Was ist neu

Mahagoni

Seniors
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14.08.2012
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Mahagoni

Jemand schlug von außen gegen die Tür, gegen die mahagonifurnierte Spanplattentür, und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und verebbte schließlich im Hinterkopf, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.
„He, Sie! Wollen Sie da drin übernachten, oder was?“
Kein Grund, sich für irgendwas zu rechtfertigen, dachte er, kein Grund, sich zu entschuldigen. Für nichts. Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.
„Was?“
„Verdammt, ich muss echt dringend.“
„Scheiß auf eine Zeitung und schieb’s unter der Tür durch.“
Der Spruch war nicht von ihm, den hatte er irgendwo aufgeschnappt. Aus irgendeinem Film war der, er wusste nicht mehr, aus welchem. Michel Piccoli hatte jedenfalls mitgespielt, daran meinte er sich dunkel zu erinnern.
Immer dieses Erinnern. Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte. Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien. Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war es ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, ihm Halt geben. An dieser Tür, dieser hässlichen, braunen Tür, die aus einer längst vergangenen Zeit stammte, aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch undurchdringlich waren und unermesslich groß. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und billigst verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen. Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!
Aus zwei Zentimetern Entfernung betrachtet, oder drei, sah das gar nicht nach Echtholz aus, genaugenommen. Einfach nur nach irgendeinem Material. Billig, braun, hässlich. Nach Konformität sah das aus und nach elendigem Spießertum. Nach verlogenen Träumen, nach verlorener Jugend. Nach nichts, in Wahrheit. Oh Gott. Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Eines Tages werde er ihm dankbar sein, da könne er drauf wetten, hundertpro, da könne er Gift drauf nehmen, und wenn er mal selber Kinder hätte, werde ihm schon ein Licht aufgehen, da werde er an seine Worte denken, wirst schon sehen und so weiter.
Und Herumgebrülle, dass die Nachbarn zusammenliefen.
Und spätabends dann mit dem Moped weg, zum Walter oder zum Leo, und mit denen zum Brückenwirt oder über die Serpentinen auf den Aschberg rauf ins Florida, Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken. Fast jeden Abend. Leo erwischte es mit siebzehn, Walter ein Jahr später.
Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe, und ihm dann den Autoschlüssel unter der Tür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Spielt das eine Rolle?“

 

Offshore, Ernst, Mannomann, da freue ich mich, was Schönes, Echtes, Wahres von dir zu lesen, so was Sentimental-Offshorisches eben und dann, dann finde ich einen Text, dessen häufigstes Wort Scheißhaustür ist, der einen Aston Martin erwähnt, von dem ich mehr lesen wollte und vielleicht auch, was er mit der Geschichte zu tun hat, will mehr über den Kerl wissen, über seine Lebensfürze sozusagen und dann endet der Text schamlos, als habe sich der Aston Martin in ein selbstfahrendes Tesla-Ding verwandelt und sei im Nirgendwo entschwunden.

Aber im Ernst, Ernst, sentimental, schön-sentimental ist der Text und das mit der Tür passt auch, besonders weil sie aus Mahagoni ist (mein Gott, wer hat heute noch Mahagoni-Zeugs?)Kurzum: je genauer ich lese, nach Zusammenhängen suche, desto fündiger werde ich. Und das spricht sehr für den Text, jawohl. Jeden Moment habe ich erwartet, dass es jetzt ins Absurde gleitet, aber nix, der Text bleibt bei sich.

Auch den Offshore-Sound erkenne ich, auch wenn mir persönlich ein paar Wendungen nicht ganz rund erscheinen, eher vom Rhythmus her. (siehe unten).

„Scheiß auf eine Zeitung und schieb’s unter der Tür durch.“
:D

und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte.
auf den Punkt gebracht :Pfeif:

dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte. Er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, dem Kopf Halt geben.
würde ich in einen Satz packen, so klingt's bisschen unbeholfen. Auch die Sätze, die mit 'nach' beginnen ließen sich verdichten, denke ich.

Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Eines Tages werde er ihm dankbar sein, da er könne drauf wetten,

Wo er denn wohne, fragte der Typ.
Keine Ahnung. Irgendwo.
ja, wie leben alle irgendwo hinter Mahagonischeißtüren und benutzen das Plumpsklo.

viele Rosenmontagsverweigerungsgrüße
Isegrims

 

Hallo @ernst offshore,

ich mag keine Scheißhausgeschichten, ich mag keine Texte, die so was thematisierten, fasse sie eher mit spitzen Fingern an, möchte sie am liebsten gleich wieder fallen lassen. Und so billige Witze wie

„Scheiß auf eine Zeitung und schieb’s unter der Tür durch.“
hätte es für mich auch nicht gebraucht, auch wenn du gleich relativierst:
Der Spruch war nicht von ihm.
Doch ich lese weiter und mir beginnt zu gefallen, was ich lese, sprachlich und inhaltlich. Du stellst der Banalität der Situation die Reflektionen deines Protagonisten über das Leben, den Wandel, die Vergänglichkeit gegenüber, berührst alles nur kurz und schaffst es doch, mir recht viel über ihn, über seine Sicht auf die Dinge zu vermitteln. Ich spüre Abgeklärtheit, Melancholie, Sentimentalität, Resignation.

Eigentlich gibt es nur eins, was mich verwirrt hat, mir irgendwie nicht zu deinem bis dahin gezeichneten Charakter passen will:

Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe und ihm dann den Autoschlüssel unter der Scheißhaustür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Wo er denn wohne, fragte der Typ.
Keine Ahnung. Irgendwo.

Mal abgesehen von den Zeitwechseln, die ich nicht einordnen kann, frage ich mich, was die Erwähnung der Automarke bezwecken soll.
Wir haben hier ja gerade eine sehr interessante Diskussion über Markennamen gehabt - was man mit ihnen aussagen kann, was sie in einem Text bewirken können. Was möchtest du als Autor mit der Erwähnung gerade dieser Automarke über deinen Protagonisten sagen? Wie soll sie ihn charakterisieren? Hat er es jetzt dennoch geschafft, obwohl der Vater ihm nichts zugetraut hat? Ist er jetzt reich, aber nicht glücklich? Warum besitzt er einen so teuren Wagen - egal ob Oldie oder neu? Wie passt das zusammen? Wie passt diese geäußerte Eitelkeit (ob er schon einmal in einem Aston Martin gessessen habe) zu dem abgeklärten und desillusionierten Protagonisten des ersten Teils? Denn für mich tut sich hier ein Widerspruch auf - zumindest zu diesem Charakteristik-Detail:

Aus zwei Zentimetern Entfernung betrachtet, oder drei, sah das gar nicht nach Echtholz aus, genaugenommen. Einfach nur nach irgendeinem Material. Billig, braun, hässlich. Nach Konformität sah das aus und nach elendigem Spießertum.

