Moscheebau zur Hansestadt
Wir waren ein friedfertiges und ruhiges Städtchen, gelegen in der Nähe eines malerischen Sees. Besonders geschätzt wurden wir für unsere angenehme, ruhige Atmosphäre und vor allem für unsere Gastfreundschaft. Jeder verstand sich mit dem anderen; alle waren stets hilfsbereit, freundlich und nett zueinander.
Die gleiche Einstellung hegten wir unseren Gastarbeitern gegenüber, waren sie doch emsig, genügsam und durchaus belastbar, was körperliche Arbeit betraf.
So sahen wir oftmals über ihre Anpassungsschwierigkeiten hinweg und tolerierten auch, dass sie untereinander stets in ihrer eigenen Muttersprache konversierten. Zugegeben, etwas unhöflich war das uns gegenüber schon, schließlich verstanden wir ihre Heimatsprache nun mal nicht – was ihnen wohl im sprachkundigen Bereich ein gewisses Gefühl der Überlegenheit verlieh. Aber diese Überheblichkeit ward den Gastarbeitern mit Leichtigkeit verziehen, nichtsdestotrotz vernachlässigten sie ihre Pflichten dadurch ja nicht!
Von Zeit zu Zeit wurde es uns doch etwas zweifelhaft zumute, die Gastarbeiter schließlich berühmt für ihre Gastfreundschaft waren, diese Tugend jedoch als Privileg auffaßten. Potentielles Aufzeigen von Erkenntlichkeit verwehrten sie uns permanent, sogar das Einladen einer beliebigen Gastarbeiterfamilie zum Essen blieb aussichtslos. Dabei konnten wir uns nur schwer erklären, wie man gepökeltes Schweinefleisch – auf Wunsch sogar gekocht – garniert mit Knödeln aus einheimischem Anbau; die ganze Chose serviert in Rotweinsauce und angereichert mit einem großen Glas Bier, bloß ablehnen konnte? Na ja, mit der Zeit hatten wir uns auch an diese sture Verhaltensweise gewöhnt und verschwendeten keinen müden Gedanken mehr daran. Andere Länder, andere Sitten – wie sollten wir uns schon dagegen sträuben?
Trotz allem schlugen wir die Einladungen unserer Gastarbeiterfreunde auf ein Gläschen Tee kaum aus. Gern hörten wir dabei über ihr unreines Deutsch hinweg, das die Unterhaltung mit ihnen nicht nur unerheblich beeinträchtigte, uns aber auch einigermaßen zum Schmunzeln animierte! Selbstverständlich vermieden wir es, die unrichtigen Laute auszubessern - in Anbetracht unser aller Bescheidenheit – denn kränken wollten wir unsere Gastarbeiterfreunde nicht. Immerhin waren sie Gäste in unserem Land und als solche genossen sie das Recht, Unterhaltung in der von ihnen erwünschten Art und Weise zu führen. Mit Wohlwollen paßten wir unser Sprachverständnis dem ihrigen an und ließen der brüchigen Konversation freien Lauf. Es machte uns nichts aus, wir waren gerne mit unseren Gastarbeiterfreunden zusammen, da sollte es nicht gerade dieses Kauderwelsch sein, das uns auseinander brachte. Obwohl wir manchmal feststellen mußten, dass wir dabei ihren Ansprüchen nicht so ganz genügten, machten sie doch oftmals eine beleidigte Miene. Das sollte uns aber nicht weiter stören, letzten Endes konnten wir den Akzent nicht immer so gut setzen wie unsere Gastarbeiterfreunde, bereitete uns dieser Mangel insofern kein schlechtes Gewissen.
Wir konnten beim besten Willen nicht nachvollziehen, als die Gastarbeiter plötzlich im Rathaus ein Bittgesuch für den Bau einer Moschee einreichten.
Sie hatten doch alle Freiheiten gehabt, was den Austausch ihrer Kultur anging?! Eigens für ihren Nachwuchs hatten wir doch Schulklassen eingerichtet, wo die Gastarbeiterkinder sich auf dem selben geistigen Niveau entwickeln konnten wie ihre Eltern, ihre Sprachkenntnisse erweitern und anderweitige Themengebiete vertiefen. Zudem blieben jegliche Gastgeberkinder diesen Klassen fern, um auch ja nicht den Lernprozeß zu stören oder gar die geistige Entwicklung zu beeinträchtigen.
Sogar die Eröffnung eines Teehauses hatten wir den Gastarbeitern gestattet, wo die Gastarbeiterväter sich an arbeitsfreien Wochenenden zu einem Kartenspiel trafen, nebenbei den Fernseh- und Radiosendern ihres Heimatlandes lauschten, dazu zwei drei Gläschen Tee tranken. Natürlich war auch dies für uns unverständlich, denn Tee hatten sie in ihren Häusern in ausreichendem Maße, wenn sie sich unbedingt nach Gesellschaft und Unterhaltung sehnten, so konnten wir ihnen auch diese bieten – wozu hatten wir denn unsere Kneipen?
