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Im Fahrstuhl
„Fuck.“ Patrick schlug mit der flachen Hand gegen die Wand, um seinem Ärger Luft zu machen, als der Fahrstuhl nach nur wenigen Sekunden zwischen dem zehnten und elften Stockwerk stecken blieb.
Devin zuckte zusammen, was aber mehr Patricks Reaktion als dem Fahrstuhl geschuldet war. Patrick drückte ungeduldig auf den Notrufknopf. Devins spärliches Schwedisch reichte nicht aus, um den Schlagabtausch – es war eindeutig ein Schlagabtausch und kein Gespräch – zwischen Patrick und dem Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung zu verstehen.
Devin seufzte und lehnte den Rücken an die kühle Metallwand des Aufzugs. Der Fahrstuhl war gerade groß genug, um bei ihr keine Klaustrophobie auszulösen. Sie war sich nicht sicher, ob dasselbe auf Patrick zutraf.
„Fuck.“ Noch ein Schlag gegen die Wand. „Sie brauchen mindestens eine Stunde.“
Devin strich in sanften Kreisen über ihren Bauch. „Es ist nur Aufzug, der feststeckt.“
„Eine Stunde lang?“
„Bei uns in Irland kommt das andauernd vor.“
„Fuck it.“ Noch ein Schlag gegen die Wand. „Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie – nie – in einem Aufzug stecken geblieben!“ Patrick wedelte mit dem Finger in der Luft. „Darum ist es gut in Schweden zu wohnen. Eigentlich.“
„Fucking immigrant“, murmelte Devin spöttisch und imitierte seinen Akzent.
Patrick schüttelte den Kopf, dann, als würde er sie genauer betrachten: „Bist du ok? Willst du dich hinsetzen?“
Devin ignorierte Patrick, der ihr zur Hilfe eilen wollte und ließ sich langsam auf den Bogen gleiten. Sie musste die Beine ausstrecken und etwas schräg sitzen, aber das war sie inzwischen gewohnt. Anders ging es mit dem Bauch einfach nicht.
„Mir geht’s gut wie du siehst.“
„Und wie geht’s dem Baby?“, fragte Patrick nun deutlich ruhiger.
„Gut.“ Devin machte eine Pause. „Wieso fragst du überhaupt, wenn es dich sowieso nicht interessiert?“
„Vielleicht weil ich nicht will, dass meine Frau eine beschissene Fehlgeburt in einem beschissenen Aufzug erleidet?!“ Jedes „beschissen“ wurde von einem Schlag gegen die Aufzugswand begleitet. „Wenn das noch länger dauert …“
„Pat“, fiel Devin ihm ins Wort. „Vielleicht – vielleicht sollten wir nochmal darüber reden.“
„Über was?“
Mit einem Seufzen lehnte Devin den Kopf and die Aufzugswand und schloss die Augen. „Den Termin. Vielleicht stecken wir hier ja nicht ohne Grund fest. Vielleicht ist das ein Zeichen.“ Sie musste Patrick nicht ansehen, um zu wissen mit welchem ungläubigen Blick er sie gerade bedachte.
„Denkst du wirklich, dass dein Gott einen Fahrstuhl anhält, damit wir nicht in die Klinik kommen?!“
Die Worte „dein Gott“ ließen Devin wie immer zusammenzucken. Sie öffnete die Augen.
„Ich bin fast im fünften Monat. Wir haben zu lange damit gewartet. Das Risiko ist zu hoch.“
„Schatz“, Patrick ging neben ihr in die Hocke. Sein roter Bart schimmerte im Fahrstuhllicht. „Wir haben das doch besprochen. Es zu kriegen ist keine Alternative.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Devin kämpfte mit den Tränen und kam sich auf einmal sehr erbärmlich vor. Scheißhormone. „Es ist nur … ich hab Angst …“
Patrick drückte ihre Hand. „Denk doch an deine Promotion und unsere Pläne. Du ziehst zu mir nach Schweden, steigst bei mir in der Firma ein – mein Chef kann’s ja jetzt schon kaum erwarten – dann das Haus, das Auto, die Lebensversicherung und wenn alles steht, dann das Baby. In genau der Reihenfolge.“
Devin verlor den Kampf mit den Tränen. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht.“
„Wir haben doch schon den Termin.“
„Scheiß auf den Termin“, fauchte Devin und wischte sich die Tränen von den Wanden. „Ich will es behalten.“
„Aber Schatz, darum sind wir doch überhaupt hier …“
„Das ist mir egal.“ Devin unterdrückte ein Schluchzen. „Das ist nicht richtig. Ein Kind ist ein Geschenk Gottes.“
Patrick lachte ungläubig. „Ist es das? Ist das deine wiedererwachte Religion? Ich meine, ich weiß ja das schwangere Frauen …“ Devin schubste ihn, sodass Patrick beinahe das Gleichgewicht verlor. Noch mehr Tränen liefen ihre Wangen hinunter. „Hey, was soll das?!“
„Ich kann nicht“, rief Devin verärgert. „Ich kann einfach nicht, verstehst du?“
Ihr Mann seufzte. Er wirkte nicht, als würde er wirklich verstehen. Patrick setzte sich neben sie, sodass sich ihre Schultern berührten. „Wie lang denkst du schon so?“
Devin dachte an die vergangenen Wochen und ihre zahlreichen Ausreden, eine abstruser als die nächste, warum jetzt gerade kein guter Zeitpunkt war, um nach Schweden zu fliegen. Sie hatten es so spät bemerkt und dann war alles so chaotisch geworden. „Ich glaube schon die ganze Zeit.“
„Wow.“ Patrick lachte freudlos. „Wow. Warum hast du nichts gesagt?“
„Wegen dir, du warst gleich so entschlossen und wir haben unsere Pläne …“
„Also ist das jetzt meine Schuld?! Wenn du was gesagt hättest, ich meine …. Fuck it. Hättest du nicht was sagen, bevor wir hierher fliegen?! Fuck it, Dev!“
Die nächsten paar Minuten vergingen in einer unangenehmen Stille, die irgendwann von Patrick durchbrochen wurde. „Du willst es wirklich behalten?“
Devin nickte so hastig, als würde ihr Leben davon abhängen. In gewisser Hinsicht tat es das auch. Patrick nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. „Dann wohl kein Fünf-Jahres-Plan.“
„Wirklich?“ Devin sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an.
„Es ist immerhin dein Körper und ich kann dich ja nicht mit Gewalt in die Klinik zehren.“
Devin lachte unter Tränen. „Du könntest schon.“
„Dev.“ Patrick sah sie ernst. „Wenn du es wirklich willst, dann kriegen wir es. Wir sind ein Team. Jetzt eben ein Dreier-Team.“
Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sich Devins Lächeln nicht gezwungen an. „Ok.“