Was ist neu

Kuppelkuchen

Mitglied
Beitritt
01.12.2015
Beiträge
83
Zuletzt bearbeitet:

Kuppelkuchen

„Her mit dem Pax, du Mistkerl!“ Unsanft zerrte Miller den Rucksack vom Rücken des Diebes, während er seinen Stiefel fest in den Hintern seines Gegners stemmte, um ihn im roten Schlamm der menschenleeren Seitengasse zu fixieren. Nachdem er die Medikamente gesichert hatte, tippte er noch etwas kurzatmig an das Com in seinem Ohr. „Ich hab den Kerl. 23.te West. Beeilt euch.“
„Und jetzt zu dir. Wie heißt du?“
„Carlo. Carlo Cruz.“
Miller zog den Mann in die Höhe, um ihm die Handschellen anzulegen und einen Scan für das Protokoll zu fertigen. Aus dem schlammverschmierten Gesicht starrten ihn zwei blaue Augen ängstlich an. Der Junge war noch keine 18.
„Scheiße! Warum machst du so´n Mist? Das Pax ist lebenswichtig. Vor allem jetzt“
„Ey Alter, ich wollte mir nur ´nen kleinen Trip reinziehen. Mal alles vergessen. Diese Scheißangst macht einen fertig. Alle sagen, es dauert nicht mehr lange, bis die Kobas kommen.“
„Dann kauf dir ´ne Flasche Synthahol, aber klau keine wichtigen Medikamente, du Idiot. Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn sie dir ´ne Phaserwunde zusammenflicken ohne Pax?“
„Waren Sie im beim letzten Mal dabei?“
„Werd´ nicht frech, Kleiner. Mein Vater war zehn beim letzten Krieg mit den Kobas.“ Miller zerrte sein Shirt hoch und legte eine Narbe knapp oberhalb seines Hosenbundes frei. „Aber als Cop bekommt man auch Einiges ab. Und man überlebt es. Also reiß dich zusammen. Du bist ein Ferraner und wir sind hart im Nehmen. Es wird schon keinen Krieg geben und wenn doch, brauchen wir Jeden. Also melde dich bei deinem Block-Boss und tu, was zu tun ist. Hast du verstanden?“
Der Junge sah Miller irritiert an, aber er nickte.
„Und jetzt schlag zu.“ Miller zeigte auf die Stelle an seiner Schläfe, wo ihn der Schlag des Jungen ausknocken würde. „Mach schon, bevor ich es mir anders überlege.“ Dann wurde sein Kopf nach hinten geschleudert. Das Pax fest an sich gedrückt, fiel er der Länge nach in den Schlamm.

