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Matteo

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09.06.2019
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Matteo

Bin ich wach gewesen, oder habe ich geschlafen, als ich sie vor mir stehen sah? Geschlafen natürlich, gab sich Matteo selbst die Antwort und streckte sich. Sein Schlaf war seit seinem Achtzigsten verlässlich. Er konnte sich in ihn fallen lassen. Und da tauchte sie dann auf, besuchte ihn. Matteo war im „Betreuten Wohnen“ angekommen, letzte Haltestelle vor der Endstation. Seine Tochter war für das Paket „Mid“ gewesen. Das, ohne Mahlzeiten, aber mit einem Minimum an Zuwendung. Das sei so eben gerade noch leistbar, rechnete sie ihm vor einem Jahr vor. Früher war es um ganz anderes gegangen, wenn man von „leistbar“ sprach, dachte Matteo, als er Corinnas Emsigkeit für seine letzte Unterbringung aus einer gewissen Distanziertheit heraus mit ansah. Aber damit hatte man sich abzufinden!

„Ein Mann, auch in deinem Alter, muss nicht allein bleiben“,

wollte seine Tochter ihn bei einem ihrer Besuche ermuntern und damit andeuten, dass es in seinem Alter Frauen zum "Säue füttern" gab. Ohne Gegenstück, genau wie er. Corinnas Besuche rührten ihn. Er sah in ihnen ein Bemühen, den Unterschied zwischen „Mid“ und „High“ von Tochter-Seite aus, wettzumachen. Und wenn sie ihn derart noch besser stellen wollte, sah sie aus dem Fenster in den Hof auf Köpfe alter Frauen, über die Hälfte von ihnen an Rollatoren. Doch Matteos Träume waren andere. Auch wenn er sie gut verstand, und dass sie beruhigter gewesen wäre, hätte noch jemand außer ihr ein Auge auf den Vater geworfen. Aber vor seinem Innern tauchte nun einmal regelmäßig das Mädchen mit Rucksack, T-Shirts, einer langen und einer kurzen Hose, und dem Gurkenglas, randvoll gefüllt mit Waschpulver, auf. Als gäbe es in ganz Italien keine Seife. So war sie von München aus gestartet, ursprünglich mit dem Ziel Süditalien, war sie seinetwegen schon in Genua hängen geblieben, bei ihm, dem Fünfundzwanzigjährigen mit ausreichend Kraft in Herz und Lenden. Eine der fruchtbarsten, mitunter auch teuflischsten Abhängigkeiten.

Die Füße nach dem Traum auf die pflegeleichte Auslegeware vors Bett gestellt, schlupfte Matteo in seine Filzpantoffel, Marke „warm im Winter, kühl im Sommer“, wie es hieß, hinten offen, das Anziehen kinderleicht, das Gehen eher ein Schlurfen. Er tröstete sich etwas mit dem neulich Gehörten, dass das Hirn im Alter Dinge liebt, die ihm schwerfallen; angeblich sollten sich neue Synapsen bilden, fast wie bei einem Neugeborenen. Man hatte es nur in Atem zu halten, in dem Fall mit der Aufforderung an die Füße, sie trotz losen Schuhwerks, anzuheben. Versöhnt durch diesen Gedanken, den er erst beim Überdenken als „zu spät“ abtat, schlappte er zu der kleinen Küchenzeile: Zwei-Platten-Herd, Kühlschrank, Hänge- und Unterschränke, Spüle. Eine Annehmlichkeit für die, die sich „High“ nicht mehr leisten konnten, aber für „Mid“ noch gut genug waren. Spartanischer ging es allemal: nur ein kleines Zimmer, Bett neunzig Zentimeter, keine Küche, Klo und Dusche zu viert zu teilen, auch keine Mahlzeiten, Essen auf Rädern also, verzehrt mit Blick aus dem Fenster, oder mit dem stur auf den Teller gerichteten, je nach Charakter. „Basic“ eben!

