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Im Mahlstrom

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10.02.2000
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Anmerkungen zum Text

Ist zwar nicht direkt Weihnachten, aber es kommt doch darin vor.

Im Mahlstrom

»Wie weit ist es noch?«
Sofias Stimme dringt kaum durch das an- und abschwellende Rauschen der hellgelben Birkenblätter.
»Nicht mehr weit. Gleich nach dem Rondell geht es rechts rein«, beruhige ich sie. »Du hättest nicht mitgehen müssen. Ich glaube nicht, dass es deinem verstauchten Knöchel guttut.«
Sofia drückt sich an meine Seite und hakt sich unter.
»Mir ist nur kühl. Das mit dem Fuß ist nicht so schlimm. Wir gehen ja langsam.«
Ich horche in mich hinein. Wie lange war ich schon nicht mehr hier? Vor zehn Jahren war die Beerdigung. Erst ein Jahr später besuchte ich das Grab zum ersten und einzigen Mal. Bis heute. Nun mit Sofia.
»Ich meine, der Herbst ist dieses Jahr viel zu früh gekommen«, sagt sie mit zittriger Stimme. »Und er ist auch noch schrecklich kalt«, setzt sie nach.
Ich bleibe stehen, ziehe Jacke, dann Pullover aus.
»Hier, nimm bitte den Pullover!«
Sie löst den Arm und sieht mich an. Nickend legt sie den Mantel über meine rechte Schulter und streift sich den Pullover über.
»Ein schöner Stoff. Merino-Wolle. Ist das nicht mein Weihnachtsgeschenk an dich? Wann war das noch mal?«
Ich muss nicht lange überlegen.
»Weihnachten vor fünfzehn Jahren«, rufe ich ihr ins Gedächtnis. Sofia legt den Kopf schräg und lauscht. Vielleicht dem sanften Wind der Erinnerungen. Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
»Stimmt. War ganz schön schwer, etwas zu finden, was deinem Geschmack entspricht.«
Ich schmunzele sie an.
»Er ist heute noch so schön wie damals«, versichere ich und helfe ihr in den Mantel. Sie knöpft ihn zu und schmiegt sich an mich. Wir setzen unseren Weg fort. Vorbei am Brunnen Nummer vier. Zerschlissene Gießkannen hängen an einem Metallgestell. Der Wasserhahn tropft.

»Liebst du mich, Heinrich?«
Vor dieser Frage habe ich mich gefürchtet. Sofia bleibt abrupt stehen und stellt sich vor mich. Der feine Splitt knirscht unter ihren Schuhen. Sie ist so groß wie ich. Auf Augenhöhe. Nein, auf Mundhöhe. Ich ziehe sie an mich und küsse die fein gefurchten Lippen. Das nachgebende Fleisch zu fühlen, es mit der Zunge zu öffnen, um die ihre zu suchen, ist meine stete Aufnahme in den Pantheon der Götter. Wieder und wieder. Über all die Jahre. Birkenblätter treiben im Wind gegen unsere Schläfen. Ich löse mich und sehe erstaunt Sofias erstarrte Mimik, den noch offenen Mund, die rosafarbene Zungenspitze. Ihre geschlossenen Augen.
»Sieh mich an, Sofia.« Die Lider öffnen sich und das wache Grün der Iris erschlägt mich. Groß wie eine Kastanie. »Ich komme mir sehr ungenügend vor, weil ich noch nie die richtigen Worte für meine Gefühle gefunden habe …«
Sofia senkt den Kopf, drückt die Stirn gegen meine Lippen. Falten bilden sich auf ihrer Haut und so gut ich es vermag, streichle ich küssend die schmalen Täler und Erhebungen.
»Gehen wir weiter«, sagt sie nach einer Weile und streckt den Oberkörper. »Jetzt ist mir schön warm.«

Endlich sind wir am Rondell, grüßen eine alte Frau, die alleine auf einer Bank sitzt und fünf unerschrockene Raben zu ihren Füßen mit Brotkrumen füttert. Krächzend hüpfen sie auf die umherliegenden Brotreste zu, picken und freuen sich. Ein Festessen. Sofia lacht. Leise und verhalten, um die Raben nicht zu erschrecken.
»Als ich dir das erste Mal begegnete, Sofia, in diesem Kino mit den roten Plüschsesseln, hast du gelacht. Ich wusste sofort, dass ich dich liebe.«
Sie sagt nichts, hakt sich umso fester unter, drückt meine Hand. Das Krächzen der Raben bleibt zurück. Nur der Herbstwind ist um uns und fegt die Stille des Friedhofs über die Birken hinweg in die Stadt.
»Jetzt ist es nicht mehr weit. Noch etwa einhundert Meter«, erkläre ich ihr mit ausgestrecktem Arm. »Gleich dort vorne gegenüber der großen Linde.«
Sofia sieht nicht hin, folgt nicht meinem Finger mit ihrem Blick, sieht nur auf ihre Schuhe. Schritt folgt auf Schritt. Ich blicke mich für einen Moment um, ob dort wirklich unsere Spuren zu sehen sind im feinen Splitt. Aber ja, kaum sichtbare Dellen. Unser gemeinsamer Weg.

»Heinrich? Macht es dir etwas aus, dass wir nie Kinder bekommen haben?«, fragt sie unvermittelt. Ich bleibe nicht stehen, obwohl mich die Frage ebenso trifft, wie die nach meiner Liebe.
»Auch darauf weiß ich keine Antwort, Sofia. Ich kann nur vermuten. Kinder zu haben, ist sicher etwas einmalig Schönes. Denk an deine Schwester … sie ist glücklich mir ihrer Familie, oder?«
»Ja, das ist sie«, bestätigt Sofia sofort.
»Ich bin glücklich mit dir, Sofia. Ohne Kinder. Wäre aber mit Kindern sicher nicht weniger glücklich. Weißt du, was ich meine? Schönes kann man nicht mit Schönem vergleichen. Alles ist einzigartig.«
Sie schweigt. Ich bleibe stehen. Sofia nicht. Ihr Arm löst sich und festhalten möchte ich ihn nicht. Sie ist nicht glücklich, denke ich. Ist mir das zuvor schon einmal aufgefallen? Stand ich etwa seit alleine im Pantheon? Ohne sie?
»Sofia …«
Ihre Füße stoppen. Der rechte Schuh drückt sich in den Split, zieht eine kreisförmige Furche hinein.
»Habe ich jemals deine Frage nach Kindern überhört?«
Langsam schließe ich auf und stelle mich vor sie. Ihr Kopfschütteln dicht vor mir.
»Nein. Ich habe dich nie gefragt. Ebenso wenig wie du mich gefragt hast.«
In Sofias Augen starrend, bleibt mir für einen Augenblick die Luft weg. Mir wird bewusst, dass wir unterschiedliche Gründe hatten, nicht zu fragen. Diese Erkenntnis rutscht wie heißer Stahl meine Kehle hinab, lässt mein Herz schneller klopfen. Ich war glücklich. Sie wollte, dass ich glücklich bin. Schnell schließe ich die Augen, presse die Lider zu, doch die Tränen drücken sich darunter hervor, in den kühlen Herbstwind, der sie kälter werden lässt.

