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Milch der Träume

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19.05.2015
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Anmerkungen zum Text

Die diesjährige Biennale in Venedig hatte das Motto: Il Latte dei Sogni oder Milk of Dreams oder eben Milch der Träume.

Milch der Träume

Kaum zwei Meter Sicht. Nebel im Frühling. Wolken bewegen sich auf mich zu. Umzingeln mich. Ohne Richtung. Barrieren. Dahinter die Sonne. Unerreichbar. Frische Luft. Freier Blick. Weggesperrt. Aus dem Dunkel ins Licht. Aus dem Licht in die Finsternis. Der Himmel ist fern. Welke Blätter wehen über die Straße. Überbleibsel. So wird der Winter gemeinhin vertrieben.

Ich liebte ihr blondes Haar, fest und wie Stroh, die Augen wie Lapislazuli, die feinen Falten, wenn sie lachte, das Grübchen am Kinn. Ich liebte das Sprudeln ihrer Worte, die Stimme ein Rausch in Bauch und Kopf, die Worte klug und klar. Unter goldenem Blätterwald. Ein Septemberdate. In einer Zeit, in der Menschen einander mieden. Ich habe Eva dann doch nicht getroffen, nicht im Herbst, nicht im Winter, nie.

Vor dem Eingang zum Dogenpalast warte ich. Hinter mir kichern Frauen. Ich spüre ihren Atem im Nacken und gehe einen Schritt zur Seite. Ein Familienvater hält sein Smartphone wie ein Schwert, die Kinder folgen ohne von ihrem aufzublicken. An der Rialto-Brücke steigt eine Braut stolz in eine Gondel. Die Grauhaarigen hinter mir plappern in einem Dialekt, der nach ausgepressten Limonen klingt. Die Stadt besteht aus Illusionen, sage ich mir, dem Thomas-Mann-haften all der Erzählungen, die hier ihren Ursprung nahmen, Tage und Nächte durchdrangen, als ob man sich nur auf diese Weise der Lagune entsprechend verhalten kann, als ob es ein Fieber gibt, das allein an diesem Ort existiert, Dunst, der zwischen den Kanälen, über San Marco, entlang den Palästen bis dahin weht, wo es echtes Meer gibt, wo das Wasser nach Salz riecht, Fische schwimmen und den Besuchern insgeheim zulächeln.
Ich bin an der Reihe, erwerbe die Eintrittskarte, betrete den Innenhof, vorbei an Statuen und folge der Herde, die über Treppen nach oben strebt. Auf den Deckengemälden mahnen Engel und Madonnen vom Himmel herab zu Keuschheit und Frömmigkeit, Wesen, die mich aus einer anderen Zeit anstarren und sich wundern, dass welche, die nicht hierher gehören, mit ihren Sneakern Sand und Schmutz und Staub der Welt hereintragen.

Anfangs sammelte sich Schleim im Hals, verklumpte. Klöße formten sich und bahnten sich einen Weg durch den Schlund. Ich schluckte und schluckte, aber sobald ich einen loswurde, entstand ein neuer, den ich wieder herunterwürgte. Mein Hals fühlte sich trocken und wund an.

Von weitem sehe ich den Schatten, lange Beine, schmale Taille, Haare, die im Takt eines Modelgangs schwingen, wundere mich, wie muskulös die Beine wirken. Ich gehe weiter, verliere sie aus den Augen, betrachte die Säle, in denen strenge Richter, Ratsherren, Adlige über Krieg und die Anhäufung von Reichtum berieten. Ich frage mich, in welchen die Kreuzzüge ausgebrütet wurden. Die Damen laufen vor mir und zwitschern.
Einige Besucher tragen Kopfhörer, bleiben unvermittelt stehen, richten ihre Blicke im vorgegebenen Takt aus. positionieren sich vor Wänden und Kunstwerken, Sonnenuhren und Gemälden. Ich spüre einen Lufthauch, der an mir vorbeistreift, so nahe, dass meine Haut erzittert, reagiere aber nicht schnell genug. Die langbeinige Fee schwebt dahin und verschwindet in einer Gruppe kichernder Schulkinder im nächsten Saal.

Anfangs spürte ich einen sachten Druck im Kopf. Nach und nach verstärkte er sich, als ob jemand an einem Regler drehte. Die Zellen in meinem Hirn wirbelten durcheinander, vibrierten. Schläge hämmerten. Ich spürte winzige Federschläge, unaufhaltbar. Es war unmöglich, klar zu denken, ein steter Strom, der jeden Gedanken auslöschte, weder Anfang noch Ende hatte. Ich war außerstande, das, was geschah, zu beurteilen, geschweige denn zu verstehen, was es bedeutet, nach und nach zu ersticken, obwohl genug Luft vorhanden war.

Im Strom weiter und weiter, gelangweilt. Bis sich alles verändert, als ich den Anselm-Kiefer-Saal betrete, der mich erschüttert, sofort und unabänderlich. Ich entdecke meine Träume in den düsteren Farben der Fresken, die bis zu Decke reichen, sehe Schnee- und Feuerlandschaften, das Inferno einer verletzten Landschaft ohne Menschen, den Schrecken des Untergangs, den Himmel, der mitsamt den Sternen auf die Erde stürzt. Ein Nebelgebilde endloser Gewalt. Milk of Dreams. Ich steige ein, laufe durch Kriegslandschaften, weiche Metallstücken aus, von keinem Gott aufgehalten. Ich bin allein. Armageddon inmitten der Überbleibsel einer verlorenen Zivilisation.

Fratzen, die auf mich herabblickten, ihre Gesichter und ihren Körper hinter Gummi und Plastik verbargen, außerirdisch, fremd. Und doch weiß ich, was geschieht, alles ist bekannt, weil die Bilder der Ganzkörperverhüllten von den Medien gezeigt werden. Sie näherten sich, schnappten zu, öffneten und schlossen, formten Zugänge zu meinem Innern. So verfügbar war ich, so nackt, so wehrlos. Sie führten Schläuche ein, schnallten mich fest. Ich konnte nicht mehr sprechen, wortlos, verstummt, nichts als Masse, ein Ding, ein Gegenstand. Sie piksten und stachen, spielten mit mir. Ich war eine Puppe, von Nadeln durchbohrt. Roboter bewachten mich. Oder Menschen? Wer wusste das schon. So dämmerte ich weg, verschwand im Nichts, wo Voodoo-Priesterinnen Hühnerblut über meinen bloßen Körper gossen. Wozu? Um zu beweisen, dass ein Toter zum Leben erweckt werden kann?

Zwischen der bizarren Landschaft, die mit dem Palast, den Besuchern verschmilzt, erkenne ich die Silhouette der Frau, nach der ich mich sehne, die langen blonden Haare. Ich tauche ein. Wir wandern über Trümmer, suchen nach der Verbindung zwischen Leben und Tod, Wirklichkeit und Traum, ein Sinnbild für die Lagunenstadt selbst. Ich gerate außer Atem, japse nach Luft, vermag nicht mehr zu folgen, falle zurück, verliere, was ich mir wünsche.
Erst spuckt mich die Wand, dann der Palast aus. Ich finde mich auf dem Markusplatz. Möwen umschwirren mich.

Der Kampf tobte, Zelle gegen Zelle. Während all dem ging verloren, was ich war. Vergessen breitete sich aus. Ich wurde in die Traumwelt geworfen und sah Bilder in endloser Reihe. Mao Zedong. Andy Warhols Marilyn. Das Hochzeitsfoto meiner Eltern. Ich als Kind im Kornfeld, lächelnd. Nackte Männer und Frauen, die ich durch ein Schlüsselloch betrachtete. Ich erkannte den Grand Canyon, hörte das Rauschen der Victoria-Falls, schmeckte die süßsaure Kamelmilch mongolischer Nomaden. Ein Schmetterling flatterte in meinem Garten von Blatt zu Blatt. Alles, was sich in der Erinnerung festgesetzt hatte.

Im Touristenmeer zu den Giardina. Manche tragen Hoffnung in den Augen spazieren, als ob das Leben eine romantische Wende nehmen könnte. Ein großer Mann mit Künstlerhabitus, schwarzem Anzug, weißem Hemd, Sandalen, streift mich. Neben ihm geht eine dunkle Frau. Eine Maske verdeckt ihre Gesichtszüge, aber die Haare leuchten. Am Pier hat eine Yacht festgemacht. Arbeiterameisen tragen Kisten an Bord. Ich stelle mir darin Dollarnoten vor, Champagner, Kokain und ausreichend Waffen.

