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Paria - Der Ausgestoßene

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28.04.2005
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Paria - Der Ausgestoßene

„Tierheim und Veterinärstation“ stand in wuchtigen ausgeblichenen Lettern auf dem Schild über dem Eingang. Ein sauberer Flur führte an der Information, dem Wartezimmer, der Quarantänestation und zwei kleinen Büros vorbei und gabelte sich am schwarzen Brett, an das wild durcheinander Tiervorstellungen, ein Rundschreiben an die Mitarbeiter, eine Einladung zu einer Fete und das Angebot eines Hundesitters gepinnt waren. Ein kleiner Flecken Chaos in der ansonsten aufgeräumten und steril anmutenden Auffangstation für herrenlose Hunde, Katzen und allerlei Kleintiere.
Der linke Gang führte in den großen Tierbereich, zu den Zwingern und Käfigen, in denen sich die Patienten und Langzeitinsassen befanden. Neonlicht sorgte für eine unbehaglich helle Beleuchtung und vertrieb das wohlige Gefühl, das die Tiere sonst vermitteln würden. Seit Monaten hatte sich Sandra dafür eingesetzt die Lampen mit warmen Leuchtmitteln zu versehen, und bekam seit Monaten die gleiche Antwort von Seiten der Finanzierungsstellen. „Es ist nicht nötig.“
Viele der Tiere waren entweder nicht stubenrein oder sie fühlten sich in der sterilen Umgebung nicht wohl und verfielen in schlechtes Verhalten zurück. Trotz der Sauberkeit lag immer ein durchdringender wilder Geruch in der Luft. Ein Gemisch aus Fell und tierischem Urin, das einen beim Öffnen der Tür zurückprallen ließ und dazu zwang flach durch den Mund zu atmen.
Zwei weitere Türen führten in anliegende Räume. Hinter der ersten wurden das Futter, Einstreu und Putzutensilien aufbewahrt. Wurde diese Tür geöffnet, löste es eine wahre Kakophonie aus. Die Hunde bellten und striffen rastlos in ihren Käfigen umher, während die Katzen aufsprangen und sich an den Gitterstäben entlang drückten.
Die zweite Tür führte in eine kleine Kühlkammer, in der die Kadaver gelagert wurden, bis sie einmal in der Woche von einem Fahrer des Entsorgungsbetriebes abgeholt wurden. Es kam häufiger vor, dass Tiere eingeschläfert werden mussten, wenn die Krankheit eines Tieres zu schwer war, es von einem Auto erfasst wurde oder sich der heutzutage allgegenwärtige Krebs zu tief in die Organe gefressen und gestreut hatte. Wurde diese Tür geöffnet, so breitete sich Stille in der Station aus. Ein derart lautes Schweigen, dass einen eine tiefere Trauer packte als bei den meisten menschlichen Bestattungen.
Der Gang der rechts vom schwarzen Brett abzweigte führte zum Behandlungszimmer und weiter in den Operationsraum. In diesen wurden die Tiere untersucht, versorgt und nötigenfalls operiert.
An den Wände des Behandlungsraumes hingen medizinische Poster, die Auskunft über den Muskelaufbau und die Anordnung der inneren Organe von Katzen, Hunden, Kaninchen und sogar Fischen gaben. Gegenüber der Eingangstür hatte jemand das Poster eines kleinen Kätzchens aufgehangen, das sich verzweifelt an die Leinen eines Wäscheständers klammerte um nicht abzustürzen. „Durchhalten!“ verkündeten dicke gelbe Buchstaben.
In dem Operationsraum stand ein massiger Metalltisch. An den Wänden waren über einer verchromten Arbeitsanrichte metallene Hängeschränke angebracht. Alles blitzblank geputzt, einladend sauber und doch abstoßend kalt.

