschen kürzer und dafür prägnanter sein, an manchen Stellen waren es zu viele Beschreibungen für mich und zu wenig Bewegung. Gerade bei so stimmungsvollen Geschichten ist es ja schwierig mit dem Kürzen, weil zuviel Kürzen die ganze Stimmung zugrunde richten kann, andererseits ist es für mich gerade bei Kurzgeschichten bedeutsam, unnötigen Ballast rauszuschmeißen, weil ich (ich bin da aber vielleicht auch nicht der Durchschnitt) bei KGs im Gegensatz zu Romanen viel ungeduldiger bin. Zwischendurch habe ich mich schon gefragt, wo es denn jetzt eigentlich hingehen soll, was für eine Geschichte du erzählen willst. Am Ende dachte ich, dass es dir vielleicht vor allem um die Stimmung ging und erst danach um die Wandlung deines Erzählers, die könnte für mein Empfinden noch etwas stärker herausgearbeitet werden, weil es das ist was mich interessiert, was natürlich nicht für andere gilt. Als Fazit bleibt vielleicht: Die Stimmung hast du gut aufgebaut, aber die Entwicklung des Prot ist mMn ein bisschen auf der Strecke geblieben dabei.

Noch zwei Sachen

Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Wahrscheinlich hat dein Prot den Vater dort schon zigmal gesehen, aber irgendwie wirkt es doch wie ein Perspektivfehler, woher weiß denn der Prot, dass er die Hände auf dem Schreibtisch hat, vielleicht putzt er sich ja gerade die Nase. Außerdem bin ich gedanklich gerade beim Prot und dann schiebt sich da eine neue Figur rein.

wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Ich verstehe das Bild nicht. Pralle Tomaten sind doch was Gutes? Ok, vielleicht hat es was damit zu tun, dass sie geschmacklos sind? Aber Geschwülste sind doch nichts gutes, oder, selbst wenn sie gutartig sind? Würde man nach Geschwülsten echt genauso greifen wie nach roten, prallen Tomaten? Außerdem löst sich für mich im Verlauf der Geschichte nicht auf, inwiefern alle Geschwülste in sich trugen. Eine Geschwulst ist ja etwas, dass wuchert bzw. wächst, wo es nicht wachsen soll.

Viele Grüße
Katta

 

Hi @Katta,

danke fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren.

Warum hast du entschieden, die Geschichte als Rückblende zu schreiben?
Ja, sehr interessant, was du aufwirfst. Antwort: Ich mag die Perspektive selbst als Leser oft, bei King ist das so ein Klassiker, auch bei anderen. Hauptsächlich wegen der Stimmung, wie du richtig vermutest hast.

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Dein Text, deine Regeln, doch ich hätte es schöner gefunden, wenn du mich mit deinem Einstieg direkt in die Situation geworfen hättest: Auf dem Dachboden des Lederwarengeschäfts meines Vaters stand ich in der glühenden Hitze des Nachmittags, riss alte Holzschränke ein und baute angerostete Metallregale zusammen, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
--> Das soll nur verdeutlichen, was ich meine. Du fändest sicher einen schöneren Satz. Zudem finde ich "glühende Hitze" etwas zu unbedacht, insbesondere für einen Einstieg.
Ist ein guter Vorschlag, der auf offene Ohren bei mir stößt. Vielleicht überarbeite ich den Text mit dieser Perspektive noch mal von Anfang bis Ende.

Abgesehen von dem Erinnern
Frage: Meinst du mit "Erinnern", also mit den Teilen, die dir nicht taugen, die Sätze, in denen das so explizit in der Perspektive steht (z.B. Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, (...))? Weil theoretisch ist die Vergangenheitsform ohne Nebensätze wie "ich erinnere mich noch gut" ja dieselbe Perspektive, also, das ist ein gealterter Ich-Erzähler, der von seinem früheren Ich erzählt. Insofern würde sich nichts verändern, abgesehen von dem gealterten Ich-Erzähler, der etwas rausfallen würde und alles wäre szenischer und direkter aus der jungen Ich-Perspektive.

Wie gesagt, der Vorschlag gefällt mir sehr gut.

Allerdings bin ich zwischendurch auch etwas abgeschweift, und dachte, sie könnte auch ein bisschen kürzer und dafür prägnanter sein, an manchen Stellen waren es zu viele Beschreibungen für mich und zu wenig Bewegung.
Ok!

Gerade bei so stimmungsvollen Geschichten ist es ja schwierig mit dem Kürzen, weil zuviel Kürzen die ganze Stimmung zugrunde richten kann, andererseits ist es für mich gerade bei Kurzgeschichten bedeutsam, unnötigen Ballast rauszuschmeißen, weil ich (ich bin da aber vielleicht auch nicht der Durchschnitt) bei KGs im Gegensatz zu Romanen viel ungeduldiger bin.
Jepp, das ist das Problem! :D

Zwischendurch habe ich mich schon gefragt, wo es denn jetzt eigentlich hingehen soll, was für eine Geschichte du erzählen willst. Am Ende dachte ich, dass es dir vielleicht vor allem um die Stimmung ging und erst danach um die Wandlung deines Erzählers, die könnte für mein Empfinden noch etwas stärker herausgearbeitet werden, weil es das ist was mich interessiert, was natürlich nicht für andere gilt. Als Fazit bleibt vielleicht: Die Stimmung hast du gut aufgebaut, aber die Entwicklung des Prot ist mMn ein bisschen auf der Strecke geblieben dabei.
Vielen Dank für den Leseeindruck. Ich verstehe absolut, was du meinst und ich glaube ich weiß auch, wo ich ansetzen muss. Der Selbstmord zum Schluss kommt verdammt schnell und ist stark nacherzählt. Auch die Emotionen des Prots sind zu einem Gewissen Teil Behauptungen zum Schluss, dass er dies und das fühlte. Ich werde das womöglich noch mal umbauen und szenisch versuchen zu zeigen, was der Junge fühlt und wie er sich verhält.

Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Wahrscheinlich hat dein Prot den Vater dort schon zigmal gesehen, aber irgendwie wirkt es doch wie ein Perspektivfehler, woher weiß denn der Prot, dass er die Hände auf dem Schreibtisch hat, vielleicht putzt er sich ja gerade die Nase. Außerdem bin ich gedanklich gerade beim Prot und dann schiebt sich da eine neue Figur rein.
Ich finde, das passt. Ich denke da an gewisse Gesten, die Leute einfach aus ihrer Persönlichkeit heraus an den Tag legen. So war der Vater hier einfach in der Erinnerung des Erzählers in dieser Zeit auf die Art am Schreibtisch gesessen; ob er das in der Situation wirklich war, ja, das weiß man nicht. Aber darum geht es auch nicht an der Stelle, hm, für mich geht das klar

wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Ich verstehe das Bild nicht. Pralle Tomaten sind doch was Gutes? Ok, vielleicht hat es was damit zu tun, dass sie geschmacklos sind? Aber Geschwülste sind doch nichts gutes, oder, selbst wenn sie gutartig sind? Würde man nach Geschwülsten echt genauso greifen wie nach roten, prallen Tomaten? Außerdem löst sich für mich im Verlauf der Geschichte nicht auf, inwiefern alle Geschwülste in sich trugen. Eine Geschwulst ist ja etwas, dass wuchert bzw. wächst, wo es nicht wachsen soll.
Ja, das ist das artsy-gste an dem Text, die Stelle. Die Familienmitglieder tragen alle bereits etwas in sich, jeder hat Probleme. Mal sehen, ob ich's drin lasse! :D Gerade gefällt's mir, aber mal abwarten.


Beste Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @zigga ,

große Freude, dass es was Neues von dir gibt, ich wollte (wirklich) schon fragen :D Nach den ersten Zeilen habe ich mir Pixies – Hey (We're Chained) angemacht, weil ich so einen Text mit Musik manchmal noch mehr zelebriere, aber nicht das Gefühl habe, es würde jetzt groß Konzentration rauben oder dergleichen.
Ich habe den Text sehr gerne gelesen. Der Erzählton ist anders als in anderen Stories von dir, ohne dass man Schwierigkeiten hätte, da Zigga rauszulesen. Auf seltsame Weise fühle ich mich auch ein wenig verwandt mit dem Text. Dann auch wieder nicht. Manchmal blitzt auch etwas auf, was ich von Jimmys Texten kenne, diese Geduld und Genauigkeit. Also mir hat der Text sehr gefallen. @Katta deinen Kommentar finde ich gut. Schön, dass du hier aufgekreuzt bist (Willkommen und so weiter), bleib ruhig :) Die Sache mit dem Erinnern. Ich finde, dass ist das wichtigste Element dieser Story. Warum? Es macht das alles, das Alltägliche zu einer Reminiszenz. Es gibt mir die Möglichkeit, eigene Gefühle, über denen der Filter des Vergangenen liegt, zu erleben, ohne dass ich das nostalgisch nennen würde. Und diese Geschichte basiert darauf. Die (private, persönliche) Historisierung von Ereignissen gibt ihnen ein anderes Gewicht. Das kann ein Effekt sein, aber so etwas liegt hier für mich nicht vor. Das ist ja durchweg sehr gut gemacht, das hätte den Effekt nicht nötig und legitimiert diese Verfahrensweise dadurch. Das hat etwas Lustvolles, dieses Schwelgen. Als würde man eine Erinnerung auf Phiolen ziehen, verkorken und beschriften. Fremde oder eigene Erinnerungen. Letzte überflüssige Metapher: Die Vergangenheit ist hier der Alkohol, das Formaldehyd. Aber es ist genau so. Es ist eine so grundlegende Entscheidung wie die Frage nach der Erzählperspektive. Es gibt nur wenige Fälle in denen ich das anfechtbar finde (weil Katta da ja nach gefragt hatte). Diese Entscheidung liegt bei den Schreibenden. Das ist ein Arbeits- oder Verarbeitungsmodus von Erfahrungen und Erinnerungen. Das kann man, finde ich, nicht ohne Weiteres infrage Stellen.
Es geht mir auch so wie Katta mit den Tomaten und auch anderes sehe ich ähnlich. Aber ich habe auch immer noch eine andere Perspektive darauf, glaube ich. Die Tomaten zum Beispiel: Das ist ein Spannungselement, ein Cliffhanger. Das bleibt offen, aber es führt durch den Text. Es ist ein Zugeständnis an die Lesenden. Es ist etwas, wofür ich im Grunde auch Danke sage. Was dann damit passiert, das ist ja vor allem Kopfsache. Der Text macht das auf, kündigt es an. Aber auch wenn er es nicht einlöst, habe ich von dieser Spannung gezehrt. Und das hier ist ein Text, der sehr viel, sehr feine Spannung hat (allein das alles, was zwischen dem Mann und der jungen Frau passiert und nicht passiert). Diese letzten Sätze der wohlportionierten Absätze sind für mich eben genau das, Cliffhanger. Vom Typ Spannung hat mich das gleich an Elemente aus "die Freigabe" von Jimmy erinnert. Man erwartet, dass der Prot die Nebenfigur (Spoiler) zur Schnecke macht, aber dann tut er es nicht. Es hat mich aber ganz wesentlich durch den Text gebracht. Dabei brauchen gute Texte nicht einmal Spannungselemente; davon bin ich überzeugt. Spannung ist immer ein Zugeständnis.
Zigga, ich würde dir gerne genauso toll sagen können, streich diese drei Absätze (danke für deinen wunderbaren Kommentar!!), aber das kriege ich hier einfach nicht hin. Kritikpotential sehe ich eher in der handwerklichen Haltung, die ich hinter dem Text vermute. Ich sehe hier wunderbare Sätze, ein sehr gutes Erzähltempo, gute Details, gute Beschreibungen, authentische Figuren. Erstens: Ich meine hier auch Brüche zu sehen. Hast du das an einem Stück geschrieben? Was aber wichtiger ist, der Text wirkt sehr ausgeruht auf mich. Das hat etwas Professionelles, etwas Ordentliches. Und deswegen denke ich, dass du dich noch mehr geistig verausgaben könntest :D dass man das Brüten und Schwitzen am Text spüren kann (wichtiger aber: dass du über dem Text gebrütet und geschwitzt hast, einfach sehr konzentriert dran warst). So denke ich hier, es geht noch was, noch mehr Donnerwetter, noch mehr Geistesblitze. Aber wenn du mich fragst, ob ich das Profimäßig und wirklich sehr gut finde, kriegst du von mir bei diesem Text immer ein Ja. Ich hoffe, du kannst das, was ich meine, verstehen. Ich meine es genau so, wie ich es schreibe. Ich könnte mir vorstellen, dass da auch bei der Planung noch etwas gegangen wäre. Das Weibliche deiner Protagonistin. Dieser Aspekt etwa findet in dem Text nicht wirklich zu Absätzen. Das sagt mir, dass du schon woanders warst gedanklich. Deshalb denke ich, die Skizze hätte dahingehend dringender, konzentrierter sein können und der Text bzw. du hättest Atempausen (keine langen Unterbrechungen) beim Schreiben einlegen können, um dich auf die Figuren und ihre Merkmale zu besinnen. Dir muss einfach aufgefallen sein, dass das Weibliche bei einer Protagonistin unterbesetzt ist. Überhaupt nicht schmerzlich, aber schon so, dass es auffällt und Probleme beim Schreiben bereitet.

Räusche

Ein schöner und seltener Plural :-)

blumenfarbiger Schürze

ist ja wirklich ganz weniges in diesem Text. Aber 'blumenfarbig'. Der Tonfall deiner Protagonistin weist gewisse Unregelmäßigkeiten und Ungenauigkeiten auf, was ich völlig natürlich finde. Aber hier ist es mir zu viel. Das würde ich nachträglich etwas aufbessern. Blumenfarbig. Sie hat an geblümt gedacht, aber auch an die Farben. Aber sie hat diesen merkwürdigen Hybriden gewwählt, weil sie ein bisschen zu schnell unterwegs war.

hinein biss

hineinbiss, glaube ich.

Schweiß in Bächen

muss, finde ich, noch mehr gebrochen werden, weil es eine Phrase ist. Ein wenig Brechung schaffst du. Weil es im Kontrast zu ihrer sonst sehr präzisen und detailnahen Beschreibungsweise steht. Da wirkt es als albere sie ein bisschen mit der Sprache: Schaut her, ihr seid so in meinen Bildern, dass ihr euch gerade wirklich einen Bach vorgestellt habt.
Das ist gut. Aber ich finde, es reicht als Brechung noch nicht. Wahrscheinlich würde ich den Satz nochmal umschreiben.

Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holz-Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog.

sehr schöne Stelle. Das ist so ein schönes, greifbares, haptisches Detail. Und es ist was Besonderes, dass sie sich so daran erinnert.

»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte.

Auch sehr gut, finde ich. Das ist diese Langsamkeit, diese feinen Entwicklungs-Dialoge, will ich das mal nennen, die ich sonst auch aus Jimmys Texten kenne. Etwas Feines, Psychologisches, Initiierendes oder Hierarchisierendes, sozial Rollengebendes wird hier im Dialog entwickelt.

Ich drehte mich zu dem Mann. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken.

Sehr gut!

Fast wie der Flaum eines Kükens

:gelb:

Wie in einem Krieg, ein Schuss führt zum nächsten, und nach zig Jahren und unzähligen Toten weiß keine Seite mehr, weswegen man aufeinander schoss, was die Ursache des Grolls auf den anderen war. Vielleicht ist das die schlimmste Art des Hasses: nicht zu wissen, wieso. Aber er ist da, er steigt in einem auf, unaufhaltsam.
Als ich mich ins Bad einsperrte, sie draußen streiten hörte und mich auf den geschlossenen Toilettendeckel setzte, konnte ich nicht anders, als fürchterlich zu heulen.

hat mir auch sehr gut gefallen. Einfach eine starke, konzentrierte Beschreibung.

Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand

kein Komma vor dem ersten 'und', glaube ich. Ist zwar ein Relativsatz, aber die Konjunktion schließt ja grammatisch an den 'Augenblick' an, es geht hier ja nicht um etwas Neues. Also ziemlich sicher muss das weg.

so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.

Sehr sehr guter letzter Satz finde ich. Den brauchst du auch, der gibt diesen ganzen Erinnerungen den richtigen Dreh.

Ich verzichte bzw. beschränke mich auf diese Schlussworte :D Habe das, was mir zu sagen wichtig war, bereits oben geschrieben. Aber weil das immer nochmal am Schluss geht: Sehr gerne gelesen.

LG
Carlo

 

Hallo @zigga

vielen Dank dir fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren!

Gern geschehen.

Was mir gefehlt hat war, zu erfahren, an welchem Punkt er sich erinnert. Gab es einen Auslöser? Passiert das einfach so?
Ha, ja, der Auslöser, du hast Recht, das fehlt. Ich frage mich: braucht es das? Ich weiß es nicht

Mmh. Brauchen vielleicht nicht unbedingt, aber interessiert hätte es mich schon :D

Interessant fand ich die sehr detaillierte Beschreibung der Arbeiten, die er gemeinsam mit dem Mann verrichtet hat. Im Gegensatz dazu war die Erwähnung des Selbstmords dann sehr kurz.
Das stimmt, vielleicht hab ich den Suizid etwas runtergeknallt

Ja, ein bisschen schon.

Deine Anmerkungen werde ich durchgehen und ich denke einiges übernehmen, gerade die Kürzungen der Dopplungen! Vielen Dank, dein Leseeindruck hat mich interessiert.

Gern geschehen.
Schön. Das freut mich sehr.

Ich wünsche Dir ein wundervolles Wochenende und sende ganz liebe Grüße,
Silvita

 

Fuck. Hier habe ich die falsche Abbiegung genommen. Da haben sich zwei, drei Worte bei mir miteinander zu der Bedeutung vermischt. Ignorier das, was ich dazu geschrieben habe :D :sealed::bonk:

Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. Sicherlich ein Mädchen.

 

Hallo @zigga,

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Ups, direkt ein Klopper am Anfang. Ich komme leichter in den Text, wenn du den Vierzeiler in kleinere Einheiten teilst, z.B. hinter Mann den ersten Punkt. Öffne mir ein kleines Türchen, statt mir das Domportal vor die Nase zu setzen. Schwierig auch das einreißen und zusammenbauen in einem Satz. Das hängt alles sehr aufeinander und zwingt mich zum Sortieren. Mehr Luft.

saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl
selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Stilistisch für mich ein Fremdkörper. Ein Lesestopper.

Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer.
Kann mich erinnern an dieses Gefühl, das Nach-oben-Orientieren und dass es mit dem Großwerden nicht schnell genug gehen konnte. Dennoch frage ich mich, ob das stimmt, dass das Kind, das er einst(klingt wie ist schon so lange her, dabei ist der Prota ganz dicht dran?) verkörperte, fast vergessen ist. Geschieht das nicht eher fließend, dass das neue Bewusstsein das bisherige schleichend ersetzt, mit einigen Zuckungen nach vorne wie hinten. Für einen Cut bräuchte es da doch einen bestimmbaren Wendepunkt, eine Form der Initiation.

und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.
Wirkt so dahingelegt als Behauptung, warum und wodurch bekämpft er die "Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen"? Wie ich das bisher gelesen habe, befindet er sich in der Übergangphase, sieht und versteht einen Teil der Welt der Erwachsenen, hat hinter deren Vorhang geblickt aber ist noch außen vor. Wie passt das Bekämpfen da rein?

und in eine hinein biss.
hineinbiss.

wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Rote, pralle Tomaten gleich Geschwülste, das Bild ist für mich schief, das pralle Leben bringe ich mit krankhaftem Wachstum nicht überein. Und warum tragen sie die Geschwülste in sich? Ich lese daraus eine Andeutung der späteren geschäftlichen und persönlichen Niederlage, so weit okay, doch die Empfindungen, die sich mir bei Geschwülsten aufdrängen, sind mir für den Zweck der vagen Andeutung zu prägnant.

Der zweite Abschnitt beginnt für mich viel konkreter und ich frage mich nach wenigen Zeilen, wofür du den ersten brauchst? Ich habe sofort ein Bild von dem Mann (warum hat er keinen Namen?), das saugt mich ein, Das mit den stillen, höflichen Männern, die sich unter den lauten wie von selbst finden, stark! Mehr davon.

und dem Mann die Hand entgegen streckte
entgegenstreckte.

Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl, sein Lächeln hatte er im Gesicht.
Weiß nicht, das Lächeln im Gesicht tragen/haben ist ein wenig ausgelutscht. Bräuchte ich nicht.

Sein Gesicht wirkte ledrig, mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
zer... heißt ja immer Zerstörung, zerbrechen, zerreißen, zermalmen, kann man etwas zerknüllen? Warum drückt er das Papier nicht einfach zu einen Papierball? Abgesehen davon ein stimmiges Bild mit dem Papier und dem Leder.

Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
schönes Detail, den namenslosen Mann hast du am besten getroffen.

sagte er, sah mich an und lächelte. Er stellte die Wasserflasche ab, kniete sich zum Werkzeugkasten und steckte die verschiedenen Teile eines langen Hammers zusammen. Er schnaufte etwas, als er wieder aufstand. Er lief zum hintersten der zehn, elf mannshohen Holz-Regale. Er bat mich, einen Schritt zurückzugehen
Valcambi Suisse is back? Ziemliche Gehackel.

Ich blickte auch ihn an, lächelte, sah all das Holz und begann ebenfalls für einen langen Moment laut zu lachen. Ich dachte an meinen Vater, wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch.
Schön, wie sich das Gewissen meldet und der Drang nach Loslösung.

und zeigte mir am nächsten Regal den Punkt auf einem der Mittelbretter
Was ist ein Mittelbrett? Hab ich noch nie gehört. Meinst du eine Regalseite?

»Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Bräuchte es nicht. Lieber drei Punkte für den offenen Satz hinten.

Er schaute sich um und sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären.
Verstehe eines absolut nicht, anfangs schreibst du:
alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Klingt für mich wie ein Austausch eins zu eins, Holz- gegen Metallregale, also warum diese Schwermut? Logikknacks?

Er schaute sich um und sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte. Er sagte kein Wort. Er sah uns nicht an. Er stieg weiter über das Holz
Sehe den Mehrwert vom Er-Stakkato nicht.

Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter
Den Ausdruck "eine Räuberleiter geben" kenne ich nicht, vllt. verschränkte die Hände zu einer Räuberleiter?
Hitze im August
Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte.
Diese Stelle auf dem Flachdach ist für mich das Highlight des Textes. Deer Zeitenwechsel der sich andeutet. Sie schauen hinaus in die die Welt und alles was sie sehen, hat eine Bedeutung, der Blick in die sonnige Weite, die gotische Kirche, die Bürotürme, die Baustelle des EZ, die jetzt schon alles Alte erdrückt.

»Auch eine?«, fragte er. Mein Vater nickte abwesend und zog ein Zigarillo heraus. Der Mann gab ihm Feuer, und gemeinsam standen wir an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.
Ganz stark.

Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal etwas getan hatte, wofür man mich bezahlte.
Unnötig abrupt. Hinterlässt einige Leerstellen: Was ist mit dem Leder passiert? Ein wertvoller Rohstoff, den werden sie kaum unter dem Holz begraben haben. Dass sie ihn runtergetragen haben, steh nicht im Text. Wofür sind die erwähnten Metallregale? Der Job ist noch nicht beendet, wer räumt das Holz weg, der Vater im Anzug? Da fehlt mir der runde, verständlichere Abschluss.

Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal das Einkaufszentrum sah, das meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.
Ist er sonst mit Augenbinde unterwegs? :D Ich denke, du meinst, dass er zum ersten Mal die Dimensionen des EZ begreift, oder? Finde ich ein wenig missverständlich.

Wie in einem Krieg, ein Schuss führt zum nächsten, und nach zig Jahren und unzähligen Toten weiß keine Seite mehr, weswegen man aufeinander schoss, was die Ursache des Grolls auf den anderen war. Vielleicht ist das die schlimmste Art des Hasses: nicht zu wissen, wieso. Aber er ist da, er steigt in einem auf, unaufhaltsam.
Schöne Stelle, aber viel zu kurz.

Mein Vater sah mich einen langen Moment an. Vielleicht, um zu sehen, wie ich reagiere. Vielleicht, um zu sehen, wie er selbst darauf reagiert. Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.
Die auch.

Zunächst mal: Ich habe den Text gerne gelesen. Wie ich schon schrieb, bräuchte ich den ersten Absatz nicht, das ist zwar kein Infodump, aber eine Art Prolog und ich habe den Eindruck, ich als Leser soll auf den Text und den Ich-Erzähler eingestielt werden. Du würdest mir den Erzähler jedoch näher bringen, wenn du den Anfang weglässt und in der Handlung mehr Innensicht vermittelst.
Ab dem zweiten Absatz erzählst du schwelgerisch, teils sehr schöne Stellen, teils mir persönlich auch recht lang und an einigen Stellen, die ich aufgeführt habe, zu unpräzise. Manches liest sich redundant, wenn ich das zehnte Mal über Hitze und Schweiß lese, winke ich innerlich ab, weil ich das nichts mehr dazutut. Wiederholungen als Stilmittel finde ich dann gut, wenn du mit minimaler Variation etwas aus einem veränderten Blickwinkel leicht anders erzählst.
Schön sind die Stellen, wo es dir gelingt, mit deinen Beobachtungen und dem, was du umreißt, etwas über die Umstände des Menschsein zu erzählen. Die Stellen haben mich sehr an den Text herangezogen. Auch die Konstruktion des drückend heißen Speichers voller Staub, Mühsal und Dreck und dann die Befreiung durch das Steigen aus dem Fenster. Das hat was von Flucht aus einem Gefängnis, du schreibst auch passend von Räuberleiter. Und dahinter kommt für einen Moment die Freiheit, Weite, Sonne, Luft, Licht.

Die Kleberschnüffelei kommt wie eine Bridge im Song daher, wie eine Variation im Text, die bis auf die Tonlage mit dem Rest nur wenig zu tun hat und mich beschleicht der Eindruck, dass du nicht recht wusstest, wie du sonst Strecke zwischen die Betrachtung des Einkaufszentrums und den Absatz "Erst acht oder zehn Wochen später ..." bringen kannst.
Ist retrospektiv auch schwierig, weil der Erzähler ja schon alles weiß und das Wichtige/ die Auflösung nur zurückhalten darf, wenn er was gleichrangig Wichtiges vorher noch erzählen muss, damit der Leser die Auflösung versteht, weißt? Der Ich-Erzähler hat ja einen Grund, mir als Leser seine Geschichte zu erzählen, sozusagen ein Anliegen und dem muss der Text folgen, da muss er auf den Punkt kommen. Anders wenn du im Präsens schreibst und Dinge dem Prota einfach passieren, da ist eine gewisse Beliebigkeit kein Problem. Die Kleberschnüffelei kann es deshalb für mich nicht sein, weil sie nichts zum Verständnis des Anliegens beiträgt und der Geschichte nicht dient. Vielleicht findest du noch was Passenderes.

Ich bekomme den Sound nicht richtig zu greifen, manchmal fehlt mir was, an anderen Stellen ist es mir zu viel, mal kommt eine Er-Kaskade, dann wieder ellenlange Sätze. Es würde dem Text gut stehen (mMn), wenn du diese Tempowechsel versuchst rauszunehmen und ein durchweg bedächtiges Tempo anschlägst. Würde zu der Hitze im August besser passen. :D
Das hörst du wahrscheinlich nicht gerne, aber auf mich wirkt er noch nicht hundert Prozent fertig, weil sprachlich noch nicht homogen und vom Plot her nicht austariert. Am Anfang würde ich was weglassen, direkt mit Handlung einsteigen und gegen Ende fehlt die falling action. Bitte mehr großartige Bilder und Beschreibungen, lieber zigga, finde da geht noch was.

Peace, l2f

 

Hallo @zigga

Du hast mich ganz schön ergriffen mit deiner Geschichte.
Sie hat mir gut gefallen, weil du Szenen beschreibst, in die ich eintauchen kann. Du schaffst mit deinen Worten Bilder, die Gefühle hervorrufen, ohne dass du sie implizit ansprichst.
Ich habe mich auch gefragt, warum Du Deine Geschichte in der Rückblende schreibst. Vielleicht weil es für Dich eine ist!

Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein.
Es war für mich interessant zu lesen, wie unterschiedlich man sich als 13-jähriges Kind fühlt. Mit 13 habe ich mich als die unsicherste, minderwertigste Person gefühlt, die man sich überhaupt vorstellen kann. Weit davon entfernt die Welt würde mir gehören oder ich wisse um die Geheimnisse der Welt.
Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt.
Da war ich jetzt schon auch dabei.
Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.
Bin da auch ganz in der Welt der 13-jährigen.
Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holz-Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an und ich erinnere mich an das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein, als er die Nägel aus dem Regal zog. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Ich erinnere mich, dass sich da etwas in mir entspannte, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er jeden einzelnen der Nägel aus dem Holz zog.
»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte.
Das ist etwas, was ich bestätigen kann. Ich war kurz vor meinem 13. Geburtstag und ich kann mich fast an jedes Detail an diesem Tag erinnern, obwohl es schon beinahe ein halbes Jahrhundert her ist.
. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter …
Da ist der Junge ein Mann. Tolle Szene.
Ich sah meinen Vater, der zu dem Einkaufszentrum blickte. Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit.
Weckt Erinnerungen, kenne ich auch.
»Ich hab was Besseres«, sagte er.
»Nich’ schon wieder!«, stöhnte ich.
Aus seinem Rucksack holte er die Plastiktüte und den Kleber.
»Klebe is’ was für Assis!«, sagte ich und setzte mich. Trotzdem zog ich. Drei Minuten später ließ ich mich rücklings neben Johnny ins Gestrüpp fallen. Kein Gedanke in meinem Kopf. Bei manchen Leuten braucht es nicht mehr als ein Mal diese Erfahrung, sich auf die Art kontrollieren zu können: die Wut, die so tief sitzt und so komplex ist, auf diese Weise von sich werfen zu können. Ich denke heute oft darüber nach, wenn ich nachts wachliege: Ob es nicht so etwas wie positive Traumata gibt, die nicht weniger schädlich sind, die den Geist nicht weniger vergiften.
Ich finde es gut, dass du darüber geschrieben hast: Ein Versuch abzuhauen, zu vergessen, sich gut zu fühlen.

Als ich mich ins Bad einsperrte, sie draußen streiten hörte und mich auf den geschlossenen Toilettendeckel setzte, konnte ich nicht anders, als fürchterlich zu heulen.
Ich hab mich mal zu deinem Prota gesetzt.
Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.
»Selbstmord«; seltsam, das zu hören. Seltsam, das mit dreizehn Jahren zu spüren. Dass das dort draußen passierte, in der Welt der Erwachsenen. Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen. Dass dort jemand, den man für einen kurzen Augenblick gekannt hatte, jetzt nicht mehr existierte. Dass er sich selbst gerichtet hatte
1972 in dem Dorf mit 850 Einwohnern nahm sich sechs Männer das Leben. Einer davon war mein Vater und nicht ein einziger hatte ein Abschiedsbrief geschrieben.
»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.
Ja kann ich bestätigen, als 13-jährige hatte ich dieses Gefühl auch.


Du hast diese Kurzgeschichte mMn und auch meiner Erfahrung nach ganz toll geschrieben.
Ich freue mich schon auf die nächste Geschichte von dir.

Lieber Grüße
CoK

 

Hallo @zigga,

Vielleicht überarbeite ich den Text mit dieser Perspektive noch mal von Anfang bis Ende.
Falls du es tust, würde ich den Text gerne lesen ...

Frage: Meinst du mit "Erinnern", also mit den Teilen, die dir nicht taugen, die Sätze, in denen das so explizit in der Perspektive steht (z.B. Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, (...))? Weil theoretisch ist die Vergangenheitsform ohne Nebensätze wie "ich erinnere mich noch gut" ja dieselbe Perspektive, also, das ist ein gealterter Ich-Erzähler, der von seinem früheren Ich erzählt. Insofern würde sich nichts verändern, abgesehen von dem gealterten Ich-Erzähler, der etwas rausfallen würde und alles wäre szenischer und direkter aus der jungen Ich-Perspektive.
Ja, stimmt, "Erinnern" ist nicht das richtige Wort, aber ich meinte das, was du vermutest. Es geht ja um eine zusätzliche zeitliche Ebene (Gegenwart), die du einfügst. Und diese Ebene würde ich weglassen und einfach alles retrospektiv erzählen. Außer, wie gesagt, es gibt irgendetwas, das auf dieser Gegenwarts-Zeitebene passiert, aber das ist natürlich nur meine Meinung, es gibt ja auch gegenteilige Meinungen wie die von @Carlo Zwei (Vielen Dank an dieser Stelle für dein Willkommen!).

Der Selbstmord zum Schluss kommt verdammt schnell und ist stark nacherzählt. Auch die Emotionen des Prots sind zu einem Gewissen Teil Behauptungen zum Schluss, dass er dies und das fühlte. Ich werde das womöglich noch mal umbauen und szenisch versuchen zu zeigen, was der Junge fühlt und wie er sich verhält.
Du könntest auch überlegen, den Selbstmord viel schneller passieren zu lassen, das würde die Dynamik am Ende dann nicht so runterfahren. In dem Text spielen 4 verschiedene Zeitpunkte/Ebenen (Sorry, Fachwörter kann ich nicht.) eine Rolle. 1. Die Gegenwart aus der heraus sich der Prot erinnert, die aber keine weitere Rolle spielt, sondern eine rein ästhetische(?) Funktion hat. 2. Der Tag, an dem die eigentliche Handlung spielt, wobei die 3. eingebettet ist in die Zeit des Sommers (in dem der Prot erwachsen wurde). Ich finde, es ist die Einbettung in diesen Sommer, der die Stimmung des Textes ausmacht. Und 4. hast du dann einen Zeitpunkt ein paar Wochen nach dem erinnerten Tag.
Ich würde den Selbstmord zeitlich enger an den Tag legen. Nur eine Idee: Du könntest von dem Tag erzählen und den Bekannten sich noch am gleichen Abend suizidieren lassen, am nächsten Tag trifft sich der Prot mit seinen Freunden, schnüffelt etc. und dann dein Ende mit der Erkenntnis: "Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen." Keine Ahnung, ob das passt oder nicht ist, aber ich wollte dir die Idee mal da lassen.

Viele Grüße
Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @zigga :-)

Die folgenden Gedanken zu deinem Text klingen tausendfach härter und kritischer, als sie sind. Ich hoffe, du verstehst mich. So lese ich den Text: Einerseits steht hier ein Mensch, der in pubertäre Widersprüche verwickelt ist und jetzt, Jahre später, die Erfahrung eines Suizids zu verarbeiten versucht. Den Suizid ordnet dieser Mensch aber in seine persönliche Entwicklung und die pubertäre Weltsicht ein. Die ist einerseits von Übertreibung, andererseits vom Glauben an ein Verstehen der erwachsenen Welt gekennzeichnet, die gleichzeitig aber bekämpft wird. Sprich widersprüchlich.

Ich möchte hier keine tieferen Gedanken suggerieren, als sie sind. Eine Geschichte, in der sich alles logisch aufschlüsseln lässt, brauche ich (subjektiv) nicht. Meiner Ansicht nach versucht der Text eine große Stimmung einzufangen, in der sich die wirtschaftliche Situation der Eltern, pubertäre Widersprüche zur Welt der Erwachsenen, der Glaube, was Erwachsensein bedeutet und wie man es bekämpft, der Suizid eines Bekannten und die Einordnung einer suizidalen Handlung in das eigene Weltbild, widerspiegeln. Das gelingt dir oft sehr, sehr gut. Der Text ist jedoch als Erinnerung geschrieben, es scheint also beim Erzähler eine Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen gegeben zu haben, die vom Suizid des Bekannten "beleuchtet" wird. Die Änderung der eigenen Biographie wirkt für ihn rätselhaft, ebenso wie der Suizid.

Ich erlebe deine Texte als ein Meisterwerk des Einfangens auf eine ganz bestimmte Stimmung. Die Fragen, die ich stelle, sind keine, die beantwortet werden müssen. Sie entstanden beim Lesen Deines Textes, vielleicht helfen sie dir ja.

Soweit ich Deinen Text richtig - oder so von dir angedacht (s.v.d.a.) - gelesen habe, wird das erworbene Gefühl des Erzählers, die Welt der Erwachsenen verstanden zu haben, durch den Selbstmord des Freundes erschüttert. Offenbar scheint der Erzähler den Suizid nicht einordnen zu können. Gleichzeitig steht dein Erzähler, dreizehn Jahre, in der Pubertät, mit einer bestimmten Haltung zur Welt der Erwachsenen. Das Konstrukt wirkt auf mich schwierig umzusetzen: Der Erzähler bekämpft ja einerseits diese Welt, andererseits glaubt er ein Verständnis im Sinne eines Verstehens erreicht zu haben, das durch den Selbstmord in eine Krise gerät. Der Erzähler erinnert sich jedoch. Er schaut also auf das Ereignis und das Gefühl, das er hatte, zurück. Er greift also auf das Schema der Pubertät zurück, wie denn so eine Pubertät eben sein muss. Interpretiere ich hier zu viel? Er wird also in all den Jahren (so wirkt es auf mich) eine Bedeutung des Suizids für die eigene Entwicklung erkannt haben.

Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Nervös und steif - der Vater diszipliniert sich über die Körperhaltung? Selbst unbemerkt - kämpft er gegen etwas an? Oder ist er besorgt, der wirtschaftliche Zustand des Betriebs?
Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein.
Grammatikfrage: "Dreizehn Jahre alt sein und glauben," -> bezieht sich auf eine Vorstellung, daher Konjunktiv II [?] mit gehörte, aber Verwechslung mit Indikativ Präteritum, daher "würde+gehören"?

"was sie zusammenhielt" -> was sie zusammenhielte ? Konjunktiv.
"in ihrem Innersten zusammenhalten würde" -> in ihrem Innersten zusammenhielte ?

Inhalt: Du doppelst hier ohne Pass: Was sie zusammenhielt + Was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde.

Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.

Architektur ist ein Wort, das ich mit Konstruktion, Statik, Haarlinien, Papier, AutoCAD und Feinliner verbinde, das eine Geometrie reflektiert und kein mystisches Unbekannt, nix mit Metaphysik. Sinnhaftigkeit - meinst du damit ein logisches Regelwerk?

Der Erzähler bekämpft die Welt der Erwachsenen: Hier könnte (Subjektivitätshinweis) die Frage nach dem Warum und Was genau gestellt werden. Natürlich, der 13-jährige steht in der Pubertät, aber in Anbetracht des bedeutenden Suizids erscheint mir der Rückgriff auf das Pubertät-Schema von Rebellion um der Rebellion wegen zu einfach. Dein Erzähler wirkt reflektiert, er scheint keine einfachen Antworten zu verfolgen. Oder hat er sich dazu entwickelt? Thema Kampf: Wie steht dein Erzähler zum Vater? Der Vater ist ja der "Hauptrepräsentant" für die Welt der Erwachsenen, für das Regelnde, das Logische?

Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt.
Wut auf etwas - ist das nicht die Erwachsenenwelt? Oder einfach?
Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hinein biss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Hier scheint es dir um Widersprüche zu gehen. Subjektivitätshinweis: Ich mag solche Stellen sehr, hier wird ja eine Ablösung zwischen Erzähler und Vater deutlich, die Tomaten sind prall und geschmacklos, der Vater hält sie für phänomenal.
Er war einen Kopf größer als ich. Das blonde, lichte Haar angegraut. Sein Gesicht war seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie die Sicht, wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Ich erinnere mich an die gewissenhafte, ruhige Schwere in all seinen Blicken und Bewegungen. Er trug eine graue Latzhose, hatte Bauchansatz, seine Finger kurz und kräftig.
Das ist toll beschrieben, auch diese Assoziationen von den Augenfarben zum Grau der Stadt, sprich dieses Kumulieren von Eindrücken auf ein Merkmal, für mich klingt das druckreif. Sicher wirken solche Sätze auf Papier viel stärker, das ist eine bewusste Sprache, die nach dem Gefühl vom "Ich lese ein literarisches Werk" greift.
Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen.
Ein wichtiger Satz: Das Ereignis ist dem Erzähler jetzt, Jahre später, wichtig? Sonst hätte er ja den Namen behalten? Warum hat er den Namen vergessen? Dann scheint der Suizid jetzt wichtig zu sein? Warum? Ich brauche keine Antworten, aber die Einordnung des Ereignisses ist in der Gegenwart eine andere, scheinbare wichtigere, als in der Vergangenheit. Was also motiviert den Erzähler dazu?
Die Sonne brach grell durch die schlitzartigen, auf Kopfhöhe liegenden Fenster.
Warum schlitzartig?
»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Die Charakterzüge des Mannes beschreibt dein Erzähler außergewöhnlich präzise, möglicherweise durch die verzerrte Perspektive des Suizids. Die Vorstellungen des Erzählers über das Leben des Freundes reflektieren die eigene Verarbeitung der suizidalen Handlung, dieses paradoxe, widersprüchliche. Uff, spekuliere ich zu viel? Vielleicht. Ist das "s.v.d.a."?
»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah mich an und lächelte.
Das klingt für die Qualität deines Texts überraschend platt. Aber gut, subjektiv.
»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.
Mich begeistert diese Stelle; sie wirkt wie ein Initiationsritus in die Welt der Erwachsenen. Hier wirken alle die Themen, die deinen Text auszeichnen.
Der Mann und ich standen einige Sekunden perplex da, verstanden nicht. Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter. Anschließend lief ich zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und stieg auch durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste. Draußen kamen wir auf einem Flachdach an. Als der Mann etwas Holz zusammengeschoben hatte und sich ebenfalls ächzend durch den Fensterrahmen zwängte, hielten ich und mein Vater ihn von draußen an den Armen und zogen an ihm.
Vielleicht könnte die Stelle durch einen Einblick in die Gefühlswelt des Erzählers an Bedeutung gewinnen. Ich las die Szene als eine Kopie der oben zitierten, wieder ein Initiationsritus, wieder ein Kämpfen um Anerkennung von Menschen, die aber - bekämpft werden? Ist das der Widerspruch der pubertären Erfahrung?
Nach der Arbeit fuhr ich mit meinem Mountainbike zum Fluss.
Hm, hm, hier die frage, was die Idee deiner Szene ist. Pubertät darstellen?
»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.
Ein starkes Ende. Ich lese das als eine Motivation, dass der Erzähler "erwachsen" wird, dass er seinen eigenen Weg geht, eine eigene Wahrheit aufbaut.

***
Die folgenden Zeilen sind rein spekulativ. Sie sollen nur "anregen".

Ich lese ja ganz gerne ein Buch (haha, toller Einstieg, oder?), aber zu zwei Schemata stehe ich kritisch. Das eine ist das der Pubertät. Klar, das ist ein großes Thema, oft begleitet durch ein Gefühlschaos, Rebellion, erste Erfahrung des Eigenständigen, Glaube, Missglaube, Identitätsdiffusion. Dein Erzähler scheint die erlebten Erfahrungen durch dieses Pubertäts-Schema zu sortieren. Ich finde diese Idee mit dem Suizid des Bekannten sehr gut, da sie das Potential hat, das Schema zu dekonstruieren, was ich prinzipiell gut finde. Daher frage mich allerdings, ob es Hinweise auf Johnny, auf den Initiationsritus, auf die wirtschaftliche Situation der Eltern braucht. Wahrscheinlich entsteht dann ein ganz neuer Text. Ich frage mich, warum oft von ersten Alkoholräuschen die Rede ist.

