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Nachbarschaftshilfe

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04.08.2001
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Nachbarschaftshilfe

Als meine Mutter starb, zog ich in eine kleinere Wohnung. Mein Bruder war schon vor Langem in Richtung Amerika ausgewandert, sodass niemand mehr da war, auf den ich hätte Rücksicht nehmen müssen.
Das Haus war ein großes, graues Gebäude, mindestens hundert Jahre alt, in einer ruhigen Umgebung gelegen. Unfreundlich, aber ruhig. Es kümmerte niemanden, ob ich hier wohnte oder nicht; zu der Ruhe kam die Anonymität der Gegend.
Im Haus war mir niemand bekannt, ich gab mir auch keine Mühe, jemandem näher zu kommen. Wenn ich das hohe, dunkle Treppenhaus hinab ging, herrschte abweisende Leere, und bis auf die Putzfrau sah ich selten jemanden hinauf- oder hinuntersteigen. Die Aufwartefrau allerdings sah ich jedes Mal. Ich konnte gewiss sein, dass sie immer irgendwo auf Knien und in sich gekehrt wie ein mürrischer Käfer den Boden schrubbte und mit keiner Regung auf mich reagierte.
Ich hatte meine Arbeit in einer Schneiderei, auch wenn sie eintönig war. Schulden drückten mich nicht, denn Mutter hatte mir einiges vererbt, sodass ich nicht unbedingt auf jeden Pfennig schauen musste, obwohl die Vergütung in der Schneiderei ein Hungerlohn war.
Ich kannte keine Freunde, aber dafür einen geregelten Tagesablauf. Wenn ihn etwas durcheinander zu bringen drohte, war ich stets in der Lage, diesen Felsen zu umschiffen und mein Boot in ein ruhigeres Wasser zu bringen.
Eine Person aus dem Haus lernte ich doch etwas näher kennen, obwohl ich eigentlich keinen Wert darauf legte. Es war ein alter Mann, und zu Anfang wusste ich nicht einmal, in welcher Etage er wohnte. Wir trafen uns vor dem Haus, die Straße unter den Kastanienbäumen war wie ausgestorben. Er war klein und ging gebeugt, und das erste, was einem an ihm auffiel, waren mehrere dicke Beulen, die sich an seinem Hals ausgebreitet hatten. Es waren eher noch Beutel, kleine Fleischsäckchen, die unterhalb seines Kinnes herabhingen und bei jeder Bewegung des Kopfes wippten, als enthielten sie Leben.
Ich sprach ihn nicht darauf an, spürte aber sehr wohl, wie ich bei jeder unserer Begegnungen auf diese Gebilde starren musste und mich instinktiv fragte, was sie waren. Was sie enthielten. Denn dass sie einfach überflüssige Eiterbeulen waren, schien ausgeschlossen angesichts ihrer schieren Größe.
Doch der alte Mann schien von der Existenz dieser Beulen gar nichts zu wissen. Zumindest verhielt er sich völlig unbefangen und tat so, als bemerke er meine morbide Neugierde nicht.
Wir trafen uns öfter im Treppenflur.
Der Mann war eigenartig. Einerseits schien er ein großes Interesse an meiner Person zu haben. Es verging keine Begegnung zwischen uns beiden, in der er mich nicht in ein – meist belangloses – Gespräch verwickelte und kaum Anstalten machte, mich daraus entlassen zu wollen. Auf der anderen Seite spürte ich bei diesen Gesprächen mehr als einmal, wie er mich mit scheelem Blick musterte, abwartend mit seinen trüben Augen, von unten, lauernd gar. Es waren dies immer Bruchteile von Sekunden und fast stets kam das Gespräch ins Stocken, wenn ich darauf aufmerksam wurde. Mit schiefem Grinsen überspielte der alte Mann dann diese kleinen Dissonanzen, machte einen merkwürdigen Witz oder schnitt ein völlig neues Thema an.
Er schien in seiner kleinen Wohnung unter der meinen allein zu leben. Wegen seiner Geselligkeit mir gegenüber hätte ich angenommen, dass er ein Haustier halten würde. Einen Vogel vielleicht oder einen kleinen Hund, der ihm die Einsamkeit mit bloßer Anwesenheit vertriebe. Doch obwohl ich niemals in meinem Leben seine Wohnung betrat und wir in unseren Gesprächen dieses Thema auch nicht anschnitten, wusste ich doch allein aus seiner Art heraus, dass er kein anderes Wesen neben sich dulden würde. Und dass es auch keine Kreatur gäbe, die es länger als für eine kurze Unterhaltung mit ihm aushielte.
Deshalb kam es mir merkwürdig vor, dass er sich gerade mit mir abgab, war ich doch im Grunde dieselbe Art Mensch wie er, introvertiert und nicht erpicht auf die Gesellschaft anderer.
Täglich ging ich meiner Arbeit nach. Ich stieg die stillen Treppen hinab, vorbei an der Putzfrau, die meinen zögerlichen Gruß nicht einmal mit einem Kopfnicken erwiderte, trabte die einsame Straße hinunter und hinaus in die Stadt. Und am Abend dieselbe Route zurück. Im Schatten der kräftigen Kastanien auf das Haus zu und am Eingang schien er auf mich zu warten, um sein kleines Schwätzchen mit mir zu halten.
„Na, die Arbeit vollbracht?“
Mit solchen Allgemeinplätzen begann er meist und die seltsamen Fleischsäcke waberten im Takt der Worte. Und ich musste wieder darauf starren und ganz sicher bemerkte er es. Aber er sprach nach kurzem Zögern weiter, und ich meinte, wieder dieses Lächeln auf seinem Mund zu sehen.
Obwohl es mich natürlich interessierte, wagte ich nicht, ihn auf seine Krankheit anzusprechen; die seltsamen Beulen faszinierten mich sehr.
Drei waren es an der Zahl, zwei kleinere auf der rechten Seite des Halses unter dem Kinn und eine, die sich links befand und die Größe einer Faust hatte und dazu eine leicht bläuliche Färbung aufwies. Wenn er den Kopf bewegte oder wenn er schnell sprach, was selten vorkam, vibrierte die Haut über den Beulen, sie schwangen leicht hin und her.
Wie gesagt, das Gespräch kam niemals auf sein Leiden, weil ich es nicht wagte und weil er von seiner Seite auch keinen Anstoß gab. Bis auf ein einziges Mal an einem Abend, an dem ich mit einem Korb voller Sachen aus dem Waschsalon kam und die Haustüre kaum zu öffnen vermochte. Da trat er von innen heraus und ich erschrak über seinen Blick und über sein wirres Haar.
Er fuhr mich an: „Sie wollen wissen, was das hier ist?“ Und deutete auf seinen Hals. „Was da drinnen ist?“
Ich muss zugeben, dass es mich zu jedem anderen Zeitpunkt interessiert hätte, aber gerade zu diesem überhaupt nicht.
Er schleuderte mir ins Gesicht: „Ein Dämon! Ein Dämon haust da drinnen!“ Dann nahm er meinen Kopf und zerrte ihn zu sich hinunter. Er zischte in mein Ohr: „Und er quält mich!“
Dann ließ er los und besann sich. Ihm wurde wohl bewusst, welchen Unsinn er da von sich gegeben hatte, denn er fügte hinzu: „Im übertragenen Sinne.“
Ich erwiderte, nur um etwas zu sagen: „Sie müssen dagegen etwas tun! Haben Sie keinen Arzt gefunden?“
Er lachte bitter. „Niemand kann mir helfen.“ Wieder der verschlagene Blick von unten. „Aber ich suche weiter und ich werde jemanden finden, der mir hilft.“
Damit drängte er sich an mir vorbei ins Freie und humpelte davon. Ich bemerkte, dass ich den Korb mit der Wäsche gegen den Leib gepresst hielt wie einen Schild.