Wenn er es so sah, ging es ihm prächtig, dachte er, als er den oberen Teil der Kaffeemaschine auf den unteren schraubte und es bald darauf anfing, zu brodeln. Und an diesem Tag freute er sich noch mehr als sonst auf seine afrikanische Sonne, denn es galt, das letzte Große mit ihr durchzusprechen. Er war sich nicht ganz sicher, glaubte aber, sie stamme aus Ghana, oder war es Äthiopien, mit Status „Bleiberecht“ immerhin, und mit hungrigen Mäulern, zurückgelassen dort, wo sie herkam und zu ihrem Leidwesen auch solche, die sich Nike-Turnschuhe per WhatsApp erbaten. Man hatte ihm Abebi zugeteilt. Sie sollte auf seinem Boden für Keimarmut sorgen, auch so ein Mid-Klasse-Add-on. Und selbst wenn sie täglich kam, riss er nur freitags, wenn sie gegangen war, die Fenster auf. Der Geruch ihrer Putzmittel erinnerte ihn zu sehr an amerikanische Hotelzimmer, unpersönlich und mit Maschinen gereinigt, die schwülstigen Duft versprühten, um jedweden menschlichen Geruch auszumerzen. Dabei sah er Abebi so gern zu. Diesem Rauf und Runter des Lumpens beim Auswaschen im Putzeimer, bevor sie mit ihren schwarzen Armen das feuchte Gewebe um die eigene Achse zwängte, um es danach über den an ihren Oberschenkel gelehnten Schrubber zu werfen. Als er das Geklapper vor der Tür hörte, stellte er seine Kaffeetasse für eine Begrüßung ab. Die ihr entgegengestreckte Hand war jeden Morgen ein erster Akt. Der zweite: ihr Schieben des Wassereimers mit dem Fuß in sein Zimmer. Ein Ritual, das er abwartete, genauso wie einen keinen Anlauf, und ihre Landung auf seinem purpurroten Samtsessel. Fast immer gab sie dabei einen Ton der Erleichterung von sich.

„Matteo“ rief sie an diesem Vormittag. „Warum Sie nicht anziehen, äh? Schon wieder gehen Sie in Schlafanzug. Das ist nicht guud!“

Abebi, was so viel heißt wie die „Herbeigesehnte“ oder „Erwünschte“, ein Name, der ihm lange zu denken gab, hatte viel dazu gelernt von seiner Sprache, seit sich die Keime unter der Woche auf seinem Fußboden entspannen konnten, und ihnen nur noch an Freitagen der Garaus gemacht wurde.

„Für wen soll ich mich anziehen“, beugte er sich vor, griff nach ihrer Hand und wartete, bis sie anfing, zu kichern. Der dritte Akt, ihr Glucksen, aus der Tiefe ihrer afrikanischen Seele, beim Senken seines Mundes auf ihren Handrücken. Wie Kaiser Franz-Joseph im Sissy-Film, den er sich eines Abends mit ihr angesehen, und bei dem er ab und zu den Übersetzer gespielt hatte, während ihm aufgefallen war, dass ihr die Tränen fast ausschließlich bei den Handkuss-Szenen kamen. Er zündete zwei Zigarillos an und reichte ihr eins. Sie rauchte sonst nicht. Ihr Paffen war eins, rein zu seiner Gesellschaft. Und heute setzte sich Matteo nicht wie sonst zu ihr. Er schlurfte zum Regal, nahm ein Kästchen, stellte es vor sie auf den Tisch und klappte es auf.

„Das hier, Abebi, das ist für uns beide. Das allermeiste davon für dich“, sagte er.

„Buh, Matteo. Das ist Geld! Viel Geld!“

„Das ist kein Geld, Abebi“, belehrte er sie. „Das ist unsere Zukunft!“ Dann griff er unter den Stapel Scheine, zog ein Foto hervor und hielt es ihr hin.

„Sie hier, Abebi“, tippte er auf das Porträt einer jungen Frau, den Rücken gelehnt an einen Felsen und mit einem einnehmenden Lachen, das dem Fotografen galt „ist noch ein Tag oder auch zwei meiner Zukunft. Du wirst sie für mich aus Deutschland holen. Und wenn sie hier war und du sie wieder nachhause gebracht hast, brauche ich nichts mehr von dem da, verstehst du“, deutete er auf die kleine Truhe. „Dann nimmst du den ganzen Rest und fliegst damit zu deinen Kindern nach Ghana!“

„Äthiopien“, gab Abebi, noch immer ein Funkeln von Verwunderung, aber auch von Skepsis in den Augen, zurück.

