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Im Skepsisgewitter ohne Schirm

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06.08.2021
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Im Skepsisgewitter ohne Schirm

Eine Mischung aus Schweiß, Urin sowie anderen Ausscheidungen, Parfümwolken und ein Hauch von Essensgerüchen: inmitten dieses Duftgewitters sitze ich auf meinem Reisekoffer und warte. Ich warte auf den Moment, der alles verändert, der mir die Möglichkeit gibt, dem ganzen Rauschen um mich herum zu entfliehen. Den Moment, der mir Klarheit schenkt. Es ist ein bisschen, wie die Spannung, die den Raum und die verbrauchte Luft in Schwingung versetzt, dafür sorgt, dass noch ein letztes Mal alle Konzentration aufgebracht wird; bevor man dann die Zu- oder Absage erhält. Bevor man erfährt, ob man es geschafft hat, ob das erwünschte Ziel endlich greifbar durch den Nebel näher kommt. Der eigenen bösen Vorahnung nicht nachgebend hofft man bis zu Letzt, dass der Traumpfad frei und unberührt bleibt, damit man als erstes den Ausblick am Gipfel des Berges erblicken kann.
Eine krächzende Lautsprecherdurchsage zerrt mich aus meinen Tagträumen zurück in die Realität. Vor mir hockt ein weiß-blauer Rucksack, aus dem eine Wasserflasche hervorlugt. Ich meine, sie flüstern zu hören: Trink mich! Dem Befehl Folge leistend greife ich das rote Gefäß, führe es zum Mund und schließe meine trockenen Lippen um den Flaschenhals. Das Wasser fließt zäh meine Rachen herunter und kratzt an meiner Kehle. Es befördert längst vergessene Erinnerung an meine Heimat in mein Gedächtnis zurück. Dort ist es seit jeher eine Mutprobe unter Kindern, so viel Brunnenwasser wie möglich zu trinken. Als ich mich dieser stellte, landete ich für eine Woche mit Durchfall und Magenkrämpfen im Bett; wobei die Reaktionen darauf eher gedämpft blieben. Es war schließlich Tradition. In einer quallvollen Nacht und mit Übelkeit im Körper beschloss ich damals, den frischen Regen aus fremden Welten und Wasser aus anderen Zeiten zu probieren. Wie ich nun merke, hat das wohl nicht wirklich geklappt.

Eine ältere Frau vor mir schaut mich kritisch durch ihre zu klein geratene Hornbrille an. Sie wirkt so normal. Freundlich eben. Ohne böse Absichten. Ihr Herz scheint am rechten Fleck zu sitzen, jedoch wohl nicht groß genug zu sein, um auch mich darin aufzunehmen, denn ihr Blick schneidet scharf in meine Haut. Genervt schüttle ich meinen Kopf. Als wollte sie eine mir selbst nicht bekannte Wahrheit heraus schneiden. Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich es auch, mein Gesicht mit der krummen Nase oder die Art wie ich sitze, der in den Leuten die Skepsis weckt. Einen inneren Urinstinkt, der sie vor mir warnt. Die Menschen um mich herum und ich werfen uns Blicke zu. Misstrauen gegen erzwungene Freundlichkeit.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich ihren Augen ausgesetzt bin, langweilt mich der Ausdruck. Mein Kopf dreht sich mühsam nach hinten und meine Augen wandern auf eine Anzeigetafel: noch eine gute halbe Stunde. Noch eine halbe Stunde Skepsisgewitter mit prasselndem Regen. Ich bin es gewohnt so nass zu werden. Egal wo ich bin, ob auf der Straße, bei Freunden oder in der Familie; immer prasseln mir die eiskalten Regentropfen voller Unverständnis entgegen. Dort zu sitzen und mich unwohl zu fühlen, das ist also nichts neues. Ich hatte noch nie irgendetwas, um mich davor zu schützen. Noch nie einen Schirm, um den Regen abzuwehren.

