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Schattengeborene

Monster-WG
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04.03.2018
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Schattengeborene

Der Sonnenschirm wirft einen scharfen Schatten auf den Rasen. Dort steht der Pflegerollstuhl, in dem er tagsüber kauert. Seine Lieblingsstelle am Seerosenteich – wegen der Wasserschildkröte, die er jahrelang mit aufgetauten Shrimps fütterte. Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, hat er der Reihe nach aufgespießt, weil ihn das Geräusch störte. Auf die Nachfragen der Nachbarn hin antwortete er, Frösche habe er hier noch nicht zu Gesicht bekommen. Auch mit dem Maulwurf wartete er, bis die Türen der Nachbarhäuser geschlossen waren, bevor er ihn mir dem Spaten halbierte und ihn unter seinem Hügel begrub, den er mit kräftigen Stiefeltritten einebnete und mit der Harke glättete.
Schon von der Terrasse aus höre ich sein Schnarchen. Er tut kaum noch etwas anderes. Ich weiß, ab und an wird es unterbrochen von Aussetzern. Schlafapnoe, bis zu einer Minute. Dann herrscht die Ruhe, die ihm so heilig war.
Als Kinder mussten wir still sein, jedes für sich in seinem Zimmer. Schon wenn wir von der Schule kamen, sagte Mutter: »Leise, Papa geht's heute nicht ...« Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen. Und mit den vielen Tagen, an denen es ihm nicht ging, wuchs die Gewissheit, dass ein guter Tag erst dann gut war, wenn er vorbei war.

Die Fußstützen sind hochgestellt, trotz der Hitze liegt eine Wolldecke über seinen Beinen. Seine schwarzen Pflegepantoffeln sind nach innen gedreht. Darin die gekrümmten Zehen, die gelben Nägel weiß zerfressen. Seit ich das beobachtet habe, kann ich es durch die Schuhe sehen.
Und dann werden die Füße wieder glatt und gesund. 'Geh mal die Flossen holen', sagt er zu mir. Wir sind am Grenzfluss. Familienurlaub. Der mittelalte Mann will tauchen, wieder jung sein, wie in jedem Urlaub. Der feine Staub glüht. Sand gibt es hier nicht, nur am Strand, wo die anderen sind, die Badetouristen, die das Land nicht kennenlernen wollen.
Die Flossen liegen hinten auf der Ablage des Renault, das schwarze Gummi ist weich vor Hitze und stinkt nach Altöl. Auf dem Weg zurück verbrenne ich mir die Füße und versuche, von Grasbüschel zu Grasbüschel zu springen. Er ist im Wasser, die Brille mit Schnorchel auf der Stirn, mit den sehnigen Armen stützt er sich aufs steinige Ufer.
Gerne wäre er jemand Bedeutsames, ein Jacques Cousteau vielleicht. Er würde das Steuerrad der Calypso halten und die Klasse mit zwei Fingern an der roten Mütze grüßen.
Halb fallen mir die Flossen aus der Hand, halb werfe ich sie vor ihn hin. Ich entschuldige mich nicht, setze mich und halte die Füße ins kühle Flusswasser. Sie brennen trotzdem. Er schaut mich länger an, in seinem Blick liegt Überraschung über das, was er in dem meinen sieht.

Auf dem Speicher standen Kartons. Verblichene Rechtecke aus Pappe, die Überreste fremder Leben in sich bargen, Relikte einer gelebten Vergangenheit. Aufgereiht wie die Häuser einer Straße standen sie in einer geraden Zeile und wie den Häuser einer Stadt verliehen wir ihnen passend zum Inhalt Namen.
Der Karton mit Opas Büchern wurde zum Buchladen, der mit den Zinndeckel-Bierkrügen zur Brauerei und der mit dem Klappen-Toaster und dem angelaufenen Besteck zum Haushaltswarengeschäft.
Vaters Tauchsachen lagen in einem besonders langen Karton, der nicht in der Straße stand, sondern am Ende quer dazu, als würde er über die Straße regieren wie ein Patriarch über die gedeckte Tafel. Die beiden Deckellaschen standen eine Handbreit hoch und bildeten so das schräge Dach der Tauchschule. Aus dem Giebel ragte der Dreispitz hervor.

Einer von uns hat die Harpune auf dem Arm, als Vater die Stiege hochkommt, vielleicht bin ich es gewesen. Vor Schreck halten wir die Luft an. Er schaut kurz und dann tut er wie so oft etwas, womit niemand gerechnet hätte. Er schüttet Omas Briefe aus der Post in den Buchladen, wirft den leeren Karton einige Meter entfernt auf den Fußboden, spannt die Harpune und schießt. Mit einem dumpfen Schlag fährt das Eisen in die Pappe, reißt sie mit und nagelt sie an einen Dachbalken.
Vater lacht herzhaft auf, reißt mit einer Pendelbewegung den Pfeil aus dem Holz und tritt den zerfetzten Postkarton in die Ecke. Als er sich umdreht, lächelt er noch und seine Augen glänzen. Mit der Hand umklammert er den Pfeil, seine Knöchel sind weiß.
Da liegt etwas in seinem Blick, das mir fremd ist. Fremd wie die Überraschung an einem fernen Fluss in einem späteren Sommer. Jagdglück. Vielleicht war es auch die Erinnerung an einen vergangenen Triumpf aus der Zeit, bevor es uns gab. An einen bunten Fisch, der im Sonnenlicht zappelt und blutet.
Wir Kinder drücken uns aneinander, lugen uns wechselseitig über die Schultern und lachen nicht. Uns ist nicht zum Lachen zumute, denn wir sehen mit Erschrecken, wie einfach es ist, ein wichtiges Haus wie die Post aus unserer Straße verschwinden zu lassen.
Zwar nahmen wir den Karton, klebten das Loch zu und sortierten die Briefe zurück, doch die Straße war danach nicht mehr dieselbe. Es war wie bei einer Zahnlücke, in die ein Milchzahn wieder hineingedrückt wird. Er hält nicht mehr.