 

Hallo ragu,

ein Lob reicht zwar nicht immer. Aber in dem Fall natürlich schon! Danke Dir!

Grüße auch zurück
Bente

 

Hallo Bente!

Der Text ist nicht gut. Ich zeige am ersten Absatz ein paar Probleme Deines Schreibstils:

Aus der schattigen, kleinen Seitenstraße hatte er ein paar Schritte hinaus, in die nachmittägliche Hitze der „Piazza del Duomo“ von Trient getan. Er war aus derselben Seitenstraße gekommen, die sie vor gar nicht langer Zeit auf der Suche nach einem Kosmetikladen durchstreift hatte, weil sie einen Lippenstift suchte. Ihr Mund sollte nicht ausgerechnet heute farblos und müde wirken. Aus diesem Grund war sie früher als nötig gewesen wäre von ihrem Hotel losgegangen, in dem sie nur die Tasche mit den Kleinigkeiten für eine Nacht abgestellt hatte. Zweifelsohne hatte sie das Utensil dabeigehabt, das etwas Kontrast auf ihre Gesichtszüge zauberte, als sie am frühen Morgen von München aufgebrochen war, um die etwa dreihundertfünfzig Kilometer bis hierher, zurückzulegen. Es musste ihr im Zug beim Nachziehen der Lippen runtergefallen oder zwischen die Sitze geraten sein. Jedenfalls war es aus den Tiefen ihrer Handtasche nicht mehr aufgetaucht und so hatte sie in dem kleinen Badezimmer des Hotels nur kurz etwas Wimperntusche aufgelegt und etwas Rouge.

Du verwendest zu viele Adjektive und Adverbien. Das macht den Text langsam und bläht ihn auf. Du hast viele Konstruktionen mit war und hatte drin, das ist wegen der Wortdopplungen unschön zu lesen. Der erste Abschnitt besteht bereits aus etlichen zusammenfassenden und erklärenden Abschnitten. Statt szenisch zu zeigen, was gerade passiert, erläuterst Du Dinge, die vorher geschehen sind. Das ist ein Mittel, das nur sehr sparsam eingesetzt werden sollte. Außerdem ist da Vieles überflüssig. Wen interessiert schon, wann sie das Hotel verlassen hat, welche Dinge sich in ihrer Handtasche befinden, wie weit es bis München ist usw.

Beispiel:

Aus der schattigen, kleinen Seitenstraße hatte er ein paar Schritte hinaus, in die nachmittägliche Hitze der „Piazza del Duomo“ von Trient getan.

Besser:

Er trat aus der schattigen Seitenstraße hinaus in die nachmittägliche Hitze der »Piazza del Duomo«.

Vermeide umständliche Formulierungen, suche nach dem kurzen, dem prägnanten Ausdruck.

Schauen wir kurz in den zweiten Absatz:

Vermutlich war ihr das aus dieser Unruhe heraus passiert, die sie in der Sekunde des Erkennens seiner Stimme am Telefon befallen, und bis jetzt, wo sie in dem Straßencafé auf ihn wartete, nicht mehr in Ruhe gelassen hatte. Nun stand er also da, im nachmittäglichen, gleißenden Licht des Marktplatzes der kleinen, ersten, wirklich italienischen Stadt, wenn man von Norden kommt, und in der er sich womöglich genauso wenig auskannte, wie sie. Vermutlich hatte er diesen Treffpunkt gewählt, weil er ungefähr auf der Hälfte der Strecke zwischen München und Genua lag.

Wieder eine Menge überflüssiger Worte, die den Text langsam und weitschweifig machen. So kann man nicht packend erzählen.