Ein Strich zu viel, der sich dazwischen drängte, ein Fremdling. Und dennoch ein Statement, dem ich keine Bedeutung beimesse. Ein Strich, mehr nicht. Ich überlegte mir, ob ich Cola getrunken habe, welche Abweichungen den Strich hervor gerufen haben, wie die das überhaupt machen, das mit dem Strich. Könnte ja alles gefakt sein, wäre doch gut möglich. Nichts ist sicher, nirgendwo gibt es 100%. Wir konstruieren die Welt aus Wahrscheinlichkeiten. Das verstand ich. Also wartete ich. Erschauerte. Horchte in mich hinein. Der Schrecken kam auf Katzenpfoten. Außerdem: Ich bin stark. Mens sana in corpore sano. Als Kind habe ich Waldluft getankt. Das hat mich abgehärtet, Schwäche erst gar nicht zugelassen.

Auf dem Boden liegt Stroh. Ein Strang hängt von der Decke, ein fest geflochtenes Seil, um den Hals eines bärtigen Männerkopfes geschlungen, dessen Augen verschlossen sind. Darunter der Leib eines Zebras, ein aufgequollener Bauch, Hufe, die über dem Boden baumeln. Es riecht nach Öl und faulem Fleisch. Ich frage mich, ob der Geruch Teil der Performance ist, ob er den Lüftungsschächten entströmt.
Vor mir steht ein großer Kerl entspannt neben dem Stall. Nicht so nahe, dass er den künstlichen Dung berühren würde. Er dreht sich um und schaut mich an. Er trägt einen Hipsterbart, jedes Härchen akkurat gepflegt. Auf seinen Armen erkenne ich wilde Tätowierungen, Gesichter, einzelne Sätze, Namen und Daten. Er grinst, als ich seinem Blick ausweiche. Am Ausgang betrachte ich Schafe mit perlweißem Fell, übereinander geschichtete Kadaver.

Träume, die sich wiederholten, die ich nicht los wurde. Ich führe einen Hund Gassi. Er geht an der Leine, hat weißes Fell, an einigen Stellen schwarz gefleckt. Der Terrier rennt im Zickzack von einer auf die andere Seite des Weges, schnuppert, bellt, nimmt Witterung auf, läuft los, bis das Band ihn limitiert. So geht das eine Weile. Irgendwann verschwindet er in einem Busch. Nach einer Weile taucht er wieder. Aus dem Maul ragt etwas, das ich erst wahrnehme, als er es vor meinen Füßen fallen läßt, einen Greifvogel, so riesig, dass ich ihn für einen Adler hielt. Da erst bemerke ich, dass der kleine Terrier sich in einen Höllenhund, einen Zerberus verwandelt hat, ein riesenhaftes Wesen mit einem Stockmaß größer als ich. An den Reißzähnen hängen Federreste. Blut tropft auf die Erde. Sein dornenbewehrter Schwanz wedelt über meinen Kopf hinweg. Das Monster hätte mich zum Himmel schleudern können. Stattdessen beginnt es, an mir zu knabbern, schlitzt meine Haut auf und entreißt dem Fleisch winzige Stückchen. Ich spüre heißen Schmerz, blute und gewöhne mich nach und nach an mein neues Ich, das nunmehr nichts als ein geschundener, zerfetzter Leib ist. Das Merkwürdige ist, dass ich das Untier aus tiefstem Herzen liebe, eine Verbindung empfinde, Symbiose.
Ebenso schlimm war der Wüstentraum. Ich wandere an einem Strand entlang. Meerwasser bespült meine Füße. Ich bin allein. Irgendwann laufe ich landeinwärts. Die Dünen enden nicht, reichen weit ins Land. Nirgendwo eine Pflanze, nirgendwo Schatten. Ich steige Dünen auf und ab, immer weiter. Warum, weiß ich nicht. In der Ferne höre ich Kinderschreie, Hyänen, die sich versammeln. Ich habe kein Ziel und spüre die Hitze kaum, die den Sand aufheizt. Dann vibriert die Luft, ein Glutwind schlägt mir entgegen, der die Sandkörner aufwirbelt. Die Sonne verschwindet. Dunkelheit bricht an. Der Wind wird stärker und stärker, peitscht auf meine Haut, dringt durch die Kleider. Sandkörner schlagen wie Geschosse ein. Ich werde zu Boden gedrückt, begraben, wehre mich, richte mich auf. Wenn ich die Augen nur einen Spalt öffne, werde ich getroffen. Ich ducke mich, will unbedingt stehen bleiben und muss doch auf die Knie sinken. Ich darf mich nicht begraben lassen, muss mich bewegen und vermag es nicht. Verschlungen, besiegt, will ich gerade aufgeben. Dann verschwindet der Wind wie er gekommen ist, von einer Sekunde auf die andere. Ich will die Augen öffnen, aber es gelingt mir nicht. Dennoch spüre ich, dass die Sonne durchdringt.
Sieben Wochen in Endlosschleife. Traum um Traum. Mehr Wirklichkeit ist von dieser Zeit nicht geblieben.

Vor dem Pavillon setze ich mich unter einen Baum. Ein Glücksgefühl durchströmt mich, weil ich atme. Trotz des modrigen Geruchs, der durch das Ausstellungsgelände weht. In der Menge entdecke ich einen hochgewachsenen Mann in den Sechzigern, schwankend wie eine Boje im strömenden Meer. Er beugt den Kopf und starrt in ein Buch, bemerkt die beiden Mädchen mit Schwanenhälsen nicht, die in ihren bunten Prada-Kleidern an ihm vorbei tanzen. Ich trinke. Wasser ist Leben. Einen Zylinder zu tragen, Lackschuhe, Cutaway, wäre die richtige Art und Weise, den Elefanten zu betrachten, der in der Rotunde der Haupthalle steht, ein stolzes, schönes Tier. Denn dann könnte ich mich nach Afrika sehnen wie ein imperialer Europäer, dessen Augen sich verschließen, wenn die schönen Menschen des Kontinents der Löwen und Safaris bettelnd im Schmutz sitzen. Ich streichle die Statue aus Obsidian, eine Frau, die den Boden wischt, ein Kopftuch trägt, die Beine durchdrückt, mit der Stirn beinahe die Erde berührt.

Ein Schatten verfolgte mich, vielleicht eine Frau, vielleicht ein Mann und floh, wenn ich zu nahe kam. Ich wünschte mir sehr, ein Gesicht zu sehen, wollte wissen, wie die Nase geformt war, all das. Wenn es mir doch einmal gelang, die Distanz zu verringern, sah ich durch den Schleier eines Wasserfalls ein Trugbild. Liebe durchströmte mich dennoch, ein banales Gefühl, dennoch echter als die Geräte, die mich am Leben hielten, die Roboter in Latex und Plastik, die mein Sterben begleiteten, über die Maschinen wachten, die bewiesen, dass nichts vorbei, ein Sieg über den Tod möglich war. Als ob es nicht mehrere Arten des Todes und mehrere des Lebens existierten, als ob es nicht Lebende gab, die tot waren und Tote, die lebten. Nichts ist wahr, alles Lüge.

Die Tore eines pastellgrünen Pavillons sind verschlossen. Zwiebeltürme ragen empor, harmonisch. Ich wäre gerne reingegangen, um zu erfahren, was das große Land im Osten zu sagen hat, ob ich etwas wiederfinde, was ich suche, womöglich gerade dort die Schattengestalt treffe, nach der ich mich sehne, ob sie im Sturmschritt heraus marschiert, die Kalashnikov im Anschlag. Ich wende mich ab und betrete die deutsche Villa, erwarte einen Skandal, etwas Verstörendes, Kippas, Burkas, süße Transmenschen, toxische Männlichkeit mit Bart, Hip-Hop-Frisuren, Goldkettchen. Stattdessen nackte Wände, an einzelnen Stellen aufgerissen, sodass man das drunterliegende Holzskelett erkennt, die freigelegten Böden mit ihren unterirdischen Verliesen, in denen höchstens Kunstsklaven gefoltert wurden. Ich wundere mich, dass es so still ist, nirgendwo Schäferhunde bellen.

Niemand besuchte mich. Weder während der Zeit an der eisernen Lunge, noch danach. Meine Mutter sagte, sie wäre einmal da gewesen, aber es hätte sich nicht gelohnt, einen Leichnam zu betrachten und zuvor die Prozedur über sich ergehen zu lassen. Meine Schwester wohnte in den USA. Und die paar Freunde, die ich hatte, wären ohnehin nicht zu mir vorgedrungen.
Man sagte mir hinterher, ich hätte zehn Tage zwischen Tod und Leben verbracht, aber es war ein einziger, das verstehen sie nur nicht, weil sie nicht dabei waren, nicht wissen, dass die Zeit sich dehnt. Dämonen versammelten sich, bildeten einen Kreis um mich und stellten Fragen, ein endloses Verhör, ein einziges Warum. Und das allerschlimmste waren die Gesichter hinter Masken, alle in wallenden Gewändern, Zombies, die mich angrinsten und neckten, mich aufforderten, mitzukommen, ins Dunkle, auf einsame Inseln in der Südsee, zu Berghütten vor Gletschergebirgen.
Künstliches Koma sagten sie, als sie mich aus den Träumen rissen. Ich konnte nicht antworten, meine Zunge war viel zu schwer. Als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich eine Hülle aus Knochen und Fleisch, einen Fremden, der mich aus verquollener Fratze anschaute. Die Menschen hielten weiter Abstand. Umarmungen schienen völlig unmöglich. Ich lernte gehen, sprechen, wurde zum Kind, das sich die Welt erst wieder erobern muss.

