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Nachts auf der Straße

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24.02.2022
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Nachts auf der Straße

Jack saß in einen dicken, abgetragenen Mantel gewickelt hinter einer Mülltonne und biss in einen Käsetoast, den er sich von seinen Tageseinnahmen besorgt hatte. Seine schmutzigen Finger hinterließen schwarze Abdrücke auf dem Teig, doch das kümmerte ihn nicht. Das war heute seine erste Mahlzeit (Wenn man den halben Apfel, den er im Park vom Boden geklaubt hatte, nicht mitzählte), und eigentlich hatte er vorgehabt sich seine Nahrungsmittel einzuteilen. Doch sein knurrender Magen machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Gierig verschlang er das ganze Stück Weißbrot und leckte sich die letzten Krümel von der Hand. Er blickte in den Himmel, den die Sonne schon rötlich leuchten ließ. Es würde bald dunkel werden, und im Herbst waren die Nächte saukalt. Er musste sich einen Unterschlupf besorgen. Er blickte sich um. Die Gasse, in der er saß, würde nicht viel Schutz vor dem eisigen Nachtwind bieten. Stöhnend erhob er sich, und seine malträtierten Knöchel knackten. Der Stoff der Schuhe, die er anhatte, war löchrig und ebenso schmutzig wie der Rest seiner Kleidung. Die Sneakers passten ihm nicht so ganz und rieben an seiner Haut. Seine Fußknöchel waren offen und brannten manchmal, doch das war der Obdachlose mittlerweile gewohnt. Außerdem hatte er eine zuverlässige Betäubungsmethode, die nicht nur die Schmerzen an seinen Füßen verminderte, sondern auch die in seiner Seele. Jack griff in seine Manteltasche und holte eine Flasche Jack Daniels hervor, die ihm heute ein freundlicher Lastwagenfahrer geschenkt hatte. DAS war ein Ding! Jack ging am späten Nachmittag aus der Bar (das GLAM war eines der wenigen Lokale, wo man sich auch als Obdachloser aufhalten konnte, ohne groß Aufsehen zu Erregen) wo er sich sein Abendessen gekauft hatte , als einem LKW Fahrer, der gerade seinen Anhänger entlud, einer der schwarzen Whiskeykartons mit der Weißen Aufschrift entglitt und er auf den Asphalt gefallen wäre, hätte Jack nicht blitzschnell reagiert und den Karton aufgefangen. Bei so einer tollen Sache wie Whiskey versagten seine durch jahrelange Verwahrlosung gedämpften Sinne nicht. Er stellte den Karton wieder auf die Ladefläche, von wo aus sich der verdutzte Fahrer bedankte. „Gute Reflexe, Mann! Danke!“, rief er. „Keine Ursache!“, antwortete Jack und wollte hustend weitergehen als ihn der Fahrer zurückrief. „Hey Mann, warte! Ich bin dir was schuldig!“, rief der Mann. Jack glaubte, er war ein Türke oder so was. Er hatte braune Haut und sprach gebrochenes Deutsch mit südländischem Akzent, ähnlich wie der Besitzer der Bar, in der Jack Stammgast war. Er zog aus dem Karton eine Flasche und reichte sie Jack. „Hier, damit dir etwas wärmer wird! Die Nächte werden kalt, da kann jeder einen Schluck gebrauchen!“ Jack blickte zögernd nach oben auf die LKW Ladefläche. War das ein Scherz? Als Obdachloser hatte er schon viel Böses erlebt. Leute, die ihn auslachten, ihn böse ansahen und kicherten, und manche ignorierten ihn einfach und taten so, als würden sie ihn nicht sehen. Doch der Mann auf dem Laster reichte die Flasche weiterhin nach unten, und so nahm sie Jack schließlich. „Danke Mann !“, rief er, „Das isn´ feiner Zug von Dir!“ Der Fahrer winkte ihm zum Abschied und verschwand wieder in seinem Anhänger. Jack machte sich vom Acker, bevor der Lieferant es sich womöglich anders überlegte, und nahm schließlich die Abzweigung in die Seitengasse, wo er sein Essen genießen würde.

Als er seinen Toast fertiggegessen hatte, trank er zwei große Schlucke aus der Flasche, und eine wohlige Wärme floss seine Kehle hinunter und erfüllte seinen Magen. Das war heute echt sein Glückstag! Essen und dann auch noch Medizin für die Nacht! Jetzt fehlte ihm nur noch ein geeigneter Schlafplatz. Jack stand auf und wickelte seinen Mantel fester um sich. Langsam stapfte er die Gasse entlang, auf dem Weg zu einem etwas abseits der Innenstadt gelegenen Pavillon, das ihm als Nachtlager diente. Rote Ziegelwände ragten links und rechts von im hinauf, wie um ihn vor den Blicken der Menschen zu Schützen, die meist wenig Mitleid für ihn übrig hatten. Sie beleidigten ihn zwar nicht, doch die kurzen, schamhaften Blicke und das schnelle Wegsehen sobald er sie erwiderte waren für ihn jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht. Mit der Zeit wurde er immer abgeneigter gegen sein Umfeld, das ihm (nach Möglichkeit) auswich und nur ungern ein paar Euro in seinen Hut warf, den er vor sich hinstellte um Almosen zu Erbetteln. Was wussten die schon? Jack war nicht immer auf der Straße gewesen. Er hatte seine Gründe für diesen Lebensstil. Er dachte betrübt darüber nach, während er sich seine Decke in dem Pavillon auflegte, das bei Nacht immer leer war und nicht nur Schutz vor neugierigen(oder mitleidigen) Blicken bot, sondern auch einen relativ warmen Schlafplatz abgab . Er wickelte sich in die schmutzige Daunendecke und stellte seinen Whiskey griffbereit neben sich. Er schloss die Augen und schlief seufzend ein, während der Wind seine Melodien durch die Nacht sang.

 

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