***​
Fünf Stunden später sprang Miller immer noch mit dröhnendem Kopf an der 52.ten Ost aus dem Gleiter und schlug den Mantelkragen hoch. Der Regen fiel in dicken Tropfen und der Schlamm bespritzte seine Hosenbeine, als er zu seinem Wohnblock hinüberrannte. Aus den staubverschmierten Fenstern der Cantina fiel warmes Licht auf die dunkle Straße und Miller verlangsamte seine Schritte, um einen Blick hineinzuwerfen. Sie war nicht da. Ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, ob ihn das erleichterte oder enttäuschte, drückte er die Tür auf, durchquerte den schummrigen, überfüllten Schankraum, setzte sich an die Bar und bestellte bei Fred ein Red Ale.
„Reis?“
Ein schneller Blick auf den roten Matsch in Freds Pfanne und die Entscheidung stand fest: für heute würde das Bier reichen.
„Schlechten Tag gehabt?“ Fred nickte in Richtung des Blutergusses an Millers Schläfe.
„Nur so ein kleiner Mistkerl, der mir durch die Lappen gegangen ist. Wollte sich mit Pax zudröhnen. Wenigstens die Medikamente konnte ich sichern“, antwortete Miller und dachte, dass er schon schlechtere Tage gehabt hatte.
„Langsam werden alle verrückt. Die Fandalower von Koba sollen zwanzig Starfighter haben. Die werden uns niedermähen und uns alles abziehen, was sie kriegen können.“
„Für den Blinden ist der Einäugige eben ein Gott.“
„Was ist das für´n beknackter Spruch? Pass bloß auf, Miller. Wenn du das woanders sagst, kommst du nicht mit einer Beule davon.“
„Vor 50 Jahren waren es doch unsere Großväter, die Koba plünderten oder nicht?“
„Da war Hungersnot. Was hätten sie denn machen sollen? Wenn die Fandalower damals ihre Vorräte geteilt hätten, wär der Überfall gar nicht nötig gewesen. Die Big-Boss haben den Kobas doch schon Hilfe zugesagt. Aber wir können ihnen ja nicht alles geben.“
„Ich weiß. Aber es reicht einfach nicht. Vielleicht, wenn die HighFandara vom Mutterplaneten …“
Fred rollte die Augen. „Die halten sich raus. Das weißt du doch.“
Das letzte Glas knallte Fred so heftig auf das Tablett, dass die Flüssigkeit überschwappte und einen roten, klebrigen See auf dem staubigen Boden der Cantina hinterließ. Mit einem genervten Grunzen machte er einen großen Schritt über die Lache hinweg und balancierte die Getränke zum Tisch am anderen Ende des Schankraumes. Miller war froh, das Gespräch nicht fortsetzen zu müssen. Jeder hatte eine andere Meinung zur Situation auf Koba, aber alle hatten Angst.
Wie schnell sich alles zugespitzt hatte. Vor zwei Wochen war noch jeder mit seinem eigenen Mist beschäftigt gewesen und Miller war nach einer Schlägerei zwischen zwei Minen-Gangs ausgelaugt in der Cantina gestrandet, als sie nach der Spätschicht hier auftauchte. Ein unbekanntes Gesicht mit einem gut gebauten Körper. Sie hatte sich den Regen aus den schwarzen Locken geschüttelt, die Ärmel ihres Overalls hochgekrempelt und sich auf den einzigen freien Platz neben ihn gesetzt. Schweigend hatten sie Freds Reis mit Algen in sich hineingeschaufelt und als sie danach beide einen Synthahol bestellten, um den pappigen Geschmack hinunterzuspülen, hatte sie sich mit einem Lachen vorgestellt: Luzia, die Neue aus Wabe 2-34. Also fast Nachbarn. Miller hatte es nicht so mit diesem Nachbarschafts-Hallo und normalerweise wäre er danach einfach gegangen, aber ihre Augen hatten ihn festgehalten. Da war ein Schimmern, für das er immer noch keine Worte fand. Es war, als spiegelte sich etwas Liebeswertes im Dunkel ihrer Pupillen, etwas, das den Betrachter hoffen ließ, selbst der Grund für dieses Strahlen zu sein.
Also war er sitzen geblieben und beim Lästern über das miese Essen hatte er ihr von dem Kuchen vorgeschwärmt, den er als Kind in einem Terrareport über Ackerbau in der Schule gesehen hatte. Das Bild des dunkel glänzenden Kuppelkuchens und das magische Wort Schokolade, hatten lange Zeit die Sehnsüchte seiner Kindheit bestimmt, aber das war lange her und Miller wunderte sich, dass es ihm überhaupt wieder eingefallen war und dass er einer Fremden davon erzählt hatte.
Für die Kinder der HighFandara mochte es vielleicht wichtig sein, sich an ihre kulturellen Ursprünge auf der Erde zu erinnern. Aber hier auf Ferra machte es keinen Sinn, solche Filme zu zeigen. Algen, Reis und Regen waren das Einzige, was sie im Überfluss hatten, abgesehen vom Eisenerz natürlich, ohne das es diese verfluchte Kolonie gar nicht gäbe. Und damit waren sie Millers Meinung nach noch deutlich besser dran als Koba, das seine Lebensberechtigung aus dem Schürfen von Kobalt und Bauxit zog.
Auf dem Mutterplaneten sollte es alles geben, was die Siedler von der Erde kannten und noch viel mehr. Miller versuchte sich das Strahlen in Luzias Augen vorzustellen beim Anblick all dieser Köstlichkeiten. Doch das machte es nicht leichter. Wie um sich zu erinnern, dass heute einer der besseren Tage war, strich Miller über den Bluterguss an seiner Schläfe. Dann trank er sein Bier aus, zog die implantierte CashCard in seinem Daumen über den Scanner, um die Galaxi für das Bier abziehen zu lassen, nickte Fred zu und verließ die Cantina.
***​
Kurz vor seiner Wabe hatte sie ihn abgefangen und nun saß er an ihrem wackeligen Klapptisch und stach mit zitternder Hand seine Gabel in die grünbraune Kuchenglasur.
„Tada! Kuppelkuchen. Nach einem alten Rezept von der Erde.“
Mit einem improvisierten Tusch hatte Luzia ihm den Kuchenhügel präsentiert und beobachtete nun mit kindlicher Freude, wie er die Gabel zum Mund führte. Er schluckte den Kuchen hinunter und obwohl er zu lächeln versuchte, sah er zwischen ihren Augenbrauen die kleine Falte auftauchen, die immer dann erschien, wenn sie an etwas zweifelte. Dann verdunkelte sich der Blick ihrer braunen Augen und das Leuchten erlosch.
„Tut mir leid. Ich hab ihn nicht so hingekriegt wie in diesem bescheuerten Rezept. Die Hälfte der Zutaten konnte ich nicht auftreiben und der synthetische Kakao roch so muffig, dass ich ihn mit Gewürzen übertönen musste. Aber ich konnte gute Margarine für die Glasur bekommen und echten Zucker.“
„Schmeckt klasche“, nuschelte er und nahm schnell eine zweite Gabel. Wie hätte er ihr auch sagen können, dass es nicht der Kuchen war, der seinen Mund verstopfte und seine Kehle zuschnürte, sondern die Tatsache, dass sie ihn extra für ihn gebacken hatte? Verdammt, er konnte das nicht gebrauchen und sie auch nicht. Schon am ersten Abend war ihm die Ledermanschette aufgefallen, die sie am Handgelenk trug, um den Blue-Stripe zu verdecken. Da wusste er, sie würde gehen, auch wenn sie selbst es damals noch nicht wollte. Irgendwann gingen sie alle. Und es war richtig so. Heute mehr denn je. Und trotzdem ertappte er sich jeden Tag dabei, wie er verstohlen nach ihr Ausschau hielt, wie er hoffte, dass ihr Lächeln den Schlamm, den Regen und den immer gleichen roten Reis etwas freundlicher machte und verhinderte, dass er sich die Eingeweide mit zu scharfem Synthahol verätzte und sich den Kopf wegblies.
„Miller, du musst ihn nicht essen, wenn er nicht schmeckt.“
Entschlossen teilte er mit der Gabel ein weiteres Stück vom Kuchen ab, ließ es dann jedoch auf dem Teller liegen. „Ich muss los.“
