Mitglied
- Beitritt
- 09.12.2019
- Beiträge
- 485
Nur eine Kleinigkeit
Wir werden niemals wissen, wie viele Menschen tatsächlich wegen Tschernobyl ihr Leben verloren.
Die meisten Schätzungen gehen von 4.000 bis 93.000 Toten aus.
Manche Organisationen glauben, die tatsächliche Zahl läge eher in den Hunderttausenden.
Die offiziell ausgegebene Zahl, die seit 1987 nicht mehr geändert wurde, liegt bei … 31.
Die meisten Schätzungen gehen von 4.000 bis 93.000 Toten aus.
Manche Organisationen glauben, die tatsächliche Zahl läge eher in den Hunderttausenden.
Die offiziell ausgegebene Zahl, die seit 1987 nicht mehr geändert wurde, liegt bei … 31.
„Wir schließen den letzten Test heute ab. Fahren Sie die Reaktorleistung entsprechend runter.“
„Heute geht es nicht.“
„Was? Warum nicht?“
„Es ist Monatsende, die Fabriken versuchen ihre Produktionsziele noch zu erreichen. Der Energiebedarf ist zu hoch, wir können nicht drosseln.“
„Wir führen den Test trotzdem durch.“
„Aber das geht nicht, wir müssen warten bis …“
„Nein! Heute Abend. Dieser Test hätte schon vor der Betriebserlaubnis durchgeführt werden müssen, also keine Verzögerungen mehr!“
„Das Messgerät zeigt den Maximalwert.“
„Dann ist es defekt, wir hätten die alten Dinger schon längst austauschen sollen.“
„Aber die Erschütterung! Sie können doch nicht …“
„Es gab keine Erschütterung. Gehen Sie zum Reaktor und berichten Sie. Sicher ist es nur eine Kleinigkeit.“
„Das sieht nicht wie ein normales Feuer aus.“
„Nein, aber es ist wunderschön.“
„Bestimmt haben sie es bald gelöscht. Sieh mal, alle sind auf den Balkonen. Wie beim Silvesterfeuerwerk.“
„Mein Gott … der Reaktor liegt frei.“
„Wie ein Tor zur Hölle, aber auch … faszinierend.“
„Kommen Sie! Weg hier!“
„Der Reaktor ist explodiert, der Kern liegt frei …“
„Das ist nicht möglich! Ein solcher Reaktor kann nicht explodieren.“
„Aber …“
„Seien Sie still! Wir müssen den Brand löschen.“
„Und wie?“
„Na, wie wohl? Rufen Sie die Feuerwehr!“
„Was sollen wir hier löschen? Welche Tür wurde hier geöffnet?“
„Wir kühlen erstmal den Bereich um den Reaktor, arbeiten uns näher heran.“
„Was liegt hier herum? Graphit?“
„Nein, sicher nicht. Das würde ja bedeuten, dass …“
„Die Feuerwehrleute berichten von herumliegenden, teils großen Graphitstücken.“
„Reden Sie keinen Quatsch. Das einzige Graphit hier befindet sich im Reaktor, also wo soll es herkommen?“
„Es sind einige Feuerwehrmänner eingeliefert worden, weitere werden vom Kraftwerk hierhin gebracht.“
„Was ist mit ihnen?“
„Sie haben Verbrennungen, die Haut wirft Blasen. Die meisten sind kaum ansprechbar oder übergeben sich. Und …“
„Was?“
„Einigen konnten wir die Kleidung nicht ausziehen. Sie ist mit der Haut verschmolzen.“
„Mein Gott. Bringen Sie alles von ihnen, was entfernbar ist, in den Keller. So weit unten wie möglich.“
„Fliegen Sie noch etwas näher heran, aber auf keinen Fall direkt über den Reaktor.“
„Okay, also noch ein wenig … mein Gott!“
„Es ist wahr, auch wenn diese Holzköpfe da unten es nicht akzeptieren wollen. Der Reaktor liegt frei. Drehen Sie ab!“
„Was passiert nun?“
„Die Radioaktivität verteilt sich ungehindert in der Atmosphäre, in einer Höhe von 1.500 bis 10.000 Meter. Der Wind wird sie über Europa verteilen. In der näheren Umgebung des Kraftwerks wird keine Nutzung mehr möglich sein.“
„Nutzung wovon?“
„Allem.“
„Sie können es nicht löschen wie ein Feuer. So etwas hat auf dieser Welt noch nie existiert.“
„Und was brauchen Sie, um die Strahlung einzudämmen?“
„Sand und Bohr.“
„Wie viel?“
„Alles, was Sie kriegen können. Sie müssen das Gemisch aus der Luft abwerfen, am besten mit Hubschraubern. Aber niemand darf direkt über den Reaktor fliegen, es muss auch so gehen.“
„Bleiben Sie höchstens dreißig Minuten bei ihrem Mann und in jedem Fall vor dem Schutzvorhang. Wahrscheinlich schläft er, wir haben ihm starke Beruhigungsmittel gegeben.“