Irgendwann fiel mir auf, dass die Putzfrau fehlte und ich machte mir Sorgen. Der alte Mann sprach mich an: „Sie haben es auch gemerkt, nicht wahr?“ Dabei ließ er die Augen rollen und blickte sich im Treppenhaus um. Tatsächlich hatte sich eine feine Staubschicht auf alles hier gelegt, die Spuren einer mehrtägigen Verwahrlosung waren nicht zu übersehen.
„Sie ist krank“, flüsterte er. „Schon seit einigen Tagen. Habe sie zum Arzt geschickt. Hat gehustet wie ein Bergarbeiter.“
Er sagte das so, als sei sie einem elitären Club beigetreten und müsse sich der Ehre würdig erweisen. Allerdings beschränkte sich unser Gespräch zu diesem Thema auf diese wenigen Worte.
„Sie sehen übrigens auch nicht gesund aus“, sagte er plötzlich und starrte mir in die Augen. „Ihre Augen, wissen Sie …“
In der Tat hatte ich am Morgen vor dem Badezimmerspiegel festgestellt, dass beide Augen leicht gerötet waren. Ich hatte nichts darauf gegeben und es schon wieder vergessen. Er schüttelte kurz seinen Kopf und damit war – vorerst – das Thema abgelegt.
Ich vergaß die Rötung, bis der alte Mann mich einige Tage danach nochmals darauf ansprach.
Ich bin beileibe nicht der Typ, der sich übermäßig Sorgen um sich selbst zu machen pflegt, doch irgendetwas im Blick des Alten, als er zu mir sagte, dass man damit nicht spaßen sollte, ließ mich schließlich deswegen einen Arzt aufsuchen.
Nach einem gründlichen Check konnte mich der Mediziner beruhigen. Er versicherte mir, dass die Rötung vollkommen harmlose Ursachen habe und ich im Übrigen gesund wie ein Fisch sei.
Weshalb ich trotzdem nicht beruhigt war, kann ich nicht sagen.
Es dauerte auch nicht lange, dass der Alte wieder kopfschüttelnd vor mir stand und mich musterte.
„Es will nicht weggehen, was?“, fragte er mich, ohne eine Antwort zu erwarten. Er berührte einen wunden Punkt damit, denn zu der leichten Rotfärbung der Augen hatte sich ein stechender Schmerz in meiner Brust gesellt. Die Trübung der Augäpfel hatte mich irritiert, der Schmerz jetzt allerdings, der nicht nachlassen wollte, ließ, je länger er währte, Panik in mir aufkommen.
Ich ging zur Arbeit mit dem bohrenden Gedanken, dass eine unbekannte Krankheit in mir wohnte.
Und schon am Abend stand der Alte in der Haustür und präsentierte mir die Lösung.
„Hören Sie“, flüsterte er, wobei die Beulen an seinem Hals zitterten. „Ich habe nach jemandem gesucht, der mir helfen kann. Ich wette, er kann auch Ihnen helfen.“
Ohne nachzudenken und mit auf dem Fuße folgender Scham, sagte ich: „Aber er hat Ihnen doch gar nicht geholfen.“ Denn eindeutig waren die Eitersäcke noch dort, wo sie immer waren und sie schienen genauso groß.
Er stutzte. Dann erwiderte er: „Er ist dabei, mir zu helfen.“
Wir sahen einander kurze Zeit an, und beide versuchten wir zu erraten, was der andere dachte. Schließlich löste sich der alte Mann aus der Erstarrung und sagte: „Ich schicke Ihnen den Mann mal vorbei, kann ja nicht schaden.“
Damit schob er sich an mir vorüber und humpelte wieder einmal die Straße hinunter.
Dass ich ihm hinterher rief, ich wünschte es nicht, dass Fremde in meine Wohnung kämen, konnte er nicht mehr gehört haben, denn er wandte sich weder um, noch machte er sonst welche Anstalten, mir verstehen zu geben, er würde von seinem Vorhaben Abstand nehmen.
Die Arbeit wurde immer monotoner. Ich hatte nicht viel mehr zu tun, als Kleiderbündel von einer Stelle zur anderen zu tragen. Hier wurden sie dann geringfügig bearbeitet, worauf ich sie auf eine mürrische Anweisung hin zum nächsten Ort zu bringen hatte.
Abends hatte ich dann mit den Widrigkeiten des Alltags zu ringen.
Ich traf meinen Nachbarn aus der unteren Etage hin und wieder, seine Schwatzlust ließ nicht nach, und die Eiterbeutel wurden nicht kleiner. Was ich von den anderen Bewohnern des Hauses zu Gesicht bekam, waren nicht mehr als Schemen. Sie präsentierten sich mir nicht als Wesen aus Fleisch und Knochen, sondern als fliehende Schatten hinter klappenden Türen.
Es war an demselben Abend, an dem ich bemerkte, dass die Putzfrau genesen sein musste. Die Staubschicht war verschwunden und ein frischer Geruch hatte sich über den allseits gewärtigen Fäulnisgestank gelegt.
Ich war eben dabei, mir eine Tasse Tee zuzubereiten, als ich erstarrte, weil es an der Wohnungstür klingelte.
Wie gesagt, ich empfing so gut wie niemals Besuch in meiner Wohnung und schon gar keinen unangemeldeten.
Es klingelte wieder, ich stellte die Kanne beiseite und richtete mich auf. Ich war es nicht gewohnt, Personen hier drinnen zu haben, die unerwartet hereinschneiten und die ich höchstwahrscheinlich gar nicht kannte.
Mir waren höchstens eine Handvoll Menschen bekannt – und darunter war mein Nachbar, den ich neben den Anderen beinahe schon einen Freund nennen konnte.
Einzig die Vermutung, dass er es war, der da draußen klingelte, ließ mich zur Tür gehen und öffnen.
Ein riesiger Mann mit einem schwarzen Ledermantel und einem offensichtlich falschen Lächeln stand davor und sah auf mich herab. Nicht der Nachbar, dachte ich. Ein Fremder!
Er sah weiter auf mich herunter und sein Lächeln schwamm langsam davon. Seine Haare standen wie ein Busch aufwärts auf seinem Kopf.
Ich glaubte, das Recht auf meiner Seite zu haben, ihn anschweigen und eine Erklärung erwarten zu dürfen. Doch er wiederum schien der Meinung zu sein, ich müsste den Anfang machen und um eine Rechtfertigung bitten.
Schließlich sagte ich leise: “Ja?“ und das Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht – strahlender, aber nicht weniger falsch.
Mit einem plötzlichen Ruck streckte er seine riesige Hand aus, sodass man nicht anders konnte, als sie zu ergreifen. Er schüttelte sie und sagte mit knarrender Stimme und irgendeinem ausländischen Akzent: „Ich bin auf Empfäählung hier. Sie brrrauchen sich nicht zu bedankän.“
Damit schob er sich an mir vorbei in meine Wohnung.
Ich folgte ihm in mein eigenes Heim. Er benahm sich rüpelhaft, lief mit den schweren Schuhen bis ins Wohnzimmer. Dort zog er den Mantel aus, warf ihn auf das Sofa und stellte seine Aktentasche daneben, die reichlich schäbig und verbeult aussah.
„Darf ich fragen, wer Sie sind?“, sagte ich zaghaft.
Er antwortete freundlich und ich kam zu dem Schluss, dass sein Akzent ein osteuropäischer sein musste. „Lassen wirrr Namen außen vorrr, mein Liebärrr. Wir werrrden uns nach diesem Gesprrräch nie wiederrr sehen.“
„Aber, was wollen Sie von mir?“
Er kam auf mich zu, packte meine Schultern und presste mich mit sanftem Druck in den Sessel. Dabei bemerkte ich seltsame Schatten in seinen Augen. Ich hatte den Eindruck, als zögen kleine Wölkchen an seinen Pupillen vorüber – kleine, flirrige Schäfchenwolken. Im nächsten Moment erkannte ich, dass das nicht stimmte. Seine Pupillen an sich waren vollkommen unstet; sie zitterten hin und her, in einem fort, und konnten sich auf keinen Punkt konzentrieren.
Er sagte: „Lassen Sie mich errstmal schauen“, als ich im Sessel zu ihm aufblickte.
Er hob mein Kinn und versuchte, mir in die Augen zu sehen. Es war mir schleierhaft, wie er mit diesem Blick irgendetwas erkennen konnte. Er legte die Hände auf meinen Hals und tastete ihn ab, dann öffnete er meinen Mund und starrte hinein.
Als er meinen Kopf zur Seite drehte und meine Ohren untersuchte, fragte ich ihn: „Sind Sie Arzt?“
Er lachte, drehte mein Gesicht wieder dem seinen zu und schnarrte: „Arzt? Meinän Sie einen Heilkundigän? Dann ja. Ich will schauen, was ich fürr Sie tun kann.“ Er packte meine Nase und bog sie hin und her. „Wenn man etwas fürr Sie tun kann.“
Er sprang auf und lief hinüber zum Sofa. Dort nahm er die Jacke und warf sie achtlos auf die Erde. „Legen Sie sich hin!“
Ich muss zugeben, dass ich gegenüber Autoritäten schon seit jeher ein wenig verschüchtert reagiere. Und die unterschwellige Angst vor meiner unbekannten Krankheit, auch die Aussicht auf Heilung ließen mich dem Befehl Folge leisten.
Ich sollte mich freimachen. Also tat ich auch dies und er begann, meinen Bauch abzutasten. Dabei bemerkte ich, dass seine großen Finger direkt auf den Gelenken Haarbüschelchen trugen, die steil in die Höhe ragten. Kleine, regelmäßig verteilte Häufchen, die sich im Takt der Finger bewegten, surreal wirkten und mir Angst machten. Sie tanzten über meinen Bauch.
Er drückte in meine Seite und ich schrie auf. Dann kniff er die Finger zusammen und ich musste stöhnen, so weh tat er mir.
„Es scheint, als wärrren Sie nicht ganz gesund!“ Diese widerliche Aussprache! Mir schien, als hätte ich einen alten Russen vor mir.
Ich musste mich umdrehen und er klopfte meinen Rücken ab. Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich wusste, dass die Haarbüschel über meinen Rücken schwebten. Hier tat mir nichts weh.
„Wie steht es mit dem Wasserlassen?“, fragte der russische Riese leise, als ich mich wieder aufgesetzt hatte.
„Worauf untersuchen Sie mich?“, erwiderte ich.
„Auf alles“, war seine Antwort und ich musste lachen.
„Aber Sie müssen doch irgendetwas suchen. Woran, wurde Ihnen gesagt, leide ich?“
Er kniete sich zu mir herab und ich sah wieder in die schrecklichen Augen, die ständig hin und her sprangen.
„Ist es nicht so, mein Liebärrr“, schnarrte er mir direkt ins Gesicht. „Wir allää sind nur eine Ansammlung von totem Fleisch. Kalte, graue Muskeln, Fett und Knochen. Und irgendwo da drrrinnen schlummert der Funke des Läbens.“ Er tippte seinen Zeigefinger mit den drei Puscheln drauf auf meine Brust, meinen Kopf, meine Knie. „Wo errr ist, bleibt uns verrrborgen. Uns bleibt nur, das tote, kalte Fleisch warm zu halten.“
Jetzt sah ich, dass sein Kopfhaar nicht aus einem einzigen Schopf bestand, wie man es kennt, sondern aus vielen kleinen Haaransätzen, aus Millionen kleiner Puschel, die aufwärts strebten.
„Wer sind Sie?“, fragte ich. „Und was wollen Sie?“
„Ich werde Ihnen helfen“, sagte er, richtete sich auf und ging zu seiner Tasche. Er wühlte darin herum, ich hörte es klappern, wie wenn man metallischen Unrat bewegt.
Ich erhob mich und wollte ihm die Tür weisen. Was hatte diese Person in meiner Wohnung zu suchen? Wie kam sie dazu, mir hier Befehle erteilen zu wollen?
„Hören Sie“, sagte ich zu dem gebeugten Rücken in etwa vier Metern Entfernung.
Schon stand er vor mir, grinste mich an und drückte mich zurück aufs Sofa. Ich konnte mir keine Gedanken machen, wie er zu mir herangekommen war, denn er hielt mich unten gepresst mit der einen Hand. Die andere verbarg er hinter seinem Rücken.
„Lassen Sie mich in Frieden“, krächzte ich und versuchte mich zu wehren. Ich wollte mich zur Seite werfen, doch sein Griff war hart und schmerzhaft. Ganz kurz war ihm die Anstrengung im Gesicht anzusehen.
„Bleibän Sie so“, befahl er. „Es ist gleich vorbei.“
Noch einmal tat ich den Versuch, mich aus der Umklammerung zu befreien. Doch schon der Ansatz wurde von dieser furchtbar starken Hand zunichtegemacht. Ich schrie, sein Grinsen wurde breiter.
Er kam mit der Hand hinter seinem Rücken hervor und zeigte, was er darin hielt. Eine Spritze; mir kam sie groß vor. Ich konnte nicht erkennen, was sie enthielt.
„Was ist das?“, krächzte ich.
Plötzlich ließ er mich los, ich fühlte, wie die Fessel seines Griffes von mir abfiel. Er sah mich an und nun kam mir sein Lächeln ehrlich vor, liebenswürdig.
„Nun stellen Sie sich nicht so an“, sagte er leise. „Ich gebe Ihnän nurrr diese Sprrritzä hierrr und dann ist es schon geschafft.“
„Was ist da drin?“
„Ein Medikament. Danach werden Ihrrrä furrrchtbaren Schmerrrzen abklingen.“
Ich wollte ihm sagen, dass ich gar keine Schmerzen hätte, stattdessen fragte ich nur: „Wohin?“
Ein kurzer Schauer huschte über sein Gesicht. Behutsam tippte er mit dem Zeigefinger an meinen Hals. „Da hinein. Es wird nur ganz kurrrz pieksän. Und dann ist Ihnän geholfen.“
Seine Pupillen zuckten hin und her. Das Flackern wurde immer heftiger, schließlich rasten sie geradezu von der einen zur anderen Seite. Ich wollte mich noch einmal nach dem Inhalt der Spritze erkundigen, doch diese Augen faszinierten mich, ich konnte den Blick einfach nicht abwenden.
Und plötzlich kam wieder Panik in mir auf.
Der Mann – die Person – warf mich plötzlich nach hinten, sodass ich hilflos auf dem Rücken lag. Er setzte ein Knie auf meine Brust und presste mich mit einer Hand auf die Matratze. Angsterfüllt schaute ich, wie er die Spritze ansetzte und zustieß. Als die Nadel in meinen Hals drang, sah ich, wie er erzitterte. Mir blieb nur, ihm reglos mit den Augen zu folgen und den Schmerz zu ertragen.
Ich spürte, wie die Flüssigkeit einspritzte und augenblicklich fühlte ich mich schwindelig.
Ohne ein weiteres Wort stand der Mann auf und ließ mich damit frei. Er ging zurück zu seiner Tasche, verstaute die Spritze darin und ohne mich auch nur des kleinsten Blickes zu würdigen, verließ er meine Wohnung wie ein Buchhalter zum Feierabend.
Ich lag auf dem Sofa, matt und zerschlagen und fühlte mich wie ein Federkiel, den man weggeworfen hat, weil er geknickt ist.