Ich besteige das Vaporetto und fahre nach Giudeca. Von dort sieht man die Silhouette des Stadt. Ich bestelle die Fleischplatte, eine Empfehlung des Hauses und lasse die Hälfte übrig. Denn am Kai wartet La Bionda auf mich. Sie hat lange, blonde Haare. Ich erkenne ihr Elfengesicht klar und deutlich. Sie nimmt mich wortlos an der Hand. Ich bin glücklich.

Ich musste die Dämonen suchen. Und den Schatten. Deshalb reiste ich nach Venedig. Wohin auch sonst. Im Flieger drückte ich die Maske fest aufs Gesicht. Nach der Landung spürte ich den Druckausgleich wie ein Beben im Ohr.

Am nächsten Morgen wache ich im zerwühlten Bett auf und weiß, dass ich die Nacht nicht allein verbracht habe. Sand rieselt von der Bettdecke, von meiner nackten Haut, auf den Boden, als ich aufstehe und aus dem Fenster blicke. Der Dunst über der Stadt ist völlig verschwunden. Ein Sonnentag beginnt.

 

Hallo @Isegrims

jetzt wird es ja noch ganz schön voll bei der Challenge. Der Titel deines Textes hat mein Interesse geweckt, also los geht's.

Kaum zwei Meter Sicht. Nebel im Frühling. Wolken bewegen sich auf mich zu. Umzingeln mich. Ohne Richtung. Barrieren. Dahinter die Sonne. Unerreichbar. Frische Luft. Freier Blick. Weggesperrt. Aus dem Dunkel ins Licht. Aus dem Licht in die Finsternis. Der Himmel ist fern. Welke Blätter des letzten Jahres wehen über die Straße. Überbleibsel. So wird der Winter gemeinhin vertrieben.

Sehr bedeutungsschwanger, fast schon pathetisch. Dazu stakkatohafte Sätze. Nicht ganz mein Fall, aber auch kein No-Go.

ch liebte ihr blondes Haar, fest und wie Stroh, die Augen wie Lapislazuli, die feinen Falten, wenn sie lachte, das Grübchen am Kinn.

Lapislazuli, da kommen Erinnerungen an eine vergangene Challenge hoch :-)

Die Grauhaarigen hinter mir plappern in einem Dialekt, der nach ausgepressten Limonen klingt.

Ich kann mir so recht nichts darunter vorstellen. Bei ausgepressten Limonen habe ich eher ein Bild, aber weniger einen Klang im Kopf.

An der Rialto-Brücke habe stieg eine Braut stolz in eine Gondel.

Das 'habe' sollte weg, denke ich.

Im Strom weiter und weiter, gelangweilt. Bis sich alles verändert, als ich den Anselm-Kiefer-Saal betrete, der mich erschüttert, sofort und unabänderlich. I

Dank Google-Such mit 'Anselm Kiefer und Dogenpalast' ein Bild der Ausstellung gesehen. Trotzdem bleibt die Frage, ob das in einer Geschichte Sinn macht. Wenn man allgemein bekannte Referenzen einbaut, finde ich das okay, aber der Verweis hier ist schon sehr speziell und animiert, wie bei mir, zum Googeln. Da müsstest du dich fragen, ob das deine Intention ist. Es hemmt auf jeden Fall den Lesefluss.

Wesen, die auf mich herabblickten, ihre Gesichter und ihren Körper hinter Gummi und Plastik verbargen, außerirdisch, fremd. Und doch weiß ich, was geschieht, alles ist bekannt, weil die Bilder der Ganzkörperverhüllten von den Medien gezeigt werden. Sie näherten sich, schnappten zu, öffneten und schloßen, formten Zugänge zu meinem Innern. So verfügbar war ich, so nackt, so wehrlos. Sie führten Schläuche ein, schnallten mich fest. Ich konnte nicht mehr sprechen, wortlos, verstummt, nichts als Masse, ein Ding, ein Gegenstand. Sie piksten und stachen, spielten mit mir. Ich war eine Puppe, von Nadeln durchbohrt. Roboter bewachten mich. Oder Menschen? Wer wusste das schon. So dämmerte ich weg, verschwand im Nichts, wo Voodoo-Priesterinnen Hühnerblut über meinen bloßen Körper goßen. Wozu? Um zu beweisen, dass ein Toter zum Leben erweckt werden kann?

Die apokalyptisch anmutende Beschreibung eines Krankenhausaufenthalts. Ich goß, du gosst, er goß, wir gossen, ihr goßt, sie gossen - ein verzwicktes Verb, aber wenn ich es richtig sehe, ist die 3. Plural im Präteritum 'gossen'.

ch empfing keine Besucher. Weder während der Zeit an der eisernen Lunge, noch danach. Meine Mutter sagte, sie wäre einmal dagesessen, aber es hätte sich nicht gelohnt, einen Leichnam zu betrachten und zuvor die Prozedur über sich ergehen zu lassen.

Meine Vermutung: Corona. Auch zuvor die Beschreibung des Tesergebnisses mit dem Strich. da hat mich aber noch die Cola-Assoziation verwirrt.

Also: bie Shakespeares 'Romeo und Julia' heißt, wer in Rätseln spricht, der wird in Rätseln losgesprochen. Ich habe vier gerätselt bei deinem Text, den ich sprachlich zwar gut, aber in der Wortwahl insgesamt doch zu schwülstig und zu pompös fand. Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein Biennale-Besuch literarisch verarbeitet wurde, was ich nicht verwerflich, aber schwierig finde, da man als Leser keine Bilder dazu hat und deine zu sehr nebenbei beschrieben werden, als dass man etwas 'sieht' beim Lesen. Die alternierend stattfindende Krankheit und Sehnsucht nach La bionda haben mich persönlich auch nicht gepackt.

Tut mir leid.

LG,

HL

 

Hallo Isegrims,

Ein "gebildeter" Text, voll mit Eindrücken und Empfindungen; manchmal schwermütig und ein Abwechseln von Erzählebenen, die ich nicht wirklich zusammen brachte. Jede Ebene für sich - super - aber ich fand den Schlüssel nicht, der die Ebenen zusammen führen sollte. Sollte?
Vielleicht bringe ich seinen Gesundheitszustand mit Anselm Kiefers Landschaften noch unter einen Hut, aber da gingen dann die blonden Haare verloren, seine Sehnsucht nach Eva, die er nie traf. Weil er dann krank wurde? Die Ausstellung war ja jetzt erst.

Als ob es nicht mehrere Arten des Todes und mehrere des Lebens existierten, als ob es nicht Lebende gab, die tot waren und Tote, die lebten. Nichts ist wahr, alles Lüge.
Alles Lüge ist heftig. Jede Wahrheit ist die halbe Wahrheit hätte vollauf genügt.
Und warum diesen Cola-Querdenker-Hinweis? Nichts ist wahr, alles Lüge?
Für die Corona-Challenge fallen mir 100 Punkte ein, für die Erotik-Challenge nicht so viel. Ich brachte es nicht über mich, da jetzt erotische Gefühle zu entdecken ...
Liebe Grüße - Detlev

 

Hej @HerrLehrer

Und danke für das Feedback und die Beschäftigung mit dem Text. Ich kann die Skepsis und die Vorbehalte gegenüber der kleinen Geschichte gut verstehen.

Ich kann mir so recht nichts darunter vorstellen. Bei ausgepressten Limonen habe ich eher ein Bild, aber weniger einen Klang im Kopf.
Na ja, wenn man eine Zitrone in den Mund nimmt, kommt ein etwas gepresster Ton beim Sprechen heraus.

Das 'habe' sollte weg, denke ich.
stimmt: erledigt

Wenn man allgemein bekannte Referenzen einbaut, finde ich das okay, aber der Verweis hier ist schon sehr speziell und animiert, wie bei mir, zum Googeln. Da müsstest du dich fragen, ob das deine Intention ist. Es hemmt auf jeden Fall den Lesefluss.
Im Grunde sollte der Anselm Kiefer Verweis LeserInnen die Chance geben, sich ein Kiefer-Fresko anzuschauen, muss man aber nicht. Recht aus, sich vorzustellen, im Bild zu verschwinden.

Meine Vermutung: Corona. Auch zuvor die Beschreibung des Tesergebnisses mit dem Strich. da hat mich aber noch die Cola-Assoziation verwirrt.
Mit Colakonsum konnte, kann man den Test faken.