Sandra sah auf die Uhr. Kurz nach Fünf. Zeit den letzten Rundgang zu machen und den Laden abzuschließen. Sie stellte ihr Tasse neben die Spühle und zog sich die Einmalhandschuhe ab. Dann drehte sie den Wasserhahn auf und wusch sich den kalten Schweiß von den Fingern. Ihre Hände jubelten, als erst die frische Luft und dann das eiskalte Wasser sie traf.
Hinter Sandra wurde die Tür geöffnet und Kerstin streckte den Kopf herein. Sie hatte eine hübsche blonde Kurzhaarfrisur und einen kessen Pony, der ihr bis über die Augen fiel.
„Hey, Sandra. Wir haben gerade noch einen Neuankömmling bekommen. Hast du noch ein paar Minuten, um ihn dir anzusehen?“
Sandra seufzte kurz auf. Es war einfach typisch, dass ein weiteres Tier in die Station kam, wenn sie sich gerade die Hände gewaschen hatte und Feierabend machen wollte.
Sie griff zu dem Paket mit den Handschuhen und wollte gerade antworten, doch Kerstin war schon wieder verschwunden. Das junge Ding stand ständig unter Strom und schon ein paar Mal hatte Sandra sie gefragt, ob sie nicht lieber Rollschuhe bei der Arbeit tragen wolle, um noch schneller unterwegs zu sein, doch Kerstin hatte dann nur die Nase gekräuselt und mit einem schiefen Blick eine Entschuldigung genuschelt.
In dem kleinen Vorzimmer der Quarantänestation lag ein bulliger Bernhardiner auf dem Tisch, hatte die Vorderbeine übereinander geschlagen und die Schnauze darauf abgelegt. Die bernsteinfarbenen Augen blieben auf die Tür geheftet, selbst als Sandra sich dem Tier näherte.
Etwas abseits stand ein junger Mann in Lederjacke. Seine Haare hatte er zu einer imposanten Tolle übergekämmt. Trotz seines selbstbewussten Aussehens wirkte er angespannt und befeuchtete sich mehrfach mit der Zungenspitze die Lippen.
Sandra streckte dem Mann die Hand entgegen.
„Doktor Kirschner. Angenhem. Der Hund gehört nicht Ihnen?“
Der junge Mann räusperte sich, ergriff die angebotene Hand und schüttelte sie mit sanftem Druck. Sandra durchzuckte der bedauernde Gedanke, dass er schwul sein könnte.
„Dennis Holleck. Nein, der Hund gehört mir nicht. Ich habe ihn eine ganze Ecke von hier an einer Straße an einem Wald aufgegabelt. Vielleicht ist er ausgebüxt?“
Sandra legte die Stirn in Falten. „Wie weit von hier ist das denn gewesen?“
Der Mann legte seine rechte Hand an den Hals und rieb sich unbehaglich den Nacken. „Das dürften grob zweihundert Kilometer gewesen sein.“
Der Tierärztin klappte entrüstet der Mund auf. „Warum haben Sie den Hund denn nicht direkt vor Ort abgegeben? Sie hätten doch auch dort zu einem Tierheim oder der nächsten Polizeistation fahren können!“ Sandra unterdrückte den Zorn, der ihr mit kleinen Krallen die Wirbelsäule hinaufkletterte. „Sie machen uns damit die Arbeit unnötig schwer!“
Dem Mann war der kleine Ausbruch sichtlich unangenehm. Sandra bemerkte, dass er sogar mit dem Fuß auf dem Boden scharrte, wobei er den Blick gesenkt hielt.
„Das hatte ich auch erst vor. Aber ...“, er unterbrach sich und stierte in die Luft. „Ich glaube, er wollte das nicht.“
Sandra schob den Kopf ein Stück weit vor und zog die linke Augenbraue etwas nach oben. „Der Hund?“
Das machte den Mann nur noch verlegener. Es war ihm deutlich anzusehen, dass ihm die ganze Angelegenheit furchtbar unangenehm war und er eigentlich nur noch weg wollte. Statt zu antworten, nickte er nur kraftlos.
Sandra schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Das Kind war nun einmal in den Brunnen gefallen und sie würde den Mann nicht mit dem Hund zusammen zurück schicken können.
Die Tierärztin horchte den massigen Körper des Bernhardiners mit einem Stethoskop ab untersuchte die Augen, leuchtete in die Ohren und nahm anschließend eine Blutprobe. Danach brachte die kleine Koreanerin Miri den Hund in einen Käfig der Auffangstation.
Sandra führte den Mann in eines der Büros und ließ sich von ihm den Fundort des Hundes genau beschreiben. Dazu notierte sie sich seinen Namen und Anschrift.
Als Holleck merkte, dass er fertig und entlassen sei, sah man ihm praktisch die Last an, die von seinen Schultern genommen wurde. Er schaffte es sogar zu lächeln, als er sich knapp verabschiedete und die Tierstation verließ. Der Mann kam Sandra vor wie ein Flüchtling.
Sie haderte kurz und entschied sich dann dagegen, den Mann der Polizei zu melden. Sie legte Kerstin nur einen kleinen Notizzettel auf den Tisch, mit der Bitte die betreffende Polizeistation und die Tierheime in der Umgebung des Fundortes zu informieren, damit der Halter den Bescheid bekäme, sich direkt an sie zu wenden.

Der nächste Tag war eine Katastrophe. Kerstins Siamkater war über Nacht verstorben und die junge Helferin trottete den ganzen Tag mit hängenden Schultern durch den Flur und von Büro zu Büro.
Sandra hatte sie fest in den Arm genommen, als Kerstin die Augen überliefen und sie hemmungslos schluchzte. Der Kater hatte sie durch ihre Kindheit begleitet und war anschließend sogar mit ihr und ihrem Verlobten in eine neue Stadt gezogen. Kerstins Eltern hatten sich erst gegen ihre Idee ausgesprochen Mister Maunz mit sich zu nehmen, doch als sie sahen wie ernst es Kerstin damit war und wie sehr sie an dem geliebten Tier hing, hatten sie schließlich doch nachgegeben.
Und nun war Mister Maunz nicht mehr aufgewacht. Ein Hirnschlag hatte ihn im gesegneten Alter von 16 Jahren im Schlaf getroffen.
Obwohl Sandra und Miri sich alle Mühe gaben Kerstin abzulenken und ihr so viele der anfallenden Tätigkeiten wie möglich abnahmen, schafften sie es nicht den sonst so quirligen Blondschopf aufzuheitern.
Zur Mittagspause gab Sandra ihr den Rest des Tages frei. Sie war keine große Hilfe und stand in den Momenten, in denen man sie gebraucht hätte, nur im Weg herum. Es tat Sandra zwar Leid, denn sie sah Kerstin an, dass sie Gesellschaft und Ablenkung brauchte, aber sie hatte weder die Zeit, noch die Gelegenheit ihrer Helferin Trost zu spenden.
Herr Borstel war wieder mit seinem Dackelrüden vorbei gekommen und bestand darauf, dass der Haarausfall auf einer Pilzinfektion beruhen müsse. Frau Kalish hatte einen Wellensittich mit einem gebrochenen Flügel im Park gefunden, Herr Fliedl brachte einen ganzen Karton voll junger Hunde zur Kastration und auch sonst herrschte reger Betrieb im Wartezimmer. Ein kleiner Junge mit seiner Mutter wartete auf die Untersuchung eines Meerschweinchens, ein Punker mit Nietenhalsband und offenen Stiefeln ließ seine Ratte über die Schulter laufen und ein Geschäftsmann mit Krawatte flegelte sich in seinen Stuhl und ließ die Transportbox seiner Katze nicht aus den Augen.
Es hatte keinen Sinn, Kerstin da zu behalten, solange sie mit den Gedanken nicht bei der Sache war.

Immer wieder stahl sich der Bernhardiner mit den gelbgoldenen Augen in Sandras Denken. Bei jedem Gang zwischen Operationsraum und Büros verharrte sie einen Moment am schwarzen Brett und heftete den Blick auf die Tür zum Raum mit den Tieren.
In diesen bernsteinfarbenen Augen lag eine so tiefe Traurigkeit, dass es Sandra schwer fiel ihre Gedanken zu ordnen.
Mehrmals ertappte sie sich dabei, die Anschläge des schwarzen Brettes intensiv zu studieren, um einen Grund zu haben kurz inne zu halten und doch nicht wie eine Idiotin eine Tür anzuglotzen.

