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Kaban (russ. die Wildsau)
Kaban (die Wildsau)
Die Wildsau
- „Der Knast ist deine Universität, Kaban. Nur dort wirst Du zum Mann.“
Die Großmutter betrachtete ihren Enkel mit schielenden kalten Augen. Sie sprach ihn mit seinem Spitznamen an, so wie dies auch alle anderen taten. Wie er offiziell hieß hatte sie schon längst vergessen. Daran erinnerten sich auch die Wenigsten. Einzig für die Lehrer war er noch „Alexei Safiullin" gewesen. Doch wann er das letzte Mal in der Schule war, konnte er selbst nicht sagen.
- „Draußen gibt es für dich nichts zu holen.“ Fuhr sie fort. „Weder für dich, noch für Unsergleichen. Ich habe gesessen, deine Eltern haben gesessen und deine Brüder sitzen. Auch bei dir ist es schon höchste Zeit. Worauf wartest Du also?
Alexei schwieg
„Du hast doch nicht etwa Angst?“ Die Rentnerin rückte näher. Sie schien ihn mit ihrem fragenden Blick zu durchlöchern. In ihrem Gesichtsausdruck erkannte er Verachtung und Neugier.
Kaban drehte seinen Kopf nach unten. Er schämte sich. Schon allein dafür, einen solchen Verdacht auf sich gelenkt zu haben. Natürlich hatte er keine. „Fürchte nichts, glaube niemandem und bitte nie um etwas“ - die drei Gebote professioneller Ganoven. Der junge Mann hätte sie sich auf die Stirn tätowieren können, so tief waren sie in seiner Psyche verankert.
„Es gibt nichts Erbärmlicheres als Angst. Wann willst du endlich rein? Das ist doch alles Kinderkram was du treibst."
„Kinderkram?“ flüsterte er vor sich hin. Die Frage war an sich selbst adressiert.
Sein Name - Kaban - bedeutete Wildsau. Diesen bekam er nicht, wie so mancher meinen könnte, aufgrund seiner Fettleibigkeit.
„Das ist ein wahres Rindvieh“ - sagte seine Klassenlehrerin einst dem Rektor über ihn. Sie hatte über die Jahre ein deutliches Bild von Alexei Safiullin bekommen. Schlägereien, Misshandlungen, Nötigungen, Belästigungen, Beleidigungen, Diebstähle und weiter in diesem Sinne. „Äußerste Gewaltbereitschaft und Fehlen jeglicher Ethik“ - so stand dies schwarz auf weiß in den Akten. Dabei war das nur die Spitze vom Eisberg.
Lange Zeit lebte Kaban vom Kleingeld, das er jüngeren Mitschülern systematisch angenommen hatte. Auch nach seiner Schulzeit kam er immer mal wieder vorbei um sich ein wenig zu bereichern.
Er war mittlerweile achtzehn. Seit einer ganzen Weile beteiligte er sich an den Massenschlägereien zwischen den Jugendlichen verschiedener Stadtteile. Das Hafenviertel, in dem er aufgewachsen war genoss Ansehen. Die einheimischen Banden nahmen ihn gerne mit, denn er galt als „Psycho“. Er hatte immer ein Messer dabei, das er ohne Hemmungen einsetzte. Doch so sehr man seine Hilfe auch schätzten mochte. Niemand wollte ihn dauerhaft dabei haben. Kaum einer hatte wirklich einen Draht zu ihm. Es war eine vollkommen asoziale Persönlichkeit, mit der man so gut wie gar nicht sprechen konnte. Äußerste Schweigsamkeit in Verbindung mit einer erheblichen Konfliktbereitschaft. Und viele fürchteten seine Unberechenbarkeit. „Da kommt er dir entgegen und du weißt einfach nicht was passiert. Klopft er dir auf die Schulter, oder steckt er dir die Klinge in den Bauch“ hatte ein Bandenchef einmal über ihn erzählt.
Kaban war von Geburt an ein schwarzes Schaf. Er hatte sich längst daran gewöhnt, keine Freunde zu haben. Er brauchte sie nicht, genauso wenig wie Unterricht oder Sport. Das Wichtigste verstand er auch so: Im Zweifelsfall auf die Fresse. Einen Kampf gewinnt der Aggressivere. Immer zuerst zuschlagen und so lange, bis der Gegner nicht mehr aufsteht. Nur kleine Fische geraten ins Netz. Weisheiten, die er mit der Muttermilch aufgesogen hatte.
Was er jedoch wahrhaftig genoss, war sein Image als böser Bube. Er präsentierte sich gerne als brutaler Geisteskranker, vor dem alle erzitterten. Und je größer die Angst vor ihm wurde, umso mehr Ansporn bekam er, es weiter auf die Spitze zu treiben.