Neben ihm steht der Rollständer mit der aufgehängten Beutelnahrung. Sie hat die Farbe heller Bratensoße. Keiner von uns weiß, wie der Tüteninhalt schmeckt, auch er nicht. Der dünne Schlauch verschwindet zwischen den Knöpfen seiner Jacke. Er, der Genussmensch, darf seit Jahren nichts mehr essen, zu hoch die Gefahr der Aspiration. Jahre ohne Gaumenkitzel, ohne gestillten Durst, die Zunge ein erschlaffter Muskel, der vor Langeweile selbst das Reden verlernt. Ein verächtliches Schnalzen gelingt ihm noch ab und an, wenn die Gedanken auf dem Weg zur Zunge müde werden.
Wenn er tagsüber einschläft, nehmen sie ihm die Zähne heraus, sie könnten in den Hals rutschen. Ohne das Gebiss hängt der Mund an Falten, bildet eine trockengefallene Grotte, an deren Kanten der Atem vorbeikratzt, rhythmisch wie Meeresbrandung an einer Felsenküste.

Weihnachten, sein Auftritt in der Küche. Es gibt entweder Hasenbraten oder Pute, gefüllt mit gezwiebelten und bekräuterten Innereien, bis es dem Tier zum Hals herauskommt. Gelernt ist gelernt. Kinderlandverschickung. Ihn verschlug es auf den Bauernhof entfernter Verwandter. Weißenborn, nach dem Krieg auf Spuckweite zu den Sowjets, dann Anfang der Neunziger plötzlich Mitte der Republik. Im Krieg ein Hof neu mit Strom, doch ohne Toilette, dafür mit Viechern und einer Tante, die beim Melken von der Kuh zerdrückt wurde.
Mit dem Arm geht er hinten ins Tier und stopft, grimmig, wie er es bei den Bauersleuten abgeschaut hat. Ein anderes Weihnachten hängt er einen ganzen Schinken über den Esstisch und schneidet mit einem großen Messer Stücke aus dem Schweinebein. Seine Vaterpflicht schmeckt nach rotem Fleisch. Er will uns zeigen, sagt er, wie die Eskimos das tun, beißt hinein und schneidet knapp vor den Lippen. Dann tropfte Blut, die Zunge war zu flink. Wortlos geht er hinaus, hält sich den Mund zu.
Auf dem Adventskranz flackern vier Kerzen. Rot, wie ewige Lichter. Es riecht nach Nelken, die in Orangen stecken, nach Spritzgebäck und kaltem Tier.

'Er meint das nicht so', heute wie damals gemurmelte Familientradition, solange er es nicht hört. Meine Mutter, die mir Tränen wegwischt. Mutter, die nicht mehr ist. Meine Wange pocht, ich habe mir den Abdruck im Spiegel der Toilette angeschaut. Tatsächlich kann man trotz der Schwellung der rechten Wange die einzelnen Finger sehen. Linkshänder. Wo er den Ring trägt, pocht der Kiefer. Nur wenige Male werde ich so direkt erlöst, meist geht es nicht so schnell. Oft schweigt er tagelang, schaut an mir vorbei und wenn er redet, erzählt er von der Schule, von den patenten Schülern, mit denen er Theater spielen kann.
Schlaff hängt die Linke neben seinem Armpolster. Die Lehrerhand, die zur Mundorgel kräftig über den Gitarrenhals rutschte, kann keinen Stift mehr halten. Auf dem gebräunten Handrücken ist eine wunde Stelle. Alter Lack reißt leicht. Wächsernes Pergament auch. Verbrauchte Haut eines Sonnenanbeters, der seine Schutzschicht verloren hat.

'Die hat sich aus dem Staub gemacht', sagt er und ich versuche so sehr, mir einzureden, dass er das so nicht meint. Doch ich kann mir nicht glauben. Bei seinen Papieren im Keller habe ich eine alte Notiz gefunden. Auf dem Blatt steht: 'Aufgeben ist wie verlieren, nur schlimmer.' Da war der Parkinson in den Anfängen, heute hat die Krankheit ihn fest im Griff. Er hält dagegen und obwohl er nicht gewinnen kann, kaut er sich wortkarg durch sein ledriges Leben, kein Mensch weiß, wofür noch.
Dass Mutters Knochen sich auflösten und keine Antikörper, keine Chemo und auch keine Bestrahlung das zu ändern vermochten, ignoriert er, als hätte sie den Krebs bestellt.
Oben auf dem Kamin steht ihr Kalender. Februar. Krokusse, die sich durch den Schnee drücken. Darunter steht in geschwungener Schrift 'Dem Leben seinen Lauf lassen'. Niemand hat weitergeblättert. Wozu auch? Seitlich angelehnt das Foto der Traueranzeige. Ihr Lachen, ihre weißen Haare, die cremefarbene Bluse leuchten.