Er erhob er sich so eilig, dass der Hocker, auf dem er gesessen hatte mit einem dumpfen Schlag zu Boden stürzte, doch sie zuckte mit keiner Wimper. Ihr Blick saugte sich an ihm fest.
„Du hättest das nicht machen müssen. Du hast sicher viel zu tun mit dem Packen und den Papieren.“
„Ich habe es doch versprochen. Wenn ich den Platz auf der Fähre bekomme, bekommst du deinen Kuppelkuchen.“
Ihre Arme hielten ihn auf, akzeptierten sein Wegdrehen nicht, schlangen sich eng um seinen Körper. Ihr Kopf drückte fest gegen seine Brust. Er spürte ihre Wärme. Ihre dunklen Locken rochen nach billiger Seife und er atmete tief ein, hielt die Luft an, wollte ihren Duft für immer in seinen Lungen bewahren. Fest drückte er sie an sich. Zu fest. Zu lange.
„Und wenn ich nicht weg will, Jordan? Wenn ich hier bleiben will?“
„Du musst, Luz! Egal, ob der Krieg kommt oder nicht, was hättest du hier für eine Chance? Und dort kannst dort der Mensch werden, der du sein solltest.“
Für einen kurzen Moment neigte er den Kopf und schmiegte seine unrasierte Wange an ihr Haar. Sie musste ihre Chance nutzen, durfte sich nicht ablenken lassen von einem Typen wie ihm, zu alt und zu kaputt für ein Mädchen wie sie. Dann atmete er aus, löste mit sanftem Druck ihre Arme von seiner Hüfte und verließ die Wabe.
***​
Luzia sah, wie sich seine Schultern unter dem kurzen schäbigen Mantel spannten, als er sich hinaus in den rostigen Regen stürzte. Dann fiel die Tür mit einem Krachen ins Schloss. Ihr Blick löste sich von der Wand, wanderte über den krümeligen Kuchen auf dem blassblauen Teller, die zerkratzte Tischplatte, die kleine Küchenzeile. Auf der Mediawand neben ihrer Schlafkoje zeigten sie die Transporte zu den Minen: Lebensmittel, Waffen, Trinkwasser. Die Big-Boss taten so, als ob es eine Chance gäbe, dabei musste ihnen doch klar sein, dass sie gegen die Starfighter der Kobas nicht ankommen würden. Sie drehte ihre Hand und betrachtete den Streifen auf der Innenseite ihres Armes. Zwei Zentimeter über dem Handballen schimmerte der implantierte Chip in leuchtendem Blau. Blau, wie das Wasser von Fandara. Die Scouts der HighFandara hatten sie gechipt, als sie ihre Ausbildung als Technikerin beendet hatte. Sie war jung, gesund, die Beste ihres Jahrgangs. Leute mit ihrer Qualifikation konnten sie brauchen, hatten sie ihr gesagt. Und trotzdem war sie geblieben. Über ein Jahr lang. Aber jetzt drohte Krieg und alle gingen, die gehen konnten. Wie viele passten auf diese Fähre? Wie viele passten den HighFandara in ihr Konzept?
Luzia strich mit dem Daumen über den blauen Streifen und ließ das Leuchten an ihrem Handgelenk auftauchen und verschwinden wie den Mutterplaneten am Himmel. Es musste schön sein dort oben. Sauberes Wasser, klare Luft, richtiges Essen. Genug von allem. Mächtig genug, um sich aus den Verteilungskriegen in den Kolonien heraushalten zu können und human genug, um eine Fähre zu schicken und den Menschen, die für sie nützlich waren, einen Platz zu geben in ihrem Paradies.
Miller war nicht nützlich. Er war ein Spinner. Er tat, was zu tun war, auch wenn er diesen Krieg nicht verhindern konnte und er war so dumm, dieses Leben hier zu lieben und von Schokoladenkuchen zu träumen, obwohl er wusste, dass es für ihn nie auch nur ein Gramm echte Schokolade geben würde.
Luzia nahm ein Tuch vom Regal, schlug den Kuchen darin ein und steckte ihn in ihren Beutel. Dann nahm sie ihren Werkzeuggürtel vom Haken, öffnete die Tür, kniff die braunen Augen zusammen und verschwand im Regen.
***​
Nachdem der Scanner ihren Blue-Stripe gelesen hatte, lächelte der Mann am Schalter der Einwanderungsbehörde Luzia aufmunternd zu. „Sie haben Glück, kleine Miss. Sie wurden gleich für mehrere Aufgaben qualifiziert: Wartung von Haustechnik, Pflegedienstleistung oder käufliche Liebe. In Bereich drei haben Sie die besten Chancen, sich einen HighFandara zu angeln und einen richtigen Pass zu bekommen. Bei ihrem Aussehen wird das schon klappen. Also, wo wollen Sie arbeiten?“
„Bekomme ich denn keinen richtigen Pass?“
„Schätzchen, auch wenn du jetzt auf dem Mutterplaneten bist, du bleibst eine Fandalower. Wir wollen mal nicht übertreiben. Du bekommst einen guten Job. Dein Arbeitgeber stellt dir eine Unterkunft und Verpflegung sowie ein gutes Taschengeld. Du bist hier sicher. Musst keine giftigen Gase einatmen, keine synthetische Nahrung mehr essen, kannst die Sonne genießen. Du hast Glück. Du hast dich qualifiziert. Und wenn du einen HighFandara heiratest, kannst du nach fünf Jahren einen Antrag auf einen Pass stellen und dich einbürgern lassen. Dann kannst du anfangen, zu vergessen, dass du eine Fandalower bist. Dann. Aber bis dahin: Wo willst du arbeiten?“
„Haustechnik.“
„Na, wenn du meinst.“ Der Beamte tippte etwas auf seinen Screen. Dann nahm er Luzias Handgelenk, ließ die neuen Informationen auf ihr Implantat schreiben und reichte ihr einen Port-Screen. „Das ist unser Willkommensgeschenk. Auf deinem Port findest du alle Informationen zu deinem Arbeitgeber, die Berechtigung zur Nutzung der Citybahn und alle Vorschriften, an die ihr Fandalower euch halten müsst. Dann viel Glück mit deinem neuen Leben auf Fandara, Kleine.“
***​
Die Sensoren waren ausgefallen und Luzia war mit dem Airboard auf dem Weg zu Empfänger drei am Nordeingang der Mine. Überall drängten sich Menschen. Große Augen, fragende Münder, nasse Haaren im Regen. Die ordnenden Befehle der Block-Boss und ihrer Helfer dröhnten in ihren Ohren. Sie sprang vom Airboard und öffnete die Box der Empfängereinheit. Sie sah ihre Hände das durchgeschmorte Relais herausziehen und gegen ein Ersatzteil austauschen. Dann hörte sie seine Stimme: „Zurück. Zurück.“
Die Menschenmasse drängte und schubste. Die Vorderen versuchten umzudrehen, während die Hinteren nicht begriffen, was los war und weiter nach vorne drängten. Der Tumult verschwamm vor ihren Augen. Nur ihn sah sie ganz klar: Miller. Seine Arme schützend ausgebreitet vor den Kindern. Ihr Herz bummerte wild gegen ihre Brust.
„Sie müssen umdrehen. Wir haben hier nur einen kleinen Notfallraum für die Kinder. Alle anderen müssen zum Schutzbunker 3 am Ende der Straße. Drehen Sie um. Schutzbunker 3 ist noch frei.“ Er sprach so ruhig, zuversichtlich. Die Menge löste sich auf und es gab nur noch ihn.
„Luz! Was machst du denn hier? Warum bist du nicht ….“
„Ich konnte es nicht. Ich habe dich überall gesucht. Aber jetzt bist du hier, hier am Ende der Zeit.“
Schüchtern strich sie eine nasse Strähne aus seiner Stirn, sah die Müdigkeit aus seinem hageren Gesicht weichen und tauchte in seine grauen Augen. Seine großen schmalen Hände umfassten sanft ihr Gesicht, zogen sie an sich und sie küssten sich. Doch da waren die Kinder. Widerstrebend lösten sich ihre Lippen von den seinen. Ihre Arme griffen ins Leere, als er mit wehenden Mantelschößen zum Eingang rannte, um den Kindern in die Minen zu folgen. Sie sah wie er sich noch einmal umdrehte, die letzten Meter rückwärts lief, den Blick auf sie geheftet. Sein Lachen: „Ich finde dich, Luz. Ich finde dich.“
