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Meine Mutter - Eine Beerdigung

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17.03.2021
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Meine Mutter - Eine Beerdigung

Der schwarze Anzug meines Vaters hat nicht mehr gepasst. Vor über dreißig Jahren gekauft, und oh Wunder, er passt nicht mehr. Er sei zu dick geworden, sagt mein Vater.

Aber egal, es ist Corona, und Beerdigungen finden nur im engsten Familienkreis statt, da ist es egal, ob wir schwarz tragen oder nicht, sagt er. Ehrlich gesagt, auch zu normalen Zeiten wären nicht mehr Leute gekommen als jetzt: Mein Vater, meine Schwester mit ihrem Mann und ich. Wahrscheinlich hätte ich mich aber doch über meinen Vater hinweg gesetzt und hätte meinen Freund eingeladen, hätte mit ihm zusammen in einer Pension übernachtet anstatt wie jetzt im Haus meines Vaters in meinem alten Kinderzimmer, in dem die Heizung schon seit Jahren nicht mehr funktioniert und ich vor dem Schlafengehen erst einmal dicke Spinnen jage. Sie kommen durch das vom Efeu fast zugewachsene Fenster herein und sitzen abends über meinem Bett, und erst wenn ich sie mit Hilfe eines alten Marmeladenglases eingefangen und wieder nach draußen befördert habe, fühle ich mich dort halbwegs sicher genug, um das Licht auszumachen zum Schlafen.

Aber jetzt sind alle Hotels geschlossen, und wenn mein Freund auch noch bei ihm mit übernachten würde, das werde ihm zu viel, sagt mein Vater. Er kenne ihn ja auch noch gar nicht.

So sind wir nur vier. Mein zwölfjähriger Neffe wurde auch ausgeladen, ist meinem Vater auch zu viel, und irgendwelche Gefühle von Trauer und Verlust in Bezug auf seine Oma traut er ihm auch gar nicht zu, nicht in seinem Alter und eigentlich sowieso nicht.
(Kann man um jemanden trauern, den man von klein auf nur als ein nach seiner Mama rufendes Kind kennt, wobei dieses Kind tatsächlich die eigene Oma ist? Wenn man noch nie von dieser Oma im Arm gehalten wurde, weil die aufgrund von Rheuma in den Handgelenken angeblich keinen Säugling mehr halten konnte?
Als meine Schwester damals mit ihrem neugeborenen Sohn zu Besuch bei unseren Eltern kam, hat der nur konstant wie am Spieß geschrien, sobald sie das Haus betrat, und erst wieder damit aufgehört, wenn sie es wieder verließ und mit ihm zurück nach Hause fuhr.)

Die Beerdigung ist für nachmittags um zwei angesetzt.
Beim Frühstück sagt mein Vater, iss dich mal ordentlich satt, es gibt erst abends wieder was. Er wolle mittags nichts essen. Und so schiebt er Stulle um Stulle in sich rein.
Ich sage, dass ich zu Mittag schon eine Kleinigkeit brauchen werde, und meine Schwester und ihr Mann ja wahrscheinlich auch, wenn sie kommen. Unter dem steten Protest meines Vaters schneide ich gegen zwölf etwas Paprika und Gurke auf und lege Käse und Wurst auf einer Servierplatte aus.

Meine Schwester hat sich für halb eins mit dem Auto angekündigt. Um eins ist sie immer noch nicht da, und mein Vater wird langsam unruhig. Wenn sie nicht bald komme, müsse man ein Taxi zum Friedhof rufen. Abhängigkeit von anderen sei doch immer Mist. Er selbst sei bei Verabredungen immer pünktlich gewesen. Die Handynummer meiner Schwester, um nachfragen zu können, wo sie bleibt, hat er nicht.

Ich koche Tee für alle und fange schon mal an, mir ein Brötchen zu belegen, denn wenn ich mittags nichts esse, bekomme ich schnell Anzeichen von Unterzucker; die Knie werden mir weich und ich kann nicht mehr klar denken. Soviel ich weiß, geht es meiner Schwester ähnlich.

Um viertel nach eins sind sie schließlich da.
Meine große Schwester ist noch dünner als ich. Gegen das Ergrauen der Haare ist sie wohl mit einer Tönung angegangen. Ein harter Zug um die Augen, aber eigentlich sieht man ihr die fünfzig Jahre nicht an. Enge Hose aus Lederimitat, Stiefeletten mit hohem Absatz und einem ausgefallenen Blütenmuster. Wir haben uns fast zehn Jahre lang nicht gesehen.

Meine Schwester fragt mich, wies mir geht. Erst denke ich, sie meint einfach so generell, bis mir gerade noch rechtzeitig vor dem Antworten klar wird, dass die Frage sich auf den Tod unserer Mutter bezieht. Wir tauschen uns kurz darüber aus, dass der zwar an sich zu erwarten gewesen war, aber jetzt doch sehr plötzlich kam.

Gegessen haben sie beide schon. Meinem Schwager kann ich wenigstens eine Tasse Tee ausschenken.
Mit der Entschuldigung, dass ich unbedingt noch etwas essen müsse, verzehre ich mein Brötchen, während meine Schwester und mein Vater sich gegenseitig vergeblich den letzten verbliebenen Stuhl in der Küche anbieten. Schließlich holt meine Schwester noch einen vierten Stuhl aus dem Wohnzimmer, und alle haben Platz.

Um fünf nach halb zwei sage ich, jetzt sollten wir wohl langsam aufbrechen, um nicht zu spät zu kommen.
Mein Schwager fährt das Auto, während meine Schwester hinten auf dem Rücksitz neben mir sitzt und seinen Fahrstil kommentiert.
Am kleinen Alten Friedhof am Rand der Stadt werden wir schon erwartet. Die katholische Pastoralreferentin stellt sich uns vor. Wenn keine weiteren Trauergäste mehr erwartet würden, könnten wir auch gleich beginnen, sagt sie. Das Wetter ist ungemütlich, wahrscheinlich möchte sie es schnell hinter sich bringen und dann zurück ins Warme.
Also setzen wir uns in Bewegung. Der Sarg meiner Mutter auf dem Wagen, gezogen von sechs Männern fortgeschrittenen Alters in schwarzen Anzügen und mit weißen Handschuhen, die Pastoralreferentin, wir. Wer ist der Mann, der uns auch noch begleitet? Erst dachte ich, es ist der Pfarrer, doch die Zeremonie wird von der Frau ausgeführt werden. (Seit wann dürfen Frauen innerhalb der katholischen Kirche Beerdigungen durchführen? Zu lange nichts mehr mit der Kirche zu tun gehabt, um mich noch auszukennen.)
Der Wagen mit dem Sarg knirscht und quietscht auf dem Weg zum Grab. Dazu kündigt lautes Vogelgezwitscher den kommenden Frühling an.