Der Bart des jungen Mannes ist schwarz. Wenn er knurrt, sieht man die große Zahnlücke. Er hat sich Buntstifte in Nase und Ohren gesteckt, zieht die Augen groß. Wir Kinder schreien auf, versuchen zu entkommen. Mutters Lachen fegt uns den Weg frei, für einen seltenen Moment gelingt das. Es klingt wie Musik, wenn wir zusammen lachen. Unbeschwert. Mehrstimmiger Gesang aus glücklichen Kehlen, der sich vom Boden erhebt, im Raum schwebt für eine kleine Ewigkeit. Wir bewundern ihn wie Seifenblasen, die einander rosaschlierig umkreisen, bevor sie zerplatzen und die trockene Stille langsam zurückschleicht in die Hälse.
Das Buntstiftmonster zeigte sich nur wenige Male, vielleicht weil wir recht bald die Buntstifte gegen Füller tauschten. Wahrscheinlicher jedoch besaß Mutters Lachen auf Dauer nicht die Kraft, den über die Dielen züngelnden Schatten Einhalt zu gebieten. Zum Kämpfen fehlte ihr unter anderem der eiserne Wille, ihr Lachen half nicht und war doch alles, was sie hatte. Was gäbe ich darum, es noch einmal zu hören.

Das Leben läuft weiter, doch es läuft unrund. Seit sie gegangen ist, hat mein Elternhaus Schlagseite. Ihre Asche liegt im Morgenschatten einer alten Eiche. Wir sind sicher, es gefällt ihr dort unter dem Blätterdach, wie auch uns, den Schattengeborenen, die den Platz für sie ausgesucht haben.
Die Nahrung ist durchgelaufen, die Pflegerin wechselt zu Tee. Durch das Geraschel wird er wach. Als er mich sieht, schließt er die Augen und schnalzt einmal. Das verächtliche Schnalzen, das immer noch mit Schattenfingern nach mir greift.
Ich nicke der Pflegerin zu, wende mich ab und gehe über die Terrasse und durch den Flur hinaus. Draußen auf dem Weg bleibe ich stehen und hole tief Luft. Ich öffne den Briefkasten, schmeiße die Werbung in den Korb mit Altpapier, der hinter der Tür steht. Die Umschläge mit seinen Rechnungen nehme ich mit, sie liegen schwer in meiner Hand. Morgen.
Ich ziehe die Tür ins Schloss und merke beim leisen Klicken, wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt. Mit jedem Besuch ein weiteres Grad.

 

Draußen auf dem Weg ziehe ich die Tür ins Schloss und merke beim leisen Klick, wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt ,

schließt Deine nachdenkliche, kleine „Familiengeschichte“, für die das „Haus“ steht und von dem der moderne „Haushalt“ nur noch ein Abklatsch ist,

lieber linktofink ,

wie heute noch Haus „Windsor“ ( selbst wenn es nur noch ein Abklatsch buchstäblich vergangener Größe, i. d. R. mit dem Patriarchen an der Spitz, ist). Die älteste Form der Gleichsetzung von Haus, Hof und Familie findet sich im gotischen heiwa, nhd. „Hausstand“ und selbst heute kann man die Hausherrin in der „heiwafrauja“ erkennen. Und bei Dir ist sie ein Widerpart des Patriarchen:

Alles an ihr ist hell.
Freilich zählte jeder Hausgenosse zur Familie, vom Chef des Hauses bis zum Personal und das wurde vllt. durch „heiv“ (Familie im engeren Sinne) ausgegrenzt

Da war der Nachkomme grundsätzlich ein im Schatten des Patriarchen (dem Vorgänger) und des von ihm „Gesetzten“ Geborener.

Freilich: Dein Geschichte zeigt einen Hauch von Moderne, dass der dem Tode als dem Leben nähere Chef des Hauses es nicht eroberte oder selbst errichtete, sondern mit samt allem Leben darinnen kaufte

Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, …

Es ist das Abendrot einer – hoffentlich – aussterbenden Haltung unangefochtener Autorität.

Ich hoffe, dass die Flusenlese in diesem Kurzbesuch jenseits der des „Familien“treffens (ausgefallenen) Fronleichnamskirmes* auch beim nächsten Lesen noch bestand hat

Er hält dagegen und obwohl er nicht gewinnen kann, kaut er sich wortkarg durch sein ledriges Leben, kein Mensch weißKOmma wofür.

* Der kath. Feiertag belegt eigentlich, dass Herr und Frau wider alle Genderei sprachgeschichtlich gleichberechtigt sind, im ahd. ist der "Herr" frō, frouwa (Herrin). Das ahd. lebt fort im Frondiensr und dem Leichnam des Herrn.

Genug für heute geplaudert, meine Domina schaut mich gar strenge an ...

Tschüss und bis bald

Friedel

 

Hallo @linktofink,

hellhörig wurde ich wegen des Einstiegs:

Der Sonnenschirm wirft einen scharfen Schatten auf den Rasen. Darin kauert er in seinem Rollstuhl.

Da fragte ich mich nämlich: Worin? Jetzt weiß ich es, im Schatten. Worauf ich aber hinauswill: Ich empfinde die Formulierung als ungelenk.

Sei's drum, jetzt sind die Ohren also gespitzt und ich lausche weiter. Und tauche auch gleich interessiert ein in diese Atmosphäre, hier:

Wir mussten still sein, jeder für sich in seinem Zimmer. Schon wenn wir von der Schule kamen, sagte Mutter: »Leise, Papa geht's heute nicht ...«

Nur, um hier:

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.

Wieder rausgerissen zu werden. Nicht inhaltlich, das finde ich gut, leider sind mir aber die "schattigen Finger" zu viel.

Auf dem Weg zurück verbrenne ich mir die Füße und versuche, von Grasbüschel zu Grasbüschel zu springen.

Toll!

Ich entschuldige mich nicht, halte die Füße ins kühle Wasser aus den Bergen.

Hier geht es mir ähnlich wie bei den "schattigen Fingern".