Am darauf folgenden Morgen betrat Sandra die Station unausgeschlafen und rastlos. Hätte sie jemand gefragt, ob sie der Gedanke an den Bernhardiner mit den traurigen Augen nicht hätte schlafen lassen, so hätte sie dies vehement bestritten. Aber etwas kratzte unter der Oberfläche. Eine Kleinigkeit wollte sich nicht so ganz einpassen und je öfter sie in Gedanken darüber strich, umso größer schien die Unebenheit zu werden.
Für Kerstin und Miri hatte sie nur im Vorbeigehen ein hastiges „Hallo“, bevor sie die Tür zur Auffangstation öffnete und am gegenüberliegenden Ende des Raums in die gelbgoldenen Augen des Bernhardiners sah. Er hatte noch immer den Kopf auf die Pfoten gebettet und blickte ins Leere. Der Fressnapf neben ihm war unberührt.
Obwohl sie direkt auf den Hund zu ging, schlich sie auf Zehenspitzen vorwärts. In den Käfigen links und rechts, die in zwei Reihen aufeinander gestapelt waren, bewegten sich die Tiere, kläfften oder winselten, um auf sich aufmerksam zu machen, doch hatte Sandra nur Augen für den vor ihr liegenden Bernhardiner, der unverwandt durch sie hindurch sah.
Sandra kniete sich vor den Käfig und beobachtete das Tier, das in tiefen, gleichmäßigen Zügen die Luft einatmete und wieder ausstieß.
Das Fell war von einem matten Glanz überzogen und die Flanken eingefallen. Trotz der Masse des Hundes sah man ihm die Erschöpfung und Entbehrung an. Dennoch wollte er nichts fressen und nichts trinken.
Die Haare der braunen Flecken waren stumpf und dunkel geworden. Einstmals vermutlich hell und lebhaft, klebten sie nun aneinander und waren mit Dreckspritzern verkrustet.
Minutenlang saß Sandra mit untergeschlagenen Beinen vor dem Käfig und blickte in die Augen des Hundes, der ihre Anwesenheit nicht im geringsten bemerkt zu haben schien und sie vollständig ignorierte.
„Paria“, flüsterte Sandra.
Das Wort hing zwischen dem Mensch und dem Tier wie die Bekräftigung eines geheimen Versprechens.
Der Bernhardiner blickte zu ihr auf.
„Hilf mir!“
Die Worte waren so klar und verständlich und doch mit einem so alten und animalischen Beiklang, dass Sandra zurückschrak und auf den Rücken fiel.
Der Schmerz kam so unerwartet, dass sie den Kopf zwischen die Schultern zog und fluchte, während sie sich aufrappelte und den Hinterkopf rieb.
Der Bernhardiner lag noch genau so reglos wie zuvor und hatte den Blick wieder auf die gegenüberliegende Tür gerichtet.

