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Mord in den Bergen

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08.11.2010
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Mord in den Bergen

Ich stand auf dem moosbewachsenen Stein und blickte hinunter ins Tal. Es war ein klarer Morgen. Leichte Nebelschwaden zogen zwischen den Tannenwäldern hindurch, schwebten empor und lösten sich auf. Im Tal, zwischen den Hängen, schlängelte sich eine einsame Landstraße entlang. Die verfallene Burg, in deren Ruinen ich jetzt stand, war auf einer Anhöhe, die sehr karg und spärlich bewachsen war. Nur einige dornige Sträucher wuchsen hier.
Es war Zeit, aufzubrechen.

Ich war am frühen Morgen vom Hotel aus losgegangen. Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, einige rosa Wölkchen trieben am Horizont vor sich hin, Akazien und Zypressen säumten den Weg und die Felder. Bis auf das Zwitschern der Vögel herrschte eine geradezu majestätische Stille.
Ich ließ mir Zeit, kam aber trotzdem gut voran. Bereits nach einer Stunde hatte ich den Weg erreicht, der zur Burgruine führte. Rechts und links des Weges erstreckten sich Felder, es gab Weinberge, Kirschbäume, Lavendelfelder und grüne Sträucher, die vereinzelt und vor allem am Wegesrand auftauchten.
Nach zwei Stunden legte ich die erste Rast ein, auf einer Bank am Straßenrand.
Wenig später erreichte ich die Anhöhe. Die Vegetation wurde kahler, der Pfad steiniger. Er führte steil nach oben. Als ich die beeindruckende Ruine erreichte, war ich erschöpft. Ich setzte mich auf einen Stein und trank einen kräftigen Schluck Wasser. Und dann sah ich ihn.
Wie ein Walross schnaufend stampfte er hoch, mit einem großen Rucksack auf dem Rücken und einem verschwitztem Hemd. Er war mir sofort unsympathisch. Er jedoch nickte mir zu und setzte sich zu mir auf den Stein.
“Schöner Tag heute, was?”, fragte er.
Ich nickte. “Ja, wirklich.”
Nach einer Weile des Schweigens meinte er: “Bin heute morgen, also vor ein paar Stunden, vom nächstgelegenen Ort aufgebrochen. Tolle Strecke.”
Er holte eine Flasche Schnaps hervor und trank einen kräftigen Schluck.
“Sind Sie im Urlaub hier?”, wollte ich wissen.
Er schüttelte den Kopf.
“Eigentlich nicht. War auf der Beerdigung meines Großonkels.”
“Mein Beileid.”
“Oh, ich hab’ ihn nicht sonderlich gemocht.”, meinte er.
“Was hat er hier gemacht?”, fragte ich.
“Er hat ganz hier in der Nähe gearbeitet, am Forschungszentrum. Hat an Giftstoffen gearbeitet.”
Ich hob die Augenbrauen.
“Hört sich interessant an.”
“Ist es auch. Ist es absolut. Da gibt es beispielsweise ein Gift, dessen Dämpfe einen in wenigen Sekunden töten. Erst wird einem schwindlig, dann versagt die Atmung.”
“Und an wen verkauft man so was?”, wollte ich wissen.
“Viele an die Pharmaindustrie. Aber den Stoff nicht. Das war ein Spezialauftrag fürs Militär. Hat ihm richtig viel Geld eingebracht.”
In meinem Gehirn regte sich etwas.
“Und… und wer erbt das ganze?”
Er lachte.
“Ich. Sein einziger lebender Verwandter. Deshalb bin ich ja vor allem hier. Er hatte alles Geld in einem Schließfach. Er ist unglaublich misstrauisch.”
“Aha.”
“Und er hasst die Menschen. Am liebsten hätte er es, glaube ich, wenn niemand an das Geld käme.”
“Sowas gibt’s.” Ich musste ihn bei Laune halten, damit er keinen Verdacht schöpfte. Es war ungerecht, dass ich völlig pleite war, während dieser ungehobelte Wanst ein Vermögen erbte.
Aber das würde ich zu ändern wissen.
“Ein Schließfach in einem Hotel.”, murmelte er nachdenklich. Es schien, als hätte er meine Anwesenheit ganz vergessen. “Im nächsten Ort. Da hab’ ich einen Abstecher hierher gemacht.”
Meine Hand umfasste einen Stein.
“Also dann.”, sagte er und erhob sich. “Dann gehe ich mal wieder weiter. Schönen Tag noch!”
Er streckte mir zum Abschied die Hand entgegen.
Ich hob den Stein.
Er wurde bleich im Gesicht und stolperte ein paar Schritte zurück. “Das ist… das ist doch nicht ernst gemeint, oder?”, stammelte er. “Das ist nicht ernst gemeint, nicht? Nicht wahr? Ich…”
Das letzte, was er gesehen hat, muss der Stein gewesen sein.

