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Nightmare before Christmas oder Wunder kommen unverhofft

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11.03.2005
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Nightmare before Christmas oder Wunder kommen unverhofft

Der Sturmwind zerrte an ihm. Ole spürte die eisige Kälte, die sich langsam in ihm ausbreitete, und er wusste, wenn er Pech hatte, würde er die letzten zwei Schultage vor Weihnachten mit Fieber im Bett verbringen müssen. Nur noch zwei Querstraßen, dann hatte er die Uferstraße erreicht,
in der seine Familie im alten Lotsenhaus schon seit Generationen wohnte. Und mit dem letzten Regenschauer kam er klitschnass endlich zu Hause an. Kaum in der Wohnung begrüßte ihn voller Freude sein schwarzer Labrador. Außer Rufus war niemand daheim, daran hatte sich Ole schon seit einem Jahr gewöhnen müssen. Seine Eltern arbeiteten bis spät in die Nacht, obwohl beide schon weit über 50 Jahre alt waren. Durch ihre Mehrarbeit sparten sie für ihren Sohn das Geld zusammen, damit er sich seinen großen Wunsch erfüllen konnte nach seinem Abitur im nächsten Jahr in Berkeley Astrophysik zu studieren. Dieser Zustand, dass beide in ihrem Alter noch weit über 14 Stunden am Tag arbeiten mussten, war manchmal für ihn unerträglich. Aber das war nicht der Grund, warum er an diesem Tag fix und fertig war.

Es begann schon in der Schule, Anfang der ersten Pause, als er seine langjährige Freundin Elena mit dem japanischen Austauschschüler in der Cafeteria plaudernd Croissant essen sah. Sie kannten sich schon seit der Grundschule. Nun tauchte dieser Schmalspur-Samurai auf und alles drehte sich nur um ihn. Nicht, dass Ole etwas gegen ihn persönlich hatte. Nur passte es ihm überhaupt nicht, dass er jetzt bei seinen letzten Examensarbeiten auf die ungeteilte Aufmerksamkeit und die Ruhe seiner Freundin verzichten musste.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. In der letzten Stunde war plötzlich der Religionslehrer krank geworden und so musste zur Überraschung aller, sein alter Physiklehrer, Herr Roth, als Vertretung einspringen. Das Thema war Jugend und Alter und das Zusammenleben in der heutigen Zeit. Die Diskussion wurde immer heißer und sie verlor jeglichen Inhalt, die mit persönlichen Beleidigungen innerhalb der Klasse ihren Höhepunkt erreichte. Herr Roth versuchte zu schlichten, was ihm jedoch nicht gelang. Und zu Oles Schande musste er gestehen, dass er einer von denen war, der kräftig mitmischte. Er konnte und wollte nicht aufhören. Sodass er jede Distanz verlor und selbst seinen Lehrer mit fadenscheinigen Argumenten persönlich angriff. Erst als die Unterrichtsstunde vorbei war, merkte er, wie entsetzt er über sein eigenes Verhalten war. Er war – sein Physiklehrer, der von Anfang an, wie ein persönlicher Freund in der Schule seine Zukunft im Auge behielt. Er sorgte dafür, auch in Gesprächen mit seinen Eltern, dass er trotz eines Leistungsknicks, Mathematik und Physik als Leistungskurs behielt, denn Herr Roth war voller Gewissheit, dass aus Ole eines Tages, wenn er nur am Ball bliebe, ein guter Physiker werden würde. So hatte er diesem Lehrer mehr zu verdanken, als er sich letztendlich eingestehen wollte und als Herr Roth ruhigen Schrittes schweigend an ihm, ohne ihn anzuschauen, vorbei ging, war ihm so, als würde man ihm eine Faust in den Magen hauen. Dieses Ereignis konnte er nicht vergessen und so ging er in sein Zimmer.

Der Regen peitschte wütend gegen die Fensterscheiben, die Heizung bollerte.
Ole legte sich ins Bett und versuchte in seinem Lateinbuch über Tacitus und die Römische Geschichte weiterzulesen. Seine Augen flogen über den Text. Doch es gelang ihm nicht, sich auf den Inhalt zu konzentrieren.