»Gehen wir weiter«, fordert Sofia mich auf, packt meine Hand und zieht mich wie einen Dackel, der einfach nicht zum Pinkeln kommt, weil seinem Frauchen ständig der Geduldsfaden reißt. Langsam passe ich den Schritt wieder an.
»Deinem verstauchten Knöchel geht es schon wieder ganz gut, oder?«
»Hm.«
Nur noch zwanzig oder dreißig Meter bis zum Grab. Kann ein Leben innerhalb weniger Meter zusammenstürzen?
»Dann habe ich versagt, Sofia …« Meine Stimme bricht, nachdem ich ihren Namen ausspreche. Sie bleibt erneut stehen, dreht sich mir zu und stemmt beide Hände in die Hüften.
»Niemand hat versagt, Heinrich … du liebst dich darin, mich zu lieben. Ich liebe deine abgöttische Liebe zu mir. Aber ist es das, was uns gut tut?« Sofias Blick ist weich, voller Gnade. Vielleicht auch etwas mitleidig? »Wir alle lieben unterschiedlich und wollen unterschiedlich geliebt werden.« Sie schweigt. Ihr Blick verändert sich. Er kommt näher. Ihre Lippen kommen näher. »Wir lieben unsere gegenseitige Abhängigkeit«, flüstert sie. Der Kuss kommt. Ein anderer als zuvor. Als begänne nun etwas Neues. Sofia umarmt mich, den Kopf seitlich an meiner Wange.
»Sei nicht dumm, Heinrich. Es war die beste aller Beziehungen, es war die schlechteste aller Beziehungen …«
»He, das kenne ich«, unterbreche ich Sofia. »Nur ein wenig anders …«
»Aber ja«, sieht sie mich an und lächelt. »Steht in unserem Bücherregal. Eine Geschichte aus zwei Städten …«
»Dickens«, ergänze ich.
»Komm, gehen wir weiter.«

Dann bin ich am Grab. Ein Mann hockt auf der Bank unter der Linde. Seine Kleider sind recht abgerissen. Er nickt mir ein unrasiertes, struppiges Lächeln zu. Zuerst habe ich Bedenken dieselbe Bank zu nehmen, aber es gibt sonst keine. Nur von ihr kann ich den Grabstein sehen. Also setze ich mich, den Pullover auf dem Schoss. Wie warm er ist und wie kühl der Wind. Im Augenwinkel bemerke ich das leichte Zittern meines Nachbarn.
»Ganz schön kalt für Oktober, finden Sie nicht auch?«, höre ich seine raue, knarzende Stimme. Zu viele Zigaretten, zu viel Alkohol.
»Ja, in der Tat«, bestätige ich mehr als kurz angebunden.
Er lässt nicht locker.
»Haben Sie jemanden hier liegen?«
Ich denke noch darüber nach, ob das korrektes Deutsch ist, da macht er schon weiter.
»Schöner Pullover ham Sie da … is bestimmt warm.«
Ich atme tief ein. Mitnichten ein korrektes Deutsch. Aber es ist der Friedhof. Ein Ort der Ruhe. Wir sind alle nur hier, um uns zu erinnern.
»Sie haben recht«, antworte ich ihm. »Das da drüben ist das Grab meiner Frau.«
»Oh, tut mir leid«, kommt aus ihm raus. Er beugt sich nach vorne und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen. »S … o … f …ia … Kons … tan … tin. Sofia Konstantin. Schöner Name«, stellt er fest. »War sie eine schöne Frau?«
Ich nicke. »Wie ein Sonnenaufgang«, fällt mir nur ein. Selbst nach zehn Jahren fehlen mir die Worte für meine Liebe zu Sofia. Aber vielleicht war das bildhaft genug für ihn und meinen Verlust.

»Wann ist sie gestorben? Ich kann das nicht lesen, meine Augen, wissen Sie …«
»Vor zehn Jahren.«
Er rückt an mich heran. Und mit ihm eine Bommerlunder-Wolke. Links von mir ist kein Platz mehr.
»Haben Sie auch einen Verlust zu betrauern?«, lenke ich ab und vermeide es in seine Richtung einzuatmen.
»Ach was«, winkt er ab. »Ich hatte noch nie etwas oder jemanden, also kann ich auch nicht trauern.«
Sein Grinsen ist breit, der Bart verfilzt.
»Warum sind Sie dann hier auf dem Friedhof?«
Es sieht aus, als ziehe er eine Schnute unter dem Gestrüpp in seinem Gesicht.
»Ist schön hier. So friedlich. Keiner will was von mir. Kann ich nachdenken.«
Er sieht wieder zu Sofias Grabstein. Mir fällt das Moos auf und notiere in meinem Gedächtnis, den Friedhofsgärtner nächste Woche mit einer Reinigung zu beauftragen. Vielleicht ein paar winterfeste Sträucher. Rosmarin war Sofias Lieblingsgewürz.
»War ihr Leben schön?«, frage ich ihn unvermittelt und weiß gar nicht, wieso? Woher wohl plötzlich dieser Gedanke kommt? Er seufzt und überlegt lange, kratzt den Bart ausgiebig dabei.
»Hm, ich denke schon … ja, war schön«, bestätigt er dann. Er mustert meinen Pullover. Merino-Wolle und wie neu.
»Wissen Sie was«, sage ich zu ihm gewandt, »der ist für Sie.« Schnell halte ich ihm den Pullover vor die Nase. »Merino, italienische Qualität. Ist zwar schon alt, aber sieht aus wie neu.«
Er streckt sich. Rückt etwas ab von mir und sieht mich mit seinen grauen Augen an.
»Warum? Was muss ich dafür tun?«
Ich bin überrascht. Für einen kurzen Moment. Dann nicke ich mir selbst zu. Woher soll sein Vertrauen auch kommen?
»Nichts. Sie müssen nichts tun. Ist mein Weihnachtsgeschenk für Sie.«
Er räuspert sich und ich muss dabei an eine Dampflokomotive denken.
»Ist doch noch kein Weihnachten, Mann … ihr Kalender geht falsch.«
»Für mich ist heute Weihnachten. Und für Sofia auch. Das hat sie mir vorhin gesagt, als wir zusammen hergelaufen sind.« Er sieht sich verwundert um und ich lege den Pullover auf die Bank, stehe auf, gehe die wenigen Schritte zu ihrem Grab, der Sandsteineinfassung, bücke mich und berühre die Erde. Sie ist kühl und trocken. Als ich mühsam wieder aus dem Kreuz komme und mich umdrehe, ist er weg, mitsamt Pullover. Ich entdecke ihn beim Kaiser-Wilhelm-Denkmal, im Gehen den Pullover überstreifend. Er wird ihn brauchen, vermute ich.

 

Guten Morgen Morphin,
das ist ja was - bin ich die Erste, deine neue Geschichte zu kommentieren, an diesem stürmischen Morgen der klappernden Fensterläden - es ist, als wollte der Wind das Haus vom Berg reißen.
Eine schöne, traurige Herbstwintergeschichte. Mir fällt auf (hatte jüngst deine Weihnachtsgeschichte vom letzten Jahr gelesen), dass in vielen Heinrich-Texten so ein Ton von Einsamkeit herrscht, die vom Erzähler angenommen wird wie eine Grundstimmung des Menschseins. Das spricht mich sehr an.
Zu dem Text: es ist natürlich eine Überraschung, dass er zu sofias Grab geht. Wenn ich die Geschichte zum zweiten Mal sehe, schaue ich nach kleinen Zeichen und finde ihre fast nicht sichtbaren Fußspuren, oder, sehr schön, die Stille, die der Herbstwind in die Stadt fegt.
An einer Stelle bin jedoch sowohl beim ersten als auch beim zweiten Lesen hängen geblieben. Wieso fragt sie hin, ob er sie liebt, fünfzehn Jahre, nachdem sie ihm den Pullover geschenkt hat? Und warum macht ihm die Frage zu diesem Zeitpunkt Angst? Liegt dahinter sein Gefühl, etwas Wichtiges nicht gesagt zu haben, in den fünf Jahren zwischen dem Pullover und ihrem Tod? Hat sie ihn nie gefragt? Oder fragt sie, weil sie dieselbe Antwort immer wieder hören möchte - das würde dazu passen, dass sie (vor allem) seine Liebe zu ihr liebt.
Des Weiteren:
Haben Sie hier jemanden liegen? - Kann man das nicht sagen? Ich würde das so sagen. Aber ich bin auch nicht so firm in Grammatik.
Was ich nicht kannte, und was es aber spätestens seit heute gibt: anschmunzeln. Sehr schön.
Dir einen feinen Tag
Grüße
Placidus

 

Moin @Morphin, und ja, irgendwo ist da Weihnachten drin. Aber eigentlich mehr Romantik, so der Stimmung folgend. Genaugenommen aber egal.

Ich merke beim heutigen zweiten Lesen, wie die Auflösung mich jetzt anders lesen, verstehen lässt. Generell fehlt mir ein bisschen was, vielleicht tatsächlich die "Erklärung", warum es aus Sofies Sicht heute Weihnachten ist. afür entschädigst Du mit einem spannenden Sprachkontrast, zwischen ihrem Gespräch auf dem Weg zum Grab und dem Alltagsgespräch - mochte ich, nachdem ichmich darauf eingelassen hatte.