Und dann kam die Kälte, das Grauen. Sie wollte schreien, ihn warnen. Sie wusste was kam. Doch sie konnte nicht verhindern, dass die Felsbrocken sich von der Decke lösten und auf ihn niederprasselten. Sie sah sein Gesicht grau werden, das Strahlen in seine Augen erlöschen. Sah, wie sich sein Mund mit Staub füllte und seine Lippen zerbröselten. Ein Ärmel seines Mantels riss ab und nahm den Arm mit, mit dem er sie gerade noch gehalten hatte. Aus seinem Schuh zuckte hilflos ein abgetrennter Fuß. Dort wo gerade noch der Eingang der Mine gewesen war, barst eine graue, wütende Staubwolke und spukte Steine und Erde über die Trümmer.
***​
Keuchend fuhr sie aus dem Schlaf. Seit vier Wochen quälte sie Nacht für Nacht der immer gleiche Traum. Jeden Morgen lag sie da, zitternd vor Kälte und suchte nach einem Grund aufzustehen. Doch heute war der Tag für den sie den letzten Monat überlebt hatte. Ihr Blick fiel auf die hübsch verzierte Kuchenschachtel auf der Kommode neben ihrem Bett.
Zuerst hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, dass man ihn finden würde, wie durch ein Wunder geschützt in irgendeinem Hohlraum. Doch die Rettungskräfte hatten Berge von Schutt zur Seite getürmt, auf Lebenszeichen gelauscht, sich tiefer und tiefer in die Minen gebohrt und da war nichts.
Dann hatte der Hass sie aufstehen lassen. Luzia hatte die feindlichen Fighter mit ihren Sensoren in jeden Schlupfwinkel verfolgt, doch der Widerstand konnte nicht verhindern, dass weitere Minen einbrachen, die Förderbahnen zerschossen und die Luftabwehrposten zerstört wurden. Und die Big-Boss hatten kapituliert, die Vorräte ausgeliefert und die HighFandara um Hilfe angefleht. Und die HighFandara hatten geholfen, hatten Lebensmittel geschickt, für die die Ferraner innerhalb eines Jahres die doppelte Menge Eisenerz würden liefern müssen, die sonst üblich war. Und auch Koba wurde bestraft. Niemand kaufte ihr Kobalt und Bauxit und wenn die Vorräte der Ferraner aufgebraucht wären, würden auch sie den neuen Verträgen mit Fandara zustimmen müssen. Und zwischen all dem Staub, den Trümmern, dem Hunger hatte Luzia plötzlich ihren Weg gesehen. Deutlich und klar und sie hatte die Rückkehr der ersten Hilfsfähre genutzt, um mit ihrem Blue-Stripe nach Fandara einzureisen.
***​
Sie schob sich durch die Eingangstür des Regierungsgebäudes, lächelnd, die Bluse ihrer gestohlenen Konditoruniform ein bisschen zu weit geöffnet, die Kuchenschachtel verheißungsvoll vor sich her tragend und den Sicherheitsausweis deutlich an ihrer Weste befestigt. Dass es so einfach ist. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Die HighFandara fühlten sich sicher, gut geschützt durch ihre in der Umlaufbahn patrouillierenden Kriegsschiffe, durch ihre Gesetze, die Sicherheitstechnik, ihren Reichtum. Kriminalität gab es nicht auf einem Planeten, wo es genug für jeden gab und selbst die Blue-Stripes, die die Arbeiten verrichteten, die kein HighFandara tun wollte, hatten geregelte Arbeitszeiten, ein hübsches Zimmer mit großer Mediawand und gutes Essen. Alle öffentlichen Gebäude hatten Scanner die routinemäßig die Zugangscodes auf den Sicherheitsausweisen abfragten, aber Luzia hatte durch einige Spaziergänge entlang des Regierungsgebäudes schnell herausgefunden, dass jeder mit einem Code-Grün ohne weitere Kontrollen ins Gebäude gelangen konnten, auch die Lieferanten. Alles andere hatte sie knapp zwei Wochen gekostet. Ungläubig hatte Luzia bei der Einführung in ihren neuen Arbeitsplatz bestaunt, welch umfangreicher Werkzeugpool und welche Fülle an Putzmitteln und Chemikalien ihrem Haustechnikteam zur Verfügung standen, um für alle Fälle von Rohrverstopfung bis Insektenbefall gerüstet zu sein. Kein Mensch hielt sich damit auf, den Verbrauch zu kontrollieren. Fehlte etwas, wurde es nachbestellt und innerhalb einer Stunde per Drohne geliefert. Dienstleistungen mussten funktionieren, mit dem Wie wollten sich die HighFandara nicht belasten. Deshalb gab es auch keinen Stress, als in der Lieblingskonditorei der Präsidentin eine Uniform verschwand. Es gab genug Reserve in den Spinten der Umkleideräume. Etwas mehr Überlegung hatte es sie gekostet, sich einen Sicherheitsausweis mit Code-Grün zu beschaffen, aber auch hier hatte der Lebensstil der HighFandara Luzia in die Hände gespielt. Nach zwei Arbeitstagen hatten die Menschen auf dem Mutterplaneten zwei Tage frei. Der Beamte, dem Luzia gestern bei einem kleinen Zusammenstoß den Ausweis vom Revers gezupft hatte, würde also erst morgen danach suchen und dann war es zu spät.
Das Schwierigste für Luzia war das Lächeln. Die HighFandara trugen ihr Glück so deutlich auf ihren sonnengebräunten Gesichtern, dass nichts so große Aufmerksamkeit erregte, wie eine ernste Miene oder ein tränenverhangener Blick. Deshalb gab Luzia sich die größte Mühe und schenkte dem Vorzimmerherren ein freundliches Lächeln: „Der Kuchen für die Präsidentin.“
„Ach ja? Ich dachte der Kaffee wäre erst gegen 16 Uhr bestellt. Stellen Sie ihn doch einfach auf den Tisch. Ich bringe ihn dann später rein.“
„Das geht leider nicht. Ich muss den Kuchen jetzt gleich servieren, sonst wird der Schokoladenkern kalt und das flüssige, warme Herz ist die Spezialität unseres Kuppelkuchens.“ Luzia lächelte noch breiter.
„Na dann sehe ich mal, was ich machen kann.“ Der junge Mann erhob sich, klopfte sanft an die dickgepolsterte Tür des Präsidentenbüros und verschwand für einen kurzen Moment aus Luzias Blickfeld. Dann öffnete er ihr die Tür zum Büro und Luzia trug die Kuchenschachtel hinein.
***​
„Das Timing ist nicht akzeptabel.“ Die Präsidentin bedachte Luzia mit einem kühlen Blick und gab ihr zu verstehen, dass sie die Schachtel abstellen sollte. „Wenn es ihr Chef nicht hinbekommt, seine Aufträge just in time zu liefern, werde ich zukünftig eine andere Konditorei beauftragen.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte sich die HighFandara dann an ihre Gäste.
„Die Unannehmlichkeiten tun mir sehr leid. Ich hätte vor der Delegation der Erde gerne einen besseren Eindruck hinterlassen. Der Ablauf ihres Besuches sollte perfekt sein. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“
Die Frau und der Mann auf dem Sofa antworteten mit einem gezwungenen Lächeln. Mit zitternder Hand öffnete Luzia die Kuchenschachtel, nahm die Wunderkerze heraus und stach sie langsam durch die dicke braune Schokoladenglasur.
„Das sieht ja köstlich aus.“ Die Botschafterin der Erde lächelte Luzia aufmunternd zu.
„Warum geht heute alles schief?“ Die Präsidentin stöhnte. „Kuppelkuchen hatte ich nicht bestellt.“
„Aber es ist der Kuchen, den du verdienst.“ Luzia war jetzt ganz ruhig. Für einen kurzen Moment tat es ihr leid, um die beiden Fremden, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. In wenigen Minuten würde ihr ganz persönlicher Dank an Fandara auf allen Mediawänden zu sehen sein. Sie war jetzt der Mensch sein, der sie sein sollte. Sie musste nur noch die Kerze anzünden und dann würde sich durch die schöne heile Welt des blauen Planeten ein Riss aus Feuer und Asche ziehen.

