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Im Cafe

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13.08.2001
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Im Cafe

"Im Cafe"

Leise, beinahe lautlos und dabei fast zärtlich fallen die kleinen Regentropfen, sammeln sich auf dem Fenster und fließen herunter. Wie kleine Perlen, eine Kette, die sich aneinanderreiht, kleine Bäche, die am Fenster herunterperlen, kurz stehenbleiben, innehalten, sich teilen, weiter fließen, sich dabei ein kleines Rennen erlauben, ausfechten, die Ziellinie überschreiten und am Boden aufschlagen.
Es scheint kein System dahinter zu stecken, so lange ich auch zusehe, eröffnet sich mit kein Sinn in der Art des Regenfalls, in der Geschwindigkeit der Tropfen, kein göttlicher Code, nach dem diese kleinen Ströme sich teilen, anhalten, weiterfließen, am Ende versiegen oder verdunsten.
Meine Augen erfassen nur langsam die Menschen draußen, sie laufen, hetzen, gebückt, geschützt von kunterbunten Schirmen, wenden sich um, suchen nach Schutz. Für sich, für die gekauften Dinge, die sie in Papiertüten umherschleppen. Sie bücken sich, sehen aus wie Bucklige, die durch eine Kirche hoppeln, um etwas vermeintlich Wertvolles zu schützen.
Niemand kommt in das Cafe. Sie scheinen es gar nicht zu sehen, ihr Trieb zum Schutz scheint nicht so stark, wie gedacht, von mir, vielleicht auch von ihnen selbst.. Stattdessen stellen sie sich unter schmalte Vorsprünge, drücken und drängeln sich in Ladeneingängen und U-Bahn Stationen. Stellen sich ungeniert neben Bettler, die sie an Sonnentagen verabscheuen, näheren sich anderen Menschenleibern und treten auf Kinderfüße.
Mich und das Cafe sehen sie nicht, beinahe wie aus ihrer Wahrnehmung gestrichen, nicht existent.
Es ist warm hier drinnen, schon fast schwül, ein kleiner Schweißfilm liegt über meinem Gesicht, kleine Tröpfchen am lichten Haaransatz, doch gerade auch auf der Oberlippe, eine leichte Feuchte. Nicht unangenehm, aber auch kein Zustand vollkommenen Wohlbefindens. Meine Kleidung liegt schwer auf meinem Körper, sie tränkt sich langsam mit dem Schweiß, ich hoffe auf mein Deo. For men. Extra effektiv, verbesserte Formel. So die Werbung, heute gibt es die Probe aufs Exempel.
En leichtes Kribbeln auf meiner Hand lenkt meine Aufmerksamkeit weg vom Schwitzen. Dort sitzt eine Fliege, krabbelt kurz umher, bleibt stehen, verharrt, neigt ihren Kopf. Meine Muskeln müssen sich kurz bewegt haben, die Fliege gewarnt haben. Winzig kleine Facettenaugen schauen mich an. Auch ich neige den Kopf leicht, betrachte das Tier auf meiner Hand, halte meine Finger still, versuche nicht zu verkrampfen. Die Sekunde dehnt sich aus, in zwei, drei, mehrere. Niemand von uns beiden bewegt sich, wir starren uns nur an. Die Fliege und ich. Für einen kurzen Moment, die Länge eines Gedankenblitzes, kommt mir in den Sinn sie zu töten. Einfach so. Ohne Grund. Nicht weil ich die Fliege hasse, sie stört mich nicht. Ich könnte sie mit der kleinsten Bewegung verjagen. Aber dennoch kommt mir die Ermordung der Fliege in den Sinn. Hastig, auch ein wenig verschämt über meine Mordlust, verwerfe ich den Gedanken und bewege meinen Finger um die Fliege in Sicherheit zu bringen, vor meiner Lust sie zu töten zu retten. Natürlich folgt sie meinem Willen, mit einem leichten surren verabschiedet sie sich, umschwirrt meinen Kopf kurz und entschwindet dann an den Nebentisch, setzt sich auf einen andere Hand, eine andere Stirn, begibt sich erneut in Lebensgefahr. Fliegen führen ein gefährliches Leben.
Draußen hat es aufgehört zu regnen, zwei dünne, schmale Streifen von sommerlich blauen Himmel haben mit tödlicher Präzision die Wolkendecke aufgeschnitten, aufgerissen. Bald wird die Sonne wieder scheinen, noch mehr Wärme in dieses Cafe bringen, den Aufenthalt im Innenraum beinahe unmöglich machen, die Gäste wieder auf die Straßenstühle treiben.
Ich nippe kurz an meiner Cola, das Eis ist schon fast komplett geschmolzen, verwässert den Geschmack meines geliebten Koffeingetränkes. Leicht angewidert stelle ich das Glas wieder weg, schiebe es zur Tischmitte. Meine Finger spielen in unerklärlicher, immer wieder spontan ausbrechender, Ruhelosigkeit, vielleicht sogar Nervosität, mit dem Bierdeckel. Drücken hin, drücken her, der kleine Pappdeckel dehnt sich, wird in Form gebracht, immer kurz vor dem Punkt, an dem er brechen würde. Das will ich aber nicht, das würde das Spiel beenden.