Oder entlarvst du damit am Ende deinen Protagonisten und stellst ihn dar als aufgesetzten Nonkomformisten mit einem Hang zur Eitelkeit und zu Statussymbolen?
Wenn du dagegen eine Leidenschaft deines Protagonisten für Oldtimer vermitteln möchtest, so würde ich das in einem kurzen Nebensatz deutlich machen. Allerdings weiß ich auch dann immer noch nicht so recht, was mir das über ihn sagen soll.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hej @ernst offshore ,

da biste ja mal wieder! :herz:
Und dein Text ist derart, entschuldige bitte die moderne Floskel, authentisch, dass ich vom ersten bis zum letzten Satz denke: so war das mit dem Typen aufm Klo. So kann es einem gehen, wenn mit einem Bild, einer Umgebung, spontan das Leben vor einem abläuft, der Teil, der bereits hinter einem liegt, ohne dass man sich in Todesnöte befindet. Nicht so spektakulär, aber nicht weniger eindrucksvoll und deswegen auch extrem amüsant. Ja, die Melancholie, die latente Wut und Traurigkeit ist mir nicht entgangen. Ein offshore, wie er für mich sein muss. Okay Liebe fehlt, but so.

„He, Sie! Wollen Sie da drin übernachten, oder was?“

Ich denke, in diesem Etablissement duzt man sich.

Mich machste jedenfalls glücklich mit diesem Text. Ich komme dicht heran an den kleinen Scheißer und mag ihn.

Ein Leseeindruck und lieber Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @ernst offshore ,

uff. Ich war am Wochenende grad auf einem Classic Yacht Symposium, und du kannst dir vielleicht vorstellen, was für eine Geschichte ich bei der Kombi offshores Profilbild + Mahagoni erwartete ... Und dann kam: Scheißhaus. :sconf:->:heul:

Mir geht es wie @barnhelm , ich bin echt kein Freund von Fäkalhumor - das kann intelligent aufgezogen sein, wie will, es hat immer was peinlich Infantiles.

Ich hatte damals eine wunderschöne, verrückte und spannende Geschichte von dir über einen Bergsteiger und den Teufel gelesen, und das war einer der Texte, die ich über die Jahre hindurch nie vergessen hatte. Du hast selbstverständlich einen super individuellen, toll zu lesenden Stil, eine ganz eigenwillige Erzählstimme, aber dieser Text funktioniert für mich nicht. Ich habe ihn gelesen, weil er gut konzipiert ist, weil die kleinteiligen Beobachtungen und Gedanken wirklich klasse und witzig sind (und auch nicht so infantil oder dümmlich, wie der Einstieg befürchten ließ). Aber insgesamt ging das ähnlich wie wenn man sagt: "XY hat eine so schöne Stimme, von dem würde ich mir sogar das Telefonbuch vorlesen lassen" - das ist dann hier ein Kompliment für dein schriftstellerisches Können, so einen gar-nicht-so-aussageleeren SoC hinzulegen, aber keines für den Inhalt, den Plot, den Protagonisten.

Das mit dem Aston Martin hab ich übrigens nicht kapiert.

Sorry für all das Genöle!
Liebe Grüße, Katla

 

Hallo @ernst offshore
Ist er in der Kneipe am Aschberg, wo Leo und Walter auf der Heimfahrt umgekommen sind?
Will er von dem Typen, der vor der Scheißhaustür steht, nach Hause gefahren werden? Wenn ja, warum? Ist er besoffen. Denkt er an Walter und Leo?
Wieso ein Aston Martin? Warum ist das interessant?
Das sind Fragen an die Geschichte, die nach dem Lesen bei mir verbleiben. Das stört mich ein wenig, weil es ja eigentlich gar nicht um die Geschichte geht, sondern ums Leben und das ganze mittelmäßige Grauen.
Das ist für mich das Kunststück, das du hinkriegst. Meisterhaft! Und dafür brauchst du richtige Worte, nachfühlbare Assoziationen, Präzision in den Gedanken. Alles da. Handlung brauchst du keine. Das ist das Besondere für mich.
Aber dann solltest du vielleicht dafür sorgen, dass bei dem bisschen Handlung nicht noch Fragen übrigbleiben, die die Aufmerksamkeit vom Eigentlichen ablenken.
Insgesamt….ganz tolle Geschichte

wander

 

Zunächst mal, lieber offshore, da ist ja endlich wieder mal was Schriftliches, hehe. Ich hab sie gerne gelesen, deine Scheißhausgeschichte. Nicht nur wegen deiner Sprache und weil du du bist, sondern gerade wegen der Wendung am Schluss. ich fürchte, ich überinterpretiere mal wieder ganz gehörig, aber ich fand das so lustig und traurig zugleich, das Ende, denn gerade die Erwähnung von dieser Aston Martin Kiste holte für mich die Scheißhausgeschichte aus dem Scheißhaus heraus und machte sie zu einer selbstironischen Betrachtung.
Sonst wäre es ja nur eine ganz normale Lebensüberdrussgeschichte gewesen. Da verzieht sich einer nach zu viel kühlen Getränken auf ein stilles Örtchen und gerät ins Sinnieren über sich und die Kürze der Zeit und den Lauf der Welt und wie das alles so hat kommen können, wie es kam. Mit oder ohne Alkohol, sich selbst auf den Prüfstand zu stellen und mit seiner Jugendzeit zu konfrontieren und dem, wovor man da geflohen ist, das kennt wohl jeder. Verdruss auf dem Huss, wie der netteste Mann in meinem Leben heute früh so treffend bemerkte. Ich musste ihm deine Geschichte nämlich gleich vorlesen. Er ist, kennt ihn ja keiner hier, da kann ich das ja ausplaudern, großer Fan von dir und deinen Geschichten. Wie ich auch halt.