Als sich mein Blick wieder nach vorne wendet, entdecke ich eine junge Frau. Sie ist allerdings bestimmt ein paar Jahre älter als ich und hält in einer Hand eine zylindrische Sporttasche. Nach ein paar Minuten stellt sie die Tasche ab und beginnt darin zu graben. Ihre hellblaue Jacke zerknittert dabei ein wenig und ihre Hose berührt am Knie den verdreckten Boden. Aber das alles scheint sie nicht weiter zu stören, und in Gedanken vertieft, bemerkt sie ihr Umfeld überhaupt nicht. Ihre Haare immer wieder aus dem Gesicht wischend fährt sie einfach fort. Die Zeit um sie herum scheint beinahe still zu stehen. Mir fällt auf, dass ich sie die ganze Zeit anstarre. Eine meiner schlechten Angewohnheiten. Zügig drehe ich meinen Kopf zur Seite, versuche möglichst unauffällig zu wirken, wobei mir das wie ein Ding der Unmöglichkeit erscheint.

Etwas später, wahrscheinlich nur einige Sekunden, riskiere ich es erneut. Sie hockt vor ihrer Tasche und greift nach einer Trinkflasche. Diese hatte ihr wahrscheinlich auch zugerufen: Trink mich! Das Gefäß glänzt im Sonnenlicht blau und als es geöffnet wird, prickelt die Luft. Die entweichende Kohlensäure versetzt jedes Molekül in der Nähe in Schwingung. Jene, die von ihr getroffen werden, erwachen in neugeborener Frische. Jedoch sitze ich zu weit entfernt, um auch nur einen Hauch des Erlebnisses zu spüren. Als die Frau aus der Flasche trinkt, fließt ein kleines Rinnsal aus ihrem Mund und tropft auf den Boden, wobei an gleicher Stelle sofort eine Blume erblüht. Ein Windröschen. Leichte Regentropfen fallen auf das Glasdach über uns und schirmen die kleine Blume ab, und so ist es ein Segen, dass sie vom herab fallenden Trinkwasser genährt wird. Mit jedem Tropfen erscheint sie in neuen Farben und während die Welt um uns herum im aschgrauen Beton versinkt, weist uns ihr Leuchten den Weg in die Freiheit.

Meine Gedanken schweifen durch den Raum und darüber hinaus, verbinden sich mit grellen und warmen Farben und vermischen sich mit dem Wasser des Meeres und dem Öl der Bäume. Ein prachtvolles Bild entsteht vor meinem inneren Auge, bei welchem sogar ein Gemälde von Monet eher wie ein nebelverhangener Gebirgshang wirkt; bis ich schließlich an einem Paar irritierter Augen hängen bleibe. Wie vom Blitz getroffen erstarre ich und komme schreckhaft der Realität wieder ein kleines Stückchen näher.

Hektisch wischt die Frau sich das Wasser vom Kinn und starrt mich an. Dabei macht sie einen kleinen Schritt nach vorne und zertritt das Windröschen. Zurück ins nichts. Es soll keiner sehen. Sie schaut mich verwirrt und leicht beschämt an, doch wenigstens nicht kritisierend. Hektisch wende ich mich ab, wobei sich meine Mundwinkel leicht nach oben bewegen und ich ein Grinsen nicht unterdrücken kann. Es ist nicht boshaft gemeint. Jedoch weiß ich nicht, ob das irgendwer verstehen würde. Ich freue mich einfach, etwas wahrgenommen zu haben, das anderen entgangen ist; einen kleinen ganz besonderen Moment eingefangen zu haben, welcher mich und diese Frau verbindet. Doch sie blickt verwirrt weg und ich brauche keine Gedanken lesen zu können, um zu erkennen, dass in ihrem Geist eine verfaulte Ranke gewurzelt hat, die sich nur noch weiter ausbreiten wird, je länger ich hier in ihrer Nähe sitze. Ich würde all das Prickeln verderben und sie nur mit in das Unwetter ziehen.