Und so geriet er in den Zustand zwischen Traum und Wachsein und es war ihm als senke sich ein Schleier über seine Augen, der ihm keine Trennung zwischen Schein und Wirklichkeit erlaubte.
„Wo war ich?“
Er sah sich durch die Räume seiner Schule gehen und hielt stolz sein Abschlussexamen in den Händen. Freunde und Mitschüler standen in den Fluren und klatschten, als er an ihnen vorbeiging.
Er gelangte in die Aula, die außer einem Schreibtisch leer und verlassen schien. Aus dem Schatten trat eine dunkelhaarige Frau. Er wusste, er kannte sie, konnte sich jedoch nicht an sie erinnern.
„Was ist hier los und wer sind sie?“
- „Du stehst im Vorraum zur Halle der Zeit.
Ein jeder Schüler wird einmal hineinkommen, aber niemand sollte
es wagen sie freiwillig zu betreten.“
„Ich bin hier seit neun Jahren auf der Schule, habe alle meine Examen mit
Auszeichnungen bestanden – Was sollte mich hier noch erschüttern?“
- „Es steht geschrieben, dass kein Schüler und wenn er noch so gut ist,
den Raum der Zeit betreten kann“
„Nichts steht geschrieben, solange man es nicht selber geschrieben hat!“, entgegnete Ole und ging einen Schritt auf den Schreibtisch zu.

Im gleichen Moment senkte sich der Schreibtisch mit ihm in den Boden. Sekunden des Schreckens erlebte er, als er schwankend auf die Beine kam und merkte, dass er sich in einem riesigen Kellergewölbe befand. Im trügerischen Licht entdeckte er im Hintergrund einen alten Mann,
der wie verloren wippend in einem ledernen Bürostuhl saß. Zu seinen Seiten häuften sich Berge von Büchern, Pergamentrollen, Konstruktionspläne, wissenschaftlichen Preise und Medaillen, Theorien und Gegentheorien, die wie Abfall um ihn herumlagen. Akademische Arbeiten, von denen Menschen glaubten, dass dies das Maß aller Dinge und für die Wissenschaft und für die Menschheit unvergänglich sei.
Jedoch der Zahn der Zeit hatte alles angenagt. Ole lief beim Anblick all dieser Arbeiten ein kalter Schauer über den Rücken. All diese Mühe, all diese Arbeit.
„Wer sind sie?“, fragte er und seine Stimme klang sicherer, als sie in Wirklichkeit war.
„Ich bin die Zeit. Hier in meinem Keller sammle ich all die wissenschaftlichen Arbeiten, Examen und Urkunden. Zu jeder Zeit glaubten Menschen in ihren Arbeiten, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Besonders die Arbeiten der Schüler, die kurz zuvor ihr Abschlussexamen bestanden haben. Wenn diese Schüler nur wüssten, welchen Wert ihre Examen in zwanzig Jahren noch besitzen würden und welche Fähigkeiten sie nach vierzig Jahren noch hätten, würden sie in ihrem Denken etwas bescheidender sein.“
Dabei kicherte er leise vor sich hin.
„Der Wert meiner Arbeiten wird Bestand haben“, sagte Ole eigensinnig und das Blut begann in seinen Adern zornig zu pochen.
„Ich werde zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt Probleme lösen.
Egal ob sie mathematisch oder naturwissenschaftlich sind.“
Bei diesen Worten hatte sich der Alte provozierend vor ihm hingestellt, sodass er ihn einfach beiseite schob. Der Alte fiel, obwohl Ole dies gar nicht wollte in den Abfallhaufen der Bücher.
Die Zeit erhob sich gelassen und machte ihn mit einer einzigen Bewegung seines Fingers um 10 Jahre älter.
Das machte Ole so wütend, dass er ihn diesmal mit Absicht auf die Bücher warf. Dies kostete ihm erneut 10 Jahre. Diese 20 Jahre zusammen, hatten ihm nichts von seiner geistigen und körperlichen Kraft gekostet. Ganz im Gegenteil er fühlte sich geistig so stark wie nie. Nichts konnte ihn erschüttern. Die Auseinandersetzung, die er jetzt mit ihm führte, war auf geistiger Ebene.
Problemlösungen fielen ihm leicht. Er war ruhiger und einsichtiger geworden und versuchte ihn jetzt mit Verhandlungen zu beeinflussen. Darüber lächelte die Zeit nur überlegen.
Ole setzte zu seinem Wissen, welches er in den 20 Jahren gewonnen hatte, seine Lebenserfahrung ein, wohlwissend, dass manche dieser Tricks nicht korrekt seien. Dies schien auf die Zeit nun überhaupt keine Wirkung zu haben und unbeirrt machte die Zeit Ole älter und älter, bis er nicht mal mehr in der Lage war einfache Rechenaufgaben und schriftliche Aufgaben zu lösen. Bis er zum Schluss nicht mal mehr seinen Schreiber ruhig halten konnte und dieser ihm zitternd aus der Hand fiel.

