Requisiten
Der Schleier aus grauem Nebel hob sich, löste sich später ganz auf und hinterließ keinerlei Erinnerungen...
Amanda hob verwirrt den Kopf. Ihre Augen suchten im dunklen Raum nach etwas Greifbarem. Es musste doch da sein. Nur ein kleiner Hinweis auf das, was geschehen war, auf den Ort wo sie war. Da! Da war etwas. Ein Licht, nein, ein Blinken. Rot.
Sie ließ den Kopf sinken. Das war das Zeichen. Sie war bereit. Doch wozu?
Der Schreck und die Plötzlichkeit mit der das helle Licht der Scheinwerfer auftauchte, brachte sie dazu ihre Augen zu schließen. Es dauerte einige Sekunden bis die leuchtenden Blitze ihr den Blick auf Kameras freigaben. Die Hilflosigkeit und das Unwissen über ihre Situation versetzten Amanda in Panik.
Eine der schweren Metalltüren öffnete sich. Es schien sich um die fehlende Crew der Kameras zu handeln. Niemand beachtete sie. Sie wurde behandelt wie eine Requisite.
„Hervorragend!“ eine Frau, die einzige im Raum, „Wenn alles klappt können wir die Szene noch heut fertig drehen.“
Alle nickten eifrig. Es schien niemanden zu beeindrucken, dass Amanda um ihr Leben flehte. Die Frau, sie trug ihr langes blondes Haar zu einem Zopf gebunden, kam mit elegantem Schritt auf das flehende Mädchen zu.
„Bitte, wo bin ich hier?“ sie blieb vor ihr stehen und lächelte selbstgefällig, „Sagen Sie mir was Sie mit mir vorhaben!“
„Sie wollten doch unbedingt Schauspielerin sein, oder etwa nicht?“ ein dünner Kerl mit Pferdeschwanz reichte ihr wie auf Geheiß einige Papiere, „Ah... da haben wir Sie ja. Amanda Watkins.“
Sie hielt Amanda die Schriftstücke unter die Nase, sodass sie ihre eigene Unterschrift deutlich lesen konnte. Sie erinnerte sich. Vor Wochen hatte ihr eine Agentur ein Angebot gemacht, das sie einfach nicht hätte ausschlagen können. Es sollte nur eine Nebenrolle in einem billigen Horrorfilm sein, aber es war besser als nichts. Nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatte, wurde ihr gesagt, dass man sich an sie wenden würde, wenn sie gebraucht wurde. Aber auf derartige Übergriffe war sie nicht gefasst gewesen.
„Sie sind ja verrückt! Haben Sie mich etwa aus meiner eigenen Wohnung entführt?“
„Mein Kind, Sie haben einen Vertrag unterzeichnet.“ der Kerl mit dem Zopf war wieder erschienen und nahm den Schreibkram an sich, „Und haben uns damit zugesichert diese Rolle zu spielen.“
„Das hat nichts mit Spielen zu tun. Und jetzt lassen Sie mich hier runter!“
Die Frau drehte sich um und ging in Richtung der Tür. Sie drehte sich noch einmal um.
„Ich bedauere. Sie haben Ihren Vertrag noch nicht ganz erfüllt.“ Sie wandte sich an die Crew, „Seht zu, dass diesmal alles glatt geht.“
Amanda versuchte krampfhaft sich an diese Rolle zu erinnern. Was sollte sie in diesem Film nur spielen?
Die grellen Scheinwerfer wurden abgeschaltet. Jetzt war der Raum, oder mehr die Halle, kaum noch hell genug um die Kameras erkennen zu können. Die Wand, an der sie mit Händen und Füßen gefesselt war begann sich zu teilen. Die Fesseln an denen sie hing waren an horizontal verlaufenden Schienen befestigt. Sie versuchte sich zu befreien, doch das Metall um Hand- und Fußgelenke ließ nicht nach. Doch ihre Panik nahm zu.