Ich erkenne, was der Text "will". In der Vergangenheit schwelgen, Nelken, Spritzgebäck, kaltes Tier. Mutter, die nicht mehr ist. Und daneben, als Kontrast, das Bild der unbarmherzigen Gegenwart - bratensoßenfarbene Beutelnahrung, trockengefallene Mundgrotten - das unaufhaltsame Altern.

Bei mir kommt dabei nur wenig an, leider. Eindrücke, ja, schön geschrieben, klar, das kannst du ja. Emotionen leider nicht. Es sind ja die Eindrücke eines Fremden, heraufbeschwörte Erinnerungen, die mir nichts bedeuten. Der Erzähler ist ein Fremder und der Alte ist ein Fremder und gerade weil das Thema so viel mehr hergibt und all diese Eindrücke mit dem richtigen Rahmen so viel mehr in mir auslösen könnten, hinterlässt die Geschichte mich unbefriedigt.

Gut möglich, dass jemand anderen diese Art der "Vergangenheitsaufbearbeitung" genau da trifft, wo sie es soll, bei mir war das leider nicht der Fall. Trotzdem danke für den Feiertags-Lesestoff!

Bas

 

Hi linktofink,

ich glaube, manchmal sind die Augen der Kinder gnadenlos.
Ich fand das interessant, was du da machst, dieser fast sezierende Blick auf den alten Mann zieht sich ja durch. Irgendwie mitleidlos in der Wirkung. Der Hass muss schon groß sein, wenn man diesen Blick auf seinen Altvorderen hat. Das ist mutig, das so zu machen. Und trotzdem irritiert es mich auch, weil beide Figuren, also der Betrachter und das betrachtende Subjekt wenige Schattierungen, wenige Wendungen haben. Der Alte ist ein echter Kotzbrocken, von dem Sohn oder Tochter erfährt man einiges über die Erziehungsmethoden, auch über einen gewissen Widerstand. Aber es ist nicht so arg viel.


Das Bild mit der Schlagseite gefällt mir total gut. Das ist die Vorstellung, dass, solange die Mutter noch lebte, so eine Spur von Intaktheit da war, aber nun, wo sie tot ist, gerät der Blick auf den Alten noch einmal neu, er ist nicht nur ein schwieriger, moralischer und gewalttätiger Vater, den Leben und Lebendigkeit störten, sondern nun, unter dem Blick der Schlagseite, in die die Familie geraten ist, verwandelt er sich in diese Hülle.
Was mir nur auffällt, der Vater ist ja jetzt nur noch ein Schatten (ha, schon wieder) seiner selbst, so zu leben, wie er das tun muss, das ist ja Folter. Was löste das denn ich dem Sohn aus? Sind da die früheren Schandtaten nicht so ein bisschen verjährt im Gefühl eines Kindes? Spürt man da nicht Mitleid?
Warum kümmert er sich weiter um den Vater? warum verlässt er ihn nicht, überlässt ihn öffentlicher Pflege, wenn er ihn schon so übel findet. Ist es der staatliche Zwang, das Gefühl eigener Verpflichtung?

Ich weiß nicht, man kann diesen gnadenlosen Blick natürlich durchhalten, aber, so denke ich zumindest, dann müsste für mich das, was der Vater getan hat, irgendwie noch übler sein, als das, was erzählt wird, obwohl es natürlich übel ist. Einerseits. Ja, Angst hat offensichtlich geherrscht in dieser Familie und eine sehr moralische Erziehung, die, wie ich es verstehe, häufig mit subtilen Mitteln gearbeitet hat, genauso wie mit Ohrfeigen. Wie auch immer, die Gewalt ist klar, aber mir fehlt dann trotzdem das, was es mit dem Sohn oder Tochter angerichtet hat. Das ist das andererseits.
Die Abneigung ist spürbar, aber Kinder arbeiten sich doch auch immer irgendwie anders an ihren Eltern ab. Da ist das Gnadenlose, aber doch auch manchmal die Sehnsucht, dass es hätte anders sein können/sollen. Und vielleicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst. Also vielleicht auch das Entsetzen über den eigenen Ekel, die Gnadenlosigkeit, mit der man blickt. Ich kann jetzt nur stochern, weil ich Schiss habe, ich halte dir was vor, was ich gerne gelesen hätte und verpasse dabei deine Intention. Aber nimms einfach so: Mir fällt die Mitleidlosigkeit auf ohne einen Kontrapunkt. Irgendeinen "Schatten" auf diesem Blick. Also verstehst, noch mal einen Schatten im Schatten.

Was mir sehr sehr gut gefällt, das ist dieser gnadenlose Blick auf den Verfall, auf den Körper, der einem als Leser Ekel und Abneigung einflößt. Das hast du wirklich erschreckend gut gemacht.

Ein paar Details:

Der Sonnenschirm wirft einen scharfen Schatten auf den Rasen. Darin kauert er in seinem Rollstuhl.
Das ist irgendwie unsauber. Man bezieht das "Darin" halt leider sofort auf den "Rasen", der so nah steht, du meinst aber eigentlich den "Schatten". Ich verstehe die Intention, schon hier das Motiv des Schattens zu installieren, aber das würde ich irgendwie anders organisieren, so dass es nicht so borstig klingt.

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.
Ich finde das Bild genial und bin ganz neidisch :), aber für dieses starke Bild ist mir trotzdem noch zu wenig passiert. Wenn die Mutter so spricht, denkt man ja auch erst mal an einen Kranken, auf den man dauernd Rücksicht nehmen muss. Ich spüre zu wenig, was der Vater mit der Kinderseele angestellt hat.