Im Mahlstrom
Uih, ein gewaltiger Titel, meine Erwartungen gingen in ganz andere Richtungen, aber es ist ja kein Wunschkonzert.

Erst ein Jahr später besuchte ich das Grab zum ersten und einzigen Mal. Bis heute. Nun mit Sofia.
Hier hatte ich ein Bild, das wohl ein Paar zum Friedhof geht, der Protagonist war mir bis dahin zu vage. Wenn die geschichte in einem Buch mit Heinrich-Geschichten steht, ist es natürlich klar, so fehlte mir ein Hinweis.

Ich bleibe stehen, ziehe Jacke, dann Pullover aus und gebe ihn Sofia.
Ja, eindeutig Gentleman.

Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
Da ist er, der Titel. Ich schwanke ein bisschen, denn hier ist es Sofias Mahlstrom, oder. Kann er das überhaupt wissen, also in sie hineindenken?

Ich schmunzele sie an.
Ich finde die Formulierung sehr süß, habe ich noch nie gehört. Schmunzeln ist für mich immer so etwas für sich selbst, in sich hinein. Gefällt mir.

Zerbeulte Gießkannen hängen an einem Metallgestell.
Hier verankere ich die Geschichte in der Vergangenheit, heute hängen dort die bunten Plastikkannen.

Auf Augenhöhe. Nein, auf Mundhöhe. Ich ziehe sie an mich und küsse die fein gefurchten Lippen. Das nachgebende Fleisch zu fühlen, es mit der Zunge zu öffnen, um die ihre zu suchen, ist meine stete Aufnahme in den Pantheon der Götter. Wieder und wieder. Über all die Jahre. Birkenblätter treiben im Wind gegen unsere Schläfen. Ich löse mich und sehe erstaunt Sofias erstarrte Mimik, den noch offenen Mund, die rosafarbene Zungenspitze. Ihre geschlossenen Augen.
Das ist meine Lieblingsstelle. Ich finde, er ist in seinen Gedanken, in seinem Ton mit Sofia sehr romantisch, die Sprache gehoben, aus der Zeit gefallen.

wache Grün ihrer Pupillen erschlägt mich. Groß wie Kastanien
Öhm, waren die Pupillen nicht die schwarzen Knöpfe in unseren Augen und das Bunte die Iris? Und wenn grün, dann eher Eicheln oder Esskastanienhüllen oder Stachelbeeren oder - ah, ich sehe das Problem, alles nicht hübsch oder romantisch. Murmeln?

»Vor dieser Frage habe ich immer Angst, weil ich weiß, dass es keine Worte gibt, für das, was ich für dich fühle. Obwohl ich nicht auf den Mund gefallen bin, komme ich mir sehr ungenügend vor …«
Das hier meine ich mit gehoben, ich empfand es als nicht autenthisch, wenn ich es mir indie heutige Zeit denke, aber das mag auch mein eingeschränkter Sichtbereich sein. Aber als Gedanken in der Erinnerung, ja, ein interessanter Weg.

grüßen beide eine alte Frau,
Auch wenn mir klar ist, das Du die Wahrnehmung von zwei Leuten deulich machen möchtest, ist mir das "beide" zuviel.

Nur der Herbstwind ist um uns und fegt die Stille des Friedhofs über die Birken hinweg in die Stadt
Der Satz und das Bild ist so schön, ich überlege nur, ob ein "durch" nicht noch eindringlicher wäre, die schwingenden, langen Äste, das Zischeln und wispern und leise davonwehen ... nur mein Bild

Ich blicke mich für einen Moment um, ob dort wirklich unsere Spuren zu sehen sind. Aber ja, meine tiefen und ihre kaum sichtbaren Dellen. Unser gemeinsamer Weg.
Finde ich im Nachhinein nicht ganz korrekt. Die verwischten, verschwommenen? Das kaum Sichtbar habe ich als 'sie ist leichtfüßig' gelesen, dennoch sind sie wirklich da.

Der rechte Schuh drückt sich in den Split(t), zieht eine kreisförmige Furche darin.
hinein? Oder ganz ohne.

»Habe ich jemals deine Frage nach Kindern überhört?«
Hier musste ich erst weiterlesen, um zu verstehen, wer fragt (Du weißt, ich bin ungeduldig)

»Deinem verstauchten Knöchel geht es schon wieder ganz gut, oder?«
»Hm.«
Auch wenn es am Beginn steht, wozu brauchst Du es hier? Ich verstehe es nicht, also ihr Hm - weicht sie aus, hat es etwas mit ihrem Sterben zu tun, ist es eine andere Erinnerung? Zuviele Optionen!

»Niemand hat versagt, Heinrich … du liebst dich darin, wie du mich liebst und ich liebe deine abgöttische Liebe zu mir. Aber ist es diese Liebe, die ich brauche? Nach der ich mich sehne?« Sofias Blick ist weich, voller Gnade. Vielleicht auch etwas mitleidig?
Das ist für mich die Kernaussage, aber dafür fehlt mir irgendwo noch ein Gegenpunkt in der Geschichte, eine Erinnerung, eine Version im heute - so ist es einfach eine Charakterisierung.

Ihr Blick verändert sich. Er kommt näher. Ihre Lippen kommen näher. »Und ist meine Liebe die richtige für dich?«, flüstert sie. Der Kuss kommt. Ein anderer als zuvor. Als begänne nun etwas Neues.
Und hier lässt er sie gehen?

Endlich am Grab.
Ne, eigentlich will er da gar nicht hin, das endlich ist da nicht gut ...

Also setze ich mich, den Pullover auf dem Schoss. Wie warm er ist und wie kühl der Wind.
Hie rhabe ich beim ertsen Lesen gestutzt, wann hat sie ihn ausgezogen. Aber es ist eine schöne Verdeutlichung.

Es sieht aus, als ziehe er eine Schnute
Dankeschön! Ich liebe das Wort "Schnute"

Vielleicht ein paar winterfeste Sträucher. Rosmarin war Sofias Lieblingsgewürz.
Naja, in der Pfalz ist Rosmarien winterhart, für den Rest von Deutschland gilt das weniger. Lass einfach das winterhart weg, der Geruch und ihre Liebe dazu sind ja Begründung genug.

»War ihr Leben schön?«, frage ich ihn unvermittelt und weiß gar nicht, wieso?
Hier stört mich tatsächlich das "War" - der Typ ist doch wohl noch recht lebendig, oder?

»Wissen Sie was«, sage ich zu ihm gewandt, »der ist für Sie.« Schnell halte ich ihm den Pullover vor die Nase. »Merino, italienische Qualität. Ist zwar schon alt, aber sieht aus wie neu.«
Dies hier ist mein Gegenbespiel für die verschiedenen Sprachen, das ist der Alltagston, oder?

Ich bin überrascht. Für einen kurzen Moment. Dann nicke ich mir selbst zu. Woher soll sein Vertrauen auch kommen?
»Nichts. Sie müssen nichts tun. Ist mein Weihnachtsgeschenk für Sie.«
Die Stelle mag ich! Ja, genauso ist es im wahren Leben, oft sind die Menschen sofort ernüchtert, enttäuscht, manchmal sogar böse, über die reaktion - aber woher soll es kommen?

Und für Sofia auch. Das hat sie mir vorhin gesagt, als wir zusammen hergelaufen sind.«
Hier fehlt mir dann dieser Teil im Gespräch mit Sofia. Die Frage nach Liebe und Kinderwunsch hat ja nicht sofort etwas mit Weihnachten zu tun.

»Es muss mich nicht wundern«, sage ich zu Sofias Grabstein. »Du warst genau so schnell und geräuschlos verschwunden.«
Ja, so ist es oft, aber stimmt es hier auch? Ich verknüpfe mit schnell und Geräuschlos eher ein "ohne Spuren" - aber das ist es hier nicht. Außerdem lässt Du mich natürlich mit dem Frage zeichen über Sofias Tot zurück.

