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Original
Lässig ließ er die Zigarette zwischen seinen Fingern baumeln und hob sie zu den Lippen. Er nahm einen tiefen Zug und ließ kleine Rauchringe aus seinem Mund tänzeln. Der Hustenreiz war stark, doch Thomas beherrschte sich und schenkte der Kleinen an der Bar ein keckes Lächeln. War es wirklich keck? Hoffentlich wirkte es nicht zu freundlich, zu gutmütig; nein, es sollte nur möglichst lässig sein. In Gedanken betrachtete er sein Bild, wie er nun dastand mit seiner Zigarette und lächelte, und wie es wohl für sie aussehen musste.
Sie hatte seinen Blick bemerkt und starrte ihn irritiert an, und sofort wandte er beschämt den Kopf zur Seite. Was hatte er denn erwartet? Dass sie nur wegen eines Lächelns zu ihm rüberkommen würde, ihn nach seinem Namen fragen, etwas mit ihm trinken? Nein, warum sollte ein so hübsches Mädchen ihn auch nur eines Blickes würdigen? Seine schmalen Schultern, sein rundes Mondgesicht, seine kraftlosen Unterarme – all das machte bestimmt keinen Eindruck.
Mit einem Mal war er wütend auf das Mädchen; wütend, dass sie nicht zu ihm herüberkam, wütend; dass er nicht so aussah, wie er es gerne gewollt hätte. Er warf einen kurzen Blick rüber zu Georg, der gerade an der Bar Getränke holte. Mit einem Mal wurde seine Wut größer, als er die breiten Unterarme, die schmale Hüfte und die kräftigen Schultern Georgs betrachtete. Georg könnte das Mädchen jederzeit haben; er bräuchte nur zu ihr zu gehen und sie anzusprechen, und schon wäre sie ihm verfallen. Jetzt wandte Georg seinen Kopf, sein kantiges Gesicht mit dem ausgeprägten Kinn formte ein Lächeln und er hob seine Hand zum Zeichen, dass die Getränke gleich kommen würden.
Thomas starrte wieder auf die Zigarette, die er in der Hand hielt. Voller Abscheu warf er den Stummel zu Boden und zertrat ihn mit dem Absatz seines Stiefels. Es waren schöne, neue Stiefel, so wie die von Georg, schwarz und elegant. Sie sahen gut aus, auch wenn Thomas schon nach ein paar Minuten die Zehen schmerzten und er die Stiefel am liebsten ausgezogen hätte.
Schließlich kam Georg mit den Getränken, und sofort scharrte sich die ganze Clique um ihn. Thomas trank in großen Zügen; der Alkohol schmeckte ihm zwar nicht, doch er konnte sich nicht vorstellen, keinen zu trinken. Alle tranken, also trank auch er. Er bemühte sich, lässig zu wirken, als er einen tiefen Schluck aus einem Glas Whiskey nahm, doch diesmal versagte sein Wille und er begann lauthals zu prusten.
Georg schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken.
„Übernimm dich nicht, Kleiner.“ Sein Ton war gutmütig und sanft, doch Thomas schlug ihm unsanft die Hand beiseite und murmelte irgendetwas von „verschluckt“ und „ich übernehme mich nicht“.
Kleiner. Kleiner! Er war nicht klein, er war so alt wie Georg, und fast genauso groß. Er nahm noch einen Schluck, und diesmal begann er nicht zu husten. Sein Hals brannte und seine Zunge wurde von einem widerlichen Geschmack überschwemmt, doch er wirkte lässig und beherrscht. Er warf wieder einen Blick zu dem Mädchen an der Bar, wollte wissen, ob sie auch mit angesehen hatte, wie er trank. Einen großen Schluck Whiskey, das war doch schon etwas für Männer, Kinder tranken doch nur Cola-Rum und Gummibärli.
Doch sie hatte es nicht gesehen, sie unterhielt sich nur angeregt mit einer ihrer Freundinnen. Georg, der Thomas’ Blick gefolgt war, tippte ihm nun leicht auf die Schulter.
„Gefällt dir wohl, die Kleine?“, fragte er lächelnd.
Thomas schüttelte den Kopf. „Ach was.“
„Wenn du willst kann ich sie dir vorstellen, ich bin ganz gut mit ihrer Schwester befreundet.“
Zuerst wollte Thomas verneinen, denn plötzlich spürte er ein leises Stechen in der Magengrube, doch ehe er etwas sagen konnte, war Georg schon bei ihr. Er deutete auf Thomas und redete auf die Kleine ein, und plötzlich kam sich Thomas so unglaublich schutzlos vor, dass er sich am liebsten einfach in Luft aufgelöst. Doch die Angst lähmte ihn, und so stand er einfach da und starrte sie an. Nun erhob sie sich von ihrem Hocker, und mit der Grazie einer Balletttänzerin huschte sie zu ihm herüber.
Sie schenkte ihm ein herzerwärmendes Lächeln und streckte ihm die Hand aus.
„Ich bin Sandra“, sagte sie mit ihrer lieblichen Stimme. „Georg sagt, dass du mich kennen lernen willst?“ Ihr Lächeln wurde nun keck und herausfordernd, und er überlegte, was er sagen sollte.