Ich schlief lange und tief; wenn ich zwischendurch erwachte, war ich nass von Schweiß. Ich aß und trank nicht, ich meldete mich nicht einmal auf der Arbeit ab. Es war mir egal.
Später dann träumte ich von dem unheimlichen Mann mit den seltsamen Augen, wie er sich über mich beugte und mich anstarrte. Ich schrak auf und er war fort.
Dann endlich war ich fähig, aufzustehen. Ich wankte ins Bad und trank gierig von dem kalten Wasser, spritzte mir etwas ins Gesicht und die Haare. Mir war schwindelig.
Dann stand ich eine Zeit lang reglos vor dem Spiegel und starrte in mein Antlitz.
Ich sah furchtbar aus, die Ringe um meine Augen konnten dunkler nicht sein, die Haut hatte graue Farbe angenommen und meine Haare waren stumpf und zersaust.
Was nur hatte diese Person mit mir angestellt?
Ich befühlte den Einstich am Hals, fuhr mit den Fingern leicht über die Male und erlebte einen panischen Schrecken. Das konnte nicht sein! Das war sicher unmöglich.
Doch weil es vollkommen unglaublich war, fiel mir ein, dass ich die ganze Zeit, als dieser Quacksalber in meiner Wohnung wütete, mich im Unterbewusstsein damit beschäftigt hatte.
Der alte Mann hatte mir den Russen geschickt, aber mit welchem Ziel?
Ich hatte drei kleine Beulen an meinem Hals.
Drei!

Selbstverständlich war es hoffnungslos. Eben war ich unten und habe an seiner Tür geklingelt. Dass es wenig Sinn haben würde, war mir klar, als ich das leere Klingelschild sah.
Ich hämmerte an die Tür, trat und warf mich dagegen. Dann lauschte ich der Stille dahinter.
Und ich erkannte, dass es sinnlos war. Der alte Mann war fort.

Jetzt sitze ich hier und denke darüber nach, inwieweit man seinen Nachbarn vertrauen kann.
Und ob es wohl wirklich so etwas wie Dämonen gibt. Und wenn ja, in welchen Erscheinungsformen sie wohl auftreten mögen.
Dabei spiele ich gedankenverloren mit den kleinen Hautsäcken an meinem Hals. Und plötzlich habe ich das Gefühl, dass sich darin etwas bewegt.
Und wie, wenn es sie wirklich gibt, wird man sie wieder los?

 

Siehst du, nach langer Zeit mal wieder ein Stück von mir in diesem Forum hier.
War ein Beitrag für die "Earth Rocks" - Ausschreibung "Phantastische Medizin", der sofort disqualifiziert wurde wegen Zeichenüberschreitung.
Also, den Löwen zum Fraß vorgeworfen!

 

Hallo Hanniball!