Ein trauriger Heinricheinblick, wobei ich vielleicht noch viel neugieriger auf Sofia bin.
Beste Wünsche
witch

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin @Morphin,

eine tolle Geschichte! Ich gebe zu, beim ersten Lesen hat es mich nicht so gepackt. Aber die Mühlen mahlten im Hinterkopf und beim zweiten und dritten Mal las ich Deine Geschichte aus ganz anderen Blickwinkeln und ich entdeckte und freute mich an all Deinen sanften und harmonischen Beziehungen im Text, die man so unterschiedlich interpretieren kann, ohne, dass diese sich gegenseitig ausgrenzen. Toll!

»Wie weit ist es noch?«
... bis Weihnachten? Herrlich, wenn man Weihnachten als den noch nicht erreichten Seelenfrieden von Heinrich annimmt. Der Weg zum Grab - die Absolution. Die dramatische Frage: findet er Weihnachten, seinen Seelenfrieden? Und welchen inneren Konflikt trägt er aus?

»Sieh mich an, Sofia.«

Befehlston, selbst wenn man es sanft formuliert. Ich zuerst, du danach. Sein Verständnis: ich sage dir, was du zu tun hast, zu akzeptieren hast, zu verstehen hast. So hat er seine Beziehung vermutlich gelebt, nicht gleichberechtigt. Und als sie starb, hinterliess sie keine Lücke in ihm, weil es bei Heinrich nur Heinrich gab. Gibt auch weitere Sätze, die man in diese Richtung interpretieren kann. Fügt sich zu einem harmonischen Gesamtbild.

Den zitierten Satz hab ich rausgepickt, weil dieser für mich einen klaren Blick auf Heinrich erlaubt. Gleichberechtig wäre für mich "Sofia", zart gehaucht, die Entscheidung ihr überlassend, ob sie die Augen öffen möchte oder nicht.

Und dann wird er alt und merkt, dass es in seinem Leben doch nicht nur Heinrich und Vergängliches gab, sondern auch noch Sofia, die er bis dahin nur als gegeben wahrnahm, dabei war sie doch viel mehr als immer geglaubt. Auf zur Absolution!

So kurz zusammengefasst ... aber es ist nur eine Interpretation, ein Blickwinkel. Und jeder Blickwinkel erlaubt es Deine Sätze neu zu ordnen und zu verstehen.

Sehr gerne gelesen!

Beste Grüße
Kroko

Edit: Deine Heinrich Konstantin Figur kannte ich noch nicht.

 

30. Dezember 2021 und einen guten Morgen, @Placidus, @greenwitch und @Kroko ...

Ja, @Placidus, das ist mal wieder so eine Traumgeschichte. Also bis auf den Mann auf der Bank, der nicht im Traum vorkommt und in dem Fall ein Teil der Auflösung ist.
Heinrich erzählt von einer längst verstorbenen Frau und begegnet ihr auf dem Weg zum Grab. Das Fatale ist, es gibt die Frage nach der Liebe nach so langer Zeit. Nicht nur bei Heinrich, auch anderswo habe ich sie schon zur Genüge vernommen. Man könnte meinen, die Liebenden hätten genug Zeit gehabt, darüber zu reden, sie anzusprechen, Antworten zu finden ... aber das ist nicht immer so. Vor allem nicht, wenn es ein wenig einseitig ist und man(n) sich selbst nie hinterfragt hat.

Haben Sie hier jemanden liegen? - Kann man das nicht sagen?
Ja, kann man so sagen. Es ist ja auch nur der Prot, der sich das in diesem Moment fragt. Lediglich ein kleiner i-Punkt. Wenn er sich schon der Sprache nicht mehr sicher ist, weswegen er auch den Mann eher gestelzt nach eben diesem zurückfragt.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. :) Schönes 2022.

Jop, @greenwitch, Weihnachten ist das Weihnachtsgeschenk, der Pullover. Ja, der Mahlstrom der Geschichte, der Liebe, der Evolution ... Split wurde Splitt. Das zweite Mal "verstauchter Knöchel, also seine "Verlegenheitsfrage" ... er erinnert sich ja jetzt, dass er sich nie wirklich um Sofia bemüht hat sondern in ihrer Liebe gebadet und seine für genug hielt. Vielleicht hat sie ja vor ihrem Tod "kurz angebunden" reagiert und nun weiß er nicht, was er sagen soll, außer ... Knöchel. Die Dellen ... so in Kies oder Splitt, meist einseitig, nach dem Abrollen. Die verwischen ja auch nicht, bleiben, bis der nächste kommt oder der Friedhofsgärtner harkt. Den Pullover hat er schon ausgezogen, auf dem Weg, nur war da niemand, dem er ihn hätte geben können. Er liegt einfach über seinem Arm. Bis zur Bank ist alles Imagination.

Danke fürs Lesen und Kommentieren und ein blühendes 2022 wünsche ich.

Hi, @Kroko,

tja, das ist eine gute Interpretation. Dann merkt er, in welchem Ungleichgewicht diese Liebe war. Er lebte von ihrer Liebe zu ihm und aalte sich in der Gewissheit, sie zu lieben. Zumindest eine Instanz von ihr. Dabei übersah er wohl ihre wirklichen Fragen und Bedürfnisse. Auch sehr passend: der Befehlston. Ja. Kein bitte darin. Oder einfach mal ein Schweigen und zuhören ... ein reflektieren. Am Ende legt er sogar den Pullover ab. Der Gipfel (für mich) der Gedankenlosigkeit. Die Absolution.

Danke fürs Lesen und Kommentieren und ein schönes 2022.

Griasle
Morphin

@all | Gesund bleiben.

 

Hey @Morphin,

Heinrich mal von einer ganz anderen Seite. Ich wusste erst nicht, wie ich die Geschichte einordnen soll, dachte anfangs: Meine Güte, ist das nicht etwas übertrieben, die große leidenschaftliche Romantik nach mehr als zehn Jahren? Dann habe ich mich darüber gewundert, dass er Angst vor der Frage hat, ob er sie liebt. Bin davon ausgegangen, dass er ihr das schon oft gesagt hat. Bis dann klar wurde, dass die ganze Situation nur in seinem Kopf existiert. Damit hast du mich voll erwischt, weil ich nicht damit gerechnet hatte. Und natürlich wirft es ein ganz anderes Bild auf die Gesamtsituation.

Ich lese es so, dass diese große romantische Liebe nur in seiner Phantasie existiert. Also nicht Sophia selbst, sondern dass die Vorstellung ihrer gemeinsamen Zeit sich in seiner Phantasie über die Jahre immer mehr zu einer Art Hollywoodromanze entwickelt hat, die es in der Form nie gegeben hat. Zeitgleich stellt er sich selbst in Frage, und ob er sich mehr hätte reinhängen müssen, als sie noch da war, ihre Frage, ob er sie liebt, vielleicht berechtigt war, weil er sie eher wie einen Engel vergöttert und nicht als echten Menschen gesehen hat.
Wie vorher schon gesagt wurde, wirkt er sehr komtrollierend, auch, dass er darüber nachdenkt, ob der Mann auf der Bank korrektes Deutsch spricht, passt dazu. Denn das ist ja eigentlich egal, er versteht ja auch so, was gemeint ist.

Ich finde diesen Bruch - dass Sophia eigentlich die ist, deren Grab er besucht - ziemlich gut gemacht. Dass er die Beziehung in seinem Kopf immer mehr verklärt, macht ihn menschlich für mich. Gut finde ich auch, dass ich es meiner eigenen Phantasie überlassen kann, wie sie zu Tode gekommen ist. Für die Geschichte ist es nicht wichtig, dass ich das erfahre, und so kann ich die Lücke selbst füllen und mich fragen, ob er etwas mit ihrem Tod zu tun hatte.

und zieht mich wie einen Dackel, der einfach nicht zum Pinkeln kommt, weil seinem Frauchen ständig der Geduldsfaden reißt
Schöner Vergleich


Ich bin glücklich mit dir, Sofia. Ohne Kinder. Wäre aber mit Kindern sicher nicht weniger glücklich. Weißt du, was ich meine? Schönes kann man nicht mit Schönem vergleichen. Alles ist einzigartig.«
So schön das auch klingt, bin ich hier zum ersten Mal über die Substanz dieser Beziehung gestolpert. Als er sie im Kino lachen gehört hat, wusste er sofort, dass er sie liebt, aber sie haben in all den Jahren nie über Kinder gesprochen. Und egal, was gewesen wäre, er wäre glücklich gewesen. Klingt für mich nach Schönwetter-Beziehung, in der wichtige Fragen unter den Teppich gekehrt wurden.