Ich habe vier gerätselt bei deinem Text, den ich sprachlich zwar gut, aber in der Wortwahl insgesamt doch zu schwülstig und zu pompös fand.
Gut, der Ruf meines Stiles scheint sich in diesen Worten zu manifestieren, wo sich das aber zeigt, mm, weiß nicht. Ich versuche Bilder zu erzeugen, mehr nicht.

aber schwierig finde, da man als Leser keine Bilder dazu hat und deine zu sehr nebenbei beschrieben werden, als dass man etwas 'sieht' beim Lesen. Die alternierend stattfindende Krankheit und Sehnsucht nach La bionda haben mich persönlich auch nicht gepackt.
Venedigbilder? Hat die nicht so gut wie jeder?

Anselm-Kiefer-Nachtgrüße
Isegrims

Hej @Detlev

freut mich, dass du deinen Eindruck schilderst. Auf gewisse Weise ist der Text ein Experiment. Der Versuch eine Reiseerfahrung mit der Heilung nach einer schweren Krankheit zu verbinden. Dass da nicht jeder mitgeht, okay, damit kann ich gut leben.

Ein "gebildeter" Text, voll mit Eindrücken und Empfindungen; manchmal schwermütig und ein Abwechseln von Erzählebenen, die ich nicht wirklich zusammen brachte. Jede Ebene für sich - super - aber ich fand den Schlüssel nicht, der die Ebenen zusammen führen sollte. Sollte?
gebildeter Text, weiß nicht. Der Protagonist schildert in einem der Erzählstränge einen Venedig-Besuch, insbesondere, was er im Rahmen der Biennale gesehen hat. Trotzdem gibt es lange Passagen, die von der Ausgeliefertsein der Klinik handeln.
Klar, der Bildungsbürger löst seine Probleme mit den Versatzstücken seines Hintergrunds. Ist doch erlaubt, oder?

aber da gingen dann die blonden Haare verloren, seine Sehnsucht nach Eva, die er nie traf. Weil er dann krank wurde? Die Ausstellung war ja jetzt erst.
und verschiedene Ebenen sind erlaubt: Ich mag eine gewissen Unsicherheit, ein Rätsel, das ich für mich entschlüsseln kann. Zwischen der Krankheit und der Reise liegt Zeit.

Alles Lüge ist heftig. Jede Wahrheit ist die halbe Wahrheit hätte vollauf genügt.
Und warum diesen Cola-Querdenker-Hinweis? Nichts ist wahr, alles Lüge?
siehe oben: Cola hat nicht so viel mit Querdenkertum zu schaffen.

Für die Corona-Challenge fallen mir 100 Punkte ein, für die Erotik-Challenge nicht so viel. Ich brachte es nicht über mich, da jetzt erotische Gefühle zu entdecken ...
Immerhin ein zerwühltes Bett und wer weiß, vielleicht hat er die Nacht mit La Bionda verbracht. Unter Erotik verstehe ich Sinnlichkeit, die Suche danach, sich selbst zu spüren.

Traumsehnsuchtsgrüße
Isegrims

 

Hallo @Isegrims ,

was für ein spannender Wettbewerb! Und was für höchst unterschiedliche Auffassungen von Erotik.
So war ich natürlich auch auf deinen Beitrag gespannt, erinnere ich doch noch unsere heftigen Diskussionen um deine Geschichte, die sich mit dem Ukrainekrieg befasst hatte.

Ich fang einfach mal mit meinem Gesamteindruck an. Ich kam mir bei deiner Geschichte ein wenig wie bei einem Suchspiel vor, denn klar habe ich die erotischen Momente versucht, aufzuspüren und fand sie sehr rar gesät. Leider! Deswegen leider, weil ich fand, dass du mit wenigen Federstrichen deutlich mehr hättest draus machen können. Die blonde Schönheit, wenn ich das mal so verkürzt plakativ (sie hat ja keinen Namen) schreiben darf, taucht auf, aber du lässt sie wieder verschwinden und es entwickelt sich irgendwie nichts zwischen dem Erzähler und ihr.
Wieso eigentlich nicht? Diese Blonde war, wenn ich nicht Gravierendes überlesen habe, die einzige Möglichkeit Erotik zum Entstehen zu bringen.
Es hätte noch mehr Möglichkeiten gegeben, die du aber nicht genutzt hast. Zum Beispiel hätte Venedig mit Giacomo Casanova in Verbindung gebracht werden können und die Biennale hätte eine Eingangssituation schaffen können. Diese beiden Chancen lässt du verstreichen, statt dessen werden die Orte, die dein Protagonist aufsucht, seltsam inhomogen in den Text gestreut, ich sehe da keine Entwicklung, keine besondere Handlung, die auf irgendetwas zuläuft, von einem Spannungsbogen ganz zu schweigen und frage mich, ob das Genre der Erotik plötzlich alles Wissen, wie man eine gute Geschichte schreibt, bei dir weggefegt hat. Ich bin erstaunt.

Ich habe es nicht alles zitiert, aber oftmals haben mir deine Formulierungen gut gefallen.
Sehr plastisch und eingänglich. Leider habe ich ganz oft nicht gewusst, in welchem Zusammenhang du das gesetzt hast. Ich wollte aber auf jeden Fall erwähnen, dass mir etliche Sätze für sich genommen, also wenn man mal meine krause Stirn sich einfach wegdenkt, gut gefallen haben.

Dass in der Geschichte sich noch eine befindet, die ich schlicht als heftigen Coronaerkrankungsfall betrachte, ist auch so eine Sache, die ich nicht einordnen kann.
Was hat diese Erinnerung, so sehe ich es, für den Protagonisten jetzt für eine Bedeutung in Bezug auf die Erotik? Wenn du diese schwere Erkrankung jetzt in einen Bezug dazu gesetzt hättest, dass er sich wie neu erschaffen fühlt, dem Tod ein Schnippchen geschlagen hat und nun sein neues Leben feiert und natürlich dann auch erotisch zelebriert, hätte ich dir die Einschübe als sehr stimmig abgekauft, aber eben genau deswegen, weil sie dann so eine Art kräftigen Kontrapunkt gesetzt hätten. Aber so frage ich mich, wozu war das nun gut die Erkrankung immer wieder dazwischen zu packen? Da bin ich auf deine Antwort sehr gespannt. Sollte sie bereits in einer deiner Antworten auf andere Kritiker stehen, musst du das nicht nochmals erläutern, ich werde es dann nach Abschicken meines Feedbacks lesen.

Noch etwas zum Layout. Mir gefällt das mit den *** nicht so richtig. Es wirkt zu sehr auseinandergeschrieben. Mit Schrägschrift könnte ich mich noch anfreunden, weil es dir wohl darum ging, die Schilderungen der Erkrankung deutlich zu markieren. Die Verwendung der *** löst bei mir das Gefühl aus, dass jeder einzelne Abschnitt eine losgelöst neue Geschichte ist.


Ok, dann mal rein in den Text:

Ich liebte ihr blondes Haar, fest und wie Stroh,
Bei dem Begriff Stroh schüttelt es mich etwas, weil blond wie Stroh geht noch absolut an, aber wenn etwas fest wie Stroh ist, dann ist es rauh und brüchig und trocken und kaputt für mich. Das ist keine Auszeichnung Haar wie Stroh zu haben. Oder wolltest du genau das damit sagen, dass die Haar im Grunde genommen zerstört waren?
In einer Zeit, in der Menschen einander mieden.
Wieso mieden? Meinst du die Kontaktverbote während Corona? Wenn ja, warum dann so verdreht dargestellt. Die Menschen mieden sich ja nicht freiwillig und genau das ist das Wichtige dabei, dass sie gezwungen wurden. Aber wahrscheinlich bin ich grad eh auf dem Holzweg und du meintest gar nicht Corona.
Ich habe Eva dann doch nicht getroffen, nicht im Herbst, nicht im Winter, nie.
Als ich diesen Satz las dachte ich, jetzt geht es los, nun wird es spannend. In der Nachschau muss ich sagen, dass du mich genarrt hast. Schade.

