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Meine Halbfreundin
»Uzzul ist an der Tür«, juchzt Vinni, »ich meld mich später wieder!« Sie kappt die Verbindung. Blopps ... und ich bin raus.
Zugegeben, Uzzul hat vier Hände, und Frauen lassen sich gerne streicheln. Schätze, ich bin eifersüchtig. Naja, wenigstens habe ich einen Teil von ihr.
Und in meinem Alter kann ich kaum Anspruch auf eine ganze Frau für mich allein erheben. Wir leben nun einmal in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Laut Halbfreundin-Vertrag darf sie schlafen, mit wem sie will. Ich habe nur verbrieften Anspruch auf erheiternde Gespräche, gemeinsames Baden und gelegentlichen Sex. Was »gelegentlich« in diesem Zusammenhang bedeutet, beschäftigt derzeit allerdings mehrere interplanetare Gerichtshöfe. Und mich, und zwar definitiv öfter als »gelegentlich«.
»EverYouth – für immer 29«, plärrt der Kühlschrank. Tja, ohne diese grünen Pillen hätte mein Körper dieselben 83 Jahre auf dem Buckel wie meine Erinnerungen.
Vielleicht erklärt das, dass ich nicht damit klar komme, dass Vinni ins Bett geht mit wem sie will. Meine moralischen Wurzeln reichen nun einmal tief in den Staub des 20. Jahrhunderts, als Treue noch mehr wert war als eine geile Nummer mit einem vierarmigen Rundschnäbler, der sich nur deshalb Uzzul nennen lässt, weil sein richtiger Name klingt wie ein Storch, der einen Presslufthammer verschluckt hat. Nicht, dass ich etwas gegen ihn hätte – er ist eigentlich ganz nett, wie alle Aliens. Ich bin nur eben etwas altmodisch und glaube noch an sowas wie »wahre Liebe«, die moderne Psychologen freilich längst als Symptom gefährlicher Selbsttäuschung wegtherapieren, und das sogar auf Kosten der Krankenkasse.
Die beste Ersatzbefriedigung: Überflüssigen Krempel einkaufen.
»Urlaub auf Vyrroc ist wie ein neues Leben«, säuselt die Glastür des MegaCenter, bevor sie mich vorbei lässt. Im Obstgeschäft kaufe ich weiße Ritzbirnen von Carcasis Apúla. Sie enthalten so viele Amphetamine, dass Sportler lebenslang gesperrt werden, wenn ihnen der Genuss dieser Früchte nachgewiesen wird. Neben dem Laden für exotisches Grünzeug hat eine neomystizistische Beratungsstelle aufgemacht. Neugierig trete ich ein. Ich muss grinsen, als ich mich in einem dudelbeschallten Automatenbüro wiederfinde.
»Hallo«, begrüßt mich das lächelnde Gesicht auf dem Bildschirm, »willkommen bei der neomystizistischen Beratung. Bitte halten Sie Ihre Kreditkarte vor den Sensor, um zu um zu um zu um zu um zu beginnen.«
Ich überlege, ob ich einem Avatar mit einem solchen Sprachfehler mein Geld anvertrauen will. Die Antwort lautet nein, aber meine Neugier ist stärker. Vielleicht bietet mir der Neomystizismus eine Lösung, immerhin ist er deutlich zeitgemäßer als ich.
Der Avatar verwandelt sich in meine Traumfrau. Offensichtlich kann das System meine Kreditkartennummer zu Daten in Verbindung setzen, die irgendjemand über meine Vorlieben gesammelt hat.
»Wo drückt denn der Schuh?«, fragt die erotischste Stimme, die ich je gehört habe.
Ich muss erneut grinsen. Zum Glück bin ich altmodisch genug, mich nicht in eine Computergrafik zu verlieben. Bevor ich mein Anliegen vortrage, sehe ich nach links und rechts, aber ich bin im Moment der einzige Kunde.
»Ich muss meine Halbfreundin mit vielen ... Leuten teilen. Das ist mir ... unangenehm.«
Die Frau auf dem Bildschirm lächelt mich an. »Ich verstehe. Nun, dann möchte ich Ihnen einen Besuch in der Partnerpraxis Dr. Ranz empfehlen. Er ist auf solche Fälle spezialisiert und hat außerdem gerade Werbewochen.«
Etwas enttäuscht beobachte ich, wie 9,95 von meinem Konto abgebucht werden.
»Am besten nehmen Sie den Aufzug um die Ecke. Falls Sie unterwegs hungrig werden, empfehle ich Ihnen ein Fisch Fisch Fischbrötchen bei unserem Partner Planet Ocean, der zufällig an ihrem Weg liegt.«
»Haben Sie heute Abend schon was vor?«, hauche ich. Der Avatar zeigt keine Reaktion.
Die Praxis von Dr. Fred Ranz liegt in der fünften Etage, weit über dem bunten Treiben der Ladenzeilen. Am Empfang sitzt eine echte Frau, vermutlich um mir Vertrauen einzuflößen. Während ich warte, nehme ich die Bilder an den Wänden in Augenschein. Wahrscheinlich abstrakte Alien-Kunst. Ein Duftspender verbreitet Vanille und Pfirsich, wovon mir fast schlecht wird, bis ich endlich in den Therapieraum gebeten werde.