Also, den Löwen zum Fraß vorgeworfen!
Ich hab diese Geschichte also in meinem Futtertrog gefunden und sie hat mir recht gut geschmeckt – nicht zu scharf gewürzt und unblutig, wenn man von den paar Tropfen absieht, die der Einstich sicher verursacht hat, aber trotzdem spannend und eine ziemlich unangenehme Vorstellung.

Interessant und irgendwie im Dunkeln bleibend ist auch die Putzfrau, die der Protagonist vorher nie sieht, und dann weiß man eigentlich nicht, wer da wieder geputzt hat – ob sie wirklich nur krank war oder ob vielleicht sogar alles bei ihr seinen Ursprung hatte, also von ihr vielleicht zu dem Alten kam.

Etwas nachbessern würde ich da, wo der »Heilkundige« beim Protagonisten ist: Da hätte ich gern ein bisschen mehr in den Protagonisten hineingesehen, wie seine Zweifel der Hoffnung auf Hilfe unterliegen, sodaß er sich nicht wehrt.

Eine kleine *hüstel* Liste mit Verbesserungsvorschlägen kommt noch, bis dahin kannst Du Dich aber vielleicht schon mal mit den hier markierten Wörtern befassen. ;)

Ich hab die Geschichte jedenfalls sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi!

Das mit den Löwen war natürlich im übertragenen Sinne gemeint!:):hmm:

Fix warst du, habe mich selber noch gar nicht richtig damit abgefunden, dass das Baby jetzt hier steht. Und wenn ich die Wörter sehe, die du markiert hast, wird klar, dass man sich immer wieder mit einem Text beschäftigen muss.

Dass du soviel Aufmerksamkeit auf die Putzfrau legst, ist mir ja unangenehm, hatte ich das doch überhaupt nicht so beabsichtigt. Die Gute nimmt einen Platz ein, der ihr nicht zugedacht war!

Dass du die Gefühle und Gedanken des Prot. ansprichst, ist folgerichtig. Ich bin in letzter Zeit immer abgeneigter, über das Innenleben der Figuren als Figuren zu schreiben. Vielmehr versuche ich das Innenleben über das Äußere zu definieren. Klappt nicht immer, na ja, ich bin ja auch noch am Üben.

Aber stimmt schon, du hast Recht. Vielleicht sollte man diesen inneren Zwiespalt zwischen Hoffnung und Ablehnung besser herausarbeiten.


Danke dir jedenfalls für die Anregungen und die Mühe und

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball,

deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Die Stimmung ist trist, grau - beklemmend. Es bleiben viele Fragen offen, was die Geschichte auch nach dem Lesen noch nachwirken lässt. Deine Sprache ist klar und flüssig und ich bin beim Lesen nirgends hängengeblieben.

Auch das Thema an sich ist mir so noch nicht begegnet, womit bis zum Ende (und darüber hinaus) die Spannung aufrecht blieb, was denn nun wirklich geschehen ist.

Ein paar Details, aber nur kleine, sind mir aufgefallen. Ich hoffe, Häferl ist mir nicht böse, dass ich hier auch schon eine kleine Liste schreibe. Aber für mich ist es auch Übung, mich mit Texten zu beschäftigen. :)

Die Aufwartefrau allerdings sah ich jedes Mal. Ich konnte gewiss sein, dass sie jedes Mal irgendwo

"jedes Mal" hast du hier gleich zweimal.

auf jeden Pfennig schauen

Das könntest du modernisieren.

was einem auffiel an ihm waren mehrere dicke Beulen

Hier gehört, meiner Meinung nach, ein Komma vor "waren".

Zumindest verhielt er sich völlig unbefangen und tat zumindest so

Zumindest ... zumindest ...

Obwohl es mich natürlich interessierte, wagte ich nicht, ihn auf seine Krankheit hin anzusprechen, die seltsamen Beulen faszinierten mich natürlich sehr.
Drei waren es an der Zahl, zwei kleinere auf der rechten Seite des Halses unter dem Kinn und einer, der sich links befand und die Größe einer Faust hatte und dazu eine leicht bläuliche Färbung aufwies.

Hier müsste es "eine, die" heißen, denn davor sprichst du von "den Beulen".

Wenn er den Kopf bewegte oder wenn er schnell sprach, was selten vorkam, vibrierte die Haut über den Beulen, sie schwangen leicht hin und her.

Hier hat mich der Bezug zunächst irritiert. Denn es ist ja nicht die Haut, die hin und her schwang(en), sondern die Beulen. Wenn du schreibst " vibrierte die Haut über den Beulen, welche leicht hin und her schwangen", ist es meiner Meinung nach klarer, was du meinst.

hielt wie ein Schild.

"wie einen Schild."

den allseits gewärtigen

... den allseits gegenwärtigen ... ? Oder was ist sich der Geruch gewahr?

Mir waren höchstens eine Handvoll Menschen bekannt – und darunter war mein Nachbar, den ich neben den Anderen (Menschen) beinahe schon einen Freund nennen konnte.

"anderen" klein.

„Ich bin auf Empfählung hier. Sie brrrauchen sie nicht zu bedanken.“

Hier und auch im weiteren Verlauf stört mich der geschriebene Akzent. Wenn du einfach schreibst, dass es ein harter Akzent ist, vielleicht ein östlicher, vielleicht Russisch, dann kann ich beim Lesen den Akzent selbst "hören".

„Darf ich fragen, wer Sie sind?“, sagte ich zaghaft.

"... , fragte ich ...", würde mir besser gefallen.

„Lassen Sie mich erstmal schauen.“, als ich im Sessel zu ihm aufblickte.

Der Punkt nach "schauen" muss weg.

verließ er meine Wohnung wie ein Buchhalter zum Feierabend.

Komma vor "wie".

Und ich erkannte, dass es sinnlos war. Der alte Mann ist fort.

"war" fort.

Habs gerne gelesen.

Schöne Grüße,

yours

 
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Hallo Hanniball!

Das mit den Löwen war natürlich im übertragenen Sinne gemeint!
Jaja, von den Schweinen auf die Löwen. Weil es ja eigentlich »Perlen vor die Säue werfen« heißt. Deshalb hab ich auch gleich von meinem Futtertrog geschrieben, den Löwen ja nicht haben. *grunz* :D

Fix warst du, habe mich selber noch gar nicht richtig damit abgefunden, dass das Baby jetzt hier steht. Und wenn ich die Wörter sehe, die du markiert hast, wird klar, dass man sich immer wieder mit einem Text beschäftigen muss.
Richtige Babys lernen im Normalfall ja auch erst Laufen und werden dann erst sauber. ;)

Dass du soviel Aufmerksamkeit auf die Putzfrau legst, ist mir ja unangenehm, hatte ich das doch überhaupt nicht so beabsichtigt. Die Gute nimmt einen Platz ein, der ihr nicht zugedacht war!
Ja, ich fand sie tatsächlich interessant, aber das ist ja nicht schlecht, im Gegenteil, sie bereichert die Geschichte meiner Ansicht nach.

Dass du die Gefühle und Gedanken des Prot. ansprichst, ist folgerichtig. Ich bin in letzter Zeit immer abgeneigter, über das Innenleben der Figuren als Figuren zu schreiben. Vielmehr versuche ich das Innenleben über das Äußere zu definieren. Klappt nicht immer, na ja, ich bin ja auch noch am Üben.
Mir fällt dazu gerade Yin & Yang ein, wo immer das eine auch im anderen enthalten ist oder sein soll. Ich finde, das trifft beim Schreiben auch auf vieles zu, z. B. sind weder reine Dialoggeschichten besonders toll, noch welche ganz ohne. Reine Innensicht ohne äußere Handlung ist auch nix, und die Außensicht verträgt ruhig ein bisserl Innensicht, gerade, wenn es ein Ich-Erzähler ist. ;)

Ich hoffe, Häferl ist mir nicht böse
Ich bin eigentlich nie böse, wenn die Arbeit weniger wird. :D
Mal schauen, was jetzt noch übrig ist …

»ich gab mir auch keine Mühe, jemandem näher zu kommen.«
– zusammen: näherzukommen

»Wenn ich das hohe, dunkle Treppenhaus hinab ging, herrschte abweisende Leere und bis auf die Putzfrau sah ich selten jemanden hinauf- oder hinabsteigen.«
– zweimal »hinab«, würde »das hohe, dunkle Treppenhaus nach unten ging« schreiben

»Wenn ihn etwas durcheinander zu bringen drohte, war ich stets in der Lage, diesen Felsen zu umschiffen und mein Boot in ein ruhigeres Wasser zu bekommen.«
– zusammen: durcheinanderzubringen
– »ein« kannst Du streichen, »mein Boot in ruhigeres Wasser zu bekommen« finde ich schöner

»Er war klein und ging gebeugt, und das erste, was einem auffiel an ihm, waren mehrere dicke Beulen, die sich an seinem Hals ausgebreitet hatten.«
– Vorschlag: und das erste, was mir an ihm auffiel, waren mehrere dicke Beulen an seinem Hals. (Wie sie wachsen oder sich ausbreiten, sieht er ja nicht – sie sind nur da.)

