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Bitte gebt mir gern eure Rückmeldungen zum Text
Trifft eine dieser Aussagen zu? Wenn ja, warum?
- das Schicksal war mir unsympatisch
- die Konversation führte nirgendwo hin, was ich als negativ empfand
- die Charaktere waren zu gegensätzlich
- ich konnte mit dem Gesprächsinhalt wenig bis gar nichts anfangen
- der Schreibstil hat mir missfallen
Kaffeekränzchen mit dem Schicksal
Wir müssen uns mal wieder treffen. Haben viel eigentlich nichts zu bereden. Café „Vent de Printempes“ Ecke Lavar Avendue und Picilly Street. Morgen, 14.30 Uhr. Bitte sei pünktlich.
Nachdenklich lege ich den Zettel zurück auf die Flurkommode. Wir haben uns seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Wenn man sich mit dem Schicksal trifft, weis man nie genau, wen man trifft. Einen Mann, eine Frau? Das Schicksal kann in jeder Form erscheinen. Mir war das seit jeher unheimlich, doch gezeigt habe ich es nie. Auch die Erkenntnis, dass das Schicksal einfach über jedes Leben entscheiden kann löst bei mir Beklemmung aus. Ob das Schicksal so etwas überhaupt nachvollziehen könnte? Vermutlich nicht.
Am nächsten Nachmittag lief ich die breite, von Eichen gesäumte Lamar Advendue entlang und sah auf jedes Schild, das auf die kleinen Seitenstraßen verwies. Die dritte war die Picilly Street. Ich ich sah mich um und entdeckte nach einigen Sekunden ein winziges Café, das von den großen Häusern neben sich beinahe erdrückt zu werden schien. In den Fenstern hingen dünne hellgrüne Gardinen und eine Glocke erklang als ich hineinging.
Im Inneren des Cafés sah es frühlingshaft aus. Auf dem blanken Boden schimmerten helle Fliesen und auf jedem Tisch standen Frühblüher. Durch die Fenster fiel freundliches, natürliches Licht.
Durch diese Fenster schaue ich, um zu sehen, wann das Schicksal kam. Ich hatte zwar keine Ahnung, nach welchem Aussehen ich Ausschau hielt, aber ich bildete mir seit jeher ein, ich würde es einfach erkennen. Immerhin bin ich, meines Wissens zumindest, auch die einzige Person die das Schicksal kennt.
Aber das konnte sich ja mittlerweile auch geändert haben. Wie gesagt, wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen.
Eine Frau setzte sich an meinen Tisch. Ich hatte sie zwar wahrgenommen, aber nicht gesehen.
Die Person also, die sich an meinen Tisch setzte, war eine grauhaarige Mittvierzigerin, der ein Feng Shui-Programm aus ihrer zweifellos selbstgeschneiderten Tasche ragte. Sie hielt einen Plastikblumenstrauß in den Händen und musterte mich aufmerksam. „Du hast dich verändert.“
„Das kann man von dir nicht behaupten. Letztes mal warst du ein junger, ambitionierter Geschäftsmann mit Aktentaschen voll Idealen“, antwortete ich ein wenig zögerlich.
„Aber noch genau der gleiche Sarkasmus. Ich schätze es, dass du kein Problem mit meinem Äußeren hast.“
„Aber warum Plastikblumen? Ich dachte immer leblose Gegenstände stören das Chi?“, frage ich und deute auf den Strauß in ihren Händen.
„Nein, die Plastikblumen sind für dich."
„Oh. Dann war das Café „Frühlingswind“ nur ein makabrer Witz?"
„Nein. Du weißt, Komik liegt mir fern. Aber Plastikblumen haben etwas für sich, auch wenn echte natürlich viel besser sind. Etwas umweltverschmutzendes, einstaubendes, das eigentlich eines der schönsten, lebendigen Dinge der Welt darstellen soll? Das ist so grotesk, das es fast schon wieder schön ist! Plastikblumen sind ein Sinnbild eurer Welt, ein Hilferuf, ein Hoffnungsschimmer! Und zudem furchtbar hässlich. Sieh doch hier, man erkennt noch die Verarbeitungskanten!"
