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Kleines Mädchen in Amsterdam
In Amsterdam liegt das Krankenhaus am Ende der Stadt. Lichter rauschen vorbei, grüne, rote, ganz viele gelbe. Und das Mädchen wundert sich. Heute Morgen noch hat es sich so erwachsen gefühlt. Jetzt ragt sein Blick kaum übers Armaturenbrett hinaus.
Im Nebensitz summt der Fahrer ein Lied. Er scheint einer dieser Sanitäter zu sein, die in ihrer Arbeit voll aufgehen. Sein Gesicht liegt in den Schatten verborgen, aber irgendwie ist es schön. Die Fahrt ist irgendwie schön.
Ob sie kurz mit rauskomme?
Auch die Ärzte sind jung. Hier in der Notfallstation sind alle so verdammt jung. Sogar ihre Mama fühlt sich jung an, fast wie ein Baby. Die Medikamente haben gemacht, dass sie aufhört zu zittern. Nun liegt sie da wie auf Drogen.
Sie hätten da etwas entdeckt. Das Mädchen nickt. Beim Computerdings sei etwas nicht so, wie es sein sollte. Das Mädchen nickt. Sie versteht nicht, was die da meinen. Ihr Englisch ist nicht gut. Niemandes Englisch hier ist wirklich gut.
Sie müssten weitere Untersuchungen machen. Am nächsten Morgen. Vielleicht auch in den nächsten Tagen. Und das Mädchen erstarrt.
„Is it bad?“, bringt es hervor. Es hat nicht die richtigen Worte, um zu fragen, was es fühlt.
Die Ärzte nicken. Brain cancer. Brain cancer. Immer wieder „potential brain cancer“. Sie sind sich nicht sicher, aber ausschliessen könne man es nicht.
Das Mädchen nickt wieder. Ein kalter Lufthauch streift ihm übers Gesicht. Jemand hat die Tür nach draussen geöffnet. Vielleicht ein Pfleger, der in die Pause geht.
Wieder nickt das Mädchen. Es kann nicht mehr aufhören. Reagiert es auch angemessen? Sollte es weinen? Was würde ein Schauspieler tun?
Der schale Geschmack vom Abendessen auf seiner Zunge. Fisch. Am liebsten würde es würgen, sich übergeben, alles raus! Weg damit!
Die Ärzte reden noch immer. Sie sind so jung. Wie können sie auch nur glauben, sie hätten Recht? In einem der Stationszimmer piepst eines dieser Geräte. Laut und immer lauter. Schrill und immer schriller.
„Not possible!“, sagt das Mädchen. „We go home to Switzerland tomorrow!“
Am nächsten Morgen fühlte sich der Sitz neben dem Mädchen so schmerzhaft leer an.