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Käfer, Spinne und eine Entscheidung

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23.03.2023
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Anmerkungen zum Text

Wir treffen täglich Entscheidungen, aber jede Entscheidung, jede Wendung im Leben halt Folgen.
Bedenken wir das in Vorfeld?

Käfer, Spinne und eine Entscheidung

Überarbeitete Version vom 16.04.2023

Es gibt Stellen in der Wohnung, an die seltener geschaut wird. Man erwartet hier nichts Überraschendes oder gar Dramatisches, doch manchmal kommt es anders…

Alle Fenster standen um diese Jahreszeit weit offen. Staub und Blütenpollen paarten sich, mutierten zu Flusen, denen ich zu Leibe rücken wollte - alles Bewegliche einmal abrücken und die dahinter angesammelten Flusen feucht wegwischen. In der Hand den Putzlappen, fiel mein Blick auf eine dramatische Szene.

In der Ecke vor mir gab es einen Überlebenskampf. Ein Käfer wand sich im Netz einer Spinne, seine Beinchen darin verstrickt, gab es für ihn kein Entkommen. Die Jägerin näherte sich bereits, um ihre Beute für das große Fressen vorzubereiten. Ihr Körper war kleiner als der des unglückseligen Opfers und trotzdem würde sie als Siegerin aus diesem ungleichen Duell hervorgehen. Ich hatte ihr Vorhaben mit meiner Säuberungsaktion unterbrochen. Die Spinne hielt regungslos auf den Fäden ihres Netzes inne, innerer Vorsicht gehorchend.

Auf diese Situation war ich nicht vorbereitet. Lediglich ein dummer Zufall ließ mich Teil des Geschehens werden. Zunächst entfernte ich, wie geplant, einige Flusen, ohne die Szene zu beeinflussen. Der Lauf der Natur, sagte ich mir; die Spinne vollendet ungestört ihr Werk, der Käfer wird ihr Opfer.

Erlaubte diese Situation nicht auch eine andere Sichtweise? Errettung des Unterlegenen aus einer schier ausweglosen Situation - Gott spielen, den Käfer vor dem sicheren Tod retten, sein Leben verlängern. Für die Spinne hingegen wäre ich dann wohl der Teufel, der sie um ihre Beute betrog.

Ich befreite den Käfer sehr vorsichtig aus dem Netz, während die Spinne eiligst in ihrem Versteck verschwand. Der Käfer erstarrte umgehend und harrte der Dinge, die auf seine Befreiung folgten. Ich schob ihn sorgsam auf ein Stück Papier, ging damit hinaus auf den Balkon und setzte ihn auf einer Blume aus. Nur Augenblicke später war er unter den Blättern der Pflanze verschwunden. Eine Entscheidung, die ich aus dem Bauch heraus traf. Ein buddhistischer Mönch sagte mir vor Jahren: Achte alles Leben hoch, mag es dir noch so klein und unbedeutend erscheinen. Ich gab dem Geschehen eine Wendung. Für den Käfer war es ein Glücksfall, für die Spinne war es, wenigstens zeitweise, ein Desaster.

Hatte ich das Recht auf meiner Seite, als ich mich einmischte? Hatte ich über die Spinne nachgedacht? Wie weit lag ihre letzte Mahlzeit zurück? Vielleicht wäre der Käfer ihre Rettung gewesen. Gleichgültig, wie intensiv ich über mein Erlebnis nachdachte, mein Handeln war unumkehrbar und bereits tiefe Vergangenheit. Jede Entscheidung, die du triffst, jede Handlung, die du begehts, alles hat Konsequenzen für dich und die Welt, in der du wandelst. Das ist Samsara. Auch das hatte der buddhistische Mönch zu mir gesagt.

 

Hallo Freidenker!