Seine schwarzen Pflegepantoffeln sind nach innen gedreht. Darin die gekrümmten Zehen, die gelben Nägel weiß zerfressen. Seit ich das beobachtet habe, kann ich es durch die Schuhe sehen.
Sowas meine ich, das machst du erschreckend gut. gar nicht viel eigentlich, aber so den Blick auf diese Fußnägel eines alten Menschen zu richten. Hut ab.

Gerne wäre er jemand Bedeutsames, ein Jacque Cousteau vielleicht.
Jacques


Halb fallen mir die Flossen aus der Hand, halb werfe ich sie vor ihm hin.
ihn

Er schaut mich länger an, in seinem Blick liegt Überraschung über das, was er in dem meinem sieht.
Ha, da stand vorher was anderes.
in dem meinen

Weihnachten, sein Auftritt in der Küche. Es gibt entweder Hasenbraten oder Pute, gefüllt mit gezwiebelten und bekräuterten Innereien, bis es dem Tier zum Hals herauskommt.
Puhh, ja das ist ein sehr eindrückliches, hässliches Bild

Oft schweigt er tagelang und wenn er redet, erzählt er von der Schule, von den patenten Schülern, mit denen er Theater spielen kann.
Ja, eklig. Ich glaube, das gehört mit zu den schlimmsten Dingen, die Eltern machen können, ein Kind tagelang auf eine Konsequenz hier besser Strafe warten zu lassen.
Außerdem spüre ich hier das erste Mal so etwas wie eine Diskrepanz. Etwas, was der Sohn vielleicht vermisst.

Ich muss leider Schluss machen, keine Zeit mehr.
ich habe es trotz meiner kritischen Anmerkungen mit sehr sehr großem Intreresse und innerer Anteilnahme gelesen. Weil ich dich sehr mutig finde, wie du da dran gehst. Vielleicht auch, weil das Thema lange Zeit für mich sehr bestimmend war.
Viele Grüße von mir an dich
Novak

 

Hey @Sisorus,
danke für deinen Komm. Ich weiß, oft ist es schwierig, gerade den ersten zu schreiben, weil der eine Richtung vorgibt und das möchte man nicht verbocken.

Freigeister konnte er noch nie leiden.
Diesen Satz finde ich überflüssig, auch zu schwurbelig irgendwie.
Stimmt, schwurbelig sollte es nicht werden, ist raus.

1. Nukleus?
2. Wäre etwas wie "Keim" hier nicht viel passender? Es ist doch weniger der Kern von etwas Neuem, der hier aufleuchtet, sondern die Ahnung, der Ursprung, der Keim. Freilich Begriffsfelder, die nah beieinander liegen, aber intuitiv denke ich, dass die aktuelle Version sich präzisieren ließe.
3. Der Erzähler sieht hier seinen eigenen Blick? Wo er doch für die Wange später z.B. in den Spiegel sieht? Passt das zur Erzählhaltung?
Der Keimgedanke ist gut, doch ich finde Punkt 3 überzeugend und hab es ganz rausgenommen.

Nun zur Erzählung selbst. Sie ist mir zu schwarzweiß. Die strahlend helle Mutter, die sich aufopfert, der im Schatten kauernde, jähzornige Vater ... an sich okay, aber wäre es hier nicht möglich Brüche aufzuzeigen? (…)
Und wieso sucht der Erzähler in sich nichts vom Vater? Soll er nicht ein Schattengeborener sein? Wirft er keinen eigenen? Bisher höchstens dadurch, dass er die Flossen fallen lässt, statt sie zu überreichen. Nur denkt er darüber nicht weiter nach, tastet nicht nach der Dunkelheit in sich selbst. Warum diese sauberen Trennungen? Übersehe ich etwas? Hast du deinen Erzähler einfach bewusst als etwas oberflächlichen Schwarzweißdenker konstruiert?
Da kommen wir zum Kern der Sache. Der Anspruch ist ja immer, seinen Frieden zu machen, so als Erwachsener spätestens, wenn nicht zu vergessen, dann doch zu verzeihen, damit die Persönlichkeit reift, bla.
Für mich ist genau der Punkt interessant, weil ich mich frage, wie das aussieht, wenn das nicht geht, wenn es trotz der Verpflichtung zur Fürsorge bewusst bei der sauberen Trennung, beim emotionalen Abstand bleibt. Als Agreement, als Waffenstillstand, der einen weiteren Umgang ermöglicht. Natürlich ist es in der Realität nie schwarzweiß, der Bruch, das Sehen der positiven Dinge, das Suchen der Anteile des anderen in mir, klar, liegt nahe, würde das Thema auch komplexer anlegen, aber zugleich auch konventioneller machen. Da bin ich im Prozess und überlege noch, ob ich da hin will.

hier sind einige sehr schöne Szenen enthalten. Der Eskimobiss, die Fußnägel, das einfallende Gesicht, der halbierte Maulwurf usw. usw. hervorragend; die Bilder selbst und auch deine Sprache dazu. Gerne gelesen!
Bilder und Sprache sind mir immer wichtig, auch da neue Wege zu finden. Freut mich, wenn du da was mitnehmen konntest.

Peace, Linktofink
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@Friedrichard, hallo Friedel,
danke für deine Ausführungen zur Gleichsetzung von Haus, Hof und Familie, so war es hier auch gemeint. Meiner Erfahrung nach ist Familie ohne den Kontext des Elternhauses, das mit gemeinsamer Vergangenheit angereichert ist, gefühlt weniger, weil die Wurzeln fehlen. Und bei Bäumen ist es ja auch so, dass das Wurzelwerk denselben Umfang hat, wie das sichtbare Laubwerk der Krone. Und im Wurzelwerk gärt einiges, was nicht an die Oberfläche darf. Übertragen auf den Stammbaum, als Herkunft der Familie, heißt das, dass im Stammsitz der Familie vieles auch immer unausgesprochen vorhanden ist, was mitschwingt und die oberirdische Familie mit Nahrung versorgt.