Die Grauhaarigen hinter mir plappern in einem Dialekt, der nach ausgepressten Limonen klingt.
Herrlich guter Satz. Gefällt mir sehr.
An der Rialto-Brücke stieg eine Braut stolz in eine Gondel.
Ja, es ist zwar richtig, dass du "stieg" schreibst, denn er berichtet es ja, aber lies dir diesen ganzen Absatz bitte mal laut vor. Mich hat vom Klang her gestört, dass du jetzt in die Vergangenheitsform wechseln musstest. Wie wäre es, wenn du den Satz mit der Braut vorziehst und ihn dann in die Gegenwart holst? Für mich klänge es harmonischer.
Die Stadt besteht aus Illusionen, sage ich mir, dem Thomas-Mann-haften all der Erzählungen, die hier ihren Ursprung nahmen, Tage und Nächte durchdrangen, als ob man sich nur auf diese Weise der Lagune entsprechend verhalten könne, als ob es ein Fieber gäbe, das allein an diesem Ort existiert, Dunst, der zwischen den Kanälen, über San Marco, entlang den Palästen bis dahin weht, wo es echtes Meer gibt, wo das Wasser nach Salz riecht, Fische schwimmen und den Besuchern insgeheim zulächeln.
Alles schön formuliert und gefällt mir auch, aber ich würde nicht so ein Monstrum von Satz daraus machen, sondern wenigstens zwei draus machen. Ich habe irgendwann mal (für mich) entdeckt, dass man ganz oft super langen Sätzen die eigentliche Wirkung klaut, gerade weil man sie so endlos werden lässt. Der Leser wird geradezu gezwungen sich hochgradig zu konzentrieren, damit er alles mit bekommt. Aber dabei bleibt die Leselust auf der Strecke. Das Geniessen von gelungenen Formulierungen fällt flach, weil man so angestrengt versucht, so einen irre langen Satz zu erfassen. Verstehst du was ich meine?
Auf den Deckengemälden
Ist jetzt bestimmt Erbsenzählerei, aber mein Sprachgefühl würde "an" schreiben.
Klöße formten sich und bahnten
Das ist unglücklich formuliert. Also ich hatte dicke Kartoffelklöße vor meinen Augen und konnte das alles nicht einordnen.
vorgegebenen Takt aus. positionieren sich vor Wänden
aus. Posit....
Das langbeinige Wesen schwebt vorbei und verschwindet in einer Gruppe kichernder Schulkinder im nächsten Saal.
Eigentlich eine gar nicht mal schlechte Formulierung, aber die Kombination von Wesen und schweben und kichernde Schulkinder lässt vor meinen Augen das Gespenst Hui buh entstehen. Und genau das bezweckst du nun sicherlich nicht.

laufe durch Kriegslandschaften
Wie muss ich mir das vorstellen?

Zwischen der bizarren Landschaft, die mit dem Palast, den Besuchern verschmilzt, erkenne ich die Silhouette des Menschen, nach dem ich mich sehne, die langen blonden Haare.
ein sehr schöner Satz, wenn du anstelle von "Menschen" "Frau" schreiben würdest.
Möwen umschwirren mich.
Und wo sind die ganzen Tauben? Und schwirren Möwen? Flattern sie nicht eher oder schweben, gleiten, purzeln mit dem Wind?
Am Pier hat eine Yacht festgemacht. Arbeiterameisen tragen Kisten an Bord. Ich stelle mir darin Dollarnoten vor, Champagner, Kokain und ausreichend Waffen.
Gefällt mir gut dieser Satz, er gibt jede Menge Phantasieanregungen.
Ein Strich zu viel, der sich dazwischen drängte, ein Fremdling.
Was für einen Strich meinst du hier. Du verschlüsselst mir zuviel in diesem Text. Soll das der Strich sein, der beim Coronatest erscheint?
Er trägt ein Hipsterbart,
einen

Meerwasser bespült meine Füße.
umspült klingt besser
regungslos wie eine Boje im strömenden Meer.
Nö, eine Boje ist nie regungslos im strömenden Meer. Die schaukelt stets hin und her, sinkt mal etwas tiefer und wird dann wieder hochgedrückt.
Einen Zylinder zu tragen, Lackschuhe, Cutaway, wäre die richtige Art und Weise den Elefanten zu betrachten, der in der Rotunde der Haupthalle steht, ein stolzes, schönes Tier.
Ich würde ein Komma hinter "Weise" setzen. Ansonsten finde ich das sehr phantasievoll formuliert, gefällt mir sehr.
die Schattengestalt treffe, nach der ich mich suche,
Nach der ich mich suche? Verstehe es inhaltlich leider nicht.
nirgendwo Schäferhunde bellen.
Was willst du damit denn sagen? Immerhin geht es ja um den deutschen Pavillon.
dass die Zeit sich dehnt.
Versteh ich auch nicht. Zehn Tage zwischen Leben und Tod, aber dem Protagonisten kommen sie wie ein Tag vor, aber gleichzeitig dehnt sich die Zeit? Meinst du damit, dass sich ein Tag wie zehn Tage dehnen kann? Aber auch dann würde ich den Sinn nicht verstehen.
Ich lernte gehen, sprechen, wurde zum Kind, das sich die Welt erst wieder erobern muss.
Gut beobachtet.
Sie nimmt mich wortlos an der Hand.
bei der Hand klingt runder
Ich musste die Dämonen suchen. Und den Schatten. Deshalb reiste ich nach Venedig. Wohin auch sonst.
Du setzt auch hier etwas voraus, dass ich als Leser nicht mitbringe. Wieso musste er Dämonen suchen? Und wieso ist Venedig der richtige Ort?
Am nächsten Morgen wache ich im zerwühlten Bett auf und weiß, dass ich die Nacht nicht allein verbracht habe. Sand rieselt von der Bettdecke, von meiner nackten Haut, auf den Boden, als ich aufstehe und aus dem Fenster blicke. Der Dunst über der Stadt ist völlig verschwunden. Ein Sonnentag beginnt.
Wo kommt jetzt der Sand her?


Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @lakita

Ich freue mich sehr über deinen Besuch und die freundliche Betrachtung eines Textes, der zugegeben ein wenig herausfordernd ist: für mich und für geneigte LeserInnen.

So war ich natürlich auch auf deinen Beitrag gespannt, erinnere ich doch noch unsere heftigen Diskussionen um deine Geschichte, die sich mit dem Ukrainekrieg befasst hatte.
ach ja, habe ich lange daran geknabbert, nicht speziell an deiner Reaktion, sondern ganz allgemein. und wie ich mein Schreiben weiterentwickeln möchte.
Ich kam mir bei deiner Geschichte ein wenig wie bei einem Suchspiel vor, denn klar habe ich die erotischen Momente versucht, aufzuspüren und fand sie sehr rar gesät. Leider! Deswegen leider, weil ich fand, dass du mit wenigen Federstrichen deutlich mehr hättest draus machen können.
Rausgekommen ist (neben einigen unfertigen Texten) diese Geschichte, die den Venedig-Besuch eines Komapatienten als Thema hat. Er möchte sein Trauma bearbeiten.
Klar, was ist daran erotisch? Die Sehnsucht nach Nähe, die er in sich trägt, das war meine Idee. Erotik habe ich nicht getaggt, weil ich Erotik gar nicht vor Augen hatte beim Schreiben.
Zum Beispiel hätte Venedig mit Giacomo Casanova in Verbindung gebracht werden können und die Biennale hätte eine Eingangssituation schaffen können. Diese beiden Chancen lässt du verstreichen, statt dessen werden die Orte, die dein Protagonist aufsucht, seltsam inhomogen in den Text gestreut,
Ich hatte ein Passage drin, in der George Clooney eine Party im Dogenpalast feiert, aber he, ich fand die dann sehr plakativ.

und frage mich, ob das Genre der Erotik plötzlich alles Wissen, wie man eine gute Geschichte schreibt, bei dir weggefegt hat. Ich bin erstaunt.
Spannung? Soll jetzt nicht hochnäsig klingen, absolut nicht, aber mir war auch Spannung nicht wichtig, sondern das Experiment, zwei Ebenen mit Bildern zu verzahnen. Rätselhaft, ist mir klar. Ich wollte etwas neues probieren, schauen, ob es auf irgendeine Weise funktioniert. selbst wenn nur in meiner eigenen Literaturvorstellung

Ich habe es nicht alles zitiert, aber oftmals haben mir deine Formulierungen gut gefallen.
Sehr plastisch und eingänglich. Leider habe ich ganz oft nicht gewusst, in welchem Zusammenhang du das gesetzt hast. Ich wollte aber auf jeden Fall erwähnen, dass mir etliche Sätze für sich genommen, also wenn man mal meine krause Stirn sich einfach wegdenkt, gut gefallen haben.
Das ist gut, ist mir wichtig.

Was hat diese Erinnerung, so sehe ich es, für den Protagonisten jetzt für eine Bedeutung in Bezug auf die Erotik? Wenn du diese schwere Erkrankung jetzt in einen Bezug dazu gesetzt hättest, dass er sich wie neu erschaffen fühlt, dem Tod ein Schnippchen geschlagen hat und nun sein neues Leben feiert und natürlich dann auch erotisch zelebriert, hätte ich dir die Einschübe als sehr stimmig abgekauft, aber eben genau deswegen, weil sie dann so eine Art kräftigen Kontrapunkt gesetzt hätten.
er sucht verzweifelt nach Nähe.

Noch etwas zum Layout. Mir gefällt das mit den *** nicht so richtig. Es wirkt zu sehr auseinandergeschrieben.
guter Hinweis, habe ich umgesetzt.

Das ist keine Auszeichnung Haar wie Stroh zu haben. Oder wolltest du genau das damit sagen, dass die Haar im Grunde genommen zerstört waren?
ja, ich wollte den Gegensatz

Wieso mieden? Meinst du die Kontaktverbote während Corona? Wenn ja, warum dann so verdreht dargestellt. Die Menschen mieden sich ja nicht freiwillig und genau das ist das Wichtige dabei, dass sie gezwungen wurden. Aber wahrscheinlich bin ich grad eh auf dem Holzweg und du meintest gar nicht Corona.
So wie es da steht: Menschen meinen einendere nach meiner Beobachtung, Nähe wird schwieriger.