Weil der Mann auf der Bank so plötzlich verschwunden ist, dachte ich erst, der wäre auch nur eine Phantasiegestalt. Dass Heinrich vielleicht sich selbst begegnet und es nach Sophias Tod ziemlich bergab ging mit ihm. Aber dann habe ich gelesen, dass der Mann wirklich existiert, ich kann ihn nur noch nicht so recht einordnen.

Eine melancholisch herbstliche Weihnachtsgeschichte, die ich gerne gelesen habe.

Liebe Grüße und einen guten Rutsch,
Chai

 

Hallo @Morphin,

schön etwas Neues von dir zu lesen. Mir hat das sprachlich sehr gut gefallen, hat bei mir ein gutes Gefühl ausgelöst, das erste Wort, was mir dazu eingefallen ist, war: fein. Ansonsten hat die Geschichte eine melancholische Grundstimmung, aber so richtig hat sie für mich leider nicht funktioniert. Für mich war das ein zu starker Bruch, dass sie auf einmal dann gar nicht existiert. Du hast in meinen Augen so viele Details eingebaut, die ein Bild von ihr zeichnen, sodass ich sie mir wirklich an seiner Seite vorgestellt habe und das kam mir dann irgendwie zu plötzlich. Vielleicht fällt es mir auch einfach schwer, mich von meinem vorgestellten Bild wieder zu lösen und zu akzeptieren, dass sie gar nicht da ist. Bin ich mir nicht ganz sicher, schildere hier meinen ersten Eindruck nach der Geschichte.
Mir ist aufgefallen, dass du zweimal das Wort "Pantheon" und "abgöttisch" eingebaut hast, ist das vielleicht die Vorbereitung gewesen, dass sie gar nicht existiert? Ich hätte hier noch einen etwas sanfteren Übergang gebraucht, vielleicht mehr Hinweise, dass sie gar nicht existiert oder mehr Zweifel an dem Erzähler. Ich gehe im Detail auf meinen Eindruck ein:

»Wie weit ist es noch?«
Sofias Stimme dringt kaum durch das an- und abschwellende Rauschen der hellgelben Birkenblätter.
Du steigst in medias res ein und ich habe ein Rauschen im Ohr und eine leise Frauenstimme.

»Du hättest nicht mitgehen müssen. Ich glaube nicht, dass es deinem verstauchten Knöchel gut tut.«
Der Prota spaziert mit Sofia, die einen verstauchten Knöchel hat und sie gehen zum Grab:

Vor zehn Jahren war die Beerdigung. Erst ein Jahr später besuchte ich das Grab zum ersten und einzigen Mal.
Hier wird dann die Beerdigung erwähnt und ich frage mich, von wem es wohl das Grab sein wird? Mein erster Eindruck war, dass es wohl das Kind der beiden sein könnte und sich die Mutter daher trotz Verletzung zum Grab begibt, weil es ihr so wichtig ist.

»Weihnachten vor fünfzehn Jahren«, rufe ich ihr ins Gedächtnis. Sofia legt den Kopf schräg und lauscht. Vielleicht dem sanften Wind ihrer Erinnerung. Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
Das fand ich wundervoll geschrieben, hat mir gefallen und daran mache ich diese feine Sprache fest, die ich weiter oben angesprochen habe.

»Gehen wir weiter«, sagt sie nach einer Weile und streckt den Oberkörper. »Jetzt ist mir schön warm.«
Durch den Pullover wird ihr wieder warm, hat mir gefallen, wie fürsorglich Heinrich ist, wie liebevoll.

Endlich sind wir am Rondell, grüßen beide eine alte Frau, die alleine auf einer Bank sitzt und fünf unerschrockene Raben zu ihren Füßen mit Brotkrumen füttert.
Die fünf Raben haben mich beim ersten Lesen etwas rausgeworfen. Was genau ist die Funktion? Kündigen sie den Tod an oder habe ich etwas überlesen?

Sofia sieht nicht hin, folgt nicht meinem Finger mit ihrem Blick, sieht nur auf ihre Schuhe. Schritt folgt auf Schritt. Der Split gibt leicht nach, kleine Kuhlen entstehen. Ich blicke mich für einen Moment um, ob dort wirklich unsere Spuren zu sehen sind. Aber ja, meine tiefen und ihre kaum sichtbaren Dellen. Unser gemeinsamer Weg.
Hier werden dann die Spuren beschrieben und du sorgst ja auch noch einmal dafür, dass ich als Leser wirklich glaube, dass die beiden zusammen unterwegs sind. Schließlich hinterlässt sich ja doch sichtbare Dellen, auch wenn sie nicht so tief sind wie seine. Für mich hat das in ein Bild einer vorsichtigen, introvertierten Person gepasst - vielleicht war mir daher der Bruch zu stark, weil ich mir wirklich eine Frau vorgestellt habe.

Stand ich etwa seit jeher alleine im Pantheon?
Hier wird zum zweiten Mal "Pantheon" erwähnt, scheint wohl sehr wichtig zu sein? Habe es gegoogelt und eine antikes Heiligtum in Rom gefunden, das den Göttern geweiht war. Ist das vielleicht ein Hinweis darauf, dass es nicht real ist? Dazu würden dann auch die fünf Raben passen, die ja auch mit Odin verbunden sind? Aber ich glaube, das waren nur zwei, oder? Ich war mir nicht ganz sicher, was der Götterbezug genau darstellt.

»Niemand hat versagt, Heinrich … du liebst dich darin, wie du mich liebst und ich liebe deine abgöttische Liebe zu mir.
Hier wieder die "abgöttische" Liebe. Bei mir ist angekommen, dass Götter sehr wichtig sind und ich habe in dieser Hinsicht noch etwas erwartet, hatte es aber nicht direkt damit verbunden, dass die Frau, Sofia, gar nicht existiert.

»Schöner Pullover ham Sie da … is bestimmt warm.«
Schnell halte ich ihm den Pullover vor die Nase.
Wieso verschenkt er den Pullover einfach so? Ist ihm der nicht heilig? Ich meine, wenn er so an seiner Frau hängt und sie sich sogar so detailliert vorstellt, würde er den Pullover dann einfach so verschenken?

»Für mich ist heute Weihnachten. Und für Sofia auch. Das hat sie mir vorhin gesagt, als wir zusammen hergelaufen sind.«
Der Grund ist dann hier gegeben, Weihnachten, das Fest der Nächstenliebe.

Insgesamt finde ich das sprachlich großartig, hatte allerdings für mich dieses Bild der Frau im Kopf und war daher dann etwas rausgeworfen, als sie überhaupt nicht existiert. Konnte dieses Bild nicht so gut loslassen. Hoffe, dass dir dieser Leseeindruck weiterhilft.

Beste Grüße
MRG

 

Gut, der Twist kommt ziemlich unvermittelt, aber die Idee dahinter (wenn auch nicht neu), mag ich.
Meiner Meinung nach würde der Text gewinnen, wenn du ihn um mindestens ein Drittel kürzt, mehr Luft in den Dialogen und dem Begleittext lässt und dadurch der Zärtlichkeit mehr Raum gibst.