Es war schon später Nachmittag als Sandra ins Büro gerufen wurde. Miri saß am Schreibtisch und hatte auf einen schräg vor ihr liegenden Notizblock einige Zeilen gekritzelt, die sie Sandra beim Betreten des Büros entgegen streckte.
In krakeliger Schrift stand dort „Polizei – Bernhardiner – Kind verschwunden“, darunter eine Telefonnummer.
Sie blickte Sandra über ihre schicke Designerbrille hinweg fragend an und widmete sich dann wieder dem Telefongespräch, das sie gerade führte.
„Nein, Frau Elvers. Es ist vollkommen ausreichend, wenn sie ihren Katzen die Paste unter das Futter mischen.“
Sandra war zuerst erschrocken, als sie die kurze Notiz las, musste nun aber doch grinsen, als der Name ihrer Kundin erwähnt wurde. Frau Elvers war eine rüstige Rentnerin mit zwei noch rüstigeren Rentnerkatzen, die jedoch ihre Wurmkur benötigten. Dabei überließ sie niemals etwas dem Zufall und noch weniger der Eigeninitiative, so dass sie für jede Kleinigkeit zum Telefon griff und in der Praxis anfragte. Wäre Frau Elvers mobiler, so würde sie jeden Tag auf der Matte stehen und Sandra dankte dem Herrn auf Knien dafür, dass die alte Dame seit Jahren keinen Führerschein mehr besaß und am anderen Ende der Stadt wohnte. Auch so kam es häufig genug vor, dass sie sich in den Bus setzte und auf einen kurzen Plausch und eine Tasse Kaffee vorbei kam. Glücklicherweise verstand sich Miri ausgezeichnet mit der Pensionärin, so dass Sandra in den meisten Fällen verschont blieb und sich ungestört ihrer Arbeit widmen konnte.
„Schön, Frau Elvers. Ich habe mich auch gefreut von Ihnen zu hören“, beendete Miri das Gespräch und ließ den Hörer mit einem demonstrativen Augenrollen auf die Gabel fallen.
„Ich habe solche Sorgen um Tinka. Kann ich ihr nicht noch was anderes geben? Tinkatinkatinka. Lunalunaluna“, äffte Miri und Sandra konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, in das Miri nach kurzer Zeit einstimmte.
Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, deutete Sandra auf den Zettel, den Miri ihr vorhin entgegen gestreckt hatte.
„Worum geht es?“, fragte sie.
Miri verzog den Mund.
„Klingt nicht sehr schön. So wie es aussieht, hat der Bernhardiner, den wir hier aufgenommen haben, ein Kind getötet. Der Polizist wollte dich gerne sprechen, aber du warst zu dem Zeitpunkt im Behandlungsraum, weshalb ich ihm angeboten habe, dass du zurück rufst. Fleming hieß der Typ, wenn ich mich nicht irre. Sexy Stimme. Rawr.“ Miri machte mit der Hand eine Kratzbewegung.
Sandra kicherte. „Laß gut sein, Miri. Du bist eine schlechte Kupplerin.“
Die Koreanerin setzte einen empörten Blick auf, streckte dann aber nur die Zunge heraus und gab den Stuhl frei.
Sandra sah ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Polizei. Ein getötetes Kind. Und diese traurigen bernsteinfarbenen Augen.
Bestürzt bemerkte Sandra, dass ihre Finger zitterten, als sie die notierte Nummer auf dem Telefon wählte.
Am anderen Ende meldete sich Komissar Fleming. Trotz ihrer Unruhe musste Sandra Miri zustimmen - der Mann hatte eine sehr schöne Stimme.
„Sandra Kirschner hier. Sie hatten nach mir gefragt?“
Der Polizist schien freudig überrascht. „Ich habe nicht so früh mit Ihrem Anruf gerechnet.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Ich arbeite zur Zeit an einem vermutlichen Tötungsdelikt durch einen Hund. Dabei ist es uns leider bislang nicht gelungen das Tier ausfindig zu machen, weshalb wir uns mit den Tierheimen und –stationen in Verbindung setzen, um zu erfragen, ob jemand vor kurzem einen entlaufenen Bernhardiner aufgenommen hat. Sie haben doch vor Kurzem einen solchen Hund in Ihrer Station aufgenommen, oder?“
Sandra biss sich auf die Unterlippe. „Hilf mir“. Sie hatte es so deutlich gehört und es klang so eindringlich in ihrem Kopf nach, dass die Versuchung einen Moment lang unwiderstehlich schien, die Frage des Polizisten zu verneinen. Die Stimme in ihrem Kopf. Die traurigen Augen. Die Ausstrahlung, die von diesem Tier ausging.
„Sind Sie noch am Apparat?“, fragte Fleming.
Sandra riss sich los. „Ja. Ja, ich bin noch dran. Es ist tatsächlich vor zwei Tagen ein Bernhardiner bei uns abgegeben worden, der aus ihrer Region zu stammen scheint. Ich kann Ihnen aber über das Telefon unmöglich bestätigen, ob ...“.
„Das müssen Sie auch gar nicht“, fiel ihr Fleming ins Wort. „Ich würde gerne morgen Vormittag bei Ihnen in der Station vorbeischauen und das Tier mit den Fotos vergleichen, die uns in diesem Fall vorliegen. Soweit uns bekannt, hat das Tier keine weitere Kennzeichnung. Keinen Chip, keine Tätowierung. Ob der Hund ein Halsband trägt, ist uns ebenfalls nicht bekannt und konnte uns vom Halter nicht bestätigt werden. Wir sind also auf einen direkten Vergleich angewiesen. Wäre es Ihnen Recht, dass ich gegen zwölf Uhr bei Ihnen vorstellig werde?“
Vorstellig werde. Was für ein arroganter Schnösel.
Hilf mir. Sandra schloss die Augen und nickte.
„Ja, das ist in Ordnung. Ich bin hier vor Ort, wenn ich Ihnen auch nicht versprechen kann, sofort für Sie Zeit zu haben.
„Das ist vollkommen in Ordnung. Ich kann nicht von Ihnen verlangen, Ihre Patienten warten zu lassen.“
Ohne eine längere Verabschiedung legte Sandra auf. Eine Last lag auf ihr und hinderte sie aufzustehen. In ihrem Hals bildete sich ein Kloß. Sie schluckte und hörte ein Klicken in der Kehle.

Lange nach Feierabend saß Sandra wieder mit untergeschlagenen Beinen vor dem Bernhardiner und betrachtete ihn, ohne den Blick abwenden zu können.
Kerstin hatte ihn gewaschen und gebürstet, so dass der grobe Dreck und die Schlammspritzer verschwunden waren und auch die verklebten Fellstellen wieder schön aussahen.
Trotzdem fehlte dem Tier der lebhafte Glanz.
Der Bernhardiner lag in der gleichen reglosen Stellung wie in den Tagen zuvor, die Schnauze auf den Pfoten, den Blick quer durch den Raum gerichtet. Der Hund wirkte müde, ausgezehrt und traurig, doch die Augen strahlten von Tag zu Tag mehr. Ein goldgelbes Feuer, das tief in Sandras Inneres reichte und sie berührte.
Bei den engmaschigen Gittern der Käfige war es beinahe unmöglich die Streben zu ignorieren. Man kam sich viel zu häufig wie in einem Tiergefängnis vor. Doch der Bernhardiner, der Paria, ließ die Gitterstäbe verschwimmen. Man nahm sie nicht mehr wahr, wenn man ihn betrachtete. Und doch war gerade bei ihm das Gefühl erdrückend, einen Verurteilten vor sich zu haben, der auf seine Hinrichtung wartet.
Sandra konnte nicht sagen, wie lange sie vor dem Tier gesessen hatte. Zeit spielte in diesen Momenten keine Rolle. Der kleine Flecken Stille zwischen ihnen breitete sich immer weiter aus, bis die Ruhe und die Gleichmut sie vollkommen vereinnahmt hatten und sie nur noch zwei bernsteinfarbene Sterne vor sich sah.

