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Retuschen an der Schöpfung

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29.01.2010
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Retuschen an der Schöpfung

Erstaunt betrachtete der Arzt das Gesicht des Patienten. In seinem Beruf war ihm manches untergekommen, doch dieses verblüffte ihn. Seine Gedanken von dem Anblick losreissend, begann er, den Bewusstlosen zu untersuchen. Puls und Atmung waren nicht besorgniserregend. Er winkte den Sanitätern, damit diese den Patienten für den Abtransport auf die Bahre hievten.
«Es sind keine äusseren Verletzungen erkennbar», bemerkte er zu der Polizeibeamtin, die danebenstand. «Ob innere Verletzungen vorliegen, wird erst die gründliche Untersuchung im Spital zeigen. Auch für seine Bewusstlosigkeit weiss ich noch keine sichere Ursache. Der flache Puls könnte ein Hinweis auf Drogen sein, wie Sie vermuten, doch möchte ich mich da nicht festlegen.»
Die Parkanlage, in der der Bewusstlose aufgefunden worden war, hatte diesen Gedanken aufkommen lassen. An diesem Ort hatte man öfters Ärger mit Junkies. Dass der Mann gepflegt wirkte und nicht jung war, sprach nicht dagegen.
«Aber … die Lippen!» Die Polizistin wirkte sehr verunsichert.
«Ja», der Arzt sprach das Wort gedehnt aus, als ob er zugleich nach einer plausiblen Erklärung suchte. «Eine Deformation, wobei es hier wirklich eine sonderbare Laune der Natur bildet. So etwas habe ich selbst noch nie gesehen. Verwunderlich ist, dass dies bei ihm nicht bereits im Kleinkindalter operiert wurde.»
Die Polizistin blickte nochmals intensiv auf das Gesicht des Bewusstlosen. «Es sieht ja nicht hässlich aus, aber dennoch erschrak ich, glaubte erst, er sei maskiert.»
Die Lippen standen leicht offen, sie waren unauffällig, doch einen Fingerbreit darunter, ein zweites Lippenpaar. Dieser Mund war kleiner als der darüber liegende, mehr wie ein Frauenmund, sich zu einem Kuss zuspitzend.

Die weiterführenden Untersuchungen erbrachten einige überraschende Befunde. Die Ursache der Bewusstlosigkeit konnte anhand der Laborwerte des Blutes zugeordnet werden. Es war eine starke Dosierung eines Anästhetikums, das bei Operationen zum Einsatz kommt. Als man seinen zweiten Mund untersuchte, zeigte es sich, dass der Kieferknochen und die Zähne darunter völlig intakt waren, er also keine Öffnung und Funktionalität hatte. Dafür waren Nähte erkennbar. Diese zweiten Lippen waren künstlich eingesetzt und seine Zunge im realen Mund reptilienartig ein Stück gespalten worden.

*​

Harmsen legte das Buch auf die Seite. Die Bildnisse antiker Schönheit hatten ihn immer fasziniert, sie waren einer der Impulse, weshalb er sich während des Medizinstudiums entschied, die Richtung plastische Chirurgie einzuschlagen. Später erkannte er, dieses Gebiet war ihm nicht einfach ein Beruf, es war ihm vielmehr Berufung. Noch vor vier Jahren hatte die Zeitschrift Esquire über ihn geschrieben, er sei ein Schönheitschirurg, dem es gelinge, die Schöpfung zu vollenden. Diese Worte hatte er der Journalistin zwar selbst souffliert, aber er lebte sie mit Überzeugung, bis … Seine Gedanken wandten sich von der Faszination seiner Fähigkeiten ab, gaben kontrolliertem Hass wieder Raum, welcher ihn seit dem Verlust der Approbation beherrschte. Der Richter hatte seinen Preis erhalten. Seine Doppelzüngigkeit, welche er im Prozess aufscheinen liess, stand ihm nun ins Gesicht geschrieben. Sie würden alle noch ihre gerechte Strafe erhalten, Frau Dumermuth, welche ihn wegen schwerer Körperverletzung angezeigt, und ihr Anwalt, der ihn vor Gericht als Scharlatan dargestellt hatte. Ihn, den erfolgreichen Schönheitschirurgen, Dr. Mark Harmsen. Seine langjährige und renommierte Praxis war ein Beweis seines Könnens gewesen, die Liste höchst zufriedener Kundinnen lang. Es konnte nicht geklärt werden, warum in der verwendeten Originalpackung ein zellzersetzendes Mittel gewesen sein sollte. Der Hersteller wies die Verantwortung von sich und überzeugte das Gericht von seinen hohen Sicherheitsstandards. Offen blieb, ob das Pharmawerk Opfer eines Sabotageaktes geworden war. Da kein Erpresser sich meldete, stellte man diesbezügliche Abklärungen ein und ging von einem eklatanten Fehler des Arztes aus. Seiner Assistentin musste ein Fehler unterlaufen sein, davon war Harmsen überzeugt. Sie hatte die Medikamente bereitgestellt. Das Gericht lastete ihr trotzdem keinerlei Schuld an. Für sie würde er sich einen extravaganten Eingriff vorbehalten.

*​

Beim Unternehmen, welches die öffentlichen, selbstreinigenden WC-Anlagen landesweit betrieb, ging ein Alarm ein. Dieser löste sich aus, wenn eine Kabine über eine Stunde nicht verlassen wurde.

Als die beiden Angestellten die Tür mit einem Spezialgerät öffneten, sahen sie einen älteren Mann mehr vornüber geneigt hängend, als sitzend, auf der Klobrille. Die heruntergelassene Hose war über den Schuhen gerafft. Sie hatten ihn noch nicht berührt, als er schon abrutschte. Die Beiden verhinderten ein hartes Aufschlagen des Körpers auf dem Metallboden, indem sie instinktiv zupackten und ihn abgleiten liessen.
Vorübergehend waren sie vor Schreck sprachlos, dann begann der eine hysterisch zu lachen, der andere stimmte ein, um alsbald in entsetztes Schreien überzugehen.

Die Ärzte, welche den als Notfall eingelieferten Patienten untersuchten, waren fassungslos. Es musste die Tat eines Wahnsinnigen sein, doch chirurgisch sauber durchgeführt. Anstelle seiner Nase hing schlaff der Penis samt Hodensack und an dessen Stelle war die Nase eingesetzt, permanent Urin tröpfelnd.

Der Bezug zum Fall Richard von Stähl, jenem Richter, der vor acht Monaten körperlich deformiert im Park hinter dem Landesmuseum gefunden worden war, lag auf der Hand. Im Blut war dasselbe Anästhetikum nachgewiesen worden. Bereits damals hatte die Kriminalpolizei unter Leitung von Kommissar Oberhänsli akribisch überprüft, wer für die Tat in Frage kommen könnte. Der einzige Hinweis, dass es jemand sein musste, der über entsprechend fachliche Kompetenz besass, verlief im Sande.
Man stiess zwar auf den Fall Dr. med. Mark Harmsen, welcher zu einer bedingten Gefängnisstrafe und zu einer sehr hohen Schadenersatzleistung verurteilt worden war. Als Täter musste er allerdings ausgeschlossen werden. Harmsen hatte sich nach dem Prozess bald ins Ausland abgesetzt. Ein Jahr später war er bei einem Badeunfall im Indischen Ozean, der gefährliche Strömungen aufweist, ums Leben gekommen.

*​

Es war etwas in der Bewegungsart des Mannes, der vorhin aus einem Hauseingang trat, stehen blieb und sie, wie unabsichtlich, anschaute, das in ihrer Erinnerung einen Auslöser betätigte. Anita Lätsch hatte ihm ins Gesicht gesehen, als sie an ihm vorbeischritt, ein Fremder. Sie musste sich getäuscht haben.
Mitten in der Nacht schreckte sie auf. Die gespeicherte Information war in ihr Bewusstsein vorgestossen und meldete sich wie ein schriller Alarm. Sie sah sein Gesicht vor sich, so wie er damals ausgesehen hatte. Jahrelang hatten sie eng zusammengearbeitet, er war ihr in allen Nuancen vertraut. Sie meinte, sich sogar an seinen Geruch zu erinnern. Es war diese Bewegung gewesen, ein eigenwilliges, kaum merkliches Schlenkern mit dem linken Arm, welches der Mann zeigte. Angstschweiss trat ihr auf die Stirn. Sie erinnerte sich, als sie ihn letztmals vor Gericht sah. Die Schuld hatte er ihr zugewiesen. Direkt miteinander gesprochen hatten sie nicht mehr. Doch seine Augen waren hasserfüllt. Noch nie hatte ein Mensch sie so bösartig angeblickt. In dem Augenblick war ihr jäh eine Angst vor ihm aufgekommen.
Unmöglich, es musste eine Zufälligkeit im Bewegungsablauf sein. Sie hatte damals von seinem Tod gehört. Diese Nacht fand sie keinen Schlaf mehr, dieser Schock und die Unklarheit, ob sie nicht gleichwohl ihm begegnet war, sass zu tief.

In den nächsten Tagen achtete sie unauffällig darauf, ob er wieder in Erscheinung treten würde. Bereits wollte sie es als Hirngespinst abtun, als sie ihn entdeckte. Er sass allein an einem Tisch in jenem Restaurant, in dem sie regelmässig ihr Mittagessen einnahm. Da er nicht merken sollte, dass sie ihn einer Prüfung unterzog, bemühte sie sich, ihn nicht direkt anzublicken. Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wenn sie ihn kurz fixieren und die nuancierten Merkmale mit dem Gesicht von Harmsen vergleichen konnte. Dessen Nase war gleichmässiger gewesen, die dieses Mannes hatte einen leichten Knick. Die Ohren waren es, die ihr die Gewissheit brachten, er muss es sein! Sie schienen auch verändert, doch der obere Bogen war eindeutig identisch. Angst beschlich sie. Ihr war der Gedanke gekommen, die Polizei zu verständigen, doch verwarf sie diesen wieder. Sie erinnerte sich, dass die Medien berichteten, die beiden Opfer, der Richter und der Anwalt, hätten keinerlei Angaben über den Täter machen können. Sie wurden unversehens bewusstlos und erwachten erst wieder im Spital. Nicht im Entferntesten, war ihr der Gedanke aufgekommen, diese hätten einen Bezug zu Harmsen. Wie sollte man ihm beweisen, dass er der Täter war? Dafür, dass er anscheinend seinen Tod vorgetäuscht und sich eine neue Identität zulegt hatte, könnte man ihn kaum gross belangen. Aber er stellte eine direkte Gefahr für sie dar. Wenn er sich wirklich an den beiden Prozessbeteiligten gerächt hatte, würde er sie erst recht nicht ausklammern. Sie war sich völlig im Unklaren, wie sie die Gefahr von sich abwenden könnte. Vorerst müsste sie versuchen, mehr über seine heutige Identität in Erfahrung zu bringen.

*​

Harmsen hatte sich über die aktuellen Gewohnheiten und die Lebensumstände der Lätsch ein Bild gemacht. Ihren Wohnort hatte sie nicht gewechselt, verfügte inzwischen allerdings über eine eigene gutgehende Praxis. Letzteres verstärkte seinen Hass nur. Seine Klientinnen dürften der Grundstock gewesen sein, dass sie sich an einer solch renommierten Adresse etablieren konnte.

Er hatte mehrfach ihren Weg gekreuzt, um zu testen, ob sie ihn wiedererkennen könnte. An der perfekten Veränderung seines Aussehens zweifelte er nicht. Dennoch, wenn jemand ein Gespür für seine Gegenwart besass, dann wäre es sie. Ihre Zusammenarbeit hatte es erfordert, den andern präzis einschätzen zu können. Bei den Begegnungen zeigte sie keinerlei Anzeichen von Wiedererkennen, was ihn befriedigte. Sie würde ahnungslos sein, bis sie transformiert wäre. Da sie bestimmt wie alle dachte, er sei tot, würde der Gedanke sie wahnsinnig machen, wer sich für ihn an ihr rächte. Diese Vorstellung befriedigte ihn. Noch konnte er sich nicht entscheiden, welches der ärgste Makel für sie wäre, auch wenn sie ihn später wieder beheben lassen könnte. Der Schwierigkeitsgrad war etwas zu finden, das ihr infames Wesen repräsentierte. Es musste richtiggehend perfid sein, ihr Selbstwertgefühl nachhaltig schädigen. Nun, er hatte Zeit, davonlaufen konnte sie ihm nicht. Oder doch?
Vor einigen Tagen war sie ihm entwischt, er sah sie noch ins Kaufhaus hineingehen, dann war sie weg. Es war bereits einmal passiert, was ihn erst verunsicherte, ob sie ihn erkannte. Die nächsten Begegnungen waren ihm dann letztlich eindeutig, sie hatte keine Ahnung seiner Nähe.