Ich steige da aus, weil die geringe Qualität des Textes beim Lesen frustriert. Ein paar Empfehlungen: Die ersten Geschichten, die man schreibt sind selten gut. Sie sind meist großer Mist. Das ist okay. Aber Du tust Dir selbst und den Kommentatoren einen Gefallen, wenn Du mit kurzen Geschichten beginnst. Du kannst kurze Geschichten besser unter Kontrolle halten, zwingst Dich zu knapper Form, was meistens gut ist. Du findest mehr Leser, erhältst differenzierte Rückmeldungen.

Falls Du Fragen hast, schieß los.

Ich wünsche Dir viel Erfolg beim weiteren Schreiben!

Gruß Achillus

 

Moin Achillus.

Zunächst vielen Dank für Deinen Kommentar. Aber...
… phuh, den muss man erstmal sacken lassen, bevor sich weitere Fragen stellen!

Aber genau dafür bin ich ja hier. Bin Dir also für Deine Offenheit sehr dankbar und melde mich!

LG
Bente

 

49.941 Zeichen behauptet mein System und sofern es mich nicht betrügt, bedeuten dies 28 Seiten Standardmanuskript, die Zeile zu 60 Zeichen in der guten alten Schreibmaschinen-Type, sprich courier 12 pt. und die Seite zu 30 Zeilen – bedeutet unter der Prämisse, dass das erste, durchgängige Lesen zwischen einer Stunde und 24 Minuten oder zwo Stunden und 20 Minuten dauert (je nach gewohnter Gechwindigkeit zwischen drei und fünf Minuten je Manuskriptseite). Da wir die schöpferische Zeit, die der Autor aufbringen musste, nicht kennen, bedeutet dies Sitzfleisch und hohe Konzentration des Lesers – und damit erst recht des Autors und darum zunächst einmal

herzlich willkommen hierorts,

Bente,

und in der Tat ist es eine anstrengende Lektüre, adjektivlastig (da hat Achillus schon drauf hingewiesen), ein Festival der Hilfsverben und in deren Folge der Partizipienreiterei – da will ich dann gleich mal drauf eingehen, doch zuvor noch kleine Anregungen zu Beispielen aus dem ersten Absatz. Sozusagen erste Krücken:

Aus der schattigen, kleinen Seitenstraße hatte er ein paar Schritte hinaus, in die nachmittägliche Hitze der „Piazza del Duomo“ von Trient getan.
a) Sind enge („schattige, kleine“) Straßen nicht eh schattiger als breite und lassen sie sich nicht in einem Wort zusammenfassen, z. B. der „Gasse“ (muss ja nicht gleich ein Gässlein sein)?
b) Warum das Komma? Wenn Du die Frage beantworten kannst – lass es stehen (Regieanweisung, wie am Theater, kann es nicht sein).
c) Die Adjektivitis ist sogar größer, als man glauben mag - „Hitze“ ist z. B. eine Substantivierung von „heiß“ ...

Aber: Was ich in

hatte … ein paar Schritte … getan
noch als poetisch-gelungen ansehe, wird mit dem widerkäuen der Schulgrammatik der zusammengesetzten Zeiten zum „zeilenfressenden“ Monster aus Hilfsverb und Partizip (das - jetzt nicht erschrecken - ja selber zum Adjektiv werden kann), was ja nicht bedeutet, dass die Schulgrammatik falsch sei. Sie ist allemal korrekt wie die schwarze Kleidung und das zugeknöpfte Hemd mit Krawatte auf einer Beerdigung bei 30 Grad Sommertemperatur.

Er war aus derselben Seitenstraße gekommen, die sie vor gar nicht langer Zeit auf der Suche nach einem Kosmetikladen durchstreift hatte, weil sie einen Lippenstift suchte. … Aus diesem Grund war sie früher als nötig gewesen wäre von ihrem Hotel losgegangen, in dem sie nur die Tasche mit den Kleinigkeiten für eine Nacht abgestellt hatte.
a) Der Konjunktiv („wäre“) hat nix mit Zeitenfolge/Indikativ zu tun und ist eigentlich das, was die Wahrscheinlichkeitsrechnung für die Mathematik ist: Er gibt Wahrscheinlichkeiten zwischen 0 und 1 an, zwischen Lüge und unmöglich über die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit bis zur Wahrheit („1“), also statt „gewesen wäre“ besser „gewesen war“, wobei genau der Teil gekürzt werden kann auf „aus diesem Grund war sie früher als nötig … von ihrem Hotel losgegangen, ...“
b) in dem aufgeführten Beispiel ist das Adverb „früher“ die Krücke, die das PQP und die Partizipienreiterei eingrenzen lässt wie die Kombination „vor gar nicht langer Zeit“ - was natürlich einfacher zu erkennen/anzuwenden wäre, setztestu die Geschichte in die Gegenwart ...
„Er kam aus derselben Seitenstraße, die sie vor gar nicht langer Zeit auf der Suche nach einem Kosmetikladen durchstreift hatte, weil sie ...“