Wie lange diese Auseinandersetzung gedauert hatte, konnte Ole hinterher nicht mehr sagen. Er wusste nur noch, dass ihn der Alte nun selbst wie ein hilfloses Bündel auf den Haufen der Bücher warf. In seiner Hand, sein vergilbtes Examen. Irgendwie kam er auf die Füße und wankte aus dem Kellergewölbe.
Er kam an einem Spiegel vorbei, seine Augen nahmen nur verschwommen seine Gestalt war. Sein jugendliches Aussehen war wie weggewischt. Seine Haare waren grau und dünn geworden, und als er versuchte sich gerade aufzurichten, knackte es in allen seinen Gliedern, wobei er schmerzlich das Gesicht verzog. Wie er es geschafft hatte, in die Aula zurückzukommen, wusste er nicht.
Die dunkelhaarige Frau war nicht mehr anwesend.
Auf dem Schreibtisch stand ein Glas Wasser. Ole griff mit seinen welken Händen danach und musste dabei aufpassen,dass er das Wasser nicht verschüttete. Er führte das Glas an seine eingesunkenen Lippen und löschte seinen brennenden Durst. Fast augenblicklich fielen ihm die Augen zu.

Am nächsten Morgen erwachte Ole ziemlich spät.
Der Wecker zeigte 9:30 Uhr. Wieso hatte er das Klingeln nicht gehört?
Als er hastig aus dem Bett stieg, merkte er dass ihm jeder Knochen im Leib wehtat. Er war noch wie benommen. Hastig zog er seine durchgeschwitzten Klamotten aus, mit denen er eingeschlafen war und warf sich seinen Morgenmantel über.
„Warum hatte mich meine Mutter nicht geweckt?“, dachte er, als er die Treppe zur Küche heruntereilte. Seine Mutter hatte den Telefonhörer in der Hand.
„Ein Glück, dass du wach geworden bist! Ich hatte es nicht geschafft dich zu wecken und wollte gerade unseren Hausarzt anrufen. Es wäre besser, wenn du heute nicht zur Schule gehst und zu Hause bleibst.
„Oh, nein, auf gar keinen Fall! Ich muss zur Schule, ich habe dort wichtige Dinge zu erledigen.“

Ole schaffte es gerade noch zur dritten Stunde und hoffte auf die große Pause, damit er Gelegenheit erhielt sich mit seinen Physiklehrer auszusprechen.
Er traf ihn vor dem Lehrerzimmer, und obwohl Ole ihm soviel sagen wollte, brachte er kaum ein vernünftiges Wort über die Lippen. Herr Roth schaute ihn über seine Halbmondbrille mit seinen ruhigen braunen Augen an.
„Ole, wir kennen uns so viele Jahre. Ich weiß, dass was gestern vorgefallen ist nicht deiner wirklichen persönlichen Meinung entspricht. Trotzdem will ich dir einen Rat geben.
Wir müssen in der heutigen Zeit aufpassen, Alte wie Junge, dass man uns nicht gegeneinander ausspielt, wie unterschiedlich unsere Interessen auch sein mögen.“
„Und übrigens“, und dabei lächelte er verschmitzt „wer keine Alten mag, der sollte hoffen in frühen Jahren zu sterben!“
„Aber was ist los mit dir. Geht es dir nicht gut? Bist du krank?“
„Nein“, antwortete Ole, „ich hatte nur gestern Abend einen merkwürdigen Traum.“
„Ich soll dir…“. Das Klingeln der Schulglocke unterbrach abrupt den Satz des Lehrers.
„Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Du sollst zum Direktor gehen.
- „Bekomme ich doch noch eine Eintragung?“
„Nein, du hast Post aus Amerika bekommen. Die Universität von San Francisco hat der Schule geschrieben und teilt ihr mit, dass sie bereit ist dir ein Stipendium zu geben.“
Ole wurde schwindelig.
- „Danke, dass habe ich nur Ihnen zu verdanken!“
„Nein du musst dich nicht bei mir bedanken, ich bin nur der Bote.“
Und als ihre Blicke sich trafen, wussten beide, dass dies nicht ganz der Wahrheit entsprach.
„Herzlichen Glückwunsch mein Junge und ein frohes Weihnachtsfest für dich und deine Eltern.“
In diesem Moment sah Ole aus dem Schulfenster den ersten Schnee des Winters fallen.