Herrlich guter Satz. Gefällt mir sehr.
:Pfeif:

Mich hat vom Klang her gestört, dass du jetzt in die Vergangenheitsform wechseln musstest. Wie wäre es, wenn du den Satz mit der Braut vorziehst und ihn dann in die Gegenwart holst? Für mich klänge es harmonischer.
habe ich geändert

Alles schön formuliert und gefällt mir auch, aber ich würde nicht so ein Monstrum von Satz daraus machen, sondern wenigstens zwei draus machen. Ich habe irgendwann mal (für mich) entdeckt, dass man ganz oft super langen Sätzen die eigentliche Wirkung klaut, gerade weil man sie so endlos werden lässt.
ach ja, ich finde schon, dass lange Sätze etwas bewirken, gerade weil sie den Leser (wenn er sie nicht überliest) zu Konzentration Zweingen.

Versteh ich auch nicht. Zehn Tage zwischen Leben und Tod, aber dem Protagonisten kommen sie wie ein Tag vor, aber gleichzeitig dehnt sich die Zeit? Meinst du damit, dass sich ein Tag wie zehn Tage dehnen kann? Aber auch dann würde ich den Sinn nicht verstehen.
Komaerfahrung. Ich habe mehrere solcher Aussagen recherchiert, die Leute sagen, dass sie Zeit nicht mehr im Verlauf verstehen.

Was willst du damit denn sagen? Immerhin geht es ja um den deutschen Pavillon.
die Schäferhunde stehen doch für das fragwürdige Deutschtum, oder?

Du setzt auch hier etwas voraus, dass ich als Leser nicht mitbringe. Wieso musste er Dämonen suchen? Und wieso ist Venedig der richtige Ort?
Er musste mit seinen Traumata zurechtkommen, dafür ist Venedig, die Nebelstadt, der stadtgewordene Traum., perfekt.

Wo kommt jetzt der Sand her?
Aus dem Sandsturm, den er im Komatraum erlebt hat.

Dankeschön, @lakita, hat mir sehr geholfen.

Viele Nachtnebel-, traumnahe Abendgrüße

Isegrims

 

Lieber @Isegrims,

da hast du ja eine verwunschene Welt gezaubert, sehr ästhetisch, ein Strom von Bildern. Ein Mann läuft durch Venedig zur Zeit der Biennale, er hat eine Covid-Erkrankung mit einem sehr schweren Verlauf und eine Zeit des künstlichen Komas hinter sich und die Erinnerungen daran vermischen sich mit den Eindrücken um ihn herum. Diesen Bildern bin ich gerne gefolgt, du formulierst wirklich wunderschön. Auch begegnet ihm immer wieder eine langbeinige Frau mit langen blonden Haaren, mit der er schließlich eine Nacht verbringt. Hier in diesem Teil hätte ich mir mehr Bodenhaftung gewünscht, es sei denn die Frau ist ein Phantasiegebilde, eine Metapher für etwas, dann bräuchte ich darauf einen stärkeren Hinweis. Mit Bodenhaftung meine ich eine echte Begegnung, einen Grund, warum sie hinterher zusammenkommen, z.B. auch eine weniger clichéhafte Beschreibung von ihr.

als ob man sich nur auf diese Weise der Lagune entsprechend verhalten könne, als ob es ein Fieber gäbe, das allein an diesem Ort existiert, Dunst, der zwischen den Kanälen, über San Marco, entlang den Palästen bis dahin weht, wo es echtes Meer gibt, wo das Wasser nach Salz riecht, Fische schwimmen und den Besuchern insgeheim zulächeln.
Das finde ich eine schöne Vorstellung, dass ein Ort ein bestimmtes Verhalten hervorruft.
Auf den Deckengemälden mahnen Engel und Madonnen vom Himmel herab zu Keuschheit und Frömmigkeit, Wesen, die mich aus einer anderen Zeit anstarren und sich wundern, dass welche, die nicht hierher gehören, mit ihren Sneakern Sand und Schmutz und Staub der Welt hereintragen.
auch schön.
Anfangs sammelte sich Schleim im Hals, verklumpte. Klöße formten sich und bahnten sich einen Weg durch den Schlund.
gut, da was Ekliges gegenzusetzen.
Von weitem sehe ich den Schatten, lange Beine, schmale Taille, Haare, die im Takt eines Modelgangs schwingen, wundere mich wie muskulös die Beine wirken.
augenroll :Pfeif:
Die langbeinige Fee schwebt vorbei und verschwindet in einer Gruppe kichernder Schulkinder im nächsten Saal.
Oje, noch mehr augenroll
Ich entdecke meine Träume in den düsteren Farben der Fresken, die bis zu Decke reichen, sehe Schnee- und Feuerlandschaften, das Inferno einer verletzten Landschaft ohne Menschen, den Schrecken des Untergangs, den Himmel, der mitsamt den Sternen auf die Erde stürzt.
Vielleicht hier ein stärkerer Hinweis darauf, dass es um die Komaträume geht?
Ich konnte nicht mehr sprechen, wortlos, verstummt, nichts als Masse, ein Ding, ein Gegenstand. Sie piksten und stachen, spielten mit mir. Ich war eine Puppe, von Nadeln durchbohrt.
ja, so stell ich mir das vor.
Im Touristenmeer zu den Giardina. Manche tragen Hoffnung in den Augen spazieren, als ob das Leben eine romantische Wende nehmen könnte.
Wunderschön
Ein Strich zu viel, der sich dazwischen drängte, ein Fremdling. Und dennoch ein Statement, dem ich keine Bedeutung beimesse. Ein Strich, mehr nicht. Ich überlegte mir, ob ich Cola getrunken habe, welche Abweichungen den Strich hervor gerufen haben, wie die das überhaupt machen, das mit dem Strich. Könnte ja alles gefakt sein, wäre doch gut möglich. Nichts ist sicher, nirgendwo gibt es 100%. Wir konstruieren die Welt aus Wahrscheinlichkeiten. Das verstand ich. Also wartete ich. Erschauerte. Horchte in mich hinein, Der Schrecken kam auf Katzenpfoten. Außerdem: Ich bin stark. Mens sana in corpore sano. Als Kind habe ich Waldluft getankt. Das hat mich abgehärtet, Schwäche erst gar nicht zugelassen.
Diese Stelle hätte ich eigentlich am Anfang vermutet.
Vor dem Pavillon setze ich mich unter einen Baum. Ein Glücksgefühl durchströmt mich, weil ich atme.
Da ist die Verbindung zu dem erlebten Schrecken während der Krankheit.
Weder während der Zeit an der eisernen Lunge, noch danach. Meine Mutter sagte, sie wäre einmal dagesessen, aber es hätte sich nicht gelohnt, einen Leichnam zu betrachten und zuvor die Prozedur über sich ergehen zu lassen.
Und an dieser Stelle ist mein Interesse geweckt, weil es echt was über ihn und seine Einsamkeit aussagt. Das sind ja harte Worte.
Die Menschen hielten weiter Abstand. Umarmungen schienen völlig unmöglich. Ich lernte gehen, sprechen, wurde zum Kind, das sich die Welt erst wieder erobern muss.
Nach so einem Horror, nicht einmal eine Umarmung. Das heißt, er ist echt allein, denn das wäre ja sonst möglich.
Sie hat lange blonde Haare. Ich erkenne ihr Elfengesicht klar und deutlich. Sie nimmt mich wortlos an der Hand. Ich bin glücklich.
Traum?
Sand rieselt von der Bettdecke, von meiner nackten Haut, auf den Boden, als ich aufstehe und aus dem Fenster blicke. Der Dunst über der Stadt ist völlig verschwunden. Ein Sonnentag beginnt.
Den Sand nehme ich wörtlich und finde es schön.

Deine Sprache ist sinnlich, das wäre dann der erotische Teil. Du hast die Geschichte selber nicht mit Erotik getaggt, fällt mir auf. Vielleicht hätte ich es auch noch gut gefunden, etwas mehr Infos einzuflechten zu deinem Protagonisten, z.B. seinen beruflichen Hintergrund. Er nimmt ja auf bestimmte Weise war, sogar seine Komaträume sind die eines intellektuellen, weit gereisten Mannes, ich glaub einen entsprechenden Beruf anzudeuten wäre gut.

Soweit erstmal von mir, ich bin dir gerne durch Venedig gefolgt.