Es war gerade einmal wenige Tage her. Ein herrenloser Steuner, den die ganze Nachbarschaft liebte und fütterte kam auf Kaban zugelaufen, während dieser auf einer Bank vor dem Elternhaus saß und Sonnenblumenkerne mit den Zähnen knackte. Um ihn herum lagen überall Schalen. Einige klebten an seiner Kleidung und am Gesicht.
„Was willst Du? Verzieh dich“ schnauzte Kaban das Tier an.
Zunächst bedauerte er, sein Messer nicht dabei zu haben. Sein nächster Gedankenschritt war deshalb die Suche nach diesem. Der Blick lief die Hausfassade aus rotem Ziegel hinauf zum fünften Stockwerk, wo sich seine Großmutter ebenfalls langweilte.
Und dann war er plötzlich da. Ein wahrer Geistesblitz.
„Warum hänge ich diesen Köter eigentlich nicht auf?“
Kaban packte den Streuner an den vorderen Pfoten. Er zerrte ihn zu sich und nahm ihn in die Arme. Dann schrie er einige Minuten lang seine Oma herbei. Diese kam mit einem Seil die Treppen hinunter gelaufen. Voller Vorfreude spazierten beide die Straße hinunter zu den städtischen Dampfbadanlagen. Im dortigen Hinterhof würde sie niemand stören.
Doch der Hund hatte Glück. Eine Nachbarin war gerade von der Arbeit gekommen und sah die beiden vermeintlichen Henker. Die Frau stellte sich ihnen in den Weg und begann so laut zu protestieren, dass sie gezwungen waren, von ihrem Vorhaben abzusehen.
„Was mischt sich diese Schlampe auch in fremde Angelegenheiten ein“ knurrte die Großmutter anschließend unzufrieden. „Wir hätten ihm den Strick nicht gleich um den Hals binden sollen. Dass hätte keinen Verdacht geschaffen. Ich hasse dieses Mistvieh“.
Die Einzimmerwohnung, in der sie wohnten, sah ziemlich heruntergekommen aus. Die teils abgerissenen, grauen Tapeten wurden seit Jahrzehnten nicht ausgewechselt. Die urprünglich weißen Gardinen nahmen mit der Zeit eine dunkelgelbe Farbe an. Zwei schmutzige Matratzen lagen im Wohnzimmer. Die dickere der beiden gehörte der Hausherrin. Unter dem Kissen versteckte sie ihre Spritze. Morphium und sonstige chemische Gemische aus der Apotheke waren ihr täglich Brot. Daneben stand ein Wandschrank und ein Schwarz-weiß-Fernseher. In der Ecke links vom Fenster sammelten sich leere Flaschen. Alles in allem eine typische Säuferbude. Eine hässliche Realität die in den letzten Jahren des Sowjetregimes immer realer wurde.
In der Küche hatte sich eine dichte Rauchwolke gebildet. Die zweiköpfige Familie saß am Esstisch und rauchte geklaute Zigaretten. Auf dem Gasherd stand ein Kochtopf mit Tschaifir - ultrahochkonzentriertem Schwarztee, wie er in den Gefängnissen und Lagern getrunken wurde.
Kaban nahm einen Schluck. Das Herz begann zu rasen, in den Haaren spürte er Elektrizität und der Blutdruck schien die Augäpfel aus ihren Höhlen zu pressen.
Die Oma schielte in seine Richtung. Ein penetranter Blick der dem jungen Mann verdeutlichen sollte, dass sie mit ihren Überredungen nicht nachgeben werde.
- „Vielleicht erlebe ich das noch und du wirst zum Dieb gekrönt“. Auf dem Gesicht der Alten verteilte sich eine Art Lächeln. Ihr Enkel ein gesetzlicher Dieb. Das glorreiche Finale einer Familiengeschichte von drei Generationen.
- „Weißt du eigentlich, was das heißt?“
Alexei hatte diese Predigt schon etliche Male gehört. Seit seiner frühen Kindheit wurde sie ihm immer wieder vorgebetet. Natürlich wusste er das. Es bedeutete in erster Linie, Herr über Leben und Tod zu sein, genau wie der Allmächtige. Macht über andere zu haben. Sich von niemandem etwas vorschreiben zu lassen und jeden bestrafen zu können, der einen jemals auch nur schief angeguckt hat.
