- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Omega VII
(4. Oktober 2341)
Aus dem Nichts zerreißt eine Fontäne aus weißen Partikeln die ewige Dunkelheit des Universums. Etwas Dunkles, nicht größer als zehn Meter, schießt daraus empor und entfernt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 000 Stundenkilometern vom Ereignishorizont des Wurmlochs. Das Wurmloch kollabiert und fällt in sich zusammen.
Kenneth York schlägt mit einem Anflug von Verzweiflung auf die Steuerkonsole seines kleinen Schiffes ein. Schweiß rinnt ihm von der Stirn und seine Atmung erinnert an die, eines Marathonläufers nach der Überquerung der Ziellinie. „Verdammte Scheiße. Das war ein gewagter Sprung.“ Mit einem Ruck dreht sich der Kopf seiner Tochter zu ihm hin und ihr Gesicht zeigt, wie auch sie unter panischer Angst leidet. Innerhalb des kleinen Schiffes ist es bedrückend dunkel und eng. Kenneth hatte zwar noch nie an Klaustrophobie gelitten, aber seit den letzten 5 Minuten im Slip-Stream wollte er am liebsten einfach nur aussteigen. Er schüttelt den Gedanken ab und widmet sich wieder mit zittrigen Händen seiner Konsole zu. „Terry, sage mir bitte wo wir uns im Moment befinden.“ Langsam, fast wie in Zeitlupe, streckt sie ihren rechten Arm aus und ruft die Sternenkarte des Systems auf. „ Wir sind…“ Ihr Satz wird von einem Schluchzen unterbrochen und ihr ganzer Körper fängt an zu zittern. Die linke Hand umschließt eine ca. 10 cm große Wunde unterhalb der linken Hälfte des Brustkorbes. „Terry, ich weiß das es schlimm ist, aber wenn du mir nicht sagst wo wir sind, könnten wir zu spät kommen.“ Er hat selbst bemerkt, dass in seiner Stimme die Angst mitschwingt und weiß, dass er seine Tochter in dieser Situation bestimmt nicht beruhigen kann, doch was sollte er tun? Entschlossen holt er einmal tief Luft und versucht es noch einmal. „Liebes, umso schneller wir auf der Erde sind, desto besser ist es für dich.“ Sie antwortet ihm mit einem kurzen Nicken und eine Träne rollt ihr über die rote Wange. „Versuch es bitte.“ Nun etwas entschlossener beißt sie sich auf die Unterlippe und dreht sich wieder dem Kontrollpult zu. Zwei Sekunden später kneift Terry ihre Augen zusammen und legt eine Karte auf den Bildschirm. „ Wir sind in Sektor 204,535,296. Berechne neuen Kurs zur Erde.“ Kenneth lächelt kaum merklich und schaut sich die Sternenkarte an. Auf der Karte erscheint eine dünne Linie, die sich bis in das Sonnensystem der Erde erstreckt. „Gut gemacht. Ich gebe 100% auf die Triebwerke und dann nichts wie weg von hier. Terry atmet auf und lehnt sich erschöpft in ihrem Sessel zurück. Ihre Seite ist von einem durchsichtigen Film bedeckt, welches ihn an Speichel erinnert. Kenneth wendet seinen Blick von seiner Tochter ab und erschaudert. Wenn er wüsste, was seine Tochter angefallen hat? Es hat ihr irgendetwas angetan und sie scheint mit jeder Minute schwächer zu werden. Er legt seine rechte Hand auf die Schulter seiner Tochter und drückt sanft zu. „Alles in Ordnung mein Schatz?“ Terry schüttelt den Kopf und entfernt mechanisch die Hand ihres Vaters von der Schulter. Natürlich ist es das nicht. Für diese dumme Frage hätte er sich selbst ohrfeigen können, aber er macht sich nur noch mehr Sorgen, wenn sie nichts sagt.
Im Inneren des Schiffes heulen die beiden Triebwerke auf und beschleunigen auf die befohlenen 100% ihrer Leistung. Verglichen mit der unendlichen Weite des Universums, wirkt der kleine Haufen Metall beinahe bedeutungslos. Ein Rütteln geht durch das Schiff und bereitet Kenneth ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit absolvieren sie den von dem Computer berechneten Kurs. So ruhig wie möglich sagt Kenneth: „Terry, ich brauche deine Hilfe nicht mehr länger. Endspanne dich etwas.“ Kenneth wischt sich mit der linken Handfläche über die schweißnasse Stirn. „Ich sage bescheid, sobald ich deine Hilfe wieder benötige.“ Terry steht auf und gerät ins Wanken. Im allerletzten Moment kann sie sich aber noch fangen und hält sich am Rand des rechten Fensters fest. Kenneth wäre am liebsten aufgesprungen, doch diesen Impuls konnte er gerade noch unterdrücken. Traurig schaut Terry in den luftleeren Raum, der sich kaum merklich an ihnen vorbei bewegt. „Werde ich sterben Vater?“ Kenneth bleibt ein Kloß im Hals stecken und eine tiefe Woge des Zorns steigt in ihm auf. Der Zorn galt nicht seiner Tochter, sondern ihm selbst. „Aber nicht doch. Sobald wir auf der Erde sind, wird man sich um dich kümmern. Das verspreche ich dir.“ Terry schiebt sich träge zwischen den beiden Sitzen hindurch und nimmt auf der Pritsche im hinteren Teil des Schiffes Platz.
Ein melodisches Signal ertönt und teilt den Insassen mit, dass sie gerufen werden. Kenneth wirkt zuerst verwirrt, drückt aber einen Knopf auf der Konsole um einen Kommunikationskanal zu öffnen. Auf dem Sichtschirm erscheint ihm ein unbekannter Mann mit kurz geschorenem grauem Haar. Trotz seiner militärischen Uniform wirkt er warm und freundlich. „ Hier spricht Kapitän Tanaka des Kreuzers Louis. Bitte identifizieren sie sich.“ Kenneth wird nervös. „Hier ist die Lasarus 34882 vom Außenposten Omega. An Bord sind Kenneth und Terry York. Wir brauchen sofort ärztliche Hilfe. Meine Tochter ist…“ er stockt einen kurzen Moment. „… verletzt.“ Der Kapitän der Louis hebt die linke Augenbraue und tritt einen Schritt bei Seite. „Verletzt? Können sie das etwas genauer beschreiben?“ Kenneth rutscht unruhig auf seinem Sitz hin und her und versucht die richtigen Worte zu finden. „ Sie hat eine offene Wunde unter ihrem Brustkorb und muss schnellstens behandelt werden. Wir haben leider keine medizinische Ausrüstung an Bord und brauchen ihre Hilfe.“ Der Kapitän tritt kurz aus den Sichtschirm um sich mit jemandem im Hintergrund auszutauschen. Sein Gesicht erscheint wieder auf dem Schirm. „OK. Sie können auf der Shuttlerampe 7 landen. Ich werde sofort ein Team losschicken, das sich ihrer Tochter annimmt. Stellen sie nach dem Empfang unserer Daten den Bordcomputer auf Autopilot. Um den Rest werden wir uns dann kümmern. Tanaka Ende.“ Nachdem der Sichtschirm wieder die vertraute Leere des Alls zeigt, schaltet Kenneth den Autopiloten ein und schaut besorgt zu seiner Tochter hinüber. Sie atmet flach und hält wieder ihre Wunde zu. Das Schiff gleicht sich den Koordinaten des Kreuzers an und stabilisiert seine Umlaufbahn, um direkt auf die Shuttlerampe zufliegen zu können. Die Flanke des Kreuzers misst mehr als 750 m und in einigen Ausbuchtungen sind Öffnungen für Geschütze und Raketen zu erkennen. Alles in Allem wirkt der Kreuzer sehr gedrungen, wobei sich die Architekten des imposanten Schiffes wohl etwas dabei gedacht haben. Die Shuttlerampe öffnet sich lautlos und Kenneth´s Schiff passiert mit quälender Langsamkeit den Hangar. Der Hangar ist ungefähr so groß wie ein halbes Fußballstadion auf der Erde und bietet Platz für mindestens 10 Schiffe, wie eines was Kenneth steuert. Das Schiff landet in der Mitte des Hangars und fährt seine Landekufen aus. Das Schott schließt sich und das Vakuum wird durch kleine Düsen gegen frischen Sauerstoff ausgetauscht.
Vor ihnen öffnet sich ein weiteres Schott und innerhalb von Sekunden wird der vorher verlassene Raum zum neuen Leben erweckt. Vier Menschen in braunen Overalls schnellen hervor und sichern das Schiff am Boden. Zwei weitere kommen mit einer Trage auf das Schiff zu. Kenneth öffnet die Tür und schaut zu seiner Tochter. Jegliche Farbe ist ihr aus dem Gesicht gewichen, wodurch sie auf ihn wie eine Leiche wirkt. Er streichelt ihr über das zerzauste Haar. „Es wird alles wieder gut.“ Die beiden Männer mit der Trage passieren die Tür und schieben Kenneth unsanft bei Seite. Er wollte protestieren, lässt sie aber ihre Arbeit machen. Sie hieven Terry auf die Trage und bringen sie nach draußen. Sofort gesellen sich etwa ein halbes dutzend Männer und eine Frau in weißen Kitteln zu der Trage und verschwinden aus dem Hangar. Kenneth wischt sich die Tränen aus den Augen und folgt dem Menschenmob. Noch auf dem Weg werden Geräte auf, neben und unter der Trage positioniert die sich in der Zwischenzeit zu einer Bahre mit Rollen verwandelt hat.
Kenneth hat Probleme mit ihnen mitzuhalten, aber ihm ist es in diesem Augenblick völlig egal, ob er schlapp macht oder nicht und legt noch einen Zahn zu. Er folgt ihnen durch mehrere Korridore bis sie eine schwenkbare Doppeltür passieren. Innerhalb des Raumes ist es hell und riecht nach Desinfektionsmitteln. Vier Personen verlegen Terry von der Bahre auf den OP Tisch und untersuchen sie flüchtig. Unverständliche Kommandos werden von Mann zu Mann gegeben und ausgeführt. Kenneth wischt sich wieder einige Tränen aus den Augen und zieht seinen Schnodder hoch. Einer der Ärzte löst sich von den anderen und geht auf Kenneth zu. „Sir! Sie sollten jetzt besser hinausgehen.“ Kenneth denkt noch nicht einmal im Traum daran seine Tochter alleine zu lassen und schüttelt benommen den Kopf. Etwas grob packt ihn der Arzt am Arm, um seiner Aufforderung etwas Nachdruck zu verleihen. Kenneth versucht sich loszureißen. Es gelingt ihm aber nicht. „Was fällt ihnen ein!“ brüllt er mit all seinem Zorn in den Saal. Zwei Ärzte schauen sich verwirrt um und funkeln ihn mit bösen Blicken an. „Das ist meine Tochter die dort liegt und sie sagen mir einfach, dass ich nach draußen gehen soll?“ Sein Gesicht, das sowieso schon rot ist, nimmt noch weiter an Farbe zu. Seine Stirn verwandelt sich in ein Meer aus vielen kleinen Falten. Wieder versucht er sich loszureißen, legt aber dieses Mal etwas mehr Kraft hinein. Der Arzt der ihn immer noch festhält, lässt ihn erschrocken los. Kenneth schlägt ihm ins Gesicht, sodass dieser gegen die Wand taumelt und sich die blutende Nase hält. Zwei weitere Ärzte gehen auf ihn los und halten ihn an den Armen fest. Kenneth versucht sich mit aller Gewalt zu befreien, doch es gelingt ihm nicht.
Auf einmal geben seine Knie nach und er stürzt zu Boden. Sie haben ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt, welches ihn bewusstlos macht. Langsam vernebeln sich seine Gedanken und er wird aus dem OP geschleift. Hinter ihm schließen sich die Türen und er hört einen markerschütternden Schrei seiner Tochter, der ihm das Herz zerreißt und in eine dunkle, warme Welt des ungewollten Schlafes treibt, als wäre alles was er heute erlebt hatte nur ein böser Traum.