Ähnliches bietet sich hier an

Zweifelsohne hatte sie das Utensil dabeigehabt, das etwas Kontrast auf ihre Gesichtszüge zauberte, als sie am frühen Morgen von München aufgebrochen war, um die etwa dreihundertfünfzig Kilometer bis hierher, zurückzulegen.
a) Warum nicht einfach das Hilfsverb in ein Vollverb verwandeln „Zweifelsohne hatte sie das Utensil dabei, ...“
b) Nutz die Hilfestellung „am frühen Morgen“ (da seh ich auch das Adjektiv für notwendig an, gibt halt die Übergänge des Morgens aus der Dunkelheit in den Vormittag hinein) … versuch mal selber
c) das Komma vor „um“ ist korrekt, der damit eingeleitete Infinitivsatz wird aber üblicherweise durch kein weiteres Komma unterbrochen. Lass Dich nicht so sehr durchs Gefühl leiten. Die Regeln sind da eindeutig.

Versuch mal selbst weiter mit den zeitlichen Krücken (aber immer auch z. B. das Hilfsverb „haben“ vom gleichnamigen Vollverb unterscheiden.

Bzgl. der Zeichensetzung mein Rat, Duden.de „Komma“ eingeben und nutzen – in dem Fall – „Infintiv“ mit „Bearbeiten/Suche“ abfragen …

Und zum Abschluss noch ein Hinweis zu besonderen Adjektiven, wie das von Dir hier zum ersten, aber nicht einzigen Mal verwendedet

Nun stand er also da, im nachmittäglichen, gleißenden Licht des Marktplatzes der kleinen, ersten, wirklich italienischen Stadt, …

Je öfter ein solches Verb (ebenso geht‘s eigentlich und alle Kombinationen mit ehrlich, ...glaub…, auch als „kannstu mir glauben“, bis hin zu allen Kombinationen mit wahr… sollte man skeptisch sein. Je häufiger mir jemand sagt, er haben mich gern, lieb o. a., umso mehr zweifel ich an der Aussage).

Und zum Abschluss: Ich mag Kleist und ich neige auch zu kleist‘schen Satzbildung bis hin zu ganzen Geschichten in einem Satz – aber die erfordern Konzentration und die Wahrung der Übersicht. Kurze Sätze sind da an sich schon ein Hort der Sicherheit.

Wie dem auch sei, wird schon werden, behauptet der

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen Dank, Friedel,

ich bin gerührt. So viel Aufmerksamkeit und Arbeit mit meinem Text! Ich selbst habe gemerkt, dass er wegen der Länge eine Zumutung war. Anfängerfehler!

Also: ich habe gekürzt, Adjektive gekillt, wollte Punkt für Punkt Deine und Achillus´ Anmerkungen durchgehen und stellte sehr bald fest, das geht, zumindest nicht zeitnah und wenn überhaupt.

Deswegen habe ich eine andere, eine kurze Geschichte geschrieben: "same-same-but-different". Dabei habe ich mich bemüht, alles, was ich mir merken konnte von Euren vielen, vielen Kritikpunkten, zu berücksichtigen. Denn schreiben und dabei gleichzeitig auf eine Liste schauen, das kann, ich zumindest, nicht.

Sicher ist mir noch nicht alles vollends gelungen. Dennoch wäre ich dankbar, wenn du dir die neue auch bei Gelegenheit zu Gemüte führen könntest. Sie ist ganz anders und doch geht es um die gleiche Geschichte, dieses Mal aus Sicht von Matteo.

