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Neulich, die Versteigerung von Schriftstellern
Neulich war ich auf einer echt merkwürdigen Veranstaltung. Ich sollte für meine Zeitung, für die ich als freier Mitarbeiter tätig war, von einer Auktion berichten, die Schriftsteller versteigerte. Ehrlich wahr! In dem Fax, das wir von den Veranstaltern in die Redaktion zugeschickt bekamen, stand, dass die Zielgruppe dieser Auktion vornehmlich alleinstehende, heiratswillige Frauen seien. Und dann wurden in dem Fax die einzelnen Vorzüge von Schriftstellern als Lebensgefährten aufgeführt.
Normalerweise gab unser Chefredakteur ja keinen Pfifferling auf Schriftsteller. „Alles so schöngeistige Faulenzer“, sagte er immer. Aber da wir uns gerade im berühmten Sommerloch befanden und alle Helfer unserer Freiwilligen Feuerwehr im letzten Monat über Island mit dem Flugzeug abstürzten, schickte mich die Chefredaktion doch noch hin.
Die Auktion war – zu meiner Überraschung – ziemlich gut besucht. Es waren natürlich nur Frauen da, sieht man mal von dem schwulen Klaus ab, der wohl mit dieser Auktion die Hoffnung verband, seinen Traumprinzen zu finden. Das ist in so einer konservativen Kleinstadt wie Kronberg natürlich nicht ganz einfach. Einmal hatte Klaus sogar mal was mit unserem Bürgermeister – totaler gemeinsamer Absturz nach einem Straßenfest. Der Bürgermeister ließ Klaus dann aber wegen übler Nachrede oder so was festnehmen, als dieser die Geschichte ausplauderte. Das wurde aber von unserer Zeitung totgeschwiegen, denn unser Chefredakteur und der Bürgermeister können ganz gut zusammen. Wenn ihr versteht, was ich meine.
Die Auktion fand in der Turnhalle des SV Kronberg 09 statt und wurde von dem Bruder des Bürgermeisters, einem kleinen stämmigen Mitvierziger eröffnet. Von einer Bühne aus sagte er in sein Mikrofon, dass er sich freue, so viele Zuschauer begrüßen zu dürfen und dass er auf hohe Einnahmen hoffe, die zu 70% den Freunden und Angehörigen der verunglückten Helfer der Kronberger Feuerwehr gespendet würden. Tosender Beifall. An dieser Stelle machte ich meine ersten Notizen.
Dann kam das erste Exemplar auf die Bühne. Ein junger, hagerer Mann mit einem recht spitzen Gesicht stand da nun neben dem Auktionator. Obgleich er ziemlich heruntergekommen aussah, wirkte er doch extrem selbstbewusst, wenn nicht sogar arrogant.
„Meine lieben Damen und mein Herr“. Gekicher. „Wir beginnen mit einer wirklich interessanten Gattung des Schriftstellers. Das hier ist Herr Peter von Carlowitz, ein junger aufstrebender Schriftsteller, 28 Jahre alt, der zwar erst eine Kurzgeschichte in einer Literaturzeitung veröffentlicht hat, aber ein großes Potential aufweist“. Von den Gesichtern des weiblichen Publikums konnte ich ein gewisses Interesse ablesen.
„Wann hat er diese Geschichte veröffentlicht?“, fragte ich schreiend von meinem Platz aus in Richtung des Auktionators.
Der Bruder des Bürgermeisters hielt dem jungen Schriftsteller das Mikrofon hin, um ihn selbst antworten zu lassen. „Vor acht Jahren“, nuschelte er vollkommen selbstgefällig ins Mikro. Großes Gemurmel im Publikum, woraus ich ein wenig Unmut schließen konnte.