Um weiteren unangenehmen Blickwechseln aus dem Weg zugehen, erhebe ich mich, schnappe mir meinen Rucksack und fliehe. Schnurrstracks an ihr vorbei. Ich traue mich nicht, sie nochmals anzuschauen. In ausreichender Entfernung bleibe ich stehen, setze mich erneut auf meinen Reisekoffer und warte weiter; warte ohne Sinn und Verstand auf einen anderen Moment.​




Ein Zug fährt langsam in den Hamburger Hauptbahnhof ein, während sich an Gleis 14 ein junger Mann aufrafft und einsteigt; stark darauf bedacht, sich nicht umzusehen. Nur ein paar Meter entfernt, jedoch durch die Menschenmassen abgeschottet, betritt eine junge Frau einen gegenüberliegenden Zug. Dabei fällt ihr ein Regenschirm aus der Sporttasche und landet zwischen Gleis und Schienen im Abgrund. Der Junge fährt zurück in seine Heimat. Zu dem fahl schmeckenden Brunnenwasser, den abgestandenen Träumen und dem Regen, der nur noch mehr Einwände und Bedenken bringt; während man das Reiseziel der jungen Frau auf der Anzeigetafel nicht lesen kann. Denn am Hamburger Bahnhof zieht langsam ein undurchdringlicher Nebel auf, der alles und jede und jeden verschluckt.​

 
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Hola @Lukas Nue,

zufällig las ich Deinen Komm an loom. Unverkennbar verstehst Du etwas von der Materie, auch Deine Art zu kritisieren fand ich sympathisch.

Was lag näher, als auch Deine KG zu lesen – tja, und da hab ich gestaunt. Bevor ich jedoch meinen Leseeindruck schildere, wüsste ich gern, ob Du weiterhin im Forum verweilst (wegen des unbeantworteten Komms von Rob F).

Solltest Du enttäuscht sein über nur eine Zuschrift statt stehender Ovationen, dann lass Dir gesagt sein, dass die meisten – mich eingeschlossen – ähnliches erlebt haben. Stelle einen zweiten Text ein und, wichtig!, kommentiere andere Texte. Lukas Nue muss von sich reden machen. Keep on going!

Schöne Grüße!
José

 

Hallo @Rob F

erst einmal vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich, wenn meine Geschichte dir gefallen hat und du Interesse daran hattest.

Meistens schreibe ich Sätze oder ganze Abschnitte zwei-/dreimal neu und verändert auf, bis sie mir gefallen und das ausdrücken, was ich dem/der Leser*in vermitteln will. Das Problem mit dem Nebensatzbeginn mit "welche/r/s" verstehe ich vollkommen. Das bringt einen manchmal aus dem Lesefluss, nur finde ich es irgendwann langweilig, wenn man alle Relativsätze mit "der/die/das" einleitet. Bei der nächsten Geschichte werde ich das aber bedenken.

Vielen Dank und viele Grüße

 

Hallo @josefelipe

vorweg möchte ich mich bei dir für den Kommentar und die Motivationsrede bedanken.

Ich habe auf jeden Fall vor, in diesem Forum zu verweilen, da ich die Idee wundervoll finde und es sehr erfrischend ist, wenn man uneingeschränkte und konstruktive Kritik bekommt, wie man sie sonst nur sehr selten findet. Das Problem ist einfach, dass ich nicht immer Zeit habe, mich hiermit zu beschäftigen. Es gibt Perioden, da habe ich mehr Zeit und manchmal eher weniger, was allerdings nicht heißt, dass ich das Ganze hier nicht wertschätzen würde.

Was die eher mäßige Aufmerksamkeit angeht, hatte ich mir schon gedacht, dass ich nicht innerhalb einer Woche und mit nur einer veröffentlichten Kurzgeschichte den mega Boom an Kommentaren bekomme. Deshalb freue ich mich aber umso mehr über deinen Kommentar. Ich versuche in nächster Zeit mehr bei anderen zu kommentieren und weitere Geschichten zu veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen.