Ja, aber mal zurück zu dieser Geschichte. Es könnte so eine Verdrussgeschichte sein. Aber du gehst ein bisschen darüber hinaus. Diese beiden Stellen in ihrer Gegenüberstellung wiesen mir ein bisschen meinen persönlichen Pfad zu deiner Geschichte:

Nach Konformität sah das aus und nach elendigem Spießertum. Nach verlogenen Träumen, nach verlorener Jugend. Nach nichts, in Wahrheit. Oh Gott. Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Natürlich will man sich davon absetzen und tut es ja auch. Irgendwie jedenfalls. Da ist also einer der Verlogenheit, der Konformität entkommen. Oder doch nicht? Er hat ja schließlich alles anders gemacht. Keine armselige kleinbürgerliche Welt, keine Konformität, sondern einen Ausbund an Individualität und Erfolg.
Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe und ihm dann den Autoschlüssel unter der Scheißhaustür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Irgendwo.“
Und so ist schließlich der geschaffene Erfolg nichts, was er sich auf die echte, die wahre Habenseite des Lebens schreiben wollte, sondern es ist nur ein anders genormter Konformitätsausdruck. Ein Renner, der Dienstwagen von James Bond, besser kann man doch nicht aus einem gescheiterten Leben rasen, ja, ein echter Renner, eine Legende und ein Klischee. Ein Zuhause, ein echtes, wahres hat unser Protagonist trotzdem nicht. Er hat nur eine Konformität durch die andere ausgetauscht.
Naja, so traurig und selbstmitleidig und bitter und verstehe ich deine Geschichte und mag sie so.

Schön, dass du wieder da bist.

Novak

 

Ach offshore,

was machste denn da mit mir? ich sehe einen neuen Text von Dir :bounce:, dann sehe ich Flash Fiction und ich so: :heul:. Dieser Bereich ist nicht meine Komfortzone. Ist ja auch immer vorbei, bevor es überhaupt angefangen hat. Na gut, ich die Teenies, denen Du entwachsen bist, Du kurz und knapp, so ist das mit den Menschen. Wo ich jetzt aber schon mal gefastfooded hab, lass ich Dir auch ne Zeile da.

Immer dieses Erinnern. Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte. Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Nice!

Aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch unendlich waren und unerschöpflich. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und entsprechend billig verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen.
Das auch.

Nach verlogenen Träumen, nach verlorener Jugend.
Aber mal ehrlich. So eine Funiertür ist doch sehr viel preiswerter als ein Aston Martin. Aber ich geb zu, ein Aston Martin sieht besser aus.

... nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Da gehts ja ab!

Und spätabends mit dem Moped weg, nur weg, zum Walter oder zum Leo, ... Fast jeden Abend. Leo erwischte es mit siebzehn, Walter mit achtzehn.
Oh weh!

... und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe und ihm dann den Autoschlüssel unter der Scheißhaustür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Hätte er nur nen Golf, würde der ihn sicher nicht fahren. Da bräuchte man gar nicht erst zu fragen.

„Keine Ahnung“, sagte er. „Irgendwo.“
Das ist schade.

Mensch, ich will nicht nur ne Fritte, ich will das Menü! Und zwar in fünf bis acht Gängen. Aber schön, Dich überhaupt mal wieder gelesen zu haben. Zum Mehrwert Flash Fiction kann ich nix sagen, kenne mich da nicht aus.

Liebe Grüße, Fliege

 

moin, moin @ernst offshore

ne, so ganz glücklich bin ich nicht - auch wenn Du als Autor natürlich alle Verantwortungen von Dir weisen wirst. Ich komme seit Wochen endlich mal zum kommentieren, finde die Geschichte eines meiner Lieblingsschreibtäter und dann - flash fiction - echt jetzt? Das ist zu kurz, viel zu kurz.

Egal, eine Leseeindruck kriegst Du jetzt trotzdem, ich freu mich seit Tagen aufs kommentieren ...

Jemand schlug von außen gegen die Tür, gegen die mahagonifurnierte Spanplattentür, und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und entkam dem Kopf schließlich auf der Rückseite, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.
Ne, das ist jetzt keine Lobhuddelei, ich mag einfach Deine Sprache und Deine Sätze, aber als Einstiegssatz fühlt sich das ein wenig nach "Leseraussortieren" an. Wer den nicht schafft, muss noch ein wenig üben. Also in Klartext ist er mir einfach zu lang und vor allem zu zerhakt mit Kommas. ZUgegeben, laut gelesen ist er okay, ich weiß auch nicht ...

Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.
Das finde ich spannend, wie Du mir hier so ganz unterschwellig die Tür vom normalen Toilettengang zum großen Denken öffnest ...

Der Spruch war nicht von ihm. Der war ganz sicher nicht von ihm, den hatte er irgendwo aufgeschnappt, aus irgendeinem Film war der, keine Ahnung, aus welchem.
Auch hier versuche ich mir etwas mitzunehmen, eine tolle Charakterisierung des Prots, ohne die üblichen Versionen von Info

Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte.
Ich weiß, Du wägst jedes Wort und jede Satzstellung ab, also ist alles genauso gewollt. Aber es fühlt sich so absolut gewollt, so geplant an. Der Kerl ist doch ziemlich neben der Spur, er denkt mir einfach zu viel, zu reflektiert. Aber ist natürlich nur mein subjektiver Eindruck, ich lese nachher nochmal.

Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Irgendwo.
Okay, der Austin Martin soll mir wohl zeigen, das er es geschafft hat, also nach gängigen Klischees jedenfalls. Nur für ihn stimmt es so immer noch nicht, das fehlt schon einiges in seinem Leben. Und da fehlt mir hier was, des "Irgendwo" ist so unbestimmt, als hätte sein Sinnieren auf dem stillen Örtchen gar nichts gebracht. Gefühlt, sollte er doch eine "Erkenntnis " haben (und ich will auch eine)

Aber eigentlich habe ich Deine Sprache wiedermal genossen, jetzt sitze ich hier und werde den Happen wohl zum vierten Mal lesen, nur des Spaßes wegen (und weil er einfach zu kurz ist)
Bitte mehr
witch

 
Zuletzt bearbeitet:

Sorry,
@Isegrims @barnhelm @Kanji, @Katla @wander @Novak @Fliege @greenwitch,
… dass es mit der Antwort ein bisschen gedauert hat, war eine echt harte Woche.

