Pech gehabt
Kalle Kowalski war einer jener skrupellosen und gerissenen Gauner, wie es in
Einer Stadt wie Hamburg unzählige gibt. An diesem Abend im Dezember 2008
Saß er in "Henry's Schenke". Einer gemütlichen kleinen Bar mitten in
St. Pauli. Er rauchte genüsslich eine Zigarette und pfiff vor sich hin.
Obwohl er von sämtlichen Polizisten Hamburgs gesucht wurde, hatte er keine
Angst. Denn er war viel zu schlau für sie.
Mit seiner grauen Perücke, dem angeklebten Schnurrbart und dem gedeckt-
farbenen Anzug würde man ihn eher für einen erfolgreichen Geschäftsmann
Halten, als für einen entflohenen Strafgefangenen.
Hier in diesem Spießer-Laden bestand ohnehin keine Gefahr, erkannt zu
Werden. Es saßen die üblichen Gäste beisammen, tranken Bier und redeten
Unsinn.
"Ich will euch mal etwas sagen", fing einer von ihnen an und lehnte sich zu-
Rück. "Selbst das Rauchen wollen die uns demnächst wahrscheinlich ganz
Verbieten. Dann gibt es Zigaretten wahrscheinlich nur noch im Kiosk unter
Der Ladentheke zu kaufen."
Mit einem herablassenden Lächeln betrachtete Kowalski die Kneipengäste.
Einige von ihnen vertrieben sich ihre Zeit mit Kartenspielen. Ab und zu
Warfen sie zwar neugierige Blicke in seine Richtung, aber wenigstens
Quatschten sie ihn nicht an. Auf eine Unterhaltung mit einem von den
Trotteln hatte er nun wirklich keine Lust.
Gutgelaunt schaute Kowalski aus dem Fenster. Die trübe Dezemberabend-
Dämmerung hatte sich inzwischen in eine verschneite Dunkelheit verwandelt.
Eine ziemlich romantische Szenerie. Fast könnte man in Weihnachtsstimmung
Kommen. Aber so sentimental war Kowalski nicht.
Er war in Hamburg aufgewachsen und wusste von Kindheit an, was es heißt,
Arm zu sein. Während seine Freunde auf dem Bolzplatz Fußball spielten,
Hatte er in einer schäbigen kleinen Autowerkstatt für ein paar Pfennige die
Stunde an Autos rumgeschraubt.
Er erinnerte sich noch genau daran, wie seine Hände geblutet hatten, wenn
Erst mal die Blasen geplatzt waren.
Damals hatte er sich geschworen, alles dafür zu tun, um Reich zu werden.
Und jetzt hatte er es fast geschafft. Wenn er daran dachte, was für ein an-
Genehmes Leben in Zukunft auf ihn wartete, konnte er sich ein Lächeln
Nicht verkneifen.
Er schaute auf seine Rolex. 17:25 Uhr. In fünf Minuten war er hier mit seinem
Kumpel Harry Paschulke verabredet. Dieser wollte ihm seine gefälschten
Papiere vorbeibringen. Mit dem neuen Ausweis und seinem Anteil aus dem
Letzten Bankraub wollte er sich dann aus dem Staub machen.
Das Geräusch eines Automotors riss Kowalski aus seinen Träumen.
Als er aus dem Fenster sah, war seine gute Laune wie weggeblasen.
Draußen fuhr gerade ein Polizeifahrzeug in die Einfahrt ein. Und wie aus dem
Hut gezaubert tauchte im gleichen Moment ein zweiter Bullenwagen auf.
Kowalski fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er zwang sich dazu,
Langsam zu atmen. Wenn er jetzt in Panik verfiel, war es um ihn geschehen.
Sein guter Kumpel Harry mußte ihn verpfiffen haben. Auch wenn es ihm
Schwer fiel, dies zu glauben.
Draußen war inzwischen ein weiterer Streifenwagen eingetroffen.
Es wurde allmählich Zeit sich zu verdrücken.
Darum bemüht, möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen, schlenderte er in
Richtung Toillette.
Mittlerweile hatten auch die anderen Kneipengäste die vielen Polizisten vor
Dem Lokal bemerkt.
"Hey Leute, ich glaube hier gibt es ein Problem. Hat vielleicht einer von euch
Seine Alte abgemurkst ?"
Kowalski betrat die Toillette. Zum Glück war er hier allein. Doch viel Zeit
Blieb ihm nicht mehr. Er glaubte schon die Stimmen seiner Verfolger zu hören.
Da bemerkte er in etwa zwei Meter Höhe ein offenes Fenster.
Gott sei Dank verfügte er über einen sportlichen, durchtrainierten Körper.
Mit beiden Händen zog er sich am Fenstersims hoch und zwängte sich durch
Die schmale Öffnung. Vor ihm lag ein steil in die Tiefe führendes Dach.
Einen Moment lang schloss er seine Augen. Dann kroch er weiter.
Einige Ziegel lösten sich und flogen in die Tiefe. Er wagte es nicht , nach unten
Zu sehen. Der Schweiß rannte ihm trotz der Kälte übers Gesicht.
Zwei Meter über dem Boden hielt er kurz inne. Dann sprang er.
Als seine Füße endlich wieder auf festem Boden standen, taumelte er wie ein
Betrunkener, der sich an einen Laternenpfahl lehnte.
Auf den Schutz der Dunkelheit hoffend, rannte er über den Hinterhof.
Da entdeckte er ein paar Meter weiter, auf einem mit Kies bestreuten Park-
Platz einen sportlichen, aufgemotzten "Golf". Das ideale Fluchtfahrzeug.
Klein, wendig und schnell.
Kurzerhand schlug er die Seitenscheibe ein. Nachdem er mit ein paar
Routinierten Handgriffen die Zündung kurzgeschlossen hatte, sprang der
Wagen sofort an.
Krachend schaltete er den ersten Gang und ließ die Kupplung kommen.
Der Wagen schoss wie eine Rakete los. Ohne den Fuß vom Gaspedal zu
Nehmen, bog er um die nächste Kurve.
Dann ging alles so schnell, daß Kowalski nur noch die schnelle Abfolge von
Geräuschen wahr nahm: quietschende Reifen, der hohle Klang von Metall,
Das auf Metall prallte, und schließlich das Klirren von Glas, als er mit dem
Kopf gegen die Windschutzscheibe knallte.
Dann wurde es Nacht.
22.12.2008
Auszug aus einem Brief von Harry Paschulke an Karl-Heinz "Kalle" Kowalski,
Insasse der Vollzugsanstalt "Santa Fu":
"Hallo Kalle, altes Haus,
In der Zeitung habe ich gelesen, was passiert ist. Wahrlich eine dumme
Geschichte.
Als ich an jenem Abend bei "Henry's Schenke" ankam und die vielen Cops
Sah, bekam ich kalte Füsse. Ich bin natürlich sofort getürmt.
Dass die nur da waren um ihre dämliche Weihnachtsfeier abzuhalten, konnte
Ja keiner ahnen.
Warum musstest Du dann aber auch ausgerechnet mit einem Bullenwagen
Zusammenstoßen.
Die wussten natürlich gleich Bescheid, als sie dich aus dem Fahrzeug zerrten
Und die Perücke und den falschen Bart entdeckten.
Naja, wenigstens sind noch alle Knochen heil geblieben.
Besser arm dran als Arm ab.
Alles Gute
Dein Kumpel Harry.