»Willkommen in meiner Praxis«, schmalzt Dr. Ranz, Hemd, Brille, Modeglatze, »bitte nehmen Sie Platz.« Er zeigt auf einen Stuhl, der mich vage an archaische Zahnarztpraxen erinnert.
»Sie sind auf Empfehlung hier«, stellt Dr. Ranz fest, als ich mich gesetzt habe, »und bei mir sind Sie natürlich in besten Händen. Ich bin anerkannter Fachmann für transenergetische Emotionskontemplation. Und Sie haben ein Problem mit einer Frau?«
»Nun ... ich fürchte, sie liebt mich nur manchmal.«
»Verstehe«, sagt Dr. Ranz und legt die Fingerspitzen aneinander, »und wie ist das bei Ihnen?«
»Ich ... ich liebe sie immer.« Ich senke den Blick. Es ist mir etwas peinlich. Ich ergänze: »Wissen Sie: Ich bin Jahrgang 68. Früher war das alles noch etwas anders.«
Dr. Ranz nickt. »Verstehe.« Er schließt die Augen. »Ich spüre, dass Ihnen die spirituelle Nähe zu den Veränderungen unserer interplanetaren Gegenwart fehlt.«
»Schon möglich. Früher gab es nur Menschen. Das war schon kompliziert genug. Jetzt sind auch noch die ganzen Außerirdischen da. Wie soll ein alter Mann wie ich gegen einen Vierarmigen Hochleistungsstreichler anstinken?«
»Verstehe«, lächelt Dr. Ranz. »Nun, Sie sollten mit Ihrem Geist tief in das eintauchen, was für Sie fremdartige Zukunft ist, für andere aber längst selbstverständliche, alltägliche Erfahrung. Ich empfehle eine ... Schocktherapie.«
»Schocktherapie?« Ich versuche, nicht geschockt zu sein.
»Ja.« Er rückt seine Brille zurecht und tippt auf sein Computerdisplay. »Ich stelle bei Ihnen einen spirituell-erotischen Integrationsmangel fest und verschreibe Ihnen eine Orgie mit außerirdischen Geistwesen.«
Erst, als ich die Praxis längst etwas perplex mit einem Rezept auf meiner Gesundheitskarte verlassen habe, fällt mir ein, dass ich Vinni schon seit vier Stunden nicht mehr angerufen habe. Jetzt aber schnell. Hoffentlich ist Uzzul schon mit ihr fertig.
Ist er nicht. Jedenfalls geht Vinni nicht ran.
Mein Herz klopft laut.
Es ist 19:08 Uhr. Ich stehe vor dem neoantiken Palast, in dem meine Orgie stattfindet. Aus irgendeinem Grund ist mir schlecht. Vielleicht sollte ich es sein lassen. Es wird sich kaum ein Behandlungserfolg einstellen, wenn der Patient – verdammt, ich! – wenn ich wegen akuter Nervorsität keinen hoch kriege. Obwohl es natürlich auch dafür Pillen gibt. Ich habe normalerweise keine dabei, aber die Geistwesen sind bestimmt auf alles vorbereitet.
Langsam trotte ich über den Vorplatz, eingerahmt von leicht schräg stehenden Säulen. Alles ist weiß und riecht nach Kalk. Ein Stück vor mir sehe ich das breite Portal, den Eingang. Ich werde immer langsamer, aber irgendwann erreiche ich ihn doch. Und höre Schreie.
Grausames Kreischen.
Vermischt mit Luststöhnen und hohem Quieken.
Tiefe Angst bringt die Erkenntnis hervor: Der pseudospirituelle Quacksalber ist jung und aus diesem Jahrhundert und kennt daher nicht den Unterschied zwischen Sex und Liebe. Er hat mein Problem überhaupt nicht begriffen.
Ich wünsche mir das letzte Jahrhundert zurück, meine erste große Liebe, dass sie ewig anhält bis in den Tod, und den am liebsten gestern, aber sanft bitte, ich bin doch so empfindlich.
Gefühle sind komisch. Ich habe gehört, dass einige Alienrassen auch ohne ganz gut klar kommen. Aber ich bin bloß ein Mensch, den irgendwelche Pillen in ein falsches Jahrhundert katapultiert haben, und das nicht nur bei vollem Bewusstsein, sondern auch noch mit funktionierendem Herzen.
Als der mentale Nebel sich verzogen hat, stehe ich auf dem Bahnsteig der S-Bahn Richtung Zuhause.
Der Erfrischungsautomat lächelt mich freundlich an. Ich ziehe mir eine ZischZitro.
Echte Gefühle sind mega-out. Genau wie ich. Aber ich bin nunmal hier und werde es auch noch eine zeitlang bleiben.
Ich gieße mir das prickelnde Erfrischungsgetränk in den Mund und lasse es wirken.
Naja. Ist schon eine geile Welt.
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24.11.2005