„Was habt ihr Schweine vor?!“
Selbst wenn sie eine Antwort bekommen hätte, wäre sie in den Ereignissen untergegangen. Von irgendwo aus den dunklen Weiten der Halle ertönte ein heiseres Action!. Dieses setzte die Fesseln fast automatisch in gang. Was langsam begann, setzte sich schnell in entgegengesetzte Richtungen fort.
Der junge Körper gab den Kräften nach. Er kämpfte erst noch dagegen an, bis der Punkt kam an dem das gedehnte Fleisch nachgab. Die Haut riss mit einem Ruck und gab berstende Muskeln und splitternde Knochen frei. Blut traf mit einem schweren Klatsch auf dem Boden auf und spritzte bis zu einer der Kameras, die für die Nahaufnahmen zuständig war. Es war ruhig. Kein einziger Laut war zu vernehmen.
„Cut! Okay gute Aufnahme! Die nehmen wir.“ die Stimme tauchte im plötzlich aufleuchtendem Scheinwerferlicht auf, „Sammelt die Requisiten zusammen und dann könnt ihr Feierabend machen.“
Die Requisiten hingen leblos in ihren Fesseln und tropften auf den verschmierten Fußboden. Auf der linken Seite hing der gebrochene Arm, der nur noch von Hautfetzen gehalten wurde, schlaff da und wurde vom einstmals so schönen Kopf nach unten gezogen.
Es klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten trat er nun in das Büro und ließ, ohne ein Wort zu sagen, einen zusammengehefteten Stapel Papiere auf den Tisch knallen. Die blonde Frau sah unbeeindruckt auf.
„Wir haben die Szene im Kasten. Wird gerade bearbeitet.“
„Sehr gut.“
Der Mann blieb unbeirrt stehen.
„Gibt es noch etwas?“
„Nur eine Kleinigkeit. Warum haben Sie die letzte Szene umschreiben lassen?“ sie setzte sich gerade hin und lehnte sich in ihrem Ledersessel zurück.
„Die Zuschauer sollen für ihr Geld doch etwas zu bekommen.“ Sie lächelte, „Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe mich bereits um alles gekümmert. Sie müssen lediglich am vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit drehen.“
„Mr. Rogers, richtig?“ die blonde Frau betrat das Büro, „Ich freue mich, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.“
Er nickte. Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
„Ein Freund hat mir empfohlen, mich bei Ihnen vorzustellen.“ er zögerte, „Er sagte, Sie würden auch unerfahrene Schauspieler vermitteln.“
„Ja das ist richtig. Und wir haben sogar schon die perfekte Rolle für Sie.“ sie lächelte.
„Ach wirklich?“ er war sichtlich überrascht, „Aber ich bin heut das erste Mal bei Ihnen.“
„Nun, wir sind Profis in dem was wir tun.“ sie stand auf und ging zu einem Aktenschrank, „Sie haben den Job sicher. Wir benötigen nur einige persönliche Angaben und eine kleine Unterschrift.“
Sie gab ihm den Vertrag, den sie zuvor aus dem Schrank herausgenommen hatte, ging zielsicher auf den Ledersessel zu und setzte sich.
„Lesen Sie sich den Vertrag in Ruhe durch.“
„Wir sollten uns mal wieder auf ein Bier treffen.“ die Stimme an der anderen Seite des Telefons klang anklagend.
„Ich weiß.“ Eric Rodgers sah aus dem Fenster, von dem aus er auf ein riesiges Plakat sehen konnte. Dieses Gesicht, das einer jungen Frau die wohl für Parfum warb, starrte ihn eingehend an.
„Ich komme am Wochenende vorbei. Bier bringe ich mit. Ist acht okay?“
Was sollte er sagen? Die Frau wirkte dieser Situation recht teilnahmslos entgegen.
„Ja. Acht ist gut.“
„Wie ist eigentlich das Gespräch bei der Vermittlungsagentur gelaufen?“
„Erstaunlich gut. Ich hab eine Rolle in einem Gruselfilm. Nicht großes.“
Das Erwachen kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Wie viel hatte er nur getrunken? Eindeutig soviel, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte. Als er endlich die Augen öffnete, wurde ihm klar, dass es einiges geben musste, was sein trüben Hirn ihm vorenthielt. Etwas wusste er: er lag auf etwas Hartem. Holz, es bohrte sich in seinen Rücken. Die Arme und Beine waren ihm, als er Bewusstlos gewesen war, gefesselt worden. Bisher hatte er nicht die Kraft besessen die schweren Ketten, an denen er hing, zu heben. Eric spürte wie jemand neben ihm auftauchte. Er drehte den Kopf, konnte aber niemanden erkennen.