Dein kleines Geschichtchen erzählt von menschlichem Mitgefühl, das in Anbetracht des bevorstehenden Verzehrs eines Käfers durch eine Spinne geweckt wird. Ein natürlicher Prozess, der nichts mit Gut oder Böse zu tun hat, ethischen Begriffen, die es nur innerhalb der menschlichen Gesellschaft gibt oder besser, geben sollte.
Wir Menschen, mehrheitlich Omnivoren, neigen dazu, derartiges Mitgefühl dann zu empfinden, wenn es nicht um den eigenen Verzehr anderer Lebewesen geht. Bringt die Katze eine zappelnde Maus nach Hause, dauert uns der kleine Nager. Beißen wir herzhaft in ein Schinkenbrot, denken wir kaum an die Qualen, die das Tier zuvor erlitt, dessen Muskelfasern wir gerade verspeisen. Hier zählt eher das Wegschauen als das Handeln, im Sinne von Verzicht. ;)

LG

 

Alle Fenster standen weit offen und der Schmutz eines Sommers gelangte so in jede Ecke.

@Manuela K. hat im Prinzip schon alles gesagt zur kleinen Episode, aber erlaubt die von Dear,

lieber Libero-P.,

geschilderte Situation nicht auch eine andere („überhöhende“) Sichtweise, wenn etwa der politische, aber vor allem der Wirtschaftskreislauf „biologisch“ überhöht wird und die „Großen“ kleinere fressen - oder jemand von einem sichtlich „stärkeren“ anderen bedroht wird (wo’s ja auch die Reaktion gibt, „unter Hitler wäre das nicht passiert“) – und was ist bei dünnen Wänden in der Nachbarschaft?

Deine Fabel wirft mehr Staub auf als durch ein offenes Fenster bei Saubermanns hereingeblasen werden kann ...

Bissken Flusenlese, denn schon der Satz

Trotzdem riss ein solcher Ort mich aus meiner sicher geglaubten Routine.
stellt mit dem Possessivpronomen mICH in den Mittelpunkt, einem Pronomen, dass eigentlich entbehrlich ist – oder was spräche weniger ich-lastig gegen ein »Trotzdem riss ein solcher Ort mich aus …. sicher geglaubte[r] Routine?«

¿Tippfehler?

Als dies wäre ohnehin geschehen, wenn ich nicht in diesem Augenblick die Staubflusen hätte wegwischen wollen.
& warum der Konjunktiv mit Hilfs- + Modalverb, wenn das Hilfsverb weggelassen werden kann („wenn ich nicht in diesem Augenblick die Staubflusen wegwischen wollte).
-
Kommt ja noch erleichternd hinzu, dass das „wenn“ ja schon Bedingungen setzt … dass „eigentlich“ der Konjunktiv entbehrlich ist ...

findet der

Friedel

 
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Hallo und willkommen hier, @Libero Pensatore,

mit einer Situation dieser Art dürften viele schon mal konfrontiert gewesen sein, und klar, dass man das (Nicht-)Eingreifen aus der Perspektive beider Tiere sehen kann, ist die erste Ebene (beide leben; eins lebt, das andere stirbt; beide sterben - das sind ja die Möglichkeiten). Wenn du übrigens schreibst:

Ich rettete den Käfer aus Achtsamkeit vor allem Leben
könnte man das auch so sehen, dass der Erzähler dadurch die Spinne tötet (weil die ohne den Käfer evtl. verhungert). Dann wäre es nicht so weit her mit der "Achtsamkeit" (ich glaube, du meinst hier eher "Achtung") gegenüber allem Leben.. ;)
Man könnte dann (induktiv) weiterdenken (wie z.B. @Manuela K. es in ihrem Kommentar getan hat), und vielleicht auf interessante Sachen stoßen, aber du verbleibst im Grunde auf dieser ersten Ebene, fand ich schade.

Handwerklich fand ich's etwas holprig. Ein paar Stellen herausgegriffen:

Es gibt Orte, an die ein wenig seltener geschaut wird.
Hier bin ich gleich gestolpert, ich fände in diesem Kontext 'Stelle' passender. Und das "ein wenig" ist so Füllkram, könntest du m.E. einfach streichen.