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe @Chutney

Dankeschön, dein Kommentar hilft mir wirklich weiter. Ist ein Text, mit dem ich was ausprobiert habe und den ich größtenteils nachts und ohne größere Unterbrechung geschrieben habe, einem zuvor möglichst präzisen Plan folgend.
Ich habe bisher nichts Grundlegendes geändert, warte den richtigen Moment ab.


da hast du ja eine verwunschene Welt gezaubert, sehr ästhetisch, ein Strom von Bildern. Ein Mann läuft durch Venedig zur Zeit der Biennale, er hat eine Covid-Erkrankung mit einem sehr schweren Verlauf und eine Zeit des künstlichen Komas hinter sich und die Erinnerungen daran vermischen sich mit den Eindrücken um ihn herum. Diesen Bildern bin ich gerne gefolgt, du formulierst wirklich wunderschön.
Gut, dass du dich darauf einlässt. Beim Schreiben habe ich Bilder vor Augen, die ich fassen möchte.

Mit Bodenhaftung meine ich eine echte Begegnung, einen Grund, warum sie hinterher zusammenkommen, z.B. auch eine weniger clichéhafte Beschreibung von ihr.
guter Einwand, wahrscheinlich werde ich bei einer Überarbeitung an der Stelle ansetzen.

Das finde ich eine schöne Vorstellung, dass ein Ort ein bestimmtes Verhalten hervorruft.
Venedig empfinde ich ohnehin als Vexierbild der Träume jedes einzelnen Besuchers, ein Ort, den man auf gewisse Weise niemals in der Realität besuchen kann.

Vielleicht hier ein stärkerer Hinweis darauf, dass es um die Komaträume geht?
mm, du hast es doch auch bemerkt. Aber ja, ich notiere mir die Stelle.

Diese Stelle hätte ich eigentlich am Anfang vermutet.
Chronologisch beschreibe ich den Venedig-Besuch. Die Krankheit und die Erinnerung daran, läuft bei ihm anders, als Teil des Stream of Consciousness.

Du hast die Geschichte selber nicht mit Erotik getaggt, fällt mir auf. Vielleicht hätte ich es auch noch gut gefunden, etwas mehr Infos einzuflechten zu deinem Protagonisten, z.B. seinen beruflichen Hintergrund. Er nimmt ja auf bestimmte Weise war, sogar seine Komaträume sind die eines intellektuellen, weit gereisten Mannes, ich glaub einen entsprechenden Beruf anzudeuten wäre gut.
Auf die Sprache als erotisches Element habe ich gesetzt, den Fokus auf erotische Details, der würde vermutlich nicht passen.
Stimm, ich könnte seinen Hintergrund einfügen, etwas mehr Tell, vielleicht; könnte aber sein, das dann das Gefüge sich verändert, die Balance zwischen Wirklichkeit und Traum. Denke ich drüber nach.

Viele Grüße aus der Taunusnacht
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Als ob es nicht mehrere Arten des Todes und mehrere des Lebens existierten, als ob es nicht Lebende gab, die tot warenKOMMA und Tote, die lebten. Nichts ist wahr, alles Lüge.
...
Die Grauhaarigen hinter mir plappern in einem Dialekt, der nach ausgepressten Limonen klingt.

Hoppela, das kann ich nicht sein, das Grauen auf dem Kopf hält sich bei mir in Grenzen und der restliche Gesichtsschmuck versteckt sich hinter weißem Gekräusel,

lieber oder vllt, doch bitterböser Isegrims,

dat's ja man ’n Werk für'n Traumdeuter -

und dann doch die Frage zum zweiten Satz im Eingangszitat: Was gilt als wahr, was als Täuschung oder gar Lüge, die ja schon im Kauf - hierorts speziell als ein „etwas als wahr[haftig] abkaufen“ durch den Leser/Kritiker daherkommt, dessen höchste Form kapitalistisch geprägt ist. Das mittelhochdeutsche „tuschen“ als „Spaß, Gespött, Schelmerei treiben, unwahr reden“, gar „betrügen“ (vgl.: https://www.dwds.de/wb/Tausch) kommt dem Ursprung des Wortes am nächsten. Wenn dann noch Zeitgeschichte (sei es die Pest oder die Krone [ahd. noch „corona“]) hineinspielte, würde an sich jede Besprechung den Rahmen hierorts sprengen, fürchte ich, dass ich den Eingangssatz um ein Brecht-Zitat erweiter, wenn B. fragt, wie lange die Werke dauern und beginnt

»Wie lange
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen
Verfallen sie nicht.«
(aus Brecht: „Über die Bauart
langdauernder Werke“)​

was mich nicht von der Flusenlese oder Nachfragen abhalten kann:

Welke Blätter des letzten Jahres wehen über die Straße. Überbleibsel. So wird der Winter gemeinhin vertrieben.
Na – ich guck Richtung Fußballplatz und Revierpark über eine Allee, da liegen neben den einzelnen Blättern des Vorjahres bereits aktuellere ...

Ich habe Eva dann doch nicht getroffen, nicht im Herbst, nicht im Winter, nie.
Aber Adam (hebr. „Mensch“)!, die Schöpfungsgeschichte berichtet doch über das Leben (hebr. „Eva“) all-gemein ...

Ein Familienvater hält sein Smartphone wie ein Schwert, die Kinder folgen ohne von ihrem aufzublicken.
Geht das heutzutage gut, wenn zwei und mehr Kinder sich EIN Phone teilen müssen? Oder meintestu Plural: "ohne von ihren ..."?

Schönes Wortspiel:

Die Stadt besteht aus Illusionen, sage ich mir, dem Thomas-Mann-haften all der Erzählungen, die hier ihren Ursprung nahmen, …

Tage und Nächte durchdrangen, als ob man sich nur auf diese Weise der Lagune entsprechend verhalten könne, als ob es ein Fieber gäbe, das allein an diesem Ort existiert, …
Warum der Einbruch in Konjunktiefen, wenn der Indikativ den Nagel auf den Kopf trifft
... als ob man sich nur auf diese Weise der Lagune entsprechend verhalten kann, als ob es ein Fieber gibt, das allein an diesem Ort existiert, …

Hier mal was zur Aufheiterung, als ich den Genitiv

Von weitem sehe ich den Schatten, lange Beine, schmale Taille, Haare, die im Takt eines Modelgangs
als ['mɔdl’ɡɛŋs] interpretierte ...
... aber der Satz muss weiter zitiert werden
schwingen, wundere michKOMMA wie muskulös die Beine wirken.
denn „wie“ leitet einen vollständigen Satz ein (sogar in zweifechem Sinne, ohne wie als Aussage-, mit als Fragesatz oder Erstaunen „wie muskulös wirken die Beine?“

Ich spüre einen Lufthauch, der an mir vorbeistreift, so nahe, dass meine Haut erzittert, reagiere aber nicht schnell genug. Die langbeinige Fee schwebt vorbei und verschwindet in einer Gruppe kichernder Schulkinder im nächsten Saal.
https://www.openthesaurus.de/synonyme/vorbei nennt schwindelerregend viele Synonyme zu „vorbei“

Sie näherten sich, schnappten zu, öffneten und schloßen, formten Zugänge zu meinem Innern.
Da missachtestu ein bisschen einen der sinnvolleren Vorlagen der Rechtschreibreform, lange Silbe (Fuß) und kurzsilbig (Fluss) ...

Vergessen breitete sich aus. Ich wurde in die Traumwelt geworfen und sah Bilder in endloser Reihe. Mao-Tse Tung.
Alte Schreibwaise (keine bange, ich sprech den Namen auch so aus), „Mao Zedong“ kommt der chinesischen Aussprache wohl näher ...

sozusagen folgt eine „Zeichenwende“ hier

Also wartete ich. Erschauerte. Horchte in mich hinein, Der Schrecken kam auf Katzenpfoten.

Aus dem Maul ragt etwas, das ich erst wahrnehme, als er es vor meinen Füßen fallen läßt, einen Greifvogel, so riesig, dass ich ihn für einen Adler hielt.

Jetzt kommt eine Phase des Konzentrationsverlustes
Stattdessen beginn es, an mir zu knabbern, …

Sandkörner schlagen wir Geschosse ein.
In der Menge entdecke ich einen hoch gewachsenen Mann in den Sechzigern, …
hochge...

Wenn es mir doch einmal gelang, die Distanz zu verringern, sah ich durch den Schleier eines Wasserfall ein Trugbild.
...falls

Ich empfing keine Besucher.
Du weißt, was itzo kömmt?!
Ob ich den verborgenen Bürokratismus je bei auch einem einzigen Menschen hierorts rauskriege, bezweifel ich inzwischen, wenn es um die Frage geht, haben Sie Kinder, antworte ich wahrheitsgemäß mit nein, denn nicht nur der Chinese kennt Ein-Kind-Familien ...

Oder sollte ich des Kindeskind hinzufügen und schwindeln?

Künstliches Koma sagten sie, als ich sie mich aus den Träumen rissen.

