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Im Raub der Hoffnung

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07.06.2020
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Im Raub der Hoffnung

Lu zog die schwere Tür hinter sich zu, drehte den Schlüssel zweimal, bis ihr das Einrastgeräusch des Schlosses versicherte, dass sie das Büro nun übers Wochenende sich selbst überlassen konnte. Feierabend: ein unpassendes Wort wie sie fand, denn feierlich mit Sekt und Party den Abend ausklingen lassen, käme ihr nie in den Sinn. Sie steckte den Schlüssel in ihre Manteltasche, sah kurz auf ihr Handy, atmete tief aus und ließ schließlich das Smartphone in ihrem Innenmantel verschwinden. Ihre Gesichtszüge entspannten sich. Keine Nachricht.
Draußen roch es nach frischer Abendluft: feucht-belebend und erdig-warm. Verwunderlich, waren die Straßen längst mit rußausstoßenden Fahrzeugen wie Bussen befüllt, die mit ihren Abgasen die Luft verstäubten, nur einige wenige Elektrogefährte ausgenommen. Rote PKW-Rücklichter schlängelten sich surrend von Ampel zu Ampel durch den engen Verkehr und während Lu ihren Mantel um ihre zarte Figur schloss, schepperten die Fahrzeuge auf der Autobahnbrücke über den eisgefrorenen Beton. Sie lief stadtauswärts. Neongekleidete Radfahrerkolonnen, die sie links und rechts überholten, missbrauchten mit ihrer Fahrweise die drängenden Fußgänger als Parcourhindernisse. Ihnen auszuweichen fiel Lu nicht schwer. Angelangt an der nächsten Fußgängerampel, hatte sich dort bereits ein wartendes Menschen-Fahrrad-Rudel gebildet. Hupen, Gerede, Motorengeräusche, Kinderplärren, Musik, Handytöne, Bremsenquietschen, Fahrzeugschall, dröhnen, donnern, krachen. Es war Rush Hour. Zu keiner Zeit am Tag strotzte die Stadt mehr vor Energie und Lebenskraft. Im Schein der Straßenlaternen erkannte sie feinfädrigen Niesel, der sich ungefragt freundlich auf ihren Schultern absetzte. Sie mochte diesen wirren, inneren Moment, der nur ihr gehörte: die Anonymität jeder ihrer Schritte, den Atem des vollendeten Tages, das schwere Pulsieren der Metropole. Vorhersehbare Augenblicke.
Sekunden, in denen sie frei war.
Unter ihrem blauen Stoffmantel begann Lu zu frösteln. Die Trägheit des Arbeitstages, bei dem nichts Besonderes geschehen war, ermüdete. Unsortierter Papierkram und anstrengende Telefonate lähmten sie. Kunden, die sich beschwerten aber auch einige, die dankbar waren. Sich nichtige Neuigkeiten austauschende Kollegen und Vorgesetzte, welche den Tag aus Strategiestrudeln und Zielzwingen in sein gewohntes Korsett schnürten. Doch diese Dinge berührten sie längst nicht mehr.
Die Ampel zeigte Grün und ein ohrenbetäubendes Hupen riss Lu aus ihren Gedanken. Der Menschenauflauf hatte sich ohne sie in Bewegung gesetzt. Sie zog den Wollschal fester um ihren feinen Nacken, spürte seine flaumigen Maschen und freute sich auf den Abendausklang. Sie lief den schmalen, metallumzäunten Fußweg unter der Brücke entlang und gelang schließlich zu der Stelle neben dem Betonpfeiler, an der sie ihren hellblauen Fiesta morgens abgestellt hatte. So wie sie den Wagen verließ, fand Lu ihn wieder vor. Normalerweise.
Nur nicht heute.
Lu‘s Schritte verlangsamten sich, als das sonst gewohnte Bild ihres Wagens heute ein völlig anderes war. Sie konnte nicht fassen, was sich da vor ihr Augen abspielte. Ein paar Leute standen um das klägliche Objekt versammelt und machten Fotos mit ihrem Handy. Lu hielt den Atem an. Ihre schweißnassen Hände blieben in ihrer Manteltasche, die Arme leicht zitternd an den Körper gedrückt. Das Herz unter dem dünnen Stoff pochte wild und ihr Gesicht ergraute.
Das LED-Licht unterhalb der Brückendecke beleuchtete ein trauriges Objekt, überzogen von einer schwarzen, zäh-klebrigen Masse, die dunkle Flecken auf dem Pflastersteinboden bildete und es war unmöglich zu erschließen, um was für ein Fahrzeug es sich mal gehandelt haben musste. Das Dach war linksseitig aufgeschlitzt, die Teermasse hatte sich im Innenraum ausgebreitet, fraß gierig Stoff und Verkleidung. Kofferraum, Windschutzscheibe, Leuchten, Nummernschilder waren nicht mehr zu identifizieren. An den Außenspiegeln kleckerte der mächtige Brei giftige Tropfen zu Boden. Tiefe Risse klafften aus den Reifen, zerschnitten, hineingestochen, die Felgen mit Teer besprenkelt. Schwarz-brauner Sud durchfloss die noch so feinste Ritze und war in jede Öffnung gedrungen, verklebte und verschlung jeden Teil des unter ihm befindlichen Metalls. Das was sich da vor ihr zeigte, passte nicht ins Spiel, aber das war es nicht, was sie verwirrte.
Jemand rief etwas von Polizei. Der Wagen war ohne entsprechenden Schutz der Hände nicht zu berühren. Unter der Betondecke der Brücke hing süßlich-schwerer Geruch, der Lu noch stärkere Übelkeit verursachte. Sie trat einen Schritt zur Seite, um sich am Pfeiler abzustützen.
So ein Szenario hatte sie nicht erwartet. Die üblichen Vorstellungen waren ärgerlich, aber harmlos. Dies hier hatte die Grenze deutlich überschritten. Sie hielt sich den Kopf und keuchte, als ein Passant ihren Arm fasste und seine Hilfe anbot.
Sie reagierte nicht, denn da war auch noch was anderes. Ein Detail, das sie erst jetzt erfasste. Ein leichtes Sirren aus dem Inneren. Kaum merkliche Töne unter dem stetigen Schall der Autobahnbrücke, doch sie drangen an Lu’s Ohren:
Er hatte das Radio eingeschaltet und es laufen lassen. Die aufgenommene Stimme, die da eifrig plapperte, klang hell und fröhlich, ausgelassen und offen. Bedrohlich unschuldig. Sie wusste, was das bedeutete. Es war das ahnungslose Brabbeln ihrer kleinen Tochter.