 

Guten Abend @Lukas Nue,

komme auf einen Gegenbesuch vorbei. Du erzählst die Geschichte eines jungen Mannes, der auf seinen Zug wartet und sich in seinen Gedanken verliert. Um der Langeweile zu entfliehen, beobachtet er, was um sich herum passiert. Sein Blick trifft auf eine ältere Frau, die wohl nichts mit ihm zu tun haben will, dann wandert er weiter und sieht eine Wasser trinkende jüngere Frau und meint, dass die beiden das Geheimnis über das entstehende Windröschen teilen, was dann aber nicht der Fall ist. Der Prota entfernt sich und setzt sich in einiger Entfernung auf seinen Koffer.

Ich finde, deine Geschichte hat Potential. Sprachlich sind mir einige Stellen aufgefallen, die ich mochte und es stecken teilweise feine Beobachtungen in dem Text. Ab und an habe ich mich allerdings gefragt, was genau das übergeordnete Thema ist? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sich wohl um Einsamkeit und um das Fremdsein in der Welt handelt. Bin mir allerdings nicht komplett sicher und bin da auf deine Rückmeldung gespannt. Denke, dass es dem Text gut tun könnte, wenn du das Thema noch klarer herausarbeitest. Zudem habe ich mich gefragt, was hier die zentrale Frage ist und um was es dem Prota geht. Oberflächlich will er die Wartezeit rumkriegen, aber unterschwellig meine ich den Wunsch nach Anschluss herauszulesen. Das bleibt für mich allerdings vage und ich hätte mir hier noch ein paar Stellen gewünscht, die mir etwas mehr Informationen über seine Persönlichkeit geben, sodass ich die Leerstellen bzw. Vermutungen für mich schließen kann.

Ich gehe im Detail auf meinen Eindruck ein:

Eine Mischung aus Schweiß, Urin sowie anderen Ausscheidungen, Parfümwolken und ein Hauch von Essensgerüchen: inmitten dieses Duftgewitters sitze ich auf meinem Reisekoffer und warte.
Ich mag, dass du mich sofort über den Geruchssinn in die Geschichte ziehst. Das hat für mich gut funktioniert. Was mich etwas gewundert hat, ist, dass du den Hamburger Hauptbahnhof erst am Ende erwähnst. Ich glaube, mir hätte es geholfen, wenn du die Verortung schon am Anfang vornehmen würdest. Bei mir hätte es Vertrautheit hervorgerufen und mein Bild wäre noch klarer gewesen, weil ich selbst auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen kann.

en Moment, der mir Klarheit schenkt. Es ist ein bisschen, wie die Spannung, welche den Raum und die verbrauchte Luft in Schwingung versetzt, dafür sorgt, dass noch ein letztes Mal alle Konzentration aufgebracht wird; bevor man dann die Zu- oder Absage erhält.
Mir ist aufgefallen, dass du häufiger das Wort "welche" verwendest. Das klingt für mich etwas umständlich. Auf der anderen Seite zeichnet es ein Bild deines Erzählers, der nicht so richtig in die Welt hineinpassen will, zumindest nicht zu dem klassischen Bild, wie man zu sein hat. War das Absicht? Falls ja, finde ich es einen schönen Schachzug.

Eine krächzende Lautsprecherdurchsage weckt mich aus meinen Tagträumen und führt mich wieder zurück in die Realität. Vor mir steht ein weiß-blauer Rucksack, aus welchem eine Wasserflasche hervorlugt. Es scheint, als würde sie mir leise zuflüstern: Trink mich! Dem Befehl Folge leistend nehme ich die rote Falsche, führe sie zum Mund und trinke ein oder zwei Schlücke, wobei das Wasser fahl und abgestanden schmeckt. Es erinnert mich an das Brunnenwasser in meiner Heimat, in welcher es schon seit jeher eine Mutprobe unter Kindern ist, so viel wie möglich zu trinken.
Lese momentan die Kurzgeschichten von Tobias Wolff und mir ist aufgefallen, dass er immer das absolut treffende Verb trifft. Ich glaube, dass das auch deinen Text verbessern könnte. Bei "hervorlugen und zuflüstern" ist dir das in meinen Augen gut gelungen. Allerdings finde ich "wecken", die Dopplung bei "führen", "scheinen", "nehmen" und "trinken" noch verbesserungswürdig. Vielleicht fallen dir dazu noch präzisere Verben ein, die ein besseres Bild zeichnen, die Umstände noch besser beschreiben?