„In Ordnung.“
„Sind Sie schwanger?“
„Nein.“
„Okay, dann ... gehen Sie rein.“
„Wir haben den Reaktor mittlerweile mit einer Schicht aus Sand und Bohr bedeckt, aber selbstverständlich machen wir weiter.“
„Wird das reichen?“
„Nein. Wir müssen den Reaktorblock abschirmen, eine Konstruktion aus Stahl und Beton errichten. Aber zuvor müssen wir das hochverstrahlte Graphit entfernen. Der größte Teil liegt auf dem Dach. Wir versuchen es mit einem ferngesteuerten Fahrzeug.“
„Warum reagiert das verdammte Fahrzeug nicht? Ist es nicht aus Deutschland?“
„Ich habe eben mit der Zentrale telefoniert. Es war nie für eine solche Strahlenbelastung vorgesehen. Sie haben den Deutschen den Propagandawert genannt, nicht die tatsächliche Strahlung.“
„Scheiße! Und nun? Kriegen wir irgendwo ein neues Fahrzeug oder einen Roboter her?“
„Wir brauchen Bio-Roboter.“
„Was?“
„Menschen.“
„Sie haben neunzig Sekunden, sobald sie auf dem Dach sind. Mehr geht bei dieser Strahlung nicht. Werfen Sie mit der Schaufel möglichst viel von dem Graphit nach unten.“
„Woher wissen wir, dass die Zeit um ist?“
„Ich klopfe laut gegen dieses Rohr hier. Und passen Sie bloß auf, ihre Schutzkleidung muss intakt bleiben.“
„Es tut mir leid. Ihr Mann war sehr tapfer, wie alle anderen Feuerwehrmänner und Helfer.“
„Was haben Sie getan?“
„Was wir konnten, solche Strahlungsauswirkungen können wir nicht behandeln.“
„Sein Gesicht … er hatte kein Gesicht mehr.“
„Sie und ihre Männer werden einen Tunnel graben unter dem Reaktor. Rund um die Uhr. Teilen Sie sie in drei Schichten ein. Wir müssen verhindern, dass das Grundwasser verseucht wird.“
„Welche Hilfsmittel?“
„Keine Maschinen, wir können keine Vibrationen riskieren. Nur Schaufeln. Und sie bekommen Atemschutzmasken.“
„Taugen die was?“
„Ja.“
„Ja? Warum tragen Sie sie dann nicht?“
„Auch wir halten uns seit Tagen nahe dem Reaktor auf.“
„Ja. Lässt sich jetzt nicht mehr ändern.“
„Wie lange noch?“
„Vielleicht vier oder fünf Jahre.“
„Und dann?“
„Wahrscheinlich Krebs.“
„Wie groß wird die Sperrzone?“
„Ich schätze ein Umkreis von knapp vierzig Kilometern um das Kraftwerk. Also mehr als viertausend Quadratkilometer.“
„Und was bedeutet das?“
„Niemand wird dort wohnen. Wir setzen alle Möglichkeiten ein, um sie zu reinigen. Die kontaminierte Erde wird abgetragen und versiegelt gelagert. Bäume gefällt und Tiere getötet. Und wir verteilen eine Substanz, um den radioaktiven Staub zu binden, mit dem Namen Burda.“
„Hier ist dein Gewehr. Wenn du ein Tier nur verletzt, setzt du direkt nach und tötest es. Verstanden?“
„Ja.“
„Gut. Lass es nicht leiden, sonst mache ich dich fertig.“
„Sie ist tot. Nur vier Stunden in dieser Welt. Ich sage es gleich der Mutter.“
„Mein Gott, sie war so glücklich nach der Geburt.“
„Ihre Tochter hat ihr das Leben gerettet, sie hat die meiste Strahlung absorbiert. In was für einer Welt leben wir nun?“
„Das letzte Ereignis, das zur Explosion führte, war fatalerweise die Betätigung der Notabschaltung. Die Steuerstäbe fuhren in den Reaktor ein, um die Leistung zu drosseln. Das an den Spitzen der Stäbe angebrachte Graphit führte jedoch zunächst zu einer weiteren Erhöhung der Reaktivität. Niemand im Kontrollraum wusste das. Die Kettenreaktion war nicht mehr aufzuhalten, der Reaktor explodierte.“
„Warum wurde für eine Notabschaltung eine solche Technik verwendet?“
„Warum? Aus dem gleichen Grund wie immer. Sie kostete weniger.“
„Die Ärzte sagten mir, ich könne nie wieder Kinder bekommen.“
„Nach dem Tod Ihrer Tochter?“
„Ja. Aber sie lagen falsch.“
„Was machen Sie hier, in dieser Gegend?“
„Es ist so lange her, nun bin ich zurück. Ich ziehe wieder in mein Haus.“
- Quellenangaben
-
Inhalte der HBO-Miniserie "Tschernobyl" sowie ergänzende Informationen hierzu
Wikipedia-Artikel "Nuklearkatastrophe von Tschernobyl"
Zuletzt bearbeitet: