Riesen an der Lichtung
Und plötzlich war er allein. In einem Kaufhaus, in dem sich taufende von Menschen aufhielten, war er allein. Dieses plötzliche Gefühl der Isolation erzeugte in ihm Ratlosigkeit, gefolgt von Panik und abermaliger Ratlosigkeit.
- Glaubst du, dass es mir passt? - hallten die Worte seiner Mutter noch in seinem Kopf. Sie hatte sich kurz abgewandt und war dann weg gewesen. Nun war er allein. Er starrte auf die Stelle, an der seine Mutter noch vor kurzem gewesen war: Nichts. Starrte auf den Kleiderständer, voll mit Mänteln, an dem seine Mutter noch vor Kurzem nach dem richtigen gesucht hatte: Nichts. Ein kurzer Blick um ihn herum: Nichts. Er war nicht gerne allein und zum Glück war er das erst selten gewesen, doch jedes Mal war es geplante Einsamkeit, wenn seine Mutter kurz mit dem Hund spazieren oder einkaufen ging. Diesmal war es anders, spontane Einsamkeit.
Das Gefühl von Panik machte sich langsam wieder breit, doch unternahm er diesmal etwas dagegen. Er begann zu suchen. Begann eine Suche nach einem Erwachsenen, in einer Welt voller Erwachsener. Eine Suche nach vertrauten Augen, Augen die ihn ansahen und beruhigten. Doch er sah nur fremde Augen, die etwa einen Meter über seinem Kopf sahen, Nasen, die etwa einen Meter über seinem Kopf rochen und Münder, die etwa einen Meter über seinem Kopf sprachen, aber nicht mit ihm. Er zwängte sich durch die Menschenmasse des Kaufhauses hindurch, durch dicke Wintermäntel und Duftwolken aus Parfum, Schweiß und Pelz. Die Menschen waren beschäftigt, hatten wichtige Dinge zu erledigen und kein Interesse für einen kleinen einsamen Jungen.
Er hatte das Gefühl von Panik hinter sich, nun beherrschte Verzweiflung sein Denken. Seine Sich verschlechterte sich, Nebel schien durch das Kaufhaus zu schleichen. Doch entstand der Nebel nicht durch die hohe Luftfeuchtigkeit, sondern durch die hohe Feuchtigkeit in seinen Augen. Halb blind irrte er durch die Menschen, die plötzlich so groß schienen, viel größer als andere Erwachsene wie sein Vater oder seine ihm abgehende, geliebte Mutter. Er kam zu der Einsicht, dass er sich mitten unter Riesen befand, Riesen, die darauf warteten ihn zu schnappen und zu fressen. Wo war seine Mutter, seine Beschützerin, die ihn vor all den Riesen beschützen könnte?
Mit Tränenüberströmtem Gesicht lief er durch die Drehtür des Kaufhauses in den Eisesfrost eines Januartages. Brennende Kälte überzog seine vereiste Haut, an den Stellen, an denen noch vor Kurzem Tränen waren.
Der Winter war schnell ins Land gezogen, vor ein paar Tagen war es noch zu warm gewesen um Schlittschuh zu fahren, doch seit dem vorherigen Tag hatte es auf minus 15 Grad abgekühlt.
Doch er schien die Kälte nicht zu spüren, so beeilte er sich den Kaufhausriesen zu entkommen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass sich seine Mutter längst nicht mehr bei den Kaufhausriesen aufhielt, sondern draußen in der Kälte auf ihn wartete.
Kein Mensch und auch kein Riese war auf dem großen Privatparkplatz, den er überquerte. Im angrenzendem Wald wartete die Erlösung in Form seine Mutter, die mit suchenden Augen nach ihm Ausschau hielt.
-Mutter! Mutter! Wo bist du? - hörte er eine Stimme und erst als er die ersten Bäume hinter sich gelassen hatte, merkte er, dass es seine eigene war. Unter Vernachlässigung von Raum und Zeit rannte er weinend durch den Wald, um seine Mutter einzuholen, die vor einer Ewigkeit verschwunden war. Schon lange dachte er nicht mehr an die Kaufhausriesen, die, Anbetracht zu den noch größeren Bäumen, eher wie Kaufhauszwerge wirkten. Jetzt versuchte er den Bäumen zu entkommen, dem Wald zu entfliehen und seine Mutter am Ende des imaginären Weges durch Geäst und Gestrüpp zu treffen. Dann war er da, an einer großen Lichtung, hier musste seine Mutter irgendwo sein. Er lief zur Mitte der Lichtung, um eine bessere Übersicht zu haben. Er wusste, dass seine Mutter hier war, doch sehen konnte er sie nicht. In der Mitte der Lichtung ruhte er sich aus, stützte die Hände an den Knien ab und keuchte laut. Bald würde seine Mutter kommen, zu der Lichtung, ihn in den Arm nehmen und trösten.
Doch zu spät erkannte er, dass die Lichtung keine Lichtung war. Erst das Getöse von brechenden Eis und das Wasser zwischen seinen Füßen ließen ihn erkennen, dass er sich auf einem Teich befand. Er brach ein. Zuerst war das Wasser kalt. Obwohl er sehr jung war, konnte er schwimmen, doch die nun robuste Eisoberfläche hinderte ihn am Auftauchen. Hatten die Kaufhausriesen endlich doch bekommen, was sie wollten; ihn für immer von seiner Mutter zu trennen. Bald würden sie kommen um ihn zu auffressen. Dann wurde alles warm. Dann wurde alles schwarz.
Der fünfjährige Mark wachte erschrocken auf. Der Traum hatte Angstschweiß auf seinem Körper hinterlassen. Irgend etwas von Riesen und Wasser wandelte durch seinen Verstand, doch der Alptraum war vorbei. Beruhigt setzte er sich in seinem Bett auf. Vertraute Umgebung: Sein Bett, sein Tisch, sein Fenster. Er ging zur Tür, um sie zu öffnen, doch statt des langen Vorzimmers, dass zur Schlafzimmertür seiner Eltern führte, sah er einen langen Gang, an dessen Ende ein warmes, lebendiges Licht flackerte. -Komm, Mark! Komm! - hauchte die Stimme, die von dem Lichtwesen zu kommen schien. Mark folgte ihr