du kannst dir vielleicht vorstellen, was für eine Geschichte ich bei der Kombi offshores Profilbild + Mahagoni erwartete
Lass mich raten, Katla: Irgendwas Bernard Moitessier featuring Joseph Conrad-mäßiges? :D

Tja, und dann enttäusche ich dich dermaßen. Und Fliege musste dann ja auch noch heulen, jessas!
Und allen ist es zu kurz, alle wollt ihr mehr, oh Mann!
Aber was soll ich sagen, außer, dass ich jetzt beinahe drei Jahre lang nix geschrieben hab …
Zwar lungern ein paar Textfragmente auf meiner Festplatte rum (by the way: hallo @Chutney :Pfeif:), aber wenn sie mir hin und wieder vorwurfsvolle Blicke zugeworfen haben, entlockte mir das gerademal ein gelangweiltes Achselzucken. Keine Zeit, keine Lust, hunderttausend andere spannendere Sachen im Kopf. Und überhaupt, was sind denn schon ausgedachte Geschichtchen im Vergleich zum wirklichen, zum hirndurcheinanderwirbelnd aufregenden, zum gnadenlos echten Leben?
Aber dann, montagabends, plötzlich, ohne Vorwarnung, aus vollkommen heiterem Himmel sozusagen, ertappe ich mich dabei, dass ich wie ferngesteuert Sätze in mein Notizbuch kritzle. (Und ja, bevor wer fragt, bei einem Bier in einer wahrlich jenseitigen Vorstadtspelunke, an der ich am Heimweg von einer Montage einfach nicht vorbei konnte.)
Und klar, zugegeben, man kann das wohl kaum eine ausgearbeitete Kurzgeschichte nennen, im Grunde sind‘s wirklich nicht mehr als ein paar Gedankenblitze. Aber allein schon das Gefühl, dass da wieder einmal Sätze aus mir raus wollten und wie von selber auch rauskamen, das war einfach … ja, das war einfach ein verdammt gutes Gefühl.
Und ich wollte dann gar nicht mehr lange hinterfragen, was ich da eigentlich geschrieben hatte, oder warum ich es geschrieben hatte, oder mir gar eine vorauseilende Interpretation zurechtlegen. Ich mochte die Sätze genau so, wie ich sie hingefetzt hatte. Und nach mehrmaligem Lesen meinte ich, tatsächlich auch Lesenswertes darin zu entdecken.
Und weil ich derart geflasht quasi war von dem Ding, hab ich’s zu Hause dann kurzerhand abgetippt und in die Flash Fiction-Rubrik gestellt. So wie es war, roh, unbehauen, ungeschliffen, Stream of Consciousness-mäßig (© Katla) eben, anstatt den Text - wie es seriöse Autoren gemeinhin tun (also nicht ich) - als Entwurf erst mal zur Seite zu legen, um ihn später, irgendwann, nie zu überarbeiten, um nicht zu sagen, ihn zu Tode aufzuhübschen.
Umso mehr freut es mich jetzt natürlich, dass diese Miniatur bei der Mehrzahl von euch so gut ankommt. Und klar, ganz besonders freut mich, was ihr zu meiner Erzählsprache sagt. Ist mir Stil doch allemal das Wichtigste beim Schreiben (und beim Lesen).
Und die Enttäuschten muss ich halt wieder einmal vertrösten, auf irgendwann. (Wer weiß, vielleicht schreib ich ja wirklich mal ein Telefonbuch.)

Ach ja, der verdammte Aston Martin …

Was möchtest du als Autor mit der Erwähnung gerade dieser Automarke über deinen Protagonisten sagen?
Ich will’s mal so sagen: Ich habe so was wie eine ungefähre Ahnung, wofür dieser Wagen symbolhaft stehen soll. Und mit angemessen engagiertem Nachdenken und einigen argumentativen Bocksprüngen könnte ich vielleicht sogar erklären, warum ich ihn für unverzichtbar für die Story halte. Zum Beispiel könnte ich sagen, dass er den absurden Endpunkt einer langwierigen Sinnsuche des Mannes darstellt, oder die Krönung gewissermaßen eines Emanzipationsprozesses symbolisiert, eines Emanzipationsprozesses, der aber letztlich reiner Eskapismus war.
Aber im Grunde kann ich’s auch bleiben lassen, weil die großartige @Novak ohnehin schon verdammt Schlaues dazu gesagt hat.
(Und dass es ausgerechnet ein Aston Martin wurde und nicht zum Beispiel ein, was weiß ich, ein Mercedes SL Cabrio (by the way: hallo @Isegrims :D) oder sonst was, war möglicherweise eine quasi unbewusste Hommage - wieder einmal - an Philippe Djian, seit Jahrzehnten einer meiner erklärten Lieblingsautoren, der in einem seiner Romane dem Protagonisten so eine Karre gönnt.)


Vielen Dank euch allen. Und beim nächstes Mal gibt’s wieder mehr, versprochen.
offshore

 

Zwar lungern ein paar Textfragmente auf meiner Festplatte rum (by the way: hallo @Chutney :Pfeif:),
Och Ernst, du weißt doch, dass ich dir schon lange verziehen habe. (Bin gerade dabei, deine Festplatte zu hacken.)


Jemand schlug von außen gegen die Tür, gegen die mahagonifurnierte Spanplattentür, und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und entkam dem Kopf schließlich auf der Rückseite, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, da war es die Wange, die an einem weiblichen Schenkel klebte. Diesmal also die Stirn an der Scheisshaustür. :hmm: Wie du über so eine banale Situation den Bogen zu einer Lebensbilanz ziehst, das Scheitern so genussvoll zelebrierst, das ist einfach wunderbar.

Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war’s ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, dem Kopf Halt geben. An dieser Tür, dieser hässlichen, braunen Tür, die aus einer längst vergangenen Zeit stammte.
Dicht und auf den Punkt. Dein Protagonist, der in dieser Situation zwischen Dreistigkeit und Hilfsbedürftigkeit, zwischen Verachtung und Selbstverachtung schwankt, löst echt zwiespältige Gefühle bei mir aus. Aber das hier ist rührend.

Aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch undurchdringlich waren und unermesslich groß. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und billigst verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen. Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!
Super gemacht, wie du da mit wenigen Strichen eine ganze Epoche auferstehen läßt, sogar das Thema Umweltzerstörung streifst, auf eine coole, zornige Art.