Es gibt Orte, an die ein wenig seltener geschaut wird. Man erwartet hier nichts Überraschendes oder gar Spannendes. Trotzdem riss ein solcher Ort mich aus meiner sicher geglaubten Routine.
Perspektivisch bist du hier nicht an so einem Ort, dann bist du da, dann wieder nicht.
Und genau genommen reißt nicht der Ort aus der Routine, sondern das, was da vor sich geht.

und der Schmutz eines Sommers gelangte so in jede Ecke.
Der Schmutz eines ganzen Sommers? :eek:;)

Staub und Blütenpollen paarten sich, mutierten zu Flusen, denen ich zu Leibe rücken wollte.
Bemüht poetisch

In der Ecke vor mir gab es einen Überlebenskampf. Ein Käfer wand sich im Netz einer Spinne. Seine Beinchen hatten sich darin verstrickt, es gab für ihn kein Entkommen. Die Spinne näherte sich bereits dem Käfer, um ihn für das große Fressen vorzubereiten. Sie war kleiner als der unglückselige Käfer und würde doch die Siegerin in diesem ungleichen Duell bleiben.
Ein bisschen synonymiger wäre angenehm

Sie war vorsichtig, hielt regungslos auf den Fäden ihres Netzes inne – abwartend, das Recht der überlegenen Spezies auf ihrer Seite.
Welches Recht? Evtl. eher "Vorteil"? Sind Spinnen Käfern immer überlegen?

Als dies wäre ohnehin geschehen, wenn ich nicht in diesem Augenblick
..

Errettung aus schier ausweglosen Situationen war möglich, wenn ein beherzter Retter zur rechten Zeit am rechten Ort weilte und handelte.
Wieder bemüht poetisch

In diesem Moment vermochte ich es, zugleich Gott und Schutzengel für den Käfer zu spielen,
Was kann ein Schutzengel, was Gott nicht kann? Oder was macht Gott hier, was ein Schutzengel nicht könnte? (Und wieder bemüht poetisch)

Ich rettete den Käfer aus Achtsamkeit vor allem Leben, mag es noch so klein und unbedeutend sein. Ich gab dem Leben eine Wendung.
Bisschen unglücklich, dass die Bedeutung von "Leben" hier nicht dieselbe ist: Das erste meint konkretes Leben (das eines Tieres), das zweite eher den Lauf der Dinge. Warum plötzlich Präsens mit "mag"? -> "mochte"

Also dieses bemüht blumig-poetische soll das Ganze in meinen Augen nach mehr aussehen lassen, als es ist. Ich hätte es besser gefunden, wenn du stattdessen wie gesagt etwas weitergedacht und noch einen irgendwie originellen Aspekt gebracht hättest.

"Alltag" ja, "Philosophisches" vielleicht ansatzweise, "Seltsam" sehe ich nicht.

Viele Grüße
Maeuser

 

Mir persönlich gefällt, dass es hier um eine kleine Geschichte geht. Kleine Figuren mit kleinem Einsatz, aber eine große moralische Frage. Ich persönlich hätte die Geschichte aber noch ein bisschen besser gefunden, wenn mehr auf dieses moralische Dilemma zwischen dem Eingreifen und dem Nichteingreifen eingegangen wird. Denn wenn der Ich-Erzähler nicht eingreift, muss der Käfer sterben. Wenn der Ich-Erzähler aber eingreift und den Käfer retttet, verhungert die Spinne. Also steht der Ich-Erzähler hier vor der unmöglichen Wahl den Einen zu retten und den Anderen seinem Schicksal zu überlassen. Denn selbst wenn man argumentieren würde, dass die Spinne sich ja eine neue Mahlzeit suchen könnte: würde dann nicht die Frage offen bleiben ob der Ich-Erzähler nicht in der moralischen Pflich stünde das neue Opfer vor dem Gegessenwerden zu retten, wodurch die Spinne schlussendlich verhungern würde.