Da war der Nachkomme grundsätzlich ein im Schatten des Patriarchen (dem Vorgänger) und des von ihm „Gesetzten“ Geborener.
Ja krass, diese Bedeutungshierarchie, diese Staffelung innerhalb der Familie. Zum Glück werden die Monarchien als Leitbilder dieser Lebart zunehmend unwichtig.

Peace und schönen Gruß an die Domina :peitsch:, linktofink.
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Hallo @Bas,
schön, mal wieder von dir zu hören und bald zu lesen.

Worauf ich aber hinauswill: Ich empfinde die Formulierung als ungelenk.
Ja, da bist du nicht alleine, das hab ich flugs geändert.

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.
Wieder rausgerissen zu werden. Nicht inhaltlich, das finde ich gut, leider sind mir aber die "schattigen Finger" zu viel.
So ist das mit den Bildern, für manche funktionieren sie gut, für andere gar nicht. Nimm es mir nicht übel, wenn ich noch abwarte, was da an weiteren Rückmeldungen kommt, bevor ich da rangehe.
Das "Wasser aus den Bergen" hingegen hab ich direkt entschärft.

Ich erkenne, was der Text "will". In der Vergangenheit schwelgen, Nelken, Spritzgebäck, kaltes Tier. Mutter, die nicht mehr ist. Und daneben, als Kontrast, das Bild der unbarmherzigen Gegenwart - bratensoßenfarbene Beutelnahrung, trockengefallene Mundgrotten - das unaufhaltsame Altern.
In der Vergangenheit schwelgen ist mir zu positiv besetzt, hier geht es ja um unliebsame, negative Erinnerungen, die unvermeidlich ihre Schatten in die Gegenwart schlagen.

Bei mir kommt dabei nur wenig an, leider. Eindrücke, ja, schön geschrieben, klar, das kannst du ja. Emotionen leider nicht. Es sind ja die Eindrücke eines Fremden, heraufbeschwörte Erinnerungen, die mir nichts bedeuten. Der Erzähler ist ein Fremder und der Alte ist ein Fremder und gerade weil das Thema so viel mehr hergibt und all diese Eindrücke mit dem richtigen Rahmen so viel mehr in mir auslösen könnten, hinterlässt die Geschichte mich unbefriedigt.
Kann ich verstehen, die Geschichte triggert nichts in dir, da gerät nichts in Bewegung, vielleicht kannst du es aufgrund deiner Biographie aber auch nicht nachempfinden.
Mir ging es nicht darum, Sentiment und Nostalgie zum Schwingen zu bringen, sondern zu beschreiben, wie die "unbarmherzige Gegenwart", wie du schreibst, aufgrund der vergangenen Verletzungen erlebt und einsortiert wird.

Peace, Linktofink

 
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Hallo @linktofink ,

ich kann es nicht glauben: Eine Stunde nach deinem Geburtstag hast du diesen Text ins Forum gestellt. Ich hab mich sowieso gewundert, dass du nach der Feierei die Kraft dazu gefunden hast. War es womöglich ein runder Geburtstag? Du wirst deine Gründe haben.

Seine Lieblingsstelle am Seerosenteich – wegen der Wasserschildkröte, die er jahrelang mit aufgetauten Shrimps fütterte. Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, hat er der Reihe nach aufgespießt, weil ihn das Geräusch störte. Wie auch den Maulwurf, den er mit dem Spaten halbierte, weil die Hügel, die er in seine Wiese grub, beim Abmähen rohe Erdkreise hinterließen.

Oh je, hier ist nicht vom milden Altern und Sterben im Kreise der Lieben die Rede. Klar, der Vater wird medizinisch gut betreut, aber die Emotionen des Sohnes (?)liegen im Kälteschlaf.

Dass Mutters Knochen sich auflösten und keine Antikörper, keine Chemo und auch keine Strahlung das zu ändern vermochten, ignoriert er, als hätte sie den Krebs bestellt.

Also ja, dass da keine Zuneigung vorhanden ist, kann ich nachvollziehen. Eigentlich ein Wunder, dass sein Sohn sich trotzdem um ihn kümmert. Ist aber auch ein schwieriges Terrain und wahrscheinlich gar nicht so selten.

Da kommen wir zum Kern der Sache. Der Anspruch ist ja immer, seinen Frieden zu machen, so als Erwachsener spätestens, wenn nicht zu vergessen, dann doch zu verzeihen, damit die Persönlichkeit reift, bla.
Für mich ist genau der Punkt interessant, weil ich mich frage, wie das aussieht, wenn das nicht geht, wenn es trotz der Verpflichtung zur Fürsorge bewusst bei der sauberen Trennung, beim emotionalen Abstand bleibt.