Und jetzt den Typen vor der Scheißhaustür fragen, ob er nüchtern sei und ob er ihn nach Hause fahren könne und ob er schon einmal in einem Aston Martin gesessen habe, und ihm dann den Autoschlüssel unter der Tür durchreichen und ihm sagen, wo das Scheißding steht.
Der Aston Martin ist also das neue Mahagonifurnier?

„Keine Ahnung“, sagte er. „Irgendwo.“
"Hier", hätte auch gepasst.


Mehr, mehr!

Liebe Grüße von Chutney und bis bald beim Gathering!

 

Tjoa, mir erging es da wie meinen Vorrednern, auch ich hab mich gefreut, als ich deinen Namen in Verbindung mit neuer Kg las.
Dann die Miniatur. Erstmal kurze Enttäuschung. Dann Eintauchen. Und es ging wunderbar leicht, habe mich da gleich gefangen nehmen und führen lassen. Wohin, naja, durch eine verkaterte Selbstmitleidstour eines Midlifecrisers. Auf dem Scheißhaus. Hrhr. Das so hinzubekommen und es zu genießen, das ist schon mal was und zeigt, dass du einfach schreiben kannst.
Aber wie du selbst sagst, was gibt es Spannenderes als das wahre Leben. Finde ich gut, diese Aussage mal so blank zu lesen.
Meine Lieblingsstelle:

und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war
herrlich. Auch mit dem Kick danach:
und wie er da jemals wieder rauskommen sollte.
wunderbar doppelbödig
Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Schön, diese Verquickung, einfach nur ... Hach

Die Enttäuschung versteift sich nicht. Ist kein Meisterwerk, aber eine wunderbare kleine Auszeit. Einzig:

Das mit dem Aston Martin, mja, geschenkt, aber die Nähe zu James Bond, nee, das will mir nur mit deiner drolligen Erklärung passen, aber nicht im text allein ;)

Welches Buch von Philippe Djian würdest du denn einem noch unbelecktem weltenläufer empfehlen?

Viel Abenteuer weiterhin im RL ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Lieber @ernst offshore,

da habe ich mich jetzt aber echt gefreut, in dieser Sparte hier mal wieder einen Text von dir zu finden!

Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien.
Um es vorweg zu nehmen: Ich finde deine Flash Fiction herrlich authentisch. Wer baut eigentlich diese winzigen Scheißhäuser?

Sprachlich, vom Lesefeeling her: Da habe ich nichts auszusetzen. Das habe ich wirklich sehr gerne gelesen.

Allerdings ging es mir wie einem meiner Vorredner, und zwar, dass ich das Gefühl habe, selbst wenn das hier Flash ist, fehlt mir etwas. Und zwar an genau dieser Stelle:

Oh Gott. Nach endlosen Wochenenden an der Mischmaschine sah das aus und nach endlosen Streitereien mit dem Vater und sich gegenseitig hinterhergeschmissenem Werkzeug.
Eines Tages werde er ihm dankbar sein, da könne er drauf wetten, hundertpro, da könne er Gift drauf nehmen, und wenn er mal selber Kinder hätte, werde ihm schon ein Licht aufgehen, da werde er an seine Worte denken, wirst schon sehen und so weiter.
Und Herumgebrülle, dass die Nachbarn zusammenliefen.
Und spätabends dann mit dem Moped weg, nur weg, zum Walter oder zum Leo, und mit denen zum Brückenwirt oder über die Serpentinen auf den Aschberg rauf, Billardspielen, Biertrinken, Schnapstrinken, noch mehr Bier trinken. Fast jeden Abend. Leo erwischte es mit siebzehn, Walter ein Jahr später.

Ich glaube, da gibt es mehr zu erzählen. Klar, das könnte auch zu einem Roman ausgefahren werden, aber das meine ich gar nicht. Bleib im Format Flash Fiction mit der Story, aber fahre an der Stelle noch ein klein wenig aus. Wäre mein Vorschlag. Es ist einfach ... der Typ ist an einem Tiefpunkt. Nicht nur plakativ gesehen, man spürt es: Es geht ihm nicht gut. Der Erzähler geht dann auch in die richtige Richtung; der Vater, die Vergangenheit. Das ist es, was da auf dem winzigen Scheißhaus hochkommt. Aber war da nicht noch mehr? Es wird Werkzeug hin und her geworfen, geschrien. Gesoffen. Zwei Freunde sterben.
Was ist mit der "Vorausahnung" des Vaters, dass der Prot noch dankbar sein wird? Wie ist es dem Prot eigentlich ergangen seitdem? Was ist mit seinen eigenen Kindern? Hat er welche?
Ich kann dir nicht sagen, was da vorgefallen ist, das weiß nur du. Und ich habe das Gefühl, wenn du an dieser Stelle ein klein wenig mehr ausfahren würdest, gar nicht ausladend, aber an den richtigen Stellschrauben noch ein paar Zentimeter mehr Einblick gibst, kann man noch mehr mitfühlen mit deinem Prot, kann ihn noch mehr verstehen, weswegen er jetzt gerade so am Arsch ist. Weswegen all das in ihm hochkommt. Noch ist die Vergangenheitssache etwas vage, da war ein Streit, zwei Tote - aber da reagiert ja jeder anders darauf. (Und jetzt fährt er einen Aston Martin?!) Ich will gar nicht die ganze Lebensgeschichte, sondern nur ein wenig mehr, um ihn in Gänze zu verstehen. Das ist zumindest gerade meine Lesegefühl. Ich hoffe du weißt, wie ich es meine, ernst.

Wo er denn wohne, fragte der Typ.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Irgendwo.“
Das ist eine großartige Szene, offshore. Gerade für das Ende. Packend, wenn man sie so liest.

Sehr gerne gelesen

Beste Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Lass mich raten, Katla: Irgendwas Bernard Moitessier featuring Joseph Conrad-mäßiges? :D
STRICKEN GOUT FOLLOWING NEW YEAR SHERRY PARTY
NOW EQUAL FOOTING - MERMAIDS - STOP

Lieber ernst,
geeeeenau: So ein landscheuer, tiefenphilosophischer Bluewatersegler mit einem Schuß crowhurst'schen Wahnsinns, unterwegs von Irgendwo nach Nirgendwo, ein wunderbares Psychogramm verpackt in offshores feine (nie bösartig sarkastische) Ironie, einmalig dramatischen Naturbeobachtungen der Mann / die Crew und die stürmische See, Albatrosse, Haie & barnacles ... und natürlich eine stolze old school Rennyacht - aus Mahagony oder nicht.