Da der Friedhof so klein ist, sind wir schnell an unserem Ziel. Das ausgehobene Grab, dahinter ein einfaches Holzkreuz mit dem Namen meiner Mutter. Vor dem Grab ist eine kleine Stufe, die unter dem ausgelegten grünen Teppich kaum zu sehen ist. Stolperfalle. Aber die sechs alten Träger schaffen es ohne Malheur, den Sarg vom Transportwagen zu hieven und über dem Grab abzulegen. Stumm und teilnahmslos stehen sie da, Statisten in einem Film, in dem die Tote, wir und die Pastoralreferentin die Hauptrolle spielen.

Ich stehe vor dem Erdloch, in das in wenigen Augenblicken meine Mutter für immer versenkt werden wird. Alles wirkt unwirklich, wie inszeniert, und das ist es ja auch. Nur dass wir an der Gestaltung des Ablaufs der Inszenierung weder beteiligt noch über die Details des Ablaufs informiert wurden.
Die Pastoralreferentin führt die Zeremonie durch und hält die Trauerrede. Mein Vater hat gesagt, als sie ihn vor ein paar Tagen besucht hatte, sei ihm gar nicht klar gewesen, dass sie diejenige sein werde, die die Grabrede halte, weshalb er es völlig versäumt habe, ihr die entscheidenden Eckpunkte aus dem Leben seiner verstorbenen Frau mitzuteilen. Wie selbstverständlich hatte er bei einer katholischen Beerdigung einen Mann erwartet.

So fällt die Beschreibung des Lebens meiner Mutter recht recht dürftig aus:

- Kirchenchor ( Die Pastoralreferentin hatte nach Musik gefragt, die meine Mutter gern gehört hatte, wozu meinem Vater nichts einfiel, außer dass sie als junge Frau im Chor gesungen habe.

- Kennenlernen ihres zukünftigen Mannes (meines Vaters) im Urlaub im österreichischen Sölden

- aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor (meine Schwester und ich)

- der große Nutzgarten hinter dem Haus, in dem mein Vater und meine Mutter so gerne zusammen gearbeitet hätten ( mein Vater hatte der Pastoralreferentin am Ende ihres Besuchs noch einen Sack Kartoffeln mitgegeben.)

- Verkehrsunfall, Demenz, zehn Jahre häusliche Pflege durch meinen bis zur Einweisung ins Pflegeheim letztes Jahr


Meine Schwester und mein Schwager sind die Einzigen, die die Gebete mitsprechen. Wahrscheinlich haben aber auch sie lange keine Kirche mehr von innen gesehen.
Mit Erstaunen registriere ich, wie meine Schwester neben mir weint. Fast möchte ich den Arm um sie legen und sie trösten. Warum weint sie? Weint sie um meine Mutter oder um sich? Weint sie um die Mutter, die sie nie hatte? Weint sie, weil sie meine Mutter nicht ein einziges Mal im Pflegeheim besucht hat, und jetzt ist es zu spät? Weint sie, weil man bei einer Beerdigung eben weint?

Ich habe meine Mutter im Pflegeheim besucht, aber ich weine nicht. In mir ist keine Trauer.

Nach der Segnung des Grabs zieht sich die Pastoralreferentin in den Hintergrund zurück und wartet ab. Nach einer Minute werden wir unruhig. Wie geht es jetzt weiter? Was wird jetzt von uns erwartet, Andacht, eine Schaufel Erde auf das Grab werfen? Meine Schwester flüstert meinem Vater zu, du hast doch mit der Pastoralreferentin geredet, du muss doch wissen, wie es weiter geht. Mein Vater sagt, es sei nichts abgesprochen worden. (Er hatte im Vorfeld immer betont, ihm sei bloß wichtig, dass ein Pfarrer mit am Grab stünde, alles andere sei ihm egal.) Schließlich einigen wir uns, dass jeder drei Schaufeln voll Erde auf das Grab wirft.

Ich stehe vor dem Grab und sage meiner Mutter, ich mache meinen Frieden mit dir. Ich trauere nicht um dich, aber ich mache meinen Frieden und wünsche dir, dass du auch deinen Frieden gefunden hast. Dass du da bist, wo du immer sein wolltest, bei deinem Vater und deiner Mutter, bei deiner Schwester und dem kleinen Bruder. Bei deiner Familie, deiner richtigen. Denn wir waren nie deine wirkliche Familie.

Dann ist alles ganz schnell vorbei. Die Pastoralreferentin kommt zurück und gibt uns eine Osterkerze mit für zu Hause. Dann verabschiedet sie sich und geht zu ihrem Auto. Nächster Termin.

Mein Schwager wird nachher sagen, dass mein Vater alles sehr schön ausgesucht habe, den hellen Fichtensarg, das Blumenbouquet mit Frühlingsblüten. Auch die Pastoralreferentin habe ihre Sache gut gemacht. Nur dass sie sich am Ende einfach so in den Hintergrund verzogen hat, ohne uns zu sagen, was wir jetzt machen sollen, da sind sie sich alle einig, das war nicht richtig von ihr.

 

Hallo @Libellenico und willkommen hier.

Dein Text ist durchweg kursiv geschrieben. Keine Ahnung, ob das Absicht war, aber es wäre schön, wenn du ihn an die Normalschrift anpassen würdest.

Viele Grüße,
Chai

 

Hallo Libellenico,
Danke für deine Geschichte. Sie hat mir sehr gut gefallen. Toll geschrieben.
Emotional geht sie für mich nicht ganz auf, aber dazu im Detail.


Den Einstieg fand ich ok, gepackt hast du mich dann mit der Spinnenbeschreibung. :-)
Weiss nicht wirklich wieso, aber da war ich drin.

und ich vor dem Schlafengehen erst einmal dicke Spinnen jage. Sie kommen durch das vom Efeu fast zugewachsene Fenster herein und sitzen abends über meinem Bett, und erst wenn ich sie mit Hilfe eines alten Marmeladenglases eingefangen und wieder nach draußen befördert habe, fühle ich mich dort halbwegs sicher genug, um das Licht auszumachen zum Schlafen.

Mein zwölfjähriger Neffe wurde auch ausgeladen, ist meinem Vater auch zu viel, und irgendwelche Gefühle von Trauer und Verlust in Bezug auf seine Oma traut er ihm auch gar nicht zu, nicht in seinem Alter und eigentlich sowieso nicht.
(Kann man um jemanden trauern, den man von klein auf nur als ein nach seiner Mama rufendes Kind kennt, wobei dieses Kind tatsächlich die eigene Oma ist? Wenn man noch nie von dieser Oma im Arm gehalten wurde, weil die aufgrund von Rheuma in den Handgelenken angeblich keinen Säugling mehr halten konnte?
Finde den ersten Abschnitt klasse.
Den zweiten musst ich mehrmals lesen und habs dennoch nicht verstanden, bzw. das was ich verstanden hab, hat keinen Sinn gemacht. Erst viel später, als die Demenz angesprochen wird. Würd ich hier schon reinbringen, wie du das beim Rheuma ja auch tust.

Als meine Schwester damals mit ihrem neugeborenen Sohn zu Besuch bei unseren Eltern kam, hat der nur konstant wie am Spieß geschrien, sobald sie das Haus betrat, und erst wieder damit aufgehört, wenn sie es wieder verließ und mit ihm zurück nach Hause fuhr.)
Da versteh ich den Zusammenhang nicht. Was willst du damit erzählen?


Die Beerdigung ist für nachmittags um zwei angesetzt.
Beim Frühstück sagt ein Vater, iss dich mal ordentlich satt, es gibt erst abends wieder was. Er wolle mittags nichts essen. Und so schiebt er Stulle um Stulle in sich rein.
ein Vater? Wolltest du mein schreiben?

Meine Schwester hat sich für halb eins mit dem Auto angekündigt. Um eins ist sie immer noch nicht da, und mein Vater wird langsam unruhig. Wenn sie nicht bald komme, müsse man ein Taxi zum Friedhof rufen. Abhängigkeit von anderen sei doch immer Mist. Er selbst sei bei Verabredungen immer pünktlich gewesen. Die Handynummer meiner Schwester, um nachfragen zu können, wo sie bleibt, hat er nicht.
Sehr schön. In diesen Erzählungen vom Vater, kommt der wunderbar rüber.

Ich koche Tee für alle und fange schon mal an, mir ein Brötchen zu belegen, denn wenn ich mittags nichts esse, bekomme ich schnell Anzeichen von Unterzucker; die Knie werden mir weich und ich kann nicht mehr klar denken. Soviel ich weiß, geht es meiner Schwester ähnlich.

Um viertel nach eins sind sie schließlich da.
Meine große Schwester ist noch dünner als ich. Gegen das Ergrauen der Haare ist sie wohl mit einer Tönung angegangen. Ein harter Zug um die Augen, aber eigentlich sieht man ihr die fünfzig Jahre nicht an. Enge Hose aus Lederimitat, Stiefeletten mit hohem Absatz und einem ausgefallenen Blütenmuster. Wir haben uns fast zehn Jahre lang nicht gesehen.

Meine Schwester fragt mich, wies mir geht. Erst denke ich, sie meint einfach so generell, bis mir gerade noch rechtzeitig vor dem Antworten klar wird, dass die Frage sich auf den Tod unserer Mutter bezieht. Wir tauschen uns kurz darüber aus, dass der zwar an sich zu erwarten gewesen war, aber jetzt doch sehr plötzlich kam.

Gegessen haben sie beide schon. Meinem Schwager kann ich wenigstens eine Tasse Tee ausschenken.
Mit der Entschuldigung, dass ich unbedingt noch etwas essen müsse, verzehre ich mein Brötchen, während meine Schwester und mein Vater sich gegenseitig vergeblich den letzten verbliebenen Stuhl in der Küche anbieten. Schließlich holt meine Schwester noch einen vierten Stuhl aus dem Wohnzimmer, und alle haben Platz.

Auch die Schwester wird hier schön erzählt, überhaupt so die Familiendynamik, ganz subtil. Aber natürlich frag ich mich, warum sie sich 10 Jahren nicht gesehen haben.


Also setzen wir uns in Bewegung. Der Sarg meiner Mutter auf dem Wagen, gezogen von sechs Männern
Ist dein Text Fiktion oder hast du ihn selbst erlebt? Da frag ich mich ja, ob es wirklich 6 Männer dafür braucht. Wenn man wegen Corona nur im engsten Kreis kommen darf und dann gleich 6 Männer zusätzlich?
Der Wagen mit dem Sarg knirscht und quietscht auf dem Weg zum Grab. Dazu kündigt lautes Vogelgezwitscher den kommenden Frühling an.
Mag ich sehr. Und auch die Beschreibung, die danach kommt.
Alles sehr nüchtern und mit Blick fürs Detail, sagt viel darüber aus, wie es der Hauptperson geht, bzw. dass das Ganze nicht sehr emotional für sie ist.

Die Pastoralreferentin führt die Zeremonie durch und hält die Trauerrede. Mein Vater hat gesagt, als sie ihn vor ein paar Tagen besucht hatte, sei ihm gar nicht klar gewesen, dass sie diejenige sein werde, die die Grabrede halte, weshalb er es völlig versäumt habe, ihr die entscheidenden Eckpunkte aus dem Leben seiner verstorbenen Frau mitzuteilen. Wie selbstverständlich hatte er bei einer katholischen Beerdigung einen Mann erwartet.
"Wie selbstverständlich" gefällt mir hier nicht. Es kommt so rüber, dass es speziell ist, dass der Vater das als selbstverständlich angenommen hat. Aber die Erzählerin ist da ja selbst schon darüber gestolpert.

So fällt die Beschreibung des Lebens meiner Mutter recht recht dürftig aus:

- Kirchenchor ( Die Pastoralreferentin hatte nach Musik gefragt, die meine Mutter gern gehört hatte, wozu meinem Vater nichts einfiel, außer dass sie als junge Frau im Chor gesungen habe.

- Kennenlernen ihres zukünftigen Mannes (meines Va

Die Form der Aufzählung gefällt mir hier ganz gut.

Meine Schwester und mein Schwager sind die Einzigen, die die Gebete mitsprechen. Wahrscheinlich haben aber auch sie lange keine Kirche mehr von innen gesehen.
Warum? Wenn sie als einzige die Gebete mitsprechen (und sie sie 10 Jahre nicht gesehen hat), würde man eher andersrum vermuten.


Mit Erstaunen registriere ich, wie meine Schwester neben mir weint. Fast möchte ich den Arm um sie legen und sie trösten. Warum weint sie? Weint sie um meine Mutter oder um sich? Weint sie um die Mutter, die sie nie hatte? Weint sie, weil sie meine Mutter nicht ein einziges Mal im Pflegeheim besucht hat, und jetzt ist es zu spät? Weint sie, weil man bei einer Beerdigung eben weint?

Ich habe meine Mutter im Pflegeheim besucht, aber ich weine nicht. In mir ist keine Trauer.

Hier möcht ich jetzt aber doch gern mehr wissen. Warum kann in einer solchen Situation die Frage "Warum weint sie?" überhaupt gestellt werden? Was ist da passiert? Ist ja immerhin die Mutter.

Nach der Segnung des Grabs zieht sich die Pastoralreferentin in den Hintergrund zurück und wartet ab. Nach einer Minute werden wir unruhig. Wie geht es jetzt weiter? Was wird jetzt von uns erwartet, Andacht, eine Schaufel Erde auf das Grab werfen? Meine Schwester flüstert meinem Vater zu, du hast doch mit der Pastoralreferentin geredet, du muss doch wissen, wie es weiter geht. Mein Vater sagt, es sei nichts abgesprochen worden. (Er hatte im Vorfeld immer betont, ihm sei bloß wichtig, dass ein Pfarrer mit am Grab stünde, alles andere sei ihm egal.) Schließlich einigen wir uns, dass jeder drei Schaufeln voll Erde auf das Grab wirft.
I love it! Diese Situationskomik, und so echt.

Ich stehe vor dem Grab und sage meiner Mutter, ich mache meinen Frieden mit dir. Ich trauere nicht um dich, aber ich mache meinen Frieden und wünsche dir, dass du auch deinen Frieden gefunden hast. Dass du da bist, wo du immer sein wolltest, bei deinem Vater und deiner Mutter, bei deiner Schwester und dem kleinen Bruder. Bei deiner Familie, deiner richtigen. Denn wir waren nie deine wirkliche Familie.
Da wird nun klar, dass da doch ein rechter Brocken begraben ist. Sonst müsste nicht Frieden gemacht werden.
Die ganze Distanz und Nüchternheit der Erzählung passt für mich gut, wenn es darum geht eine Person zu beerdigen, die man nicht wirklich kannte. Eine entfernte schrullige Tante vielleicht. Oder wenn es die Mutter ist, dann höchstens eine mit der man nicht aufgewachsen ist. Aber eine Mutter, die vor 10 Jahren ja noch nicht dement war, die man danach besucht hat. Die einen Unfall hatte, was offensichtlich zum Zerwürfnis mit der eigenen Schwester geführt hat. Da vermisse ich hier die Emotionalität, bzw. Hinweise darauf, dass diese unterdrückt ist.
Auch der Vater, das Begraben seiner Frau muss doch was mit ihm machen. Weint der nicht mit, gerade als seine Tochter weint? Wie reagiert er?


Dann ist alles ganz schnell vorbei. Die Pastoralreferentin kommt zurück und gibt uns eine Osterkerze mit für zu Hause. Dann verabschiedet sie sich und geht zu ihrem Auto. Nächster Termin.

Mein Schwager wird nachher sagen, dass mein Vater alles sehr schön ausgesucht habe, den hellen Fichtensarg, das Blumenbouquet mit Frühlingsblüten. Auch die Pastoralreferentin habe ihre Sache gut gemacht. Nur dass sie sich am Ende einfach so in den Hintergrund verzogen hat, ohne uns zu sagen, was wir jetzt machen sollen, da sind sie sich alle einig, das war nicht richtig von ihr.

Ich find den Schluss echt klasse geschrieben. Toller Schlusssatz auch. Aber eben wie oben beschrieben im Zusammenhang für mich nicht stimmig.

Wenn du die Mutter im ganzen Text mit der schrulligen entfernten Tante ersetzen würdest und noch erklärst, dass sie keinen Kontakt mit der Schwester hat, weil die sich zB einfach nichts zu sagen haben, dann wäre das für mich eine perfekte Erzählung einer Beerdigung.

So, das ist mein Senf dazu. :-)
freu mich, mehr von dir zu lesen.
Ganz Herzlich, Akelei

 

Hallo @Libellenico
und auch von mir ein herzliches Willkommen hier.

Da Du in Deinem Profil etwas von "Erlebnissen" sagst, zuerst mal: herzliches Beileid!

Bei autobiographischen Texten kommt es bei Kritik sehr schnell dazu, dass sich der Autor persönlich angegriffen fühlt. Bitte nimm Kritik ausschließlich auf den Text als Geschichte bezogen. Niemand möchte Dich hier persönlich angreifen! Es hilft, wenn Du die Rollen beachtest, also der Protagonist, und Du als Autor, das sind zwei verschiedene "Leute" ;)

Mit der Einleitung könnte man meinen, dass ich jetzt das Kritikergewitter loslasse, aber ich glaube so schlimm ist das gar nicht. Also los, zum Text:

Ich bin etwas hin und hergerissen. Einerseits konnte ich zu großen Teilen den Text flüssig lesen - super! Andererseits gibt es doch sehr hakelige Stellen. also doch mal ins Deteil reinschauen:

Der schwarze Anzug meines Vaters hat nicht mehr gepasst. Vor über dreißig Jahren gekauft, und oh Wunder, er passt nicht mehr. Er sei zu dick geworden, sagt mein Vater.
Ich finde die Einleitung gut. Mit dem schwarzen Anzug definierst Du gleich das Setting und der Stil des Textes wird überdeutlich.
Aber egal, es ist Corona, und Beerdigungen finden nur im engsten Familienkreis statt, da ist es egal, ob wir schwarz tragen oder nicht, sagt er.
Diesen Satz würde ich noch zum ersten Absatz schieben, da er sich direkt auf den Anzug bezieht. Und das "Aber egal" würde ich streichen, da in dem Satz noch ein egal kommt.
Ehrlich gesagt, auch zu normalen Zeiten wären nicht mehr Leute gekommen als jetzt: Mein Vater, meine Schwester mit ihrem Mann und ich.
Ich bin kein Fan von "erhlich gesagt" - das klingt immer so, als wäre die Person sonst nie ehrlich. Ohne "ehrlich gesagt" wäre der Satz stärker, trokener.
Wahrscheinlich hätte ich mich aber doch über meinen Vater hinweg gesetzt und hätte meinen Freund eingeladen, hätte mit ihm zusammen in einer Pension übernachtet anstatt wie jetzt im Haus meines Vaters in meinem alten Kinderzimmer, in dem die Heizung schon seit Jahren nicht mehr funktioniert und ich vor dem Schlafengehen erst einmal dicke Spinnen jage.
Ehrlich gesagt ( :P ) dachte ich, hier würde der Plottwist angekündigt werden, dass der Sohn schwul ist. Aber mit den ganzen inneren Gedanken und dem "Unterzucker"-Punkt ist der Protagonist eher eine Frau.
Das zweite "hätte" kannst Du streichen. Um Wortwiederholung zu vermeiden, könntest Du aus dem dritten "hätte" ein "würde" machen.
Vor "anstatt" müsste meiner Ansicht nach ein Komma hin - bin mir aber nicht sicher.

Generell kannst Du Dir überlegen, ob die vielen unnützen Füllwörter zusammenstreichst. In diesem Satz könntest Du zum Beispiel "aber doch" streichen - der Satz hätte keinen Informationsverlust. Da Du aber aus der Ich-Perspektive erzählst, passen die Füllwörter aber vielleicht zum Stil der Protagonistin. Musst Du entscheiden ;)

(Kann man um jemanden trauern, den man von klein auf nur als ein nach seiner Mama rufendes Kind kennt, wobei dieses Kind tatsächlich die eigene Oma ist? Wenn man noch nie von dieser Oma im Arm gehalten wurde, weil die aufgrund von Rheuma in den Handgelenken angeblich keinen Säugling mehr halten konnte?
Als meine Schwester damals mit ihrem neugeborenen Sohn zu Besuch bei unseren Eltern kam, hat der nur konstant wie am Spieß geschrien, sobald sie das Haus betrat, und erst wieder damit aufgehört, wenn sie es wieder verließ und mit ihm zurück nach Hause fuhr.)
Die Klammern stören mich. Ich weiß nicht so recht, was sie bedeuten sollen. Sollen die Klammern sagen, dass dies der Vater denkt? Das geht nicht, da der Ich-Erzähler die Gedanken das Vaters nicht kennen kann. Der Ich-Erzähler kann nur denken, was der andere denkt. Aber da er das dann selber denkt, bedarf es dann der Klammern nicht. (Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst.. :D sorry, offtopic)

Auch die anderen Klammern stören mich. Aber das ist nur meine Meinung ;)

Wer ist der Mann, der uns auch noch begleitet?
Schade, dieser Mann wird nie wieder erwähnt. Nimmt er an der Zeremonie teil? Schüttet er auch Sand auf den Sarg? Hat er eine Bedeutung (für die Geschichte)?

Mein Schwager wird nachher sagen, dass mein Vater alles sehr schön ausgesucht habe, den hellen Fichtensarg, das Blumenbouquet mit Frühlingsblüten. Auch die Pastoralreferentin habe ihre Sache gut gemacht. Nur dass sie sich am Ende einfach so in den Hintergrund verzogen hat, ohne uns zu sagen, was wir jetzt machen sollen, da sind sie sich alle einig, das war nicht richtig von ihr.
Ich mag den Schluss nicht so ganz. Ja - die Zukunftsvisuin "wird nacher sagen" finde ich gelungen. Aber das der Text mit so einem Abschuss der Pastoralreferentin endet - mhm, da hätte ich mir einen Schluß näher am Protagonisten gewünscht. Eine Verabschiedung ohne Umarmung, oder so etwas. Oder bringt ein gemeinsamer "Feind" die Familie wieder zusammen, weil man sich einig ist, sich über etwas aufzuregen. mhm - vielleicht ist der Schluss ja doch gut ;)

Mein Fazit: Man erfährt, dass diese Familie viele Dinge unaufgearbeitet die Kommunikation brachgelegt hat. Durch die Ich-Perspektive könntest Du noch mehr Gedanken reinspielen lassen, vielleicht nach dem Motto: "soll ich das ansprechen? mhm. Lieber nicht". Manche Stolpersteine im Textfluß kannst Du noch ausbessern.

Insgesamt: Gern gelesen
Ich hoffe, Du kannst mit meinem Kommentar etwas anfangen.

viele Grüße
pantoholli

 

Hallo Libellenico,
Danke für deine Geschichte. Sie hat mir sehr gut gefallen. Toll geschrieben.
Emotional geht sie für mich nicht ganz auf, aber dazu im Detail.


Den Einstieg fand ich ok, gepackt hast du mich dann mit der Spinnenbeschreibung. :-)
Weiss nicht wirklich wieso, aber da war ich drin.

und ich vor dem Schlafengehen erst einmal dicke Spinnen jage. Sie kommen durch das vom Efeu fast zugewachsene Fenster herein und sitzen abends über meinem Bett, und erst wenn ich sie mit Hilfe eines alten Marmeladenglases eingefangen und wieder nach draußen befördert habe, fühle ich mich dort halbwegs sicher genug, um das Licht auszumachen zum Schlafen.

Mein zwölfjähriger Neffe wurde auch ausgeladen, ist meinem Vater auch zu viel, und irgendwelche Gefühle von Trauer und Verlust in Bezug auf seine Oma traut er ihm auch gar nicht zu, nicht in seinem Alter und eigentlich sowieso nicht.
(Kann man um jemanden trauern, den man von klein auf nur als ein nach seiner Mama rufendes Kind kennt, wobei dieses Kind tatsächlich die eigene Oma ist? Wenn man noch nie von dieser Oma im Arm gehalten wurde, weil die aufgrund von Rheuma in den Handgelenken angeblich keinen Säugling mehr halten konnte?
Finde den ersten Abschnitt klasse.
Den zweiten musst ich mehrmals lesen und habs dennoch nicht verstanden, bzw. das was ich verstanden hab, hat keinen Sinn gemacht. Erst viel später, als die Demenz angesprochen wird. Würd ich hier schon reinbringen, wie du das beim Rheuma ja auch tust.