Das zweite Schema ist das der Erinnerung oder präziser, wie sich erinnert wird. Die Abfolge von solchen Erinnerungen folgt ja oft kulturell verankerten Konzepten. Natürlich hat man eine Kindheit, dann eine Pubertät, dann ein Erwachsenen-Dasein. Die Konzepte werden inhaltlich ausgestattet, so ist eben Kindheit, Pubertät, Erwachsenen-Dasein. Ich verstehe, dass das die Konvention ist, auf die man sich vielleicht einigen muss, wenn man einen Text veröffentlicht, ihn mit der Welt teilt. Andererseits frage ich mich, warum, warum das immer so sein muss und ob nicht Schreiben immer dann interessant wird, wenn es alle Schemata dekonstruiert und zu neuen zusammensetzt. Aber gut, das ist ne ganz andere Frage.

Das war's!

Lg aus dem Münsterland, ja tatsächlich!
kiroly

 

Servus @Carlo Zwei,

vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar! Da steckt viel drin, let's dive into it:

große Freude, dass es was Neues von dir gibt, ich wollte (wirklich) schon fragen :D
Vielen Dank für dein Interesse!

Nach den ersten Zeilen habe ich mir Pixies – Hey (We're Chained) angemacht, weil ich so einen Text mit Musik manchmal noch mehr zelebriere, aber nicht das Gefühl habe, es würde jetzt groß Konzentration rauben oder dergleichen.
Nice! :D

Der Erzählton ist anders als in anderen Stories von dir, ohne dass man Schwierigkeiten hätte, da Zigga rauszulesen.
Das freut mich. Ja, es ist hier ein wenig etwas anderes,

Die Sache mit dem Erinnern. Ich finde, dass ist das wichtigste Element dieser Story.
ich hatte mal wieder Bock auf so ein nostalgisches Gefühl. Gleichzeitig bin ich mir bei der Story nach wie vor nicht sicher, ob sie so ist, wie ich es gerne hätte. Ich denke, hier sind noch viele Behauptungen im Text, auch viel Tell. Freut mich, dass der Text trotzdem Leuten gefällt. Ich hatte das Gefühl, dass das nostalgische Gefühl, dieser Erzähler, der zurück in die Vergangenheit blickt, also dass das etwas auf Kosten von Show gegangen ist. Aber ja, hat mich mal interessiert, was ihr anderen davon haltet.

. Auf seltsame Weise fühle ich mich auch ein wenig verwandt mit dem Text. Dann auch wieder nicht.
Wie meinen? :D

Manchmal blitzt auch etwas auf, was ich von Jimmys Texten kenne, diese Geduld und Genauigkeit. Also mir hat der Text sehr gefallen.
Das freut mich

Warum? Es macht das alles, das Alltägliche zu einer Reminiszenz. Es gibt mir die Möglichkeit, eigene Gefühle, über denen der Filter des Vergangenen liegt, zu erleben, ohne dass ich das nostalgisch nennen würde. Und diese Geschichte basiert darauf. Die (private, persönliche) Historisierung von Ereignissen gibt ihnen ein anderes Gewicht. Das kann ein Effekt sein, aber so etwas liegt hier für mich nicht vor.
Ja, ich weiß, was du meinst. Das meinte ich u.a. mit Behauptungen. Grundsätzlich ist es schon ein Effekt, wenn der Text eigene, persönliche Erfahrungen des Lesers anzapft und diese für die Geschichte verwendet. Der Text funktioniert dann bei einigen, bei anderen, die solche Erinnerungen nicht haben, gar nicht. Ich finde das eigentlich technisch schwach, aber ja, wenn der Text halt hauptsächlich drauf aufgebaut ist. Ich muss mal schauen, was ich mit dem Text hier mache. Ja, da ist schon auch Show hier im Text, wodurch ich ein wenig in die Welt damals entführen wollte. Ich bin unentschlossen, wie du siehst

Es geht mir auch so wie Katta mit den Tomaten und auch anderes sehe ich ähnlich. Aber ich habe auch immer noch eine andere Perspektive darauf, glaube ich. Die Tomaten zum Beispiel: Das ist ein Spannungselement, ein Cliffhanger. Das bleibt offen, aber es führt durch den Text. Es ist ein Zugeständnis an die Lesenden. Es ist etwas, wofür ich im Grunde auch Danke sage. Was dann damit passiert, das ist ja vor allem Kopfsache. Der Text macht das auf, kündigt es an. Aber auch wenn er es nicht einlöst, habe ich von dieser Spannung gezehrt. Und das hier ist ein Text, der sehr viel, sehr feine Spannung hat
Ja, die Tomaten :D Das ist ein wenig drüber, aber ich wollte mal sehen, was passiert

Diese letzten Sätze der wohlportionierten Absätze sind für mich eben genau das, Cliffhanger. Vom Typ Spannung hat mich das gleich an Elemente aus "die Freigabe" von Jimmy erinnert. Man erwartet, dass der Prot die Nebenfigur (Spoiler) zur Schnecke macht, aber dann tut er es nicht. Es hat mich aber ganz wesentlich durch den Text gebracht. Dabei brauchen gute Texte nicht einmal Spannungselemente; davon bin ich überzeugt. Spannung ist immer ein Zugeständnis.
Ach das ist ja interessant, dass du darauf gewartet hast, dass der Junge zur Schnecke gemacht wird. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Aber interessant. Spannung, was ist das? Du kannst einer absolut interessanten Frau begegnen und ihr fünfzehn Minuten dabei zusehen, wie sie Eier brät. Das kann absolut spannend sein. Es gibt natürlich diese klassische Spannung "Zeitbombe, die abläuft" o.ä., aber ich finde, wenn eine Figur(enkonstellatio) interessant ist, kann da nicht weniger Spannung sein, ohne irgendwelche Hilfsmittel im Plot/Text

Kritikpotential sehe ich eher in der handwerklichen Haltung, die ich hinter dem Text vermute. Ich sehe hier wunderbare Sätze, ein sehr gutes Erzähltempo, gute Details, gute Beschreibungen, authentische Figuren.
Erstens: Ich meine hier auch Brüche zu sehen. Hast du das an einem Stück geschrieben?
Ne, ich hab einen ersten Wurf mal geschrieben und jetzt in einem zweiten Schub noch mal dran geschrieben. Also kann gut sein, dass da ein wenig drei Elternteile dahinter stehen! :D

Was aber wichtiger ist, der Text wirkt sehr ausgeruht auf mich. Das hat etwas Professionelles, etwas Ordentliches. Und deswegen denke ich, dass du dich noch mehr geistig verausgaben könntest :D dass man das Brüten und Schwitzen am Text spüren kann (wichtiger aber: dass du über dem Text gebrütet und geschwitzt hast, einfach sehr konzentriert dran warst). So denke ich hier, es geht noch was, noch mehr Donnerwetter, noch mehr Geistesblitze.
Ja danke, ich glaube, ich weiß, was du meinst. Ich werde mich noch mal an den Text setzen, vielleicht in vier Wochen, und ihn noch mal umschreiben und ausprobieren.

Aber wenn du mich fragst, ob ich das Profimäßig und wirklich sehr gut finde, kriegst du von mir bei diesem Text immer ein Ja. Ich hoffe, du kannst das, was ich meine, verstehen. Ich meine es genau so, wie ich es schreibe.
Danke!

blumenfarbiger Schürze

ist ja wirklich ganz weniges in diesem Text. Aber 'blumenfarbig'. Der Tonfall deiner Protagonistin weist gewisse Unregelmäßigkeiten und Ungenauigkeiten auf, was ich völlig natürlich finde. Aber hier ist es mir zu viel. Das würde ich nachträglich etwas aufbessern. Blumenfarbig. Sie hat an geblümt gedacht, aber auch an die Farben. Aber sie hat diesen merkwürdigen Hybriden gewwählt, weil sie ein bisschen zu schnell unterwegs war.
Ja, ich gebe zu, das ist dem Autor geschuldet :D Geblümt, manchmal passieren mir solche Fehler

Schweiß in Bächen

muss, finde ich, noch mehr gebrochen werden, weil es eine Phrase ist. Ein wenig Brechung schaffst du. Weil es im Kontrast zu ihrer sonst sehr präzisen und detailnahen Beschreibungsweise steht. Da wirkt es als albere sie ein bisschen mit der Sprache: Schaut her, ihr seid so in meinen Bildern, dass ihr euch gerade wirklich einen Bach vorgestellt habt.
Das ist gut. Aber ich finde, es reicht als Brechung noch nicht. Wahrscheinlich würde ich den Satz nochmal umschreiben.
Hast recht

»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte.

Auch sehr gut, finde ich. Das ist diese Langsamkeit, diese feinen Entwicklungs-Dialoge, will ich das mal nennen, die ich sonst auch aus Jimmys Texten kenne. Etwas Feines, Psychologisches, Initiierendes oder Hierarchisierendes, sozial Rollengebendes wird hier im Dialog entwickelt.
Super, danke!

so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.

Sehr sehr guter letzter Satz finde ich. Den brauchst du auch, der gibt diesen ganzen Erinnerungen den richtigen Dreh.
Yeah!

Ich verzichte bzw. beschränke mich auf diese Schlussworte :D Habe das, was mir zu sagen wichtig war, bereits oben geschrieben. Aber weil das immer nochmal am Schluss geht: Sehr gerne gelesen.
Danke dir, Carlo!


Hallo @Silvita,

vielen Dank für deinen erneuten Kommentar & ich wünsche dir auch alles Beste


Lieber @linktofink,

vielen herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Ich habe mich sehr darüber gefreut, gerade, weil du nicht komplett d'accord gehst und mir genau sagst, was für dich noch ungerade ist.

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Ups, direkt ein Klopper am Anfang. Ich komme leichter in den Text, wenn du den Vierzeiler in kleinere Einheiten teilst, z.B. hinter Mann den ersten Punkt. Öffne mir ein kleines Türchen, statt mir das Domportal vor die Nase zu setzen. Schwierig auch das einreißen und zusammenbauen in einem Satz. Das hängt alles sehr aufeinander und zwingt mich zum Sortieren. Mehr Luft.
Da hast du Recht. Der Anfangssatz wird geändert.

saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl

zigga schrieb:


selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Stilistisch für mich ein Fremdkörper. Ein Lesestopper.
Da hast du auch Recht; I will think about it!

Kann mich erinnern an dieses Gefühl, das Nach-oben-Orientieren und dass es mit dem Großwerden nicht schnell genug gehen konnte. Dennoch frage ich mich, ob das stimmt, dass das Kind, das er einst(klingt wie ist schon so lange her, dabei ist der Prota ganz dicht dran?) verkörperte, fast vergessen ist. Geschieht das nicht eher fließend, dass das neue Bewusstsein das bisherige schleichend ersetzt, mit einigen Zuckungen nach vorne wie hinten. Für einen Cut bräuchte es da doch einen bestimmbaren Wendepunkt, eine Form der Initiation.
Ja, ich verstehe den Punkt. Die Initiation, der Cut - das ist im Endeffekt mit dem Ende der Geschichte gemeint; zumindest ist das ein weiterer Schritt weg von der Kindheit des Prots. Ich verstehe deinen Punkt, allerdings erinnere ich mich, dass es bei mir genau so war, dass die Jahre als Kind natürlich extrem lang wirken im eigenen Bewusstsein, und als ich dreizehn war und zurück dachte, als ich elf war, das kam mir nach heutigem Zeitgefühl vllt. sechs, sieben Jahre her vor. Also für mich ist das etwas, das in seiner Kernaussage passt. Aber aufgrund deiner Kritik offenbart diese Stelle, finde ich, seine Schwäche: Sie ist behauptet, tell, nicht gezeigt. Deswegen verstehst du als Leser womöglich etwas anderes unter dieser Stelle, als wenn ich das in einer Szene gezeigt hätte. Mea culpa, sozusagen

wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Rote, pralle Tomaten gleich Geschwülste, das Bild ist für mich schief, das pralle Leben bringe ich mit krankhaftem Wachstum nicht überein. Und warum tragen sie die Geschwülste in sich? Ich lese daraus eine Andeutung der späteren geschäftlichen und persönlichen Niederlage, so weit okay, doch die Empfindungen, die sich mir bei Geschwülsten aufdrängen, sind mir für den Zweck der vagen Andeutung zu prägnant.
Ja, die Tomaten! :D Die haben einige angemerkt. Ich hatte es auch irgendwo erwartet, hatte aber trotzdem Bock auf dieses Bild. Irgendwo ist die Art des Bildes auch Fremdkörper in diesem Textduktus. Genau, es ist eine Andeutung auf Konflikte/Probleme, die sie bereits in sich tragen und die sie später krank machen werden bzw. eben Probleme machen werden
doch die Empfindungen, die sich mir bei Geschwülsten aufdrängen, sind mir für den Zweck der vagen Andeutung zu prägnant.
Okay, verstehe ich, das ist vielleicht zu krass an der Stelle. Mal sehen!

Der zweite Abschnitt beginnt für mich viel konkreter und ich frage mich nach wenigen Zeilen, wofür du den ersten brauchst? Ich habe sofort ein Bild von dem Mann (warum hat er keinen Namen?), das saugt mich ein, Das mit den stillen, höflichen Männern, die sich unter den lauten wie von selbst finden, stark! Mehr davon.
Super, danke! Ich werde den Text mal probehalber umbauen

und dem Mann die Hand entgegen streckte
entgegenstreckte.
Das hatte die Autokorrektur mir versaut! :D


Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl, sein Lächeln hatte er im Gesicht.

Weiß nicht, das Lächeln im Gesicht tragen/haben ist ein wenig ausgelutscht. Bräuchte ich nicht.
Man könnte auch fragen, wo soll er denn sonst lächeln, aber ja ... ich denke, für mich passt es gerade

kann man etwas zerknüllen?
Sicher!

Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
schönes Detail, den namenslosen Mann hast du am besten getroffen.
Super

sagte er, sah mich an und lächelte. Er stellte die Wasserflasche ab, kniete sich zum Werkzeugkasten und steckte die verschiedenen Teile eines langen Hammers zusammen. Er schnaufte etwas, als er wieder aufstand. Er lief zum hintersten der zehn, elf mannshohen Holz-Regale. Er bat mich, einen Schritt zurückzugehen
Valcambi Suisse is back? Ziemliche Gehackel.
Hahah, du erinnerst dich noch daran, stark. :D Ja, da werde ich womöglich drüberarbeiten, ist notiert die Stelle

und zeigte mir am nächsten Regal den Punkt auf einem der Mittelbretter
Was ist ein Mittelbrett? Hab ich noch nie gehört. Meinst du eine Regalseite?
Na ja, das sind die Bretter in einem Schrank/Regal, Zwischenbrett kann man auch sagen

Er schaute sich um und sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären.
Verstehe eines absolut nicht, anfangs schreibst du:

zigga schrieb:


alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Klingt für mich wie ein Austausch eins zu eins, Holz- gegen Metallregale, also warum diese Schwermut? Logikknacks?
nee, das passt doch, link. Für mich steht der Vater extrem unter Anspannung, weil das neue Einkaufszentrum eröffnet. Das wird ja thematisiert. Ich finde, man kann schon einen nostalgischen Anflug haben oder die Probleme des Vaters können dadurch an die Oberfläche gespült werden, wenn er die alten Regale des Lagers, das vielleicht ein paar Jahrzehnte dort standen, eingerissen und ausgetauscht werden. Ich kenne das selbst von Umbauten oder Umzügen, man blickt auf die leere Wohnung oder auf das Bett, in dem man ein paar Jahre geschlafen hat, an die Erinnerungen, die damit zusammenhängen, und dann schmeißt man es auf den Sperrmüll. Das kann doch ein eigenartiges, nostalgisches Gefühl in einem auslösen. Das Unterbewusstsein versteht doch diese Metapher, dass da etwas Emotionalisiertes weggeworfen, zerstört oder getötet wird, das ist ja auch das, was bei Ritualen sämtlicher Art stattfindet. Für mich passt das, aber danke für deinen Gedanken, ist interessant zu lesen, was andere/du davon hältst! Vielleicht liege ich ja auch falsch

Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter
Den Ausdruck "eine Räuberleiter geben" kenne ich nicht, vllt. verschränkte die Hände zu einer Räuberleiter?
Ach krass! Bei uns (Franken) sagt man das so: "Ich gebe dir eine Räuberleiter" Dein Vorschlag ist auch gut.

Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte.

Erweitern ...
Diese Stelle auf dem Flachdach ist für mich das Highlight des Textes. Deer Zeitenwechsel der sich andeutet. Sie schauen hinaus in die die Welt und alles was sie sehen, hat eine Bedeutung, der Blick in die sonnige Weite, die gotische Kirche, die Bürotürme, die Baustelle des EZ, die jetzt schon alles Alte erdrückt.
Schön!

»Auch eine?«, fragte er. Mein Vater nickte abwesend und zog ein Zigarillo heraus. Der Mann gab ihm Feuer, und gemeinsam standen wir an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.
Ganz stark.
Das freut mich :)

Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal etwas getan hatte, wofür man mich bezahlte.
Unnötig abrupt. Hinterlässt einige Leerstellen: Was ist mit dem Leder passiert? Ein wertvoller Rohstoff, den werden sie kaum unter dem Holz begraben haben. Dass sie ihn runtergetragen haben, steh nicht im Text. Wofür sind die erwähnten Metallregale? Der Job ist noch nicht beendet, wer räumt das Holz weg, der Vater im Anzug? Da fehlt mir der runde, verständlichere Abschluss.
Die Fragen werde ich thematisieren, du hast Recht!

Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal das Einkaufszentrum sah, das meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.
Ist er sonst mit Augenbinde unterwegs? :D Ich denke, du meinst, dass er zum ersten Mal die Dimensionen des EZ begreift, oder? Finde ich ein wenig missverständlich.
Naja, ich weiß nicht ganz. Wenn du dreizehn bist, bist du in deinem Viertel unterwegs, vielleicht noch in einem anderen, wo du mit dem Rad eben hinkommst. Wenn am anderen Stadtende dann ein Einkaufszentrum gebaut wird, vielleicht in 12 Monaten, und du die ersten Monate einfach nicht warst, kann das scho sein, finde ich

Wie in einem Krieg, ein Schuss führt zum nächsten, und nach zig Jahren und unzähligen Toten weiß keine Seite mehr, weswegen man aufeinander schoss, was die Ursache des Grolls auf den anderen war. Vielleicht ist das die schlimmste Art des Hasses: nicht zu wissen, wieso. Aber er ist da, er steigt in einem auf, unaufhaltsam.
Schöne Stelle, aber viel zu kurz.
Ok! Hatte sie mal länger und gekürzt, ich füge evtl. wieder etwas ein

Mein Vater sah mich einen langen Moment an. Vielleicht, um zu sehen, wie ich reagiere. Vielleicht, um zu sehen, wie er selbst darauf reagiert. Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.
Die auch.
Ok! ich denke die ganze Zeit seit dem Hochladen, dass ich das viel lieber geshowed hätte, als wie hier getellt, da triffst du einen wunden Punkt

Wie ich schon schrieb, bräuchte ich den ersten Absatz nicht, das ist zwar kein Infodump, aber eine Art Prolog und ich habe den Eindruck, ich als Leser soll auf den Text und den Ich-Erzähler eingestielt werden. Du würdest mir den Erzähler jedoch näher bringen, wenn du den Anfang weglässt und in der Handlung mehr Innensicht vermittelst.
Das ist ein guter Punkt, vielen Dank!

Manches liest sich redundant, wenn ich das zehnte Mal über Hitze und Schweiß lese, winke ich innerlich ab, weil ich das nichts mehr dazutut.
Werde ich kürzen!

Ab dem zweiten Absatz erzählst du schwelgerisch, teils sehr schöne Stellen, teils mir persönlich auch recht lang und an einigen Stellen, die ich aufgeführt habe, zu unpräzise. Wiederholungen als Stilmittel finde ich dann gut, wenn du mit minimaler Variation etwas aus einem veränderten Blickwinkel leicht anders erzählst.
Ok

Schön sind die Stellen, wo es dir gelingt, mit deinen Beobachtungen und dem, was du umreißt, etwas über die Umstände des Menschsein zu erzählen.
Das ist gut ausgedrückt. Sehr schön.

Die Stellen haben mich sehr an den Text herangezogen. Auch die Konstruktion des drückend heißen Speichers voller Staub, Mühsal und Dreck und dann die Befreiung durch das Steigen aus dem Fenster. Das hat was von Flucht aus einem Gefängnis, du schreibst auch passend von Räuberleiter. Und dahinter kommt für einen Moment die Freiheit, Weite, Sonne, Luft, Licht.
Super

Die Kleberschnüffelei kommt wie eine Bridge im Song daher, wie eine Variation im Text, die bis auf die Tonlage mit dem Rest nur wenig zu tun hat und mich beschleicht der Eindruck, dass du nicht recht wusstest, wie du sonst Strecke zwischen die Betrachtung des Einkaufszentrums und den Absatz "Erst acht oder zehn Wochen später ..." bringen kannst.
Ist retrospektiv auch schwierig, weil der Erzähler ja schon alles weiß und das Wichtige/ die Auflösung nur zurückhalten darf, wenn er was gleichrangig Wichtiges vorher noch erzählen muss, damit der Leser die Auflösung versteht, weißt? Der Ich-Erzähler hat ja einen Grund, mir als Leser seine Geschichte zu erzählen, sozusagen ein Anliegen und dem muss der Text folgen, da muss er auf den Punkt kommen. Anders wenn du im Präsens schreibst und Dinge dem Prota einfach passieren, da ist eine gewisse Beliebigkeit kein Problem. Die Kleberschnüffelei kann es deshalb für mich nicht sein, weil sie nichts zum Verständnis des Anliegens beiträgt und der Geschichte nicht dient. Vielleicht findest du noch was Passenderes.
Das haben einige andere auch angemerkt - ich stimme da in Teilen zu. CoK schrieb dazu: Ich finde es gut, dass du darüber geschrieben hast: Ein Versuch abzuhauen, zu vergessen, sich gut zu fühlen. Und so hatte ich das gemeint, ein Versuch, abzuhauen, zu vergessen, auch, auf die Konflikte und Probleme im Prot hinzuweisen bzw. sie zu zeigen dadurch; aber ja, ich schreibe das mal konzentrierter auf das Wesentlich um und schaue, ob das was sein könnte, vielen Dank für den Hinweis

Ich bekomme den Sound nicht richtig zu greifen, manchmal fehlt mir was, an anderen Stellen ist es mir zu viel, mal kommt eine Er-Kaskade, dann wieder ellenlange Sätze. Es würde dem Text gut stehen (mMn), wenn du diese Tempowechsel versuchst rauszunehmen und ein durchweg bedächtiges Tempo anschlägst. Würde zu der Hitze im August besser passen. :D
Ja, danke auch hierfür, ist notiert, du hast Recht, ich bin auch noch nicht wirklich mit dem Text zufrieden, war es auch vor dem Hochladen nicht, das ist jetzt nicht so, dass ich das für mein bestes Stück oder eine großartige Geschichte halte, ich denke immer, ich muss da noch dran arbeiten, vielleicht kommt das, was ich sagen und fühlbar machen will, dann noch besser raus

Das hörst du wahrscheinlich nicht gerne, aber auf mich wirkt er noch nicht hundert Prozent fertig, weil sprachlich noch nicht homogen und vom Plot her nicht austariert. Am Anfang würde ich was weglassen, direkt mit Handlung einsteigen und gegen Ende fehlt die falling action. Bitte mehr großartige Bilder und Beschreibungen, lieber zigga, finde da geht noch was.
Du liegst falsch: Das höre ich sogar verdammt gerne. Ich bin ja bekannter Sadomasochist :p aber wie bereits gesagt geht mir das ähnlich mit dem Text und ich finde es auch gut, das ehrlich von dir zu hören, weil ich ja das möglichste aus dem Teil rausholen will. Mein Gefühl sagt, du hast absolut Recht mit dieser Kritik

Nochmals danke, l2f!

More coming soon ...

 

Liebe @CoK,

herzlichen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Du hast mich ganz schön ergriffen mit deiner Geschichte.
Sie hat mir gut gefallen, weil du Szenen beschreibst, in die ich eintauchen kann. Du schaffst mit deinen Worten Bilder, die Gefühle hervorrufen, ohne dass du sie implizit ansprichst.
Vielen Dank und das freut mich!

Ich habe mich auch gefragt, warum Du Deine Geschichte in der Rückblende schreibst. Vielleicht weil es für Dich eine ist!
Das ist eine gute Frage, sowohl an mich persönlich als auch im Bezug auf das Handwerk des Schreibens hier in der Geschichte - ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich das so behalten möchte; was ich behalten möchte, ist das nostalgische Gefühl, das die Rückblende mMn mit sich bringt; ich hadere gerade etwas mit dem Text. Aber ja, natürlich ist das auch für mich, auch wenn der Text fiktiv ist, eine Art Rückblende in die Zeit, in der ich dreizehn war

Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein.
Es war für mich interessant zu lesen, wie unterschiedlich man sich als 13-jähriges Kind fühlt. Mit 13 habe ich mich als die unsicherste, minderwertigste Person gefühlt, die man sich überhaupt vorstellen kann. Weit davon entfernt die Welt würde mir gehören oder ich wisse um die Geheimnisse der Welt.
Ja, ich war auch ein Frühentwickler :D

Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.
Bin da auch ganz in der Welt der 13-jährigen.
Super

Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holz-Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an und ich erinnere mich an das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein, als er die Nägel aus dem Regal zog. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Ich erinnere mich, dass sich da etwas in mir entspannte, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er jeden einzelnen der Nägel aus dem Holz zog.
»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte.

Erweitern ...
Das ist etwas, was ich bestätigen kann. Ich war kurz vor meinem 13. Geburtstag und ich kann mich fast an jedes Detail an diesem Tag erinnern, obwohl es schon beinahe ein halbes Jahrhundert her ist.
Das freut mich auch

. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter …
Da ist der Junge ein Mann. Tolle Szene.
Schön, dass es so bei dir rüberkam

»Ich hab was Besseres«, sagte er.
»Nich’ schon wieder!«, stöhnte ich.
Aus seinem Rucksack holte er die Plastiktüte und den Kleber.
»Klebe is’ was für Assis!«, sagte ich und setzte mich. Trotzdem zog ich. Drei Minuten später ließ ich mich rücklings neben Johnny ins Gestrüpp fallen. Kein Gedanke in meinem Kopf. Bei manchen Leuten braucht es nicht mehr als ein Mal diese Erfahrung, sich auf die Art kontrollieren zu können: die Wut, die so tief sitzt und so komplex ist, auf diese Weise von sich werfen zu können. Ich denke heute oft darüber nach, wenn ich nachts wachliege: Ob es nicht so etwas wie positive Traumata gibt, die nicht weniger schädlich sind, die den Geist nicht weniger vergiften.

Erweitern ...
Ich finde es gut, dass du darüber geschrieben hast: Ein Versuch abzuhauen, zu vergessen, sich gut zu fühlen.
Schön, einige Kommentatoren fanden die Szene vom roten Faden wegführend, ich mag sie eigentlich auch, weil sie noch einmal eine andere Dimension auf den Prot wirft. Schön, dass du sie so gelesen hast

Als ich mich ins Bad einsperrte, sie draußen streiten hörte und mich auf den geschlossenen Toilettendeckel setzte, konnte ich nicht anders, als fürchterlich zu heulen.
Ich hab mich mal zu deinem Prota gesetzt.
Der Prota hätte sich sicherlich gefreut

Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.
»Selbstmord«; seltsam, das zu hören. Seltsam, das mit dreizehn Jahren zu spüren. Dass das dort draußen passierte, in der Welt der Erwachsenen. Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen. Dass dort jemand, den man für einen kurzen Augenblick gekannt hatte, jetzt nicht mehr existierte. Dass er sich selbst gerichtet hatte
1972 in dem Dorf mit 850 Einwohnern nahm sich sechs Männer das Leben. Einer davon war mein Vater und nicht ein einziger hatte ein Abschiedsbrief geschrieben.
Liebe CoK, das zu lesen hat mich bestürzt. Vielen Dank, dass du das mit uns/mir geteilt hast. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll, weil ich so etwas nicht unter meiner Geschichte erwartet hätte, außer, dass sich das sehr schlimm für mich anhört.

