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- 26.03.2018
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Roundworm
Mavis ist wieder abgehauen und das ausgerechnet heute, wo sie mich zum Geschäftsessen mit den Leuten von Feyue begleiten muss. Auf dem Nachttisch klebt ein Zettel: „You never cared.“ Ich schreibe Boris auf Wechat, ob er Mavis gesehen hat, wälze mich aus dem Laken und setze mich auf die Bettkante. Das Bett riecht nach Schweiß und Scheide, aber so, dass es nicht unangenehm ist. Meine Haut im Gesicht spannt, ist warm und juckt.
Auf dem Weg ins Bad stolpere ich über eine DVD-Box von Fritz Lang, die Mavis aus dem Laden in der French Consession mitgebracht hat. Wie alle Chinesen bewundert Mavis „german culture“, die es ja so im Grunde nicht gibt und nie gab. Jedenfalls kommt sie jede Woche mit DVD-Bootlegs aus diesem Laden an. Und die fahren jetzt hier herum: Nosferatu, Metropolis, M und so was.
“Why did the germans stop making movies?“
“They did not.“
Ich stelle mich vors Waschbecken auf die Zehenspitzen und halte meinen Penis unter den Wasserstrahl, wippe vor und zurück und rubbele mit Daumen und Zeigefinger Mavis` getrockneten Schleim von der Eichel. Als ich meine Zahnbürste aus dem Badezimmerschrank hole, sehe ich, dass Mavis ihr Make-up dagelassen hat, was mich beruhigt, obwohl ich eh nicht geglaubt habe, dass sie serious war.
Zurück im Schlafzimmer blinkt das Lämpchen meines iPhones.
Boris schreibt: „Sind in der YKL. Mavis auch da. Sieht wasted aus. You had discussions?“
„Sie muss da weg“, schreibe ich.
„Easy. Die Cops räumen erst after 5. Bis dahin alles normal ;-)“
Ich nehme die Seiko Alpinist aus dem Uhrenhalter, ziehe mir eine beige Chino und ein weißes Leinenhemd aus dem Schrank und schlüpfe in meine Espadrilles.
Im Treppenhaus kommt mir Shuilian entgegen. Sie trägt eine Einkaufstüte vor ihren Brüsten, die ihr bis unter die Nase reicht und ihre Blaselippen verdeckt. Als ich an ihr vorbeigehe, senkt sie den Kopf und ich tue, als ob ich auf meinem iPhone chatte. Unangenehme Sache, das.
In der Yong Kang Lu flattern Banner an den Hauswänden. Darauf stehen Slogans: YKL stays und Whose street? Our street!
Boris und Thorben sitzen vor dem Funkadeli auf Barhockern. Sie trinken Negroni mit Orangenscheiben und bemerken mich erst nicht, weil Thorben irgendeinen Vortrag über Strafzölle und das chinesische Wirtschaftssystem hält. Sie haben glasige Augen und rote Gesichter, dabei ist es erst 1pm. Thorben hebt die Hand, ohne mich anzusehen und redet weiter: „Die Chinesen sind Nazis.“ Er legt eine Kunstpause ein, will eine Reaktion auf seine edgy These, aber ich verdrehe nur die Augen und Boris schaut einer Amerikanerin hinterher, die in Hotpants über die YKL torkelt. Amerikanerinnen sind die einzigen Frauen, die Hotpants entsexualisieren können, denke ich.
„Ernsthaft“, sagt Thorben. Er legt seine Hand auf meinen Unterarm. „Der Nationalsozialismus war ein Staatskapitalismus. Den haben die Chinesen übernommen.“
„Wo ist Mavis?“, frage ich.
„One drink, one answer“, sagt Boris.
Ich drehe mich zu ihm: „Ich habe heute Abend das wichtigste Geschäftsessen ever. Und ich kann nicht gut mit Chinesen. Ich brauche Mavis´ Begleitung.“ Ich brülle fast, als ich das sage.
„Die Native und der Westerner“, sagt Boris. „Wenn du bei ihr aufkreuzt wie ne gestochene Tarantel, wird sie defiant. I know her.“
„Setz dich. Wenn du ruhig und dizzy bist, gehst du zu ihr. Will be fine“, sagt Thorben.
Boris winkt eine blasse Chinesin heran. „Three negroni. Two ice cubes and two slices of orange each.” Er zwinkert mir zu. Ich ziehe die Marlboro Gold-Schachtel aus der Brusttasche, zünde mir eine an und muss husten.
