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Platzen - sterben - warten

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14.02.2015
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Platzen - sterben - warten

Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass er nicht tot war. Bis eine Nachricht von ihm eintraf. Es täte ihm leid. So leid. Das war gut, denn nun wusste sie, dass er nicht tot war. Jetzt konnte sie es mit Sicherheit sagen, tot, nein, tot ist er nicht.

Können Gefühle sterben? Wo gehen tote Gefühle hin? Vielleicht treffen wir alle nach unserem Ableben auf unsere Gefühle, auf alle, die wir mal gefühlt haben im Leben. Für sehr sensible Menschen könnte das traumatisch werden.

Sie vermutet seine Gefühle in diesem Zwischenraum, dort, wo die Gefühle auf ihre Menschen warten.

Das war nicht immer so. Sie versteht auch nicht, warum seine Gefühle plötzlich beschlossen haben, in den Warteraum zu gehen. Niemand ist gerne in Warteräumen, da riecht es immer so steril. Aber seine wollten das offenbar.
Vor ungefähr drei Jahren wurden sie geboren. Er war längere Zeit schwanger mit ihnen, gab ihnen schon einen Namen. Mehrmals täglich wiederholte er den Namen. Im Bus, beim Zähneputzen, beim Joggen im Wald. Und dann, auf einmal am Bahnhof, platze die Fruchtblase. Er stieg mit ihr in den Zug, das Fruchtwasser durchströmte die Gänge, lief unter die Sitze. Die Leute hoben kurz ihre Füsse und wunderten sich dann nicht weiter darüber..

Sie war eine schlechte Hebamme. Erfahrung ist essentiell in diesem Feld und daran fehlte es ihr. Sie sass einfach da, im Zug, und hielt seine Hand. Aber die Gefühle kamen! Sie kamen, wennauch unkontrolliert. Ob sie gesund waren, das konnte die junge Hebamme nicht beurteilen, sie waren einfach....da.

Einige Tage später erkannte sie, dass auch sie schwanger war. Sie wusste es eigentlich schon lange, seit sie ihn das erste mal gesehen hatte, bewusst gesehen. Das geht nicht gut, das geht ganz und gar nicht gut, rief sie panisch. Sie hatte erst grad eine Fehlgeburt hinter sich. Und irgendwie hegte sie noch die Hoffnung auf Reanimation dieser verlorenen Gefühle. Die toten Gefühle fänden den Warteraum vielleicht auch viel zu steril und sie kämen zurück, redete sie sich ein. Sie wollte kein Risiko eingehen, nichts Neues gebären, bevor sie sich nicht sicher sein konnte, dass die Fehlgeburt eben doch keine war.

Aber damit verhalf sie sich nur zum zweiten Unglück.

Sie trieb ab.

Sie tötete, was er geboren hatte.

Sie hatte ihn geschwängert, oder er sie, man weiss es nicht genau, aber am Ende hat sie sein Kind getötet.

Drei Jahre nach dem Mord empfand sie eine ziehende Sehnsucht nach diesen Gefühlen. Sie schrieb ihm eine Nachricht, ob sie sich sehen könnten, er war einverstanden, sie machten einen Winterspaziergang. Durch den Schnee wandernd wurde sie schwanger vom Mondlicht. Sie dachte, ihm sei das selbe passiert. Weil er sie nämlich küssen wollte. Sie hatte Angst davor, weil sie nicht wollte, dass die Fruchtblase wieder so unkontrolliert platzte. Diesmal wollte sie alles richtig machen. Er küsste sie stattdessen auf die Stirn. Der Berg sieht aus wie eine Hand, sagte er. Wie ein Scherenschnitt, dachte sie.

Diesmal war es nicht das Fruchtwasser, es war eine Lawine. Eine Wortlawine, die keine war, weil sie stumm war. Sie wusste, dass sie in seiner Lawine des Unausgesprochenen sterben würde. Und damit ihre ungeborenen Gefühle. Er wollte, dass die Lawine sie verschluckt. Vielleicht aus Rache. Vielleicht, weil er die Erinnerung an seine Totgeburt nicht wecken wollte, alles, was damit zu tun hatte, begraben wollte.

Er hat einen Namen, der ans Meer erinnert. Das fand sie schön.

 
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Hallo Ondine,

und herzlich Willkommen hier bei den Wortkriegern.