 

Hallo @Snowmaid

uuh, Sci-Fi. Ich glaube, das ist die erste Kurzgeschichte in diesem Genre, die ich kommentiere.

Man merkt dem Text an, das du dir unheimlich viel ausgedacht hast zur Welt, in der die KG stattfindet. Kann es sein, das du eigentlich erst vorhattest, ein Buch zu schreiben? So wirkt es nämlich auf mich. Deine Geschichte ist so vollgepackt mit Information, da könnte man locker ein Buch draus machen. :)

In Kurzgeschichtenlänge funktioniert das Ganze aber leider nicht mehr so gut. Ganz abgesehen davon, das dein Text selbst für eine Kurzgeschichte noch ziemlich kurz ist.

Kuppelkuchen nach einem alten Rezept von der Erde (KOMMA) dunkel und glänzend.

Hier fehlt ein Komma, da hing ich eine ganze Weile fest. Wenn man nicht weiß, dass du den Planeten Erde meinst, geht man davon aus, sie hat ihm einen Kuchen aus Erde gemacht. Also ... Dreck quasi. :D Ich hab es als "von der Erde her dunkel und glänzend" gelesen und war erstmal damit auf dem völlig falschen Dampfer.

das ungenießbare Essen mit zu viel billigem Bier hinunter zu spülen

Das wirkt nicht. Du benutzt zuviele Adjektive. Was macht das Essen denn ungenießbar? Was macht das Bier zu einem billigen Bier?

»Sie lernten sich kennen, als sie Pressfleisch aßen und versuchten, den Würgreiz mit WABE-5 runterzuspülen, einer Art Pansche aus Wasser, Glucose und Bier, die überall gebraut wurde.«

Ist jetzt nur so ne Idee, aber verstehst du, was ich meine? So wirkt es billig und ungenießbar, ohne beide Wörter auszuschreiben. ;)

„Tut mir leid, Miller. Ich hab ihn nicht so hingekriegt, wie in dieser bescheuerten Werbung. Es liegt an dem replizierten Zeug. Aber ich konnte nichts Anderes auftreiben.“
„Und wenn ich nicht weg will, Jordan? Wenn ich hier bleiben will? Wenn ich….“
„Du musst Luz!“ Für einen kurzen Moment neigte er den Kopf und schmiegte seine Wange an ihr Haar.

Hier habe ich zwei Probleme: Einmal heißt der Mann Miller und einmal Jordan. Wenn er Jordan Miller heißt, das also sein vollständiger Name ist, klingt es trotzdem merkwürdig, wenn sie ihn zunächst mit seinem Nachnamen und dann mit dem Vornamen anspricht.

Problem Zwei: Die Dialoge klingen wie bei Vom Winde verweht. ;) Das liegt aber hauptsächlich daran, dass sie dauernd die Namen des Anderen sagen. Ich würde die Namen einfach löschen, dann wirkt die wörtliche Rede schon viel natürlicher.

Bloß nicht in ihre Augen schauen, sonst würde sie in ihn hinsehen, wie in die Konsolen, die sie reparierte und er könnte nicht verhindern, dass sie die Programmierung hinter seinen Codes entschlüsselte. Doch das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Die Gammakolonie zu verlassen, würde auch so schon schwer genug für sie werden.

Auf der Mediawand zeigten sie die Transporte zu den Mienen: Lebensmittel, Waffen, Trinkwasser. Sie taten so, als ob es eine Chance gäbe. Als ob ihnen nicht klar war, dass all das nicht reichen würde. Wenn die Betas wirklich kämen, konnten sie nicht gewinnen, wären die Minen kein Schutz. Sie drehte ihre Hand und betrachtete den Streifen auf der Innenseite ihres Armes. Zwei Zentimeter über dem Handballen schimmerte der implantierte Chip in leuchtendem Blau. Blau, wie das Wasser der Erde. Ein Zeichen für die Auserwählten, für die Jungen, für die Gesunden, für die Besten des Jahrgangs. Wie viele passten auf diese Fähre? Wie viele passten in ihr Konzept?
Luzia strich mit dem Daumen über den blauen Streifen und ließ das Leuchten an ihrem Handgelenk verschwinden und auftauchen, wie die Erde am Himmel. Es musste schön sein dort oben. Sauberes Wasser, klare Luft, richtiges Essen. Genug von allem. Genug, um sich aus den Verteilungskriegen in den Kolonien heraushalten zu können. Mächtig genug, um den Siegern danach noch schlechtere Verträge aufzuzwingen und human genug, um eine Fähre zu schicken und den Menschen, die für sie nützlich waren, einen Platz zu geben in ihrem Paradies.