Genervt schüttel ich meinen Kopf.
Müsste "schüttele" heißen, oder übersehe ich etwas?

Einen inneren Urinstinkt, welcher sie vor mir warnt.
Hier wieder das "welcher", ich bin im Lesefluss häufiger darüber gestolpert.

Noch eine halbe Stunde Skepsisgewitter mit prasselndem Regen. Ich bin es gewohnt so nass zu werden. Egal wo ich bin, ob auf der Straße, bei Freunden oder in der Familie; immer prasseln mir die eiskalten Regentropfen voller Unverständnis entgegen. Dort zu sitzen und mich unwohl zu fühlen, das ist also nichts neues. Ich hatte noch nie irgendetwas, um mich davor zu schützen. Noch nie einen Schirm, um den Regen abzuwehren.
Dein Prota wirkt auf mich zynisch und irgendwo auch resigniert: Er hat eine Tendenz zur Negativität und scheint, mit sich kämpfen zu müssen. Ich konnte mit ihm mitfühlen.

Mir fällt auf, dass ich sie die ganze Zeit anstarre. Eine meiner schlechten Angewohnheiten. Mich hastig abwendend, versuche ich möglichst unauffällig zu wirken, wobei mir das wie ein Ding der Unmöglichkeit erscheint.
Kommt mir so vor, als würde er sich im sozialen Kontext unwohl fühlen und das ist in meinen Augen auch gut durch den Erzähler charakterisiert. An diese Stelle will ich "mich hastig abwendend" markieren, weil mir die gleiche Formulierung gegen Ende noch einmal aufgefallen ist und ich hier mehr Variation gut fände.

Das Gefäß glänzt im Sonnenlicht blau und als das selbe geöffnet wird, prickelt die Luft.
Bin über "das selbe" gestolpert.

Meine Gedanken schweifen durch den Raum und darüber hinaus, verbinden sich mit grellen und warmen Farben und vermischen sich mit dem Wasser des Meeres und dem Öl der Bäume. Ein prachtvolles Bild entsteht vor meinem inneren Auge, bei welchem sogar ein Gemälde von Monet eher wie ein nebelverhangener Gebirgshang wirkt; bis ich schließlich an einem Paar irritierter Augen hängen bleibe.
Hier musste ich schmunzeln! Hab in einer meiner Übungsgeschichte auch einen Vergleich zu Monet drin, aber dir gelingt das hier eindeutig besser als mir. Ich mochte die Stelle.

Hektisch wende ich mich ab, wobei sich meine Mundwinkel leicht nach oben bewegen und ich ein Grinsen nicht unterdrücken kann.
Hier ist mir die markierte Dopplung mit dem Zitat weiter oben aufgefallen. Gäbe es hier noch eine andere Verhaltensweise, die mir seine Persönlichkeit weiter zeigt?

Ich freue mich einfach, etwas wahrgenommen zu haben, das anderen entgangen ist; einen kleinen ganz besonderen Moment eingefangen zu haben, welcher mich und diese Frau verbindet.
Das ist für mich der Kern des Textes. Der Wunsch nach Anschluss. Ich hätte mir gewünscht, wenn das noch stärker ausgearbeitet wäre und dein Prota so an Komplexität gewonnen hätte. Du hast viele gute Stellen und ich sehe da Potential drin.

Ein Zug fährt langsam in den Hamburger Hauptbahnhof ein, während sich an Gleis 14 ein junger Mann aufrafft und einsteigt; stark darauf bedacht, sich nicht umzusehen.
Die Verortung hätte für mich gerne schon früher kommen können. Ich habe es gerne, wenn ich schnell weiß, wo genau die Figuren unterwegs sind, auch wenn dann die kleine Überraschung am Ende nicht mehr da wäre.