 

Hallo Novel,

schön, dass du mal wieder etwas geschrieben hast. :)
Deine Geschichte gefällt mir in der Auseinandersetzung mit der Zeit und der Vergänglichkeit von Wissen sehr gut, zumal du sie ja in einen spannenden und fantasievollen Plot eingebaut hast.
Störend finde ich die vielen unnätigen Zeilenumbrüche, die wohl noch aus deiner Wordformatierung stammen. Daher hast du an einer Stelle auch noch einen Trennstrich mitten im Wort.

Was mir an Fehlern aufgefallen ist, schicke ich dir per PN.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
freut mich dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Ich habe die Formatierung so weit es geht geändert.
Danke für deinen Hinweis. :thumbsup:

Novel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Angua,
vielen Dank für deine positive Kritik.
Es hat mich sehr gefreut, dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Vielleicht hast du ja Lust meine erste Geschichte zu lesen.
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=23971

Ich wünsche dir frohe Ostertage,
Novel

 

Hey Novel,

Von mir gibts heut mal keine Fehler. Waren auch so gut wie kein drin. Bemerkenswert für dein Alter!

Ja und sonst. Was für ein unsympatischer Protagonist. Und am Ende kriegt dieser Streber dann auch noch ein Stipendium, der Lehrer vergibt ihm seine Entgleisungen und alle feiern friedlich Ostern. Aber ich muss mich auch meinen Vorrednern anschließen: Die Idee mit der personifizierten Zeit, ein Gespräch mit ihr führen zu lassen, gefiel mir auch gut. Natürlich auch ein wenig belehrend.
Nur das Ende gönne ich dem Ole nicht. :D

Eike

 

Hi Novel!

Wow! :thumbsup: Das hat mir richtig gut gefallen. Durch dieses phantastische Element (Zeit im Gewölbe) machst Du die Geschichte spannend, Du erzählst flüssig und die Dialoge fand ich ebenfalls sehr gut gelungen.
Einige kleine Anmerkungen habe ich noch - fallen allerdings kaum ins Gewicht. :)

Die Diskussion wurde immer heißer und sie verlor jeglichen Inhalt, die mit persönlichen Beleidigungen innerhalb der Klasse ihren Höhepunkt erreichte.
hier stimmt der Zusammenhang nicht. Ich würde die Sätze trennen: ... verlor jeglichen Inhalt. Sie erreichte ihren Höhepunkt mit persönlichen Beleidigungen ...
Und zu Oles Schande musste er gestehen, dass er einer von denen war, der kräftig mitmischte.
erin von denen war, DIE
Er konnte und wollte nicht aufhören. Sodass er jede Distanz verlor und selbst seinen Lehrer mit fadenscheinigen Argumenten persönlich angriff.
diese beiden Sätze würde ich verbinden, "sodass" am Satzanfang finde ich recht holprig
Er war – sein Physiklehrer, der von Anfang an, wie ein persönlicher Freund in der Schule seine Zukunft im Auge behielt.
der Bezug für dieses "Er" ist erstmal unklar, da der Name des Lehrers einige Zeilen weiter oben steht. Ich würde lieber an der Stelle noch einmal seinen Namen nennen.
Bei diesen Worten hatte sich der Alte provozierend vor ihm hingestellt, sodass er ihn einfach beiseite schob.
vor ihN hingestellt. Inhaltlich verstehe ich das nicht ganz, wenn er sich vor ihn stellt, wie schiebt er ihn dann weg?
Dies kostete ihm erneut 10 Jahre. Diese 20 Jahre zusammen, hatten ihm nichts
kostete ihN ... hatten ihN ...
Es wäre besser, wenn du heute nicht zur Schule gehst und zu Hause bleibst.
„Oh, nein, auf gar keinen Fall! Ich muss zur Schule, ich habe dort wichtige Dinge zu erledigen.“
warum hat sie ihn denn nicht geweckt? Wenn es aus Sorge um ihn war, könnte die Mutter das in einem kleinen Satz n ausdrücken ... zu Hause bleibst. Du siehst so krank aus" zum Beispiel.
Ich weiß, dass was gestern vorgefallen ist nicht deiner wirklichen persönlichen Meinung entspricht.
Ich weiß, dass das, was ...
„Und übrigens“, und dabei lächelte er verschmitzt „wer keine Alten mag, der sollte hoffen in frühen Jahren zu sterben!“
„Aber was ist los mit dir. Geht es dir nicht gut? Bist du krank?“
Hier ist man erstmal verwirrt. Da ja beides der Lehrer sagt, würde ich es nicht durch Anführungszeichen trennen.
„Danke, dass habe ich nur Ihnen zu verdanken!“
Danke, das ...

liebe Grüße
Anne

 

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