Das war anscheinend nicht gut genug für unsere Gäste.
Die Absicht, unbedingt eine Moschee bauen zu wollen, bereitete uns etwas Kopfzerbrechen. Allmählich sorgten wir uns um unsere kulturelle Existenz. An die Nichtteilnahme der Gastarbeiter an unseren wöchentlichen Gottesdiensten in unserer Kirche waren wir längst gewöhnt. Mithin akzeptierten wir, dass sie als Zahlungsträger von der Kirchensteuer ausgeschlossen wurden. Aber einfach unsere Gutmütigkeit ins Extreme auszunutzen und ein Monument fernab jeglicher positiver Toleranzvorstellungen errichten zu wollen, ging wahrhaftig zu weit.
Ergo ergriffen wir, Bürger zur Hansestadt, die Initiative und riefen zu einer Versammlung auf. Alles, was Rang und Namen hatte, war erschienen, einschließlich Vertreter der politischen Szene.
Zur Debatte stand das Vorhaben der Gastarbeiter: Bau einer Moschee.
Begleitet wurde die ganze Diskussion von der örtlichen Presse, die eigens für diese Tagung die Titelseite reserviert hatte.
Nach heftiger verbaler Auseinandersetzung kam man zum einstimmigen Ergebnis, im vorliegenden Falle zumindest den Rechtsweg auszuschöpfen. Somit erhofften wir, Bürger zur Hansestadt, uns zunächst Beistand durch die juristische Instanz, das Bundesverfassungsgericht.
Die Beschwerdeführer, eine gewählte Delegation aus den Bürgerreihen zur Hansestadt, klagten gegen die Gastarbeiterfront, der der Entwurf des Planes für den Bau der Moschee zur Last gelegt wurde. Begründet wurde die Klage mit der Behauptung, der Bestand eines solchen Monumentes, welches der Gastgeberbevölkerung äußerst schwer zugänglich sei, hemme die fortwährende Integration der Gastarbeiter, da man im Falle einer Errichtung nur noch untereinander kommunizieren könne. Fürderhin wurde vorgeworfen, dadurch die Kulturoffenheit und Völkerverständigung zu dämmen.
Als schwerwiegendsten Aspekt trug man vor, durch die Nutzung derartiger Gebäude könne außerdem die geistige Entwicklung der Kinder beeinträchtigt werden, zumal die Gebetsrufe als auch die Gebete selbst – bei Einhaltung der vorgeschriebenen Mengen und Fristen – Schlaf- und Lernstörungen verursachen könnten. Die enorm negative Auswirkung auf das Bildungsniveau und später auf die Wirtschaft sei nicht auszuschließen, so die Delegation.
Die Beschwerdeführer schienen ihren letzten Glauben an die Gerechtigkeit für immer verloren zu haben, als ihre Klage mit der Zuschrift „unbegründet“ abgewiesen wurde. Solch eine Demütigung von seiten der rechtlichen Instanz ließ den Wunsch nach einem unmittelbaren Gegenschlag als konsequent erscheinen. Nun waren auch andere Mittel willkommen, über deren ethische und moralische Vertretbarkeit in Anbetracht anhaltender Verzweiflung nicht lange diskutiert wurde.
Widerwillig gab das Rathaus zunächst sein Einverständnis für den Bau dieser Moschee.
Die positive Antwort auf ihr Gesuch betörte die Gastarbeiter in unbeschreiblichem Maße. Mit wahnsinnigem Übereifer und voller Tatendrang machten sie sich an die Arbeit, ihr Gebetshaus Stein um Stein und Meter für Meter zu errichten.
Die Tage vergingen und der Bau der sagenumwobenen Moschee schritt voran. Dennoch sollte das letzte Wort noch nicht gesprochen worden sein. Mit der emotionalen Belastung, von der rechtlichen Instanz im Stich gelassen worden zu sein, mussten wir, Bürger zur Hansestadt, uns nun selbst helfen.
Auf dem Marktplatz wurden Vorträge gehalten, deren Ziel es war, die gesamte Bürgerschaft zum Widerstand zu mobilisieren:
Soll man etwa zulassen, dass Muezzinrufe unsere Kirchenglocken übertönen, ja, mit der Zeit sogar die Kirche ganz verdrängt wird?!
Soll es soweit hinauslaufen, dass nur noch Muslime in unserer Hansestadt anzutreffen sind?!
Sollen wir in Bälde nur noch Ramadan feiern statt Fronleichnam?
Sollen unsere Frauen und Töchter alle verschleiert werden?
Die Vorträge fanden energische Zustimmung, die sich in euphorischem Beifall erklingen ließ.