Zu dem fahl schmeckenden Brunnenwasser, den abgestandenen Träumen und dem Regen, welcher nur noch mehr Einwände und Bedenken bringt
Hier ist mir wieder das "welcher" aufgefallen und ich würde dieses Stilmittel etwas sparsamer einsetzen, damit die Wirkung nicht verpufft.

Insgesamt ein Text, den ich gerne gelesen habe. Bin gespannt, was du dazu denkst bzw. gedacht hast. In dem Sinne:

Beste Grüße
MRG

 

Hallo @MRG

vielen Dank für diesen ausführlichen Kommentar und die detailreiche Schilderung deiner Eindrücke.

Ich gehe einfach mal nacheinander auf alles ein.

Ich mag, dass du mich sofort über den Geruchssinn in die Geschichte ziehst. Das hat für mich gut funktioniert. Was mich etwas gewundert hat, ist, dass du den Hamburger Hauptbahnhof erst am Ende erwähnst. Ich glaube, mir hätte es geholfen, wenn du die Verortung schon am Anfang vornehmen würdest. Bei mir hätte es Vertrautheit hervorgerufen und mein Bild wäre noch klarer gewesen, weil ich selbst auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen kann.
Also, wie du am Ende deines Kommentars auch schon erwähnst, würde ich die Überraschung wegnehmen, wenn ich den Bahnhof schon am Anfang erwähne. Das ist das eine. Zum anderen ist es am Ende ja eine Art Erzähler, der den Bahnhof erwähnt, am Anfang befinden wir uns aber noch in der Ich-Perpektive. Dem Prota ist es völlig gleich, an welchem Bahnhof er sitzt, weil seine Gefühle und Gedanken überall die Gleichen wären. So habe ich mir das gedacht. Aber natürlich hast du recht: Als Lesende muss man sich so die Umgebung völlig frei selbst konstruieren.

Mir ist aufgefallen, dass du häufiger das Wort "welche" verwendest. Das klingt für mich etwas umständlich. Auf der anderen Seite zeichnet es ein Bild deines Erzählers, der nicht so richtig in die Welt hineinpassen will, zumindest nicht zu dem klassischen Bild, wie man zu sein hat. War das Absicht? Falls ja, finde ich es einen schönen Schachzug.
Ich würde gerne behaupten, dass es komplette Absicht war (vielleicht ja unterbewusst von mir), aber der eigentliche Grund ist, dass ich es nicht mag, wenn jeder Relativsatz mit der/die/das eingeleitet wird. Aber es stimmt schon, dass ich es wohl ein wenig damit übertrieben habe. Da werde ich nochmal drüber schauen, und wahrscheinlich die ein oder andere Einleitung etwas abändern.

Lese momentan die Kurzgeschichten von Tobias Wolff und mir ist aufgefallen, dass er immer das absolut treffende Verb trifft. Ich glaube, dass das auch deinen Text verbessern könnte. Bei "hervorlugen und zuflüstern" ist dir das in meinen Augen gut gelungen. Allerdings finde ich "wecken", die Dopplung bei "führen", "scheinen", "nehmen" und "trinken" noch verbesserungswürdig. Vielleicht fallen dir dazu noch präzisere Verben ein, die ein besseres Bild zeichnen, die Umstände noch besser beschreiben?
Jap, das stimmt. Meist fällt einem das selber gar nicht auf, dass man in einem Text Dopplungen hat oder so absolut klassische Verben (bzw. Adjektive) verwendet.
Meinst du in etwa so?:
Eine krächzende Lautsprecherdurchsage schreit mich aus meinen Tagträumen und zieht mich wieder in die Realität. Vor mir hockt ein weiß-blauer Rucksack, aus dem eine Wasserflasche hervorlugt. Ich meine, sie leise flüstern zu hören: Trink mich! Dem Befehl Folge leistend greife ich die rote Falsche, führe sie zum Mund und schließe meine trockenen Lippen um den Hals. Das Wasser fließt zäh meine Rachen herunter und kratzt an meiner Kehle. Es zerrt verdrängte Erinnerungen an das Brunnenwasser in meiner Heimat aus meinem Unterbewusstsein. Dort ist es seit jeher eine Mutprobe unter Kindern, so viel wie möglich von dem Zeug im Bauch zu behalten.

