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Neulich beim Jüngsten Gericht

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09.08.2002
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Neulich beim Jüngsten Gericht

Neulich beim Jüngsten Gericht

Jetzt also wurde es ernst. Ich stand schon geraume Zeit vor einer Tür, zu der mich Petrus, ein abgehalfterter Althippie in unmöglichen Jesuslatschen, geführt hatte. An der Tür selbst war ein Schild befestigt, auf dem in den Sprachen aller Herren Länder zu lesen war, daß hier Gott der Allmächtige residierte.

Mir war ein wenig bang zumute. Sicher, ich war zeitlebens ein guter Kerl gewesen, schön, vielleicht mit einigen kleineren Macken behaftet, aber mein Gott, wer ist schon perfekt, doch trotzdem: Sollte der alte Knabe einen restriktiven Kurs fahren, sähe ich mich schneller in einem Kessel kochenden Pechs, als ich mich umgucken kann. Und diese Warterei! Schlimmer als beim Arbeitsamt! Doch endlich, nach peinigenden Stunden des Selbstzweifels öffnete sich die Tür und ein betreten dreinblickender Kannibale, stilecht mit Lendenschurz und einem kunstvoll ins Haar gearbeiteten menschlichem Oberarmknochen, trat aus dem God – Office und suchte den Lift nach unten. Was das bedeutete, war ihm klar. Mir auch.

Eilfertig kam Petrus wie aus dem Nichts angesprungen. „Die Papiere!“, schnarrte er und ließ sich von dem Kannibalen ein Schriftstück aushändigen, welches er stirnrunzelnd prüfte. „Na, hier oben haste jedenfalls nichts mehr verloren.“, stellte er fest und deutete auf das Formblatt. Er hieß den bedauernswerten Delinquenten an, zu unterschreiben und zeichnete gegen. Dann riß er einen Durchschlag ab, reichte dem zur Hölle Hinabfahrenden das Original und heftete die Kopie in einem herumliegenden Ordner ab. Petrus holte den Lift herauf, stieß sein Opfer hinein und unter einer unerträglichen Kakophonie satanischen Geheuls entschwand es.

Daraufhin vernahm ich einen gewaltigen Bariton: „Der Nächste!“ Vorsichtig trat ich ins Büro Gottes und lächelte servil. Er, der Herr, sah irgendwie genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt hätte, wenn ich jemals des Glaubens gewesen wäre. Eben ein alter Typ mit weißem Bart, doch rein psychologisch gesehen wegen seiner Allmacht ein wenig furchteinflößend.

Zunächst wurden die Formalien besprochen, Name, Alter, usw. Dann lehnte sich Gott zurück und sah mich eine ganze Weile durchdringend an. „Du hast also niemals an mich geglaubt“, sagte er endlich. Er schien ärgerlich zu sein. Beschwichtigend sagte ich: „Nun mach mal nicht die Pferde scheu! Was heißt denn hier nicht geglaubt...“ „Papperlapapp!“, fiel mir der Herr ins Wort, „Aus der Nummer kannst du dich nicht rausquatschen! Die einzigen Male, als du meinen Namen erwähnt hast, waren bei deinen lästerlichen Flüchen!“

Er zerrte eine umfangreiche Akte hervor und begann ungehalten darin zu blättern. „Hier hab ichs!“, rief er triumphierend. „Gottverschissene Hurenkotze zum Beispiel und das ist wirklich nur ein Beispiel! Was sagst du dazu?“ „ICH? ICH soll DAS gesagt haben? Absurd!“, erwiderte ich und sah Gott fest an. „Natürlich! Und zwar, als du eine vakuumverpackte Tüte Erdnüsse nicht aufbekommen hast!“ „Aber das war doch ´ne Ausnahme! Normalerweise sage ich sowas nicht...“

