Im Takt
Draußen rauschten die Wellen im Takt der Musik.
Zumindest erweckten sie den Anschein, als wäre es so. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass keiner mehr so richtig auf die harmonischen Töne des Liedes achtete, sondern ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem jeweils gegenüberliegenden Menschen widmeten.
Eine sonderbare Stimmung lag in der Luft.
Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden und trotzdem schien die Hitze kein Ende zu nehmen. Schwül und unangenehm drohte sie alles Lebendige zu erdrücken.
Allerdings war ihre Anwesenheit mehr als willkommen, schließlich war sie die einzige Kraft, die in der Lage war Gefühle elegant zu überspielen. Und genau das schienen beide Seiten gerade zu benötigen.
Ihre und seine Gefühle waren stark, ihre Begierden füreinander beinahe unerträglich, doch keiner von beiden wagte es, sie zu offenbaren oder gar zu stillen. Eine Zwickmühle, der sie eigentlich mit Leichtigkeit entgehen konnten.
Ein Wort oder eine Bewegung würde schon die Befreiung bedeuten.
Sie verlor sich in den Tiefen seiner Augen, konnte ihr noch unsichtbares Glück kaum fassen und spürte deutlich die wunderbarme Wärme, die von ihm ausging.
Irgendwann waren keine Worte mehr gefallen. Ihre Blicke hatten die Rolle des Sprechens übernommen und herrschten nun über die Lage.
Ihr brach allmählich der Schweiß aus. Ob es aufgrund der Hitze oder der momentanen Situation war, wusste sie nicht - sie wollte es auch nicht wissen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während ihr Atem sich beschleunigte. Sie begehrte ihn, begehrte ihn so sehr, dass sie sich nicht länger halten konnte. Und gerade als sie etwas sagen wollte, spürte sie plötzlich wie er mit seiner Hand sanft durch ihre Haar fuhr. Sein Gesicht hatte sich ihrem deutlich genähert, sodass sich in ihr ebenfalls der Drang entfachte, ihn zu berühren.
Er schaffte es immer wieder, sie aus der Fassung zu bringen. Alleine seine Anwesenheit reichte dafür schon aus.
Vorsichtig, darauf bedacht nicht den Verstand zu verlieren, streckte sie ihre Hand nach ihm aus und strich über die Brust seines scheinbar perfekten Körpers. Sie wusste, dass es eine gewagte Geste war, doch mit jeder Sekunde fühlte sie mehr, dass sie beide das Gleiche empfanden. Eine Böe der Geborgenheit erfasste sie.
Wie lange hatte sie darauf warten müssen?
Die Situation war so schnell eingetreten, dass sie das Gefühl hatte als würde sie auch gleich wieder verwehen, so wunderschön – so unwirklich.
Dieser Gedanke ließ sie panisch werden, trieb sie dazu an, weiterzumachen. Ihre Hände krallten sich in sein Hemd, sie kam ihm so nahe wie sie konnte und er antwortete ihr.
Er nahm ihren Kopf sachte in beide Hände und zog sie so an sich heran.
Die Luft schien zu brennen.
Stirn an Stirn waren sie sich nun gegenüber und genossen die Gegenwart des jeweils anderen.
Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, konnte ihn beinahe schmecken. Ihr gesamter Körper spielte verrückt und schrie förmlich nach seinen Berührungen.
Auch das letzte bisschen Distanz wollte sie nun überwinden. Und gerade als sie ihre Lippen auf seine legen wollte…
…fiel sie in ein schwarzes Loch.
Das Rauschen der Wellen verklang.
Stumm und taub, begann sie in den Abgrund zu fallen.
Erst nach unzähligen Augenblicken ertönte mehr und mehr ein Geräusch, welches einen tiefen Stich in ihr Herz versetzte.
Und als sie widerwillig die Augen geöffnet hatte und den Regen hinter der Fensterscheibe erblickte, verstand sie, was gerade vor sich gegangen war.
Im schmerzlichen Takt der Einsamkeit flossen nun die Tränen über ihre Wange.