Deine Begründung dafür, dass der Text dieses zutiefst zerrüttette Verhältnis zeigt, kann ich akzeptieren. Ja, warum nicht einmal die traurigste Variante von Eltern-Kind-Beziehung zu schildern. Das ist dir in den unbarmherzigen Bildern über den körperlichen Zerfall sehr gut gelungen und hat mir Gänsehaut (nicht positiv besetzt!) beschert. Insofern hast du mich als Leserin sehr gut erreicht.
Authentizität hat halt immer ihren literarischen Wert.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
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Hallo @linktofink

Das ist ein ambitionierter Text. Du willst ein Gefühl dafür vermitteln, wie es sich für die Nachkommen anfühlt, in liebloser Atmosphäre aufwachsen zu müssen.
Für mich funktioniert es nicht so gut. Unter anderem, weil ich diese Intention viel zu deutlich in jedem Satz erkenne. Die Situationen zu schildern, unter denen die Kinder leiden, gelingt Dir ganz gut, nur bleibe ich als Leser auf Distanz. Mir ist das einfach zu bedeutungsschwer inszeniert. Anfangs gefallen mir Formulierungen wie "Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, hat er der Reihe nach aufgespießt, weil ihn das Geräusch störte." noch richtig gut. Aber ich erreiche schnell den Punkt, an dem mein Blick vom Thema auf die Ausführung gelenkt wird.
Das hier "Halb fallen mir die Flossen aus der Hand, halb werfe ich sie vor ihn hin. Ich entschuldige mich nicht, halte die Füße ins kühle Flusswasser. Er schaut mich länger an, in seinem Blick liegt Überraschung über das, was er in dem meinen sieht. " ist zum Beispiel sehr gut formuliert, aber es macht mich zum abseits stehenden Betrachter eines Kunstwerkes. Ich bewundere die Pinselführung, die kunstvolle Schichtung der Farben ... aber es berührt mich nicht.
Das mag etwas seltsam klingen, wenn ich kritisiere, dass der Text "zu gut" geschrieben wurde. :)
Es ist ein relativ kurzer Text angesichts der Häufigkeit der verwendeten Stilelemente. Jeder Vergleich sitzt, die Elipsen sind ordentlich gebaut, auch die Sinnlichkeit der Beschreibungen ist sehr gut gelungen. Es ist mir einfach nur einen Tick zuviel des Guten.

Übrigens finde ich es auch nicht so gut, sowohl Gegenwart als auch Rückblende der Erzählebene im Präsens zu verfassen. Gerade die Übergänge empfinde ich dadurch als holprig.

Seit ich das beobachtet habe, kann ich es durch die Schuhe sehen.
'Geh mal die Flossen holen', sagt er zu mir.
Da brauche ich ein paar Sätze, bis ich den Zeitsprung realisiere.

Fazit: Einzelne Absätze finde ich sehr gut geschrieben, insgesamt erzeugt es bei mir leider eine Übersättigung. Das Thema ist gut gewählt. Wobei die Charaktere des Vaters und der Mutter ein bisschen komplexer dargestellt werden könnten. (sollten?) Der ist halt einfach nur böse. Da fehlt so ein bisschen Hintergrun d seiner Persönlichkeit.

Schöne Grüße!

Kellerkind

 
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Hallo liebe @Novak,

schön von dir zu lesen. Danke für deine Flusenlese, ist alles beseitigt. Du schreibst, du findest den Text mutig, ich bin mir nicht sicher, nach den sehr konträren Rückmeldungen muss ich nachdenken.

Ich fand das interessant, was du da machst, dieser fast sezierende Blick auf den alten Mann zieht sich ja durch. Irgendwie mitleidlos in der Wirkung. Der Hass muss schon groß sein, wenn man diesen Blick auf seinen Altvorderen hat. Das ist mutig, das so zu machen. Und trotzdem irritiert es mich auch, weil beide Figuren, also der Betrachter und das betrachtende Subjekt wenige Schattierungen, wenige Wendungen haben. Der Alte ist ein echter Kotzbrocken, von dem Sohn oder Tochter erfährt man einiges über die Erziehungsmethoden, auch über einen gewissen Widerstand. Aber es ist nicht so arg viel.
Ich weiß nicht, ob Hass richtig ist, für mich ist es eher emotionale Taubheit, geborenen aus dieser repressiven Struktur des Familienlebens, aus dem ständigen Deckeln. Dass man da wenig über die konkreten Erziehungsmethoden erfährt, stimmt schon. Für mich sind das eher Andeutungen, kurze Erinnerungen, die aufblitzen bei der Betrachtung von Mund, Füße und Hände. Scheint aber zu wenig Fleisch zu sein, allg. ist der Text vllt. zu kurz.

Das Bild mit der Schlagseite gefällt mir total gut. Das ist die Vorstellung, dass, solange die Mutter noch lebte, so eine Spur von Intaktheit da war, aber nun, wo sie tot ist, gerät der Blick auf den Alten noch einmal neu, er ist nicht nur ein schwieriger, moralischer und gewalttätiger Vater, den Leben und Lebendigkeit störten, sondern nun, unter dem Blick der Schlagseite, in die die Familie geraten ist, verwandelt er sich in diese Hülle.
Ja, die Mutter ist für mich die andere Waagschale und sobald sie wegfällt, kippt das Ganze. Nicht nur der Alte wird zur Hülle, das Haus wird es auch, das ganze Leben ist durch die Krankheit ausgehöhlt.

Was mir nur auffällt, der Vater ist ja jetzt nur noch ein Schatten (ha, schon wieder) seiner selbst, so zu leben, wie er das tun muss, das ist ja Folter. Was löste das denn ich dem Sohn aus? Sind da die früheren Schandtaten nicht so ein bisschen verjährt im Gefühl eines Kindes? Spürt man da nicht Mitleid?
Warum kümmert er sich weiter um den Vater? warum verlässt er ihn nicht, überlässt ihn öffentlicher Pflege, wenn er ihn schon so übel findet. Ist es der staatliche Zwang, das Gefühl eigener Verpflichtung?
Ich denke, Mitleid ist ein kurzfristiges Gefühl, eine Reflexemotion auf etwas Schlimmes, das anderen Menschen widerfahren ist, verbunden mit dem Impuls zu helfen. Ich beschreibe einen Dauerzustand, da tritt schon eine gewisse Gewöhnung ein.
Der andere Punkt, der Umgang mit der Fürsorgepflicht, ist denke ich sehr abhängig von der persönlichen Konstitution und dem Gewissen. Da gibt es nichts Allgemeingültiges, manche nehme die an, manche geben die ab. Ich habe mal mit einer Krankenschwester einer Kinderklinik gesprochen, die erzählte, dass manche Kinder, die stationär liegen, täglich besucht werden, teilweise die Eltern mit im KH schlafen, manche bekommen nur am WE Besuch und manche nie.