Sandras Tag begann mit heftiger Übelkeit und sie verzichtete auf ihr Frühstück. Sie hatte die Befürchtung es eh nicht bei sich behalten zu können. Bereits in der Nacht war sie zwei Mal zur Toilette gestürmt und hatte trocken in die Schüssel gewürgt, bis sie vollkommen erschöpft über der Brille zusammen gesackt war.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Menschen so sehr gehasst wie den Polizisten Lars Fleming, der heute in ihre Praxis kommen würde, um ein Todesurteil zu fällen. Dabei war sie ihm noch niemals begegnet. Derlei Gefühle kannte sie nicht an sich und so klammerte sich Sandra an den letzten Rest verbliebener Vernunft in ihr und hoffte auf einen Fehler.
Fleming würde einsehen, dass der Hund mit den bernsteinfarbenen Augen unmöglich ein Kind getötet haben konnte. Hunde waren niemals von Natur aus bösartig. Es waren immer die Besitzer, die den Ausschlag gaben und aus einem Tier eine Bestie machten.
Den ganzen Vormittag war sie fahrig und nervös. Ihre Blicke klebten an der Uhr und kämpften gegen die vorrückenden Zeiger, die sich langsam und unerbittlich vorwärts schoben.
„Sandra?“
Sie erschrak, als die Uhr zu ihr sprach und brauchte einen Moment um sich darüber klar zu werden, dass es Miri war, die sie angesprochen hatte.
„Sandra, was ist mit dir los?“, fragte Miri. „Reiß dich zusammen. Ich kann hier keine zwei Nervenbündel ausgleichen. Ganz davon ab, dass du die Ärztin bist. Also sorg dafür, dass Hasso uns nicht auf dem Operationstisch verblutet und mach das hier zu Ende!“
Schamesröte stieg Sandra ins Gesicht und sie konzentrierte sich wieder auf den vor ihr in Narkose liegenden Riesenschnauzer, dem sie einen bösartigen Tumor aus dem Rachen entfernen musste. Sie konnte es sich nicht leisten mit den Gedanken bei dem Hund hinter der schweren Tür zu sein, der in seinem Käfig mit dem Kopf auf den Vorderpfoten lag und mit dem Blick an einem ihr unbekannten Ort festhielt.
Sandra ertappte sich dabei wieder abzuschweifen und wischte die Gedanken beiseite. Vor ihr lag ein Hund, der ihre Hilfe mindestens genau so nötig hatte.
Hilf mir.

Fleming war ein groß gewachsener, sportlicher Mann mit breiten Schultern und einem intelligenten Gesicht. Ein Mann, in den sich Sandra unter anderen Umständen Hals über Kopf hätte verlieben könne, bei dessen Anblick sich ihr aber nun der Magen umdrehte.
Neben Fleming stand ein kleiner, dicklicher Mann mit Halbglatze und fleischigen Lippen, der sich auf eine Krücke stützte.
Ihr schnürte sich die Kehle zu, als sie auf Fleming und den Halter zu ging und ihnen wie in Zeitlupe die Hand entgegen streckte.
Flemings freundliches Lächeln wirkte für sie aufgesetzt und gekünstelt. Voller Verschlagenheit.
„Es freut mich, Sie persönlich kennen zu lernen, Doktor Kirschner“, begrüßte er sie, als er ihr mit einem angenehm kräftigen Druck die Hand schüttelte. Sandra hätte schreien können und ihre Hand fühlte sich wie eine Maus in einem viel zu engen Käfig. „Dies ist Herr Rainer Vegli, der Besitzer des Hundes.“
Sie erwiderte nichts, sondern starrte den Polzisten nur mit der bröckelnden Fassade eines Lächelns an. Er schien es nicht zu bemerken.
„Hätten Sie die Zeit, uns das Tier zu zeigen?“
Er ist gestorben. Er ist gestern Nacht ausgebrochen. Tierschützer haben ihn befreit. Ein Pelzhändler für Bernhardinervorleger hat mir ein gutes Angebot gemacht ... „Natürlich.“
Während sie den kurzen Flur in Richtung des schwarzen Brettes hinab gingen, spürte sie ihre Blicke in ihrem Rücken. Wie sich ihre Augen zwischen Sandras Schulterblättern festkrallten und sie vorwärts stießen. Schritt um Schritt weiter auf die Tür zu. Durch sie hindurch. An den Käfigen vorbei, bis sie vor dem einen Käfig standen, in dem der Bernhardiner weiterhin in der gleichen Stellung verharrte, ohne sein Fressen anzurühren, ohne zu trinken. Die bernsteinfarbenen Augen auf einen Punkt gerichtet, der sich hunderte Kilometer von ihnen entfernt befand.
„Das ist der Schweinepriester!“, keifte Vegli und schlug mit der rechten Hand kräftig auf den Käfig. „Wo ist mein Kind?“, brüllte er und trat vor die Gitterstreben.
Der Bernhardiner zuckte nicht einmal zusammen.
Fleming zog Vegli mit sanfter Gewalt zurück, ging vor dem Käfig in die Hocke und zog aus der Brusttasche einen Stapel Fotos hervor, die er langsam durchblätterte und dabei immer wieder die Augen hob, um die Bilder mit dem Tier vor sich zu vergleichen. Ein paar Mal veränderte er seine Stellung, um die Zeichnung auf beiden Seiten genau betrachten zu können und er versuchte sogar den Bernhardiner dazu zu bewegen den Kopf zu heben, um ihm unter das Kinn zu schauen.
Der Hund blieb reglos liegen.
Fleming legte die Stirn in Falten, richtete sich auf und zog Sandra, die dem Treiben mit verschränkten Armen gefolgt war, ein Stück vom Käfig fort, so dass Vegli die leise gesprochenen Worte nicht hören konnte. Es schien ihm auch egal zu sein. Vegli warf dem Hund hasserfüllte Blicke zu und scherte sich nicht um Fleming und die Ärztin.
„Vor einer Woche ging dieser Mann mit seinem Kind und seinem Hund im Wald spazieren. Der Hund war ein Bernhardiner. Das Kind drei Jahre alt, deshalb hatte Herr Vegli einen Kinderwagen dabei.
Der Hund war bis zu diesem Zeitpunkt ein Familienmitglied. An seinem Rücken lernte der kleine Junge laufen. Niemals gab es einen Grund für die Familie den Hund zur Ordnung zu rufen. Er war das perfekte Haustier für sie.“
Fleming hielt kurz inne und sah, dass Sandra ihm nun zumindest aufmerksam zuhörte. Dann fuhr er fort.
„Vegli spielte mit dem Hund. Warf Stöckchen, ließ ihn frei laufen. Alles was zu so einem netten Sonntagsspaziergang eben dazu gehört, während die Mutter des Jungen ein bisschen Zeit für sich nimmt und ihre beiden Männer anschließend mit heißer Schokolade empfängt.“
Sandra verbiss sich einen Kommentar zu der offensichtlich recht festgefahrenen Geschlechterrolle Flemings und schwieg, während er weiter erzählte.
„Irgendwann hielten sie an. Vegli ging an den Kinderwagen und wollte eine Wasserflasche aus dem Beutel nehmen. Dabei drehte er dem Kind und dem Hund den Rücken zu. Er konnte uns nicht sagen, warum das Folgende geschah, doch im nächsten Moment biss ihm der Bernhardiner ins Bein. Die Zähne haben sich dabei bis tief in den Knochen gegraben. Eine zweite Bisswunde hat der Mann am Arm, als er sich vor dem Hund schützen wollte.“
Sandras Blick fiel auf Veglis linken Arm. Der Ärmel der dünnen Jacke spannte esich über einem dicken Verband. Sie sah die Krücke an, auf die sich Vegli stützte, um sein Bein zu entlasten.
Fleming nickte nachdrücklich. „Der Hund ließ von ihm ab. Vielleicht leistete er zuviel Widerstand. Wir wissen es nicht. Stattdessen griff er nun das Kind an, biss ihm in den Kopf und schliff es hinter sich her in den Wald.“
Sandra schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Herr Vegli konnte dem Kind nicht folgen, da seine Wunde am Bein zu schwer war. Er rief die Polizei mit seinem Handy. Auf den Kinderwagen gestützt schleppte er sich zu seinem Auto, wo er dann vom Notarzt angetroffen wurde. Wir haben die Region intensiv durchkämmt, doch sind einige Gegenden schwer zugänglich. Der Wald ist tief und dicht und wir werden noch eine lange Zeit brauchen, bis wir den Leichnam des Jungen gefunden haben. Die Aussicht ihn lebend zu bergen ist verschwindend gering.“
Fleming hielt ihr die Fotos hin.
„Der Hund, den sie hier bei sich haben, ist ohne Zweifel der von uns gesuchte Bernhardiner. Herr Vegli hat ihn identifiziert. Zudem ist das Fellmuster identisch und die Augenfarbe derart ungewöhnlich, dass ein Irtum auszuschließen ist. Ich habe Anweisung das Tier bei einer positiven Identifizierung einschläfern zu lassen.“
Sandra keuchte und spürte ihre Beine unter sich nachgeben. Fleming stützte sie, bis sie sich beruhigt hatte und wieder aus eigener Kraft stehen konnte.
„Könnten wir uns nun um die nötigen Papiere kümmern?“