Als meine Schwester damals mit ihrem neugeborenen Sohn zu Besuch bei unseren Eltern kam, hat der nur konstant wie am Spieß geschrien, sobald sie das Haus betrat, und erst wieder damit aufgehört, wenn sie es wieder verließ und mit ihm zurück nach Hause fuhr.)
Da versteh ich den Zusammenhang nicht. Was willst du damit erzählen?


Die Beerdigung ist für nachmittags um zwei angesetzt.
Beim Frühstück sagt ein Vater, iss dich mal ordentlich satt, es gibt erst abends wieder was. Er wolle mittags nichts essen. Und so schiebt er Stulle um Stulle in sich rein.
ein Vater? Wolltest du mein schreiben?

Meine Schwester hat sich für halb eins mit dem Auto angekündigt. Um eins ist sie immer noch nicht da, und mein Vater wird langsam unruhig. Wenn sie nicht bald komme, müsse man ein Taxi zum Friedhof rufen. Abhängigkeit von anderen sei doch immer Mist. Er selbst sei bei Verabredungen immer pünktlich gewesen. Die Handynummer meiner Schwester, um nachfragen zu können, wo sie bleibt, hat er nicht.
Sehr schön. In diesen Erzählungen vom Vater, kommt der wunderbar rüber.

Ich koche Tee für alle und fange schon mal an, mir ein Brötchen zu belegen, denn wenn ich mittags nichts esse, bekomme ich schnell Anzeichen von Unterzucker; die Knie werden mir weich und ich kann nicht mehr klar denken. Soviel ich weiß, geht es meiner Schwester ähnlich.

Um viertel nach eins sind sie schließlich da.
Meine große Schwester ist noch dünner als ich. Gegen das Ergrauen der Haare ist sie wohl mit einer Tönung angegangen. Ein harter Zug um die Augen, aber eigentlich sieht man ihr die fünfzig Jahre nicht an. Enge Hose aus Lederimitat, Stiefeletten mit hohem Absatz und einem ausgefallenen Blütenmuster. Wir haben uns fast zehn Jahre lang nicht gesehen.

Meine Schwester fragt mich, wies mir geht. Erst denke ich, sie meint einfach so generell, bis mir gerade noch rechtzeitig vor dem Antworten klar wird, dass die Frage sich auf den Tod unserer Mutter bezieht. Wir tauschen uns kurz darüber aus, dass der zwar an sich zu erwarten gewesen war, aber jetzt doch sehr plötzlich kam.

Gegessen haben sie beide schon. Meinem Schwager kann ich wenigstens eine Tasse Tee ausschenken.
Mit der Entschuldigung, dass ich unbedingt noch etwas essen müsse, verzehre ich mein Brötchen, während meine Schwester und mein Vater sich gegenseitig vergeblich den letzten verbliebenen Stuhl in der Küche anbieten. Schließlich holt meine Schwester noch einen vierten Stuhl aus dem Wohnzimmer, und alle haben Platz.

Auch die Schwester wird hier schön erzählt, überhaupt so die Familiendynamik, ganz subtil. Aber natürlich frag ich mich, warum sie sich 10 Jahren nicht gesehen haben.


Also setzen wir uns in Bewegung. Der Sarg meiner Mutter auf dem Wagen, gezogen von sechs Männern
Ist dein Text Fiktion oder hast du ihn selbst erlebt? Da frag ich mich ja, ob es wirklich 6 Männer dafür braucht. Wenn man wegen Corona nur im engsten Kreis kommen darf und dann gleich 6 Männer zusätzlich?
Der Wagen mit dem Sarg knirscht und quietscht auf dem Weg zum Grab. Dazu kündigt lautes Vogelgezwitscher den kommenden Frühling an.
Mag ich sehr. Und auch die Beschreibung, die danach kommt.
Alles sehr nüchtern und mit Blick fürs Detail, sagt viel darüber aus, wie es der Hauptperson geht, bzw. dass das Ganze nicht sehr emotional für sie ist.

Die Pastoralreferentin führt die Zeremonie durch und hält die Trauerrede. Mein Vater hat gesagt, als sie ihn vor ein paar Tagen besucht hatte, sei ihm gar nicht klar gewesen, dass sie diejenige sein werde, die die Grabrede halte, weshalb er es völlig versäumt habe, ihr die entscheidenden Eckpunkte aus dem Leben seiner verstorbenen Frau mitzuteilen. Wie selbstverständlich hatte er bei einer katholischen Beerdigung einen Mann erwartet.
"Wie selbstverständlich" gefällt mir hier nicht. Es kommt so rüber, dass es speziell ist, dass der Vater das als selbstverständlich angenommen hat. Aber die Erzählerin ist da ja selbst schon darüber gestolpert.

So fällt die Beschreibung des Lebens meiner Mutter recht recht dürftig aus:

- Kirchenchor ( Die Pastoralreferentin hatte nach Musik gefragt, die meine Mutter gern gehört hatte, wozu meinem Vater nichts einfiel, außer dass sie als junge Frau im Chor gesungen habe.

- Kennenlernen ihres zukünftigen Mannes (meines Va

Die Form der Aufzählung gefällt mir hier ganz gut.

Meine Schwester und mein Schwager sind die Einzigen, die die Gebete mitsprechen. Wahrscheinlich haben aber auch sie lange keine Kirche mehr von innen gesehen.
Warum? Wenn sie als einzige die Gebete mitsprechen (und sie sie 10 Jahre nicht gesehen hat), würde man eher andersrum vermuten.


Mit Erstaunen registriere ich, wie meine Schwester neben mir weint. Fast möchte ich den Arm um sie legen und sie trösten. Warum weint sie? Weint sie um meine Mutter oder um sich? Weint sie um die Mutter, die sie nie hatte? Weint sie, weil sie meine Mutter nicht ein einziges Mal im Pflegeheim besucht hat, und jetzt ist es zu spät? Weint sie, weil man bei einer Beerdigung eben weint?