»Denn dass sie einfach überflüssige Eiterbeulen waren, schien ausgeschlossen angesichts ihrer schieren Größe.«
– Vorschlag: schloss ich angesichts ihrer schieren Größe aus.

»Einerseits schien er ein großes Interesse an meiner Person zu haben.«
– eine Alternative wäre vielleicht: Einerseits gewann ich den Eindruck, dass er großes Interesse an meiner Person hätte.

»Er schien allein zu leben in seiner kleinen Wohnung unter der meinen.«
– Er lebte offenbar allein in seiner kleinen Wohnung …

»Wegen seiner Geselligkeit mir gegenüber hätte ich angenommen, dass er ein Haustier halten würde. Einen Vogel vielleicht oder einen kleinen Hund, der ihm die Einsamkeit mit bloßer Anwesenheit vertriebe. Doch obwohl ich niemals in meinem Leben seine Wohnung betrat und wir in unseren Gesprächen dies Thema auch nicht anschnitten, wusste ich doch allein aus seiner Art heraus, dass er kein anderes Wesen neben sich dulden würde.«
– Der Schluß auf das Haustier aufgrund seiner Geselligkeit ist mir nicht klar, und einen Hund hätte er ja gesehen. Von der Geselligkeit würde ich eher auf Einsamkeit schließen. ;) Ich vermute, Dir ging es um die Aussage, daß er niemanden neben sich dulden würde, dafür würde aber auch reichen: Wegen seiner Geselligkeit dachte ich anfangs, ein Haustier würde gut zu ihm passen, das ihm die Einsamkeit mit bloßer Anwesenheit vertriebe. Bald wusste ich aber allein durch seine Art, dass er kein anderes Wesen neben sich dulden konnte.

»Und am Abend dieselbe Route zurück. Im Schatten der kräftigen Kastanien auf das Haus zu und am Eingang schien er auf mich zu warten, um sein kleines Schwätzchen mit mir zu halten.«
– Und am Abend dieselbe Route zurück, im Schatten der kräftigen Kastanienbäume. Am Hauseingang wartete er schon auf mich, um …

»und ich meinte wieder dieses Lächeln auf seinem Mund zu sehen.«
– meinte, wieder

»Wenn er den Kopf bewegte oder wenn er schnell sprach, was selten vorkam, vibrierte die Haut über den Beulen, sie schwangen leicht hin und her.«
– würde ich umdrehen: über den Beulen, die leicht hin- und herschwangen.

»Ich erwiderte nur um etwas zu sagen:«
– Ich erwiderte, nur um

»„Sie müssen dagegen etwas tun!«
– würde ich umdrehen: Sie müssen etwas dagegen tun!

»Irgendwann fiel mir auf, dass die Putzfrau fehlte und ich machte mir Sorgen.«
– fiel mir auf, dass die Putzfrau fehlte, und

»Er schüttelte kurz seinen Kopf und damit war – vorerst – das Thema abgelegt.«
– würde ich umdrehen: damit war das Thema – vorerst – abgelegt. Oder: damit war das Thema abgelegt. Vorerst.

»doch irgendetwas im Blick des Alten, als er zu mir sagte, dass man damit nicht spaßen sollte, ließ mich schließlich einen Arzt deswegen aufsuchen.«
– »deswegen« würde ich streichen

»Die Trübung der Augen hatte mich irritiert, der Schmerz jetzt allerdings, der nicht nachlassen wollte, ließ, je länger er währte, Panik in mir aufkommen.«
– Wiederholung: nachlassen/ließ

»Dass ich ihm hinterher rief,«
– zusammen: hinterherrief

»noch machte er sonst welche Anstalten, mir verstehen zu geben, er würde von seinem Vorhaben Abstand nehmen.«
– »sonst welche« klingt nicht gut, würde »irgendwelche« schreiben; oder besser noch kürzer: noch gab er mir sonst wie zu verstehen, …

»Ich hatte nicht viel mehr zu tun, als Kleiderbündel von einer Stelle zur anderen zu tragen.«
– würde das »viel« streichen: Ich hatte nicht mehr zu tun als (ohne Beistrich)

»und darunter war mein Nachbar, den ich neben den Anderen beinahe schon einen Freund nennen konnte.«
– anderen klein

»Schließlich sagte ich leise: “Ja?“ und das Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht«
– in dem Fall ohne Doppelpunkt

»Mit einem plötzlichen Ruck streckte er seine riesige Hand aus, so dass man gar nicht anders konnte, als sie zu ergreifen.«
– ich statt man

»Er schüttelte sie und sagte mit knarrender Stimme und irgendeinem ausländischen Akzent: „Ich bin auf Empfählung hier. Sie brrrauchen sie nicht zu bedanken.“
Damit schob er sich an mir vorbei in meine Wohnung.
Ich folgte ihm in mein eigenes Heim. Er benahm sich rüpelhaft, lief mit den schweren Schuhen durch bis ins Wohnzimmer. Dort zog er den Mantel aus, warf ihn auf das Sofa und stellte daneben seine Aktentasche, die reichlich schäbig und verbeult aussah.
„Darf ich fragen, wer Sie sind?“, fragte ich zaghaft.
Er antwortete freundlich und ich kam zu dem Schluss, dass sein Akzent ein osteuropäischer sein musste.«
– statt den Akzent zweimal zu kommentieren, könntest Du auch gleich zu Beginn schreiben »mit irgendeinem osteuropäisch klingenden Akzent«
– würde ich umdrehen: stellte seine Aktentasche daneben
– den Akzent finde ich nicht immer besonders gut rübergebracht, Du scheinst eher wahllos aus einem r drei und aus manchem e ein ä zu machen, was aber nicht immer paßt. Sowas wie das »sie« in »Sie brrrauchen sie nicht zu bedanken« klingt zwar witzig, aber wenn er dann »„Lassen wir Namen außen vor,« völlig korrekt sagt, paßt es nicht (das sie statt sich). Entweder überall solche Fehler oder keinen. Mit bestimmten Fehlern im Satzbau ließe sich da auch noch einiges machen.

»Seine Pupillen an sich waren vollkommen unstet; sie zitterten hin und her, in einem fort und konnten sich auf keinen Punkt konzentrieren.«
– würde ich umdrehen: sie zitterten in einem fort hin und her und …

»Er sagte: „Lassen Sie mich erstmal schauen“, als ich im Sessel zu ihm aufblickte.«
– Als ich im Sessel zu ihm aufblickte, sagt er: „Lassen Sie mich erst mal schauen.“

»Als er meinen Kopf zur Seite drehte und meine Ohren untersuchte, fragte ich ihn: „Sind Sie Arzt?“«
– um das »Als« nicht zu wiederholen (war der Satz von eben deshalb so verdreht? ;-)), würde ich »Während er …« schreiben

»Er drückte in meine Seite und ich schrie auf. Dann kniff er die Finger zusammen und ich musste stöhnen,«
– eins der beiden »und« würde ich eliminieren, weil der Satzbau dadurch so gleich klingt, also z. B.: Er drückte in meine Seite, ich schrie auf.

»Woran, wurde Ihnen gesagt, leide ich?“«
– würde schreiben »Woran, hat man Ihnen gesagt, würde ich leiden?«

»Er kniete sich zu mir herab«
– fände »herunter« passender

»„Wir allää sind nur eine Ansammlung von totem Fleisch.«
– nur mal ein Beispiel für den Akzent: Wir alle nur sind ein Ansammlung von totes Fleisch. Darauf kann ich natürlich auch keine Garantie geben, aber ich finde, es klingt »richtiger«. ;) Oder statt »Und irgendwo da drinnen schlummert der Funke des Läbens«: irgendwo da drinnen schlummärn Funke des Lebens.

»Jetzt sah ich, dass sein Kopfhaar nicht aus einem einzigen Schopf bestand, wie man es kennt, sondern aus vielen kleinen Haaransätzen, aus Millionen kleiner Puschel, die aufwärts strebten.«
– »Jetzt sah ich, dass sein Kopfhaar aus vielen kleinen Puscheln bestand, die aufwärts strebten« reicht, finde ich.