»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.
Ja kann ich bestätigen, als 13-jährige hatte ich dieses Gefühl auch.
Für meine Geschichte freut mich das andererseits, aber hier kann ich im Kontext deines Kommentars nicht von Freude meinerseits reden, aber dass du das so bestätigen kannst ist mir viel Wert.

Vielen Dank dir nochmals fürs Lesen und Kommentarschreiben, deine Meinung hat mich sehr interessiert.


Hallo @Katta,

Vielleicht überarbeite ich den Text mit dieser Perspektive noch mal von Anfang bis Ende.

Falls du es tust, würde ich den Text gerne lesen ...
Ich werde Bescheid geben

Der Selbstmord zum Schluss kommt verdammt schnell und ist stark nacherzählt. Auch die Emotionen des Prots sind zu einem Gewissen Teil Behauptungen zum Schluss, dass er dies und das fühlte. Ich werde das womöglich noch mal umbauen und szenisch versuchen zu zeigen, was der Junge fühlt und wie er sich verhält.
Du könntest auch überlegen, den Selbstmord viel schneller passieren zu lassen, das würde die Dynamik am Ende dann nicht so runterfahren. In dem Text spielen 4 verschiedene Zeitpunkte/Ebenen (Sorry, Fachwörter kann ich nicht.) eine Rolle. 1. Die Gegenwart aus der heraus sich der Prot erinnert, die aber keine weitere Rolle spielt, sondern eine rein ästhetische(?) Funktion hat. 2. Der Tag, an dem die eigentliche Handlung spielt, wobei die 3. eingebettet ist in die Zeit des Sommers (in dem der Prot erwachsen wurde). Ich finde, es ist die Einbettung in diesen Sommer, der die Stimmung des Textes ausmacht. Und 4. hast du dann einen Zeitpunkt ein paar Wochen nach dem erinnerten Tag.
Ich würde den Selbstmord zeitlich enger an den Tag legen. Nur eine Idee: Du könntest von dem Tag erzählen und den Bekannten sich noch am gleichen Abend suizidieren lassen, am nächsten Tag trifft sich der Prot mit seinen Freunden, schnüffelt etc. und dann dein Ende mit der Erkenntnis: "Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen." Keine Ahnung, ob das passt oder nicht ist, aber ich wollte dir die Idee mal da lassen.
Danke für deine erneuten Gedanken! Ich bastle gerade an dem Teil ein wenig rum und lass was hören, der Vorschlag ist sehr gut und ich schaue mal, ob und wie ich das eingebaut oder umgeschrieben bekomme!

Vielen Dank für dein Interesse!


Hey @kiroly,

vielen herzlichen Dank fürs Lesen und kommentieren, ich freue mich immer, von dir zu hören!

Die folgenden Gedanken zu deinem Text klingen tausendfach härter und kritischer, als sie sind.
Nää das passt, alles gut

So lese ich den Text: Einerseits steht hier ein Mensch, der in pubertäre Widersprüche verwickelt ist und jetzt, Jahre später, die Erfahrung eines Suizids zu verarbeiten versucht. Den Suizid ordnet dieser Mensch aber in seine persönliche Entwicklung und die pubertäre Weltsicht ein. Die ist einerseits von Übertreibung, andererseits vom Glauben an ein Verstehen der erwachsenen Welt gekennzeichnet, die gleichzeitig aber bekämpft wird. Sprich widersprüchlich.
Meiner Ansicht nach versucht der Text eine große Stimmung einzufangen, in der sich die wirtschaftliche Situation der Eltern, pubertäre Widersprüche zur Welt der Erwachsenen, der Glaube, was Erwachsensein bedeutet und wie man es bekämpft, der Suizid eines Bekannten und die Einordnung einer suizidalen Handlung in das eigene Weltbild, widerspiegeln. Das gelingt dir oft sehr, sehr gut. Der Text ist jedoch als Erinnerung geschrieben, es scheint also beim Erzähler eine Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen gegeben zu haben, die vom Suizid des Bekannten "beleuchtet" wird. Die Änderung der eigenen Biographie wirkt für ihn rätselhaft, ebenso wie der Suizid.
Gehe ich mit

Ich erlebe deine Texte als ein Meisterwerk des Einfangens auf eine ganz bestimmte Stimmung. Die Fragen, die ich stelle, sind keine, die beantwortet werden müssen. Sie entstanden beim Lesen Deines Textes, vielleicht helfen sie dir ja.
Ok! NAJA Meisterwerk, das ist sehr nett von dir, aber ich kann das nicht annehmen, weil ich schon wesentlich besseres gelesen habe in Beziehung auf eine solche Stimmung einfangen, aber danke

Soweit ich Deinen Text richtig - oder so von dir angedacht (s.v.d.a.) - gelesen habe, wird das erworbene Gefühl des Erzählers, die Welt der Erwachsenen verstanden zu haben, durch den Selbstmord des Freundes erschüttert.
Genau!

Offenbar scheint der Erzähler den Suizid nicht einordnen zu können. Gleichzeitig steht dein Erzähler, dreizehn Jahre, in der Pubertät, mit einer bestimmten Haltung zur Welt der Erwachsenen.
Das Konstrukt wirkt auf mich schwierig umzusetzen: Der Erzähler bekämpft ja einerseits diese Welt, andererseits glaubt er ein Verständnis im Sinne eines Verstehens erreicht zu haben, das durch den Selbstmord in eine Krise gerät. Der Erzähler erinnert sich jedoch. Er schaut also auf das Ereignis und das Gefühl, das er hatte, zurück. Er greift also auf das Schema der Pubertät zurück, wie denn so eine Pubertät eben sein muss. Interpretiere ich hier zu viel?
Schema Pubertät, ja, das ist natürlich richtig, aber dieses Schema wie du sagst ist ja auch immer etwas sehr Individuelles, einem ist das bis zu einem gewissen Alter gar nicht bewusst, welche Rollen oder Archetypen einen in dieser Zeit kontrollieren. Ich weiß gerade nicht, weswegen das bei dem Text bzw. der Erzählposition wichtig wäre, oder verstehe ich etwas falsch? Wie man als junger Mensch ist, auch wenn das gewissen Schemata oder Stereotypen entspricht, kann man sich in der Teenagerzeit ja schlecht aussuchen, würde ich mal behaupten, "man ist wie man ist"; die Reflektion, das Bewusstwerden, setzt ja viel später ein, zumindest meiner Lebenserfahrung nach

Er wird also in all den Jahren (so wirkt es auf mich) eine Bedeutung des Suizids für die eigene Entwicklung erkannt haben.
Ha, ja, da sprichst du etwas Gutes an. Der ältere Ich-Erzähler müsste die Bedeutung des Suizids bereits erkannt haben. Ich behaupte mal (zumindest war das meine Intention): Das ist das, worum es im Text geht, vielleicht auch das, was ich mit dem Text aussagen wollte bzw. was der ältere Ich-Erzähler damit aussagen will: Das Gefühl der Veränderung, vielleicht auch der Initiation, wenn man erstmals mit dem Tod konfrontiert wird.
Ich sehe das Problem in diesem Punkt beim Text. Er ist einfach zu schlecht geschrieben, als dass das, was ich rüberbringen/sagen möchte, eindeutig herauskommt. Also ich denke es liegt an vielen "Aussagen" die ich treffe, aber die ich nie szenisch zeige oder "beweise" - sowas wie, dass er die Welt der Erwachsenen bekämpft. Wo sieht man das? Vielleicht in der Kleber-Szene, aber auch nicht so eindeutig. Ich bastle gerade ein wenig daran rum und wenn ich eine neue Version hochlade, würde ich mich noch mal bei dir melden und es würde mich freuen, deine Gedanken zu hören, ob der Text anders bzw. besser für dich funktioniert

Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Nervös und steif - der Vater diszipliniert sich über die Körperhaltung? Selbst unbemerkt - kämpft er gegen etwas an? Oder ist er besorgt, der wirtschaftliche Zustand des Betriebs?
Jepp genau so wie du sagst war's gemeint! :D Zu uneindeutig meinerseits geschrieben?

Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.

Architektur ist ein Wort, das ich mit Konstruktion, Statik, Haarlinien, Papier, AutoCAD und Feinliner verbinde, das eine Geometrie reflektiert und kein mystisches Unbekannt, nix mit Metaphysik. Sinnhaftigkeit - meinst du damit ein logisches Regelwerk?
Ok, wenn ich an Architektur denke, denke ich an den Eifelturm :D Ich glaube, das Wort passt für mich. Allerdings hab ich sehr wenig mit Architektur am Hut. Ich meinte eben die feste Art, wie die Welt aufgebaut ist. Beispielsweise, dass man, wenn man in einem Hochhaus steht, einfach ganz natürlich darauf vertraut, dass der Boden hält etc. So ein sicheres Gefühl auf etwas von anderen Erschaffenes

Der Erzähler bekämpft die Welt der Erwachsenen: Hier könnte (Subjektivitätshinweis) die Frage nach dem Warum und Was genau gestellt werden. Natürlich, der 13-jährige steht in der Pubertät, aber in Anbetracht des bedeutenden Suizids erscheint mir der Rückgriff auf das Pubertät-Schema von Rebellion um der Rebellion wegen zu einfach. Dein Erzähler wirkt reflektiert, er scheint keine einfachen Antworten zu verfolgen. Oder hat er sich dazu entwickelt? Thema Kampf: Wie steht dein Erzähler zum Vater? Der Vater ist ja der "Hauptrepräsentant" für die Welt der Erwachsenen, für das Regelnde, das Logische?
Jepp, das meinte ich mit meiner Aussage oben, ich müsste mehr zeigen anstatt zu behaupten!

Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt.
Wut auf etwas - ist das nicht die Erwachsenenwelt? Oder einfach?
Wie meinst du das? Genau, ich denke, auf die Erwachsenenwelt, aber oft ist das ja so, gerade, wenn man sehr jung ist, dass man gar nicht begreift, warum man so wütend und zornig ist

Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hinein biss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.
Hier scheint es dir um Widersprüche zu gehen. Subjektivitätshinweis: Ich mag solche Stellen sehr, hier wird ja eine Ablösung zwischen Erzähler und Vater deutlich, die Tomaten sind prall und geschmacklos, der Vater hält sie für phänomenal.
Genau! :)

Er war einen Kopf größer als ich. Das blonde, lichte Haar angegraut. Sein Gesicht war seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie die Sicht, wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Ich erinnere mich an die gewissenhafte, ruhige Schwere in all seinen Blicken und Bewegungen. Er trug eine graue Latzhose, hatte Bauchansatz, seine Finger kurz und kräftig.
Das ist toll beschrieben, auch diese Assoziationen von den Augenfarben zum Grau der Stadt, sprich dieses Kumulieren von Eindrücken auf ein Merkmal, für mich klingt das druckreif. Sicher wirken solche Sätze auf Papier viel stärker, das ist eine bewusste Sprache, die nach dem Gefühl vom "Ich lese ein literarisches Werk" greift.
Super, das freut mich :)

Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen.
Ein wichtiger Satz: Das Ereignis ist dem Erzähler jetzt, Jahre später, wichtig? Sonst hätte er ja den Namen behalten? Warum hat er den Namen vergessen? Dann scheint der Suizid jetzt wichtig zu sein? Warum? Ich brauche keine Antworten, aber die Einordnung des Ereignisses ist in der Gegenwart eine andere, scheinbare wichtigere, als in der Vergangenheit. Was also motiviert den Erzähler dazu?
Ja, das ist ein interessanter Gedanke deinerseits. Es stimmt schon auch. Vielleicht muss ich das klarer herausbringen, was ich meine, ansonsten könnte es paradox wirken. Vielleicht bin ich auch komisch verdrahtet. Eine erwachsene Person kann in einem sehr jungen Alter für mich eine wichtige Position eingenommen haben, beispielsweise Lehrer, Trainer o.ä., aber gerade, wenn man nicht so extrem lange mit ihnen zu tun hatte, kann es gut passieren, dass ich mich heute nicht mehr auf Anhieb an den Namen der Person erinnern kann. Aber vielleicht ist das ein persönliches Ding und zu unverständlich, ich kann mir Namen im Allgemeinen extrem schlecht merken

Die Sonne brach grell durch die schlitzartigen, auf Kopfhöhe liegenden Fenster.
Warum schlitzartig?
Ich meinte so etwas - vielleicht sage ich einfach "schmal"

Die Charakterzüge des Mannes beschreibt dein Erzähler außergewöhnlich präzise, möglicherweise durch die verzerrte Perspektive des Suizids
Das ist ein guter Punkt. Ja, es ist definitiv das ältere Ich des Erzählers, das erzählt; aber natürlich ist der Suizid, auch vor dem Suizid im Text, schon ein Einfluss auf den Erzähler, das ist wahr

Die Vorstellungen des Erzählers über das Leben des Freundes reflektieren die eigene Verarbeitung der suizidalen Handlung, dieses paradoxe, widersprüchliche.
Das ist ebenso ein sehr interessanter und kluger Gedanke. Ja, da ist etwas dran

Ist das "s.v.d.a."?
Was zur Hölle ist das?! :D Ich hasse Abkürzungen! :D

»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah mich an und lächelte.
Das klingt für die Qualität deines Texts überraschend platt. Aber gut, subjektiv.
Ookay. Ich denke mal drüber nach und notiere es mir. Es ist halt die Sprache der Figur, dachte ich mir, des Mannes

»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.

Erweitern ...
Mich begeistert diese Stelle; sie wirkt wie ein Initiationsritus in die Welt der Erwachsenen. Hier wirken alle die Themen, die deinen Text auszeichnen.
Super! Das freut mich

Der Mann und ich standen einige Sekunden perplex da, verstanden nicht. Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter. Anschließend lief ich zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und stieg auch durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste. Draußen kamen wir auf einem Flachdach an. Als der Mann etwas Holz zusammengeschoben hatte und sich ebenfalls ächzend durch den Fensterrahmen zwängte, hielten ich und mein Vater ihn von draußen an den Armen und zogen an ihm.

Erweitern ...
Vielleicht könnte die Stelle durch einen Einblick in die Gefühlswelt des Erzählers an Bedeutung gewinnen. Ich las die Szene als eine Kopie der oben zitierten, wieder ein Initiationsritus, wieder ein Kämpfen um Anerkennung von Menschen, die aber - bekämpft werden? Ist das der Widerspruch der pubertären Erfahrung?
Jepp, das ist gut gelesen von dir, und ja, ich habe es oben geschrieben, dieses Bekämpfen muss ich szenischer darstellen, mehr ausarbeiten im Text, ansonsten denkt sich jeder etwas Eigenes dazu und es wird nicht eindeutig, was und wie ich es meine

Nach der Arbeit fuhr ich mit meinem Mountainbike zum Fluss.
Hm, hm, hier die frage, was die Idee deiner Szene ist. Pubertät darstellen?
CoK schrieb dazu: Ein Versuch abzuhauen, zu vergessen, sich gut zu fühlen. So hatte ich es gemeint, aber ich überlege auch, die Szene zu kicken, We'll see!