Ich wurde nervös und kam ins Stammeln. Er würde doch nicht alle Flüche aufgezeichnet haben?! Der Herr lachte böse. „Ausnahme! Von wegen Ausnahme! Weißt du noch, was du sagtest, als du die Zündkerzen in den Aluzylinderkopf schief eingeschraubt und das Teil damit ruiniert hast? Hä?“ „Ähm..., nee, nicht direkt, aber muß das denn jetzt wirklich...“ Ich bemühte verzweifelt mein Erinnerungsvermögen. Gott beugte sich vor und bellte: „Gottverwichste Pennerscheiße! DAS hast du gesagt! Ich wollte es nicht glauben! Und jetzt sitzt du hier ´rum und glaubst, es wird sich schon irgendwie einrenken! Wie immer!“

Es sah alles danach aus, als müßte ich nunmehr kleine Brötchen backen. Ich blickte Gott, den Herrn schleimerisch an und begann: „O Lord!...“ Er sprang auf. „KOMM MIR NICHT MIT DIESER O LORD SCHEISSE!!! Jedesmal wenn ich O Lord höre, steht ein Rockstar auf ´ner Bühne ´rum, würgt eine Liebesschnulze hervor, beendet sein Konzert, geht ins Hotel, säuft sich einen an, schnüffelt Kokain, bumst Groupies! Ist das vielleicht gottgefällig? Ich könnte kotzen!“ „Nun ja...“ „Nix nun ja! Du hast nicht geglaubt und fertig! Gib ´s doch wenigstens zu!“ Jetzt reichte es mir, Gott hin oder her. „Du machst es einem ja auch nicht gerade leicht, verdammt noch mal...“ „Bitte wie war das???“ „´tschuldigung. Ich meine, du läßt vor 2000 Jahren einen auferstehen, von dem man nicht weiß, war es jetzt so oder nicht, was genaues weiß eigentlich keiner und dann verlangst du, jetzt glaubt mal schön. Also, mir war das ´n bißchen wenig, verstehste? Da könnt ja jeder kommen!“

Der Herr blickte mich ungläubig an. „In welchem Ton sprichst du eigentlich mit mir? Wohl ´n Dachschaden? Außerdem ist es inhaltlich falsch. Es war nicht nur die Auferstehung. Was ist mit den Wundern? Der heiligen Schrift? Den Geboten? Du hast dich einen Dreck darum geschert!“ „Mag ja sein“, entgegnete ich beleidigt, „und nun isses sowieso zu spät. Also mach die Papiere klar und sieh zu, daß wir ´s hinter uns bringen.“ „Also, das ist das letzte Mal, daß ich dir dein freches Mundwerk nachsehe. Was hier gemacht wird, bestimme immer noch ich, du kleiner Erdenwurm! Punktum!“ „Ist ja schon gut.“, sagte ich kleinlaut. Der Allmächtige vervollständigte seine Anklage. „Wenn wir schon bei den Geboten sind...“ Er kramte in seiner Akte. „...hier haben wir folgende Sachverhalte: Du sollst nicht stehlen! Das steht klipp und klar in den Geboten! Wie kriegst du das mit dem CD – Player von Karstadt zusammen?...“ „Jugendsünden, nichts als kleine, harmlose Jugendsünden! Ein Dummerjungenstreich. Nichts weiter!“ Gott grunzte verächtlich. „Also, ich muß mir hier jeden Tag den größten Schwachsinn anhören, aber das, was du hier bietest... Jugendsünden! Ich hatte hier echt noch keinen, dessen Jugend bis in die Dreißiger reicht! Also laber nicht!“ „Aber...“ „Schnauze! Dir war immer alles scheißegal! Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib! Und? Erinnerst du dich an Helmut oder vielmehr an dessen Frau?“ „Mensch, Helmut war doch nun echt nicht mein Nächster! Da konnte man doch wirklich mal ´ne Ausnahme machen!“