Dabei gab es doch so vieles, wofür sich die Wildsau rächen wollte, bei so vielen. Diese Gesellschaft, die ihn verstoßen hatte. Die Mädchen, die einen Bogen um ihn machten. Die Erzieher, Lehrer, Trainer und Direktoren die ihn auslachten, von oben herab bahandelten, zurecht wiesen, beschimpften, schlugen und wie er sich selbst gerne ausdrückte „sein Hirn vergewaltigten.“
Nirgens war er jemals akzeptiert worden. Nicht in der Schule, nicht in der Werkstatt, nicht einmal im Kindergarten.
Er war in seinen Gedanken versunken. Seine ohnehin finstere Miene wurde noch finsterer. Der Zorn lähmte seine Glieder. Die Oberlippe zog sich leicht nach oben und entblößte die Zähne. Nur die kalten Fischaugen zeigten keine Veränderung. Das vom Alkohol und Lackschnüffeln gekennzeichnete, von Narben übersähte Gesicht strahlte nur eine einzige Emotion aus: blanken, wilden, teuflischen Hass.
Alexei machte nur äußerst selten den Mund auf. Auch jetzt hatte er kein Wort von sich gegeben. Doch die Großmutter nickte zufrieden. Sie hatte ihm die Antwort vom Gesicht abgelesen.
„Wir stammen nicht aus dieser Welt, mein Junge. Deshalb geht es uns hier so dreckig. Hinter dem Zaun sind wir daheim.“ Die Alte spürte instinktiv, dass sie etwas erreicht hatte. Etwas sehr wichtiges war in ihrem Enkel kaputt gegangen. Er war nun bereit, zu wachsen.
Als Kaban jedoch die Worte „mein Junge“ hörte, dachte er an seine Mutter. Er hatte sie nur wenige Monate neben sich gehabt. Sie war vor Jahren im Lager gestorben. Ohne es sich anmerken zu lassen, verspürte er das Bedürfnis zu weinen. Doch nach wenigen Sekunden hatte er sich bereits gefangen und erinnerte wieder an ein kaltherziges Geschöpf. Tränen waren in seiner Welt tabu.
Die Oma war stolz auf ihn, auch wenn sie ihm das nie gesagt hätte. Sie hatte ihn im Alleingang zu dem erzogen, was sie selbst war. Er sah ihr sogar äußerlich ähnlich. Auch hinter ihren Augen schien sich keine Seele zu verbergen. Es entstand der Eindruck, als säßen zwei Reptilien einander gegenüber.
Kaban schwieg noch eine gewisse Zeit und starrte vor sich hin. Schließlich stand er auf und blickte aus dem Fenster in den Hof.
„Kinderkram!" gestand er sich ein.
Die ganze Nacht über hatte er nicht geschlafen. Er wusste, dass jetzt der nächste Schritt fällig war. Mental stellte er sich auf die Gefängnismauern ein. Auf all das, was ihm erzählt wurde. Von der Oma, von den Bandenmitgliedern, von vielen, die gesessen hatten. In seinem Land gab es solche Menschen wie Sand am Meer. Aber nur die wenigsten konnten zur herrschenden Kaste gehören. Und nur Einzelne wurden gekrönt. Er selbst hatte das Glück, einen solchen Auserwählten zu kennen. Ein alter Mann, den Ruhm und Ehre umgaben. Viele sprachen über ihn und alle Jugendlichen der Nachbarschaft wussten ganz genau, dass „der Tatare“ fünfunddreißig Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Solchen wie ihm waren all jene populären Lieder gewidmet, die in den letzten Jahren an jeder Ecke ertönten. Gaunermusik wurde beliebt wie nie zuvor. Die junge Generation saugte Melodie und Worte auf wie ein riesiger Schwamm. Eine besondere Romantik ergoss sich aus den Gitarrenklängen und den verrauchten Stimmen und eröffnete solchen wie Kaban die Tür in eine Welt, wo all ihre enttäuschten Erwartungen doch noch erfüllt werden konnten. Nicht umsonst hatte die Alte prophezeit:
„Ich spüre es. Unsere Zeit bricht herein.“
Vom Hörensagen kannte Alexei schon sämtliche Tricks, die die anderen Gefangenen anwenden werden, um ihn als Neuling über den Tisch zu ziehen. Er wusste nur zu gut, wie er sich zu benehmen hatte. Sein ganzes Leben lang wurde er dafür vorbereitet und nun war es soweit.
Am nächsten Morgen nahm er das Brecheisen mit, welches in der Wohnung lag seit sein ältester Bruder die Heimat in Richtung Sibirien verlassen hatte. Unfreiwillig versteht sich.