Sie mal, all die gefetteten Stellen ... das ist ein einziger großer Info Dump. Ein ganzer Absatz, der nur dazu da ist, dem Leser alles zu erklären. Nicht nur, das das ein ziemlich unschöner Weg ist, Informationen einzustreuen, es ist auch schlicht zuviel Stoff für eine Kurzgeschichte. Denn die Fragen türmen sich trotzdem auf: Was für Konsolen? Welche Programmierung sieht sie in seinen Augen? Was ist eine Mediawand? Ein Fernseher? Wer sind die Betas? Warum hat sie einen Chip implantiert? Wieso ist sie die Auserwählte? Welche Fähre? Was ist überhaupt das Problem? Der rostige Regen? Eine Umweltkatastrophe? Wo sind sie gerade, wenn sie von dort oben spricht? Was für Verträge? Welches Paradies? Warum ist es da so paradisisch?

Wie du siehst, stellen sich hier mehr Fragen, als beantwortet werden. Am Ende bin ich verwirrt und konfus. Klar, grob hab ich schon verstanden, worum es geht, aber es ist zu vage und ungeklärt. Die Bedrohung wirkt nicht, weil ich sie nicht kenne. Ich kann nur mitfiebern, wenn ich die Charaktere und deren Bedrohung verstehe.

Ich hoffe, das alles hat dir ein wenig geholfen. Wie gesagt, dein Grundmaterial ist da, du hast da ja ordentlich recherchiert. Jetzt musst du deiner Geschichte nur den nötigen Raum zum Atmen geben. ;)

Viele liebe Grüße, PP

 

@PlaceboParadise,
ertappt. In meinem Kopf ist das der Einstieg in eine längere Geschichte.
Dieser Abschied ist ein zentrales Bild dabei und ich hatte gehofft, es funktioniert auch als eigenständige Geschichte, aber wenn das bei dir so viele Fragen aufwirft, muss ich mich wohl beeilen und das stärker ausarbeiten.

Das Komma beim Kuppelkuchen hab ich eingefügt. Sorry für die Verwirrung. Auch wenn er nicht besonders lecker ist, so soll der Kuchen doch kein Dreck sein.

Zum Essen und zum Bier überleg ich mir noch was. Deine Vorschläge sind schon sehr hilfreich.

Jordan Miller ist richtig. Ich fand es logisch, dass sie ihn plötzlich mit dem Vornamen anspricht, als ihr bewusst wird, dass sie ihn nicht verlassen will. Aber ich check das noch mal mit den Namen. Vielleicht ist das wirklich zu viel.

Danke für´s Lesen und Kommentieren.
Grüße von Snowmaid

 

Hallo Snowmaid

Ich hatte ebenfalls den Eindruck, einen Ausschnitt aus einem grösseren Ganzen zu lesen. Aber das hast du in deiner Antwort an Placebo Paradise geklärt.

Am Anfang ruckelt der Text etwas, was die Perspektive betrifft. Im ersten Satz müsstest du schreiben, dass der Kuchen zu ihm herüber geschoben wird, ansonsten liest man das aus ihrer Perspektive. Auch sonst ist mir die Perspektive nicht so ganz klar geworden, weil du in vielen Sätzen sowohl er wie auch sie hast, er versucht zu lächeln und auf ihrem Gesicht erscheint die Falte, ich habe mich da eine Weile nicht zurechtgefunden. Aber vielleicht reicht es schon, den ersten Satz zu ändern. Im zweiten Abschnitt wird es dann viel klarer.

An einem der Abende, an denen sie sich zufällig in der Cantina an der Ecke getroffen und versucht hatten, das ungenießbare Essen mit zu viel billigem Bier hinunter zu spülen, hatte er ihr von diesem Kuchen erzählt.
Den hat schon PlacboParadise aufgespiesst und ich unterstütze, was er sagt. Ich möchte aber noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam machen: der Satz enthält sehr viele Informationen. 1. Sie treffen sich mehrfach. 2. Sie treffen sich jeweils zufällig (da beginne ich schon mal zu stutzen, das ist gut, aber es geht gleich weiter) 3. Das Essen ist ungeniessbar. 4. Das Bier ist billig 5. Sie trinken zu viel Bier. 6. Bei einer dieser Gelegenheiten erzählt er vom Kuchen. Ich denke, ich würde den Satz etwas entlasten, statt zu präzisieren (obwohl ich PP zustimme, wenn er sagt, das präzisere Bild sei das bessere).

Ich hab ihn nicht so hingekriegt, wie in dieser bescheuerten Werbung.
Ohne Komma, ist nur ein Vergleich
Wie hätte er ihr auch sagen können, dass es nicht der Kuchen war, der seinen Mund verstopfte und seine Kehle zuschnürte, sondern die Tatsache, dass sie ihn extra für ihn gebacken hatte.
Fragezeichen am Ende.
würde sie in ihn hinsehen, wie in die Konsolen,
hineinsehen
Auf der Mediawand zeigten sie die Transporte zu den Mienen:
Minen
Als ob ihnen nicht klar war, dass all das nicht reichen würde.
klar wäre

Ja, man merkt, dass da viel mehr Backstory ist. Du versuchst die am Ende in den Text reinzupressen, was das Ganze etwas unausgewogen macht. Du hast da eine intime Szene mit Liebe und Abweisung und Zwischentönen, die ist sehr schön. Und dann hast du diesen ganzen Si-Fi-Kontext, der da nicht richtig zur Geltung kommt. Also, man kapiert schon, wo das alles spielt. Aber die Szene könnte ja genauso gut in einem ganz anderen Kontext spielen, mit echtem Kuchen, und das merkt man als Leser halt. Also, damit der Text auch in der Kürze funktioniert, müsste die ganze Si-Fi-Sache nicht bloss das zufällige Setting der Geschichte sein, sondern stärker mit der konkreten Situation verwoben, die du schilderst, und das müsste dann über den künstlichen Kuchen hinausgehen. Aber ich finde es interessant, dass du versucht hast, was aus einem längeren Stück auszukoppeln, hab ich mir auch schon gedacht, mich aber noch nicht getraut.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Vor Kurzem (genauer, zu deiner Veröffentlichung) hatt ich mir vorgenommen, auch mal bei Dir vorbeizuschauen und da muss ich halt mal ein Opfer bringen und das Kürzel SF übersehen mit Geschichten, die zumeist eh nur auf technisch höherem Niveau die Zeit vor der germ. Völkerwanderung beschreiben, als der nächstgelegene Bauernhof, das nächstgelegene Dorf der eigenen Sippe, dem eigenen Clan feindlich gesinnt war,

liebes Snowmaid,

und da kommt ein

Kuppelkuchen
(musst‘ ich nachsehen, was für ein Kuchen das sei, bin halt eine kulinarische Wildsau) ganz gelegen.