Der Herr schnaubte wütend. „Du drehst es dir immer so, wie du es gerade brauchst! Dir scheint der Ernst der Lage nicht bewußt zu sein! Und bis jetzt...“ Gott senkte seine Stimme bedrohlich, ... bis jetzt waren das alles Peanuts. Du sollst nämlich auch nicht töten! Verstehst du?! Du sollst nicht töten! Weißt du überhaupt, was du getan hast?“ Ich grinste überlegen, denn hier lag der Alte falsch. Ich hatte niemals jemand abgemurkst. Niemals! „Hör mal, jetzt mal halblang! Ich bin doch kein Killer!“

Gott warf mir ein paar Polaroids hin. Darauf war eine Wespe in Todesqualen zu sehen. Ich erinnerte mich. Als ich zwölf oder dreizehn war, hatte ich sie mit meinem Kumpel Tommi gefangen und an einen Modelleisenbahntrafo angeschlossen, bis die Flügel verglühten und danach das ganze Vieh. Wir hatten vorher eine Gerichtsverhandlung simuliert und diese Wespe exemplarisch für die Tyrannei ihrer Artgenossen hingerichtet. Zuerst allerdings wurde das Tier hochnotpeinlich befragt. Durch ihr beharrliches Schweigen sahen wir uns veranlaßt, zu etwas gröberen Mitteln zu greifen. Daraus sollte mir nunmehr ein Strick gedreht werden? Ich konnte es nicht fassen. „Das war doch bloß ´ne beschissene Wespe!...“ „Es war ein Geschöpf Gottes! Mit meinen eigenen Händen schuf ich dies Wesen! Und du? Du löschst dieses Leben einfach aus! Schwein!“ „Du erfindest aber auch manchmal komische Viecher! Wespen! Kakerlaken! Spinnen! Es kann doch keine Sau ahnen, daß dir irgendwas an dem Gezücht liegt!“ „Mir liegt an jedem Leben! Weißt du, wie man anständig damit umgeht? Erinnerst du dich an die kleine Jaqueline?“

O ja, das tat ich. Die kleine Jaqueline. Eine Seele von einem Menschen. Ekelerregend gutherzig. Sie hatte ein Aquarium mit tödlich langweiligen Goldfischen. Manchmal starb einer und ihm ward eine feierliche Toilettenbestattung sicher. Es wurde ruhige Musik gespielt, Kerzen auf dem Klo aufgestellt und selbst die Kinder bekamen zu einem solchen Anlaß ein halbes Glas Sekt. Das war überhaupt der Grund, warum ich diese Veranstaltungen gern besuchte. Dann stand ich da, leicht angeschickert ob des ungewöhnlichen Getränks und lauschte dem finalen Scheißhausgurgeln. Das scheinbar gottgefällige Schluchzen der kleinen Jaqueline störte mich nicht weiter.

Gott klappte die Akte mit einem gewaltigen Donnerschlag zu. „Wir haben genug geredet“, stellte er fest. „Ich werde das Urteil fällen. Warte draußen!“

Ich ging hinaus und hatte Angst.

 

Witzig geschrieben. Zu Anfang ein bischen langatmig, aber als du erst mal Gott hast loslegen lassen, wurde es richtig gut. Besonders gelungen fand ich die peinliche Aufzählung seiner (nicht Gottes!) Sünden und natürlich die Finale Goldfischbeerdigung.
Du solltest dich allerdings die Anführungszeichen kümmern. Sieht einfach nicht gut aus und verwirrt.

 

Coole Story gefällt mir sehr gut.

Am Anfang wollt ich schon aufhören zu lesen, es war nicht auf den Punkt gebracht. Ich dachte jetzt kommt nur eine langweilige Beschreibung der Situation.

Durch Maestros Kommentar hab ich dann doch weiter gelesen und es hat sich gelohnt.

Schade das es ein offenes Ende ist - hätte gern gewußt ob Gott die Besuche auf der Goldfischbeerdigung als positiv anrechnete. Aber so muß ich halt weiter denken.

Da du sehr viel geflucht hast, wär es vielleicht noch der letzte Kick gewesen, wenn er am Schluß eine "Scheiß-Angst" gehabt hätte.

Nochmal, denn doppelt hält besser: coole Story

 

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