*​

Anita war sich des Risikos bewusst, als sie in das Haus eindrang. Harmsen, oder Helmut Rinderknecht, wie er sich jetzt nannte, war eben weggefahren. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er sich in der Nähe ihrer Praxis auf die Lauer legen. Sie hatte also ausreichend Zeit sich umzusehen, - wenn er nicht überraschend zurückkehrte. Falls es nicht anders ging, hatte sie eingeplant, einen Schlüsselservice kommen zu lassen. Beim Rundgang um das Haus fand sie wie erhofft eine Schwachstelle. In einem Lichtschacht, einzig durch ein aufgelegtes Metallgitter gesichert, sah sie ein halb geöffnetes Kellerfenster. Das Gitter war lange nicht bewegt worden, klemmte, mit etwas Mühe konnte sie es dennoch abheben und verschieben.

Er musste das Haus möbliert gemietet haben, denn die Einrichtung entsprach nicht ihm. Auch schien er nur zwei Räume zu benutzen, die andern wirkten unbewohnt. Systematisch hatte sie alles durchgesehen und war enttäuscht, dass das Vorgefundene ihren Verdacht nicht bestärkte. Kein Hinweis auf seine wahre Identität oder seinen Beruf. Blieben nur noch die einzelnen Räume im Untergeschoss, die sie noch nicht inspiziert hatte.
Sie schluckte, als sie die dritte Türe öffnete und das Licht anschaltete. Eine schlichte, aber neuestem Standard entsprechende Praxiseinrichtung kam in ihr Blickfeld. Es war alles vorhanden, das er brauchte, um seine Gräueltaten zu begehen. Wenn sie nur einen Hauch von Zweifel gehabt hätte, dass er Harmsen war, dann wäre er nun endgültig verflogen.
Auf einem Arbeitstisch stand ein PC, den sie einschaltete. Natürlich passwortgeschützt. Nach acht Minuten hatte sie es geknackt. Glücklicherweise war kein Sicherheitssystem aktiviert, das nach drei Fehlversuchen den Zugriff blockierte. Adonis, da hätte sie eher drauf kommen können, da sie seine Vorlieben kannte. Früher verwendete er Venus.
Er hatte ab hier Zugriff auf medizinische Datenbanken, die nur akkreditierten Ärzten zugänglich waren, wie sie verblüfft feststellte. Entweder wurde ihm unter seiner falschen Identität der Zugang ermöglicht, dann müsste diese nahezu perfekt sein, oder er wusste das aktuelle Passwort eines Arztes. Sie klickte den ersten Ordner an, der einzig durch drei Buchstaben gekennzeichnet war. Auf der Seite erschienen fünf Fotos, die je den Richter, den Anwalt, den Vorsitzenden der Ärztekommission, die Patientin Frau Dumermuth und sie selbst zeigten. Die Bilder musste er auf der Strasse geschossen haben, wie ein Tourist, der Erinnerungen festhält, ohne sich um vorbeigehende Passanten zu kümmern. Das war der Beweis, er hatte es auf sie abgesehen. Ein Schauder liess sie leicht zittern.
Erstaunt blickte sie im nächsten Ordner die Bilder an. Er hatte die verschiedenen Phasen der Operationen festgehalten. Am Schluss der Serie war ein Foto, als der Anwalt zusammengesunken im WC-Abteil sass. Unglaublich, sie hatte von der Entstellung des Gesichts bei dieser Tat gelesen, aber ohne nähere Beschreibung. Eine derartige Perversion hatte sie sich nicht vorgestellt. Harmsen war zweifellos nicht mehr normal, dies war die Tat eines leidenschaftlichen Psychopathen.
Da war auch der Richter mit allen bildlichen Details. Die zweiten Lippen waren durchaus ein Kunstwerk, das musste sie Harmsen zugestehen. Er beherrschte noch immer seine Fertigkeiten.
Hinweise konnte sie keine finden, die andeuten könnten, was für Schandtaten er bei den drei noch verbleibenden Opfern im Sinn hat. Anita ahnte, dass sie nicht geringer ausfallen würden. Sein Rachefeldzug musste rasch und nachhaltig gestoppt werden, nur wie? Den Gedanken, die Polizei zu verständigen, verwarf sie. Selbst wenn man ihn fasste, würde er nur wegen Körperverletzung belangt werden und irgendwann seine Taten fortsetzen. Zur Mörderin wollte sie nicht werden, nicht wegen ihm. Es musste einen andern Weg geben.

*​

Im Schlachthof hatte sich Harmsen einen Schweinekopf besorgt. Er war beglückt, als ihm dieser Gedanke aufgekommen war, es drückte sinnbildlich aus, was er von der Lätsch hielt. Ihre Brandmarkung als Sau war die angemessene Strafe für sie.

Am Bildschirm skizzierte er verschiedene Möglichkeiten. Er hatte lange hin und her getüftelt, bis er die ihm am stärksten erscheinende Ausdrucksform gefunden hatte. Ihre Nase würde er abflachen und aufwerfen, sie dem Aussehen eines Schweines anpassen, dies liess sich leicht ohne Transplantation durchführen. Als Glanzstück kämen die Schweineohren dazu, deren Spitzen borstige Haare krönten. Ihr Gesicht erhielt in der Fotomontage ein Aussehen, das ihn zynisch auflachen liess. Perfekt, die Lätsch würde ihren eigenen Anblick nicht verkraften. Wenn ihr dann ein Spiegel vorgehalten würde, musste ihr selbstzerstörerisch die Erkenntnis einsetzen, sie sei eine Sau.

*​

Anita Lätsch wusste, dass die Zeit drängte, in den letzten Wochen war Harmsen wie ein Schatten an ihr geheftet, doch seit vier Tagen blieb er weg. Das Stadium des Beobachtens war für ihn anscheinend abgeschlossen, was bedeuten musste, dass er sich entschieden hatte, wann und wo er ihrer habhaft würde. Die Gefahr kristallisierte sich folglich. Da er seine Opfer stets unbemerkt betäubte, musste sie ihm zuvorkommen und ihn unschädlich machen. Ihre Entscheidung, wie sie es durchführen musste, hatte sie bereits vor einer Woche getroffen. Es war ihr nicht leicht gefallen. Was sie vorhatte, widersprach diametral ärztlicher Ethik, doch war es der einzige Ausweg. Notwehr, die zwar nicht das Recht auf ihrer Seite hat, aber hier ging es um das Gesetz des Stärkeren, das einzige, das sie vor ihm schützen könnte.

Beim dreitägigen Ärztekolloquium, an dem sie teilnahm, fiel es nicht auf, wenn jemand für zwei, drei Stunden abwesend war. Es war da ein Kommen und Gehen, zudem fanden parallel verschiedene Veranstaltungen statt. Anita hatte auf diesen Zeitpunkt gewartet, um ein Alibi, wenn auch nicht lückenlos, vorweisen zu können.

Sie spürte, dass das Beruhigungsmittel wirkte, welches sie geschluckt hatte, um ihre Angst unter Kontrolle zu halten. Ihr Äusseres hatte sie kosmetisch und mit einer Perücke derart verändert, dass er sie nicht ohne Weiteres erkennen konnte. Auch das Grau ihrer Augen hatte sie vorsichtshalber durch Linsen mit dunkelbrauner Iris überdeckt. Dennoch, sie wusste, es blieb ihr nicht viel Zeit. Sein Gespür für sie würde irgendwann Alarm schlagen, auch wenn sie sich ihrer stark täuschenden Verwandlung sicher war. Ihre Anspannung wuchs an, als sein Haus in ihr Blickfeld kam. Mit einer Tasche in der Hand, wie sie bei Handelsreisenden üblich war, trat sie auf die Eingangstür zu und betätigte die Türklingel. Nichts rührte sich im Haus. Noch einmal drückte sie auf den Knopf der Klingel, diesmal anhaltender. Da, sie hörte einen Laut und im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür. Rinderknecht stand vor ihr, mit abweisendem Gesichtsausdruck.
«Sie wünschen?»
«Mein Name ist Bringolf. Ich komme von der Gebäudeversicherung. Wir hatten bei der letzten Prämienüberprüfung festgestellt, dass seinerzeit gemeldete Änderungen in unseren Plänen nicht nachgetragen wurden. Ich müsste nur kurz einen Blick in die Räume werfen und die Abmessungen notieren, soweit es die Änderungen betrifft.» Sie war zufrieden mit ihrem Sprachausdruck. Entstellend hatte sie sich auf den spitzen Basler Dialekt kapriziert, der ihr aus Kindheitstagen durch eine Tante sehr vertraut war.
«Da hätten Sie sich wohl anmelden können, einen Termin vereinbaren. Ich habe jetzt überhaupt keine Zeit und muss gleich weg.»
«Es dauert keine fünf Minuten, dann bin ich auch wieder weg. Ich kann auch allein durchs Haus gehen, dann sind sie überhaupt nicht tangiert.»
Harmsen wirkte eine Nuance lang unentschlossen, doch liess er sie dann eintreten. «Ich habe das Haus nur gemietet und weiss nicht, was der Besitzer umbaute. Selbst habe ich keine Änderungen vorgenommen.»
Gezielt warf sie ein: «Es betrifft die Unterkellerung. Der Besitzer vergrösserte nach eigenen Angaben seinen Weinkeller und nahm Änderungen an andern Räumen vor. Wichtig ist dabei, dass die Stützmauern wegen der Statik nicht verändert wurden.»
Einen Moment zuckte ein Muskel in Harmsens Gesicht, als sie die Kellerräume erwähnte. Doch hatte er sich sofort wieder im Griff. Seinerzeit bei der Einrichtung hatte er seinen Praxisraum der Lieferfirma gegenüber ungefragt damit begründet, dass er Forscher sei. Darüber war auch der Hausbesitzer informiert. Hatte dieser vielleicht etwas gegenüber der Versicherung verlauten lassen? Nun, das konnte kein Problem sein.
Er schritt voran, direkt diesen Raum anvisierend. «Hier habe ich einen Praxisraum eingerichtet, für Forschungszwe…». Weiter kam er nicht. Er spürte den Stich der Injektionsnadel im Hals. Den Kopf halb wendend, brachte er noch ein «Du» heraus, alsdann zusammenbrechend.

Es war keine starke Betäubung, da sie ihn nachher wieder in Wachzustand haben wollte. Mit sicherer Hand und mithilfe des vorhandenen Monitors führte sie die Injektion von unten ins Gehirn durch. Zielgerichtet ein Nervengift in jene Mikroregion streuend, in der es begrenzt Zellen zerstören sollte. Anschliessend nahm sie seine Hände vor, in die einzelnen Gelenke ein Mittel spritzend, die sie nur leicht versteifen, dadurch aber unfähig machen würden, je wieder ein Skalpell zu führen.

*​

Bei der Polizei war eine von Harmsens PC abgesandte Mail eingegangen, in der er sich selbst der chirurgisch deformierenden Taten bezichtigte. Unterzeichnet war das Mail mit Dr. Mark Harmsen alias Helmut Rinderknecht. Es war auffallend wirr abgefasst, dennoch sandte man eine Streife vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Kommissar Oberhänsli betrachtete den Mann, der im Wohnzimmer auf dem Sofa sass. Es war ein völlig anderes Gesicht als jenes von Harmsen, das er aus den Akten kannte. Ein Arzt hatte den Mann bereits untersucht und war zur vorläufigen Diagnose einer schwersten Intelligenzminderung gelangt, wie sie durch Krankheit oder Unfall eintreten kann. Er konnte zwar sprechen, doch nur bruchstückhaft und machte einen desorientierten Eindruck. In der Befragung konnte er weder seinen Namen sagen, noch was für ein Tag heute war.

«Im Keller hat es einen Operationsraum, den Sie sich ansehen sollten», bemerkte einer der beiden Polizisten, welche als Erste vor Ort waren, zu Oberhänsli.

Im Raum roch es stark nach Desinfektionsmittel. Der PC, welcher eingeschaltet auf dem Schreibtisch stand, zeigte ein Bild von dem Mann, welchen sie oben vorfanden, neben dem entstellten Gesicht des Anwalts. Harmsen musste sich neben sein Opfer gelegt haben, um die Aufnahme zu machen, dabei zeigte er einen zynischen Gesichtsausdruck.

*​

Oberhänsli legte die „Akte Harmsen“ definitiv in das Ausgangsfach für das Archiv. Dass er es war, der die beiden Opfer malträtiert hatte, daran bestand kein Zweifel. Der Verdacht, dass Harmsen selbst zum Opfer eines andern Täters wurde, jemand den Ermittlungen der Polizei zuvorgekommen war, liess sich nicht erhärten. Der Kommissar hatte zwar einen vagen Verdacht überprüft, doch das Alibi dieser Person zeigte keine nennenswerte Lücken. Fälle, in denen Fragen offenblieben, mochte er an sich nicht, doch da Harmsen das Handwerk endgültig gelegt war, gab er sich damit zufrieden. Vielleicht gibt es doch eine höhere Gerechtigkeit, welche die Möglichkeiten der Natur nutzt, um in solchen Fällen selektierend einzugreifen, dachte er selbstzufrieden.

*​

«Hässlich seid ihr. Hässlich», diese Worte murmelte Harmsen ab und zu vor sich hin. Die Mitpatienten in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik blickte er dabei nicht an. Deren Gesichter waren mehr oder weniger ausgeprägt von ihren Krankheiten gezeichnet. Apathisch wirkend sass Harmsen auf einem Stuhl. Die beständige Unruhe im Gemeinschaftsraum, durch Einzelne aufrechterhalten, prallte an ihm ab. Dementgegen rannten in seinem Kopf die Gedanken beständig gegen die schwarze Wand an, als wüssten sie, dahinter war mehr gewesen. Es blieb ein hoffnungsloses Unterfangen, kein Gedankengang, der sich auf Dauer fassen liess. Kein Stück Erinnerung, die sich ihm erschloss. Nur das dumpfe Bewusstsein, er war mit Hässlichkeit umgeben.

 

Lieber Anakreon,

was für eine Geschichte! Lang und doch keinen Moment langweilig - was ja schon eine Kunst an sich ist. Verrückte und gruselige Einfälle, spannender Showdown und eine zwiespältige Art Happy End. Ich bin schwer beeindruckt!

" ... hatte dieses Indiz aufkommen lassen" finde ich nicht so flüssig formuliert (um wenigstens ein bisschen zu mäkeln :-). Vielleicht ' ... die Tatsache, dass er ... aufgefunden worden war, wiesen darauf hin.' ?

" ... doch eines war ihm klar,"

Habe ich sehr gerne gelesen!

Viele Grüße zum 1. Mai,

Eva

 

Liebe Eva

Ich bin schwer beeindruckt!

Auf alles war ich gefasst, nur das nicht. :D

Im Stillen erwartete ich Buhrufe, Zeter und Mordio, welch fürchterliche Schandtaten ich da ins Licht der Öffentlichkeit zerre.

Lang und doch keinen Moment langweilig - was ja schon eine Kunst an sich ist. Verrückte und gruselige Einfälle, spannender Showdown und eine zwiespältige Art Happy End.

Das freut mich sehr, dass du es so wahrgenommen hast. Wie ich bemerkte, zu früher Morgenstunde, vielleicht gar vor dem Frühstück?

Für mich war diese Idee einfach Notwehr! Nach dem Tod des antiken Dichters nahm ich mir vor, während eines Jahres keiner Mumie oder einer andern Form von Leichen Zutritt zu meinem Geschichten zu gewähren. Zwei begonnene Geschichten hatte ich deswegen schon vernichtet, da diese die Endlichkeit zwingend einforderten. Hier hatte ich einzig das Folgetrauma, wie die Lätsch ihre Schuldgefühle abbauen kann, was sich als neue Geschichtsidee etablierte. Da dies kein Krimi sein konnte, eliminierte ich diesen Gedanken schleunigst wieder, und die Leser müssen selbst damit fertig werden.

" ... hatte dieses Indiz aufkommen lassen" finde ich nicht so flüssig formuliert (um wenigstens ein bisschen zu mäkeln :-).

Da hast du einen der wenigen Punkte gefunden, dich mich bis am Schluss auch nicht ganz befriedigten. Ich hatte schon verschiedene Varianten probiert, von Verdacht über Tatsache bis Möglichkeit – ohne bei einem Wort das sichere Gefühl zu haben, dass es das treffende ist. Ich lasse es vorläufig mal noch so stehen, die richtigen Worte bespringen mich zuweilen, wie es die Geschichten tun.

" ... doch eines war ihm klar,"

Oh, diese Schweinerei war mir glattwegs durchgegangen. Na ja, in diesem üblen Kapitel, schaute ich schleunigst wieder rauszukommen. – Danke für den Hinweis.

Habe ich sehr gerne gelesen!

Das freut mich sehr! Der erste Kommentar hat ja nicht selten wegweisenden Charakter, und da er meine eigene Skepsis über die Lesbarkeit weit unterläuft, war mir dies ein gelungener Maibeginn. :)

Danke für das Lesen und deinen werten Kommentar.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Anakreon,

ich kann mich Evas Lob nur anschließen. Das ist ein faszinierend bösartig inszenierter Krimi. Ich danke dir für dieses Lesevergnügen!;) Hat mich stark an die Dilogie "Der Augensammler, -jäger" von Sebastian Fitzek erinnert, was jetzt keine Kritik sein soll, denn in diesem Text stecken so viele eigenständige, tolle Ideen drin.

Anstelle seiner Nase hing schlaff der Penis samt Hodensack und an dessen Stelle war die Nase eingesetzt, permanent Urin tröpfelnd.
Wirklich düster, da steh´ ich drauf.

Ein Moment waren sie vor Schreck sprachlos, dann begann der eine hysterisch zu lachen, der andere stimmte ein, um alsbald in entsetztes Schreien überzugehen.
Das Bild haut für mich nicht hin. Zuerst sprachlos - ja; dann hysterisches Gelächter - auch; aber dann in Schreien übergehen - ich weiß nicht. Vielleicht würde erneutes Schweigen eher passen, dazu noch einer, der sich übergeben muss.
Auch die Formulierung "Ein Moment" würde ich rausschmeißen. Die hast du ein paar mal drin. Einen Moment später ... Für mich hört sich das meist etwas doof an, weil es auch ohne gut klingt.

Ich hätte die Perspektive der Ex-Assistentin vllt weggelassen. Dann käme das Ende, umso überraschender. Allerdings wäre der Showdown der beiden, von dem Eva sprach, nicht mehr so intensiv. Hm:confused:

Den letzten Absatz mag ich ganz besonders. Der macht die Geisteskrankheit von Harmsen richtig greifbar.

Sehr gern gelesen:)

Liebe Grüße
Hacke

 

Hallo anakreon,

das Ding ist richtig gut. Hast Du keine Lust drauf, es als Roman zu bringen?

Hätte nichts dagegen ...

Bin derzeit selbst wieder verstärkt an meinem Roman dran und deshalb nur stiefmütterlich selten auf kg.de.

Wie Du sagen würdest: "Danke für das Lesevergnügen",

nastro.

 

Die zweiten Lippen waren durchaus ein Kunstwerk, das musste sie Harmsen zugestehen.
Im Barock wie im nachfolgenden Rokoko oflegte, wer's sich leisten konnte, auf bis zur vornehmer Blässe gepuderten Gesicht und Hals ein Pflaster in den Formen Tupfer, Halb- und Vollmond (Neumond hätt ich beinah vertippt) oder Stern, um Verwerfungen wie etwa einen Pickel zu verdecken, ohne dass man ahnen oder gar fürchten musste, dass dergleichen sich in unserer Zeit zu einer besonders sportlichen Disziplin mit modischen Ästhetiken im Gesundheitsunwesen in den Disziplinen Metzger und Knochenklempner auswüchse, dass es an der Zeit ist, dergleichen auf die Spitze zu treiben,

lieber Anakreon,

im kriminellen Genre und eigentlich bräuchte ich es nicht zu betonen, authentisch bis zum Naturalismus, denn wer glaubt enrsthaft, außer natürlich dem Krimi-Fan, dass Verbrechen geschähen, um aufgeklärt zu werden. Besonders gefallen hat mir schon am Anfang, wenn ein Seefahrer das Wort führt

Er winkte den Sanitätern, damit diese den Patienten für den Abtransport auf die Bahre hieven.

Und wieder die Namen (mit bedacht gewählt):
Harmsen
- -sen der Sohn und harm in allen Sprachen germanistischer Zunge vom Nordkap bis Mallorca Leid, Qual, Krank wie Kränkung, da wäre die Endung -los ein Euphemismus,
Dass Namen kein Rauch und Schall bei Dir widerlegt auch nicht die bewusste Irreführung beim
Richard von Stähl
ahd. richi (was nicht umsonst an "reich" erinnert, damals aber eher mächtig bedeutete) und -hart nicht so sehr hart, sondern stark. Wer aber so aussieht, wie der arme Mann, will mit dem Namen blenden. Selbst wenn das gleichwertige got. reik zugleich den Richter bedeutete und in Alarich und Theoderich (um nur zwei zu nennen) historische Größe erlangten.
Frau Dumermuth / Anita Lätsch/Oberhänsli/Helmut Rinderknecht bis hin zu Vertretern der Götterhimmel: Venus und Adonis mag der geneigte Leser selbst herausfinden.

Inzwischen zur teamwork erwachsen, bissken Zeichenstzung

«Es sieht ja nicht hässlich aus, aber dennoch erschrak ich, glaubte erstKOMMA er sei maskiert.»
..., bemühte sie sichKOMMA ihn nicht direkt anzublicken.
Den Gedanken, die Polizei zu verständigenKOMMA hatte sie definitiv verworfen.
, setzte die ErkenntnisKOMMa sie sei eine Sau, selbstzerstörerisch ein.
FälleKOMMA in denen Fragen offenbliebenKOMMA mochte er an sich nicht, [/QUOTE
Wie sollte man ihm beweisen, dass er der Täter war.
Klingt eigentlich wie ein Fragesatz ...

an sich Substantivierungen

ein eigenwilliges, kaum merkliches schlenkern mit dem linken Arm,
Schlenkern
Nicht im entferntesten,
im Entferntesten

Hier will mir der Akkusativ sinnvoll erscheinen

die je den Richter, den Anwalt, dem Vorsitzenden der Ärztekommission, die Patientin
wie auch zweimal statt
ein Moment
besser einen

Hier will mir das teilnahmslos entbehrlich erscheinen

Die beständige Unruhe im Gemeinschaftsraum, durch Einzelne aufrechterhalten, prallte an ihm teilnahmslos ab.

Schöne Geschichte, findet der

Friedel

 

Hallo Hacke

Das ist ein faszinierend bösartig inszenierter Krimi. Ich danke dir für dieses Lesevergnügen!

Wow, da schmilzt mein schlechter Ruf ja noch dahin.

Hat mich stark an die Dilogie "Der Augensammler, -jäger" von Sebastian Fitzek erinnert, was jetzt keine Kritik sein soll, denn in diesem Text stecken so viele eigenständige, tolle Ideen drin.

Ich kenne Fitzek dem Namen nach, doch gelesen habe ich noch nie etwas von ihm. Der Vergleich, mit einem bekannten Buchautoren, das hebt doch Kritik auf ein Podest‘chen, entfaltet sie in ihrer sympathischsten Form.

Wirklich düster, da steh´ ich drauf.

Dabei stellte ich mir an dieser Stelle hochrote Köpfe vor. :D

Ein Moment waren sie vor Schreck sprachlos, dann begann der eine hysterisch zu lachen, der andere stimmte ein, um alsbald in entsetztes Schreien überzugehen.

Das Bild haut für mich nicht hin. Zuerst sprachlos - ja; dann hysterisches Gelächter - auch; aber dann in Schreien übergehen - ich weiß nicht. Vielleicht würde erneutes Schweigen eher passen, dazu noch einer, der sich übergeben muss.

Ich kann nachvollziehen, dass die Beschreibung dieser Situation für Leser als zu viel wirken kann. Dennoch kam ich zum Schluss, dass es sich so abspielen muss. Es ist auch nur der eine Mann, der diese Überforderung nicht mehr erträgt. Dem das Ventil durch hysterisches Gelächter oder schockiertes Schweigen keine Kompensation mehr gibt, da das Entsetzen ihn überflutet. Ein Schock kann sich verschieden auswirken, je nachdem wie und welches Gemüt er heimsucht.

Auch die Formulierung "Ein Moment" würde ich rausschmeißen. Die hast du ein paar mal drin.

Beim Schreiben war ich mir der inflationär auftretenden Momentums mal bewusst geworden, doch ging es beim x-ten Korrekturlesen in der Überflutung wieder unter. Ich habe die fünf Eindringlinge nun einer drastischer Kosmetik unterzogen, gestrichen oder geändert, und nur einem die Gnade der Anwesenheit erlaubt.

Ich hätte die Perspektive der Ex-Assistentin vllt weggelassen. Dann käme das Ende, umso überraschender. Allerdings wäre der Showdown der beiden, von dem Eva sprach, nicht mehr so intensiv. Hm

An sich ist mir nur eine Perspektive angenehm. Doch hier, mit den sprunghaften Szenen, wäre es mir schwieriger gefallen, es anders zu gestalten.

Den letzten Absatz mag ich ganz besonders. Der macht die Geisteskrankheit von Harmsen richtig greifbar.

Ja, diese Sequenz sah ich als eine Notwendigkeit. Für den Leser sollte es spürbar werden, dass Harmsen echt in der Bredouille landete. Von dem her erging es ihm ärger, als wenn sie ihn umgebracht hätte.

Sehr gern gelesen

Das freut mich sehr. Danke dir für das Lesen, Kommentieren und die positive Wertung.


+​

Hallo nastro

das Ding ist richtig gut. Hast Du keine Lust drauf, es als Roman zu bringen?

Das Lob nimmt ja kein Ende, so was ist mir noch nie passiert. Natürlich freue ich mich darüber!

Einen Roman? Wenn du mein zerknirschtes Gesicht sehen könntest! Harmsen mit allen Details der perfiden Ausgestaltung seines Racheplanes, seine Fluchtvorbereitungen und das diskrete arrangieren seiner neuen Existenz. Er sieht sich schon als neuer Créateur der Schöpfung, ja eine Gottheit. - Real hatte ich vor zwanzig Jahren mal seitenzahlmässig ein Buch geschrieben, liebevoll das Moods, ein Jazzlokal in Zürich, darin eingebunden, und übergab es dann ein Jahr später der Makulatur – ohne es einem Verlag angeboten zu haben. Ich weiss, un peu fou. Aber mir reichte es getan zu haben, so wie andere denken, einmal im Leben müsse man einen Baum pflanzen.

Doch lass dich davon nicht verwirren, arbeite am Ziel deines Buches. Es freut mich umso mehr, dass du dir die Zeit nahmst, die kleine vorliegende Schöpfung zu lesen.

Ich danke dir für das Lesen und freute mich sehr über das positive Echo.


+​

Lieber Friedel

Dein Hinweis auf das Barock und das Rokoko fügt sich wunderbar ein, zum Beginn dieser Geschichte. Daran hatte ich keinen Moment gedacht, eine schöne Idee. Es erinnert mich auch an Pascal Petit, eine junge französische Schauspielerin, die in meiner Jugend sich mit einem roten Leberfleck zierte – es war ein Markenzeichen von ihr.

Dass Namen kein Rauch und Schall bei Dir widerlegt auch nicht die bewusste Irreführung

Tja, ein verstecktes Spielchen, eigentlich war ja Max Frisch der Anstifter dazu. Doch meine ich, dass es sich bis zur Unauffälligkeit kultivieren lässt. Darum aufgepasst in der bösen Welt, was harmlos wirkt, könnte auch ein Harmsen sein, ein Adonis, der auch vor Schweinereien nicht zurückschreckt.

Inzwischen zur teamwork erwachsen, bissken Zeichenstzung

Spätestens hier setzte die Erkenntnis ein: unheimlich, zu was man fähig ist. Beim Korrekturlesen nahm ich letztlich zwischen den Zeilen nur noch die weissen Mäuse wahr, welche in der veröffentlichten Form, dann aber nicht aus den Schlupflöchern kamen.

Schöne Geschichte, findet der Friedel

Das rahme ich mir ein, dass ich dich mit diesem boshaften Text überzeugen konnte.

Für das Lesen, die pfiffige Findigkeit und die positive Wertung danke ich dir herzlich.

Schöne Grüsse an euch alle

Anakreon

 

Einen Roman? Wenn du mein zerknirschtes Gesicht sehen könntest! Harmsen mit allen Details der perfiden Ausgestaltung seines Racheplanes, seine Fluchtvorbereitungen und das diskrete arrangieren seiner neuen Existenz. Er sieht sich schon als neuer Créateur der Schöpfung, ja eine Gottheit. - Real hatte ich vor zwanzig Jahren mal seitenzahlmässig ein Buch geschrieben, liebevoll das Moods, ein Jazzlokal in Zürich, darin eingebunden, und übergab es dann ein Jahr später der Makulatur – ohne es einem Verlag angeboten zu haben. Ich weiss, un peu fou. Aber mir reichte es getan zu haben, so wie andere denken, einmal im Leben müsse man einen Baum pflanzen.
Anakreon

Sehr schade, Stephen King hat Carrie ja damals auch in den Papierkorb seines klapprigen Trailers geworfen. Aber Tabitha hat das Manuskript wieder rausgeholt, hehe ...

 

Oh Schreck :sconf:, jetzt ist Harmsen in die Schlagzeilen geraten, mich mit hineinziehend, da er meinem Federkiel entsprungen ist.

Herzlichen Dank,

liebe Eva,

für die Empfehlung.

Hätte ich geahnt, welch Aufsehen seine kosmetisch-plastischen Behandlungen auslösen, wäre mir ein Pseudonym, hinter dem ich mich unauffällig verbergen könnte, nicht abwegig gewesen. So bleibt mir nur eine dunkle Brille, um durch das grelle Rampenlicht nicht der Blendung zu verfallen. :cool:

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, Anakreon,

mit gespaltenen Lippen reden, so ist der Symbolgehalt der Strafe für den Richter zu sehen. Der Anwalt hatte wohl den falschen Riecher, der den Harmsen ins Gefängnis geführt hatte. Der Schweinskopf – ja, einzusehen.
Weniger glaubwürdig ist, dass die Polizei einem Gerücht aufsitzt, jemand sei im Indischen Ozean verschwunden. Badeunfall. Der Verdacht, der Harmsen hätte es gewesen sein können, wäre doch so stark, dass nähere Nachforschungen hätten angestellt werden müssen.

Harmsen hatte sich nach dem Prozess, bald ins Ausland abgesetzt und war ein Jahr später bei einem Badeunfall im Indischen Ozean ums Leben gekommen. Die Strömungen sind dort besonders tückisch, weshalb Touristen stets gewarnt wurden, sich nicht zu weit hinauszuwagen oder im offenen Meer von Booten aus zu baden. Dennoch gab es jährlich mehrere solch tödlicher Unfälle, da das relativ ruhig wirkende Wasser unterschätzt wurde.

Müsste das nicht im Konjunktiv stehen? Pressemeldung? Dienstliche Mittelung? Gerücht? Woher weiß das die Polizei? Hier könnte man ein zusätzliches Spanungselement einbauen und dem Leser die Gewissheit begründet vermitteln, es könne nicht der Arzt gewesen sein. So stutzte ich beim Lesen des ominösen Badeunfalls.

Schön ist die Beschreibung des langsamen Erkennens des Harmsen hier und an anderen Stellen:

Da er nicht merken sollte, dass sie ihn einer Prüfung unterzog, ihn zu durchschauen meinte, bemühte sie sich, ihn nicht direkt anzublicken. Aus den Augenwinkeln registrierte sie dennoch die nuancierten Merkmale, sie mit dem Gesicht von Harmsen abgleichend. Dessen Nase war gleichmässiger gewesen, die dieses Mannes hatte einen leichten Knick. Die Ohren waren es, die ihr die Gewissheit brachten, er muss es sein! Sie schienen auch verändert, doch der obere Bogen war eindeutig identisch. Angst beschlich sie.

(gleichmäßiger)

Warum muss er in der Psychiatrie landen? Er ist ein fanatischer Ästhet. Hätte er nicht mehr zu leiden, wenn er mit vollem Bewusstsein die Hässlichkeit hätte ertragen müssen?

Spannend ist die Geschichte, flott erzählt, mit einem schönen Hieb auf die Dummheit der meisten Schönheitsoperationen und ihrer Auftraggeber und die Skrupellosigkeit derjenigen, die sie ausführen. Nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch Schärfung des kritischen Bewusstseins.
Dass er niemals eine Schönheitsoperation machen lassen wird verspricht
Wilhelm Berliner
Postskriptum: Der Titel heißt: Retuschen an der Schöpfung. Der Schöpfer blieb draußen vor. Wo war Gott?

 

Hallo Wilhelm

Es freut mich, dass die Unterwelt plastischer Chirurgie dich anzulocken vermochte, die hier Ästhetik doch mit Fatalismus praktiziert.

Weniger glaubwürdig ist, dass die Polizei einem Gerücht aufsitzt, jemand sei im Indischen Ozean verschwunden. Badeunfall. Der Verdacht, der Harmsen hätte es gewesen sein können, wäre doch so stark, dass nähere Nachforschungen hätten angestellt werden müssen.

Gerücht? Nein! Im Text bleibt es gewollt vage. Bei einem tödlichen Unfall in Übersee ist es üblich, dass eine Einäscherung und nicht selten auch das Begräbnis vor Ort stattfindet. Nur z. B. bei religiösen Vorbehalten ist die Überführung eines Leichnams im Bleisarg in die Heimat kostenmässig opportun. Wird eine Person jedoch vermisst und deren Tod angenommen, tritt rechtlich die Verschollenenerklärung in Kraft. Dies bedeutet, dass die Person nach fünf Jahren – dies kann staatlich variieren – für Tod erklärt wird. Solche Abklärungen obliegen den Behörden vor Ort und die Akten werden auf diplomatischem Weg übermittelt. Kommissar Oberhänsli konnte den Sachverhalt nur zur Kenntnis nehmen, für ihn bestand auch keinerlei Anlass Harmsens Tod anzuzweifeln – ausser sein Leichnam, oder was man an dessen Stelle für ihn hielt, wäre verschwunden geblieben.

Müsste das nicht im Konjunktiv stehen? Pressemeldung? Dienstliche Mittelung? Gerücht? Woher weiß das die Polizei? Hier könnte man ein zusätzliches Spanungselement einbauen und dem Leser die Gewissheit begründet vermitteln, es könne nicht der Arzt gewesen sein. So stutzte ich beim Lesen des ominösen Badeunfalls.

Ich verzichtete bewusst darauf, dies auszuschlachten, da die Geschichte ohnehin nicht kurz ausfiel. So ist es einzig die Erzählstimme, die seinen angeblichen Tod noch etwas erläutert, die Fakten hierfür sind dabei real.

Schön ist die Beschreibung des langsamen Erkennens des Harmsen hier und an anderen Stellen:

Das freut mich, wenn dies gelungen ist.

(gleichmäßiger)

Danke für deinen Hinweis, doch muss ich anmerken, dass ich einer jener Unholde bin, die sich Helvetismen bedienen. Mehr noch, meine Tastatur hat, wie in der Schweiz üblich, kein Eszett, da wir stattdessen autonom und generell das ss verwenden.

Warum muss er in der Psychiatrie landen? Er ist ein fanatischer Ästhet. Hätte er nicht mehr zu leiden, wenn er mit vollem Bewusstsein die Hässlichkeit hätte ertragen müssen?

Die angemessenste Strafe wäre für ihn wahrscheinlich gewesen, selbst entstellt zu sein, und zwar irreparabel. Dagegen sprach aber, dass die Lätsch ihn verständlicherweise für immer ausschalten wollte. So muss er seine Qual eben auf diese Weise aussitzen.

Spannend ist die Geschichte, flott erzählt, mit einem schönen Hieb auf die Dummheit der meisten Schönheitsoperationen und ihrer Auftraggeber und die Skrupellosigkeit derjenigen, die sie ausführen. Nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch Schärfung des kritischen Bewusstseins.

Ich freue mich sehr über diese Bewertung. Dein Versprechen, dich niemals einer Schönheitsoperation zu unterziehen, ist aber hoffentlich kein Veto gegen die Ästhetik an sich. :D

Postskriptum: Der Titel heißt: Retuschen an der Schöpfung. Der Schöpfer blieb draußen vor. Wo war Gott?

Harmsen sah sich selbst als personifizierter Schöpfer, da hatten keine anderen Götter Platz neben ihm.

Ich danke dir für das Lesen, Loben und kritische Kommentieren, deren Auseinandersetzung damit ich gerne aufnahm.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon!


Nach dem außergewöhnlichen Einstiegsbild habe ich deine Geschichte nicht ohne Sensationsgier gelesen. Und wurde nicht enttäuscht.
Anita bringt dann noch Handlungsspannung ins Geschehen. Gut gemacht und interessant, wie die gleichen Begegnungen jeweils aus Harmsens und Anitas Perspektive gezeigt werden. Das gegenseitige Ausspionieren, sehr spannend: wer kriegt am Ende wen?
Um es mit den, meist sehr komprimierten Worten des Erzählers zu sagen: „Die Gefahr kristallisierte sich folglich.“ :D

Anita erkennt Harmsen an seiner Bewegungsart. Eine gute Idee, denn Ticks lassen sich nicht wegoperieren. Etwas abenteuerlich dagegen Anitas Auftreten als Hausinspekteurin.
Ihr Äusseres hatte sie kosmetisch und mit einer Perücke derart verändert, dass er sie nicht erkennen würde.
Das Harmsen sie nicht erkennt, zumindest auf den zweiten Blick, erscheint mir unwahrscheinlich. Es geht ja nicht daraus hervor, ob mit „kosmetisch verändert“ auch temporäre Gesichtsformveränderungen gemeint sein sollten. Schönheitschirurgen betrachten Gesichter gewiss auf eine geometrische Weise, die von Schminke und Perücke nicht zu beeinflussen ist. Wie auch immer, es ist eine spannende Situation, die vielleicht noch durch entsprechende Anmerkungen gesteigert werden könnte. Zumindest dieses „dass er sie nicht erkennen würde“ könnte in seiner Bestimmtheit herabgestuft werden.

Sehr gern gelesen! :)

Lieben Gruß

Asterix

 

Lieber Asterix

Eingedenk deines, über diese Literatursparte sorgsam hütenden und kritischen Blickes, war ich gespannt auf einen Kommentar von dir. :hmm:

Nach dem außergewöhnlichen Einstiegsbild habe ich deine Geschichte nicht ohne Sensationsgier gelesen. Und wurde nicht enttäuscht.

Da atmete ich auf. Gehegte Bange bröckelte mit jedem Wort ab.

Das gegenseitige Ausspionieren, sehr spannend: wer kriegt am Ende wen?

Hier war ich mir vorab nicht sicher, wie es von den Lesern aufgenommen würde, erforderte die Kurzgeschichte doch geraffte Sequenzen.