Wie bereits unzählige andere Hunde vor ihm, lag der Bernhardiner, der Paria, unter Narkose vor Sandra auf dem Operationstisch.
Mit den Fingern der linken Hand strich sie die Flanke des Hundes langsam entlang, spürte das Fell an ihren Fingerkuppen vorbei gleiten, bis sie die richtige Stelle fanden und kurz verharrten.
Hilf mir.
Ich kann nicht.

Sandras Blick verschwamm, als sie beobachtete, wie das Gift langsam in den Körper des Bernhardiners mit den bernsteinfarbenen Augen gedrückt wurde, wo es die Tätigkeiten von Herz und Lunge stoppen würde.
Eine salzige Träne rann ihr aus dem Augenwinkel und fand den Weg zwischen ihre Lippen.
Fleming beobachtete aus einigem Abstand. Er wirkte ergriffen, doch nahm sie dies kaum wahr. Vegli dagegen schien hoch zufrieden. Ihr drehte sich der Magen um und sie überließ Miri den Rest.
Sandra schloss sich auf der Toilette ein und weinte hemmungslos, bis sie sich leer und elend fühlte.

Die nächsten Tage waren blass und grau. Die Arbeit Routine ohne den fröhlichen Beigeschmack, der ihr sonst selbst die ödesten Aufgaben versüßte.
Sandra redete nicht viel und das schelmische Lächeln, das häufig ihre Mundwinkel umspielte, war verschwunden.
An dem Tag, an dem Fleming ein zweites Mal vorbei kam, saß sie wie so häufig in letzter Zeit mit untergeschlagenen Beinen vor der leeren Box, in der der Berhardiner gelegen hatte.
Inzwischen waren seine Überreste längst abgeholt worden und nichts erinnerte mehr an den kurzzeitigen Besuch des Hundes mit den Bernsteinaugen.
Das Gefühl der Ruhe kam nicht mehr zurück. Sandra saß einfach vor der Box und blickte ins Leere, als sich Kerstins Hand auf ihre Schulter legte.
„Der Polizist, dieser Fleming, ist wieder da“, flüsterte Kerstin Sandra ins Ohr. „Soll ich ihn wegschicken?“
Sandra nickte, ohne aufzublicken.
Hilf mir. Sie hatte es so deutlich gehört. Sie hatte es in seinen Augen gesehen. Und sie hatte nichts tun können. Oder hatte sie es nur nicht gewollt?
Kerstin war bereits an der Tür, als Sandra sich doch umdrehte.
„Ich komme gleich. Ich rede mit ihm.“
Kerstin nickte und verschwand dann.
Sandra ließ sich noch einen Moment Zeit, bevor sie ihr folgte.

Fleming wartete vor der Station auf sie. Er lehnte an seinem Auto und blickte auf die Baumgruppe am Ende des Parkplatzes, in der zwei Eichhörnchen von Ast zu Ast sprangen und sich eine wilde Jagd lieferten.
Als er Sandra bemerkte, sah er sie kurz ernst an und senkte dann den Blick.
„Ich wollte nicht anrufen, um es Ihnen zu sagen.“
„Mir was zu sagen?“, fragte Sandra. Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
Fleming schwieg. Sandra bemerkte, dass er die passenden Worte suchte.
Als er wieder begann, glaubte sie ein leises Kratzen in seiner Stimme zu hören.
„Der Hund ... der Bernhardiner“, Fleming sah sie jetzt ganz direkt an. Sandra erwiderte den Blick. „Wir haben das Kind gefunden.“
Sandra schluckte. Sie spürte wie Hitze ihr die Kehle zuschnürte und erneut Tränen in ihre Augen traten.
„Wie es aussieht, ist die Geschichte des Vaters nicht wahr“, fuhr Fleming fort. „Der Junge ist nach unseren bisherigen Ermittlungsergebnissen im Elternhaus zu Tode gekommen. Der Vater ist dringend tatverdächtig.“ Fleming machte eine Pause. „Ich dachte, Sie würden dies wissen wollen.“

 

Hallo Zensur!