Ich sah mir die Verarbeitungskanten an. Es waren solche uralten Plastikblumen, die schon staubig und vom Sonnenlicht ausgeblichen waren. Die Ränder waren faserig und der Kleber gelblich und spröde. Sie stanken nach Staub, Chemie und Plastik. „Ich hasse Plastikblumen.“
Sie seufzte. „Na gut, ich dachte ich könnte dich begeistern. Zugeben, sie sind wirklich furchtbar hässlich.“
Sie setzte sich, wir schwiegen einen Moment und als die Kellnerin vorbeikam, bestellten wir uns Kaffee.
„Und was hast du in den letzten Jahren gemacht?“, fragt das Schicksal. Ich habe immer das Gefühl, sie sei eigentlich nicht wirklich interessiert an meinem Leben, in ihrer Tonlage ist dann immer so ein desinteressierter Unterton.
Ich zuckte mit den Schultern. „Alles Mögliche. Weißt du das denn nicht?“
Das Schicksal zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe dir mal versprochen, mich nicht um dein Leben zu kümmern. Ich weis nichts über dich.“
Ich stütze den Kopf in die Hände. „Ich weis auch nicht. Irgendwie bin ich hängen geblieben.“
„Wo? Auf der Wäscheleine? In der Halteschlaufe in der Straßenbahn?“
„Im Leben. So allgemein.“ Ich sah sie böse an, weil sie lächelte und meine Situation nicht verstand. Wie könnte sie auch, sie war ja schließlich kein Mensch. „Erzähl mir was du so getrieben hast. Heitere mich auf.“
„Och, bei dem schnellen Leben heutzutage vergisst man selbst die lustigsten Dinge.“ Dann lachte sie. „Apropos heutzutage! Kabarettszene! Eine interessante neue Entwicklung.“
„Das gibt es schon länger.“
„Ich lebe in meiner eigenen Zeit, das weiß ich selbst. Und solange ich das so klar sehe ist doch alles gut, oder?“
Theoretisch lebt sie tatsächlich irgendwie in einer eigenen Art von Zeit. Ich massiere meine Schläfen. „Und was ist jetzt mit der Kabarettszene?“
„Es ist lustiiiig!“
„Ach.“
„Du klingst nicht begeistert.“
„Ach.“
Sie zog eine Schnute. „Warum?“
„Weil man die heutige, traurige Realität nicht mehr komödiantisch bearbeiten kann! Wie traurig ist das bitte, dass man sich über Sachen lustig macht, die einen sonst auf die Palme bringen würden? Das wir naiv fragen, ‘ist das wirklich so oder haben die sich das ausgedacht’? Unsere Realität ist keine Realityshow!“
„Es würde besser passen, wenn wir unsere Erscheinungen tauschen würden. Du als weise Mittvierzigerin und ich als junge Studentin. Manchmal denke ich, du hast bedeutend mehr Lebenserfahrung als ich, obwohl ich schon vor dem Anbeginn der Zeit existiert habe.“
„Sehr wahr.“
„Aber woran liegt das?“
„Ich nehme am Leben teil, du nicht.“
Sie zog eine Grimasse. Ein lustiger Anblick eigentlich, aber mir ist nicht nach Lachen zumute. „Vielleicht weil ich nicht lebe sondern nur existiere? Das ist ein Unterschied. Wie soll ich an einem Leben teilnehmen, wenn ich keines habe? Kann man an einer Existenz teilnehmen, sie wirklich… leben?“
„Du nimmst es mit der Bedeutung von Wörtern sehr genau.“
„Weißt du doch.“
„Meine Professoren wünschen sich, ich würde die Begriffe Firma, Unternehmen und Betrieb ebenso gut und genau verwenden.“
„Also der Unterschied zwischen Betrieb und-“
„Danke, ich weiß wo der Unterschied ist. Ich denke nur nicht daran, es anzuwenden.“
Wir schwiegen wieder.