Eine gute Idee, denn Ticks lassen sich nicht wegoperieren.

Das war ein Notgriff, um Harmsens Veränderungsfähigkeit austricksen zu können. :D

Das Harmsen sie nicht erkennt, zumindest auf den zweiten Blick, erscheint mir unwahrscheinlich. Es geht ja nicht daraus hervor, ob mit „kosmetisch verändert“ auch temporäre Gesichtsformveränderungen gemeint sein sollten.

Ich ahnte, dass du es mit Röntgenblick und logisch analysierend unter das Mikroskop nehmen würdest. ;)

Wie auch immer, es ist eine spannende Situation, die vielleicht noch durch entsprechende Anmerkungen gesteigert werden könnte. Zumindest dieses „dass er sie nicht erkennen würde“ könnte in seiner Bestimmtheit herabgestuft werden.

Hm, du hast recht. Dass bei Harmsen mit seiner geschulten Wahrnehmung für Physiognomie auch ein Erkennerungsfetzen aufblitzen könnte, war ein erhebliches Risiko für sie. Ich habe mit der Lätsch den Täuschungsspielraum nochmals exakt erwogen. Sie hat nun noch ein paar Linsen eingesetzt, der die graue Iris ihrer Augen durch Dunkelbraune überdeckt. Dennoch, der Zeitrahmen, der ihr bleibt, ist knapp, was ihre Selbstsicherheit noch etwas mehr einknicken liess und die Bestimmtheit verdrängte.
Doch ja, ihr Dilemma zwischen Angst und Ausweglosigkeit hat noch etwas angezogen. Das Gefühl eines selbstmörderischen Unternehmens, in das sie sich begibt, wirkt mir nun noch nuanciert greifbarer. Danke für den Hinweis.

Sehr gern gelesen!

Das freut mich sehr!

Die Wette gegen mich selbst, welche ich ausnahmsweise einging, sehe ich nun als Verloren an. Hatte ich doch ernsthaft erwartet, mit dem Stück bei Publikum und Kritik in Bausch und Bogen durchzufallen, wie einst Kleist mit seinen Theateraufführungen. Ich bin noch ganz baff, über das durchgehend positive Feedback bis anhin. :shy:

Für das Lesen, Kommentieren, die förderliche Mängelrüge und die lobende Einschätzung, danke ich dir herzlich.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,
wie praktisch das ist, wenn man so ganz wenig Zeit hat wie ich.
Da ist dann schon alles passiert, die Arbeit ist getan und man kann sich beruhigt in den Sessel zurücklehnen, deine Geschichte genießen und den Daumen in den Wind hängen für: Coole Ideen, spannend aufgezogen und ein völlig groteskes Personal.
Hat mir echt gut gefallen, und ich lob dich, auch wenn du dich schamrötlich verfärben magst.
Den einzigen Einwand, den ich hatte, hat Asterix schon zur Sprache gebracht und du hast dich entsprechend drum gekümmert.

Ich frag mich nur immer wieder, woher du die Ideen nimmst.
Und: In Zukunft nenn ich dich Anakreon, den Anti-Kleist.

Was ich an deiner Geschichte interessant finde, das ist die Wörtlichnehmung von Redewendungen. Mit gespaltener Zunge sprechen usw. Auch das Agieren des Arztes, man sagt bestimmten Ärzten doch immer nach, dass sie sich wie Gottvater aufführen. Da finde ich das Spiel mit der Schöpfung auch sehr schön. Ich bin nur froh, dass der Harmsen "nur" Schönheitsoperationen durchführt. Was hätte er wohl veranstaltet, wäre er Herzchirurg. Einen Stein eingepflanzt?

Hier sind noch ein paar Schluderlis:

Er winkte den Sanitätern, damit diese den Patienten für den Abtransport auf die Bahre hieven.
hievten, wegen der Einhaltung der Zeit

Die Parkanlage, in der der Bewusstlose aufgefunden wurde, hatte dieses Indiz aufkommen lassen. An diesem Ort hatte man früher öfters Ärger mit Junkies gehabt.
Hier schließ ich mich Eva an. Indiz aufkommen empfinde ich holprig.
Aber ist auch kein Beinbruch, wenn ich aber schon mal dabei bin, früher und öfters, beides zusammen, das empfinde ich als überflüssig.

Die Bildnisse antiker Schönheit hatten ihn immer fasziniert, sie waren eine der Impulse, weshalb er sich während des Medizinstudiums entschied, die Richtung plastische Chirurgie einzuschlagen.
einer der Impulse

Noch vor vier Jahren hatte die Zeitschrift Esquire über ihn geschrieben, er sei ein Schönheitschirurg, dem es gelinge KOMMA die Schöpfung zu vollenden.

Sie würden alle noch ihre gerechte Strafe erhalten, Frau Dumermuth, welche ihn wegen schwerer Körperverletzung anzeigte und ihr Anwalt, der ihn vor Gericht als Scharlatan darstellte.
Anzeige und Gerichtsverhandlung sind ja dem Geschehen vorhergegangen. Also Vorzeitigkeit: wegen schwerer Körperverletzung angezeigt und ..... vor Gericht als Scharlatan dargestellt hatte.

Beim Unternehmen, welches die öffentlichen, selbstreinigenden WC-Anlagen landesweit betrieb, ging ein Alarm ein. Dieser löste sich aus, wenn eine Kabine benutzt worden war und der Reinigungsmechanismus sich nicht automatisch einschaltete oder die Kabine über eine Stunde nicht verlassen wurde.
Hier würde ich kürzen. Das Fette weg.


Der einzige Hinweis, dass es jemand sein musste KOMMA der über entsprechend fachliche Kompetenz besass, verlief im Sande.

Harmsen hatte sich nach dem Prozess , KEIN KOMMA bald ins Ausland abgesetzt und war ein Jahr später bei einem Badeunfall im Indischen Ozean ums Leben gekommen. Die Strömungen sind dort besonders tückisch, weshalb Touristen stets gewarnt wurden, sich nicht zu weit hinauszuwagen oder im offenen Meer von Booten aus zu baden. Dennoch gab es jährlich mehrere solch tödlicher Unfälle, da das relativ ruhig wirkende Wasser unterschätzt wurde.
EIN ANDERER Kommentator hat, glaube ich, geraten, den Unfallhergang in indirekte Rede zu setzen, damit es wahrhaftiger klingt. Ich glaube, du kriegst diese Probleme, weil du überhaupt so relativ detailliert über den Unfall erzählst. Damit machst du den Leser stutzig und er fängt an zu überlegen, ob das so gewesen sein kann. Du könntest genauso nach ums Leben gekommen einen Punkt machen. Und fertig, sonst nichts mehr. Und vielleicht noch anhängen, die Leiche war nie gefunden worden. Der Badeunfall spielt eh keine tragende Rolle.

Doch seine Augen, der Blick, mit dem er sie ansah, war hasserfüllt. Noch nie hatte ein Mensch sie so bösartig angeblickt.
Da mag ich das doppelte Blick/angeblickt nicht, weil es auch nichts Neues ist. Würde was kürzen, z. B. das Fette, und statt war: waren.

Da er nicht merken sollte, dass sie ihn einer Prüfung unterzog, ihn zu durchschauen meinte, bemühte sie sich, ihn nicht direkt anzublicken.
Auch hier ist mir was redundant.

Sie erinnerte sich, dass die Medien berichteten, die beiden aufgefunden Opfer, der Richter und der Anwalt, hätten keinerlei Angaben über den Täter machen können.
aufgefundenen / du könntest das holprige Wort aber genausogut weglassen.

Dafür, dass er anscheinend seinen Tod vortäuschte und sich eine neue Identität zulegte, könnte man ihn kaum gross belangen.
Auch hier: Vorzeitigkeit beachten:
vorgetäuscht und sich eine neue Identität zugelegt hatte.

Der Schwierigkeitsgrad war etwas zu finden, das ihr infames Wesen repräsentiert. Es müsste richtiggehend perfid sein, ihr Selbstwertgefühl nachhaltig schädigen. Nun KOMMA er hatte Zeit, davonlaufen konnte sie ihm nicht.
Ich weiß, du hast hier bestimmt extra das Präsens verwendet: repräsentiert. Ich fände Präteritum trotzdem passender.

Das Handwerk musste ihm rasch möglichst und nachhaltig gelegt werden, da war sie sich jetzt sicher.
möglichst rasch und nachhaltig

Das Stadium des Beobachtens war für ihn anscheinend abgeschlossen, was bedeuten musste, dass er sich entschieden hat, wann und wo er ihrer habhaft würde.
entschieden hatte, ...

«Im Keller hat es ein Operationsraum, den Sie sich ansehen sollten», bemerkte einer der beiden Polizisten, welche als Erste vor Ort waren, zu Oberhänsli.
einen Operationsraum

Der letzte Abschnitt, Harmsen in seinem Schönheitswahn, das ist toll geschrieben. Und irgendwie auch eine grausige Vorstellung, so als hätte er seine ganz persönliche Hölle. Aber ich würde das fassbar rausstreichen. Ohne das doppelte fassen/fassbar empfinde ich die Sätze viel stärker.

Kein Stück Erinnerung, die sich ihm fassbar erschloss.

Ja, Anakreon, richtig gern gelesen.
Ich wünsch dir was und viel liebe Grüße von Novak

 

Hallo Anakreon

Erstaunlich morbide Geschichte von dir, muss ich sagen, und das, obwohl ich schon vieles von dir aus der Horror-Rubrik gelesen habe.

Ja, mir hat die Idee auch gut gefallen. Schöner Einstieg auch, du führst uns gleich an einen Tatort und präsentierst uns die erste Schauerlichkeit. Dann setzt du bereits auf der zweiten Seite noch einen drauf:

Vorübergehend waren sie vor Schreck sprachlos, dann begann der eine hysterisch zu lachen, der andere stimmte ein, um alsbald in entsetztes Schreien überzugehen.

Bei solch einer Reaktion liest man durchaus gespannt weiter, weil man ja wissen will, was diese hervorgerufen hat. Auch da enttäuscht du den Leser nicht und präsentierst eine Abscheulichkeit, auf die man erstmal kommen muss. Ähnlich wie Novak ist mir beim ersten Verbrechen auch die gespaltene Zunge in Verbindung mit diesem Satz aufgefallen:

Seine Doppelzüngigkeit, welche er im Prozess aufscheinen liess, stand ihm nun ins Gesicht geschrieben.

Eine solche Verbindung hab ich beim zweiten Verbrechen vergeblich gesucht ... ich fände es gut, jedes Verbrechen in Verbindung zu der Verurteilung von damals zu setzen, das würde die Geschichte sauber abrunden und auch den Wahnsinn von Harmsen noch einmal betonen.

Ich habe allerdings einen zentralen Kritikpunkt an der Geschichte - und das in Verbindung mit dem Genre, in der sie steht: Spannung/Krimi. Ich finde, vor allem bei der Spannung verschenkst du unheimlich viel Potential. Eigentlich hat deine Geschichte alle Zutaten, um spannend zu sein, spätestens wenn es auf eine Konfrontation zwischen Harmsen und Anita hinausläuft. Aber wirklich spannend fand ich die zweite Hälfte dann nicht.

Es ist wirklich schwer, richtig spannende Texte zu schreiben, und immer, wenn ich etwas lese, das ich sehr spannend finde, versuche ich anschliessend zu ermitteln, was der Autor jetzt eigentlich gemacht hat, um mich so in seinen Bann zu ziehen. Was ist der Trick, gibt es da ein Rezept? Sehr oft, stelle ich fest, liegt es einfach daran, dass der Autor seinen Figuren das Leben schwer macht, ihnen in den entscheidenden Stellen Steine in den Weg legt - Ereignisse geschehen lässt, die unvorhersehbar waren, Hürden für seine Figuren aufbaut. Das machst du hier alles nicht, zumindest nicht im zweiten Teil.

Es gibt zwei Schlüsselszenen für mich: Zum einen, als Anita allein in das Haus von Harmsen spaziert. Jetzt stell dir mal vor, du spazierst in ein fremdes Haus, das einem Verrückten gehört (sie weiss ja, was er getan hat), von dem du auch noch weisst, dass er dir an den Kragen will - da muss doch ständig die Angst mitschwingen, was, wenn der gleich zurückkommt? Da muss sie doch auf jedes Geräusch lauschen, da muss das Herz klopfen, sie muss Blut und Tränen schwitzen ... aber deine Anita, die läuft - mehr oder weniger - seelenruhig durch die Wohnung, den Keller, und nimmt sich noch acht Minuten Zeit, das Passwort des PCs zu knacken - auf dem praktischerweise dann auch gleich alle Beweise für seine Taten zu finden sind.

Mensch, das ist zu einfach! Warum fällt unten nicht eine Tür zu, die sie nicht mehr aufbekommt? Warum betritt nicht Harmsen oben die Wohnung, während sie noch im Keller sitzt? Warum findet sie unten nicht ein weiteres betäubtes Opfer? Irgendwie sowas muss da rein, mit dem der Leser nicht rechnet, dann hast du sie, die Spannung.