Was der Geschichte fehlt ist Schwung. Da wird erzählt und erzählt, meist von (unter der Rubrik Spannung/Krimi)nebensächlichen Dingen, wie die Gänge, Räume und Brettanschläge in der Tierstation. Auch Kerstins Eltern, Mister Maunz, Frau Elvers usw. sind im Text zu ausführlich bedacht.

Im Grunde ist es eine Alltagsgeschichte aus dem Tierheim mit einer kleinen Krimi-Einlage garniert.

Gruß

Asterix

 

Moin Asterix,

vielen Dank für die Zeit, die du dir genommen hast um die Geschichte zu lesen und darauf zu antworten.

Ich habe nie wirklich den Zugang zu der Rubrik "Alltag" gefunden, weder bezüglich Interesse der dortigen Geschichten, noch im Sinne eigener Fähigkeiten. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Geschichte dort gut aufgehoben wäre, doch liegt dies sicherlich auch an einer gewissen Befangenheit in der Selbsteinschätzung.
Sollte sie dort besser aufgehoben sein, so werde ich mich über eine Verschiebung nicht beschweren.

Du hast Recht, wenn du sagst, dass dieser Geschichte Schwung, Pep und Elan fehlt, doch ist dies durch die "Hauptperson" (meiner Meinung nach) vorgegeben: Der Bernhardiner.
Sandra wird im Grunde nur benutzt, um dem Leser in der Geschichte eine Bezugsperson zu geben, während das eigentliche Augenmerk auf dem Hund liegt. Wie der Bernhardiner macht die Geschichte keine hastigen Bewegungen, keine Sprünge und unerwarteten Wendungen, sondern steuert gradlinig auf das (für mich) Unvermeidbare hin.

Die Story ist nichts, das eine Auszeichnung verdient, doch gefällt mir persönlich wie sie erzählt wurde. Im Vergleich zu älteren Sachen von mir (durch die ich in letzter Zeit häufig stöbere) kommt mir diese Erzählung reifer und ausgearbeiteter vor. Solider.
Dabei spielen gerade die Details eine für mich wichtige Rolle - das Ausarbeiten von auf die Geschichte bezogenen Hintergründen (Kater Maunz, Frau Elvers, etc), denen ich vormals häufig eine viel zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt habe und all zu häufig mit der Story vorangeprescht bin. Hier habe ich mir Zeit gelassen, was man augenscheinlich nun wiederum deutlich heraus liest.

Gerade die Einleitung mit den vielen Beschreibungen ohne eine handelnde Person ist mir einerseits wichtig, andererseits ein Punkt an dem sich durchaus noch einmal ansetzen ließe. Möglich, dass es schon "entspannen" würde diese Beschreibungen auf den späteren Verlauf aufzuteilen, doch würde ich dies zumindest zunächst gerne noch unangetastet lassen.

Noch einmal dankeschön für das gezeigte Durchhaltevermögen.

Grüße,
:zensiert:

 

Hallo Zensur!

Die Hauptfigur ist für mich Sandra, der Bernhardiner ist die die Haupt-Nebenfigur, dessen Schicksal durch Sandras Gedanken und Gefühle erzählt wird. Dafür sind natürlich die „Hintergründe“ und Nebenhandlungen wichtig, welche Sandras Einstellung zu ihrem Beruf und ihren besonderen „Draht“ zu den Tieren verdeutlichen.
Die Detailfülle (der erste lange Absatz, Kerstins Eltern, Mister Maunz, Frau Elvers usw.) hat mich durchaus begeistert, ich fand sie nur für das Genre „Krimi“ zu abschweifend. Zu einer Geschichte mit dem Motiv „Alltag in der Tierstation“ sind sie wiederum passend.
Eine Verschiebung zu „ Alltag“ möchte ich in diesem Fall nicht bestimmen, nur wärmstens empfehlen. Ich fürchte, als Krimi wird dir die Geschichte um die Ohren gehauen.
Gib mir deine Entscheidung per PM.

Etwas Anderes noch:
Die zweihundert Kilometer Abstand zwischen Tatort und Tierstation machen wenig Sinn, wie man im Lauf der Geschichte auch erkennt, und machen zumindest die zweite Dienstfahrt des Kommissars fragwürdig. Der Kommissar (ein recht niedriger Rang!)Fleming wird die Kosten der Fahrt nicht genehmigt kriegen.

Lieben Gruß

Asterix

 

Moin Asterix,

ich lasse mir die Verschiebung über den heutigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen und melde mich dann im Bedarfsfall direkt bei dir per PN.

Die zweihundert Kilometer Distanz waren durchaus überlegt, schinden sie doch noch einmal ein paar Tage Zeit, die mir für die Entwicklung der Beziehung zwischen dem Tier und der Ärztin notwenig schienen. Dass dies nicht realistisch ist, wird in der Geschichte ganz direkt bemängelt, macht es doch nur unnötige Arbeit und scheint auch so vollkommen idiotisch - es ist jedoch letztlich der Ausstrahlung und dem Charme des Hundes gedankt/geschuldet. "Er wollte es nicht".

Die zweite Fahrt vom Kommissar ist keine Dienstfahrt. Er sagt ja selbst, er habe es nicht am Telefon erzählen wollen - wobei auch dies nicht einmal nötig gewesen wäre. Die Aufklärung über aktuelle Ermittlungsergebnisse ist sicherlich kein Teil seiner Arbeit.
Er hat schlicht das Gefühl, dass er es der Tierärztin von Angesicht zu Angesicht erzählen müsse und es sie interessiere. Es ist naheliegend, dass Fleming dies nun auf eigene Kosten macht, wird jedoch nicht explizit gesagt.
Genauso wie auch vieles andere der Vorstellung des Lesers überlassen wird. Zum Beispiel klärt sich nicht auf, ob das Kind im Wald gefunden wird oder gar im Elternhaus. Auch der tatsächliche Ablauf der Auseinandersetzung zwischen Hund und Halter bleibt dem Leser überlassen.
Ich hatte diesbezüglich zwar eine klare Vorstellung, möchte aber nicht ausschließen, dass es für den Leser einen weiteren sinnvollen Weg zur Auflösung gibt.