»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.
Ein starkes Ende. Ich lese das als eine Motivation, dass der Erzähler "erwachsen" wird, dass er seinen eigenen Weg geht, eine eigene Wahrheit aufbaut.
Super, dass das so für dich rüberkommt. Vielen Dank!

Die folgenden Zeilen sind rein spekulativ. Sie sollen nur "anregen".
:baddevil:

Ich lese ja ganz gerne ein Buch (haha, toller Einstieg, oder?),
:p

aber zu zwei Schemata stehe ich kritisch.
Das eine ist das der Pubertät. Klar, das ist ein großes Thema, oft begleitet durch ein Gefühlschaos, Rebellion, erste Erfahrung des Eigenständigen, Glaube, Missglaube, Identitätsdiffusion. Dein Erzähler scheint die erlebten Erfahrungen durch dieses Pubertäts-Schema zu sortieren. Ich finde diese Idee mit dem Suizid des Bekannten sehr gut, da sie das Potential hat, das Schema zu dekonstruieren, was ich prinzipiell gut finde. Daher frage mich allerdings, ob es Hinweise auf Johnny, auf den Initiationsritus, auf die wirtschaftliche Situation der Eltern braucht. Wahrscheinlich entsteht dann ein ganz neuer Text.
Ja, ich verstehe dich, du magst das "Klischee" der "Pubertät" nicht. Da bin ich irgendwo bei dir. Es ist eine schwierige Frage und auch schwierig zu verhandeln, wie man einen Text im Lebensabschnitt der Teenagerjahre aufbaut bzw. "konstruiert". Für mich und viele andere, schätze ich, ist dieses Schema der Pubertät nicht nur ein Schema oder Klischee gewesen, sondern - weswegen auch immer - ist es Realität geworden; vielleicht, weil man es von außen übergestülpt bekommen hat, von Medien, Filmen, Büchern, vielleicht ist da wirklich etwas Genetisches daran, ich weiß es nicht. Das komplett zu dekonstruieren würde irgendwo an meiner Lebenswirklichkeit vorbeigehen, wobei ich weiß, dass du das nicht so gemeint hast. ;) Ja, ist ein interessanter Punkt, ich werde/muss da weiter drüber nachdenken, vielen Dank dafür!

Ich frage mich, warum oft von ersten Alkoholräuschen die Rede ist.
Das ist eine berechtigte Frage und ein Streichkandidat.

Das zweite Schema ist das der Erinnerung oder präziser, wie sich erinnert wird. Die Abfolge von solchen Erinnerungen folgt ja oft kulturell verankerten Konzepten. Natürlich hat man eine Kindheit, dann eine Pubertät, dann ein Erwachsenen-Dasein. Die Konzepte werden inhaltlich ausgestattet, so ist eben Kindheit, Pubertät, Erwachsenen-Dasein. Ich verstehe, dass das die Konvention ist, auf die man sich vielleicht einigen muss, wenn man einen Text veröffentlicht, ihn mit der Welt teilt. Andererseits frage ich mich, warum, warum das immer so sein muss und ob nicht Schreiben immer dann interessant wird, wenn es alle Schemata dekonstruiert und zu neuen zusammensetzt. Aber gut, das ist ne ganz andere Frage.
Ja, auch eine interessante Frage. Ich sehe das wie bei der Pubertät, dass das vielleicht kulturelle Schemata sind, die aber, berechtigterweise oder nicht, vielleicht als selbsterfüllende Prophezeiung, auf die Lebenswirklichkeit vieler übergreift und diese einnimmt. Bei mir war es definitiv so. Ich finde auch, das komplett zu dekonstruieren, das ist interessant und man müsste sehen, was herauskommt. Ich verstehe schon wie du das meinst, wenn man über einen jungen Menschen schreibt, wieso muss man auf diese Klischees zurückgreifen, wieso kann man nicht über einen Menschen schreiben wie man auch über erwachsene Menschen als Menschen schreibt, wieso muss man diese pubertären Themen einbringen. Bin ich voll bei dir! Aber (:D) ich denke, dass diese Schemata eben bei vielen Menschen nicht nur in der Theorie Schemata sind, sondern dass sie ihre Leben aktiv formen und na ja wie gesagt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung sie dann retrospektiv ihre Leben wieder in diese Schemata einordnen und sie als zutreffend empfinden. Aber ist ein interessanter Gedanke, ich sage das nicht einfach nur so, ich meine das auf jeden Fall ernst!

kiroly, das war ein äußerst interessanter und geistreicher Kommentar, ich hab einiges mitnehmen können, wenn nicht für diesen Text, dann für kommende.

Lass dir gutgehen!

Einen schönen restlichen Tag der Ankündigung der Geburt Jesu (25.03.) euch allen! :D

 

Servus @AWM,

vielen Dank für deinen Kommentar, Lesen, das gesamte Paket, du kennst es.

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute.
Der erste Satz ist mir eindeutig zu lange und ich finde auch das abgetrennte "zusammenbaut" am Schluss unschön.
Ja, stimme ich dir zu

selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte:
Wie sitzt er da unbemerkt? Er fühlt sich wenn dann unbemerkt, sonst könnte dein Erzähler ja nicht beschreiben, wie er da sitzt.
Genau, klingt etwas uneindeutig

Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt.
"das göttliche Loslösen von der Welt". Das muss, finde ich, zum rückblickenden Erzählrahmen passen. Es ist was anderes, wenn du schreibst: der erste Rausch, der sich anfühlte wie ein göttliches Loslösen von der Welt. Dann erzählt der Erzähler vom Eindruck, den sein damaliges Ich davon hatte.
So wie es jetzt ist, liest es sich, als sei das immer noch die Einstellung deines Erzählers. Dass eben ein Alkoholrausch ein göttliches Loslösen von der Welt ist. Da feiert er den Alkohol also stark. Man könnte meinen, er ist Alkoholiker. (Woraus du durchaus etwas machen könntest. Aber dazu am Schluss mehr)
Ja, widerspricht nicht meiner Inention. Aber ich denke, da ist zu wenig vom ältere Ich-Erzähler, als dass man so einen Hint geben kann

obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte.
Das würde ich streichen, weil ich das in deiner Geschichte nicht herauslese.
Ja, ist eine reine Behauptung

mit blumenfarbiger Schürze
Was für Blumen? Es gibt Blumen in fast allen Farben, deshalb ist das maximal unkonkret.
blumig, right

und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer.
nur in diesem Sommer? Weil sie gestresst ist wegen ihrem Mann und den finanziellen Problemen? Ist das so gemeint?
Ja, so halb gemeint, es ist halt die Erinnerung an diesen Sommer, dass sie raucht, es könnte ja auch damit zusammenhängen, dass sie besonders viel geraucht hat und das dem Erzähler deswegen aufgefallen ist

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute. Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. Sicherlich ein Mädchen. Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt. Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte. Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte. Meine Mutter war sicher gerade zu Hause, im Tomatenbeet; mit blumenfarbiger Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen. Wie meine Mutter das Gesicht in ihre zarte, blasse Hand legte, die Zigarette zwischen den Fingern, und zu weinen begann. Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.

Erweitern ...
Ich mag die Gedanken in diesem ersten Absatz. Ich würde den aber trotzdem streichen und die Gedanken an den passenden Stellen in deine Geschichte einweben. Der Absatz führt vom Eigentlichen weg. Dein Erzähler sagt, er erinnert sich noch gut an diesen Mann und danach kommen dann aber alle möglichen Erinnerungen, die erstmal gar nichts mit dem Mann zu tun haben. Hier müsste der erste Satz eher sein: Ich erinnere mich noch gut an jenen Sommer.
Ja, stimmt

Ich kann mich gut an den Mann erinnern. Er war einen Kopf größer als ich. Das blonde, lichte Haar angegraut. Sein Gesicht war seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie die Sicht, wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Ich erinnere mich an die gewissenhafte, ruhige Schwere in all seinen Blicken und Bewegungen.
Das hier ist der eigentliche Anfang, finde ich. Und ich glaube auch, dass du das irgendwie unterbewusst gemerkt hast, weil du hier noch einmal den ersten Satz bringst. Aber dann folgen eben die Erinnerungen, die den erste Satz rechtfertigen.
Ja, sehe ich mittlerweile auch so. Unten dazu mehr

wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten.
Wir wissen ja jetzt, wo sie sich befinden. "wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens hinaus auf die Stadt schauten." Man könnte sogar noch den Dachboden streichen.
Stimmt

mir die langen Haare aus dem Gesicht streifte
strich" fände ich besser.
Übernehme ich

Ich erinnere mich, dass ich durch das Büro ging, mir die langen Haare aus dem Gesicht streifte und dem Mann die Hand entgegenstreckte. Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl, sein Lächeln hatte er im Gesicht.
"sein Lächeln" hatte er im Gesicht hört sich komisch an. "und er trug dieses Lächeln im Gesicht."
Auch richtig

meiner alten Stadt treffe
Welche Stadt?
Na der alten! :D

Wir trugen noch unsere Handschuhe. Der Schweiß glänzte in seinem Gesicht und auf meinem Oberkörper.
Im ganzen Mittelteil wiederholst du dich zu oft mit dem Schweiß und dem Schwitzen. Das löste bei mir zwei Sachen aus: Ich dachte kurz, dass das vielleicht auch in Richtung Missbrauch geht, weil da schon so eine gewisse Erotik mitschwingt, bei diesen betont verschwitzten Männerkörpern. Als ich merkte, dass es nicht in die Richtung geht, dachte ich, du willst damit zeigen, dass der Mann körperlich krank ist, andauernd pausieren, schnaufen und schwitzen muss. Mir ist das einfach zu viel. Da kannst du echt ein paar wiederholende Stellen streichen, die nichts Neues zur Geschichte beitragen.
Ja interessant, ich stimme dir zu

1. Ich finde, es bräucht einen Anlass für deinen Erzähler, das hier zu erzählen.
Auch ein guter Punkt, ja

2. Würde ich den Mittelteil straffen. Da sind einfach für mich zu viele unnötige Wiederholungen drin, die den Text da unnötig langsam machen.
Ja, das sehe ich auch so

@AWM, vielen Dank für die Detailkritik. Ich werde viel davon übernehmen und ich stimme dir im Großteil deiner Anmerkungen zu. Mir gefällt der Text allerdings in seiner jetzigen Form und dem Aufbau nicht mehr -- ich war schon vor dem Hochladen skeptisch, und mittlerweile ist mir das zu viel Behauptung, zu wenig Szene, irgendwie nicht das, was ich eigentlich machen möchte. Es kann sein, dass ich das Teil noch mal umschreibe, habe ich schon größtenteils, oder ich rolle es noch mal komplett neu auf. In der jetzigen Form ist das einfach nicht das, was ich machen möchte. Ich hab ein paar Sachen drauß gelernt und mitgenommen, also das ist kein Reinfall, aber ich würde den Text einfach keinem Fremden zeigen, und das bedeutet schon viel für mich. Der Text bringt nicht das rüber, was ich rüberbringen möchte, und zwar das Gefühl jung zu sein und das Gefühl, erschüttert zu werden, wenn man mit der "Realtität" konfrontiert wird. Der Text schafft das vielleicht in Ansätzen und vielleicht behauptet er an einigen Stellen dieses Gefühl, das ich versuche auszudrücken, und vielleicht "erzählt" der Text von dem Gefühl, aber ich zeige das zu wenig szenisch und ja, ich bin nicht zufrieden.

Danke dir jedenfalls für deine Zeit und den Kommentar!

Viele Grüße
zigga

 

Und deswegen denke ich, dass du dich noch mehr geistig verausgaben könntest :D dass man das Brüten und Schwitzen am Text spüren kann (wichtiger aber: dass du über dem Text gebrütet und geschwitzt hast, einfach sehr konzentriert dran warst). So denke ich hier, es geht noch was, noch mehr Donnerwetter, noch mehr Geistesblitze.
Andererseits hat mir etwas gefehlt, der Sog war nicht extrem stark für mich.
Das hörst du wahrscheinlich nicht gerne, aber auf mich wirkt er noch nicht hundert Prozent fertig, weil sprachlich noch nicht homogen und vom Plot her nicht austariert.
Bitte mehr großartige Bilder und Beschreibungen, lieber zigga, finde da geht noch was.

Moin Leute!

Gerade nach diesen Kommentaren war mir vor ein paar Monaten klar, dass ich das Teil noch mal neu aufrollen werde. Es stimmt, über diesen Text musste mehr gebrütet und geschwitzt werden, lieber Carlo, das Gefühl hatte ich auch! :D Danke sehr für den ehrlichen Hinweis, auch den anderen.

Ich hab das Teil neu aufgerollt. Der erste (intromäßige) Absatz ist - bis auf sprachliche Veränderungen - derselbe, allerdings habe ich den Mittelteil hart heruntergekürzt, den Figuren neue Facetten gegeben, den Drogen-Teil gekillt und ein komplett neues Ende, das einen größeren Teil der Story einnimmt und mehr meinen Vorstellungen von guter Literatur entspricht (aber natürlich meinem übertriebenen Ideal niemals gerecht werden wird), geschrieben.

Die Erzählperspektive, das Nostalgische und den (nicht vorhandenen) Erzählgrund des Erzählers habe ich so gelassen - ich hab das alles jeweils versucht und mir angeschaut, aber entweder hat mir meine Umsetzung weniger gefallen als diese Konzeption oder ich hab es schlicht nicht hinbekommen. Soviel hierzu! :D

Hat jemand Bock, das Teil noch mal zu lesen? Ich mag es mittlerweile gerne (wie gerne, weiß ich noch nicht, vielleicht hasse ich es demnächst auch wieder) und für mich ist das zu 60% ein neuer, besserer Text. Ich mag das Szenischere daran, auch, dass ich den Figuren glaube ich mehr Raum gegeben habe, sie mehr sprechen, menschsein lassen habe. Und dass der Dachboden-Teil zusammengedampft wurde, der war echt etwas ausufernd und gefiel mir damals schon nicht so sehr, wie er mir hätte gefallen sollen.