»Wie kam sie dazu, mir hier Befehle erteilen zu wollen?«
– »Befehle zu erteilen« – er will ja nicht nur, sondern erteilt sie auch

»denn er hielt mich unten gepresst mit der einen Hand.«
– denn er presste mich mit der einen Hand nach unten

»„Lassen Sie mich in Frieden“, krächzte ich«
»„Was ist das?“, krächzte ich.«
– da sind zwar ein paar Sätze Abstand zwischen den beiden »krächzte«, aber vielleicht findest Du ja einen Ersatz für eins davon

»spritzte mir etwas ins Gesicht und die Haare.«
– und auf die Haare (sonst würde es heißen »ins die Haare«)

»Und ob es wohl wirklich so etwas wie Dämonen gibt. Und wenn ja, in welchen Erscheinungsformen sie wohl auftreten mögen.«
– zweimal »wohl«


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Huhu, an die Perlen und die Schweinchen hab ich überhaupt gar nicht gedacht, ehrlich. Dieses Bild hast erst du angesprochen. Es ist leider oft genug vorgekommen, dass mir erst hier klargemacht wurde, dass ich keinen Edelstein, sondern lediglich ein billiges Imitat eingestellt hatte. Das bildet und prägt. Ich bin schon ziemlich vorsichtig geworden im Urteil über meine eigenen Texte.
(Aber ich weiß schon, wie du's meintest.;))

Wieder zur Putzfrau: Sie sollte die Story schon bereichern, indem sie einen Teil der Atmosphäre bildet. Sie sollte schön im Hintergrund bleiben, dafür aber um so wichtiger sein.

Mir fällt dazu gerade Yin & Yang ein, wo immer das eine auch im anderen enthalten ist oder sein soll. Ich finde, das trifft beim Schreiben auch auf vieles zu, z. B. sind weder reine Dialoggeschichten besonders toll, noch welche ganz ohne. Reine Innensicht ohne äußere Handlung ist auch nix, und die Außensicht verträgt ruhig ein bisserl Innensicht, gerade, wenn es ein Ich-Erzähler ist

Da muss ich dir ein wenig widersprechen: Du musst dich ja als Autor, bevor du zu schreiben beginnst, darüber im Klaren sein, aus welcher Perspektive du schreibst. Der allwissende Erzähler, der Ich-Erzähler...na ja, du kennst das ja. Als Ich-Erzähler habe ich mich dafür entschieden, die Geschichte in Rückblenden zu erzählen, nun, die Szene mit dem russischen Quacksalber ist ja nun eine narrative Beschreibung (gibts das?), aber mir kam es so vor, als müsste ich sie von außen berichten. Gut möglich, dass das ein Fehler war. Doch wenn ich in dieser Szene die Gefühle und Gedanken der Figur beschreiben, dann wäre ich aus dem Grundtenor der Story ausgebrochen.
Ich muss sie mir mit dem gebührenden Abstand nochmal durchlesen.

Mal schauen, was jetzt noch übrig ist …

Zuviel, fürchte ich (*dieHändeüberdemKopfzusammenschlag*)

Du hast wieder mal Fleissarbeit geleistet und, wie ich sehe, auch schon Alternativen geboten für gewisse Wortwiederholungen, wie mir schien.:D

Danke dir, wie immer, innigst. Werde mich demnächst ransetzen und ausbessern.


Hallo yours truly!

Freut mich wirklich, dass dir die Story gefallen hat, auch und gerade, wenn du noch drüber hinaus nachdenken musstest.

Deine Sprache ist klar und flüssig und ich bin beim Lesen nirgends hängengeblieben.

Ich bin mir nicht sicher, ob das immer von Vorteil ist, wenn die Sprache glatt und ohne Ecken ist. Aber natürlich, kann man auch sagen, dass ein Stil geschliffen ist. Insofern nehme ich das als Kompliment.


Die angesprochenen Punkte zeugen von Sachverstand, ich habe fast alle beherzigt, danke dir für die Mühe und den Aufwand.

Eines jedoch kann ich so nicht stehenlassen:

Und ich erkannte, dass es sinnlos war. Der alte Mann ist fort.

"war" fort.

Der Sprung in den Präsens war schon beabsichtigt. Wenn du den nachfolgenden Absatz liest, wirst du sehen, dass auch er im Präsens gehalten ist. So schließt sich der Kreis zu einer aus der Jetztzeit heraus erzählten Geschichte.

Schönen Dank also, und bis zum nächsten Mal!


Schöne Grüße von meiner Seite.

 

Hi Hanniball

Leider gefällt mir bereits der Anfang deiner Geschichte nicht, denn ich finde, er schubst den Leser, und da ich Egoist bin "mich", viel zu gemein in die Geschichte rein und mir bleibt gar keine andere Möglichkeit, als über alles zu stolpern, was du mir in den Weg legst.
Meines Erachtens macht das dieser Satz:

Mein Bruder war schon vor langem in Richtung Amerika ausgewandert, so dass niemand mehr war, auf den ich hätte Rücksicht nehmen müssen.
Warum hätte er denn Rücksicht nehmen müssen, wenn sein Bruder nicht nach Amerika ausgewandert wäre? Das weiß ich jetzt noch nicht, also würde ich den Satz streichen, da ich bezweifle, dass er zur Geschichte beiträgt.


Wenn ich das hohe, dunkle Treppenhaus hinab ging, herrschte abweisende Leere und bis auf die Putzfrau sah ich selten jemanden hinauf- oder hinabsteigen. Die Aufwartefrau allerdings sah ich jedes Mal.
Iiiihh, Hanniball, du bist doch keine 80 Jahre alt.
Schreib doch einfach: Diese allerdings sah ich jedes Mal.

Ich konnte gewiss sein, dass sie ständig irgendwo auf Knien und in sich gekehrt wie ein mürrischer Käfer den Boden schrubbte und mich mit keiner Regung beachtete.
Mit Regung beachten? Sagt man das so?

Er war klein und ging gebeugt, und das erste, was einem auffiel an ihm, waren mehrere dicke Beulen,
würde ich streichen

Er lachte bitter. „Niemand kann mir helfen.“ Wieder der verschlagene Blick von unten. „Aber ich suche weiter und ich werde jemanden finden, der mir hilft.“
Ich finde, das widerspricht sich mit dem, was er gleich danach sagt. "Ärzte können mir nicht helfen", fände ich besser.

Anschließend ist mir eigentlich kaum noch etwas aufgefallen, vielleicht Kleinigkeiten, die ich jedoch nicht erwähnenswert finde, denn dann hat mich die Geschichte richtig gefesselt. Es fängt an, etwas zu passieren.

Toll finde ich übrigens den letzten Absatz - der ist großartig geschrieben.
Desweiteren finde ich gut, dass deine Geschichte nicht viel verrät, keine Holzhammermethode, aber trotzdem ist dem Leser klar, was passiert ist.

Also: Gern gelesen, aber nochmal über den Anfang drüber, teilweise fand ich es etwas zäh. Es passiert zu wenig und wird zuviel aus dritter Hand erzählt (so war mein Gefühl).


Liebe Grüße
Tamira

 

Hallo Hanniball,

deine Geschichte hat mir recht gut gefallen. Wobei ich in der Auflösung eher eine Schwäche sehe, da es eine der zwei Möglichkeiten war, die ich ziemlich schnell in Betracht zog. (Von, es war nur ein Traum mal abgesehen ;) ) Den Weg zu dieser Auflösung beschreibst du sehr athmosphärisch dicht und den seltsamen Besuch beklemmend hilflos.

Aber dann geht es mir etwas schnell zu Ende. Das weist für mich darauf hin, dass die Pointe überraschen soll, was nicht wirklich funtioniert hat. Vielleicht weitest du den Teil seiner Erkenntnis noch etwas aus. Dass es "selbstverständlich hoffnungslos" war, finde ich schon fast etwas lapidar im direkten Vergleich zum Rest.

Aber ansonsten ein solides Stück Kunsthandwerk

Besten Gruß
krilliam

 

Hallo Tamira!

Freut mich, dich hier zu sehen! Auch wenn dein erster Satz für mich nicht unbedingt positiv ausfällt.

Mit dem ersten Absatz wollte ich eigentlich Atmosphäre schaffen, mal sagen einen Hintergrund für den Prot. Der Ich-Erzähler sollte rüberkommen als einsamer, beziehungsunfähiger Mensch, der seine Mutter vermisst und seinen Bruder, na ja, quasi verloren hat.

Ich werde aber nochmal über den ersten Absatz drübergehen, denn wenn du schreibst:


Mein Bruder war schon vor langem in Richtung Amerika ausgewandert, so dass niemand mehr war, auf den ich hätte Rücksicht nehmen müssen.

Warum hätte er denn Rücksicht nehmen müssen, wenn sein Bruder nicht nach Amerika ausgewandert wäre?

hast du natürlich recht.

Die Aufwartefrau habe ich reingenommen, weil ich eigentlich damit auch den Prot charakterisieren wollte - ja genau, altmodisch, von seiner alten Mutter beherrscht.

Ich konnte gewiss sein, dass sie ständig irgendwo auf Knien und in sich gekehrt wie ein mürrischer Käfer den Boden schrubbte und mich mit keiner Regung beachtete.

Mit Regung beachten? Sagt man das so?

Mir deucht, dass es zumindest nicht falsch ist. Und du weißt ja sicher, dass ich umständlichen Stil eigentlich sehr gerne mag.


Er lachte bitter. „Niemand kann mir helfen.“ Wieder der verschlagene Blick von unten. „Aber ich suche weiter und ich werde jemanden finden, der mir hilft.“

Ich finde, das widerspricht sich mit dem, was er gleich danach sagt. "Ärzte können mir nicht helfen", fände ich besser.

Wenn der alte Mann aufstöhnt: "Niemand kann mir helfen." Ist das ein Ausruf, der nicht unbedingt wahr sein muss. Ich habe ihn zumindest nicht ernst genommen.


Desweiteren finde ich gut, dass deine Geschichte nicht viel verrät, keine Holzhammermethode, aber trotzdem ist dem Leser klar, was passiert ist.

Das ist natürlich eine Kunst, und wenn mir das nur ansatzweise gelungen sein sollte, so freut mich das wirklich.

Vielen Dank denn also für die rasche Kritik und die warmen Worte!


Hallo Herr Bolderson!

Schön, dass die Geschichte recht gut gefallen hat. Eine Auftragsarbeit, kein herzblut in dem Sinne, so dass ich recht zufrieden sein kann.

Und dann, tja die Auflösung! Eigentlich, klassische Kurzgeschichte: Einleitung, Hauptteil, Auflösung. Und die Auflösung geht einher mit der Lösung der Spannung.
Ich wollte den Besuch des Russen als Showdown ausarbeiten und quasi der Spannung damit einen Körper geben. Doof natürlich, dass nach der Spritze (Höhepunkt) noch was kommt. Kannst du nur verlieren.
Vielleicht, wenn man die Lösung schon mit in die Handlung einbaut?

Aber ansonsten ein solides Stück Kunsthandwerk

Nicht wahr, das ist doch was, worauf man stolz sein kann!

Danke dir!

Schöne Grüße von diesseits!

 

Hallo Hannibal,

ich kann gar nicht viel zu der Geschichte sagen, außer dass sie mir auch sehr gut gefallen hat. Besonders toll fand ich die Beschreibung des russischen "Arztes", diese Sache mit den Augen ist wirklich verdammt gruselig!
Es gab nur ganz wenige Stellen, wo ich beim Lesen gestolpert bin, aber da Häferl sich schon der Sprache angenommen hat, glaube ich kaum, dass es da für mich noch etwas zu ergänzen gibt :).
Nur eins noch - das ist Geschmackssache, aber trotzdem: Ich fand den Titel irgendwie zu lang bzw. zu sperrig. Es sind zwar nur zwei Wörter, aber irgendwie quält mich die ganze Zeit die Frage, warum du sie nicht einfach "Nachbarschaftshilfe" genannt hast. Aber das bin wahrscheinlich bloß ich :shy:.

Grüße von Perdita

 

Hi Perdita!

Auch wenn du nicht viel zur Geschichte sagen kannst, mir reicht es aus, was du sagst.:D

Freut mich wirklich, dass sie dir zusagt, weil sie ja eigentlich aus einem Muss heraus entstand. Ich wollte zu einem Thema an einem Wettbewerb teilnehmen und bin davon ausgegangen, die Handlung zu erschaffen.

diese Sache mit den Augen ist wirklich verdammt gruselig!

Und diese Sache gibt es wirklich, hehe. Und glaub mir, das sieht noch gruseliger aus, als es hier wirkt.

Wirklich wirklich dankbar bin ich dir für den Titel. Mir hat er auch nie sonderlich gefallen. Doch warum ich nicht auf diesen gekommen bin - ich weiß es wirklich nicht. Sehr schön, werde mal einen Moderator anfunken. Danke dir.

Schönen Dank für die Mühe und die warmen Worte.

Schöne Grüße von hier!

 

Hallo Hannibal

Oh, das freut mich, dass dir mein Titelvorschlag gefallen hat! Und Glückwunsch zu der Empfehlung :)

Grüße von Perdita

 

Oha, der Maestro ist zurück :D

Ja, da bereitete ich alles schön vor: Blatt Papier auf den Schreibtisch, Stift gespitzt und angefangen mit dem Lesen (hier muss ich einschieben, dass es mein dritter Versuch war, über den Anfang hinauszukommen; ohjeh, glaube, das klingt jetzt zu hart, oder?! Aber irgendwie schaffte es dieser Anfang nicht, mich in die Geschichte hineinzuholen, und ich muss sagen, wenn sie nicht von dir gewesen wäre ... ja, dann hätte ich was verpasst.)

Also, zurück zu meinem Blatt Papier für die Notizen. Nachdem ich die Geschichte zuende gelesen hatte - gegen Ende immer schneller werdend - standen 3 Punkte drauf:
1. Am Anfang war ich unschlüssig bezüglich des Geschlechts des Protagonisten. Ich glaube, es lag daran, dass du ihn in einer Schneiderei arbeiten lässt, was ich zunächst mit einer weiblichen Person assoziierte.
2. Sehr gute Darstellung der Fleischsäcke. Hier möchte ich hervorheben: "als enthielten sie Leben." Saugeil! Mit wenigen Worten richtig viel gesagt (Sch... dass mir das nicht eingefallen ist :D)
3. Was, bitte schön, ist eine Aufwartefrau. Ich finde ein richtig gruseliges Wort, dass irgendwie so gar nicht zum Rest der Geschichte passt. Aber sowas ist ja Geschmacksache.

Ja, und das war es auch schon; zumindest in Form hingekrickelter Notizen auf meinem Zettel. Zusammengefasst hat sich das Lesen wirklich gelohnt; ich bin immer wieder begeistert, wie toll du Charaktere schaffen kannst. Hier möchte ich besonders den alten Mann hervor heben.
Der russische Arzt schwebt mMn allerdings arg an der Klischeegrenze ;). Auch würde ich seinen Akzent ein wenig überdenken (ich weiß, ich hatte auch mal son Typen in eine meiner Geschichten), aber wenn man sowas schreibt, dann klingt das gut. Mich als Leser reißen solche "falsch" geschriebenen Worte immer ein wenig aus der Geschichte raus. Naja, aber so viel redet er ja nicht.

Das Ende hat mir wieder richtig gut gefallen; irgendwie habe ich damit nicht gerechnet. Der Schrecken entsteht hier mMn durch das sanfte Ausklingen. Die Schlussfrage lässt sich schon fast als Highlight bezeichnen.

Fazit: Verdiente Empfehlung! Hat mal wieder Spaß gemacht :)

Gruß! Salem

 

@ Perdita:

Danke (für die Glückwünsche und für den Titelvorschlag).

Hi Salem!

Oha, der Maestro ist zurück

War nie völlig weg und schon gar kein Maestro (zumindest nicht auf diesem Gebiet:D)


hier muss ich einschieben, dass es mein dritter Versuch war, über den Anfang hinauszukommen;

Du bist nicht der erste, der davon spricht, muss also was dran sein. Und ich hab mir gerade mit den ersten Sätzen solche Mühe gegeben.


Das Geschlecht des Protagonisten: Tja, ist tatsächlich nirgends die Rede vom Geschlecht, mal schauen, ob ich irgendwo einen Hinweis darauf einbauen kann.

zu 2.) Dankeschön, ich zittere vor Stolz!

zu 3.) Aufwartefrau: Eine Reinigungskraft ist eine Person, die (beruflich) säubert. Häufig und traditionell ist sie weiblich und wird auch als Putzfrau bezeichnet. Heute stellen viele Unternehmen auch männliche Arbeiter ein, überwiegend zum Fensterputzen. (Quelle: Wikipedia) Ist schon ein altmodischer Begriff, sollte ja auch ein altmodisches Haus und in gewissem Sinne ein altmodischer Protagonist sein. Vielleicht nehme ich den Begriff raus.

Ich glaube, auch mit dem Akzent muss ich mir was einfallen lassen, tatsächlich habe ich die Idee aus einer deiner Storys. Quasi bist du also Schuld. :D


Fazit: Verdiente Empfehlung!

Das hat mich richtig gefreut. Danke!

Schönen Dank also für die Mühe und den vollgekrickelten Zettel!


Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo,

Deshalb kam es mir merkwürdig vor, dass er sich gerade mit mir abgab, war ich doch im Grunde dieselbe Art Mensch wie er, introvertiert und nicht erpicht auf die Gesellschaft anderer.
Der zweite Teil des Satzes ist doch eher eine Erklärung, warum er es doch machen könnte.