Textstellen

Sofias Stimme dringt kaum durch das an- und abschwellende Rauschen der hellgelben Birkenblätter.
musste ich dreimal lesen und wurde für mich erst verständlich, als ich verstanden habe, dass Sofia längst tot ist. Vielleicht wär's gut, die Stimmen der Geister deutlicher als solche zu beschreiben, zum Beispiel durch einen Gegenpunkt: Wie leise die Blätter rauschen, wie still, aber dazwischen höre ich...
Ich bleibe stehen, ziehe Jacke, dann Pullover aus und gebe ihn Sofia.
»Hier, nimm bitte den Pullover.«
ließe sich streichen und ähnlich auch anderen Stellen
Vielleicht dem sanften Wind ihrer Erinnerung. Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
der Erinnerungen, der Stimmen... aber schöner Satz, schönes Bild
»Liebst du mich, Heinrich?«
»Vor dieser Frage habe ich mich gefürchtet. Genau in diesem Moment. Als hätte ich gewusst, dass du sie jetzt stellst.«
sehr geschwätzig, klingt unnatürlich, würde ich kürzen
»Vor dieser Frage habe ich immer Angst, weil ich weiß, dass es keine Worte gibt, für das, was ich für dich fühle. Obwohl ich nicht auf den Mund gefallen bin, komme ich mir sehr ungenügend vor …«
hier genauso
»Gehen wir weiter«, sagt sie nach einer Weile und streckt den Oberkörper. »Jetzt ist mir schön warm
auch hier Potential zum Kürzen
Der Split gibt leicht nach, kleine Kuhlen entstehen. Ich blicke mich für einen Moment um, ob dort wirklich unsere Spuren zu sehen sind. Aber ja, meine tiefen und ihre kaum sichtbaren Dellen. Unser gemeinsamer Weg.
mm, weiß ich nicht, was ich von halten soll, das Bild ist gut, aber doch etwas ausgetreten, würde ich auch einkürzen.
Stand ich etwa seit jeher alleine im Pantheon?
Warum Pantheon?
»Niemand hat versagt, Heinrich … du liebst dich darin, wie du mich liebst und ich liebe deine abgöttische Liebe zu mir. Aber ist es diese Liebe, die ich brauche? Nach der ich mich sehne?«
sehr kompliziert ausgedrückt, auch das hat Kürzungspotential
Er nickt mir ein unrasiertes, struppiges Lächeln zu.
wie geht das?
Als ich mühsam wieder aus dem Kreuz komme und mich umdrehe, ist er weg, mitsamt Pullover. Weit und breit nicht zu sehen. Dass jemand so schnell und geräuschlos verschwinden kann …
hier auch
»Es muss mich nicht wundern«, sage ich zu Sofias Grabstein. »Du warst genau so schnell und geräuschlos verschwunden.«
bisschen banal das Ende, zumal ihre Stimme, ihr Geist ihn begleitet.

Liebe Grüße und einen bojarski-mäßigen Start ins neue Jahr
Isegrims

 

Sie ist so groß wie ich. Auf Augenhöhe. Nein, auf Mundhöhe.
[…]
Endlich sind wir am Rondell, grüßen beide eine alte Frau, die alleine auf einer Bank sitzt und fünf unerschrockene Raben zu ihren Füßen mit Brotkrumen füttert. Krächzend hüpfen sie auf die umherliegenden Brotreste zu, picken und freuen sich. Ein Festessen. Sofia lacht. Leise und verhalten, um die Raben nicht zu erschrecken.

Warum wähl ich diese beiden Sätze zu Eingangszitaten?,

wirstu Dich (oder wer auch immer) fragen,

bester Morphin,

zum einen bedeutet die gleiche Größe, dass beide Personen „buchstäblich“ auf natürliche Weise „gleich gestellt“ sind, keine muss zur andern aufsehen, keine kann auf die andere herabschauen
und
Rabenvögel, insbesondere Kolkraben sind nicht grundlos Ratgeber Odin/Wotans – sie gelten inzwischen von ihrer Intelligenz her als den Menschenaffen ebenbürtig und sie leben – wie alle andern Krähenvögel auch – in sozialen Verbänden und leben monogam, ein ganzes Leben lang, können also auch als Symbol der Treue gelten, zwo Symbole also, die im gesellschaftlichen/öffentlichen Leben heutigentags nicht unbedingt als selbstverständlich gelten –

und hier geht die Beziehung noch wesentlich über die Floskel „bis dass der Tod Euch scheidet“ hinaus.

Bissken Flusenlese

Du hättest nicht mitgehen müssen. Ich glaube nicht, dass es deinem verstauchten Knöchel gut tut
„guttun“, ein Wort

Keineswegs falsch, aber ist hier

Ich horche in mich hinein. Wie lange war ich schon nicht mehr hier gewesen?
„gewesen“ nicht nahe beim „verwesen“ und einer lebendigen Sprache nicht eher entbehrlich? Verliert die Frage „wie lange war ich schon nicht mehr hier“ bei ausgeschlossener Partizipienreiterei ihre Bedeutung, ihren Sinn?
Eher nicht ...

»Und er ist auch noch so schrecklich kalt«, setzt sie nach.

»Hier, nimm bitte den Pullover.«
Nun bin ich bei Dear auch auf dem Kreuzzug „rettet das Ausrufezeichen“, denn das Fragezeichen wird ja fleißig gesetzt, wiewohl der Imperativ mit Verachtung und Verschweigung - für was auch immer – mit Ausschluss gestraft wird

Nickend legt sie den Mantel über meine Schulter und streift sich den Pullover über.
Besser „über meine Schultern“, sonst solltestu genauer die linke oder rechte Schulter benennen ...

Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
Erst hier wird mir der heftige Strudel in nordischen Gewässern, als der ein Mahlstrom an sich definiert wird, einsichtig ...

Sie sagt nichts, hakt sich umso fester unter, drückt meine Hand mit ihrer.
Warum dieser Appendix –
oder gäbe es eine weitere Hand, die seine drücken könnte ...

Gern gelesen und -
bevor's schon wieder vorbei ist -

alles Gute zum N/neuen Jahr!, vom

Friedel

 

@Chai
Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Bin jetzt noch mal drüber, die neuen Kommentare zur Hand genommen. Hat sich bissken was verändert. Ja, nachträglich romantisierend, wie es die Menschen gerne tun. Sich selbst ein wenig in den Götterstatus erheben, in den Pantheon der Besten aufgenommen. Der Mann auf der Bank ist nur ein Ankerpunkt ins reale Jetzt.

Mon @MRG,
Wie kann ich mich selbst erhöhen, so dass ich in den Pantheon komme, über den Normalsterblichen ... also dann weißt du ja, was du zu tun hast, wenn du mal die Ewige Stadt besuchst. Beim Eintreten wirst du umgehend wissen und spüren, was gemeint ist.
Ich muss vielleicht mal mit der Vorstellung aufräumen, ich wüsste immer, was ich schreibe. Hier habe ich die Feder nur physisch gehalten und habe meine Gedanken und Gefühle treiben lassen; wie ein Spielzeugfloß im Bach. Die Interpretation habe ich dann euch überlassen. Es hätte auch alles anders kommen können. Das ist so ähnlich wie Schrödingers Katze. Betrachten wir den Ort, ham wir keine Ahnung vom Impuls - und umgekehrt. Wann wird aus den Worten eine Geschichte in meinem Kopf - und wie? Mithilfe eigener Erfahrung ?Oder durch viel Bücherlesen?

Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Salut @Isegrims
Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren. Hab noch so einiges geändert, nicht viel, aber an paar der von dir markierten Stellen. Wie schon o.a. habe ich mich einfach treiben lassen. Ohne Plan. Mal sehen, was rauskommt. Pantheon deshalb, weil die Menschen sich selbst gerne überhöhen; so im Nachhinein sich besser machen, ihre Rolle herausputzen, die Erinnerungen verschönern. Das banale Ende gefällt mir gut, weil die meisten Enden banal sind. Literarisch wohl eher weniger anspruchsvoll, aber das war nicht mein Ansinnen.
Bleib gesund.

@Friedrichard
Besten Dank fürs Lesen und Kommentieren und gesundes 2022. Verbesserungen durchgeführt. Ja, die Raben ... also seit ich Landwirt war und sie mir dauernd um die Ohren flogen auf dem Acker, sind sie mir ans Herz gewachsen. Deswegen kommen sie ab und zu vor, aber ohne jegliche Hintergedanken. Einfach als treue Begleiter der Menschen. Und den Mahlstrom ... das ist einfach ein wunderschönes Wort mit großem Bedeutungspotential. Im Mahlstrom der Erinnerung(sschnipsel)en wird so manche Realität zermahlen und zu einer Fiktion neu zusammengesetzt. Was uns auch manchmal dazu bringt, die Leiter im Pantheon anzulehnen und einen Platz dort oben einnehmen zu wollen.