„Bist du eigentlich das Gleiche wie Zufall?“, fragte ich. Das hatte ich immer schon mal wissen wollen.
Sie wiegte den Kopf. „Per Definition nicht, nein. Schicksal bestimmt etwas absichtlich vor, Zufall… naja tut das eher zufällig. Mein Zwilling.“
„Du hast viele Geschwister?“
„Unglaublich viele.“ Sie schwieg einen Moment. „Aber weißt du, was mich wirklich nervt?“
Jetzt konnte ich mich auf einen längeren Monolog ihrerseits gefasst machen. Vermutlich auf eine sehr subjektive Explikation der normativ unvorhandenen Reflexion und Autonomie der postulierenden Allianz ihrer gleichgestellten Entitäten, die sie schlussendlich als Axiom deklarieren wird.
Oder, anders ausgedrückt, sie wollte sich über ihre Familienbande bei mir auskotzen.
Das Studentenleben hatte mir für immer ein Trauma von Fachtermini beschert. „Was nervt dich wirklich?“
„Das ihr Menschen Zufall und Schicksal immer verwechselt!“, regte sie sich auf, „Und das ihr uns immer das falsche zuschreibt! Hat man einen Preis bekommen, sagt man bescheiden das war doch Zufall, und wenn was negatives passiert heißt es immer das ist einfach Schicksal! Argggg!“ Sie kratzt mit den Fingernägeln über den Tisch. „Und immer habe ich schuld!“
Ich verglich sie in diesem Moment mit einem trotzigen Kleinkind.
„Ja, Zufall ist positiv, klar, immer sie! Und wenn etwas aus Schicksal passiert, dann kann man einfach nichts mehr dagegen tun, ich hasse es…“
„Aber sagt man nicht auch, das Schicksal spielte einem in die Karten?“, versuchte ich ein Gegenargument anzubringen.
Sie funkelt mich wütend an. „Ja, aber das setzt voraus, das es das sonst nicht tut!“ Sie überlegte. „Merkwürdig von sich in der dritten Person zu sprechen.“ Dann kam die Wutfratze wieder. „Und vor allem schreibt ihr uns ALLES zu!“
„Naja, also-“
„Doch! Krieg? Schicksal. Frieden? Zufall. Prüfung geschafft? Zufall. Jemand verstorben? Schicksal. Was verloren? Schicksal. Was wiedergefunden? Zufall. Jemand nettes getroffen? Zufall. Zerbrochene Beziehung? Schicksal. Guter Job? Zufall. Kündigung? Schicksal. Etwas-“
„Okay, okay, schon gut. Wir schieben euch alles in die Schuhe.“
„GENAU! Ich weis gar nicht, wie ihr das macht, wo wir doch eigentlich gar keine Schuhe haben!“
Ich deute auf ihre Gummistiefel.
„Na gut“, überlegt sie, „in so Gummistiefel passt viel rein. Vielleicht sollte ich sie mal zu Nikolaus raus stellen.“ Ihr Blick verschwindet einen Moment in der Ferne, dann regt sie sich weiter auf. „EGAL! Ihr Menschen schreibt uns immer alles zu, ich weis auch nicht warum! Seid ihr zu faul? Ihr müsst euer Leben selbst in die Hand nehmen und nicht alles uns unter die Füße… nein, in die Schuhe schieben! Denkt ihr, das macht uns Spaß?“
„Öhm, also in der zweiten Person Plural angesprochen zu werden ist nicht so nett wie ich immer dachte.“ Ich sehe sie mit flehenden Augen an. „Bitte las mich jetzt nicht als Vertretung für die gesamte Menschheit fugieren, das ist auch kein guter Job!“
Sie geht nicht darauf ein. „Ihr müsst selbst eure Entscheidungen treffen! Selbst schauen, was ihr aus eurem Leben macht! Wir, also ich und Zufall geben lediglich einige Möglichkeiten in den großen Kessel. Aber wenn wir eine Konferenz mit einem Filmstar für euch engagieren und ihr nicht hingeht, dann ist das kein verdammtes Schicksal oder Zufall sondern eure eigene Schuld! Es ist eure Schuld wenn ihr die Welt kaputt macht und ihr euer Leben kaputt macht weil ihr die Möglichkeiten nicht nutzt und uns kaputt macht weil ihr nichts mehr selbst verantwortet und auch kaputte-“
„Wir sind kaputt, wie können wir dann etwas reparieren, wenn wir uns doch selbst noch nicht repariert haben?“, gebe ich klug von mir und bin stolz auf mich weil dieser Satz tatsächlich mein geistiges Eigentum ist. Ich überlege schon, wie ich ihn ihn Fachtermini wiedergeben kann um ihn mal auf irgendeiner Versammlung vor versammelter Mannschaft fallen zu lassen. Gleichzeitig mache ich mir eine geistige Notiz, dem Schicksal niemals etwas von Fachtermini zu erzählen, das könnte sonst erst richtig heiter werden.