Sie hat langeKOMMA blonde Haare. I

Eigentlich brauchte ich nun ein Bier … aber das wird wohl bald reichlich genug fließen … Aber wie immer (und da schwindel ich nicht),

gern gelesen vom

Dante FRiedchen

 

Lieber @Isegrims ,
längst wollte ich deinen Text kommentiert haben, aber wie es so kommt...
Venedig, Tod und Erotik in einer hm sagen wir mal nicht nur postmodernen, sondern gar postitalienischen, wenigstens postvenizianischen, sehr deutschen Variante?
Wir haben eine riesenlange blonde weibliche Elfe (keine Italienerin, soviel steht fest), Anselm Kiefer und von Venedig: Silhouette, Biennale und ein paar Touristen. Post-Thomas-Mann-haft?
Anspruchvolles Setting jedenfalls. Die Prämisse, dass Venedig nicht mehr existiert (also nichts mehr als feuchte Luft mit internationaler Kunst zwischen alten, nassen Steinen): stattgegeben. Die Nahtoderfahrung wg. Corona: sehr gern, gut geschrieben und noch nicht so gelesen. Danke dafür. Aber so gern ich mit dem Protagonisten und seiner Todesnähe durch ein mehr oder weniger verstorbenes Venedig spaziere: wenn es um die Begegnung mit der blonden, langbeinigen Elfe geht, stecke ich fest. Wenn sie real ist, warum wartet sie auf ihn? Warum nimmt sie ihn bei der Hand? Ist er so schön, blond, langbeinig und jung? Und wenn sie sein Tod ist, warum dann das zerwühlte Bett?
Aber wie gesagt, du hast dir da ganz schön was aufs Tablett geladen, und ich habe gern die Ausstellungen nachgegoogelt und bin mit dir und Mr. Protagonista herumspaziert.
Nun zum Kleinkram:

dem Thomas-Mann-haften all der Erzählungen, die hier ihren Ursprung nahmen,
Da bin ich so sehr stecken geblieben, das hat mich glatt eine Woche gekostet. Das Thomas-Mann-hafte von Shakespeares Kaufmann von Venedig? Von Casanovas Memoiren? Balzac, Hoffmann, Byron? Wenn wir an die Verbindung von Erotik und Tod in Venedig denken, müssten wir von der Casanovahaftigkeit von Thomas Manns "Tod in Venedig" reden, oder?
Von weitem sehe ich den Schatten, lange Beine, schmale Taille, Haare, die im Takt eines Modelgangs schwingen, wundere mich wie muskulös die Beine wirken.
"Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und
kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen, konnte nur der vom
Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt...."usw.
(soviel ich glaube Schopenhauer zur Kurzbeinigkeit der Frauen.) In der Tat, das derzeitige Schönheitsideal bindet Frauen Männerbeine an den Hals. Das ist keine Kritik an deinem Text, eher gut beobachtet.
Ich frage mich, in welchen die Kreuzzüge ausgebrütet wurden.
Ich weiß nicht, ausgebrütet wurden die Kreuzzüge ja im Grunde in Rom.
einer verletzten Landschaft ohne Menschen
Sehr schön.
Ich als Kind im Kornfeld, lächelnd
auch hübsch
Giardina.
Giardini? Giardino, plural Giardini. Die Ausstellungsräume der Bienneale: Giardini.
Manche tragen Hoffnung in den Augen spazieren, als ob das Leben eine romantische Wende nehmen könnte.
Naja, tut, der Protagonist das zufällig nicht? Elfen?
bis das Band ihn limitiert.
Hübsch, aber auch eigenartig. Der von der Leine limitierte Hund.
Sandkörner schlagen wir Geschosse ein.
wie
Ich streichle die Statue aus Obsidian, eine Frau, die den Boden wischt,
Ups. Vielleicht ein Punkt, bevor wir am Ende die Frau streicheln, die den Boden wischt? Was würde die Elfe denken!
womöglich gerade dort die Schattengestalt treffe, nach der ich mich suche,
sehne?
sie wäre einmal dagesessen,
geeeeeeeht aber "dagewesen "? Wäre das nicht eher das, was sie gesagt hätte?

In jedem Fall entschuldige die Kürze, aber mich tritt hier schon eine ungeduldige Katze: Schlafenszeit. Gern gelesen,

lieben Gruß
Placidus

 

Liehen Dank @Friedrichard und @Placidus für eure so wertvollen Kommentare…
Ich bin viel unterwegs zur Zeit … manchmal ohne wifi und Strom und hoffe bald ausführlich antworten zu können …
Viele Grüße aus der Ferne
Isegrims

 

Bevor ich meiner Lust folge auch wieder die Texte anderer AutorInnen zu kommentieren, muss ich noch zwei besonders schöne Kommentare würdigen.

Lieber @Friedrichard

Ich hoffe, Du hattest ausreichend Freude am Ende und dem Beginn des neues Jahres, genügend Bier und Labsal. :D

Wie schon so oft und kaum oft genug erwähnt, vielen Dank für Deinen präzisen Kommentar, den überraschenden Einsichten und Zitaten und dem Lektorenblick, der die meisten Fehler offenlegt.


dat's ja man ’n Werk für'n Traumdeuter - und dann doch die Frage zum zweiten Satz im Eingangszitat: Was gilt als wahr, was als Täuschung oder gar Lüge, die ja schon im Kauf - hierorts speziell als ein „etwas als wahr[haftig] abkaufen“ durch den Leser/Kritiker daherkommt, dessen höchste Form kapitalistisch geprägt ist. Das mittelhochdeutsche „tuschen“ als „Spaß, Gespött, Schelmerei treiben, unwahr reden“, gar „betrügen“ (vgl.: https://www.dwds.de/wb/Tausch) kommt dem Ursprung des Wortes am nächsten.
Ja, was ist wahr, was ist Traum, wo beginnt, wo endet Wirklichkeit, eine Frage, die unsere Zeit prägt.

»Wie lange
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen
Verfallen sie nicht.«
Oha, schönes Zitat!

Du weißt, was itzo kömmt?!
Ob ich den verborgenen Bürokratismus je bei auch einem einzigen Menschen hierorts rauskriege, bezweifel ich inzwischen, wenn es um die Frage geht, haben Sie Kinder, antworte ich wahrheitsgemäß mit nein, denn nicht nur der Chinese kennt Ein-Kind-Familien ...

Oder sollte ich des Kindeskind hinzufügen und schwindeln?
Äh ne, wees ick nich .... Den Satz habe ich zwar geändert: Niemand besuchte mich, aber was das mit den mittlerweile drei erlaubten Kindern in China zu tun hat, ?

Eigentlich brauchte ich nun ein Bier … aber das wird wohl bald reichlich genug fließen … Aber wie immer (und da schwindel ich nicht),
Zur Zeit trinke ich gern Budweiser :D oder IPA.

Viele Grüße und die allestbesten Wünsche fürs neue Jahr
Isegrims

Liebe @Placidus

Mag sein, dass der Text den LeserInnen etwas abverlangt, aber wenn er ein paar Splitter der Wirklichkeit zeigt, die sich festsetzen, dann bin ich als Autor glücklich.

Wir haben eine riesenlange blonde weibliche Elfe (keine Italienerin, soviel steht fest), Anselm Kiefer und von Venedig: Silhouette, Biennale und ein paar Touristen. Post-Thomas-Mann-haft?
Anspruchvolles Setting jedenfalls.
Na ja, die blonde Elfe ist eine persönliche Reminiszenz und Venedig nehme ich als Traum wahr, zu der ein solches Wesen, aber auch TM passen.

Die Prämisse, dass Venedig nicht mehr existiert (also nichts mehr als feuchte Luft mit internationaler Kunst zwischen alten, nassen Steinen): stattgegeben. Die Nahtoderfahrung wg. Corona: sehr gern, gut geschrieben und noch nicht so gelesen. Danke dafür.
:Pfeif:

Wenn sie real ist, warum wartet sie auf ihn? Warum nimmt sie ihn bei der Hand? Ist er so schön, blond, langbeinig und jung? Und wenn sie sein Tod ist, warum dann das zerwühlte Bett?
Aber wie gesagt, du hast dir da ganz schön was aufs Tablett geladen, und ich habe gern die Ausstellungen nachgegoogelt und bin mit dir und Mr. Protagonista herumspaziert.
Warum sollte sie real sein, muss sie das überhaupt?

Da bin ich so sehr stecken geblieben, das hat mich glatt eine Woche gekostet. Das Thomas-Mann-hafte von Shakespeares Kaufmann von Venedig? Von Casanovas Memoiren? Balzac, Hoffmann, Byron? Wenn wir an die Verbindung von Erotik und Tod in Venedig denken, müssten wir von der Casanovahaftigkeit von Thomas Manns "Tod in Venedig" reden, oder?
Klar, stimmt natürlich, zum Themai Venedig lassen sich viele Anspielungen gestalten. Ich war fast versucht, das George-Clooney-Hafte zu schreiben, hätte auch gepasst.

Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und
kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen, konnte nur der vom
Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt...."usw.
Männer halt:lol:
In jedem Fall entschuldige die Kürze, aber mich tritt hier schon eine ungeduldige Katze: Schlafenszeit. Gern gelesen,
Entschuldige die lange Wartezeit und auch Dir ein perfektes neues Jahr!

Venedigsehnsuchtsgrüße
Isegrims

 

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