Er sagte das so, als sei sie einem elitären Club beigetreten und müsse sich der Ehre würdig erweisen.
Hm, kann mir nicht vorstellen, wie man das so sagen kann, dass dieser Eindruck entsteht.

Weshalb ich trotzdem nicht beruhigt war, kann ich nicht sagen.
Ich würd ein „nicht“ rausnehmen mit „beunruhigt“ oder so.

Hm, also es gibt wirklich viel Positvies anzumerken. Das ist ein Retro-Erzähler, im Besten Sinne des Wortes, Poe oder Kafka könnten den verwendet haben. Ein untadeliger Mensch, dem kaum einmal eine Gefühlsregung entfleucht und der nur seine Ruhe haben möchte. Bei dem man so das Gefühl hat, er kennt die menschlichen Standards für soziales Zuisammenleben genau und entschuldigt sich dann fast in jeder Zeile dafür, dass er ihnen nicht entspricht.
Auch dieses Behäbige des Treppenhauses, dass du dir da einfach die Zeit nimmst, um das darzustellen, ohne das es langweilig wird, ist wirklich gut. Auch der Besuch dieses irgendwie thomas mann’schen Mynherr Rhasputin funktioniert dann so, also ich musste wirklich stellenweise an den Zauberberg denken.
Warum mich die Geschichte nicht vollends überzeugt, ist schwer zu sagen, die Bestandteile gefallen mir alle wirklich gut, aber so der Erkenntnisgewinn am Ende, so dieses „Aha!“-Erlebnis, irgendeine poetische Gerechtigkeit, Moral, was auch immer, find ich hier nicht. Natürlich ist das eine Horror-Geschichte und dafür ist das unerheblich, aber irgendwas fehlt mir das am Ende, er wird zum Träger dieser Dinger, ohne Schuld auf sich geladen zu haben, er willigt dem nicht völlig frei ein, sondern wird getäuscht praktisch, die Hypochondrie wird ihm zum Verhängnis. Man hat vielleicht durch den erdrückenden Heilkundigen da, auch das Gefühl, es hätte ihm jederzeit passieren können, er hätte von ihm jederzeit überwältigt werden können. Also das wissentliche Eingehen in so einen Pakt sehe ich nicht.
Irgendwie fehlt mir was literarisch-sinnstiftendes in dem Text.
Trotzdem handwerklich und erzähltechnisch funktioniert die Geschichte auf hohem Niveau. Respekt dafür.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn!

Deshalb kam es mir merkwürdig vor, dass er sich gerade mit mir abgab, war ich doch im Grunde dieselbe Art Mensch wie er, introvertiert und nicht erpicht auf die Gesellschaft anderer.

Der zweite Teil des Satzes ist doch eher eine Erklärung, warum er es doch machen könnte.

Warum das?


Er sagte das so, als sei sie einem elitären Club beigetreten und müsse sich der Ehre würdig erweisen.

Hm, kann mir nicht vorstellen, wie man das so sagen kann, dass dieser Eindruck entsteht.

Ich hatte schon beim ersten Niederschreiben befürchtet, dass dieser Einwand kommen würde. Geht mir ja genauso und ich weiß nicht, wie ich das ändern sollte. Denn in gewisser Weise, finde ich, charakterisiert es doch den alten Mann.

Weshalb ich trotzdem nicht beruhigt war, kann ich nicht sagen.

Ich würd ein „nicht“ rausnehmen mit „beunruhigt“ oder so.

Definitiv ein Ja!

Dein Lob nehme ich gerne an, bis auf diesen Mannschen Vergleich, den ich koketterweise ablehnen muss, obwohl einer meiner Longseller "Buddenbrooks" heißt.


Warum mich die Geschichte nicht vollends überzeugt, ist schwer zu sagen, die Bestandteile gefallen mir alle wirklich gut, aber so der Erkenntnisgewinn am Ende, so dieses „Aha!“-Erlebnis, irgendeine poetische Gerechtigkeit, Moral, was auch immer, find ich hier nicht.

Genau! Mein Sprechen schon von Jeher in diesem Forum! Frag mal Salem, wie ich ihm damit auf den Senkel gegangen bin, dem Guten.
Frey würde von einer Prämisse sprechen, vielleicht von einer Botschaft.

Ich finde, die Botschaft (wenn man das so nennen will) dieser Story hat Tamira Samir in ihrer Empfehlung ziemlich annähernd festgehalten. Ich bin also schon der Meinung, dass man die Geschichte unter einem roten Faden betrachten kann. Es geht, glaube ich, schon um - ganz der modernen Welt verpflichtet - urbane Ängste, Kontaktscheue, die nichts nützt, weil man sich trotzdem etwas auflädt. Na ja, ich bin nicht der brennende Busch, nicht?

Trotzdem handwerklich und erzähltechnisch funktioniert die Geschichte auf hohem Niveau. Respekt dafür.

Danke!

Auch fürs Aufraffen und die Mühe.

Schöne Grüße von diesseits!

 

Das ist ein Retro-Erzähler, im Besten Sinne des Wortes, Poe oder Kafka könnten den verwendet haben.

Ähnliches dachte ich auch beim Lesen. Und eben diesen Stil liebe ich abgöttisch. Daher hattest du mich mit den ersten Zeilen der Geschichte sofort gebannt. Die Beschreibung des Treppenhauses und der anderen Mieter hat eine sehr spezielle Atmosphere erschaffen, die so bedrückend wirkte, dass der alte Mann mit seinen Säcken quasi das Fass zum Überlaufen brachte :)

Das Ende gefiel mir leider weniger... ich hatte ab einem bestimmten Punkt auf eine andere Erklärung gehofft, welche leider nicht eintraf. Aber gut, für Stil und Umsetzung kann ich nur Lob aussprechen!

Gruß, Scharker

 

Ich fand Deine Geschichte toll, denn eine Gruselgeschichte zu erzählen kommt mir manchmal als die schwerste Aufgabe vor. Menschen müssen erschreckt werden, und dies (kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen), wenn es nicht vollzogen wird, kann eins der peinlichsten Dinge sein! Dann fühlt man sich, als hätte man nur einen Haufen nutzloser Beschreibungen und Gespräche hingeschrieben.

Da ich Dich nicht persönlich kenne, kann ich es nicht genau wissen, aber ich würde annehmen, dass Du ein großer Fan von H.P. Lovecraft und Poe wärst. Ich konnte nicht diese gruselige, altamerikanische Stimmung darin überlesen, die in deren Geschichten immer vorkommt, und welche Du selber dort hineingewirkt hattest. Dunkle, finstere Geschichte...und das Ende lässt viele Fragen offenstehen, die einem ein nagendes Unbehagen bereiten. Hat mir sehr gut gefallen!

 

Hi Scharker!

Ich selbst liebe diesen Stil auch, und zwar als Autor als auch als Leser. Es lässt sich viel reinpacken, mit Andeutungen arbeiten und große Zeiträume einfangen. Es macht Spaß, damit zu arbeiten.

Das Treppenhaus - tja, das wundert mich. Es wurde ja mehrfach schon angesprochen, allerdings habe ich das nur mit ein, zwei Bemerkungen beschrieben, es trägt sich wohl mehr über die Putzfrau, denke ich.

Das Ende, ja. Was hattest du denn für eine Erklärung erhofft? Würde mich mal interessieren, denn ich habe ja auch hin und her überlegt.

Trotzdem freut es mich, dass dir der Großteil des Stückes gefallen hat. Danke dir!


Hallo A.Dirr!

Ich bin tatsächlich seit frühester Jugend großer Fan von Poe. Ich kann wirklich sagen, dass er mich über die Maßen beeinflusst hat. Von Lovecraft kann ich das weniger sagen, ich hatte lange Zeit keinen Zugang zu ihm. Nichtsdestotrotz war ich aber fasziniert von seinen Werken, als ich ihn lesen konnte.

Allerdings tut sich bei ihm eine Kluft zwischen genialen und grottenschlechten Geschichten auf, die du bei Poe in der Spanne nicht findest.

wenn es nicht vollzogen wird, kann eins der peinlichsten Dinge sein! Dann fühlt man sich, als hätte man nur einen Haufen nutzloser Beschreibungen und Gespräche hingeschrieben.

Genau dafür ist dies Forum hier da. Stelle Geschichten ein, nehme dir alle Kritiken zu Herzen und diskutiere. Und kritisiere fleißig selber Geschichten - das schult ausgezeichnet.


Ich danke dir für dein Lob und für die Mühe, die du dir gemacht hast!


Viele Grüße von meiner Seite!

 

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