Nochmals, ein ganz herzliches Danke!
Bente

 

Ich noch mal,

lieber Bente,

wenn ich darf.

Einen Aspekt der "blumigen" Sprache der Adjektivitis hab ich ja noch gar nicht angesprochen. Die Gefahr der Gartenlaube. Das war im 19. Jh. eine Gruppe von Schreibenden, die den Biedermeier wieder aufleben ließen und der blumigen Sprache frönten. Ob es zugleich die Geburtsstunde des Groschenromans (der sich auch mal als Arzt- und Liebesroman etwas aufwendiger gibt) war, weiß ich allerdings nicht.

Wie dem auch sei, wird schon werden,
behauptet der

Friedel

 

Hallo Bente,

mit diesem Text machst Du einen Schritt nach vorn, denke ich. Der ist wesentlich besser als der erste. Aber es gibt immer noch viel zu tun.


Formatierung

Wenn Du Deine Geschichte einfach so ins Forum kopierst, dann fügt die Software manchmal Leerzeilen ein, d.h. Absätze, wo keine sein sollten. Schau mal auf Deinen Text. Zu viele Absätze.


Stilmittel Rückblende

Dein Text enthält eine Menge Rückblenden, zum Teil was die Äußerungen der Tochter betrifft, zum Teil Erinnerungen an Italien, an seine Jugend. Rückblenden sind ein komplexes Stilmittel, das einige Erfahrung benötigt, wenn man es meistern will. Im Fall Deiner Geschichte – das hatte ich schon bei der ersten Fassung geschrieben – wird der Text langsam und ein wenig zäh.

Ein Leser möchte ja möglichst dicht dran sein am Geschehen, Rückblenden sind davon das Gegenteil. Es wird nicht erzählt, was jetzt gerade geschieht, sondern was davor war. Das wird schnell langweilig.

Deshalb noch einmal der Rat: Erzähle, was jetzt passiert, nicht, was vor dem Jetzt passiert ist.


Sentimentalität, Verniedlichung, Verharmlosung

Eliminiere möglichst alle emotional aufgeladenen Wendungen (rührende Besuche) und solche, die verniedlichen und verharmlosen. Das ist keine Kindergeschichte. Das Emotionale soll sich aus dem Kontext bzw. Subtext ergeben, nicht daraus, dass der Autor etwas als rührend oder prächtig bewertet.

  • Corinnas rührende Besuche
  • verzehrt mit sehnsüchtigem Blick aus dem Fenster
  • wenn er es so sah, ging es ihm prächtig
  • Nun ging es um Mammon!
  • mit hinreichend Kraft für beide Arten der Liebe: die mit dem Herz, und die mit den Lenden
  • angeblich sollten sich Synapsen bilden, funkelnagelneue

Was ist interessant?

Das ist natürlich Geschmackssache. Im TV sind all die sentimentalen, romantischen Serien und Filme so beliebt, dass die quasi ununterbrochen laufen. Mir wird übel davon. Nicht, weil ich etwas gegen Romantik oder gegen Gefühle hätte, sondern weil ich deren geschäftsmäßige Reproduktion verabscheue. Tränendrüse funktioniert immer, aber ich finde, davon sollte sich ein Autor fernhalten. Ich finde, Romantik kann sich wie von selbst bei einer Geschichte einstellen, aber vorsätzlich romantisch schreiben zu wollen, ist ein trivialer Ansatz. Aber wie gesagt, das ist Geschmackssache.

Ich wünsche Dir viel Erfolg beim weiteren Schreiben.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Achillus,
danke für Deine erneute Mühe. Glaube, verstanden zu haben. Wenigstens was „Formatierung“ und „Sentimentalität, Verniedlichung, Verharmlosung“ anbelangt. Nicht so den Punkt „Stilmittel Rückblende“.
Wäre denn die Geschichte überhaupt noch DIE Geschichte ohne Rückblende?
Ich nehme an, Du meinst das hier:

„Ein Mann, auch in deinem Alter, muss nicht allein bleiben“,
wollte seine Tochter ihn bei einem ihrer Besuche ermuntern und damit andeuten, dass es in seinem Alter Frauen zum "Säue füttern" gab. Ohne Gegenstück, genau wie er. Corinnas Besuche rührten ihn. Er sah in ihnen ein Bemühen, den Unterschied zwischen „Mid“ und „High“ von Tochter-Seite aus, wettzumachen. Und wenn sie ihn dergestalt noch besserstellen wollte, sah sie aus dem Fenster in den Hof auf Köpfe alter Frauen, über die Hälfte von ihnen an Rollatoren. Doch Matteos Träume waren andere. Auch wenn er sie gut verstand, und dass sie beruhigter gewesen wäre, hätte noch jemand außer ihr ein Auge auf den Vater geworfen. Aber vor seinem Innern tauchte nun einmal regelmäßig das Mädchen mit Rucksack, T-Shirts, einer langen und einer kurzen Hose, und dem Gurkenglas, randvoll gefüllt mit Waschpulver, auf. Als gäbe es in ganz Italien keine Seife. So war sie von München aus gestartet, ursprünglich mit dem Ziel Süditalien, war sie seinetwegen schon in Genua hängen geblieben, bei ihm, dem Fünfundzwanzigjährigen mit Kraft in Herz und Lenden. Eine der fruchtbarsten, mitunter auch teuflischsten Abhängigkeiten.“

Dieser Absatz erklärt für mich so viel an der Geschichte: Atmosphäre eines Altenheims (Rollatoren beim Blick aus dem Fenster), eine Tochter, die um das Wohlergehen ihres Vaters bemüht ist. Er beobachtet sie eher mit einem Schmunzeln, weil er erkennt, dass – obwohl Blut dicker als Wasser ist – er sein letztes, großes Geheimnis nicht in ihre Hände legen kann. Und last but not least natürlich die Erklärung, woraus sein Geheimnis besteht.
Wie sollte der Leser all das verstehen? Ich steh´ da komplett auf dem Schlauch.
Du bist selbst schuld, wenn ich Dich zitieren darf. „
Falls Du Fragen hast, schieß los.
Herzlich grüßt
Bente

 

Ich kann es nicht erklären ... - für mich zählt allein, ob es flutscht.
ragu
Hallo Ragu,
ja, so habe ich das bisher auch gesehen. Aber nun möchte ich etwas dazulernen.
Danke für Deine Aufmunterung. Die tut, gerade im Kugelhagel, gut.
Gruß
Bente

 

Du bist selbst schuld, wenn ich Dich zitieren darf. „Falls Du Fragen hast, schieß los.“

Hallo Bente, klar ist Fragen stellen in Ordnung.

Eine Herausforderung beim Schreiben (wie auch bei jedem anderen Handwerk oder in jeder anderen Kunst) besteht darin, das gewünschte Ziel mit den verfügbaren Mitteln zu erreichen. Bitte denke daran, dass sich nicht alle Ideen (Ziele) umsetzen lassen, wenn man mit dem Schreiben beginnt, weil einem zu diesem Zeitpunkt nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Ich meine das nicht unbedingt auf diese Geschichte bezogen, sondern ganz grundsätzlich.

Deshalb geht meine Empfehlung in die umgekehrte Richtung: Gehe von Deinen Mitteln aus und entwickle daraus die Idee für eine Geschichte. Sagen wir, Du besserst diese Geschichte dort aus, wo es möglich ist und belässt es dabei. Vielleicht erhältst Du ja noch weitere Feedbacks dazu. Bei Deiner nächsten Geschichte entwickelst Du den Plot dann von vornherein so, dass er mit möglichst wenig Reflexion, Erklärung und Rückblende auskommt. Du wirst sehen, dass der Leser dann viel dichter am Geschehen und an der Figur dran ist.

Grundsätzlich predigen alle Veteranen in diesem Forum wieder und wieder, dass sich der Sinn einer Geschichte aus dem Verhalten einer Figur ergeben soll, nicht aus den Erklärungen des Autors. Daran kannst Du ableiten, wie allgemein und bedeutsam, dieser Grundsatz ist. Im Fall der aktuellen Geschichte würde ein fortgeschrittener Autor nach Handlungen und Dialogen suchen, die die Vorgeschichte andeuten, aber eben nicht auserklären.