Griasle
Morphin

 

Lieber Morphin,

durch die Struktur des Textes wird man ja regelrecht dazu getrieben (oder gezwungen, wenn man den Ehrgeiz hat, ihn zu "verstehen", auch wenn er einen nicht einnimmt), ihn zweimal zu lesen. Ich jetzt das dritte Mal.
Diese "unreale Szene", dass er mit ihr unterwegs ist, obwohl sie nur in seinen Gedanken mitschwebt, ist mir innerhalb des gesamten Settings zu real dargestellt. Das hat für mich - verzeih mir bitte, bitte den Ausdruck - eine Art von Veräppeln, denn ich kann als Leserin überhaupt nicht die Metaebene einnehmen, Heinrich mit Sofia als Geist wahrzunehmen, erst nach der Auflösung. Das macht für mich den Text eindimensional in der Ausführung, wenn du schon im Plan hattest, den Lesern nicht die Möglichkeit zu geben, das innerhalb des Spaziergangs evtl. aufzuklären, dass das Fiktion ist - je nach Hinweisen oder Bildern, die du streust.

Für mich nimmt das die Kraft des Textes, mich um die eigentliche Intention zu kümmern, weil ich mich an Formalien aufhalte, die ich versetzt entdecke. Ich hätte es in der Ausführung raffiniert gefunden, wenn ich beim zweiten Lesen Stellen entdecken hätte können, bei denen ich sagen muss: Okay, mit aufmerksamerem Lesen hätte ich drauf kommen können, dass Sofia gar nicht an seiner Seite ist.

Nun gut, du wolltest den Aufbau so und mich hat es daran gehindert, mich noch mehr auf den Text einzulassen, aber letztendlich kann es auch sein, dass dann die Tiefe der Fragen (Liebst du mich/war die Kinderlosigkeit ein Problem für dich?) nicht so nah gewesen wären, wenn ich vermutet hätte, es wäre nur eine Phantasieszene. Aber genau das waren dann für mich letztendlich die wenigen Schlüsselszenen: Heinrich hatte Gewissensbisse, ein paar wichtige Details einer Beziehung nicht bei Lebzeiten geklärt zu haben.

Der Titel ist für mich wenig "schmissig", weil er konstruiert ist und gibt kein Bild her noch eine Intention, wo es in der Geschichte hingehen könnte.

Was mir noch auffiel:


Stand ich etwa seit alleine im Pantheon? Ohne sie?

Irgendwas fehlt da im Satz.

Ich bleibe nicht stehen, obwohl mich die Frage ebenso trifft, wie die nach meiner Liebe.
Meiner Ansicht nach ist das letzte Komma unnötig.


Diese Erkenntnis rutscht wie heißer Stahl meine Kehle hinab, lässt mein Herz schneller klopfen.
Für mich ein wenig passendes Bild mit dem heißen Stahl, der rutscht. Wenn schon so pathetisch, dann sollte das fließen.
Ich schmunzele sie an.
Das hat schon mal jemand angesprochen, ich kenne anschmunzeln auch nicht, sondern nur in mich rein.


der Bart verfilzt.
Es sieht aus, als ziehe er eine Schnute unter dem Gestrüpp in seinem Gesicht.
Er nickt mir ein unrasiertes, struppiges Lächeln zu

das ist mir wirklich zuviel Aufmerksamkeit auf den ungepflegten Bart

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo @Morphin,

danke für die schöne, feinnervig erzählte, wenn auch etwas verrätselte Geschichte.

Ich gestehe, dass es der erste "Heinrich-Text" ist, den ich vor Dir gelesen habe, und ich musste ihn auch nicht mehrmals lesen, um ein Bild zu bekommen.: Beim Gang an ihr Grab nimmt der Witwer seine vor zehn Jahren verstorbenen Frau in Gedanken mit. Sie unterhalten sich, wie es jüngere und ältere Ehepaare eben so machen, über wichtige Fragen ihrer Beziehung (Liebst du mich? Kannst du mit mir auch ohne Kinder glücklich sein?). Als sich der Protagonist dem Grab nähert, erfährt der Leser, dass die Frau nur in seiner Phantasie dabei war, in der Realität ist nur ein Obdachloser in seiner Nähe (Eine Anspielung? Ist er nach dem Tod seiner Frau etwa sozial oder psychisch abgestürzt?). Diesen plötzlichen Bruch zwischen Phantasie und Wirklichkeit finde ich auch etwas hart, aber ich bin ihn "mitgegangen" und er macht den besonderen Reiz Deiner Geschichte aus.

Gestolpert bin ich dagegen über Deinen Titel, und zwar gleich zweimal: Vor der Lektüre hatte ich eine Gruselgeschichte à la E-A. Poe oder einen Science Fiction à la Jules Verne, aber bestimmt keine surreale Liebesgeschichte erwartet. Und nach der Lektüre bekam ich Zweifel, ob ich Deine Geschichte richtig verstanden habe. Warum? Mit dem Bild eines Mahlstroms, des Schiffe verschlingenden Gezeiten-Stroms im Norden Norwegens, verbinde ich im literarischen Sinn einen Strudel, aus dem eine Person nicht mehr aus eigener Kraft herauskommt. Der Held verstrickt sich in unheilbringende Handlungen oder in Gedanken, in die er sich immer tiefer hineinmahlt. Mich würde zunächst interessieren, ob ich in die gleiche Richtung wie Du assoziiere? (Manchmal liegt ja auch der/die Leser/in falsch.)

Falls Du mit dem Mahlstrom tatsächlich die Verstrickung von Heinrich in seine Gefühls- und Gedankenwelt gemeint haben solltest, müsste ich die Geschichte ganz anders interpretieren: Haben die genannten Fragen in Heinrichs Beziehung jemals eine Rolle gespielt, oder spielen sie sich erst jetzt in seiner Phantasie ab? Was ist seine Motivation, wenn er seine Beziehung immer wieder reflektiert (oder gar neu erfindet?), geht es etwa um innere Bewältigung des Erlebten?

Da ich ungern "dumm sterbe", würde ich mich über eine Aufklärung freuen.

Liebe Grüße,
A. Martin

P.S.: Entschuldige bitte, dass ich, anders als üblich, auf Textarbeit und redaktionelle Hinweise erst einmal verzichtet habe, solange ich noch an dieser Nuss knacke.

 

»Wie weit ist es noch?«
Sofias Stimme dringt kaum durch das an- und abschwellende Rauschen der hellgelben Birkenblätter.

Moin,

ich würds, glaube ich, umdrehen. Zuerst die kurze Verortung, dann der Dialog. Weiß man, wo man ist und die beginnst nicht mit einem Dialog.

Du hättest nicht mitgehen müssen. Ich glaube nicht, dass es deinem verstauchten Knöchel guttut.«
Vielleicht sollte er das als Erstes sagen. Er spürt und merkt quasi ihre Frage.
»Mir ist nur kühl. Das mit dem Fuß ist nicht so schlimm. Wir gehen ja langsam.«
Less is more.

»Weihnachten vor fünfzehn Jahren«, rufe ich ihr ins Gedächtnis. Sofia legt den Kopf schräg und lauscht. Vielleicht dem sanften Wind der Erinnerungen. Den Bildern in diesem Mahlstrom aus Gedankenschnipseln, Formen und Farben.
Ich bin ja ein schwerer Anhänger von gewissen Schreibregeln (die ich dann selber in schöner Regelmässigkeit breche!) Elmore Leonard meinte mal: nichts anderes benutzen als sagen. Du machst das oft, dass du etwas anhängst, was verdeutlichen soll, was die Person meint. Ich finde, du nimmst dann immer dem Gesagten, dem Tatsächlichen, die Tiefe. Das ist auch in einem Sinne doppelt gemoppelt. Du rufst etwas ins Gedächtnis und dann produzierst du für den Leser diese Bilder, weißt du, was ich meine? Das ist so eine entweder/oder Sache, wie ich finde. Ich denke, nur die Bilder an sich reichen.
Zerschlissene Gießkannen hängen an einem Metallgestell.
Hier: Können Gießkannen zerschleissen? Ich habe da Kunststoff oder Stoff im Kopf, aber kein Metall oder so, oder sind die Gießkannen aus Kunststoff? Ich weiß nicht, irgendetwas passt da in meinem Kopf nicht zusammen, aber vielleicht bin auch nur ich das.