Ich stand auf dem moosbewachsenen Stein und blickte hinunter ins Tal. Es war ein klarer Morgen.
Neben mir lag die Leiche des Mannes. Ich hatte seine Taschen und seinen Rucksack durchsucht und den Schlüssel zum Schließfach gefunden. Und die Adresse des Hotels.
In einer Stunde konnte ich im Ort sein. Ich schleifte die Leiche ins Gebüsch, wo sie so bald niemand finden würde, und ging los.
Der Weg zurück verlief ohne besondere Vorkommnisse. Der Himmel verdunkelte sich. Es begann zu nieseln. Ich beeilte mich, um im Ort zu sein, bevor es vielleicht zu regnen anfing.
Ich ging ins Hotel. An der Rezeption erklärte ich, dass ich zu meinem Schließfach wolle, aber den Weg nicht mehr genau wisse. Nachdem der Portier ihn mir gezeigt hatte, wartete ich, bis er gegangen war. Dann öffnete ich das Fach.
Das erste, was ich sah, war ein zerbrochener Glaskolben und eine grünliche Flüssigkeit, die sich darum herum ausbreitete. Dann nahm ich den Geruch wahr. Meine Sinne schwanden, mir wurde schwindlig.
Am liebsten hätte er es, wenn niemand an sein Geld käme, hatte der Mann gesagt.
Ich brach zusammen.

 
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Hallo barki33,

herzlich willkommen hier!

Gelegenheit macht Mörder, und Habgier, in Kombination mit einer Notlage, ist ein starkes Motiv. Dennoch klingt „… völlig pleite …“ etwas zu flapsig. Das würd ich erheblich dramatisieren, sonst findet sich zwischen Charakter der Hauptfigur und der Handlung eine für den Leser schwer zu bewältigende Schieflage.
Denn der Ich-Erzähler ist, wie eingangs beschrieben, ein recht sensibler Mensch, er wandert und erfreut sich an der Natur. Auch die Bemerkung, das „Walross“ sei ihm unsympathisch, deutet darauf hin, das er Menschen in der Regel sympathisch findet.
Diesen Kriterien müsste ein ausreichender Grund gegenübergestellt werden, der zeigt, dass ein „normaler“ Mensch sich zu so einer Tat befähigen kann. Dann wär die Story um einiges glaubhafter und auch denkwürdiger.

Am Ende geht der Mörder leer aus und stirbt sogar. Dazu muss ich einige Bedenken anmerken:

An der vermittelten Moral: „Verbrechen lohnt sich nicht“, ist nichts auszusetzen. Ich frage mich aber, ob so ein kleines Schließfach luftdicht abschließt. Die offene Ampulle mit der vergasenden Flüssigkeit liegt dort ja einige Tage, ohne das Personal zu schädigen.

Auch bleibt zum Schluss die Frage: Wo ist das Geld geblieben? Hat der Großonkel es vergraben oder verbrannt, bräuchte er seinen Neffen nicht umbringen. Hat er es auf einem Konto, würde nach dem Tod des Letzten in der Erbfolge der Staat erben, was sicher nicht im Sinne des Menschenfeindes sein kann.

Und: Es ist immer suspekt, wenn der Ich-Erzähler am Ende den Tod findet. Wie konnte er dann die Geschichte, zumal in der Vergangenheitsform, erzählen?

Die ersten zwei Absätze enthalten sehr viele doppelte Informationen. Da kannst du einiges kürzen.

Deine Geschichte hat interessante Ansätze, es müsste nur noch ein bisschen dran gefeilt werden, damit es eine wirklich runde Sache wird.

Gruß

Asterix

 

Hallo barki33,

auch von mir ein herzliches Willkommen bei kg.de!

Die Geschichte war flüssig zu lesen. Was mir nicht so gut gefiel, war der Anfang, der mir ein bißchen zu sehr auf das Prinzip Zufall zugeschnitten war. Pleiter Wanderer trifft reichen Erben, der ihm frank und frei von seiner Erbschaft erzählt.

Der Schluss gefiel mir wiederum sehr gut. Geschieht ihm Recht!

Gruß

Leia4e

 

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