Jetzt ja keinen Fehler machen, Mann! Sei ruhig und beherrscht, zeig ihr auf keinen Fall, wie verrückt sie dich macht. Bring sie zum Lachen, na los, überleg schon, was du ihr sagen kannst! Schnell!
„J-Ja“, stotterte er und verfluchte sich selbst im gleichen Augenblick. „Ja“, was ist denn das für eine Antwort? Und noch dazu gestottert! Du bist doch so was von erbärmlich! Georg hätte das anders gemacht, er hätte lässig gelächelt und ihr mit ruhiger Stimme etwas Cooles gesagt, und sie hätte gelacht.
Jetzt stand sie nur da und wartete darauf, dass er weiter sprach. Schließlich fragte er sie, ob sie etwas zu trinken haben wolle. Sie bejahte, doch, dessen war Thomas sich sicher, um ihn nicht zu kränken. Ein zwei Schluck, und sie wäre wieder bei ihrer Freundin. Oder bei Georg. Für ein Mädchen wie dieses gab es tausend Jungs, warum sollte sie da gerade so einen klein geratenen schwächlichen Hänfling nehmen?
Er eilte rüber zur Bar, immer darauf bedacht, cool zu wirken. Er macht große Schritte – nicht zu groß, das wirkte albern – und ließ jedes Mal die Absätze seiner Stiefel mit einem lauten Knall auf den Parkettboden schlagen, das machte den Eindruck, er sei stark und kräftig.
Sie folgte ihm und setzte sich auf einen Hocker neben ihn, und gemeinsam tranken sie ein paar Gläser dieses und jenes – Dinge, die schmeckten, für sie, und Dinge mit hohem Alkoholgehalt für ihn.
Sie begann angeregt ein Gespräch zu führen, und er gab sich immer Mühe, eine möglichst coole Antwort zu geben, auch wenn er dabei nicht ganz bei der Wahrheit blieb. Erst als sie ihn fragte, ob er eine Freundin hätte, verlor er einen Augenblick seine lässige Fassade; Blut schoss ihm in den Kopf während er überlegte, was er darauf antworten sollte.
„Ich hab meine Alte vor einer Woche sitzen lassen“, sagte er.
Sie mich, und auch das ist schon ein Jahr her, dachte er verbittert.
„Wieso?“ Ihre Frage war einfach und natürlich, das Erste, wonach jemand fragen würde, doch er war nicht darauf vorbereitet und sucht fieberhaft nach einer Antwort. Als die Worte dann schließlich über seine Lippen kamen, hätte er sich am liebsten selber geohrfeigt, denn sie waren alles andere als cool: „Ich hatte einfach keinen Spaß mit ihr. Sie war nicht so hübsch und nicht gerade klug. Da hab ich mir gedacht ich mach mich auf die Suche nach einer Besseren.“
Sie starrte ihn enttäuscht an, und er spürte, dass er sie damit für immer verloren hatte. Sie musste ihn für einen oberflächlichen Macho halten, der Mädchen einfach in Kategorien einteilte, und das war er bei weitem nicht. Doch was man einmal gesagt hat, kann man nicht zurücknehmen, und so wartete er nur, was sie erwidern würde.
„Das ist… interessant. Es war… nett mich mit der zu unterhalten, aber ich glaub’ meine Freundin Karin will wieder mit mir sprechen. Also ich geh dann Mal, okay?“
Es war eine rhetorische Frage, denn sie wartete nicht auf seine Antwort sondern stand auf und verschwand in der Menge. Er aber saß noch lange da und starrte ins Leere. Dann sprang er auf und rannte hinaus auf die Straße. Er achtete nicht auf den Regen, der in Strömen herunterprasselte, sondern rannte einfach davon, irgendwohin, vergaß alles um sich. Schließlich blieb er erschöpft an einer Hauswand hocken und begann leise zu wimmern.
Er würde nie ein Mädchen wie Sandra haben, würde nie so gut aussehen, so beliebt sein, wie Georg. Georg war das Original, und er nur das billige Imitat. Und wer will schon eine wertlose Kopie besitzen? Sandra, nicht, so viel war sicher. Er hatte versucht, sie mit Georgs Charme zu beeindrucken, doch unter der glitzernden Fassade hockte immer noch ein schmuckloser Thomas. Er war nun mal nicht so lässig und cool wie Georg, und daran würde sich auch nie etwas ändern.
Und dann begriff er. Er fasste in seinen Rucksack, nahm die Packung Zigaretten heraus, und schleuderte sie weit weg. Dann richtete er sich wieder auf, und langsamen Schrittes ging er zum Lokal zurück.
Er trat ein, strich sich die regennassen Haare aus dem Gesicht und sah sich nach Sandra um. Georgs Hand berührte ihn leise an der Schulter, und seine Stimme fragte: „Alles in Ordnung?“
„Ja. Danke. Jetzt schon.“ Und dann fügte er hinzu: „Danke, dass du mir immer ein Freund warst, auch wenn ich’s nicht verdient hab.“
Seine suchenden Blicke hatten Sandra entdeckt, und er ging rüber zu ihrem Tisch. Sie sah etwas erstaunt auf, als er ihr die Hand entgegenstreckte.
„Ich bin Thomas“, sagte er.
Irritiert ergriff sie seine Hand. „Sandra. Aber.. Ich kenn’ dich doch schon.“
„Nein, du kennst mich noch nicht.“