»Liebst du mich, Heinrich?«
Müsste es nicht heißen: Liebst du mich noch? So lese ich das bis jetzt, es ist ein Paar mit Vergangenheit, du baust da ja auch die Backstory zu auf. Das wäre dann doch die passendere Frage, oder?

Das nachgebende Fleisch zu fühlen, es mit der Zunge zu öffnen, um die ihre zu suchen, ist meine stete Aufnahme in den Pantheon der Götter. Wieder und wieder. Über all die Jahre. Birkenblätter treiben im Wind gegen unsere Schläfen. Ich löse mich und sehe erstaunt Sofias erstarrte Mimik, den noch offenen Mund, die rosafarbene Zungenspitze. Ihre geschlossenen Augen.
Das ist für mich persönlich schon hart an der Grenze. Mit solchen Szenen ist es wie mit Filmmusik, da brauchst du Hans Zimmer oder Stille. Da soll ja eine Sinnlichkeit aufgebaut werden, aber im Grunde schwirrt da immer noch diese Frage herum, deswegen weiß ich nie, wie ich da emotional investieren soll, denn sie stellt die Frage und er schwurbelt über Küsse und das Pantheon der Götter - sag ich mal so rotzfrech. Er beantwortet die Frage mit einer Handlung, das ist an sich schon sehr gut gelöst, aber es ist dann direkt so ein Superlativ, Pantheon der Götter etc, da stellt sich mir die Frage, warum muss sie ihn fragen, ob er sie liebt? Das ist etwas verwirrend, da würde ich mir mehr Eindeutigkeit wünschen, ich kann gar nicht sagen, wie das aussehen sollte, vielleicht entschiedener, die Geste stärker, überzeugender. Und dann: Warum die Birkenblätter GENAU gegen die Schläfen geweht werden? Perfekter Zeitpunkt, wie? :D Also, das wirkt dann fast schon überpräzise, bzw inszeniert und konstruiert. Da spürt man eben auch, wie der Autor dahinter steht, und ich will ja gar nichts sagen, ich bin da auch total anfällig für, man sucht diese Szenen natürlich auch, um eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen, doch ich habe festgestellt, wenn der Text einmal fertig ist und reift, und man ihn in cold blood überarbeitet und liest, sticht das heraus, da spürt man den Versuch, das diese Sätze dann wie Schachfiguren funktionieren.

»Ich komme mir sehr ungenügend vor, weil ich noch nie die richtigen Worte für meine Gefühle gefunden habe …«
Das sagt er. Sagt er das so? Ich meine, wenn das eine wirkliche Beziehung ist, was ja über das Geschenk impliziert wird, die Dauer, bzw das Andauernde, dann werden die da ja schon mal drüber gesprochen haben. Über die Unfähigkeit, seine Gefühle auszudrücken. Da wäre dann mehr intersubjektives Wissen vorhanden, er würde oder müsste doch etwas sagen wie: Es ist wie es ist, es hat sich nicht geändert. Du weißt, wie das bei mir ist. Das hier ist ein bisschen wie in einem Drehbuch, Exposition durch Dialog. Ich habe neulich ein gutes Interview mit Taylor Sheridan gesehen, der zuerst Schauspieler war und dann Drehbuchautor wurde. Er sagt, er hasst diese Expositionsversuche durch Dialog, weil er das als Schauspieler immer machen musste und erklärte auch genau warum. Ich habe immer gedacht, ich passe da drauf auf, dass ich in meinen Texten so wenig Exposition wie möglich anwende, aber wenn man genau hinguckt, verrate ich auch immer noch viel zu viel. Es herrscht ja eine gewisse Unsicherheit und Sprachlosigkeit vor, hier im Text, zwischen den Figuren, und ich finde, das müsste man auch tatsächlich spüren, sich erlesen. Bei Carver sind die Figuren auch immer super maulfaul, oder bei Kjell Askildsen, und die reden auch permanent aneinander vorbei, was interessante Dialoge ergibt, doch was beiden gemeinsam ist, sie sind sehr nah an der Wirklichkeit ihrer Charaktere, auch sprachlich.

Sie ist nicht glücklich, denke ich. Ist mir das zuvor schon einmal aufgefallen? Stand ich etwa seit alleine im Pantheon? Ohne sie?
Das glaube ich dem Heinrich nicht. Natürlich weiß er das, oder er ist ein eiskalter Narzisst der nur auf seinen eigenen Nabel schaut bzw geschaut hat. Die Konfiguration der Dialoge aufgrund des gemeinsamen Erfahrungsschatzes ist in meinen Augen unwahrscheinlich. Sie haben da sicher schon einmal drüber gesprochen, sie haben dazu eine Meinung. Wenn du einen Moment der Verunsicherung zeigen möchtest, im Sinne von: Ich weiß nicht, vielleicht hätten wir doch Kinder haben sollen? Dann müsste das Gespräch anders aussehen, weißt du, was ich meine?

Und dann der Twist. Ich weiß nicht. Erstens die Imagination, dann das Geschenk. Beides ist mir zuviel. Ich war schon in einem Truffaut-Film gedanklich, und dann endet es wie in einem
M. Night Shyamalan Film. Nein!!! :D Ich denke, alles davor ist auch nur spekulativ. Wir wissen ja nicht, ob der Erzähler verlässlich ist. Wir wissen nichtsüber ihn, wir kennen objektive Aussagen nur von diesem Typen, der da auf dem Friedhof seinen Kater auskuriert und nachdenkt. Was Heinrich sich vorstellt, ist eben nur Vorstellung, die vielleicht sogar ausschließlich auf seinem Willen beruht. Das ist auch eine Konstruktion, die man so erwartet - hätte er jetzt gedacht, bwz sich Gründe imaginiert, warum sich er immer in der Beziehung durchgesetzt hat, dann wäre es eine späte Rechtfertigung. Oder du drehst es um: Eine Art Reuebekenntnis, ein Reüssieren über verpasste Möglichkeiten. Das Loslassen wird ja durch das Verschenken des Pullovers symbolisiert. Vielleicht könntest du den Dialog davor noch etwas ausbauen und einiges einfach verschieben, zwischen den Parteien verhandeln lassen, der Fremde und er, kurz und knapp. Ich weiß nicht, vielleicht wäre das ergiebiger in dem Sinne, das es in der Wirklichkeit passiert, dass er sich da wirklich öffnen und offenbaren muss, und ich als Leser auch weiß, das ist keine Spekulation, sondern Realität.

Gruss, Jimmy

 

Salut @bernadette, @A. Martin, @jimmysalaryman, @Placidus, @greenwitch, @Kroko, @Chai, @MRG, @Isegrims

(Bernadette, du bist noch hier ... das freut mich. Lange nicht mehr "gesehen". Hoffe, alles ist gut ...)

Vielen Dank für Eure Kommentare. Ich habe mich entschlossen, den Text noch mal zu überarbeiten. Komplett. Also viel ändern. Um nicht zu vergessen, was ich geträumt hatte, bin ich an jenem Tag früh aufgestanden und hab es in einem Rutsch runtergeschrieben, bevor die Bilder verblassen konnten. Was mir dieser Traum sagen sollte/wollte oder ob er nur eine Aneinanderreihung loser Bilder war, bleibt ein Rätsel. Ein Mahlstrom von visuellen Fetzen wohl, abgelegt im "Reste-Ordner" im Kopf vielleicht. Aber ich kann mir vorstellen, woher der Gedanke kam, aufzustehen und es aufzuschreiben. Jedenfalls sind Eure Gedanken, Anregungen, Ideen, Vorschläge usw. gut und notwendig. Deswegen werde ich den Mod bitten, mal zuzumachen, damit ich im Laufe der nächsten Tage mal die Sache durchackern kann. Ausmisten also.

Vielen Dank für die Unmengen an Gedanken und Mühe.

Grüße
Morphin

 

Für Überarbeitung vorübergehend geschlossen.

 
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