In der zweiten Schlüsselszene dann läuft es ähnlich reibungslos. Sie kommt unter einem Vorwand problemlos in die Wohnung - warum kommen da keine kritschen Nachfragen von Harmsen, warum versucht er nicht beharrlicher, sie abzuwimmeln? Warum kein misstrauischer Blick, verbunden mit einem "Kenne ich Sie eigentlich ...?"
Und dann betäubt sie ihn halt und alarmiert die Polizei ... warum kein Kampf, warum ist das alles so leicht in der Geschichte?

Natürlich ist Spannung auch ein Stück weit subjektiv, keine Frage. Ich kann nur von mir reden, wie sie bei mir funktioniert, und da hätte ich mir einfach in dieser Geschichte mehr Hürden gewünscht, weil eigentlich ist alles da, ich finde das auch immer wieder ein tolles Motiv (auch wenn schon zigmal dagewesen), dass "der Gute" in das Haus "des Bösen" einbricht und dort irgendwas sucht. Das hat eigentlich immer Potential zum Fingernägel-Knabbern, aber dann muss halt auch was Unerwartetes passieren.

Textarbeit erspar ich mir diesmal, ich glaube, es wurde auch schon alles genannt ... ein kleines technisches Detail vielleicht noch:

Bei der Polizei war ab dem PC von Harmsen eine Mail eingegangen, in der er sich selbst bezichtigte, der Täter jener zwei Opfer zu sein, die chirurgisch deformiert aufgefunden worden waren.

Es ist äusserst schwierig, so rasch festzustellen, von welchem PC aus eine Mail abgesendet wurde. Zunächst einmal müsste man den Mail-Provider kontaktieren, zusätzlich auch noch den Internetanbieter von der Person ... und ich glaube, ohne richterlichen Beschluss rücken die solche Infos nicht raus. Das aber nur am Rande.

Also, nicht dass ein falscher Eindruck entsteht: Ich hab das gern gelesen, finde auch, da sind ein paar gute Ideen drin, deine letzten beiden Texte gefallen mir auch besser als viele deiner früheren, aber hier kommt es mir ein bisschen so vor wie ein verschossener Elfmeter aufs leere Tor, weil du eigentlich alles schön vorbereitest ... und das Finale dann verpuffen lässt.

Viele Grüsse,
Schwups

P.S.: Eins noch, kann mir das nicht verkneifen:

«Es dauert keine fünf Minuten, dann bin ich auch wieder weg. Ich kann auch allein durchs Haus gehen, dann sind sie überhaupt nicht tangiert.»

Ein echter Anakreon :).

 

Hallo Anakreon,

alle Achtung! Dir ist gelungen, den Stoff für einen Roman in eine Kurzgeschichte zu packen.

Man nehme noch einen Kommissar mit all seinen eigenen Problemen dazu (heutzutage gibt es ja in den Romanen keine psychisch gesunden Ermittler mehr), man baue noch ein paar Randfiguren als Störer und Hindernisse ein, gebe einer an der Auflösung des Falls interessierten männlichen Person eine erotische Liason mit der attraktiven Anita und lasse einen weiteren Verdächtigen auf diese los, damit sie aus der Sicht des Lesers in Gefahr gerät und schwupps hat man einen Bestseller-Krimi.

Und genau das rechne ich dir hoch an lieber Anakreon, dass du deine Geschichte schnörkellos im Plot auf Spannung hältst und nicht mit Füllmaterial aufbauscht zum Miniroman.
Das Ende hätte einen Dreh mehr an Spannung vertragen können, immerhin weiß man als Leser ja, dass Anita kein unwissendes Opfer ist. Perfekt wäre Hochspannung am Ende gewesen, einfach, indem du Anita nochmals bis zum Happyend in schwere Gefahr gebracht hättest (was du übrigens immer noch tun könntest). Aber diese Kritik ist der Tatsache geschuldet, dass man ja an jeder Geschichte immer noch was findet, was man selbst für verbesserungswürdig hält. Das derzeitige Ende ist also kein Fehler, sondern noch nicht perfekt.

Aber glaube mir, so manch einen Krimiromanautoren wirst du neidisch machen, wenn die lesen würden, wieviel Konzentrat du für deine Geschichte verwendest.

Gelungen finde ich, dass du nie langweilig wirst, langatmig schon gar nicht.
Gelungen finde ich auch, dass die Geschichte stimmig auf mich wirkt. Du gehst nicht sehr tief rein in die Charaktere, aber solange die Spannung aufrecht erhalten bleibt, will man gar nicht viel mehr über deine Agierenden wissen, man erlebt ja genug durch ihre Handlungen.
Ich finde von daher diese Geschichte gut ausgewogen in ihrer Plotverarbeitung.
An manchen Stellen hätte ich etwas geschliffenere Formulierungen gut gefunden. Manchmal empfand ich bestimmte Sätze etwas schwerfällig.


Lieben Gruß

lakita

 

Liebe Novak

wie praktisch das ist, wenn man so ganz wenig Zeit hat wie ich.
Da ist dann schon alles passiert, die Arbeit ist getan und man kann sich beruhigt in den Sessel zurücklehnen, deine Geschichte genießen und den Daumen in den Wind hängen für: Coole Ideen, spannend aufgezogen und ein völlig groteskes Personal.

Bei dieser betulichen Eröffnung liess ich ebenso meine Seele baumeln, da kann ja nichts passieren …

Hat mir echt gut gefallen, und ich lob dich, auch wenn du dich schamrötlich verfärben magst.

Ach, wie schön du dies sagst! Dabei meinte ich erst, die Röte sei von einem Sonnenbrand gekommen. … Wie dumm von mir, jetzt wurde mir bewusst, dass meine Gene aus den Bündner Bergen bei Solarkraft einzig bronzene Tönung und keine Ketchup-Farbe produzieren, wie sie aufgekommen ist.

Ich frag mich nur immer wieder, woher du die Ideen nimmst.

Da kann ich eigentlich gar nichts dafür, die kommen einfach, nisten sich ein und drängen danach niedergeschrieben zu werden. Ich hatte mal gelesen, dass es Gustave Flaubert auch so erging. Ihm flogen aber entgegen mir, exquisitere Geschichten zu, muss ich neidlos gestehen.

Und: In Zukunft nenn ich dich Anakreon, den Anti-Kleist.

Dabei war es mir doch so tröstlich, dass auch er es zu Lebzeiten schwer hatte, mit seinen Stücken das Publikum zu begeistern.

Was hätte er wohl veranstaltet, wäre er Herzchirurg. Einen Stein eingepflanzt?

:rotfl:

Hier sind noch ein paar Schluderlis:

:aua: Jetzt ist meine baumelnde Seele auf den harten Boden der Realität abgestürzt …

Hier schließ ich mich Eva an. Indiz aufkommen empfinde ich holprig.

Das nenn ich mir echte Frauensolidarität, um dem armen Dichter auf die Sprünge zu helfen.
Hm, ich habe erneut um diesen Sachverhalt gerungen, das Realistischste scheint mir hier nun: … hatte diesen Gedanken aufkommen lassen.
Auch das früher öfters ist nun mit der schnipselnden Hilfe von Harmsen um das Gestrichene kupiert.

EIN ANDERER Kommentator hat, glaube ich, geraten, den Unfallhergang in indirekte Rede zu setzen, damit es wahrhaftiger klingt. Ich glaube, du kriegst diese Probleme, weil du überhaupt so relativ detailliert über den Unfall erzählst. Damit machst du den Leser stutzig und er fängt an zu überlegen, ob das so gewesen sein kann. … Und vielleicht noch anhängen, die Leiche war nie gefunden worden.

Natürlich liesse es sich auf die Erwähnung eines Badeunfalls beschränken. Ich selbst als Leser würde es aber als einen wunden Punkt klassieren, es wäre mir suspekt. Es geht also darum, wieweit ein Leser sich in diese Situation hineinversetzt, wobei er selbst noch Lücken füllen muss, da er weniger weiss als Oberhänsli. – Als Kompromiss, den Leser vielleicht weniger zu strapazieren, habe ich es nun dennoch um einige Worte gekürzt.

Der letzte Abschnitt, Harmsen in seinem Schönheitswahn, das ist toll geschrieben. Und irgendwie auch eine grausige Vorstellung, so als hätte er seine ganz persönliche Hölle. Aber ich würde das fassbar rausstreichen.

Du hast vollkommen recht mit der Doppelerwähnung. Es zeigt auch klassisch, was bei meinen Korrekturlesungen, die mit vielen Änderungen verbunden waren, ablief. Ich nahm die geschriebenen Worte nur noch unpräzis wahr, da mir die Inhalte bereits derart vertraut waren. – Meine Konsequenz daraus wird sein, dass ich künftig Texte nach allen Korrekturlesungen noch ein paar Wochen beiseitelege und dann nochmals durchgehe. Dies in der Hoffnung, mit Distanz keine so hohe Überlesensdichte mehr zu produzieren.

Für das Lesen, die entwirrenden Korrekturvorschläge – ich habe jetzt noch ganz rote Ohren – und die lobenden Worte, zu dieser doch perfiden Geschichte, danke ich dir herzlich. :)


+​

Hallo Schwups

Erstaunlich morbide Geschichte von dir, muss ich sagen, und das, obwohl ich schon vieles von dir aus der Horror-Rubrik gelesen habe.

Dabei bin ich doch ein sanftmütiger Dichter, nur ab und zu mal eine menschliche Kehrseite, über die man ungern spricht, fiktiv darlegend. :shy:

Ja, mir hat die Idee auch gut gefallen. Schöner Einstieg auch, du führst uns gleich an einen Tatort und präsentierst uns die erste Schauerlichkeit.

Das freut mich sehr, dies von dir zu hören.

Bei solch einer Reaktion liest man durchaus gespannt weiter, weil man ja wissen will, was diese hervorgerufen hat. Auch da enttäuscht du den Leser nicht und präsentierst eine Abscheulichkeit, auf die man erstmal kommen muss.

Hier war mir die Not die Tugend, meine Absicht den Tod auszuklammern, zwang mich den Figuren andere Handlungsfreiheiten zu gewähren.

Ähnlich wie Novak ist mir beim ersten Verbrechen auch die gespaltene Zunge in Verbindung mit diesem Satz aufgefallen:

Zitat:
Seine Doppelzüngigkeit, welche er im Prozess aufscheinen liess, stand ihm nun ins Gesicht geschrieben.

Eine solche Verbindung hab ich beim zweiten Verbrechen vergeblich gesucht ... ich fände es gut, jedes Verbrechen in Verbindung zu der Verurteilung von damals zu setzen, das würde die Geschichte sauber abrunden und auch den Wahnsinn von Harmsen noch einmal betonen.

Den Gedanken, welchen Harmsen zu diesem Eingriff veranlasste, war in Züridütsch: Mer säll im agsee, was für en Seich er useglaa hät. Da hatte ich Hemmungen, einen solchen Satz literarisch darzubieten und einem Arzt in den Mund zu legen. Wenngleich Goethe im „Götz von Berlichingen“ nicht minder derb war. Auch meinte ich, kein geeignet äquivalentes hochdeutsches Wort für Seich zu finden. Ich habe nun mal in den Wörterbüchern von Duden und Wahrig nachgeschlagen, sie führen das Wort klärend auf!
Ich bin aber auch der Meinung, die Deformierung spreche hier ausreichend für sich, der Leser ziehe selbst die richtigen Rückschlüsse über die Beweggründe von Harmsen.

Ich habe allerdings einen zentralen Kritikpunkt an der Geschichte - und das in Verbindung mit dem Genre, in der sie steht: Spannung/Krimi. Ich finde, vor allem bei der Spannung verschenkst du unheimlich viel Potential. Eigentlich hat deine Geschichte alle Zutaten, um spannend zu sein, spätestens wenn es auf eine Konfrontation zwischen Harmsen und Anita hinausläuft. Aber wirklich spannend fand ich die zweite Hälfte dann nicht.

Diese Kritik überrascht mich an sich nicht, da ich mir im Klaren war, dass ich vieles auf das Wesentliche reduzierte. Die Geschichte ist vom Aufbau eines klassischen Krimis auch sehr weit entfernt. Im vorliegenden Stoff ist zweifellos sehr viel Materie, die – wie auch nastroazzuro bemerkte – sich in einem Roman ausbreiten könnte. An und für sich lasse ich dann die Finger von solchen Geschichten, schicke sie in die Makulatur, da sie in einer Kurzen nicht wiedergegeben werden können. Hier hatte ich jedoch den Eindruck, diese gerafften Szenarien bilden ein in sich geschlossenes Bild.
Dennoch kann ich deiner Kritik nicht widersprechen, sie ist berechtigt, da durchaus viel mehr herauszuholen gewesen wäre. Doch um dem letztlich gerecht zu werden, nur als Novelle oder Roman.