R‘s Blick fiel auf sein tickendes Handgelenk und was er registrierte, missfiel ihm.
Ihre kleinen, zarten Finger verloren sich zusehends in seinen schweren Händen. Er schwitze stark und hatte Mühe mit ihr Schritt zu halten, als sie über jede klirrend aufdringliche Pfütze sprang. R wusste nicht, wie er das finden sollte. Nicht ihre Unbekümmertheit hatte sein Interesse geweckt, auch nicht ihr aussichtsloser Versuch, die eigenen Interessen durchzusetzen, aber was war es dann gewesen? Ihr frommes Lachen? Der banale Witz? „Ich darf eigentlich nicht, aber für dich mach ich eine Ausnahme!“ Funkelnd und neugierig hatte sie ihn angestarrt, dass er fast an Vorsehung glaubte. Lächerlich!
Nichts dergleichen hätte sie sich verdient gemacht! Er verwarf jeglichen Gedanken daran.
Ihren Drang nach Bewegung zu bändigen suchend, zog R sie eng an seinen voluminösen Körper. Noch ein Sprung über Wellensplitter. Sie hatte nichts gefragt. Alles einfach so hingenommen. Es war viel zu einfach. Eine Frechheit angesichts dessen, wieviel Mühe ihn die Vorbereitung gekostet hatte. Das Eis krachte. Höhnisches Grau des Nebels umschrie seine lahmenden Schritte und sein Ärger widerspiegelte sich im Frost des Betons.
Sie juchzte noch verspielt in seinem feuchten Griff als das drängende Dunkel des Tunnels erreicht war und ihr roter Faltenrock haltlos kicherte, bevor der gemauerte Schlund beide gierig verschluckte.