„Hey!“ er schloss die Augen, da ihn das helle Scheinwerferlicht blendete, „Was soll der Scheiß?!“
„Wir können anfangen!“
„Allan?“ Eric keimte der vage Gedanke, dass das alles ein dummer Scherz sei, „Allan du bist wirklich ein mieser Freund.“
Die Scheinwerfer gingen plötzlich aus. Endlich konnte er wenigstens etwas von seiner Umgebung erkennen. In einem Kreis um ihn herum standen fünf Kameras, Scheinwerfer und mindestens dreißig Leute, die sich auf ihre Plätze begaben. Allan stand mit dem Rücken zu ihm.
„Ich gratuliere, Allan.“ diese Stimme kam Eric bekannt vor. Er hob den Kopf soweit es ging.
„Sie?!“
„Ah, Mr. Rogers. Schön, dass Sie rechtzeitig erwacht sind.“
„Was hat das zu bedeuten?“
„Weißt du, Eric, du hattest Recht. Das Filmgeschäft ist erbarmungslos.“ er beugte sich über den gefesselten Freund, „Vor allem wenn man sich für die falsche Rolle entschieden hat.“
„Verabschieden Sie sich, Mr. Rogers.“ sie wandte sich an Allan, „Wir müssen jetzt beginnen. Die Nacht dauert auch nicht ewig.“ Sie stolzierte davon, bedachte Eric aber vorher noch mit einem Blick, der ihn in plötzliche Panik geraten ließ. Die Ketten, die vorher noch recht locker waren, spannten sich nun an. Sein Körper war nun fest an das Holz unter seinem Rücken gefesselt. Nun gab es keine Bewegungsmöglichkeit mehr.
Allan stand wieder vor ihm.
„Was hast du vor?“
Die Klinge, die vor ihm aus Allans Hand aufblitzte, ließ er nun nicht mehr aus den Augen. Irgendwo im Hintergrund hörte er ein stumpfes Action!.
„Was hast du vor?! Nein!“
Die Spitze drang langsam oberhalb des Bauchnabels in das Fleisch ein. Der Schnitt war noch nicht tief und verlief gerade über die Brust. Eric wand sich schreiend unter den Händen, die ihn ein zweites Mal bearbeiteten. Diesmal war der Schnitt so tief, dass das Blut in erheblichen Mengen über die geöffnete Brust hervorquoll. Erics Schreien übertönte den Straßenlärm, der vom Wind herbei geweht wurde.
Allan stieg auf der Fahrerseite in den Wagen ein. Der Parkplatz war Menschenleer. Er reichte der Person auf dem Beifahrersitz eine Zeitung.
„Sie haben die Kritiken gelesen?“ sie lächelte selbstsicher und faltete die Blätter auseinander.
„Seite 24.“
Seite 24, Filmkritiken
„Ein Film erschüttert Amerika
Wenn Sie denken bisherige Kinoschocker hätten Ihnen das Blut gefrieren lassen, sollten Sie sich eines Besseren belehren lassen. Das neuste Erzeugnis der Filmindustrie sprengt alles Vorhergegangene... Wie die Produzenten auf der Premiere mitteilten wollten weder die Schauspieler noch die Crew namentlich erwähnt werden...“
2 Jahre später
Zeitung vom 25. September...
„Leichen aus See geborgen
Am frühen Abend wurden bei Arbeiten in einem nahegelegen See, ein Frachtcontainer geborgen. Beim Öffnen wurden 34 Leichen entdeckt... Nach Angaben mussten diese Menschen noch gelebt haben, als man sie im Container einschloss und im See versenkte. Der Container war zwei Jahre lang unentdeckt...“