Gleichzeitig wurden Flugblätter verteilt, deren Bekundungen durch Mark und Bein gehen sollten: Döner und Kuskus an Weihnachten statt Gans und Kartoffel?
Bald nur noch Muslime in der Stadt?
Lasst uns dieser teuflischen Bekehrung entgegenwirken, bevor sie uns und unsere Kinder eingeholt hat!
Da war das Stichwort: Bekehrung. Man konnte erkennen, wie die innere Unruhe der Bürger zur Hansestadt immer mehr in Gehässigkeit ausartete.
Sabotageakte folgten. Faules Obst und Gemüse fielen auf die Gemäuer des Neubaus. Kinder spuckten im Vorbeigehen auf die halbfertigen Steinmassen.
Auch die Medien verfolgten standhaft das Geschehen. Der aktuelle Stand der Dinge ging täglich durch die Presse. Reporter waren vom Ort des Geschehens nicht mehr wegzudenken.
Sogar einen Nahost - Experten hatte man hinzugezogen, der täglich die aktuelle Lage kommentierte.
Um zu zeigen, dass man nicht jeglichen Sinn für Gleichheit und Demokratie verloren hatte, wurde eine Fernsehdiskussion veranstaltet, bei der sich ein Islamwissenschaftler gegenüber dem städtischen Nahost - Experten behaupten sollte.
Zwei Aspekte machten den Bürgern zur Hansestadt besonders zu schaffen: eine mögliche Verschleierung und die möglicherweise daraus resultierende, unvermeidbare Bekehrung.
Der Islamwissenschaftler versuchte allem Widerstreben zum Trotz die Gemüter der Bürger zu beruhigen und versicherte, dass man von keiner Gefahr ausgehen müsse, was eine mögliche Bekehrung betreffe. Man dürfe die Sachlage nicht verschleiern und alles so schleierhaft betrachten.
Der Nahost Experte ließ sich durch die nervtötend beruhigende Stimme seines Gegenübers kaum beirren. Er selbst sehe den Sachverhalt überhaupt nicht verschleiert, ganz im Gegensatz zur geführten Diskussion. Man müsse sich die Situation erst einmal vergegenwärtigen!
Die Auseinandersetzung endete, ohne dass den Bürgern zur Hansestadt ihre innersten Befürchtungen ausgetrieben werden konnten. Die Angst vor einer möglichen Bekehrung hielt weiterhin an, sie wurde sogar mit jedem Tag, an dem der Bau der Moschee fortschritt, größer.
Man unterband schließlich jede Art von Konversation mit den Gastarbeitern, um der Gefahr zumindest eine geraume Zeit vorzubeugen. Dies führte soweit, dass wir, Bürger zur Hansestadt, schließlich jeglichen Kontakt mit den Gastarbeitern abbrachen und sie vollends ignorierten. Somit war die Gefahr vor einer Bekehrung auf unbestimmte Zeit gebannt...
Die Tage eilten dahin, wobei man die Bürger kaum noch über die Moschee reden hörte; das Verhältnis zu unseren Gastarbeitern hatte seinen Tiefpunkt erreicht und beidseitige Harmonie und Toleranz wurden gegeneinander aufgehoben.
Schließlich stand die Moschee inmitten unserer Hansestadt, in ihrer vollen Pracht und ihre Kuppel überragte sogar unseren Kirchturm und reichte weit hinauf zum Himmel.
Die Gastarbeiter blickten voller Zuversicht auf ihr neu errichtetes Gebäude, ihr Gebetshaus, Stolz und triumphale Freude über den Sieg über ihren Gastgebern konnte man von ihren Augen ablesen. Doch wer zuletzt lacht...
Am Wochenende sollte die Moschee bereits eingeweiht werden und man sollte zum Eröffnungsgebet rufen. Die Gastarbeitergemeinde versammelte sich vor der Moschee, nach einer kurzen Einweihungsrede des Gebetsvorstehers konnte man eintreten.
Nachdem man sich der rituellen Waschung unterzogen und sich in den Reihen des Gebetszimmers einen Platz ausgesucht hatte, erklärte sich der Islamwissenschaftler bereit, zum ersten Gebet in der neuen Moschee zu rufen. Kaum hatte er dazu die erforderliche Stellung eingenommen, traten wir, Bürger zur Hansestadt, angeführt von unserem Nahost - Experten, zum Vorschein und füllten die Zwischenräume des Gebetszimmers auf.
Bürger, die keinen Platz fanden, breiteten sich innerhalb der ganzen Moschee aus. Verwunderte Blicke von seiten der Gastarbeiter ließen uns nicht ablenken. Auch wir nahmen die erforderliche Stellung für das bevorstehende Gebet ein. Wenn sich nämlich die Gastarbeiter schon nicht uns anpassen, dann tun wir es!
Außerdem holen wir - prinzipiell gesehen - lieber selbst die Bekehrung ein als dass die Bekehrung uns einholt!