Auch bei den beiden Schlüsselszenen, die du erwähnst, sehe ich die Fülle an Material, welche darin verarbeitet werden könnte. Wenn ich mich dennoch auf eine Konzentration der Geschehnisse beschränkte, so auch deshalb, da es in der Theorie zu Kurzgeschichten auch vorgesehen ist, dass solche auch mit starken Auslassungen auskommen können. Ob solches immer zufriedenstellend gelingt, ist natürlich eine andere Seite.

Bei der Polizei war ab dem PC von Harmsen eine Mail eingegangen, in der er sich selbst bezichtigte, der Täter jener zwei Opfer zu sein, die chirurgisch deformiert aufgefunden worden waren.

Es ist äusserst schwierig, so rasch festzustellen, von welchem PC aus eine Mail abgesendet wurde. Zunächst einmal müsste man den Mail-Provider kontaktieren, zusätzlich auch noch den Internetanbieter von der Person ... und ich glaube, ohne richterlichen Beschluss rücken die solche Infos nicht raus. Das aber nur am Rande.

In der zitierten Mail war auch angeführt, dass Harmsen alias Ridnerknecht der Absender ist. Für den Leser zwar nicht explizit angeführt, aber nach den Namen war auch die Adresse vorhanden. So war der Polizei erspart, erst tiefere Abklärungen treffen zu müssen. Da es vorab nur mal um eine einfache Einvernahme ging, war ein richterlicher Beschluss nicht erforderlich. Die angetroffene Situation erlaubte dann der Polizei die weiteren Handlungen.
Abgesehen davon sind nach jüngsten rechtlichen Entwicklungen, die Wege heute kürzer, um Abklärungen im Internetverkehr zu treffen, allerdings auf Ebene der Bundespolizei.

Ich hab das gern gelesen, finde auch, da sind ein paar gute Ideen drin, deine letzten beiden Texte gefallen mir auch besser als viele deiner früheren, aber hier kommt es mir ein bisschen so vor wie ein verschossener Elfmeter aufs leere Tor, weil du eigentlich alles schön vorbereitest ... und das Finale dann verpuffen lässt.

Ich freue mich sehr, dass du es gern gelesen hast. Deine Bedenken verstehe ich, da es partiell möglich gewesen wäre, mehr Spannungselemente einzubauen, ohne auszuufern. Dennoch denke ich, dass wenn dem Leser gelingt, aufgrund der dargelegten Form sich ausreichend Bilder zu machen, es nicht als unfertig wahrgenommen werden muss.

Ich danke dir herzlich für die wie stets fundierte Auseinandersetzung mit der Geschichte und deinen ausführlichen Kommentar, und natürlich die im Kern lobende Bewertung. :)

Ein echter Anakreon .

Ohne dieses PS hätte mir doch beinah etwas gefehlt. :D

Schöne Grüsse euch beiden

Anakreon


PS:
Für heute schaffe ich nicht mehr, muss früh wieder raus. Ich komme aber baldmöglichst auf deinen Kommentar zurück, lakita. Vorab schon Dank dafür.

 

Lieber Anakreon,

Ich kann mich dem Lob der anderen leider nicht anschließen. Inhaltlich hat die Geschichte etwas, selbst für mich am Anfang. Ich habe geglaubt, ich könnte dank der recht guten Erfahrungen mit deinen Geschichten mit dem Genre Horror bzw. Spannung/Krimi warm werden. Leider wurde es nun ein Verriss, nein, kein völliger Verriss, zum Schluss habe ich wirklich noch was Positives gefunden, das meine ich aufrichtig.

Inhaltlich finde ich Parallelen zum Film Sieben. Auch da reflektiert die Schandtat, was der Täter vom Opfer als Charakter hält. Generell muss ich sagen, dass es das Genre Spannung/Krimi bei mir sowieso schwer hat. Einen Kommentar derart »Voll langweilig. Ich mag eben keine Spannungsgeschichten«, habe ich (hoffentlich) noch nie hier reingehauen und das wäre auch ziemlich dumm. Bekannte KG.de-Autoren schaffen es jedoch, mich hier immer mal wieder reinlesen zu lassen.

Ganz allgemein finde ich die Geschichte streckenweise viel zu erzählt, tendenziell konstruiert. Spannungsgeschichten erscheinen mir oft durchschaubar, bemüht und trivial, auch bei dieser ist es nicht anders. Da ich es aber nicht näher erläutern kann, brauchst du das nicht irgendwie zu berücksichtigen, will damit nur begründen, warum jetzt überwiegend Sprachliches, nur vereinzelt Inhaltliches an den Pranger gestellt wird.

Was ich hier anmerke, hätte ich derselben Geschichte in jeder Rubrik angemerkt. Ich hoffe, du kannst mit der einen oder anderen Anmerkung etwas anfangen.

Seine Gedanken wandten sich von der Faszination seiner Fähigkeiten ab, kontrolliertem Hass wieder Raum gebend, welcher ihn seit dem Verlust der Approbation beherrschte.
  • Warum eigentlich nicht >> ..., gaben kontrolliertem Hass Raum, ... // ich würde womöglich wagen zu schreiben: gaben dunklem Zorn Raum, die dunklen Vokale habens in sich. Kontrollierter Hass, was ist das überhaupt. In meiner Begriffswelt gibt es die ungefähre Klimax Wut – Zorn – Hass, die gleichzeitig eine Antiklimax der Kontrollierbarkeit ist. Hass frisst einen auf, gebietet über den Verstand, der Kontrollinstanz. Den allenthalben aufflammenden Hass könnte man unter diesem Aspekt als eine Art negativem Orgasmus betrachten, latenten, unterschwelligen Hass dementsprechend als das Gegenstück zur Verliebtheit, die ähnlich Entscheidungsprozesse ablenkt.

Die gespeicherte Information war in ihr Bewusstsein vorgestossen, wie ein schriller Alarm sich meldend.
  • Auch hier wieder so ein Partizipialkonstrukt, ein morscher Ast im Lesefluss. Ich hätte einen simplen Nebensatz mit und besser gefunden, du scheinst geradezu eine Furcht vor ihr zu haben, was ich mir nicht erklären kann.

Aus den Augenwinkeln registrierte sie dennoch die nuancierten Merkmale, sie mit dem Gesicht von Harmsen abgleichend.
  • Ich befürchte, damit verkennst du biologische Tatsachen. Aus den Augenwinkeln kann man keine scharfen Konturen oder Farben wahrnehmen, weil am Rand der Netzhaut nur Sehstäbchen ausgebildet sind. Nasen- oder Ohrmuschelformen kann man nicht aus größter Nähe aus den Augenwinkeln erkennen.
  • abgleichend klingt in diesem Zusammenhang so entmenschlichend, so maschinell, technokratisch. Eventuell >> die sie nur von ihm kannte?

Falls es nicht anders ging, hatte sie eingeplant, einen Schlüsselservice kommen zu lassen.
  • Moment. Ich brauchte noch nie einen Schlüsselservice, aber der wird doch hoffentlich mindestens das Namensschild mit einem (idealerweise amtlichen) Nachweis abgleichen, was auch immer der Besteller bei sich oder ohne lange Sucherei aus der geöffneten Wohnung trägt. Sonst wäre es ja schnell Beihilfe zum Einbruch, dem man ihm zur Last legen könnte. Seh ichs verkehrt? Wenn es wirklich so ist, werde ich vorm Urlaub dieses Jahr (uff, noch so lang hin!), alles vernageln und verrammeln von innen – und hoffentlich nicht drinnen meinen Schlüssel vergessen. :D

Eine derartige Perversion hatte sie sich nicht vorgestellt. Harmsen war zweifellos nicht mehr normal, dies war die Tat eines leidenschaftlichen Psychopathen.
  • Gibt es nicht-leidenschaftliche Psychopathen?

Den Gedanken, die Polizei zu verständigen, hatte sie definitiv verworfen.
  • definitiv passt hier nicht so rein, da du in der personalen Perspektive erzählst. Grammatisch bezieht sich das Adverb hier auf »hatte sie verworfen«, das ginge nur, wenn ein Dritter, ebenfalls in personaler Perspektive, Anitas Denken analytisch nachzuvollziehen versucht. Vorschlag >> Definitiv musste sie ihren Plan verwerfen, die Polizei zu verständigen.

Wenn ihr dann ein Spiegel vorgehalten würde, setzte die Erkenntnis, sie sei eine Sau, selbstzerstörerisch ein.
  • eine Erkenntnis, die sich selbst zerstört? Eine putzige Idee das, aber das wolltest du wahrscheinlich nicht ausdrücken.
  • Bitte versteh das hier nicht als Meckern oder Ironie: Ich fühle mit dir, was bin ich schon verzweifelt am doppelten würde, würde. Ich versuche dann, es so umzuformulieren, dass auf einer Seite des Kommas ein starkes Verb im Konjunktiv II steht und auf der anderen etwas würde-volles. Was nicht immer klappt. >> Wenn er ihr dann einen Spiegel vorhielte, würde sie ihr natürliches Vorbild erkennen …

Darüber war auch der Hausbesitzer orientiert.
  • Ist das ein schweizerischer Ausdruck? Ich kenne nur >> informiert.

Dass er es war, der die beiden Opfer malträtiert hatte, bestand kein Zweifel.
  • Da fehlt ein Wort >> ..., daran bestand kein Zweifel.

Dementgegen rannten in seinem Kopf die Gedanken beständig gegen die schwarze Wand an, als wüssten sie, dahinter war mehr gewesen.
  • So eine Geschichte, die sich von mir sezieren lässt wie Hamsens betäubte Opfer, und dann so ein Hammersatz. Boah! Endlich mal wieder ein Gänsehautsatz in freier Wildbahn.

Mist, eigentlich wollte ich die Kritik vernichtend enden lassen, einfach aus der Enttäuschung heraus, dass du deine stilistischen Fähigkeiten, die in früheren Geschichten zu bewundern waren, hier anscheinend hast brachliegen lassen (in meinen Augen). Handwerklich hast du in meinen Augen schon besseres geboten. Andererseits ist es auch wieder schön, wenn ich eine Kritik positiv enden lassen kann, und auch wenn sich das bestimmt etwas sehr zufällig anhört, aber der letztzitierte Satz ist es wirklich wert, dass ich den Text durchgehalten habe. Auch der durchaus (an-)erkennbare Spannungsbogen hat einen Anteil daran.


Trotzdem viele Grüße,
und Erfolg beim Überarbeiten
(wenn du magst)

-- floritiv

 

Hallo lakita

alle Achtung! Dir ist gelungen, den Stoff für einen Roman in eine Kurzgeschichte zu packen.

Ein zaghafter Versuch, den Verpackungskünstler Christo literarisch und en miniature zu imitieren. :D

und schwupps hat man einen Bestseller-Krimi.

Glücklicherweise ist mir dies nicht widerfahren. Es wäre mir eine Schreckensvorstellung, wenn ich einen solchen öffentlich präsentieren müsste, dabei selbst herumgereicht wie ein Objekt.

Und genau das rechne ich dir hoch an lieber Anakreon, dass du deine Geschichte schnörkellos im Plot auf Spannung hältst und nicht mit Füllmaterial aufbauscht zum Miniroman.

Das freut mich sehr zu hören, dass dich gerade dieses "Minimalistische" anspricht. Diese herabgebrochene Form hatte sich bereits beim Schreiben so ergeben, im Bemühen es lesbar auf das Wesentliche einzugrenzen.

Das Ende hätte einen Dreh mehr an Spannung vertragen können, immerhin weiß man als Leser ja, dass Anita kein unwissendes Opfer ist. Perfekt wäre Hochspannung am Ende gewesen, einfach, indem du Anita nochmals bis zum Happyend in schwere Gefahr gebracht hättest (was du übrigens immer noch tun könntest).

Das wäre eben die Taktik eines Bestseller-Autors gewesen, den Leser bis zum letzten Wort unter Anspannung zu halten. Ich tat dies nicht, da ich es einerseits nicht für ein Genre verfasste, sondern erst gegen Schluss mich fragte, in welche Rubrik es passen könnte. Anderseits lag mir daran, die Handlungen trotz ihrer gezeigten Absurditäten in einen stimmigen Abschluss zu führen.

Aber diese Kritik ist der Tatsache geschuldet, dass man ja an jeder Geschichte immer noch was findet, was man selbst für verbesserungswürdig hält. Das derzeitige Ende ist also kein Fehler, sondern noch nicht perfekt.

Im Moment werde ich es so belassen, ohne zusätzliche Aufreizungen, da es mir gegenwärtig zu gut im Lot steht. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass ich später spontan doch was ändere, wie ich es bei andern alten Geschichten auch schon tat. Meist merkt dies niemand, da sie wohl kaum noch gelesen werden.

Aber glaube mir, so manch einen Krimiromanautoren wirst du neidisch machen, wenn die lesen würden, wieviel Konzentrat du für deine Geschichte verwendest.

Ha, das ist eine erhabene Vorstellung, selbst einen professionellen Autor beeindrucken zu können. Auch wenn es dieser nicht liest, diesen Gedanken einzurahmen, gibt vollwertige Genugtuung.