Hmm, also ich bin verliebt und war auch schon schwanger. Vielleicht deswegen kann ich diesen Vergleich auch nicht gut zusammenbringen. Eine Beziehung in Bilder einer Schwangerschaft zu bringen, wirkt auf mich an manchen Stellen unfreiwillig komisch. Wenn ich dann weiterdenke, frage ich mich, was dann das Geborene für eine Funktion in der Geschichte haben sollte/könnte.

So kann ich mit der Geschichte recht wenig anfangen, weil sie ja durchgehend von dieser Idee der Schwangerschaft getragen wird.

Aber du bist ja erst frisch hier, es gibt sicher noch andere Texte, die mir vielleicht eher zusagen. (Aber halt: das soll jetzt keine Aufforderung sein, gleich mehrere zu posten. Bitte warte erst mal ab, was noch zu der Geschichte kommt und lies dich hier mal etwas ein und kommentiere andere Autoren, denn da lernt man unwahrscheinlich viel.)

Liebe Grüße
bernadette

 
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Hallo ondine,

herzlich Willkommen bei den Wortkriegern.
Ich hoffe, du bist jetzt nicht enttäuscht, wenn ich mit dem Positiven anfange, aber du willst ja eine ehrliche Kritik. Oder?
Aber keine Sorge, der Mecker folgt schon auf den Fuß. Und gar nicht so wenig. Aber halt erst im zweiten Teil meines Kommentars.

Was mir gut gefällt, das ist die Idee, das Entstehen einer Liebe mit einer Empfängnis, einer Schwangerschaft usw. gleichzusetzen. Oder auch der Gefühlswarteraum. Dadurch rückt die kurze Episode in ein neues Licht, macht etwas Originelles draus.
Da gehst du aus meiner Sicht den richtigen Weg. Es gibt auch hübsche Sätze und Bilder, die dein Text enthält.
Ich zitiere mal zwei Beispiele:

Der Berg sieht aus wie eine Hand, sagte er. Wie ein Scherenschnitt, dachte sie.

Er hat einen Namen, der ans Meer erinnert. Das fand sie schön.