Lu saß auf dem Bett und sprach nicht mehr. Es schien ihr nicht weiter nützlich zu sein. Wie etwas, das man aussortiert, weil man es ja doch nicht mehr gebrauchen konnte. Ihr Haar fiel verzweifelt um ihre aufgegebenen Schultern und ihre verbrannten Augen konzentrierten sich auf das muntere Gewebe, dass sie zwischen ihren Fingern rieb. Wolle war es jedenfalls nicht. Der Händler hatte gelogen. Aber die Nähte waren sauber verarbeitet, fein, zierlich und mit technisch vollendeter Grazie umspielten sie den quietschig-grünen Saum. Weißer neckischer Faden. In ihrem Nähkorb fanden sich davon nur noch Reste. Das musste auf den Merkzettel. Heute noch. Oder nächste Woche. Je nachdem. Ihre knöchrigen Finger griffen etwas fester in den Stoff, der sich nach lohnenswertem Nichts anfühlte. Türkise Streifen, gefolgt von blauen, dann zwei schmale weiße, verzahnt in einem Muster aus Kreisen und Herzen. Es war ein Geburtstagsgeschenk. Ihr sechster. Der Händler hatte noch zwei andere Varianten, doch sie wollte unbedingt diese haben. Lu zahlte mit einem Zwanzigeuroschein. Ungewöhnlich, aber das EC-Terminal hatte gestreikt, während die Kassiererin ihre gepunktete Bluse trug, die etwas zu lässig in ihrem Hosenbund steckte. Sie gab Mia einen Lutscher. Der Geldschein war am linken oberen Rand eingerissen, Lu war das unangenehm gewesen. Sie mochte Ordnung. Vor Monaten noch. Damals.
Die Gegenwart hingegen bestand aus wortlosem Warten. Was noch in den Magen ging, übergab sich täglich ins Toilettenbecken. Lu‘s schlafender Mund verzog sich zu einer ausgedorrten Linie.
Ihr Blick hatte sich nunmehr gedankenlos in den Maschen verfangen, sodass sie das Schweigen des kindlichen Mobilars um sie herum kaum mehr registrierte. Kuschelig-rotgestreifte Bänzel hingen vom Saum herab und lagen verträumt auf dem kalten Laken.
Ein Jahr.
Ihre Hände waren blutleer als der Wind die pinkgemusterte Gardine weit ins Zimmer blies und sie nichts mehr hatte, als lautlose Tränen.

 

Hallo @Sternwanderer819,

und herzlich Willkommen hier im Forum. Ich finde du hast Potential, wobei ich nicht richtig weiß, was ich mit deiner Geschichte anfangen soll. Mir fehlt hier Spannung und mir ist als Leser nicht genau klar, worum es gehen soll. Ist es das Porträt eines Opfers, das sein Kind verloren hat? Handelt es sich um einen Krimi? Für mich ist die Richtung deiner Geschichte nicht ganz klar und teilweise finde ich deine Beschreibungen zu detailliert und zu wenig auf die Handlung bezogen.

Draußen roch es nach frischer Abendluft: feucht-belebend und erdig-warm.
Gut geschrieben und mir gefällt es, wenn mit Geruch gearbeitet wird.

nur einige wenige Elektrogefährte ausgenommen.
Ich bin als Leser über das Wort "Elektrogefährte" gestoßen, hat mir nicht gefallen.