Gelungen finde ich, dass du nie langweilig wirst, langatmig schon gar nicht.
Gelungen finde ich auch, dass die Geschichte stimmig auf mich wirkt. Du gehst nicht sehr tief rein in die Charaktere, aber solange die Spannung aufrecht erhalten bleibt, will man gar nicht viel mehr über deine Agierenden wissen, man erlebt ja genug durch ihre Handlungen.
Ich finde von daher diese Geschichte gut ausgewogen in ihrer Plotverarbeitung.

Deine zusammenfassende Deutung geht synchron mit dem, was ich beim Leser mit der Geschichte auszulösen beabsichtigte. Es freut mich sehr, dass du es so wahrnahmst und sie dir so stimmig ist.

An manchen Stellen hätte ich etwas geschliffenere Formulierungen gut gefunden. Manchmal empfand ich bestimmte Sätze etwas schwerfällig.

Der Moment des Schreibens ist meist beherrscht von der Handlung, sie kanalisiert das Denken teilweise. Später kommen mir dann manchmal Wendungen in den Sinn, die in dieser oder jener Geschichte besser passen würden.

Für deine Auseinandersetzung mit der Geschichte, die kritischen und die hervorgehoben lobenden Worte, danke ich dir herzlich. Ich freue mich sehr darüber. :)

Schöne Grüsse

Anakreon


PS:
Und wieder muss ich für die Beantwortung eines weiteren Kommentars, diesmal jenen von dir floritiv, um Zeitaufschub bitten. Derzeit habe ich Mühe die Augen offen zu halten, dabei wäre der Anreiz mir schon sehr gross, gleich auf die Kritikpunkte einzutreten, die ich mit einem verschmitzten Lächeln wahrnahm. Ich melde mich baldmöglichst zu Wort.

 

Lieber floritiv

Ich kann mich dem Lob der anderen leider nicht anschließen. Inhaltlich hat die Geschichte etwas, selbst für mich am Anfang.

Ein Abbremsen des Höhenflugs kann der Moral gut tun, man gewinnt wieder Bodensicht. :D

Ich habe geglaubt, ich könnte dank der recht guten Erfahrungen mit deinen Geschichten mit dem Genre Horror bzw. Spannung/Krimi warm werden. Leider wurde es nun ein Verriss, nein, kein völliger Verriss, zum Schluss habe ich wirklich noch was Positives gefunden, das meine ich aufrichtig.

Die Spannbreite der Genres, welche ich schon bediente, verlangten einfach verschiedene Inhalte, wobei sich diese meist vor der Genrezuordnung erschufen. Da ich tiefgründig immer Positives entdecke, begleitet mich bei einem Verriss stets die Hoffnung, dass sich aus den Schnipseln das Bild neu formiert. So getraute ich arglos, mich in das Kommende zu vertiefen.

Inhaltlich finde ich Parallelen zum Film Sieben. Auch da reflektiert die Schandtat, was der Täter vom Opfer als Charakter hält.

Den Film kenne ich nicht, doch erwartete ich, dass das Thema eines derart gesteuerten Täters an sich nicht neu sein kann.

Generell muss ich sagen, dass es das Genre Spannung/Krimi bei mir sowieso schwer hat.

Das kann ich durchaus verstehen, man hat ja meistens seine Interessen, die einem oft absorbierend mit Beschlag belegen und einem anderes dagegen weniger attraktiv erscheint. Da freut es mich umso mehr, dass ich dich animieren konnte, wieder einmal in diese Rubrik einzutauchen. Bedauerlich ist natürlich, dass es deine abweisende Meinung bestärkte.

Ganz allgemein finde ich die Geschichte streckenweise viel zu erzählt, tendenziell konstruiert. Spannungsgeschichten erscheinen mir oft durchschaubar, bemüht und trivial, auch bei dieser ist es nicht anders.

Dass dem Leser das Gefühl aufkommen mag, es sei viel erzählt und konstruiert, damit rechnete ich. Es bedingte sich durch die knappe Darstellung. Interessant finde ich dabei jedoch die Erwähnung trivial, welche ich persönlich übrigens nicht unbedingt negativ besetze. Aus dem lateinischen trivium abgeleitet, also einem Scheideweg, und nicht von trivio, was Pöbelhaftes schimpfen wäre, drückt es inhaltliche Einfachheit aus, literarisch nicht abhebend. Die Trivialliteratur zeichnet sich nach Interpretation der Literaturwissenschaft nebst der verwendeten Sprache durch gewisse Stereotype aus. Die typischen Attribute, schöne Frauen und reiche Männer, sind im vorliegenden Stück zwar auch angesprochen, doch mehr auch nicht. Als weiteres Merkmal gilt ein schablonenhafter Handlungsablauf, Qualität suggerierend, dabei ist das Ende absehbar. Solche stilistischen Auffälligkeiten scheinen mir in der Geschichte nicht vordergründig. Auch wenn ich also keine Berührungsangst zu trivial habe, sehe ich hier die Nähe zu Unterhaltungsliteratur vertiefter.

Da ich es aber nicht näher erläutern kann, brauchst du das nicht irgendwie zu berücksichtigen, will damit nur begründen, warum jetzt überwiegend Sprachliches, nur vereinzelt Inhaltliches an den Pranger gestellt wird.

Da war ich jetzt voreilig, mich am Inhalt festzubeissen, da es die Sprache ist, die dich pikiert.

•Warum eigentlich nicht >> ..., gaben kontrolliertem Hass Raum, ... // ich würde womöglich wagen zu schreiben: gaben dunklem Zorn Raum, die dunklen Vokale habens in sich. Kontrollierter Hass, was ist das überhaupt. In meiner Begriffswelt gibt es die ungefähre Klimax Wut – Zorn – Hass, die gleichzeitig eine Antiklimax der Kontrollierbarkeit ist. Hass frisst einen auf, gebietet über den Verstand, der Kontrollinstanz.

Ich finde deine Überlegungen berechtigt und angezeigt, ist diese starke Emotion doch ein Konzentrat, das nicht selten zu einem Kontrollverlust bei Menschen führt. Da Harmsen über die Eigenschaft verfügt, kaltblütig zwischen Emotionen und nüchternem Verstand zu differenzieren, gelingt ihm dieser Balanceakt, was ihn erst recht gefährlich macht.
Den Satz habe ich angepasst mit ..., gaben kontrolliertem Hass Raum, was zweifellos schöner klingt. Ein dunkler Zorn, den ich jedem Choleriker zugestehe, hätte mir einerseits nicht recht zu seinem Charakter gepasst, da er ansonsten nicht aufbrausend ist. Anderseits ist diesen Emotionen das Dunkle, Schwarzgallige bereits inhärent.

Die gespeicherte Information war in ihr Bewusstsein vorgestossen, wie ein schriller Alarm sich meldend.

•Auch hier wieder so ein Partizipialkonstrukt, ein morscher Ast im Lesefluss. Ich hätte einen simplen Nebensatz mit und besser gefunden, du scheinst geradezu eine Furcht vor ihr zu haben, was ich mir nicht erklären kann.

Der Grund ist einfach. Ich mag zwischendurch solche "Dramatisierungen", die dem modernen Deutsch zuwiderlaufen. ;) Doch habe ich nun in deinem Sinne eine Vereinfachung vorgenommen, zum Wohl für den Leser.

•Ich befürchte, damit verkennst du biologische Tatsachen. Aus den Augenwinkeln kann man keine scharfen Konturen oder Farben wahrnehmen, weil am Rand der Netzhaut nur Sehstäbchen ausgebildet sind. Nasen- oder Ohrmuschelformen kann man nicht aus größter Nähe aus den Augenwinkeln erkennen.

•abgleichend klingt in diesem Zusammenhang so entmenschlichend, so maschinell, technokratisch. Eventuell >> die sie nur von ihm kannte?


Hier hast du mich ertappt, dass ich der Kürze halber eine allgemeine Redewendung ins Spiel brachte. Du hast natürlich recht, dass ausserhalb des Kerns einer Fixierung die Konturen sich verwischen. Die Lätsch konnte aus ihren Augenwinkeln deshalb nur wahrnehmen, wenn Harmsen sich auf seinen Teller konzentrierte, um dann ihren Blick kurz auf ihn zu richten und die Merkmale zu studieren. Ich habe es knapp, aber entsprechend korrigierend ergänzt.

Mir ist die Typologie von Kretschmer noch vertraut, die trotz entmenschlichender Kriterien noch bis in die sechziger Jahre als gültig kursierte. Ob abgleichend in diesem Vokabular enthalten war, kann ich nicht mehr sagen, doch passte es dahin. Das Wort ist nun mit vergleichend ersetzt, was es m. E. weicher macht, und an eine neue Satzstellung gebunden.

Falls es nicht anders ging, hatte sie eingeplant, einen Schlüsselservice kommen zu lassen.

Natürlich ist es etwas salopp dargestellt, aber keineswegs so abwegig, wie es dir auf den ersten Blick erscheint. Es kommen hin und wieder dreiste Vergehen und Verbrechen vor, die in ihrer Ausführung einem verblüffen, da man sich nicht vorstellen kann, dass es so simpel zugehen mag. Die Lätsch rechnete mit ihrem Auftreten und einer gehörigen Portion Kaltschnäuzigkeit, es kann ja auch die Tränendrüse sein, mit diesem Trick durchzukommen. Dass es dann nicht nötig war, ersparte ihr dieses Risiko auszutesten. Aber keine Angst, verrammeln musst du deine Häuslichkeit vor dem nächsten Urlaub nicht. Ein wachsamer Nachbar und eine gute Versicherung tun es auch. :D

•Gibt es nicht-leidenschaftliche Psychopathen?

Durchaus, auch wenn das griechische pathos auch mit Leiden(schaft) sonst eher erdulden übersetzt wird. Solche Menschen zeigen sehr verschiedene Charakteristiken. Ein zwanghafter Mensch beispielsweise ist nicht unbedingt leidenschaftlich, auch wenn er aus innerster Überzeugung handelt, es kann ihn Gefühlskälte auszeichnen. Aus zeitlichen Gründen verzichte ich darauf, nach allgemein bekannten Fällen zu suchen, aber sie sind garantiert auffindbar.

•definitiv passt hier nicht so rein, da du in der personalen Perspektive erzählst. Grammatisch bezieht sich das Adverb hier auf »hatte sie verworfen«, das ginge nur, wenn ein Dritter, ebenfalls in personaler Perspektive, Anitas Denken analytisch nachzuvollziehen versucht. Vorschlag >> Definitiv musste sie ihren Plan verwerfen, die Polizei zu verständigen.

Das musste gefällt mir in diesem Zusammenhang nicht so. Als Kompromiss habe ich es vereinfacht: Den Gedanken, die Polizei zu verständigen, verwarf sie.

•eine Erkenntnis, die sich selbst zerstört? Eine putzige Idee das, aber das wolltest du wahrscheinlich nicht ausdrücken.

Hm, du hast recht, in dieser Betonung wandelte sich sein Sinn. Ich habe das Selbstzerstörerische nun unplatziert.

Darüber war auch der Hausbesitzer orientiert.

•Ist das ein schweizerischer Ausdruck? Ich kenne nur >> informiert.

Es wäre mir denkbar gewesen, dass es sich hier um einen Helvetismen handelt, tut es jedoch nicht, wie ich mich überzeugte. Im „Die deutsche Rechtschreibung“ als auch im „Das Synonym-Wörterbuch“ von Duden, findet man dazu keine erschöpfende Auskunft! Beim „Wahrig Deutsches Wörterbuch“, gegen das der Duden inhaltlich bescheiden ausfällt, fand ich die Antwort. Auszugsweise lautet es da zu orientieren: jmdn. (über etwas) unterrichten, in Kenntnis setzen.

•Da fehlt ein Wort >> ..., daran bestand kein Zweifel.

Dem war zweifellos so.

Boah! Endlich mal wieder ein Gänsehautsatz in freier Wildbahn.

:lol:

Mist, eigentlich wollte ich die Kritik vernichtend enden lassen, einfach aus der Enttäuschung heraus, dass du deine stilistischen Fähigkeiten, die in früheren Geschichten zu bewundern waren, hier anscheinend hast brachliegen lassen (in meinen Augen). Handwerklich hast du in meinen Augen schon besseres geboten.

Oh, das hebt retrospektiv mein dichterisches Selbstvertrauen an, auch wenn ich dich mit der vorliegenden Geschichte weniger überzeugte.

Andererseits ist es auch wieder schön, wenn ich eine Kritik positiv enden lassen kann, und auch wenn sich das bestimmt etwas sehr zufällig anhört, aber der letztzitierte Satz ist es wirklich wert, dass ich den Text durchgehalten habe. Auch der durchaus (an-)erkennbare Spannungsbogen hat einen Anteil daran.

Das klingt über die Enttäuschung hinweg, wiederum versöhnlich, was mich persönlich sehr freut.

Ich danke dir herzlich für die widerwillige und dennoch akribische Auseinandersetzung mit der Geschichte, die sprachlichen Hinterfragungen und Anregungen sowie den kritischen Kommentar, wofür du mit einer abschliessenden Gänsehaut, doch Genugtuung fandst.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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