Ich habe meine Mutter im Pflegeheim besucht, aber ich weine nicht. In mir ist keine Trauer.

Hier möcht ich jetzt aber doch gern mehr wissen. Warum kann in einer solchen Situation die Frage "Warum weint sie?" überhaupt gestellt werden? Was ist da passiert? Ist ja immerhin die Mutter.

Nach der Segnung des Grabs zieht sich die Pastoralreferentin in den Hintergrund zurück und wartet ab. Nach einer Minute werden wir unruhig. Wie geht es jetzt weiter? Was wird jetzt von uns erwartet, Andacht, eine Schaufel Erde auf das Grab werfen? Meine Schwester flüstert meinem Vater zu, du hast doch mit der Pastoralreferentin geredet, du muss doch wissen, wie es weiter geht. Mein Vater sagt, es sei nichts abgesprochen worden. (Er hatte im Vorfeld immer betont, ihm sei bloß wichtig, dass ein Pfarrer mit am Grab stünde, alles andere sei ihm egal.) Schließlich einigen wir uns, dass jeder drei Schaufeln voll Erde auf das Grab wirft.
I love it! Diese Situationskomik, und so echt.

Ich stehe vor dem Grab und sage meiner Mutter, ich mache meinen Frieden mit dir. Ich trauere nicht um dich, aber ich mache meinen Frieden und wünsche dir, dass du auch deinen Frieden gefunden hast. Dass du da bist, wo du immer sein wolltest, bei deinem Vater und deiner Mutter, bei deiner Schwester und dem kleinen Bruder. Bei deiner Familie, deiner richtigen. Denn wir waren nie deine wirkliche Familie.
Da wird nun klar, dass da doch ein rechter Brocken begraben ist. Sonst müsste nicht Frieden gemacht werden.
Die ganze Distanz und Nüchternheit der Erzählung passt für mich gut, wenn es darum geht eine Person zu beerdigen, die man nicht wirklich kannte. Eine entfernte schrullige Tante vielleicht. Oder wenn es die Mutter ist, dann höchstens eine mit der man nicht aufgewachsen ist. Aber eine Mutter, die vor 10 Jahren ja noch nicht dement war, die man danach besucht hat. Die einen Unfall hatte, was offensichtlich zum Zerwürfnis mit der eigenen Schwester geführt hat. Da vermisse ich hier die Emotionalität, bzw. Hinweise darauf, dass diese unterdrückt ist.
Auch der Vater, das Begraben seiner Frau muss doch was mit ihm machen. Weint der nicht mit, gerade als seine Tochter weint? Wie reagiert er?


Dann ist alles ganz schnell vorbei. Die Pastoralreferentin kommt zurück und gibt uns eine Osterkerze mit für zu Hause. Dann verabschiedet sie sich und geht zu ihrem Auto. Nächster Termin.

Mein Schwager wird nachher sagen, dass mein Vater alles sehr schön ausgesucht habe, den hellen Fichtensarg, das Blumenbouquet mit Frühlingsblüten. Auch die Pastoralreferentin habe ihre Sache gut gemacht. Nur dass sie sich am Ende einfach so in den Hintergrund verzogen hat, ohne uns zu sagen, was wir jetzt machen sollen, da sind sie sich alle einig, das war nicht richtig von ihr.

Ich find den Schluss echt klasse geschrieben. Toller Schlusssatz auch. Aber eben wie oben beschrieben im Zusammenhang für mich nicht stimmig.

Wenn du die Mutter im ganzen Text mit der schrulligen entfernten Tante ersetzen würdest und noch erklärst, dass sie keinen Kontakt mit der Schwester hat, weil die sich zB einfach nichts zu sagen haben, dann wäre das für mich eine perfekte Erzählung einer Beerdigung.

So, das ist mein Senf dazu. :-)
freu mich, mehr von dir zu lesen.
Ganz Herzlich, Akelei

Hallo Akelei, vielen Dank für deine Anmerkungen! Ich denke, du hast da auch einen Nerv getroffen. Ich habe die Geschichte einfach so runtergeschrieben, weil ich da etwas innerlich verarbeiten musste, und habe wohl schon befürchtet, dass das Ganze für jemanden, der die Hintergründe und Zusammenhänge nicht kennt, etwas seltsam wirken muss. Dass sie bei dir trotzdem auf Interesse gestoßen ist und du weiter gelesen hast, freut mich da sehr!

Der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe, eine Geschichte zu schreiben, war dieses Groteske, unfreiwillig Komische der Situation und das Verhalten der Beteiligten, das eine tiefe emotionale Kälte durchblicken lässt. Und du hast vollkommen recht, diese Kälte erklärt sich nicht durch den Text.
Da muss ich für mich jetzt erstmal selber darüber klar werden, ob ich mehr erklären möchte über die Beziehung der Trauergäste zur Toten, oder Brisanz raus nehmen, indem ich eine entfernte Verwandte draus mache. Ob ich das Ganze weiter ausbaue oder bei der kurzen knappen Form bleibe. Irgendwo möchte ich da schon eine Gratwanderung zwischen Komik und Ernst hinkriegen, aber ich merke, das ist auch nicht so einfach!

 

Hallo @Libellenico
und auch von mir ein herzliches Willkommen hier.

Da Du in Deinem Profil etwas von "Erlebnissen" sagst, zuerst mal: herzliches Beileid!

Bei autobiographischen Texten kommt es bei Kritik sehr schnell dazu, dass sich der Autor persönlich angegriffen fühlt. Bitte nimm Kritik ausschließlich auf den Text als Geschichte bezogen. Niemand möchte Dich hier persönlich angreifen! Es hilft, wenn Du die Rollen beachtest, also der Protagonist, und Du als Autor, das sind zwei verschiedene "Leute" ;)

Mit der Einleitung könnte man meinen, dass ich jetzt das Kritikergewitter loslasse, aber ich glaube so schlimm ist das gar nicht. Also los, zum Text:

Ich bin etwas hin und hergerissen. Einerseits konnte ich zu großen Teilen den Text flüssig lesen - super! Andererseits gibt es doch sehr hakelige Stellen. also doch mal ins Deteil reinschauen:

Der schwarze Anzug meines Vaters hat nicht mehr gepasst. Vor über dreißig Jahren gekauft, und oh Wunder, er passt nicht mehr. Er sei zu dick geworden, sagt mein Vater.
Ich finde die Einleitung gut. Mit dem schwarzen Anzug definierst Du gleich das Setting und der Stil des Textes wird überdeutlich.
Aber egal, es ist Corona, und Beerdigungen finden nur im engsten Familienkreis statt, da ist es egal, ob wir schwarz tragen oder nicht, sagt er.
Diesen Satz würde ich noch zum ersten Absatz schieben, da er sich direkt auf den Anzug bezieht. Und das "Aber egal" würde ich streichen, da in dem Satz noch ein egal kommt.
Ehrlich gesagt, auch zu normalen Zeiten wären nicht mehr Leute gekommen als jetzt: Mein Vater, meine Schwester mit ihrem Mann und ich.
Ich bin kein Fan von "erhlich gesagt" - das klingt immer so, als wäre die Person sonst nie ehrlich. Ohne "ehrlich gesagt" wäre der Satz stärker, trokener.
Wahrscheinlich hätte ich mich aber doch über meinen Vater hinweg gesetzt und hätte meinen Freund eingeladen, hätte mit ihm zusammen in einer Pension übernachtet anstatt wie jetzt im Haus meines Vaters in meinem alten Kinderzimmer, in dem die Heizung schon seit Jahren nicht mehr funktioniert und ich vor dem Schlafengehen erst einmal dicke Spinnen jage.
Ehrlich gesagt ( :P ) dachte ich, hier würde der Plottwist angekündigt werden, dass der Sohn schwul ist. Aber mit den ganzen inneren Gedanken und dem "Unterzucker"-Punkt ist der Protagonist eher eine Frau.
Das zweite "hätte" kannst Du streichen. Um Wortwiederholung zu vermeiden, könntest Du aus dem dritten "hätte" ein "würde" machen.
Vor "anstatt" müsste meiner Ansicht nach ein Komma hin - bin mir aber nicht sicher.

Generell kannst Du Dir überlegen, ob die vielen unnützen Füllwörter zusammenstreichst. In diesem Satz könntest Du zum Beispiel "aber doch" streichen - der Satz hätte keinen Informationsverlust. Da Du aber aus der Ich-Perspektive erzählst, passen die Füllwörter aber vielleicht zum Stil der Protagonistin. Musst Du entscheiden ;)

(Kann man um jemanden trauern, den man von klein auf nur als ein nach seiner Mama rufendes Kind kennt, wobei dieses Kind tatsächlich die eigene Oma ist? Wenn man noch nie von dieser Oma im Arm gehalten wurde, weil die aufgrund von Rheuma in den Handgelenken angeblich keinen Säugling mehr halten konnte?
Als meine Schwester damals mit ihrem neugeborenen Sohn zu Besuch bei unseren Eltern kam, hat der nur konstant wie am Spieß geschrien, sobald sie das Haus betrat, und erst wieder damit aufgehört, wenn sie es wieder verließ und mit ihm zurück nach Hause fuhr.)
Die Klammern stören mich. Ich weiß nicht so recht, was sie bedeuten sollen. Sollen die Klammern sagen, dass dies der Vater denkt? Das geht nicht, da der Ich-Erzähler die Gedanken das Vaters nicht kennen kann. Der Ich-Erzähler kann nur denken, was der andere denkt. Aber da er das dann selber denkt, bedarf es dann der Klammern nicht. (Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst.. :D sorry, offtopic)

Auch die anderen Klammern stören mich. Aber das ist nur meine Meinung ;)

Wer ist der Mann, der uns auch noch begleitet?
Schade, dieser Mann wird nie wieder erwähnt. Nimmt er an der Zeremonie teil? Schüttet er auch Sand auf den Sarg? Hat er eine Bedeutung (für die Geschichte)?

Mein Schwager wird nachher sagen, dass mein Vater alles sehr schön ausgesucht habe, den hellen Fichtensarg, das Blumenbouquet mit Frühlingsblüten. Auch die Pastoralreferentin habe ihre Sache gut gemacht. Nur dass sie sich am Ende einfach so in den Hintergrund verzogen hat, ohne uns zu sagen, was wir jetzt machen sollen, da sind sie sich alle einig, das war nicht richtig von ihr.
Ich mag den Schluss nicht so ganz. Ja - die Zukunftsvisuin "wird nacher sagen" finde ich gelungen. Aber das der Text mit so einem Abschuss der Pastoralreferentin endet - mhm, da hätte ich mir einen Schluß näher am Protagonisten gewünscht. Eine Verabschiedung ohne Umarmung, oder so etwas. Oder bringt ein gemeinsamer "Feind" die Familie wieder zusammen, weil man sich einig ist, sich über etwas aufzuregen. mhm - vielleicht ist der Schluss ja doch gut ;)

Mein Fazit: Man erfährt, dass diese Familie viele Dinge unaufgearbeitet die Kommunikation brachgelegt hat. Durch die Ich-Perspektive könntest Du noch mehr Gedanken reinspielen lassen, vielleicht nach dem Motto: "soll ich das ansprechen? mhm. Lieber nicht". Manche Stolpersteine im Textfluß kannst Du noch ausbessern.

Insgesamt: Gern gelesen
Ich hoffe, Du kannst mit meinem Kommentar etwas anfangen.

viele Grüße
pantoholli

Hallo Pantoholli, vielen Dank auch für deinen Kommentar! Insgesamt nehme ich als Fazit mit, dass es sich lohnt, das Ganze noch einmal zu überarbeiten und bestimmte Dinge weiter auszuführen. Darüber muss ich erstmal nachdenken. Und mich dann den "Stolpersteinen" widmen.

 

@Libellenico Ich finde, du hast das sehr gut hingekriegt! Und ich mag auch grad das!
Ich bin auch erst gestolpert, als das mit dem Weinen der Schwester kam. Vielleicht reicht ja, da was dazuzufügen. Zu "in mir ist keine Trauer" ein "oder so tief begraben, dass sie unsichtbar ist". Oder ein "darüber will ich heute nicht nachdenken." Also einfach ein Anerkennen, dass da mehr ist, aber dass das jetzt keinen Platz hat. Ich glaub, das würd schon reichen.
Und ist auch nur meine Meinung, gell. Andere sehen das bestimmt wieder ganz anders.
Mein herzliches Beileid dir auch liebe Libellenico.

 

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