Und – dazu kann es nie zu spät sein - erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Meine Vorredner haben schon ziemlich viel gesagt, dass ich mich auf das Auffällige beschränken kann – wie schon den ersten Absatz, der unter dem Diktat der Hilfsverben und in der Folge von Partizipienreiterei glänzt (Schulgrammatik halt, die keineswegs falsch ist)

Die Schokoladenglasur splitterte, als er mit der Gabel in das Stück hineinstach, das sie zu ihm hinüber geschoben hatte. Kuppelkuchen nach einem alten Rezept von der Erde, dunkel und glänzend. An einem der Abende, an denen sie sich zufällig in der Cantina an der Ecke getroffen und versucht hatten, das ungenießbare Essen mit zu viel billigem Bier hinunter zu spülen, hatte er ihr von diesem Kuchen erzählt. In dem Terrareport war es eigentlich um Ackerbau gegangen, aber nur dieses eine Bild und das magische Wort Schokolade waren ihm von dem Bericht im Kopf geblieben.
von denen m. E. nur der erste Satz zur Klärung der Vorzeitigkeit notwendig ist und Hinweise auf einen verflossenen Abend weisen ja auch zurück in die Vergangenheit, ohne dass man sich mit zusammengesetzter Zeit herumquälen muss

Wäre da nicht

„Die Schokoladenglasur splitterte, als er mit der Gabel in das Stück hineinstach, das sie zu ihm hinüber geschoben hatte. Kuppelkuchen nach einem alten Rezept von der Erde, dunkel und glänzend. An einem der Abende, an denen sie sich zufällig in der Cantina an der Ecke trafen und versuchten, das ungenießbare Essen mit zu viel billigem Bier hinunterzuspülen*, erzählte er ihr von diesem Kuchen. In dem Terrareport ging es eigentlich um Ackerbau, aber nur dieses eine Bild und das magische Wort Schokolade blieben ihm von dem Bericht im Kopf.“

für alle Fälle bringt und dann das folgende „nun“

Nun beobachtete sie mit kindlicher Freude, …
aus dem Erinnerungsstrom zurück in die aktuelle Situation.

Trivialeres

Dann verdunkelten sich ihre grauen Augen und ihr Blick wurde traurig.
Kann man den Blick eines anderen erkennen? Augen (wie allem Sichtbaren) kann man Trauer ansehen, den eigentlichen Sehvorgang, unsichtbare Wellen – den Blick eher nicht. Mir fällt da eine relativ poetische Formulierung ein, "dann verdunkelten sich ihre Augen und trugen Trauer""

„Er schmeckt wunderbar[,] Luzia, wirklich, aber ich muss jetzt los.“
(Anrede!, wie auch hier)
„Du musst[,] Luz!“

Wenn ich[...]…“
Auslassungspunkte i. d. R. nicht direkt am vorhergehenden Wort (da behaupten sie nämlich, dass wenigstens ein Buchstabe fehle, da wäre die Ästhetik des Apostrophs rationeller) zudem maximal drei Punkte, die dann auch den Abschlusspunkt bei Aussagesätzen stellen.

Auf der Mediawand zeigten sie die Transporte zu den Mi[...]nen: Lebensmittel, …

Er tat, was zu tun war, auch wenn es nichts brachte[,] und er war so dumm, dieses Leben hier zu lieben und von Schokoladenkuchen zu träumen, obwohl er wusste, dass er sich nie auch nur ein Gramm echte Schokolade würde leisten können.
Komma, weil der Nebensatz („auch wenn ...“ zu Ende ist und das „und“ nicht den Nebensatz fortführt, sondern einen zwoten Hauptsatz („er war so dumm“) an den ersten anhängt

Warum aber zum Schluss dieses gequälte "würde ... können", wenn das einfache Futur genügte (oder gibt es Zweifel - Kon. II "würde" - an dieser Aussage?) oder sogar das binäre "können" - etwas kann oder kann eben nicht eintreten) Warum also nicht schlicht "..., obwohl er wusste, dass er sich nie auch nur ein Gramm echte Schokoladeleisten könne."


Nun, den an sich SF, Horror und Fantasy Meidende, also mir hat‘s nicht geschadet, hier vorbeizuschauen, und Dir hat‘s hoffentlich etwas genutzt. Wie dem auch sei,

bis bald

Friedel

*(„hinunterspülen“ ein Wort!)

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Snowmaid,

was ich vom Text bisher gelesen habe, wirkt für mich, wie mit Potential geschrieben, aber noch viel zu ungenau. Wahrscheinlich bin ich wegen des Namens auf den Text gestoßen, er hat mich neugierig gemacht. Dann habe ich die ersten Sätze gelesen und fand sie ganz ansprechend geschrieben. Lass dich nicht davon irritieren, dass ich nicht ganz zu Ende gelesen habe. Mir sind viele Dinge aufgefallen, mit denen ich noch nicht d'accord bin. Ich möchte nichts davon überspringen oder deinen Text nur überfliegen. Wir kennen uns noch nicht so gut, dass ich einen halben Vormittag dafür opfere, auf jeden Einzelnen Punkt einzugehen :-)

Rezept von der Erde

Ich dachte zuerst es handelt sich hier um einen Spitznamen. Ohne den Science-Fiction-Tag bekommt man das nicht mit, dass du die Erde meinst. Die Idee, einen Kuchen von der alten Erde zu backen, finde ich schön. Aber du müsstest viel genauer werden. Weißt du als AutorIn, wo der Kuchen genau herkommt? Hier sind dddausende Fragen offen ... Vor allem wirkt es bislang konstruiert, dass das in einer Doku über die Erde erwähnt wurde. Finde auch hier die Idee nicht schlecht. Du müsstest nach meiner Meinung aber viel mehr über den Begriff »Erde« nachdenken, überlegen, ob es noch geeignetere Bezeichnungen gibt. Wann wurde diese Erde verlassen? War das die Erde auf der wir jetzt leben? Und so weiter. Vorallem schreibst du was von Terrareport und Bericht und es wirkt, als wüsstest du selbst gar nicht genau, was er da gesehen hat. Du hast die Idee gehabt, aber du bist nicht wirklich tief reingegangen, so wirkt das auf mich. Denk dir, du würdest das zum ersten Mal lesen. Was würde dir merkwürdig daran vorkommen? Würdest du denken, ahh, hier könnten Leser das Gefühl bekommen, dass ich nicht wirklich weiß, wovon ich schreibe? Frag zum Beispiel: Was genau war das für ein Bericht? Wo lief er? Im Fernsehen? Gibt es in der Zukunft noch Fernsehen? Unter welchen Umständen hat er das gesehen? In welchem Abschnitt ging es um den Kuppelkuchen? So halt, verstehst?