Plötzlich zuckt es gleichgültig mit den Schultern. „Aber warum rege ich mich eigentlich auf? Meine Existenz hängt nicht von eurer ab. Macht was ihr wollt, ist ja schließlich eure Welt, eure Gesellschaft, euer Leben.“
„Stimmt.“, murmele ich.
„Wart ihr eigentlich schon immer so?“, fragt es nachdenklich.
„Manche Forscher haben die Theorie, dass intelligentes Leben dazu neigt, sich selbst zu zerstören“, versuchte ich mit Informiertheit zu glänzen.
„Vielleicht stimmt das.“, murmelt sie gedankenverloren.
„Du bist doch so... für alles halt zuständig. Es gibt doch sicherlich auch noch woanders intelligentes Leben, oder?“
Es legt die Finger an die Lippen. „Berufsgeheimnis.“
Wir überlegen wieder eine Weile.
„Warum kenne ich dich eigentlich?“, frage ich.
„Ist das als Beleidigung zu verstehen?“
„Ne. Interessiert mich nur.“
„War das ironisch gemeint?“
„Nein.“
Sie beäugt mich misstrauisch. „Na gut. Tatsache ist, das weis ich auch nicht so genau. Ich wusste nicht mal, dass ihr mit uns überhaupt kommunizieren könnt und das auch noch einigermaßen auf Augenhöhe.“
Ich verziehe ärgerlich das Gesicht. „Damit meinst du Giraffe und Plankton. Und ich bin das Plankton.“
Sie macht eine unschuldige Geste. „Das habe ich nie gesagt.“
„Aber du hast es gedacht.“
„Du kannst mal nicht wissen ob ich überhaupt denke oder nicht.“
„Stimmt, das ist schwer herauszubekommen wenn man sich mit dir unterhält.“
„Bitte! Nur weil ich nicht so oft mit Menschen rede, heißt das nicht das ich gar keinen Sarkasmus verstehe.“
„Schön. Und sonst?“, frage ich ein wenig genervt, weil das Gespräch zu nichts führt. Ich könnte mich nicht erinnern, das unsere Gespräche jemals zu etwas geführt hätten. Und doch habe ich sie nie als Zeitverschwendung angesehen.
„Nichts sonst. Wir haben uns mal wieder nett unterhalten. Wenn du jetzt Politikerin wirst, die Welt wachrüttelst und deine epische Dankesrede hältst, dann schreibe es bitte weder Zufall noch Schicksal zu. Na gut, mir kannst du schon danken. Aber nicht Zufall.“ Sie lächelt mich an. „Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, ja?“
Sie schiebt den Stuhl zurück und steht auf. Plötzlich leuchten wie aus dem nichts ihre Augen auf. „Eine weitere interessante Entwicklung: Fachtermini! Es gibt mittlerweile so viele davon, das ist ja quasi schon wie eine zweite Sprache. Voll lustig.“
„Bei dir ist alles lustig.“
„Nicht alles. Aber vieles.“
Zu vieles, will ich noch sagen, aber da ist sie schon aufgestanden und verschwunden.
Die Plastikblumen hatte sie liegenlassen.