Die Tür zum Cafe wird geöffnet, die Klingel springt auf diesen Reiz an, sie lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf meine Umwelt. Herein tritt ein Schirm, ein gelber Schirm, klein, handgerecht, dahinter folgt eine Frau, vielleicht noch ein Mädchen. Die Grenze ist zu schwammig, sie wird es wohl selber nicht wissen. Ihr Sommerkleid zeigt winzige Sprenkel, wo der Regen den Schutz des Schirmes überlistet hat, ihr Schulter schimmern nass. Die Feuchte auf meiner Oberlippe kehrt wieder zurück, für einen kurzen Augenblick weht ein leichter Wind durch die Tür herein, trägt den würzigen Geruch nach kaum verklungenen Sommerregen in den Raum. Ich atme es ein, der Geruch ist angenehm, er zeugt von Sommer, Wärme, Hitze.
Die Mädchenfrau tritt völlig herein, sie hat blondes Haar, wie sommerlicher Weizen, lang fällt es auf ihre leicht schimmernden Schultern, verdeckt ein wenig den langen Hals, betont aber ihr feingeschnittenes Gesicht.
Ich schwitze wieder etwas mehr, der Lufthauch von eben scheint meine Körperkühlung wieder in Gang gebracht zu haben.
Sie trägt weiße Schuhe, die ihre kleinen Füße eng umschließen und ihre Beine noch dünner erscheinen lassen, recht lange Beine, für ein Modell aber wohl zu klein. Ein kleines, silbernes Kettchen um das Fußgelenk.
Wie in Trance ziehe ich meine stark verwässerte Cola wieder zu mir heran, nippe einmal dran, nochmal, stelle sie wieder weg, meine Finger umschließen noch immer locker das Glas.
Sie setzt sich an einen Tisch vor mir, greift zur Karte, feine Hände, lange Finger, ohne Lack, zwei Ringe, silber, dezent und schlicht. Auf ihren Lippen liegt ein leichter, feuchter Schimmer, auch dezent, wenig Gloss, ansonsten kein Make-up. Natürlich, nicht abgehoben. Eine schöne junge Frau, ein reif wirkendes Mädchen.
Die Ruhelosigkeit meiner Finger erfaßt meine Beine und meine Füße, ich beginne zu wippen, mit dem linken Bein, auf und ab. Wieder nippe ich an meinem vercolaten Wasser. Schaue raus, die Sonne scheint wieder, draußen gehen die Leute weiter, Erleichterung, Erlösung im Blick. Ich sehe diese Gesichter kaum, im Augenwinkel behalte ich das blonde Mädchen/Frau in ihrem Sommerkleid. Sie zieht meine beide Augen wieder auf sich, nur kurz, wenige Augenblicke verweile ich bei ihr, auf ihr.
Ihre Hand winkt den jungen, französisch aussehenden Kellner herbei. Er eilt zum Tisch. Ein Blick wie ein Hündchen, gierig, fast vermeine ich einen leichten Speichelfluß in seinem Mundwinkel zu sehen. Er widert mich an. Mit zarter, aber dennoch tönender, voller Stimme, bestellt das Sommermädchen eine Apfelschorle. Ich denke an ein Buch. Der Franzose geht von dannen, es scheint ihm leid zu tun, daß sie nicht mehr bestellt hat. Wahrscheinlich findet er sie attraktiv. Sie lächelt jetzt, findet sie den affektierten Kellner lustig? Attraktiv? Oder lacht sie ihn aus?
Ich schaue sie länger an, sie hat grüne Augen, weiche Augen, geheimnisvoll, der harte Zug um ihren Mund macht sie nur noch ansehnlicher. Ihre Handtasche, klein, schlicht in schwarz gehalten, ohne Strass, baumelt an der Stuhllehne herunter. Leichtsinnig! Nicht das ich sie nehmen würde, die Tasche natürlich, aber es gibt andere, weniger skrupelbelastete, Männer und Frauen gleichermaßen, wenigstens da nehmen sie sich nichts.
Die Fliege erscheint wieder, umschwirrt meine Stirn, scheinbar hat sie meine Stirn als lohnenswerten Landeplatz ausgesucht. Mit einer hektischen, dennoch gewollt, gezwungen dezenten Handbewegung versuche ich sie zu verscheuchen. Hat das Sommermädchen das gesehen? Sie zieht ihre Augenbrauen hoch, eine kleine, nicht tiefe, aber deutlich sichtbare Falte, Fältchen, erscheint zwischen den Brauen. Leichtes Stirnrunzeln, sie greift in ihre Handtasche.
Der Kellner verstellt meine Sicht, ich schreie förmlich: Hau ab! Ich will sehen, was sie tut! natürlich nur in Gedanken, er hört es nicht, bewegt sich wohl weil er es möchte. Sie hat ein Handy in der Hand, klein, handlich, fraulich. Kein Männerhandy. Mit suchenden Augen tastet sie das Display ab, drückt eine Taste, meine Hand wandert an meine Hosentasche, erspüre mein Handy, groß, recht handlich, viele Funktionen. Kein Frauenhandy eben.
Dann schaut sie auf, meine Fliege umfliegt sie, sendet Summsignale, sucht eine neue Landebahn und landet. Auf ihrem Schenkel, der nackt dort steht. Fliege zu sein ist wohl kein schlechtes Leben. Die Hand, die linke, die recht hält das Handy, saust herbei und löscht das Lebenslichtlein der mutigen Fliege aus, ohne Rücksicht, ohne Gnade.
"Moment, Schatz! Ich ruf dich gleich zurück!"
Ich lege 2,90 auf den Tisch und verschwinde, laß den widerlich schwülen Raum, mit dem französischen Kellner, der WasserCola, dem Sommermädchen und einer toten Fliege auf einem Mädchenschenkel hinter mir.