Thorben nimmt sein iPhone. „Der Mayor hat heute nachgelegt“, sagt er zu mir und liest vor:
“Bao BingShulian said that Yongkang Lu was originally open for food markets, but that the area was never authorized to open any bars. `Commercial construction is not supposed to be destroying building structures, so Yongkang Lu will be included in comprehensive renovations, which will require owners to recover original house structures, adjust or cancel street businesses, as well as stopping alcohol businesses.´ He stated that Yong Kang Lu was Shanghai´s eyesore, where foreigners get drunk, fight and behave inappropriately.”
Thorben legt das Smartphone auf den Tisch, schnippt mit Mittel- und Zeigefinger dagegen. Es schlittert über die Platte gegen den Aschenbecher. „Die YKL ist eine Enklave der Freiheit. Deshalb muss sie weg.“ Er ext seinen Negroni.
„Wäre das nicht ein Thema für deine Doktorarbeit?“, frage ich. Boris lacht und Thorben tut so, als hätte er mich nicht gehört.
„Chinesen macht Freiheit Angst. Das Autoritäre bewundern sie.“ Er kriegt diesen eidechsenartigen Blick wie immer, wenn er zu seinem Geschwurbel ansetzt.
„Vor zwei Wochen hatte ich einen Termin an der Central South Uni Changsha. Die machen ein environmental Projekt mit meinem Professor an der Fudan.“
„Hast du erzählt“, sage ich.
„Dachte mir, wenn du schon rausfährst, dann nimm den Zug. Mit Zug meine ich keinen G-Train, sondern einen richtig ,oldschool`. Hab mir das romantisch vorgestellt, das erste Mal raus aus Shanghai und dann mit dem Zug.“ Er lacht bitter. „14 Stunden. Bin aufgewacht, weil die Chinesen Hühnerfüße zum Breakfast ausgepackt haben.“ Er saugt seine Lippen ein und schüttelt den Kopf. „That smell.“
„Wildlings“, sagt Boris.
Thorben senkt den Ton: „Jedenfalls gehe ich in den Speisewagen und bestelle mir Reis mit Huhn. Und die Employees fragen mich, wo ich herkomme und wollen meine Haare anfassen.“
„Inappropriate“, schiebt Boris ein.
„German, Déguó rén, sage ich und die machen den Hitlergruß und lachen und laden mich auf einen Wein ein.“ Er nimmt sein Glas, in dem gar nichts mehr drin ist, kippt es und die Orangenscheiben fallen gegen seine Lippen. „Und“, sagt er und hebt den Zeigefinger „die Uni in Changsha. Schon klar, andere kulturelle Bedeutung, aber immerhin ist die international. Die hat eine fette Swastika in Veilchenblau als Logo.“
„Im Ernst?“, fragt Boris.
Thorben lässt sich in seinen Hocker fallen, zuckt mit den Schultern, sagt: „That´s the story.“
Die Chinesin stellt unsere Negroni hin.
„Auf die YKL“, sagt Boris.
Der Negroni wärmt meinen Rausch auf. Das Blut hängt schwer und warm in meinen Wangen. Ich ziehe den Drink weg und wir bestellen noch eine Runde, unterhalten uns über Game of Thrones und ein Lenkrad, das Boris für Citroen entworfen hat. Thorben hängt teilnahmslos überm Tisch, als hätte ihn sein Vortrag über die Chinesen-Nazis völlig entkräftet.
Irgendwann sehe ich aus dem Augenwinkel, wie ein Dutzend Aussies Tische und Stühle schleppt.
Thorben schaut vom Tisch auf: „Bauen die eine Barrikade?“ Seine Mundwinkel wandern nach oben.
„Interesting“, sagt Boris.
„Ich mach mit“, sagt Thorben.
„Die Cops knüppeln die später Down Under“, sage ich.
Boris zieht das Revers seines Jacketts zurecht, grinst und fährt sich über den Dreitagebart: „Hier sind Expats aus der ganzen Welt. Die Chinesen werden einen Scheiß tun. They still fear bad press.“
„Selbst wenn. Mit Natives gehen die nicht zimperlich um.“
„Mavis ist im Moon“, sagt Boris.