Gerade der Aspekt, DASS es einen Fall gibt, um den sich der Leser Gedanken machen kann, bei dem er einstufen muss, was Tatsache und was Lüge ist, lassen mich noch etwas zögern, einer Verschiebung zuzustimmen. Wie gesagt, ich melde mich im Laufe des morgigen Vormittags direkt bei dir, Asterix.

Die Detailfülle (...) hat mich durchaus begeistert
Vielen Dank. Es ist schön das zu hören.

Grüße,
:zensiert:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Zens, willkommen zurück!

Da ist es also, dein neuestes Werk. Es liest sich über weite Strecken tatsächlich wie eine Alltagsgeschichte, da muss ich Asterix Recht geben. Der Tagesablauf der Tierärztin wird mit allen wichtigen (und auch unwichtigen) Handlungen wiedergegeben, der Fokus liegt eindeutig auf dem Alltäglichen. Der Krimi-Teil wirkt etwas ... aufgesetzt, etwas kurz. Als hättest du dich lieber mit dem Alltag der Ärztin beschäftigt als mit dem Interessanten. Einerseits sieht man so sehr schön, wie der Vorfall ihr Leben durcheinanderwirbelt, andererseits war es mir fast zu viel des Guten. (Ob man mit dem Krimi-Part in Alltag viel Freude haben wird, ist allerdings fraglich. Vielleicht wäre Sonstige doch passender.)
Der Anfang, diese Schilderung des Tierheims, fand ich zu lang und zu unpersönlich. Du beginnst die Geschichte nicht mit der Vorstellung der Protagonistin, sondern mit der Vorstellung eines wenig aufregenden Tierheims. Die Ärztin wird erst später dazugewürfelt. Quasi im Vorbeigehen. So verhält es sich auch mit den anderen Figuren. (Ich gehe später näher darauf ein.)
Überhaupt braucht die Geschichte zu lang, bis sie in die Gänge kommt. Das hattest du früher wesentlich besser drauf. Du hattest ja gesagt, dass dieser Text eine Art Weiterentwicklung darstellt. Wirklich teilen kann ich diese Ansicht nicht - verglichen mit deinen alten Sachen fehlt mir hier der Pfeffer. Du bist leiser geworden, alltäglicher - eine echte Weiterentwicklung vermisse ich jedoch. Das "Hilf mir!" und das tragische Ende bleiben im Gedächtnis haften, der Rest ist ... tja, eben Alltag. Und damit werde ich nie viel anfangen können. ;)

Textzeug:

oder sich der heutzutage allgegenwärtige Krebs zu tief in die Organe gefressen und gestreut hatte.
Ist es nicht eher so, dass Krebs heutzutage bei Tieren öfters behandelt wird?

Ein derart lautes Schweigen, dass einen eine tiefere Trauer packte als bei den meisten menschlichen Bestattungen.
Eine etwas unglückliche Konstruktion, die auch gleich die entscheidende Schwäche des ersten Absatzes offenbart: Die Perspektive. Es gibt keinen Protagonisten, sondern nur “man”. Das lässt deine Beschreibungen des Tierheims etwas unpersönlich und leblos wirken. Wie bei einem Film - nur eben ohne Bilder.

In dem größeren der beiden Behandlungsräume stand ein massiger Metaltisch
Metalltisch

An den Wänden waren über einer verchromten Arbeitsanrichte metallene Hängeschränke angebracht.
wieder Metall

Sie stellte ihr Tasse neben die Spühle und zog sich die Einmalhandschuhe ab.
Spüle

Angenhem.
Tsts. Bist etwas nachlässig geworden. ;)

Sandra durchzuckte der bedauernde Gedanke, dass er schwul sein könnte.
Mich stört hier das Bedauern. Eine (vermutete) sexuelle Ausrichtung muss doch nicht bedauert werden.

Danach brachte die kleine Koreanerin Miri den Hund in einen Käfig der Auffangstation.
Die Personen in der Geschichte werden zu schnell und zu beliebig in die Handlung geworfen. So wirken sie nicht wie echte Menschen sondern eher wie sklavische Träger der Handlung.

Es tat Sandra zwar Leid
Seit 2006 wieder klein.

Es hatte keinen Sinn, Kerstin da zu behalten
dazubehalten

Hätte sie jemand gefragt, ob sie der Gedanke an den Bernhardiner mit den traurigen Augen nicht hätte schlafen lassen, so hätte sie dies vehement bestritten.
Den Satz musste ich dreimal lesen, bis ich ihn verstanden habe. Kein Wunder, das ist eine doppelte Verneinung im Konjunktiv II.

Anwesenheit nicht im geringsten bemerkt zu haben schien
groß

Laß gut sein, Miri. Du bist eine schlechte Kupplerin.“
Lass

der aus ihrer Region zu stammen scheint.
groß

Der kleine Flecken Stille zwischen ihnen breitete sich immer weiter aus, bis die Ruhe und die Gleichmut sie vollkommen vereinnahmt hatten und sie nur noch zwei bernsteinfarbene Sterne vor sich sah.
Das ist gut.

Sie hatte die Befürchtung es eh nicht bei sich behalten zu können.
Umgangssprache

Derlei Gefühle kannte sie nicht an sich und so klammerte sich Sandra an den letzten Rest verbliebener Vernunft in ihr und hoffte auf einen Fehler.
Muss das "an sich" wirklich sein? Das wirft mich komplett aus dem Satz.

Sie erwiderte nichts, sondern starrte den Polzisten nur mit der bröckelnden Fassade eines Lächelns an.
Polizisten. Sonst gut.

Der Ärmel der dünnen Jacke spannte esich über einem dicken Verband.
sich

Viele Grüße
Blaine

 

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