Müsste "schüttele" heißen, oder übersehe ich etwas?
Hab nach geschaut, muss "schüttle" heißen xD Das ändere ich.

Bin über "das selbe" gestolpert.
meinst du, da würde es ein einfaches "es" auch tun?

Hier ist mir die markierte Dopplung mit dem Zitat weiter oben aufgefallen. Gäbe es hier noch eine andere Verhaltensweise, die mir seine Persönlichkeit weiter zeigt?
Schnell drehe ich meinen Kopf zur Seite? Ist zwar keine andere Verhaltensweise, aber umschreibt es vielleicht ganz gut.

Das ist für mich der Kern des Textes. Der Wunsch nach Anschluss. Ich hätte mir gewünscht, wenn das noch stärker ausgearbeitet wäre und dein Prota so an Komplexität gewonnen hätte. Du hast viele gute Stellen und ich sehe da Potential drin.
Puh, also da muss ich tatsächlich schauen, ob ich es schaffe, noch mehr Charakter in den Text zu bekommen, ohne ihn komplett umzuschreiben. Natürlich würde das der Geschichte und dem Prota gut tun, aber weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Mal schauen.
Wobei der Prota natürlich gar nicht den Wunsch nach absoluten Anschluss sucht... Er sucht eigentlich nur nach irgendetwas (bzw irgendwem), der ihm keine Skepsis und Missverständis entgegenbringt. Einfach nur irgendeinen Punkt, an dem er sich festhalten kann, wobei er diesen Wunsch in sich schon aufgegeben hat. Es ist keine pure Verzweiflung, in der der Prota komplett aufgegeben hat und sich am liebsten umbringen würde; eher die Kapitulation der eigenen Wünsche. Er sitzt da und weiß, dass sich nichts verändern wird und flieht, um nicht noch andere mit in seinen Sog zu ziehen.

Nur ein paar Meter entfernt, jedoch durch die Menschenmassen abgeschottet, betritt eine junge Frau einen gegenüberliegenden Zug. Dabei fällt ihr ein Regenschirm aus der Sporttasche und landet zwischen Gleis und Schienen im Abgrund.
Mit diesem Regenschirm wollte ich nochmal darauf anspielen. Diese Frau, egal wie besonders sie ist oder eben auch nicht, hätte vielleicht einen Unterschied im Leben des Protas gemacht (Sie hatte eben den metaphorisch gesprochenen Regenschirm für sein Skepsisgewitter in der Tasche), aber das macht eben in der Geschichte keinen Unterschied, da der Prota schon kapituliert hat. Er fährt zurück in sein Leben, gibt sich allem hin, kämpft überhaupt nicht mehr, weil er aufgegeben hat, daran zu glauben, das irgendetwas einen Unterschied in seinem Leben macht. Er sieht besondere Momente, er merkt das da etwas ist, das Veränderung schafft, aber seinen Leben bleibt davon unberührt.

So etwas in dem Stil habe ich mir bei der Geschichte gedacht xD

Naja, ich finde es unheimlich schwierig, die Gedanken in meinem Kopf irgendwie nieder zu schreiben. Besonders analysiere ich fremde Texte sehr gerne, suche nach versteckten Bedeutungen und Analogien, aber diese in den eigenen Text so einzubauen, das Lesende sie verstehen, ist echt schwierig.

Danke auf jeden Fall für deine Meinung, hat mir echt geholfen, den eigenen Text noch einmal kritisch zu hinterfragen.

LG

 

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