Ich rettete den Käfer aus Achtsamkeit vor allem Leben
Auch hier wäre wieder eine genauere Untersuchung des moralischen Dilemmas schön gewesen. Denn wenn man vor dem Achtsamkeit des Lebens das eine Leben rettet, gefährdet man ja das Andere. Auch könnte hier die Frage spannend gewesen sein, inwieweit es überhaupt als Achtsamkeit vor allem Leben bezeichnet werden kann, wenn man die Spinne bzw. dem Raubtier - dessen Natur es ja ist, andere Tiere zu fressen - der Gefahr des Hungertods aussetzten würde. Entspricht es also der Vorstellung von Achtsamkeit vor dem Leben in die natürlichen Abläufe der Natur - Raubtier fängt Beutetier - einzugreifen?

Vielleicht sprengt das den Ramen einer Kurzgeschichte und ich bin mir sicher, man könnte ganze Bibliotheken mit der Aufarbeitung dieser Fragen füllen. Aber ich denke, dass es die Kurzgeschichte noch etwas besser gemacht hätte, wenn dieses moralische Dilemma etwas präziser präsentiert worden wäre. Aber ansonsten hat es mir sehr gefallen.

 
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Hallo Manuela,

der Mensch denkt nun mal in seinen eigenen Kategorien. Die Sichtbarkeit von Leiden löst Mitgefühl aus. Sehen wir das Leiden nicht (sprich das Töten von Tieren für den eigenen Verzehr), dann bleibt alles auf einer abstrakten Ebene und eben unbeachtet. Gleichgültigkeit macht sich breit. Meine kleine Geschichte soll nur ein wenig zum Nachdenken anregen. Es bieten sich Ansätze das eigene Handeln zu hinterfragen.

LG Libero

Hallo Maeuser,

danke für deine Einlassungen. Ich habe die Geschichte noch einmal überarbeitet und deine Gedanken dazu einfließen lassen. So wird ihr Anliegen vielleicht etwas transparenter. Ich habe sie so angelegt, dass verschiedene Ansätze möglich sind. In gewisser Weise ist sie eine Allegorie. Wer will, der kann sie auch auf Aktuelles beziehen. Die Geschmäcker sind ja verschieden.

HG Libero

Hallo Friedel,

in meiner Überarbeitung habe ich mich um weitere Klarheit bemüht. Wie schon gesagt, die kleine Geschichte ist eine Allegorie. Jede vermag es, darin einen anderen "Überlebenskampf" zu sehen, im Großen oder eben im Kleinen.

HG Libero

@Jasomirgott

Ich wollte keine Interpretation vorgeben. Bezüglich deiner Anmerkung habe ich die Geschichte etwas konkretisiert.

HG Libero

 

Hallo @Libero Pensatore,

eine nette, kleine Episode eines gottspielenden Lebewesens. Das offensichtlich in der Lage ist, moralisch über die Gesetze der Natur nachzudenken. Gerne gelesen und dabei gedacht, dass hier der Kosmos wirkt. (Kosmos=Ordnung). Hier wirken ganz einfach die hermetischen Gesetze. Ob wir darüber nachdenken können oder nicht, ob es Samsara heißt oder Jede Münze hat zwei Seiten - jede Ursache hat eine Wirkung. Jede Wirkung ist wieder eine Ursache usw.. Allein Dein Sein ist ja auch Ursache für den Putzanfall, für die Käferrettung und den Spinnenhunger. Somit hast Du gut beschrieben, wie "eigentlich" alles zusammenhängt, nur zu kurz kam, dass nichts ohne das andere sein kann. Fände nur eine "Handlung" nicht statt, "fehlte" nur ein Atom, das Universum fiele in sich zusammen. Beste Grüße - Detlev

 

Hallo Detlev,
danke für deinen Kommentar. Es ist nicht mehr als eine kleine Geschichte, über man man nachdenken kann und das tut jeder auf seine Weise. Im Grunde geht es darum zu wissen, was Realität eigentlich ist. Gibt es nur eine oder befinden wir uns in mehr als nur in drei Raum- und einer Zeit-Dimension? Um das zu erörtern reicht eine Kurzgeschichte nicht aus.
HG Libero-Pensatore

 

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