Gegen eine kurze Reflexion hier und dort ist nichts einzuwenden, aber das ist eben ein Mittel, das sehr sparsam eingesetzt werden sollte. Als Beispiel gebe ich Dir mal eine Geschichte von mir, weil ich weiß, wie ich dort mit den Rückblenden zu kämpfen hatte: Die Jagd Während der Expedition erinnert sich die Hauptfigur immer wieder an Vergangenes und das ist auch für den Kontext der Geschehnisse wichtig. Aber die Dosierung ist zurückhaltend.

Bleib dran, es lohnt sich bestimmt.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Grundsätzlich predigen alle Veteranen in diesem Forum wieder und wieder, dass sich der Sinn einer Geschichte aus dem Verhalten einer Figur ergeben soll, nicht aus den Erklärungen des Autors. Daran kannst Du ableiten, wie allgemein und bedeutsam, dieser Grundsatz ist. Im Fall der aktuellen Geschichte würde ein fortgeschrittener Autor nach Handlungen und Dialogen suchen, die die Vorgeschichte andeuten, aber eben nicht auserklären.

Gegen eine kurze Reflexion hier und dort ist nichts einzuwenden, aber das ist eben ein Mittel, das sehr sparsam eingesetzt werden sollte. Als Beispiel gebe ich Dir mal eine Geschichte von mir, weil ich weiß, wie ich dort mit den Rückblenden zu kämpfen hatte: Die Jagd Während der Expedition erinnert sich die Hauptfigur immer wieder an Vergangenes und das ist auch für den Kontext der Geschehnisse wichtig. Aber die Dosierung ist zurückhaltend.

Bei einem Roman, ja – obwohl ich selbst da ein anderes Empfinden habe - aber bei einer Kurzgeschichte?
Nimm Deinen „Jäger“. Um Ake einem Leser (ohne Rückblende) näher zu bringen, bräuchtest Du da nicht erheblich mehr Raum? Und gehört nicht gerade die Rückblende deswegen zu einem sehr effektiven, zielführenden Mittel?

Meine Gedanken dabei: Von Vielen bewunderter „Kam-sah-und-siegte“-Typus übt Verzicht. Warum? Erhofft er sich etwa eine Gegenleistung? Sucht er unter Umständen nach einer Freundschaft mit einem Gegenpart, der die Lücke seines Charakters füllen kann? Oder hatte er ohnehin bereits das Interesse an der Frau verloren und gibt seine vermeintliche Großzügigkeit, „das Opfer“, lediglich als einen Freundesdienst aus? Warum überhaupt führte diese Begebenheit zu einer Freundschaft? Fühlt sich der nachdenkliche, zurückhaltende Ragnar so geschmeichelt, dass er die gewissenlosen Eigenschaften seines Klassenkameraden verdrängen möchte? Und wenn ja, warum schmeichelt einem die Zuwendung ausgerechnet eines solchen Menschen? Ich könnte jetzt noch so weitermachen. Für mich alles Fragen, die die Geschichte für mich reizvoller werden lassen und mich kein Jota von den Figuren wegbringen: im Gegenteil.

Also denke ich mir, hinterfrage ruhig mal einen Grundsatz. Manchmal sind es die „Unbeleckten“, die eine Revolution in Gang bringen ? Und selbst Paul Auster, den ich aus zweierlei Gründen sehr schätze, seiner Bücher und seiner Haltung wegen, bemerkte einmal zu Regeln aller Art beim Schreiben: „das interessiert mich nicht.“ Also muss es wohl seine begnadete Intuition sein, die ihn durch seine Stoffe führt, schließe ich daraus.

Wobei ich gleich betonen möchte, dass mir der Sinn Deiner sonstigen, bisherigen Tipps voll einleuchtet.

Übrigens: sehr spannend, Deine Geschichte. Eng im Positiven, gruselig, schön vor allem die drei Figuren: der Weise, der Korrupte, der Nachdenkliche.

Danke, Achillus, fürs Kümmern!

Bente

 

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