Challenge: Ich bin von Ende der Woche bis Okt/Nov auf See, und wenn ich im Herbst wieder richtig Online hab, steht hier eine witzig-dramatische Abenteuergeschichte vom one and only offshore ... (Just kidding - vermutlich hättest du sowas längst geschrieben, wenn du gewollt hättest, aber man darf ja mal träumen, oder?)

Cheers, herzliche Grüße,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @ernst offshore,

mein Kommentar zu deiner Flash Fiction Story musste erst mal etwas reifen, vielleicht um nur zu sehen, ob jemand mal ernsthaft offene Wunden benennt, was bis jetzt offenbar nicht der Fall war und nun die Geschichte womöglich in den Tiefen des „Wortkrieger-Arsenals“ zu versinken droht.

Mein erstes Problem: Wie weit darf sich eigentlich die künstlerische Freiheit eines Autors von der Realität entfernen? Ab wann wird eine Geschichte, vielleicht nur wegen der Effekthascherei, unglaubwürdig?

»Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien. Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war’s ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, dem Kopf Halt geben.«

Der Prota macht sein Geschäft in einer für ihn viel zu engen Toilettenzelle. Da die Gaststättenordnung in Deutschland genau vorschreibt, wie Toilettenanlagen von den Abmessungen her beschaffen sein müssen und wie viele je nach Gaststättengröße wegen der Konzessionsvergabe(!) vorhanden sein müssen, haben wir hier(umgerechnet) nach deiner Beschreibung einen Prota von ca. 2,50m bis 2,70 m mit schätzungsweise Schuhgröße 70 vor uns. So wie der sitzt, müssen dann die Schuhe unter der Mahagoni-Tür ca. 35 cm in den Gang hinausragen und er bequem, ohne aufzustehen, über die Tür in den Gang schauen können. Ist das nun künstlerische Freiheit? Oder doch nur Effekthascherei? Oder haben wir nur eine schlampige Recherche vor uns? Eine solche „Kneipe“ hätte in Deutschlands heutiger Realität nicht die geringste Chance auf Konzessionsvergabe!

Nächstes Problem was mir Bauchschmerzen macht:

»An dieser Tür, dieser hässlichen, braunen Tür, die aus einer längst vergangenen Zeit stammte. Aus einer fernen Zeit, als die Regenwälder noch undurchdringlich waren und unermesslich groß. Als es für die Menschen in Europa, für all diese vom Eigenheim träumenden Bekloppten auf der Hand lag, zu den millionenfach gefertigten und billigst verramschten mahagonifurnierten Türen zu greifen. Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!«

Verpöntes Mahagonifurnier aus den 70igern? Türen jeglicher Bauweise mit Mahagonifurnier hat heute (2019) jedes seriöse Fachgeschäft und jeder Baumarkt, der was auf sich hält, im Angebot, in Echtholz oder Echtholzfurnier! Womöglich gibt es zwischen Mahagonifurniere aus 1970 und 2019 Unterschiede? Der individuelle Geschmack scheint sich seit den Siebzigern jedenfalls nicht sehr geändert zu haben.

Was ist eigentlich der tragende Inhalt in der Geschichte? Mahagonifurnier als Urwaldvernichter? Fragmente aus Kindheitserinnerungen? Oder einfach nur wirre Gedankenfetzen eines Alkies? Also, ich weiß es nicht. Muss ich wahrscheinlich als Leser gar nicht wissen.

Mein nächstes Problem: So weit ich weiß, zeichnet sich eine »Flash Fiction Story « dadurch aus, dass der Autor mit präzisen Formulierungen sein handwerkliches Können insgesamt dem Leser präsentiert - sozusagen als ganz persönliche schnörkellose Handschrift.

Lobeshymnen von Kommentatoren dieser Story lassen das vermuten.

Vielleicht bin ich noch nicht lange genug im Forum, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass du mit der Geschichte a la Harpe Kergelings "Der Hurz" einige Kommentatoren ein wenig auf die Schippe nehmen möchtest.

Bereits der erste Satz, so vermute ich, zielt in des Hurzes Richtung:

»… und die Erschütterung pflanzte sich in seinem Stirnknochen fort und drang ihm ins Hirn, wanderte quer hindurch und entkam dem Kopf schließlich auf der Rückseite, ließ dabei seine Nackenwirbel kurz erzittern.«

Welche Bedeutung hat dieser fiktive chirurgische Schädel-Eingriff hinsichtlich Spannungsgehalt und Fluss der Story? Wer spricht eigentlich? Der allwissende Erzähler? Oder sogar der Autor selber, der bezüglich „Kill your darlings!“ die Löschtaste übersehen hatte?

Auch das mehrmalige „Scheißhaus“- Gehabe stört mM mehr den Fluss der Geschichte, weil der Erzähler einfach nicht dicht dran bleibt an der Gülle-Sprache und so dieser hin und wieder verwendete Kraftausdruck für mich Leser nur als lästiger Fremdkörper wahrgenommen wird. Wenn das die Absicht war – Daumen hoch!
Weiteres Überflüssige wurde bereits in anderen Kommentaren benannt.

Mein Resümee:
Kann man eine Story, besonders eine Flash Fiction Story, als handwerklich gelungen bewerten, die überflüssiges Zeugs mitschleppt und dann noch so weit weg von der Realität dahin dümpelt? Ich weiß es nicht …
Vielleicht wehen mir einfach nur falsch verstandene Winde ums Gemüt. Würde mich mal brennend interessieren

LG
Petriso2

 

Kein Grund, sich für irgendwas zu rechtfertigen, dachte er, kein Grund, sich zu entschuldigen. Für nichts. Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.