Hupen, Gerede, Motorengeräusche, Kinderplärren, Musik, Handytöne, Bremsenquietschen, Fahrzeugschall, dröhnen, donnern, krachen. Es war Rush Hour.
Ich verstehe, was du hier machen willst, doch für meinen Geschmack ist die Aufzählung zu lang. Ich würde hier einige Worte streichen. Es hat mich als Leser eher verwirrt.

Sie mochte diesen wirren, inneren Moment, der nur ihr gehörte: die Anonymität jeder ihrer Schritte, den Atem des vollendeten Tages, das schwere Pulsieren der Metropole. Vorhersehbare Augenblicke.
Gefällt mir, habe ich gerne gelesen.

Kofferraum, Windschutzscheibe, Leuchten, Nummernschilder waren nicht mehr zu identifizieren. An den Außenspiegeln kleckerte der mächtige Brei giftige Tropfen zu Boden. Tiefe Risse klafften aus den Reifen, zerschnitten, hineingestochen, die Felgen mit Teer besprenkelt. Schwarz-brauner Sud durchfloss die noch so feinste Ritze und war in jede Öffnung gedrungen, verklebte und verschlung jeden Teil des unter ihm befindlichen Metalls.
Deine Beschreibungen finde ich auch gelungen, ich habe mich nur als Leser immer wieder gefragt, in welche Richtung die Geschichte gehen soll. Für mich war der rote Faden nicht klar.

Kaum merkliche Töne unter dem stetigen Schall der Autobahnbrücke, doch sie drangen an Lu’s Ohren:
Er hatte das Radio eingeschaltet und es laufen lassen. Die aufgenommene Stimme, die da eifrig plapperte, klang hell und fröhlich, ausgelassen und offen. Bedrohlich unschuldig. Sie wusste, was das bedeutete. Es war das ahnungslose Brabbeln ihrer kleinen Tochter.
Das kam für mich zu plötzlich, auf einmal wird sie Opfer eines Verbrechens. Mir fehlt hier etwas, vielleicht würden hier mehr Informationen zu ihrer Vergagenheit funktionieren? Schließlich hat sich der Täter ja auch akribisch auf die Tat vorbereitet.

R‘s Blick fiel auf sein tickendes Handgelenk und was er registrierte, missfiel ihm.
Für mich ist dein Bösewicht überhaupt nicht greifbar. Ich habe kein Bild vor Augen, kenne sein Motiv nicht richtig und bin daher emotional nicht so stark involviert.

Es war viel zu einfach. Eine Frechheit angesichts dessen, wieviel Mühe ihn die Vorbereitung gekostet hatte.
Hier noch einmal der Punkt mit den Hintergrundinformationen.

Es schien ihr nicht weiter nützlich zu sein. Wie etwas, das man aussortiert, weil man es ja doch nicht mehr gebrauchen konnte.
Das hat für mich gut funktioniert, ich finde du kannst schreiben. Es ist ein passender Vergleich.

Der Händler hatte noch zwei andere Varianten, doch sie wollte unbedingt diese haben. Lu zahlte mit einem Zwanzigeuroschein. Ungewöhnlich, aber das EC-Terminal hatte gestreikt, während die Kassiererin ihre gepunktete Bluse trug, die etwas zu lässig in ihrem Hosenbund steckte.
Das meinte ich mit den Beschreibungen, die sehr detailliert sind, aber nicht richtig zielführend. Mir als Leser fehlt die Richtung.

Ein Jahr.
Ihre Hände waren blutleer als der Wind die pinkgemusterte Gardine weit ins Zimmer blies und sie nichts mehr hatte, als lautlose Tränen.
Ich habe mich gefragt, ob es nicht spannender gewesen wäre die Verfolgungsjagd szenisch zu beschreiben, da würde mehr Aktion aufkommen. So liest es sich ein bisschen langweilig und ich als Leser hatte mehr Interesse daran, wie sich die Geschichte weiterentwickelt.


Insgesamt finde ich, dass du gut schreiben kannst, aber ich bin von der Handlung deiner Geschichte nicht überzeugt. Bin gespannt auf eine Überarbeitung.


Viele Grüße
MRG

 

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