Im Moon läuft American Pie in der Version von Madonna. Es riecht nach altem Bier. Der Boden ist sticky. Mavis lehnt an der Bar und wirft ihr blond gefärbtes Haar über die rechte Schulter und macht einem Aussie in einem Tanktop mit der Aufschrift „Rave“ schöne Augen. Sie trägt ihre blauen Kontaktlinsen. Der Aussie hält ein Glas Rotwein, lacht und dabei wippen seine Surferhaare und streichen über seine gebräunten Schultern.
Ich verbeuge mich, ironically, aber etwas zu tief und sage: „Sorry to interrupt. We have to go.“
Mavis neigt den Kopf und bläst Luft zwischen ihren Zähnen durch, Madonna singt „something touched me deep inside the day the music died“ und der Aussie stellt seinen Rotwein auf den Tresen. Er hat Spider Veins um die Nasenlöcher. Ich greife Mavis´ Hand. Sie zieht sie weg.
„What you think u doing“, sagt der Aussie. Seinen Slang finde ich cringe.
„We live together.”
„Your boyfriend?“
Mavis sagt nichts und ich sage auch nichts.
Von der Straße dringt Geschrei herein. Der Barkeeper nimmt einen Feuerlöscher von der Wand und rennt hinaus. Ich drehe mich um und sehe, dass jemand eine Mülltonne angezündet hat. Das Plastik tropft wie schwarzes Wachs.
Ich schaue Mavis in die Augen, aber wegen der blauen Kontaktlinsen kann ich nicht connecten. Der Aussie legt seinen Arm um Mavis.
“Lets go! There is trouble in the air”, sage ich.
Ich bemühe mich, ruhig zu wirken und greife ihr Handgelenk. Der Aussie stößt mich vor die Brust, dass mir die Luft wegbleibt. Als ich mich wieder gefangen habe, stoße ich zurück und ich sehe, dass Mavis lächelt.
Ich komme zu mir und bin auf allen Vieren auf dem Asphalt. Unter meiner Schädeldecke hängt ein scharfer Schmerz und meine Ohren sausen. Ich beiße die Zähne zusammen und rappele mich auf.
Eine brusthohe Barrikade aus Tischen und Stühlen versperrt die Zufahrt zur YKL. Davor steht Thorben auf irgendeiner Box und fuchtelt mit den Armen. Um ihn hat sich ein Mob Foreigners versammelt. Ich kann nicht hören, was er sagt, aber der Mob grölt und reckt die Arme in die Luft. Die Leute halten Gläser in den Händen und Wein und Bier schwappt auf ihre Köpfe. Da ist etwas in ihrer Bodylanguage, das den Anschein macht, als hätten sie die ganze Zeit auf so etwas gewartet, als hätten sie es insgeheim nicht mehr ausgehalten, nur in der YKL zu sitzen und 25 RMB Rotwein zu trinken.
Hinter der Barrikade formieren sich die Chinesen. Sie haben ihre kleinen Körper in Riot Gear gehüllt und schlagen mit Gummiknüppeln auf Schilde.
„Fucker!“
Ich drehe mich um und sehe, dass der Aussie auf mich zustiefelt und taumele in Richtung Barrikade. Bevor ich im Getümmel untertauchen kann, kickt er mir in den Rücken, dass es durch meine Wirbelsäule bis in den Nacken zieht. Ich falle auf zwei Foreigners und dann straight auf den Asphalt. Über mir geht ein riesiges Gebrüll los. Die zwei, die ich überhaupt nicht kenne, schlagen auf den Aussie ein und andere versuchen, sie wegzuziehen. Der Mob tobt; ein Knäuel aus Gliedmaßen. Die Cops kreischen irgendetwas durch ein Megafon. Ich krabbele über den Asphalt, jemand fällt auf meinen Rücken, Schuhsohlen quetschen meine Finger, Schienbeine prallen gegen meine Rippen.
Als ich es aus der Menge geschafft habe, sehe ich, wie ein Typ mit einer Meshcap eine Flasche hinter die Barrikade wirft. Bald sausen Dutzende durch die Luft.
Ein Motor heult auf und ein Jeep mit einer Art Schneeschaufel am Kühlergrill rammt durch die Barrikade. Thorbens Körper verschwindet unter Stühlen und Tischen. Die Cops stürmen und die Foreigners rennen in alle Himmelsrichtungen davon, manche fallen, werden überrannt. Geschosse fliegen, ziehen weiße Rauchfäden hinter sich her, hüpfen über die Straße. Das Gas legt sich in meine Augen, auf die Haut und in die Lungen - like acid. Ich huste, bis der Rachen ganz trocken ist und ich meine Mandeln spüre, ziehe den Kragen meines Leinenhemds über die Nase und muss mich übergeben. Das Erbrochene fällt warm über meine Brust, klatscht zwischen die Espadrilles.