Das, lieber @ernst offshore, ist für mich schon einer der Sätze, die deinen Text perfekt in der Kategorie Flash Fiction verankern. Jedenfalls wenn ich danach gehe, was Flash Fiction für mich ist. Bei diesen Sätzen weiß ich schon, hier geht es um mehr, um viel mehr, als das Scheißhaus und die Mahagoni-Tür.
Ich mag das im Moment sehr. Diese Texte, die mit wenig viel bei mir auslösen. Die mit wenig Worten trotzdem eine ziemlich große Geschichte erzählen. Und so ging es mir auch mit deinem Text. Wie du hier von diesem Scheißhaus-Moment Stück für Stück weitere Ebenen eröffnest, ohne dabei verkünstelt oder bemüht zu wirken, das finde ich richtig gut. Noch dazu schwebt da ein Humor und eine Tragik zwischen den Zeilen, die ich schön finde. Ich würde es nicht bittersüß nennen, aber du weißt sicher, was ich meine.

Immer dieses Erinnern. Sich daran erinnern, wie er hierhergekommen war, in dieses aus der Zeit gefallene Scheißhaus, und daran, wieso er hierhergekommen war, in diese allerletzte Kneipe, und weiterdenken und darüber nachdenken, wann er so alt geworden war, und wie er da jemals wieder rauskommen sollte. Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Diese Stelle mag ich sehr. Da steckt so eine Wehmut drin. Das Erinnern steht ja hier auch für Verantwortung. Verantwortung, die dein Protagonist nicht mehr übernehmen will. Vor allem - wie hier scheint - für sich selbst. Sich nicht rechtfertigen zu müssen, einfach loslassen, nicht mehr denken. Auch sprachlich finde ich das toll gemacht, diese Wiederholungen (Erinnern, hierhergekommen, weiterdenken, drüber nachdenken, sollte) erzeugen hier einen besonderen Klang, fast schon ein sich im Kreis drehen, das gut zum Inhalt passt.

er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, dem Kopf Halt geben
Hier finde ich die Wiederholung allerdings überflüssig, da würde ich mich für eine Variante für den Kopf entscheiden, ich persönlich tendiere zu "dem Kopf Halt geben", weil ich das als Bild schöner finde.

Das ist aber auch die einzige Stelle, über die ich gestolpert bin, ansonsten habe ich deinen Text inklusive überraschendem Ende sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich erinnere mich an eine Geschichte, da war es die Wange, die an einem weiblichen Schenkel klebte.
Ach ja, der gute alte Vinc. Den mag ich nach wie vor sehr.
Diesmal also die Stirn an der Scheisshaustür. Wie du über so eine banale Situation den Bogen zu einer Lebensbilanz ziehst, das Scheitern so genussvoll zelebrierst, das ist einfach wunderbar.
Ich glaub aber eher nicht, dass Vinc es ist, der in dieser Story hier auftritt. Genauso wenig wie ich selber natürlich. Obwohl die Charakterisierung
eine coole, zornige Art
… das nahelegen könnte. :Pfeif: Aber ich versuche schon, mich tunlichst aus meinen Geschichten rauszuhalten. Ich teile nämlich mitnichten die Ansicht, die besten Geschichten würde das Leben schreiben. Immer, wenn mir jemand mit diesem Unfug kommt, sag ich ihm, dass das nur Leute behaupten, die selber einfach zu fantasielos sind, um sich bessere einfallen zu lassen. :D

Mehr, mehr!
Mal sehen, Chutney.
Jedenfalls hab ich mich sehr über deinen Besuch gefreut.


Genauso wie über deinen, weltenläufer, wobei ich dich seit deinem Kommentar unter Nordwand sowieso zu meinen Lieblingskritikern der ersten Stunde zähle. :huldig:

Das mit dem Aston Martin, mja, geschenkt, aber die Nähe zu James Bond, nee, das will mir nur mit deiner drolligen Erklärung passen, aber nicht im text allein
So unglaublich es klingt, aber ich hab in meinem Leben bisher keinen einzigen James Bond-Film gesehen. Nicht einen. (Nicht einmal Der Hauch des Todes, obwohl der teilweise in Wien gedreht wurde und mein uralt-Freund Christian - genau, der aus Müllers Büro :cool: - in einer Szene als Stuntdouble für Timothy Dalton zum Einsatz kam. Na ja, wegen der einen Szene brauch ich mir ja nicht gleich einen ganzen Film anschauen, oder?)
Was ich sagen will: Die Assoziation Aston Martin/James Bond hatte ich einfach nicht. Ebenso wenig dachte ich an einen Oldtimer, wie es @barnhelm in Erwägung gezogen hat. Ich brauchte einfach irgendeine Karre, die zwar einigermaßen teuer, oder sagen wir besser: außergewöhnlich ist, aber nicht gleichzeitig so was Klischeebeladenes wie, was weiß ich, ein Porsche oder ein Ferrari. Und da ich selber was Autos betrifft ja völlig leidenschaftslos bin, war ich bei der Auswahl dementsprechend … äh, naiv.
Wie auch immer, ein paar von euch sind mit ihren Mutmaßungen, was es mit der Karre auf sich hat, eh schon sehr nah an dem dran, was ich mir dazu dachte, anderen wiederum ist es zu dings, zu verschlüsselt.
Und ich selber bin mir jetzt einfach unsicher, ob und wie ich das eindeutiger machen könnte. Ich mein, die Story ist dermaßen kurz, also ein paar Sätze mehr könnte die wohl noch vertragen.

So, und jetzt noch bisschen Offtopic:

Welches Buch von Philippe Djian würdest du denn einem noch unbelecktem weltenläufer empfehlen?
Am besten geeignet, um sich dem Phänomen Djian anzunähern, sind sicherlich seine ersten Romane, vor allem die (lose) Trilogie Erogene Zone, Betty Blue und Verraten und Verkauft. (Aufgrund der Verfilmung von Jean-Jaques Beineix am bekanntesten ist wahrscheinlich Betty Blue.) Ja, fang mit Betty Blue an. Das war auch mein Einstieg in die Droge Djian, vor mittlerweile, jessas, mehr als dreißig Jahren. Wobei auch sein allererster Roman, Blau wie die Hölle, ein ziemlicher Hammer ist. Sehr schnell, sehr schräg, sehr hart, aber der unnachahmliche Stil ist schon zu erkennen.
Oder Rückgrat. Oder Pas de deux … Wahnsinn! Zwei seiner schönsten Romane, finde ich
Und ganz großartig auch wieder sein letzter Roman Marlène .

Ach, verdammt, weltenläufer, wenn du Betty Blue durchhast, wirst du wahrscheinlich alle seine Bücher lesen wollen.