Ich bin so frech und markiere euch, meine heiß geliebten Kommentatoren, falls die Geschichte ansonsten zu schnell in der Timeline herunter gespült wird (und ein paar gerne bei einer Neufassung informiert werden wollten):

@MRG @Morphin @Chai @Silvita @Katta @Carlo Zwei @linktofink @CoK @kiroly @AWM


Braucht sich aber bitte keiner verpflichtet fühlen - bloß, wenn sich jemand berufen fühlt. ;)


Sagt auch, wenn das Teil eurer Ansicht nach noch besser werden sollte oder ihr den Sog immer noch nicht so ganz spürt. Let me know.


Hier die alte Version der Kurzgeschichte vom 17.03.2021:

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann, mit dem ich einen Nachmittag in der glühenden Hitze des Dachbodens des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters stand, alte Holz-Schränke einriss und angerostete Metall-Regale, die mein Vater von einer der umliegenden Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte, zusammenbaute. Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was sie zusammenhielt, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. Sicherlich ein Mädchen. Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt. Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte. Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen, obwohl ich sie mit jedem Atemzug bekämpfte. Meine Mutter war sicher gerade zu Hause, im Tomatenbeet; mit blumenfarbiger Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen. Wie meine Mutter das Gesicht in ihre zarte, blasse Hand legte, die Zigarette zwischen den Fingern, und zu weinen begann. Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.

Ich kann mich gut an den Mann erinnern. Er war einen Kopf größer als ich. Das blonde, lichte Haar angegraut. Sein Gesicht war seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie die Sicht, wenn wir durch die engen Fenster des Dachbodens des Ladens meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Ich erinnere mich an die gewissenhafte, ruhige Schwere in all seinen Blicken und Bewegungen. Er trug eine graue Latzhose, hatte Bauchansatz, seine Finger kurz und kräftig. Ich erinnere mich an das Lächeln, das er immer in seinem Gesicht trug. Seine schmalen Lippen, wie langgezogene Striche. Ich weiß noch, wie ich das Büro betrat und die beiden Männer dort in Drehstühlen saßen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; wie die beiden lächelten und ihre Köpfe zu mir drehten. Es war die Andersartigkeit des Wesens des Mannes im Vergleich zu dem meines Vaters, die mich seine Bewegungen und Blicke aufmerksam beobachten ließ. Mein Vater und er waren Bekannte: Sie hatten sich in der Kneipe gegenüber oder im Faschings-Verein kennengelernt, ich weiß es nicht mehr. Ich stelle mir das so vor: Zwei stille, nachdenkliche und höfliche Männer, die sich – wie ich das bei Männern dieser Art oft beobachtet habe – im Pulk fremder, lauter Menschen nach drei, vier Flaschen Bier durch eine Art natürliche Anziehung finden und fortan beisammen bleiben.
Ich erinnere mich, dass ich durch das Büro ging, mir die langen Haare aus dem Gesicht streifte und dem Mann die Hand entgegenstreckte. Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl, sein Lächeln hatte er im Gesicht.

Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen. Ich könnte meinen Vater anrufen, dort, wo er jetzt wohnt, aber das wäre schwierig. Ich könnte bis zu den Weihnachtsfeiertagen warten, bis ich meinen Vater in meiner alten Stadt treffe, wir uns am Busbahnhof oder vor seinem alten Laden verabreden und irgendwo in eine der umliegenden Kneipen ziehen, drei, vier Bier trinken, und ihn dann nach dem Namen des Mannes fragen. Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Jedenfalls zog ich mir nach fünf Minuten schon das T-Shirt aus, als der Mann und ich an jenem August-Morgen die Lederwaren im Dachboden aus den Regalen räumten. Die Hitze stand drückend unter dem Dach. Der Geruch des Leders hing schwer und trocken in der Luft, klebte an unseren Händen und Armen. Die Sonne brach grell durch die schlitzartigen, auf Kopfhöhe liegenden Fenster. All der Staub, der umherwirbelte. Mir lief der Schweiß in Bächen den Rücken und das Gesicht hinunter.
Der Mann lächelte und wischte sich über die Stirn. »Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und fing an, hinauszuschauen, aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Er lächelte, als er hinaus auf die Stadt schaute.
Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holz-Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Ich erinnere mich, mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an und ich erinnere mich an das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein, als er die Nägel aus dem Regal zog. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Ich erinnere mich, dass sich da etwas in mir entspannte, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er jeden einzelnen der Nägel aus dem Holz zog.
»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte.
»Alles klar?«, fragte mein Vater. Wir drehten uns um und sahen ihn auf den Treppenstufen stehen, die hinunter zum Büro führten. Mein Vater sah müde aus. Als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Sein Gesicht wirkte ledrig, mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Mein Vater nickte. Er ging die Treppe hinab und holte uns zwei Wasserflaschen. Der Mann und ich nahmen ein paar große Schlücke. Wir trugen noch unsere Handschuhe. Der Schweiß glänzte in seinem Gesicht und auf meinem Oberkörper.
»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah mich an und lächelte. Er stellte die Wasserflasche ab, kniete sich zum Werkzeugkasten und steckte die verschiedenen Teile eines langen Hammers zusammen. Er schnaufte etwas, als er wieder aufstand. Er lief zum hintersten der zehn, elf mannshohen Holz-Regale. Er bat mich, einen Schritt zurückzugehen, dann inspizierte er noch einmal mit kritischem Blick die Bretter und die Holz-Konstruktion, um schließlich mit dem Hammer auszuholen und auf eines der Bretter zu schlagen. Es krachte und die Hälfte der Mittelbretter fiel aus dem Regal. Der Mann sah mich jetzt an und lächelte stark, und ich stand am anderen Ende des Dachbodens, schwitzte und lächelte zurück. Er holte aus, schlug auf die restlichen verbliebenen Bretter und auch diese donnerten aus dem Gestell. Schließlich lehnte er den Hammer an die Wand. Er stemmte sich mit beiden Händen gegen eine der Seitenwände, schnaufte und drückte. Das komplette Regal fiel in sich zusammen. Als all das Holz dort auf dem Boden vor uns lag, blickte mich der Mann an, lächelte und begann auf einmal laut zu lachen. Ich blickte auch ihn an, lächelte, sah all das Holz und begann ebenfalls für einen langen Moment laut zu lachen. Ich dachte an meinen Vater, wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch.
»Ist alles okay?«, rief mein Vater von unten hoch.
»Ja«, rief ich zurück.
Der Mann nahm den Hammer von der Wand und hielt ihn mir hin.
»Willst du auch mal?«, fragte er.
»M-hm«, machte ich, stieg über das Holz und nahm den Hammer. Er war so schwer, dass ich ihn mit beiden Händen kaum hochgehoben bekam. Der Mann stieg ebenfalls über das Holz und zeigte mir am nächsten Regal den Punkt auf einem der Mittelbretter, auf den ich schlagen sollte. Ich atmete tief ein und hob den Hammer mit aller Kraft. Ich schnaufte. Ich zielte auf den Punkt des Brettes, schlug aber daneben, in die Luft. Der Hammer rutschte mir ungeschickt aus den Händen und fiel auf den Boden. Ich drehte mich zu dem Mann. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken. Ich spürte, wie ich errötete.
»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr. Ich sah Schweißperlen, die an seiner Stirn und seiner Wange herab rannen. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.

Am späten Nachmittag hatten wir alle alten Regale eingerissen. Mein Vater stand wieder auf den Treppenstufen, in Sakko und weißem Hemd, mit zwei vollen Flaschen Wasser in den Händen. Vor ihm lag all das Holz. All die eingerissenen Dinge und all die aufgeheizte, drückende Luft. Wir standen da, schnauften, schwitzten und blickten meinen Vater an. Mein Vater stellte die Flaschen ab. Anschließend stieg er über das Holz. Er schaute sich um und sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte. Er sagte kein Wort. Er sah uns nicht an. Er stieg weiter über das Holz, bis zu den Fenstern. Mein Vater blickte hinaus und fuhr sich mit der Zungen über die Lippen. Er öffnete das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.
»Helft mir mal«, sagte er.
Der Mann und ich standen einige Sekunden perplex da, verstanden nicht. Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter. Anschließend lief ich zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und stieg auch durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste. Draußen kamen wir auf einem Flachdach an. Als der Mann etwas Holz zusammengeschoben hatte und sich ebenfalls ächzend durch den Fensterrahmen zwängte, hielten ich und mein Vater ihn von draußen an den Armen und zogen an ihm.
Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte. Ich sah meinen Vater, der zu dem Einkaufszentrum blickte. Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit. Ich hörte den Bekannten meines Vaters neben mir keuchen. Als ich zu ihm rüber sah, drehte er sich zu mir und nickte mir lächelnd zu. Er zog eine L&M-Packung aus dem Blaumann, fingerte sich ein Zigarillo heraus und hielt die Schachtel meinem Vater hin.
»Auch eine?«, fragte er. Mein Vater nickte abwesend und zog ein Zigarillo heraus. Der Mann gab ihm Feuer, und gemeinsam standen wir an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.
Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal etwas getan hatte, wofür man mich bezahlte. Der erste Job meines Lebens. Vielleicht erinnere ich mich so gut an diesen Tag, weil ich zum ersten Mal das Einkaufszentrum sah, das meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.

Nach der Arbeit fuhr ich mit meinem Mountainbike zum Fluss. Noch so eine Sache, an die ich mich erinnere. Johnny saß schon »am Ufer«, an jenem Flussabschnitt hinter einer dicken Wand aus Gestrüpp, an dem wir immer abhingen. Johnny hatte nach oben abstehendes, strohblondes Haar. Fast wie der Flaum eines Kükens. Sein Gesicht war weich und rundlich, das eines Kindes.
»Ich hab dreißig Euro«, sagte ich.
»Ich hab was Besseres«, sagte er.
»Nich’ schon wieder!«, stöhnte ich.
Aus seinem Rucksack holte er die Plastiktüte und den Kleber.
»Klebe is’ was für Assis!«, sagte ich und setzte mich. Trotzdem zog ich. Drei Minuten später ließ ich mich rücklings neben Johnny ins Gestrüpp fallen. Kein Gedanke in meinem Kopf. Bei manchen Leuten braucht es nicht mehr als ein Mal diese Erfahrung, sich auf die Art kontrollieren zu können: die Wut, die so tief sitzt und so komplex ist, auf diese Weise von sich werfen zu können. Ich denke heute oft darüber nach, wenn ich nachts wachliege: Ob es nicht so etwas wie positive Traumata gibt, die nicht weniger schädlich sind, die den Geist nicht weniger vergiften.
Wir zogen drei-, viermal, immer eine halbe, Dreiviertelstunde nach dem letzten Hit. Kleber macht dich schnell sehr dicht, und nach zehn Minuten bekommst du Kopfschmerzen, und nach zwanzig Minuten bist du nüchtern und dir ist kotzschlecht.
Nach der letzten Tüte begann sich alles in mir zu drehen. Die Sonne war schon fast untergegangen. Ich hörte, wie Johnny sich wieder ins Gebüsch legte, da kotzte ich mir im Sitzen über die halbe Jeans.

Abends schlich ich mich ins Haus. Meine Hose stank nach Kotze. Meine Eltern hörte ich schon auf der Vortreppe. Ich weiß nicht mehr, worüber sie an jenem Abend stritten. Vielleicht war es eine der verrückten Betriebsentscheidungen, die mein Vater ohne Absprache mit meiner Mutter getroffen hatte. Oder Geld. Oder eine Kränkung, die von einem der beiden ausgesprochen wurde. Vielleicht wussten sie es selbst nicht. Vielleicht stritten sie, weil sie nun mal stritten. Wie in einem Krieg, ein Schuss führt zum nächsten, und nach zig Jahren und unzähligen Toten weiß keine Seite mehr, weswegen man aufeinander schoss, was die Ursache des Grolls auf den anderen war. Vielleicht ist das die schlimmste Art des Hasses: nicht zu wissen, wieso. Aber er ist da, er steigt in einem auf, unaufhaltsam.
Als ich mich ins Bad einsperrte, sie draußen streiten hörte und mich auf den geschlossenen Toilettendeckel setzte, konnte ich nicht anders, als fürchterlich zu heulen.

Erst acht oder zehn Wochen später hörte ich wieder von dem Mann, dem Bekannten meines Vaters. Es war schon Herbst, fast Winter. Ich erinnere mich, dass es mir mein Vater erzählte, als er abends von seinem Laden nach Hause kam. Er saß am Esstisch, trank ein Weizen und aß eine dünne Scheibe Brot mit runden Salami-Stücken. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte noch einmal an den Mann gedacht. Wahrscheinlich hatte ich ihn fast vergessen. Wahrscheinlich war er damals für mich nur ein weiterer Erwachsener, der in meinem Leben auftauchte und wieder verschwand.
Aber natürlich wollte ich wissen, was passiert war.
Mein Vater trank einen Schluck. Er wäre einundsechzig Jahre alt gewesen, sagte er. Er hätte vor vier Monaten erst wieder geheiratet, sagte er. Er hätte Depressionen gehabt, seit Jahren schon. Er wäre seit einigen Jahren arbeitslos gewesen. Er hätte einen Sportschützen-Ausweis gehabt. Es wäre beim Reinigen seiner Waffe passiert. Seine Frau habe ihn gefunden, in all dem Blut. Mein Vater sah mich einen langen Moment an. Vielleicht, um zu sehen, wie ich reagiere. Vielleicht, um zu sehen, wie er selbst darauf reagiert. Er hätte keinen Brief oder ähnliches hinterlassen, sagte er. Niemand wisse, wieso. Niemand wisse, warum. Aber man glaube, es war so.
»Selbstmord«; seltsam, das zu hören. Seltsam, das mit dreizehn Jahren zu spüren. Dass das dort draußen passierte, in der Welt der Erwachsenen. Dass es dort Leute gab, die sich mit einem Gewehr ins Gesicht schossen. Dass dort jemand, den man für einen kurzen Augenblick gekannt hatte, jetzt nicht mehr existierte. Dass er sich selbst gerichtet hatte. Dass er in all dem Blut gelegen hat. Dass das passieren kann. Dass einem das als Erwachsener einfach über den Weg laufen kann: Dein Freund hat sich ein Loch ins Gesicht geschossen. Dein Freund wurde von seiner Frau in all dem Blut gefunden. Er ist jetzt tot. Er hat sich das selbst angetan. Er wird jetzt unter die Erde vergraben.
»Seltsam« – daran erinnere ich mich: Dass ich das alles in jenem Augenblick, und immer, wenn ich in den Folgewochen darüber nachdachte, seltsam fand; so, als hätte man mich irgendwo belogen, als hätte man mir nur die halbe Wahrheit erzählt.

 

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