Eine Granate saust durch die Luft und bleibt vor dem Funkadeli liegen, genau dort, wo ich vorhin mit Boris und Thorben gesessen bin. Boris liegt auf dem Boden. Ein Knüppel saust herab und senkt sich in seine Stirn.
Jemand greift meinen Nacken und ich bekomme Goose Bumps.
Ich folge Mavis ins Moon. Wir rennen hinter die Bar, durch die Küche, in einen Hinterhof. Dort geht mir die Puste aus. Meine Lungen rasseln und ich stütze mich mit den Händen auf die Knie.
Der Geruch von Seafood und Koriander steht in der Hitze. An den Wänden der Backsteinhäuser klebt Efeu und zwischen den Fenstern sind Leinen gespannt, an denen Qipaos hängen. In einer Erdgeschosswohnung sitzt eine Chinesin am offenen Fenster und beobachtet mich. Sie hat Stäbchen in der Hand und führt Dumplings in ihren faltigen Mund, ohne den Blick von mir abzuwenden. Für einen Moment ist es, als wären wir ganz weit weg von der YKL, den Knüppeln und Granaten.
Mavis packt meinen Ellenbogen: „You wanted to save me. Now I save you.“
Wir rennen in einen Durchgang und kommen zu einem Eisentor. Ich rüttele an der Klinke, aber das Tor bewegt sich nicht und scheppert nur.
„Zhǐbù!“, brüllt es hinter uns.
Schritte hallen durch den Hof. An der Wand stehen Mülltonnen und ich steige auf eine und hieve mich auf das Tor. Ich packe Mavis´ Hand. Sie fühlt sich warm und feucht an und ich ziehe mit aller Kraft und in dem Moment greifen zwei Cops Mavis´ Beine.
In ihrem rechtem Auge liegt die Kontaktlinse schräg über der braunen Iris. Mavis sieht liebevoll aus, als sie fällt.
Ich schlendere am Bordstein entlang und trete auf einen losen Pflasterstein, unter dem sich Regenwasser gesammelt hat. Die Siffe spritzt mir das rechte Hosenbein hoch bis in die Kniekehle. Polizeiautos rasen vorbei. Ich drehe mich nicht nach ihnen um. Bald komme ich am Fuxing Park vorbei. Dort hat mir Mavis das erste Mal einen geblasen.
Wir standen unter einem Baum, dessen Äste fast bis zum Boden reichten, als seien sie zu schwer und zwischen den Blättern drang das orangene Licht der Laternen hindurch auf ihr schwarzes Haar. Später aßen wir Aubergine mit Knoblauch bei einem Street Stall und ich schlug vor, sie noch ins Funkadeli einzuladen, weil ich vor Boris mit ihr angeben wollte.
„Nǐ shì wǒ dù zi lǐ de huí chóng!“, kiekste Mavis. Ihre Wangen röteten sich. „You are a roundworm in my belly“, schob sie nach.
„What the fuck?“
Mavis hielt sich den Bauch vor Lachen und die Träger ihres Kleides rutschten von den Schultern:
“Means you know what I want without telling you. Who knows one better than a parasite in your belly?”
Das iPhone vibriert in meiner Hosentasche und ich zucke zusammen, bekomme es kaum aus der Tasche, so zittrig sind meine Hände.
„Dear Mr. Abelmann, we are looking forward to meet you and your wife at Hakkasan´s at 7 pm.”
Zuhause stelle ich mich unter die Dusche und drehe den Strahl eiskalt. Ich stehe einfach so da, lasse das Wasser auf meinen Kopf prasseln und schaue zu, wie es über die Quaddeln an meinem Bauch fließt, die ich vom Tränengas bekommen haben muss. Erst nach einer Ewigkeit fühle ich mich bereit, meine Haut zu berühren.
Als ich fertig bin, schaue ich in den Badezimmerspiegel und streiche die Haare aus dem Gesicht. In meiner Augenhöhle liegt ein Bluterguss. Das Lid hängt lila und faltig über. Ich öffne den Badezimmerschrank, nehme Mavis` Schminkzeug heraus und pudere das Auge vorsichtig ab. Ich muss mehrere Male nachpudern, weil ich weinen muss. Im Schlafzimmer ziehe ich einen Hackett-Anzug aus dem Schrank, nehme die Universal Geneve Poleroter aus dem Uhrenhalter, 6pm, und schlüpfe in meine Achilles Sneaker – Business Casual.
Dann klingele ich bei Shuilian.
Auf dem Weg ins Bad stolpere ich über eine DVD-Box von Fritz Lang, die Mavis aus dem Laden in der French Consession mitgebracht hat. Wie alle Chinesen bewundert Mavis „german culture“, die es ja so im Grunde nicht gibt und nie gab. Jedenfalls kommt sie jede Woche mit DVD-Bootlegs aus diesem Laden an. Und die fahren jetzt hier herum: Nosferatu, Metropolis, M und so was.
“Why did the germans stop making movies?“
“They did not.“
Ich stelle mich vors Waschbecken auf die Zehenspitzen und halte meinen Penis unter den Wasserstrahl, wippe vor und zurück und rubbele mit Daumen und Zeigefinger Mavis` getrockneten Schleim von der Eichel. Als ich meine Zahnbürste aus dem Badezimmerschrank hole, sehe ich, dass Mavis ihr Make-up dagelassen hat, was mich beruhigt, obwohl ich eh nicht geglaubt habe, dass sie serious war.
Zurück im Schlafzimmer blinkt das Lämpchen meines iPhones.
Boris schreibt: „Sind in der YKL. Mavis auch da. Sieht wasted aus. You had discussions?“
„Sie muss da weg“, schreibe ich.
„Easy. Die Cops räumen erst after 5. Bis dahin alles normal ;-)“
Ich nehme die Seiko Alpinist aus dem Uhrenhalter, ziehe mir eine beige Chino und ein weißes Leinenhemd aus dem Schrank und schlüpfe in meine Espadrilles.
Im Treppenhaus kommt mir Shuilian entgegen. Sie trägt eine Einkaufstüte vor ihren Brüsten, die ihr bis unter die Nase reicht und ihre Blaselippen verdeckt. Als ich an ihr vorbeigehe, senkt sie den Kopf und ich tue, als ob ich auf meinem iPhone chatte. Unangenehme Sache, das.
In der Yong Kang Lu flattern Banner an den Hauswänden. Darauf stehen Slogans: YKL stays und Whose street? Our street!
Boris und Thorben sitzen vor dem Funkadeli auf Barhockern. Sie trinken Negroni mit Orangenscheiben und bemerken mich erst nicht, weil Thorben irgendeinen Vortrag über Strafzölle und das chinesische Wirtschaftssystem hält. Sie haben glasige Augen und rote Gesichter, dabei ist es erst 1pm. Thorben hebt die Hand, ohne mich anzusehen und redet weiter: „Die Chinesen sind Nazis.“ Er legt eine Kunstpause ein, will eine Reaktion auf seine edgy These, aber ich verdrehe nur die Augen und Boris schaut einer Amerikanerin hinterher, die in Hotpants über die YKL torkelt. Amerikanerinnen sind die einzigen Frauen, die Hotpants entsexualisieren können, denke ich.
„Ernsthaft“, sagt Thorben. Er legt seine Hand auf meinen Unterarm. „Der Nationalsozialismus war ein Staatskapitalismus. Den haben die Chinesen übernommen.“
„Wo ist Mavis?“, frage ich.
„One drink, one answer“, sagt Boris.
Ich drehe mich zu ihm: „Ich habe heute Abend das wichtigste Geschäftsessen ever. Und ich kann nicht gut mit Chinesen. Ich brauche Mavis´ Begleitung.“ Ich brülle fast, als ich das sage.
„Die Native und der Westerner“, sagt Boris. „Wenn du bei ihr aufkreuzt wie ne gestochene Tarantel, wird sie defiant. I know her.“
„Setz dich. Wenn du ruhig und dizzy bist, gehst du zu ihr. Will be fine“, sagt Thorben.
Boris winkt eine blasse Chinesin heran. „Three negroni. Two ice cubes and two slices of orange each.” Er zwinkert mir zu. Ich ziehe die Marlboro Gold-Schachtel aus der Brusttasche, zünde mir eine an und muss husten.
Thorben nimmt sein iPhone. „Der Mayor hat heute nachgelegt“, sagt er zu mir und liest vor:
“Bao BingShulian said that Yongkang Lu was originally open for food markets, but that the area was never authorized to open any bars. `Commercial construction is not supposed to be destroying building structures, so Yongkang Lu will be included in comprehensive renovations, which will require owners to recover original house structures, adjust or cancel street businesses, as well as stopping alcohol businesses.´ He stated that Yong Kang Lu was Shanghai´s eyesore, where foreigners get drunk, fight and behave inappropriately.”
Thorben legt das Smartphone auf den Tisch, schnippt mit Mittel- und Zeigefinger dagegen. Es schlittert über die Platte gegen den Aschenbecher. „Die YKL ist eine Enklave der Freiheit. Deshalb muss sie weg.“ Er ext seinen Negroni.
„Wäre das nicht ein Thema für deine Doktorarbeit?“, frage ich. Boris lacht und Thorben tut so, als hätte er mich nicht gehört.
„Chinesen macht Freiheit Angst. Das Autoritäre bewundern sie.“ Er kriegt diesen eidechsenartigen Blick wie immer, wenn er zu seinem Geschwurbel ansetzt.
„Vor zwei Wochen hatte ich einen Termin an der Central South Uni Changsha. Die machen ein environmental Projekt mit meinem Professor an der Fudan.“
„Hast du erzählt“, sage ich.
„Dachte mir, wenn du schon rausfährst, dann nimm den Zug. Mit Zug meine ich keinen G-Train, sondern einen richtig ,oldschool`. Hab mir das romantisch vorgestellt, das erste Mal raus aus Shanghai und dann mit dem Zug.“ Er lacht bitter. „14 Stunden. Bin aufgewacht, weil die Chinesen Hühnerfüße zum Breakfast ausgepackt haben.“ Er saugt seine Lippen ein und schüttelt den Kopf. „That smell.“
„Wildlings“, sagt Boris.
Thorben senkt den Ton: „Jedenfalls gehe ich in den Speisewagen und bestelle mir Reis mit Huhn. Und die Employees fragen mich, wo ich herkomme und wollen meine Haare anfassen.“
„Inappropriate“, schiebt Boris ein.
„German, Déguó rén, sage ich und die machen den Hitlergruß und lachen und laden mich auf einen Wein ein.“ Er nimmt sein Glas, in dem gar nichts mehr drin ist, kippt es und die Orangenscheiben fallen gegen seine Lippen. „Und“, sagt er und hebt den Zeigefinger „die Uni in Changsha. Schon klar, andere kulturelle Bedeutung, aber immerhin ist die international. Die hat eine fette Swastika in Veilchenblau als Logo.“
„Im Ernst?“, fragt Boris.
Thorben lässt sich in seinen Hocker fallen, zuckt mit den Schultern, sagt: „That´s the story.“
Die Chinesin stellt unsere Negroni hin.
„Auf die YKL“, sagt Boris.
Der Negroni wärmt meinen Rausch auf. Das Blut hängt schwer und warm in meinen Wangen. Ich ziehe den Drink weg und wir bestellen noch eine Runde, unterhalten uns über Game of Thrones und ein Lenkrad, das Boris für Citroen entworfen hat. Thorben hängt teilnahmslos überm Tisch, als hätte ihn sein Vortrag über die Chinesen-Nazis völlig entkräftet.
Irgendwann sehe ich aus dem Augenwinkel, wie ein Dutzend Aussies Tische und Stühle schleppt.
Thorben schaut vom Tisch auf: „Bauen die eine Barrikade?“ Seine Mundwinkel wandern nach oben.
„Interesting“, sagt Boris.
„Ich mach mit“, sagt Thorben.
„Die Cops knüppeln die später Down Under“, sage ich.
Boris zieht das Revers seines Jacketts zurecht, grinst und fährt sich über den Dreitagebart: „Hier sind Expats aus der ganzen Welt. Die Chinesen werden einen Scheiß tun. They still fear bad press.“
„Selbst wenn. Mit Natives gehen die nicht zimperlich um.“
„Mavis ist im Moon“, sagt Boris.
Im Moon läuft American Pie in der Version von Madonna. Es riecht nach altem Bier. Der Boden ist sticky. Mavis lehnt an der Bar und wirft ihr blond gefärbtes Haar über die rechte Schulter und macht einem Aussie in einem Tanktop mit der Aufschrift „Rave“ schöne Augen. Sie trägt ihre blauen Kontaktlinsen. Der Aussie hält ein Glas Rotwein, lacht und dabei wippen seine Surferhaare und streichen über seine gebräunten Schultern.