zufällig in der Cantina

Mit »Cantina« ist es dasselbe. Du versuchst durch einen spezielleren Namen das Problem fehlender Genauigkeit zu umgehen (wirkt zumindest so). Was ist das für ein Ort? Ist das eine Kneipe oder eine Kantine oder ein Bistro. Wie sieht es da aus? Wie riecht es da? Warum heißt der Laden wie die Cantina in Star Wars? All diese Dinge müssen vor allem auch schnell klar werden.

zu viel billigem Bier

Das wirkt, als ob es cool klingen soll. Warum trinken die billiges Bier? Weil der Laden shabby ist? Weil sie keine Kohle haben? Die Ungenauigkeit verführt zum Klischee. Nicht alle shabbigen Läden haben schlechtes Bier. Was, wenn der Laden zwar shabby ist, dafür aber wunderbares (oder einfach kühles) Bier hat. Wär schon mal gar keine schlechte Beschreibung. Machs dir nicht zu leicht und klär solche Probleme. Außer du spürst sie überhaupt nicht. Dann solltest du dringend mehr lesen, mehr Stories, mehr Kommentare anderer. Aber ich denke, dass ist nicht der Fall und es liegt einfach daran, dass du den Text etwas zu früh aus den Händen gegeben hast.


Er schluckte den Kuchen mühsam hinunter und obwohl er zu lächeln versuchte, erschien zwischen ihren Augenbrauen die kleine Falte, die immer dann auftauchte, wenn sie an etwas zweifelte.

Dieser Satz ist recht kompliziert, weil verschiedene Informationen, Emotionen und sogar ein Perspektivwechsel drin stecken. Das überfordert den Satz, macht ihn konfus. Die Idee (mit dem Perspektivwechsel in nur einem Satz) ist schön, aber dann musst du die übrigen Informationen rauskürzen, sonst ist es einfach zu viel.

Dann verdunkelten sich ihre grauen Augen

Die Augen verdunkeln sich nicht, außer sie hat grauen Star oder sowas. Ist also sehr unpräzise.

dem replizierten Zeug

raus mit dem Fremdwort. Was willst du sagen. Geh auf Duden.de, gib »repliziert« ein und such nach dem, was du brauchst. Wenn das Zukunftssprache sein soll, muss die irgendwie konsequenter eingebettet werden.

„Schmeckt klasse“, nuschelte er und nahm schnell eine zweite Gabel

hier kommt das Gezwungene nicht rüber. Entweder du suchst dir ein passenderes Verb oder erweiterst es oder versuchst nochmal ganz genau nachzuvollziehen, was der Cop da wirklich macht.

Wie hätte er ihr auch sagen können, dass es nicht der Kuchen war, der seinen Mund verstopfte und seine Kehle zuschnürte, sondern die Tatsache, dass sie ihn extra für ihn gebacken hatte.

fand ich sehr schön! Tolle Formulierung.

Er verfluchte sich dafür, dass er hergekommen war, obwohl sich im Moment selbst die zwei Stockwerke Distanz, die zwischen ihrer und seiner Wohnwabe lagen, noch zu nah für ihn anfühlten.

das klingt sooo komisch. Da fehlt einfach der ganze logische Unterbau. Das sind Bildfetzen, die hier die Situation klären sollen. Wirkt aber auf mich wie Pappkulisse.

ein abgebrühter Cop

Keine Charakterisierung.

den Mund voll falschem Schokoladenkuchen

Der Schokoladenkuchen ist nicht »falsch«. Ich meine zu wissen, was du damit ausdrücken willst und dass das vielleicht poetisch klingen soll. Aber da musst du nochmal etwas tiefer in die Adjektiv-Kiste greifen.

den Blick fest in die zerkratzte Tischplatte gebohrt

übertrieben. (Edit: Tippfehler) »Als würde er ihn durchbohren« wäre noch das höchste der Gefühle.

sonst würde sie in ihn hinsehen

In ihn hineinsehen (Tippfehler)? Ist übrigens auch sehr ungenau. Sie sieht nicht in ihn hinein, das machen nur Chirurgen und Leute mit Röntgengeräten. Es ist etwas anderes, was du sagen willst.

ihn hinsehen, wie in die Konsolen, die sie reparierte

Wirkt noch als Expostion zu offensichtlich.

Die Gammakolonie zu verlassen

Das war übrigens das erste Mal, dass ich gecheckt habe, aha, das ist Science Fiction. Aber »Gamma-Kolonie« ist echt ganz tiefe achtziger Jahre Science-Fiction Groschenromane. Kann man natürlich mit spielen, aber du haust das bislang einfach nur raus.

„Sie müssen ihn nicht essen, wenn er nicht schmeckt.“

Obwohl sie ihn »Miller« nennt, bin ich bis hierhin fest davon überzeugt, dass sie sich dutzen. Deine Idee ist schön. Sie sind eigentlich Freunde oder sogar mehr und trotzdem siezen sie sich. Das ist süß, aber du musst es deutlicher machen. Früher und an anderen Textstellen. Du musst zumindest wissen, dass du es machst. Dann kann es sein, dass es sogar ohne Dialog funktioniert.

So, das wars von meiner Seite erstmal. Ich denke, du hast noch viel Arbeit vor dir, wenn du was aus dem Text machen willst. Vielleicht bin ich aber auch zu streng. Frag mich nicht^^, meine Einschätzung halt.

Liebe Grüße
Carlo Zwei

 

@Peeperkorn, @AWM, @Friedrichard, @Carlo Zwei
ich danke euch für´s Lesen und Kommentieren. Da eure Hauptkritik darin liegt, dass die Geschichte zu kurz und deshalb zu unpräzise ist, bzw. die Story mit dem Setting zu wenig verwoben ist, brauche ich leider noch etwas Zeit, um eure Tipps umzusetzen. Denn jetzt muss erst einmal der Rest der Geschichte zu Papier gebracht werden ;)
Auf jeden Fall freue ich mich @Friedrichard, dass du dich vom #SF nicht hast abschrecken lassen. Auch wenn meine Geschichte in der Zukunft spielt, ist mir die Technik nicht so wichtig, sondern die Zukunftswelt eher ein Vorhang, vor dem die persönliche Geschichte von Jordan und Luz abzeichnet.
Nutze das verregnete Wochenende jetzt mal zum Arbeiten. Vielen Dank euch und Grüße von Snowmaid

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom