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Letal

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14.02.2015
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Letal

Auf dem Sofa. Den Hinterkopf, der so schwer war, abgelegt. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wie die glatte Feinstrumpfhose von kühlem Schweiß durchdrungen wurde. Die Unterschenkel klebten an dem Leder des Bezuges fest; das Anheben verursachte ein schmatzendes Geräusch. Noch eine Tablette. Ihr Kopf war so schwer, ihre Augen brannten, als hätte sie stundenlang geweint. Gerne hätte sie sie geschlossen und sich in die warme, samtige Dunkelheit gekuschelt, die normalerweise hinter roten Augenliedern wartet. Sie konnte nicht. Stattdessen starrte sie weiter auf die rau verputzte Decke. Sie hob die Hände, legte sie hinter ihren Kopf. Der Knoten, zu dem ihr Haar zusammengesteckt war drückte unbequem gegen die Lehne, auf der sie sich abgelegt hatte. Sie löste ihn mit letzter Kraft. Lies ihre Finger durchs Haar gleiten. Zog einzelne Strähnen glatt und stellte fest, dass sie anfing zu ergrauen.

Noch eine Tablette. Das Wasser schmeckte staubig. Der Kopfschmerz wurde langsam besser. Ein Kind also. Ausgerechnet ein Kind. Sie sah große Augen vor sich, welche Farbe wusste sie nicht. Ein Kinderlächeln begleitet von einem hellen Glucksen. Jeder mochte Kinder. Sie waren schön anzusehen, wie sie ungeschickt über Spielplätze tollten. Kinder, zarte, kleine Kinder, die jeder liebte und beschützen musste. Sie legte die Hände auf ihren Bauch, atmete tief ein.

Es muss schrecklich sein, ein Kind zu verlieren, hatte sie gesagt. An den Rest des Gesprächs konnte sie sich kaum erinnern. Sie war müde gewesen, hatte es strikt nach Lehrbuch abgewickelt. Geschwiegen und den Eltern beim Weinen zugesehen. Sie war sitzen geblieben, anständig hatte sie gewartet. Nein, es hatte nicht leiden müssen, hatte sie gesagt. Irgendwann war der Seelsorger gekommen und sie war gegangen. Nach Hause gefahren, hatte eine Schlaftablette genommen, sich hingelegt.

Sie konnte nicht einschlafen. Mittlerweile wurde es langsam Abend. Sie hatte also ein Kind getötet. Ihre Hände waren zittrig gewesen. Sie war nicht schnell genug. Die Chancen waren eigentlich gut gewesen. Ob sie jetzt weinen sollte. Sie versuchte es. Presste die Augenlieder zusammen. Es kamen keine Tränen. Also kein Weinen. Sie fragte sich, was sie empfinden sollte. Schuld. Trauer. Verzweiflung. Ihre Kehle sollte zugeschnürt sein. Sie war leichtsinnig gewesen. Zu lange wach, abgelenkt. Aber es war allein ihre Schuld, keine Ausrede. Vielleicht wäre Selbsthass angemessen. Sie versuchte es. Es fühlte sich fremd an.

Nichts war wirklich intensiv. Eher so wie ein schwaches, blasses Aquarell, anstelle eines bunten, harten und scharfen Acryls. Also gar nichts. Einfach Leere. Sie versuchte auch das. Ebenfalls nicht. Es war kaum auszuhalten. Ein entnervtes Seufzen verließ ihren Mund, als sie aufstand und in der Kiste wühlte. Sie begutachtete das, was noch da war. Überschlug einen Moment lang, nahm zwei der stärksten die sie finden konnte.
Zurück auf das Sofa. Embryonenhaltung. Nein, dafür war sie zu alt. Sie drehte sich auf den Rücken, starrte wieder zur Decke. Versuchte darüber nachzudenken, wie sie sich fühlte. Es fielen ihr keine Worte ein. Traurig vielleicht. Nein, das war zu flach. Schwermütig ließ sie ihre Gedanken schweifen. Irgendjemand hatte alle Adjektive gestohlen, vielleicht hatte sie sie auch nur verlegt und konnte sie nicht finden. Doch eigentlich war sie sehr ordentlich. Sollte sie etwa aufstehen und die Worte suchen gehen. Nein, zu anstrengend. Langsam wurde ihr Körper schwerer. Vielleicht konnte eine Metapher als Ersatz dienen. Es gab keine für das, was geschah. Sie liebte ihren Beruf.
Sie wartete ab, schloss die Augen. Hoffnung auf Dunkelheit. Nur Blitze. Das gleichmäßige Pochen ihres Pulses. Trommelschläge. Zu laut um zu schlafen.

Zurück in die Schuhe. Die schweren Absätze durch die Zotteln des weisen Teppichs ziehen. Ein Blick in den Spiegel, ja anscheinend ging es noch. Langsam und mit schweren, viel zu ruhigen Händen bemalte sie ihre Lippen mit einem hellen Rot. Ihre Haut war blass, irgendwie fahl. Ein wenig Rouge sollte reichen.
Die Hand auf dem Geländer tastete sie sich wie ein altes Junges Fohlen die Treppe hinunter. Ein Taxi gerufen. Der Fahrer grinste schmierig, sie wankte, lies sich auf den Rücksitz fallen. In die Innenstadt. Vielleicht half ausgehen gegen das Nichts. Lange war sie nicht mehr dort gewesen, die Lichter, die dort funkelten blendeten fast ein wenig. Angestrengt, aber mit erhobenem Kinn und sicherem Blick überwand sie das hartnäckige Kopfsteinpflaster.

In der Bar war das Licht gedimmt, die Musik ein klein wenig zu laut. Sie setzte sich, Gin Tonic oder sonst irgendetwas. Beine überschlagen, den Fuß im Lackschuh ein wenig gestreckt, Lippen nach vorn, leicht geöffnet. Vielleicht biss ja ein junger Mann an. Sie streckte sich. Durch die Haare zu fahren wäre zu verzweifelt gewesen. Mit dem Strohhalm im Glas rühren. Die Eiswürfel klirrten leise. Jemand trat neben sie. Darf ich dir den nächsten zahlen. Ein freches Lächeln. Vielleicht war er ja wirklich ein wenig jünger. Hübsch. Ein paar Sätze fielen. Belangloses, aber es verschaffte ein wenig Kurzweile.

Noch einen? Sie dachte nach, langsam fiel es ihr schwerer. Sie versuchte nachzurechnen, die Zahlen waren zu zäh. Er sah sie erwartungsvoll an. Es würde schon gutgehen. Gerne. Er kam zurück. Fasste ihren Unterarm. Ein Kompliment für ihre schlanken Hände. Sie lachte. Ihre Hände.
Das Gespräch wurde ruhiger, zärtlicher das lag ihr nicht. Sie bestellte irgendwelche Shots. Mehr durfte es nicht mehr werden, sonst würde es letal enden, fiel ihr noch ein, doch das Gespräch stockte wieder. Was machte es schon aus. Sie bestellte noch einmal. Sie lachten beide. Ausgelassen.

Langsam kam die lang ersehnte Müdigkeit, die sie umspülte, wie sanfte Wellen. Mächtig. Den Kopf auf Hand abstützen. Sie fiel auf ihren Oberarm. Lächelte, die Augen halb geschlossen. Zu mir? Zu dir? Während sie in ihrer Handtasche nach dem Geld suchte, bezahlte er. Sie versuchte vergeblich sich seinen Namen ins Gedächtnis zu rufen. Es spielte eigentlich keine Rolle.
Er brachte eine Flasche Sekt mit, lachend griff sie danach. Er legte den Arm um ihre Taille, die Hand auf ihrem Hintern. Wie ein junges Mädchen grinste sie ihm zu. Peinlich fand sie sich. Ein wenig Sekt. Er half ihr in ein Taxi. Die Welt dreht sich und die Wellen wiegten ihren Körper. Das Gespräch weiterführen. Keine Worte mehr. Müde. Er begann zu küssen. Sie ließ es geschehen. Fuhr mit lahmen Händen durch sein Haar. Schloss die Augen, Sehen wurde anstrengend.

Alles gut? Ihre Lippen verharrten vorne und halb geöffnet. Also nicken. Zurücklegen. Schwerer, müder Hinterkopf. Das Taxi hielt an. Beim Aussteigen stürzte sie. Er half ihr auf. Blut am Knie, aber kein Schmerz. Wie auch. Ihr Kopf war so schwer. Wohin damit nur. Sie griff nach seinem Arm. Zog. Widerstand. Nicht? Schlaf dich aus. Sie sah ihn fragend an. Er lächelte knapp, enttäuscht, genervt. Egal. Sie kämpfte sich den Weg nach oben. Die Treppe war so steil. Mehrmals hielt sie inne. Stille. Wir im Wasser.
Die Tür fiel zu, sie auf den Boden. Lehnte sich an die Wand. Stirn auf die Knie. Denken zu schwer. Sie legte sich auf das Parkett. Atmen strengte an. Augen geschlossen. Dunkelheit endlich.

Telefonklingeln. Lauter. Sie schlug die Augen auf. Also lebte sie anscheinend. Ernüchternd irgendwie. Auch ein wenig schade. Ihr war übel. Pochen im Kopf. Sie schlich zum Telefon. Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Wo bleiben sie denn? Den Alltag hatte sie ganz vergessen. Sie nahm eine Tablette. Ich komme.

 

Hej encephalits,

ich habe eine Weile gebraucht, bis ich raus hatte, worum es geht. Vielleicht liegt das an mir, wie auch immer, ganz sicher bin ich mir immer noch nicht: sie ist Ärztin, hat es nicht geschafft, das Leben eines Kindes zu retten und macht sich dann Vorwürfe?

Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass Du gerne schreibst und Deine Geschichte wirkt auf mich auch durchaus motiviert. Trotzdem Ich würde Dir dringend empfehlen, Dialoge einzubauen. Zum einen wirken die Figuren dadurch unmittelbarer und lebendiger, zum anderen kannst Du damit auch gut Sachverhalte darstellen oder klären.

Ein bisschen Textkram:

Es war ein merkwürdiges Gefühl, wie die glatte Feinstrumpfhose von kühlem Schweiß durchdrungen wurde. Die Unterschenkel klebten an dem Leder des Bezuges fest; das Anheben verursachte ein schmatzendes Geräusch.
Und das kommt wovon? Ist es sehr heiß, ist sie krank? Ohne einen Bezug hilft es mir nicht, eine tiefergehende Vorstellung von den Umständen oder der Umgebung zu bekommen und dann wird es als Detail praktisch überflüssig.

Sie sah große Augen vor sich, welche Farbe wusste sie nicht.
So klingt es, als wären die Augen farblos, dabei meinst Du wohl eher, dass sie sie sich nicht genau genug vorstellt, dass es nur ein sehr flüchtiges Bild ist?

Also gar nichts. Einfach Leere. Sie versuchte auch das. Ebenfalls nicht.
Hier würde ich ausführlicher beschreiben, was Du meinst.

Traurig vielleicht. Nein, das war zu flach.
Hm. Trauer ist eigentlich kein flaches Gefühl. Man kann schlecht traurig und gleichzeitig emotional unbeteiligt sein.

Irgendjemand hatte alle Adjektive gestohlen,
Den Absatz verstehe ich von der Intention her nicht. Für mich passt dieser Ausflug in irgendeine nicht vorhandene Begrifflichkeit nicht zu ihrer Stimmung, sehr gut dagegen zur Stimmung eines Autors, der lobenswerter Weise das richtige Wort sucht. ;)

Die schweren Absätze durch die Zotteln des weisen Teppichs ziehen.
weißen

Ein Blick in den Spiegel, ja anscheinend ging es noch.
Was geht noch?

Die Hand auf dem Geländer tastete sie sich wie ein altes Junges Fohlen
:confused:

Ab hier habe ich den Text dann nur noch überflogen. Durch die nicht vorhandenen Dialoge gibt es kaum Spannung und die Protagonistin bleibt für mich zu eindimensional.

Es ist für mich vollkommen in Ordnung, wenn Du jemanden beschreibst, der sich an einem Tiefpunkt befindet, aber wenn das so aufhört, wie es angefangen hat, dann kann man die Geschichte zusammenfassen mit: "Da hat jemand Selbstzweifel" oder "Da fühlt sich jemand mies". Spannend wird es, wenn eine Geschichte erzählt, wie sich jemand durch sein Verhalten in eine Richtung bewegt, wenn dadurch irgendeine Entwicklung stattfindet.

Hoffe, Du kannst etwas anfangen, mit meinen Gedanken.
Viel Spaß noch hier,

Gruß
Ane

 

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