Ich verbeuge mich, ironically, aber etwas zu tief und sage: „Sorry to interrupt. We have to go.“
Mavis neigt den Kopf und bläst Luft zwischen ihren Zähnen durch, Madonna singt „something touched me deep inside the day the music died“ und der Aussie stellt seinen Rotwein auf den Tresen. Er hat Spider Veins um die Nasenlöcher. Ich greife Mavis´ Hand. Sie zieht sie weg.
„What you think u doing“, sagt der Aussie. Seinen Slang finde ich cringe.
„We live together.”
„Your boyfriend?“
Mavis sagt nichts und ich sage auch nichts.
Von der Straße dringt Geschrei herein. Der Barkeeper nimmt einen Feuerlöscher von der Wand und rennt hinaus. Ich drehe mich um und sehe, dass jemand eine Mülltonne angezündet hat. Das Plastik tropft wie schwarzes Wachs.
Ich schaue Mavis in die Augen, aber wegen der blauen Kontaktlinsen kann ich nicht connecten. Der Aussie legt seinen Arm um Mavis.
“Lets go! There is trouble in the air”, sage ich.
Ich bemühe mich, ruhig zu wirken und greife ihr Handgelenk. Der Aussie stößt mich vor die Brust, dass mir die Luft wegbleibt. Als ich mich wieder gefangen habe, stoße ich zurück und ich sehe, dass Mavis lächelt.
Ich komme zu mir und bin auf allen Vieren auf dem Asphalt. Unter meiner Schädeldecke hängt ein scharfer Schmerz und meine Ohren sausen. Ich beiße die Zähne zusammen und rappele mich auf.
Eine brusthohe Barrikade aus Tischen und Stühlen versperrt die Zufahrt zur YKL. Davor steht Thorben auf irgendeiner Box und fuchtelt mit den Armen. Um ihn hat sich ein Mob Foreigners versammelt. Ich kann nicht hören, was er sagt, aber der Mob grölt und reckt die Arme in die Luft. Die Leute halten Gläser in den Händen und Wein und Bier schwappt auf ihre Köpfe. Da ist etwas in ihrer Bodylanguage, das den Anschein macht, als hätten sie die ganze Zeit auf so etwas gewartet, als hätten sie es insgeheim nicht mehr ausgehalten, nur in der YKL zu sitzen und 25 RMB Rotwein zu trinken.
Hinter der Barrikade formieren sich die Chinesen. Sie haben ihre kleinen Körper in Riot Gear gehüllt und schlagen mit Gummiknüppeln auf Schilde.
„Fucker!“
Ich drehe mich um und sehe, dass der Aussie auf mich zustiefelt und taumele in Richtung Barrikade. Bevor ich im Getümmel untertauchen kann, kickt er mir in den Rücken, dass es durch meine Wirbelsäule bis in den Nacken zieht. Ich falle auf zwei Foreigners und dann straight auf den Asphalt. Über mir geht ein riesiges Gebrüll los. Die zwei, die ich überhaupt nicht kenne, schlagen auf den Aussie ein und andere versuchen, sie wegzuziehen. Der Mob tobt; ein Knäuel aus Gliedmaßen. Die Cops kreischen irgendetwas durch ein Megafon. Ich krabbele über den Asphalt, jemand fällt auf meinen Rücken, Schuhsohlen quetschen meine Finger, Schienbeine prallen gegen meine Rippen.
Als ich es aus der Menge geschafft habe, sehe ich, wie ein Typ mit einer Meshcap eine Flasche hinter die Barrikade wirft. Bald sausen Dutzende durch die Luft.
Ein Motor heult auf und ein Jeep mit einer Art Schneeschaufel am Kühlergrill rammt durch die Barrikade. Thorbens Körper verschwindet unter Stühlen und Tischen. Die Cops stürmen und die Foreigners rennen in alle Himmelsrichtungen davon, manche fallen, werden überrannt. Geschosse fliegen, ziehen weiße Rauchfäden hinter sich her, hüpfen über die Straße. Das Gas legt sich in meine Augen, auf die Haut und in die Lungen - like acid. Ich huste, bis der Rachen ganz trocken ist und ich meine Mandeln spüre, ziehe den Kragen meines Leinenhemds über die Nase und muss mich übergeben. Das Erbrochene fällt warm über meine Brust, klatscht zwischen die Espadrilles.
Eine Granate saust durch die Luft und bleibt vor dem Funkadeli liegen, genau dort, wo ich vorhin mit Boris und Thorben gesessen bin. Boris liegt auf dem Boden. Ein Knüppel saust herab und senkt sich in seine Stirn.
Jemand greift meinen Nacken und ich bekomme Goose Bumps.
Ich folge Mavis ins Moon. Wir rennen hinter die Bar, durch die Küche, in einen Hinterhof. Dort geht mir die Puste aus. Meine Lungen rasseln und ich stütze mich mit den Händen auf die Knie.
Der Geruch von Seafood und Koriander steht in der Hitze. An den Wänden der Backsteinhäuser klebt Efeu und zwischen den Fenstern sind Leinen gespannt, an denen Qipaos hängen. In einer Erdgeschosswohnung sitzt eine Chinesin am offenen Fenster und beobachtet mich. Sie hat Stäbchen in der Hand und führt Dumplings in ihren faltigen Mund, ohne den Blick von mir abzuwenden. Für einen Moment ist es, als wären wir ganz weit weg von der YKL, den Knüppeln und Granaten.
Mavis packt meinen Ellenbogen: „You wanted to save me. Now I save you.“
Wir rennen in einen Durchgang und kommen zu einem Eisentor. Ich rüttele an der Klinke, aber das Tor bewegt sich nicht und scheppert nur.
„Zhǐbù!“, brüllt es hinter uns.
Schritte hallen durch den Hof. An der Wand stehen Mülltonnen und ich steige auf eine und hieve mich auf das Tor. Ich packe Mavis´ Hand. Sie fühlt sich warm und feucht an und ich ziehe mit aller Kraft und in dem Moment greifen zwei Cops Mavis´ Beine.
In ihrem rechtem Auge liegt die Kontaktlinse schräg über der braunen Iris. Mavis sieht liebevoll aus, als sie fällt.
Ich schlendere am Bordstein entlang und trete auf einen losen Pflasterstein, unter dem sich Regenwasser gesammelt hat. Die Siffe spritzt mir das rechte Hosenbein hoch bis in die Kniekehle. Polizeiautos rasen vorbei. Ich drehe mich nicht nach ihnen um. Bald komme ich am Fuxing Park vorbei. Dort hat mir Mavis das erste Mal einen geblasen.
Wir standen unter einem Baum, dessen Äste fast bis zum Boden reichten, als seien sie zu schwer und zwischen den Blättern drang das orangene Licht der Laternen hindurch auf ihr schwarzes Haar. Später aßen wir Aubergine mit Knoblauch bei einem Street Stall und ich schlug vor, sie noch ins Funkadeli einzuladen, weil ich vor Boris mit ihr angeben wollte.
„Nǐ shì wǒ dù zi lǐ de huí chóng!“, kiekste Mavis. Ihre Wangen röteten sich. „You are a roundworm in my belly“, schob sie nach.
„What the fuck?“
Mavis hielt sich den Bauch vor Lachen und die Träger ihres Kleides rutschten von den Schultern:
“Means you know what I want without telling you. Who knows one better than a parasite in your belly?”
Das iPhone vibriert in meiner Hosentasche und ich zucke zusammen, bekomme es kaum aus der Tasche, so zittrig sind meine Hände.
„Dear Mr. Abelmann, we are looking forward to meet you and your wife at Hakkasan´s at 7 pm.”
Zuhause stelle ich mich unter die Dusche und drehe den Strahl eiskalt. Ich stehe einfach so da, lasse das Wasser auf meinen Kopf prasseln und schaue zu, wie es über die Quaddeln an meinem Bauch fließt, die ich vom Tränengas bekommen haben muss. Erst nach einer Ewigkeit fühle ich mich bereit, meine Haut zu berühren.
Als ich fertig bin, schaue ich in den Badezimmerspiegel und streiche die Haare aus dem Gesicht. In meiner Augenhöhle liegt ein Bluterguss. Das Lid hängt lila und faltig über. Ich öffne den Badezimmerschrank, nehme Mavis` Schminkzeug heraus und pudere das Auge vorsichtig ab. Ich muss mehrere Male nachpudern, weil ich weinen muss. Im Schlafzimmer ziehe ich einen Hackett-Anzug aus dem Schrank, nehme die Universal Geneve Poleroter aus dem Uhrenhalter, 6pm, und schlüpfe in meine Achilles Sneaker – Business Casual.
Dann klingele ich bei Shuilian.
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