Sofort versuchte der stämmige Auktionator wieder die Frauen auf seine Seite zu bekommen. „Aber, aber, meine Damen, was bedeuten schon Veröffentlichungen? Herr von Carlowitz hat dafür andere Vorzüge. Er ist – wie sie vielleicht selbst sehen können – äußerst arrogant. Hinzu kommt eine abgrundtiefe Humorlosigkeit und Intoleranz gegenüber allen Menschen, denen materielle Dinge wichtig sind“.
Beifall. Das Publikum schien durch diese Worte beschwichtigt zu sein.
„Das ist ja wohl das mindeste. Ich lasse mich doch nicht verarschen“, bemerkte eine Frau Ende 50 neben mir, die allem Anschein nach sehr vermögend sein musste. Zumindest trug sie eine dicke Perlenkette und hatte einen dieser unglaublich großen modischen Hüte mit Schleife auf.
Vor den Geboten sollte der junge Schriftsteller noch selbst ein paar Worte sagen, weshalb er das Mikrofon vor die Nase gehalten bekam.
Absolut lustlos und gelangweilt bewegte er seinen Kopf in Zeitlupentempo in Richtung des Mikrofons.
„Wir müssen allem Besitz abschwören, um unsere kreativen Energien wachzurufen. Nur der ist ein wahrer Künstler, der die Armut kennt. Ich kenne die Armut. Deshalb kenne ich mich selbst. Ich brauche mich nicht hinter Besitz zu verstecken, denn ich habe keine Angst zu erfahren wer ich bin oder sein könnte“.
Das gefiel mir, obwohl ich nicht alles verstand. Ich versuchte aber, alles wortwörtlich mitzuschreiben. Auch das Publikum war begeistert. Es gab einen langanhaltenden Applaus. Der Schriftsteller trat einen Schritt vom Mikrofon zurück, wobei er keine Miene verzog und absolute Gleichgültigkeit ausstrahlte.
Der Applaus ebbte langsam ab, als er noch mal ans Mikro ging und ganz leise, aber bestimmt sagte: „Ich verachte euch“.
Das weibliche Publikum flippte aus. Auch ich war von den Socken. Wenn schon dieses Exemplar so genial war, wie sollten wir die weitere Versteigerung aushalten?
Das Bieten begann. Schnell war man bei € 20.000. Dann € 30.000. Meine Nachbarin, die ältere Frau mit der Perlenkette, bot kräftig mit und bekam schließlich für € 35.670 den Zuschlag. Sofort sprang sie daraufhin von ihrem Stuhl auf und rannte zur Bühne, wo sie sich dem jungen Schriftsteller vor die Füße warf und schrie: „Verachte mich, verachte mich!“
Ich machte mir natürlich zu dieser absurden Szene genaue Notizen, denn ich war nun der Meinung eine Reportage statt einer Nachricht zu der Auktion machen zu müssen. Dafür brauchte ich auch ein wenig Atmosphäre und Situationsbeschreibungen. Kommt echter, ihr versteht?
Die Situation mit der „Perlenfrau“ wurde zu meinem Entsetzen noch absurder, als der schwule Klaus ebenfalls zur Bühne rannte und sich an das rechte Bein des jungen von Carlowitz hängte. „Ja, ja, Verachtung, Verachtung“, brüllte er dabei. Der schwule Klaus wurde später für dieses geschmacklose Benehmen wegen unzüchtigem Verhalten oder so verhaftet. Unsere Zeitung berichtete nicht darüber. Ihr wisst schon, unser Chefredakteur und der Bürgermeister sind ziemlich dicke.
Als nächstes zu versteigerndes Exemplar von Schriftsteller kam ein älterer Mann von etwa 50 Jahren auf die Bühne. Er war wesentlich besser gekleidet als der vorhergehende Schriftsteller, ordentlich würde ich sagen. Also, er hatte eine ordentliche braune Cordhose an und so eine blaue Weste. Es passte nicht wirklich, aber es war in Ordnung, wie ich bereits sagte.
Aber es war sowieso egal, was er anhatte, denn der Alte wirkte durch seine weise und in sich ruhende Ausstrahlung auf das Publikum. Er schien über alles erhaben zu sein. Absolut souverän.