 

Ich muss sagen, das Ende hat Deine Geschichte doch noch gerettet.
Was davor kommt wird aber zunehmend anstrengender zu lesen. Sicherlich war die detailtreue gut gemeint, aber manchmal war es einfach zu viel. Besonders die Begriffsreihungen, die etwas eindringlicher, gefühlvoller, poetischer (<--Begriffsreihung) rüberbringen sollen, nerven auf die Dauer. Wenn man das manchmal macht ist es total OK, aber ständig...
Das klingt dann so wie einer, der das Wort zum Sonntag spricht - ehrlich.

Also, ich glaube Du hast Dich hier einfach ein wenig übernommen. Du hast den Leser hier mit metaphorischen Bomben beworfen, wo's einige gezielte Schüsse auch getan hätten.


(Oh je, das war ja auch eine Metapher...) ;) :D

 

Na ja, grundsätzlich gefiel mir der Text ganz gut, aber wie schon 13en sagt, das ganze ist ziemlich überladen und wirkt wie das Wort zum Sonntag. Ein bisserl mehr Zurückhaltung wäre vielleicht ganz gut gewesen, angesichts von Phrasen wie

Die Mädchenfrau tritt völlig herein

Das ist, mit Verlaub, eine sehr unglückliche Wortwahl! Ich versteh schon, was du meinst, aber es liest sich einfach komisch.

Davon abgesehen ein netter Text für zwischendurch. zB fürs Cafe :D

 

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