So, mehr schaff ich heute nimmer.
@zigga, @Katla, @Petriso2 @RinaWu ihr kommt morgen dran, versprochen.

Vielen Dank euch allen.

offshore

 

tschuldigung, weil auch kurz off topic

Ach, verdammt, weltenläufer, wenn du Betty Blue durchhast, wirst du wahrscheinlich alle seine Bücher lesen wollen.
Kann ich nur bestätigen! Hab Betty Blue mit 16 gelesen und es hat mich einfach nur weggeflasht!
off topic Ende

 
Zuletzt bearbeitet:

… dass ich das Gefühl habe, selbst wenn das hier Flash ist, fehlt mir etwas. Und zwar an genau dieser Stelle: […] Ich glaube, da gibt es mehr zu erzählen.
Klar, zigga, natürlich ließen sich da noch ein paar zusätzliche Details einbauen. Und im Grunde wär‘s ja auch egal, ob die Story nun 530 Wörter hat oder 700 oder 1000.
Jetzt dauert aber die gesamte Szene - Handlung will ich’s nicht nennen - vermutlich nicht einmal eine Minute. Wir lesen also von ungeordneten, assoziativen Gedankensprüngen und Erinnerungssplittern, die dem Mann binnen kürzester Zeit durch den Kopf gehen. Und ich wollte da bewusst keine Schwerpunkte setzen, nicht irgendeiner Erinnerung besonderen Vorrang geben. Je ausführlicher ich zum Beispiel auf die Vaterbeziehung oder auf den Unfalltod der Freunde eingegangen wäre, umso mehr hätte alles davor und danach wie eine Rahmenhandlung gewirkt. Und das hätte die Story halt ganz anders gewichtet. Katla hat’s einen SoC genannt, und das trifft’s recht gut, finde ich. Die Gedanken von dem Typen sollten eine gewisse Willkürlichkeit haben, willkürlich aber gleichzeitig folgerichtig, ein Erinnerungsbild führt zum nächsten und so weiter. Zuerst das eher allgemeine Sinnieren übers Älterwerden, und dann, ausgelöst durch die Wahrnehmung der nur wenige Zentimeter von seinen Augen entfernten Tür, dem Mahagonifurnier, das sein gesamtes Gesichtsfeld einnimmt, ein quasi Wegzoomen seiner Kopfkamera in die Totale und dann eine Überblendung in die Vergangenheit, zu den doch eher dramatischen Erlebnissen in seiner Jugend. Gewissermaßen einzelne Schlaglichter nur, wo sich trotzdem eines aus dem anderen ergibt.
Ja, auf eine gewisse Art besitzt diese Miniatur durchaus so was wie eine Dramaturgie. Behaupte ich jetzt einfach mal. :Pfeif:

Danke, zigga.


wenn ich im Herbst wieder richtig Online hab, steht hier eine witzig-dramatische Abenteuergeschichte vom one and only offshore ... man darf ja mal träumen, oder?
Man darf, kann und soll träumen, Katla. :shy: Und in Wahrheit träume ich ja auch davon, wieder einmal so ein richtig großes Ding rauszuhauen.
Na ja, mal sehen. In der zweiten Aprilwoche segeln wir wieder das Round Palagruža Cannonball und ich könnte mir vorstellen, dass es dabei zu durchaus inspirierenden Szenen kommt. Müssen ja nicht gleich fliegende
im Spinnaker sein oder im Cockpit um ihr Leben rennende
barnacles.
(Oder eine gebrochene Oberwant wie bei unserem Desaster beim RPC 2018. :bonk: )

Vielen Dank für deinen Vertrauensvorschuss, Katla, und ich wünsch dir ganz viele ganz großartige Seemeilen.
Ohoa, the boatswain, the Romney, Ohoy!

offshore


(Euch, @RinaWu und @Petriso2, muss ich leider noch einmal vertrösten.)

 

Der offshore schreibt mal wieder,
das freut mich sehr :)


Genug Zeit, dachte er, Zeit für alles im Grunde.
das würde ich streichen, das ist in der Umgangssprache so eine Einleitungsfloskel (im Grunde der Dinge ... ), passt für mich aber nicht an der Stelle.

Wie er die Stirn von dieser Tür lösen sollte.
Als Höhepunkt aller Fragen sehr eindrücklich, ich mein, dadurch verliert er ja erstmal komplett sein Gleichgewicht.

Das Scheißhaus war dermaßen klein, dass er anfangs nicht gewusst hatte, wohin mit seinen Knien. Aber als er schließlich saß, verbogen, verrenkt, irgendwie saß, war es ihm ganz recht, dass er die Tür keine Handbreit vor der Nase hatte, er sich mit der Stirn daran anlehnen, seinem Kopf ein bisschen Ruhe gönnen konnte, dem Kopf Halt geben.
ihm anstatt der WW?
Genauso wie seine Eltern. Damals in den Siebzigern. Mahagonifurnier!
Meine hatten einen Wohnzimmertisch mit genau dem Furnier :D

Dieses Mahagoni als Auslöser für so eine kleine Rückschau. Der Protagonist hatte jedenfalls einen Scheißvater (um im Jargon zu bleiben) und diese Miniatur zeigt schön auf, wie sich so eine verkorkste (oder jedenfalls lieblos-nicht verstandene) Kindheit bis ins Alter zeigt. Die Alten lassen nie los, wenn sie es nicht geschafft haben, Kinder als starke, selbstständige Persönlichkeiten in die Welt zu lassen.
Ich meine, ansonsten hätte ihn das Mahagonifurnier an einen schönen Kindergeburtstag oder eine heimelige Atmosphäre in der Küche denken lassen können.
Der Aston Martin lässt mehrere Interpretationen zu: Entweder hat es der Protagonist "geschafft" oder sein Vater hat ihn zeitlebens so geschafft, so dass dieses Auto als Statussymbol herhalten muss, obwohl es nicht seinem sonstigen Status entspricht. Ein Typ wie man sie von Jimmy kennt, aber ein ganz anderer Ansatz vom Schreibstil her.
Wäre sicher mal interessant, wenn du ein Copyright von ihm hättest, dann käme vielleicht sowas in lang raus.

Hat mir gut gefallen, offshore.
Wär' schön, wenn das wieder ein Anfang von mehr von dir wäre :cool:
bernadette

 

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