Sein Gesicht war ein bisschen zerknautscht, seine große Nase ziemlich rot. Aber er hatte wohl das, was man ein Charaktergesicht nennt. Das Publikum war gespannt. Der Auktionator setzte zu seiner Lobesrede an: „Meine lieben Damen, hier haben wir einen König unter den Schriftstellern, Herbert Hübsch. Ich scheue den Vergleich mit Thomas Mann oder Robert Musil nicht. Meine Damen, vor ihnen steht der Autor von ‚Die Vergänglichkeit des Seins im transzendenten Zeitalter des Nihilismus’“. Ein Raunen ging daraufhin durch die Menge. Ich machte mir wieder Notizen.
„Und nicht nur das er Autor dieses monumentalen Werkes ist, nein, er ist auch noch alkoholabhängig, seelisch instabil und impotent“. Begeisternder Beifall. „Und die Frau, die ihn ersteigern wird, darf sich darauf freuen, von ihrem zukünftigen Lebensgefährten stets ignoriert und für dumm gehalten zu werden“. Langanhaltender Applaus.
Ich notierte mir, dass die Gesichter des Publikums sehr zufrieden aussahen. Eine Dame vor mir zog den Lippenstift nach, ihre Nachbarin puderte sich das Gesicht. „Ich bin so froh, dass ich meinen Mann abgeschossen habe“, sagte die mit dem Lippenstift zu der anderen Frau, „ich habe diesen langweiligen Beamten echt satt gehabt. Nicht einmal hat er mich in all’ den Jahren angeschrieen oder eine Affäre gehabt oder zumindest mal einen seelischen Zusammenbruch. Er war immer so verdammt nett. Zum kotzen“. Die andere Frau nickte zustimmend.
Auch der knautschige alte Schriftsteller durfte noch ein paar Worte sagen, bevor es an die Versteigerung ging. Es hatte den Anschein, als ob er seine Worte sehr sorgfältig auswählte.
„Ich wünschte, ich könnte nur einmal kein Künstler sein“, begann er, „nur für einen Tag oder eine Stunde. Nur einmal möchte ich so gewöhnlich sein wie ihr, die ihr nichts von den Qualen eines Künstlers wisst. Denn dann könnte ich spüren, was Glück ist, das Glück der Gewöhnlichkeit“. Dabei war er sehr theatralisch, so als würde er auf einer Theaterbühne stehen. Ich machte mir eifrig Notizen.
„Doch dieses Glück wird mir für immer verwehrt bleiben, denn ich muss leiden. Das ist mein Schicksal: das Leid des Künstlers zu ertragen“. Und dann ließ er sich plötzlich auf seine Knie fallen. Die Frauen klatschten wie wild Beifall. Manche riefen schon ihre Gebote, obwohl der Auktionator noch gar nicht dazu aufgerufen hatte. Es herrschte große Aufregung. Auch ich war völlig hin und weg. Welche Eloquenz und Selbstzufriedenheit dieser Schriftsteller besaß.
Und plötzlich fasste ich den Entschluss auch Schriftsteller zu werden. Man konnte als Schriftsteller arrogant sein, seine Mitmenschen gering schätzen und trotzdem liebten sie einen. Als Schriftsteller war man schließlich Künstler. Und damit hatte man eine schwere Bürde zu tragen. Unsere Mitmenschen verstanden das nicht nur, sie fühlten sich davon angezogen.
Und während die Gebote für den Autor von „Die Vergänglichkeit usw.“ noch liefen, stand ich von meinem Stuhl auf und schmiss meinen Block in die Ecke. Ich machte mich auf den Weg nach Hause, um mein erstes literarisches Werk zu verfassen. Es spielte keine Rolle, ob sich irgendjemand dafür interessieren würde. Schließlich war ich ein Künstler. Die Frauen würden mich lieben.