Und all das ist gleichzeitig für mich das Problem bei solchen Texten. Denn das eigentliche Geschehen, das Besondere der Protagonistin und das Besondere zwischen den beiden Menschen, das kommt ja gar nicht vor in der Geschichte. Was du machst, das ist ja sehr abstrakt. Vieles (aber eben Wichtige) kommt in deiner Geschichte gar nicht vor, bleibt zweideutig und dadurch kriegt man halt das Gefühl, du verlässt dich viel zu sehr auf die Allegorie Liebe-Schwangerschaft und auf ein paar hübsche Worte, statt das Geschehen in der Frau nachvollziehbar zu machen. Es kann trotzdem alles knapp und verkürzt und abstrakt bleiben, aber es muss in sich schlüssig sein.
Der Haken an solch kurzen Texten ist (wenn man das o.A. nicht tut) dann häufig, dass der Leser da eigentlich selbst die Arbeit machen muss, den Transfer des Gelesenen auf seine eigenen Erfahrungen zu leisten. Und wenn das aus irgendeinem Grund nicht klappt, weil die immanente Logik nicht stimmt oder gar sprachlich was nicht stimmt oder so, dann "verkommen" die hübschen Sätze zu einer bloßen Attitüde, zu einem schönen Anstrich.
Umgekehrt fällt mir in einem langen Text voller Ereignisse und einem ins Werk gesetzten Konflikt vielleicht ein sprachlicher Mangel gar nicht mehr auf. Verstehst du, was ich meine? Da trägt mich die Geschichte durch. Wenn aber die Geschichte eigentlich nur das abstraktie in neue Bilder gesetzte Prinzip ist, dann muss sprachlich alles stimmen. Und das tuts für mich jedenfalls bei dir nicht. Ebensowenig wie die Motive der Protagonistin. Die sind unklar charakterisiert.
Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass er nicht tot war. Bis eine Nachricht von ihm eintraf. Es täte ihm leid. So leid. Das war gut, denn nun wusste sie, dass er nicht tot war. Jetzt konnte sie es mit Sicherheit sagen, tot, nein, tot ist er nicht.
Als ich diesen ersten Satz las, dachte ich, okay, Schreibanfängerin. Der klingt echt nicht gut mit dem viermaligen tot.
Sag bitte nicht, die Wiederholung sei extra, das glaube ich dir ja sowieso, trotzdem klingts nur wiederholend und einfach nicht gut. Es entsteht weder ein Rhythmus noch steht die Frage, ob er tot ist in irgendeinem inhaltlichen Zusammenhang zum Rest der Geschichte. Sie hat doch überhaupt nicht an ihn gedacht, die ganze Zeit. Die Frage ob er lebte oder nicht, war also völlig wurscht. Warum dann die Betonung "tot"?
Es gibt noch mehr solcher sprachlich unrunder Stellen. Aber die fiel mir halt ganz besonders stark auf, zumal sie auch noch direkt am Anfang ist. Ich hätte beinahe nicht weitergelesen.
Ich glaube, es ist wichtig, sich da zu fragen, warum man stilistisch und inhaltlich gesehen die Wiederholungen macht, und warum man die negative Formulierung "nicht tot" wählt, statt "noch lebt". Was treibt einen da selbst an, welche Wirkung hat sowas auf den Leser, wenn der mit diesen Worten auf eine Geschichte eingestellt wird, usw.
- Warum kommt die nach DREI Jahren auf einmal auf die Idee, ihm zu schreiben? Sowas soll vorkommen, aber wenn es nicht völlig zusammenhanglos und launisch erscheinen soll, würde ich mir da einen Halbsatz mehr wenigstens ausdenlken. Du schreibst: Weil sie Sehnsucht nach den damals abgetriebenen Gefühlen hat? Nicht nach dem Mann? Das klingt ziemlich egozentrisch. Kann man machen, die Protagonistin muss ja nicht sympathisch sein, aber doch glaubwürdig und nachvollziehbar. Ich frage mich hier halt, ob du diesen Egozentrikeindruck überhaupt wolltest.
Was gibt es an dem Mann, dass sie ausgerechnet ihn anschreibt? Oder geht es wirklich nur um die Wiederbelebung der abgetriebenen Gefühle? Diesen Punkt würde ich stärker herausarbeiten.
- Was mir noch auffiel, ist die etwas verwirrende Zeitenverwendung. Das ging mir oft zu sehr durcheinander zwischen Präteritum, Pefekt und Präsens.
-Dein Text enthält außerdem auch noch einen Haufen Tippfehler. Das geht schon beim Titel los. Den hab ich mal ausgebessert, damit das nicht immer unser Webby mahen muss. Bei den anderen bin ich jetzt aber einfach zu faul, die rauszusuchen.
Viel Spaß und Erfolg beim Weiterschreiben und überhaupt.
Viele Grüße von Novak

 

Hej Ondine,

auch wenn ich nichts grundlegend Neues beitragen kann, hier noch eine dritte Meinung zu Deinem Text.

Auch nach meinem Empfinden stützt Du Dich zu sehr auf diese Schwangerschaftsallegorie. Wenn man die mal weglässt, dann geht es darum, dass Gefühle nicht zeitgleich passieren. Das ist ein ziemlich alltägliches Phänomen und auch bei Verliebtheit nicht selten.

Spannend wird es, wenn Du das gut und genau beobachtest, wenn Du diese zwei genauer unter die Lupe nimmst und ihnen und ihren Gefühlen Stimmen gibst, aber genau an den Punkten benutzt Du dieses Bild von einer Schwangerschaft. Das ist vllt eine Art Grundidee, mehr gibt das aber nicht her.

Die von Novak gelobten Sätze haben mir auch gefallen. Vielleicht auch, weil sie überhaupt nichts mit Schwangerschaft zu tun haben. :)

Noch ein Gedanke zur Überschrift:
Warten und Sterben sind Begriffe, die man einem Lebewesen zuordnet. Platzen ist aber etwas, was Lebewesen wohl eher selten tun. Eine Fruchtblase oder ein Luftballon kann das.
Das passt vom Kontext nicht gut. Ich würde überlegen, ob Du in Deine Überschrift keinen für den Leser undurchsichtigen Abriss rein- und dafür mehr Entwicklung in die Geschichte packst.

Soviel von mir. Auch ich wünsche Dir noch viel Spaß und konstruktive Kritik, die Dir weiterhilft.

Gruß,
Ane

 

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