Er wollte zuerst ein geeignetes Objekt für einen Einbruch finden. Hierfür durchlief er den sogenannten privaten Sektor. Eine benachbarte Gegend, die eher einem Dorf glich. Sie bestand ausschließlich aus Holzhäusern in traditionellem russischen Stil. Nach einer Weile hatte er das passende Haus gefunden. Es stand relativ zentral und das Risiko, erwischt zu werden war groß. Doch so oder so hatte er nichts zu verlieren. Entweder sofort Knast oder zuerst noch einmal ein ordentliches Besäufnis von der Einbruchsbeute. Er würde Spuren hinterlassen, die zu ihm führten. Diebstahl war auf jeden Fall das richtige Delikt, um dort, wo er jetzt hingehen würde, Respekt zu erlangen und Freunde zu finden.
Kaban holte das Eisen aus der Jacke hervor und blickte sich noch einmal um. Völlig unerwartet sah er eine blinde Frau die Straße in seine Richtung hinunter laufen. Sie trug eine dunkle Brille und ertastete sich den Weg mittels eines Spazierstockes. Er blieb wie gelähmt stehen und konnte seine Augen nicht mehr von ihr reißen.
Im wenigen Augenblicken war sie bei ihm angelangt. Sie trug einen gepflegten, aber schon alten und verfärbten lilanen Mantel und eine selbstgestrickte blaue Mütze. Sie hatte eine große Tasche mit sich. Sie war dünn und sicherlich bereits im Rentenalter oder jedenfalls kurz davor. Es gab viele Blinde im Hafenviertel. Ganz in der Nähe befand sich eine Fabrik, wo sie beschäftigt waren.
- „Entschuldigen sie bitte“ fragte sie mit einer Engelsstimme. „Wissen sie wo das städtische Dampfbad ist?“
Es war eine jener sowjetischen Frauen, die vom grausamsten Jahrhundert der russischen Geschichte abgehärtet worden waren. Diejenigen, die Leid und Elend überstanden hatten und allem zum trotz jeden Tag mit einem dankbaren Lächeln begrüßten. Die nach dem Motto lebten, dass starke Menschen gute Menschen seien.
Auf der Brust trug sie ein Abzeichen. „Heldin der Arbeit“. Doch das war alles andere als Angeberei. Gedacht als ein Appell an ihre Mitbürger, sie nicht von oben herab zu behandeln. Aber auch zum Schutz. Sie sprach damit Passanten ins Gewissen: „Tut mir nichts, helft mir. Ich habe mein Leben unserem Land und den künftigen Generationen gewidmet.“
Kaban glotzte sie zuerst verwundert an. Für einige Augenblicke schien er aus der Fassung geraten zu sein. Seine nun auftauchenden Gedanken verwirrten ihn. Er hätte ihr natürlich auch nur sagen können, dass sie weitergehen solle. Was wollte sie auch von einem wie ihm.
Da standen sie beide nun auf einer nicht unbedingt sauberen Straße vor der Fassade eines Hauses aus Holzstämmen mit blau-weiß verzierten Fensterrändern. Davor ein mannshoher Bretterzaun. Hunde bellten in der ganzen Umgebung. Einige zehn Meter weiter fraß eine angeleinte Ziege das verstaubte Gras. Kaban betrachtete die Frau mit ihrer Mitleid erregenden Miene. Sie erinnerte ihn an seine Klassenlehrerin. Er dachte daran, wie diese ihn am Ohr gezerrt hatte, wenn er sich einmal in der Woche im Unterricht blicken ließ. Nein, diese Menschen waren die letzten, die irgendwelche Emotionen in ihm bewegen konnten, bis auf tiefste Verachtung. Ihre kommunistische Scheinheiligkeit, ihre Besserwisserei, ihre sauberen und gepflegten Waschlappenkinder. Mit all dem war sie bei der Wildsau an der falschen Adresse angelangt. Und mit einem Mal wurde ihm schlagartig klar, was er zu tun hatte.
- „Selbstverständlich. Ich führe sie hin. Das ist hier ganz in der Nähe.“ Kaban versuchte ihre Tonlage zu kopieren. Er war selbst davon überrascht, wie gut ihm dies gelungen war.
Sie tastete nach seinem Arm. Er bot ihr diesen an. Sie hackte sich an seinem Ellbogengelenk ein.
- „Vielen Dank. Das ist sehr nett von dir. Wie heißt Du?“
- „Ka...." Kaban stoppte seine Rede und musste kurz nachdenken.
- „Alexei“
- „Wohnst Du hier irgendwo?“
Kaban wurde etwas nervös. Er mochte diese Fragen nicht und antwortete deshalb kurz und knapp.
- „Ja"
Sie gingen einige hundert Meter in die richtige Richtung. Das Dampfbad, welches sich so nahe an Kabans Wohnhaus befand, dass seine Großmutter ihn nun aus ihrem Fenster hätte sehen können, erschien am Horizont.
- „Wie alt bist du?“ fragte sie ihn.
- „Achtzehn“.
- „Arbeitest du schon oder bist du Student?“
- „In der Werkstatt bin ich. Mechaniker“. Kaban log völlig problemlos.
- „Das ist aber wunderbar, mein Junge.“
Da war es wieder. Dieses „mein Junge“. Alexei sah seine Mutter vor dem geistigen Auge. Ihm wurde bange. Die Angst kam in ihm hoch. Doch wovor? Er hatte keine Antwort auf diese Frage. Das Adrenalin hatte seinen ganzen Körper eingenommen. Das Herz schlug immer wilder.
- „Was ist mit dir los?“ fragte seine Begleiterin.
Kaban hatte längst gelernt, gegen dieses schreckliche Gefühl anzukämpfen. Sein grenzenloser Zorn war stärker als alles andere in ihm. Worte der Motivation kamen ins Gedächtnis „Angst, Schwächling, Schwuchtel, Kinderkram“ seine Wangen und die Augen liefen rot an. Eine wahnsinnige Grimasse schien seine Gesichtsnerven gelähmt zu haben.
„Zeig es ihnen. Zeig allen, was du drauf hast.“
Sie standen nun auf einer belebten Straße. Überall waren Menschen. Autos fuhren herum, am Straßenrand handelten Einheimische mit Blumen, Obst und Gemüse. Einige von ihnen starrten bereits auf das Paar. Es war auch ein wahrhaft absurder Anblick.
Die dicke berühmt berüchtigte Wildsau mit ihrer kriminellen Visage und daneben eine Rentnerin mit einem Orden auf der Brust. Irgend etwas konnte hier nicht stimmen, zumal der junge Mann in der anderen Hand ein Brecheisen trug. Die Spannung stieg. Ein älterer Mann tippte seiner Nachbarin auf die Schulter und deutete in Richtung der Ankömmlinge.
Alexei riss plötzlich seinen rechten Arm von der Frau los und trat einen Schritt zur Seite. Er fing an zu brüllen, so laut er konnte, als bäte ein Schauspieler um die allgemeine Aufmerksamkeit.
Er nahm das Brecheisen mit beiden Händen, holte weit aus und schlug auf den Kopf der armen Frau ein. Diese war beim Geschrei wie versteinert stehen geblieben. Ein einziger Schlag genügte. Das Blut spritzte aus der Schädeldecke. Der leblose Körper sank in sich zusammen. Die ganze Straße, sämtliche Anwesenden blickten sprach- und fassungslos auf ihn und sein Opfer. Drumherum hatte sich eine rote Pfütze gebildet.
Kaban wollte nicht da bleiben und ansehen, was er angerichtet hatte. Er marschierte in Richtung seines Hauses. Noch im Vorbeigehen betrachtete er die bleichen Gesichter und die hängenden Unterkiefer seiner Mitbürger. Er genoß wahrhaftig den Augenblick, da er alle in Schrecken versetzt hatte. Er fühlte sich wie ein König, der sich seinen Untertanen präsentierte.
Mit scheinbarer Gleichgültigkeit bewegte er sich in seinen Hof hinein. Hinter seinem Rücken erklangen Gewinsel, Gekreische und die Worte „Milizija, Milizija“.
Vor sich sah er eine Gruppe bekannter Jugendlicher auf der Bank sitzen. Diese bemerkten ihn natürlich sofort. Er ging auf sie zu. Das Brecheisen, von dem Blut heruntertropfte hielt er wie eine Trophäe in der Hand, jeder sollte es sehen. Auch die Kleidung war blutverschmiert. Die nach wie vor triumphale Miene lief jedoch unerwartet grüngelb an. Alexei brach zusammen und fiel auf die Knie. Er musste sich mehrmals übergeben.
Die Menge stand fassungslos vor ihm. Jeder einzelne von ihnen konnte kaum realisieren, was gerade geschehen war. Selbst die etwas älteren Jungs mit ihren Sonnenbrillen, sahen lange nicht so kaltblütig aus wie sonst. Nur einer von ihnen begann schließlich zu sprechen:
- „Kaban!“
Alexei erhob seinen Kopf etwas.
- „Hast Du wenigstens mit dem spitzen Ende zugeschlagen?“.
Kaban spuckte seine letzten Essensreste aus dem Mund und antwortete, ohne seinen Blick vom Boden zu nehmen:
„Natürlich, ich bin doch kein Tier.“