Wie auch immer, die Gewalt ist klar, aber mir fehlt dann trotzdem das, was es mit dem Sohn oder Tochter angerichtet hat. (…)
Ich spüre zu wenig, was der Vater mit der Kinderseele angestellt hat.
Da bin ich davon ausgegangen, Andeutungen würden genügen, da liege ich wohl falsch und muss nachlegen.

Mir fällt die Mitleidlosigkeit auf ohne einen Kontrapunkt. Irgendeinen "Schatten" auf diesem Blick. Also verstehst, noch mal einen Schatten im Schatten.
Verstehe ich, den Punkt, Sisorus vermisste auch Brüche im Schwarz-Weiß, das ist wohl auch berechtigt, weil Dinge selten eindimensional sind und weil es so auch einfacher wird, sich in den Prota hineinzufühlen.

Was mir sehr sehr gut gefällt, das ist dieser gnadenlose Blick auf den Verfall, auf den Körper, der einem als Leser Ekel und Abneigung einflößt. Das hast du wirklich erschreckend gut gemacht.
An dem Punkt wollte ich schreiben, was ist, etwas, das ich viel zu selten tue.

Oft schweigt er tagelang und wenn er redet, erzählt er von der Schule, von den patenten Schülern, mit denen er Theater spielen kann.
Ja, eklig. Ich glaube, das gehört mit zu den schlimmsten Dingen, die Eltern machen können, ein Kind tagelang auf eine Konsequenz hier besser Strafe warten zu lassen.
Außerdem spüre ich hier das erste Mal so etwas wie eine Diskrepanz. Etwas, was der Sohn vielleicht vermisst.
Der dauerhafte Entzug von Zuwendung und Anerkennung ist schlimm und dass Kinder da Schaden nehmen, eigentlich unvermeidlich, denn wir vergessen zu schnell, dass Kinder von ihren Eltern geliebt werden möchten. Ich denke, diese Lieblosigkeit ist ein sehr verbreitetes Phänomen und zugleich ein ganz großes Manko, weil sich das fortsetzt durch Generationen, Lernen durch Nachahmung.
Danke für deine wichtige Rückmeldung, Novak. ich denke, ich werde über den Schwerpunkt des Textes nachdenken müssen.

Peace, linktofink

 

Hallo linktofink, in vielerlei Hinsicht ein guter Text, finde ich. Das Thema dieses Familienkonflikts ist gesellschaftlich relevant. Die halbierten Maulwürfe zeigen das Grausame in der kleinbürgerlichen Normalität, und auch viele andere Deiner Bilder passen, charakterisieren die Figur des Vaters durch kleine Gesten. Sprachlich ist das gut durchgearbeitet.

Meine Kritik setzt da an, wo der Text schweigt. Was sagt das Ganze? Wo ist die Haltung des Textes? Aspekte eines falsch geführten Lebens (zumindest in der Hinsicht der Elternschaft) lediglich aufzuzählen, ist mir zu wenig. Natürlich werden sich einige Leser in dieser anklagenden Melancholie wiederfinden, leider haben viele Menschen mehr als einen Grund, sich über Fehler ihrer Eltern zu beklagen.

Aber wenn ich diese Art von Generationskritiken lese, denke ich häufig, dass das ein bisschen wohlfeil ist. Die schlimmen Eltern. Auch eine bequeme Art, das eigene Versagen zu rechtfertigen, ohne sich selbst hinterfragen zu müssen.

Und auch ein anderer Punkt ist zu bedenken. Der Mangel an elterlicher Zuneigung und dessen Konsequenzen ist in Literatur und Film ein breit ausgewalztes Thema. Wie wäre es einmal mit der anderen Seite des Spektrums?

Wie viel Schaden richten Eltern an, die ihre Kindern durch einen Mangel an Strenge (ein Mangel an Grenzen und Regeln) zu kleinen Tyrannen deformieren, die später erwachsene Tyrannen werden?

Trotz dieser kritischen Gedanken gern gelesen.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Ein einziger Störfall kam mir in die Quere, lieber @linktofink, in dieser ansonsten sprachlich äußerst gelungenen Geschichte.
Lass uns darüber reden:

Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, hat er der Reihe nach aufgespießt, weil ihn das Geräusch störte. Wie auch den Maulwurf, den er mit dem Spaten halbierte, weil die Hügel, die er in seine Wiese grub, beim Abmähen rohe Erdkreise hinterließen.
Diese Ellipse (bzw. die Sätze drum herum) musste ich gut dreimal lesen, bevor ich kapierte, worauf sich die Ellipse bezieht.
Zuerst las ich sie (= vervollständigte sie in meinem Kopf sinngemäß) so, wie es deine Syntax nahelegt:

auch den Maulwurf störte das Geräusch der Frösche.

Eine Lesart, die mich ehrlich gesagt nicht wirklich überzeugte. (Wobei sie natürlich durchaus zutreffen könnte, ich meine, was weiß ich schon über die Vorlieben und Abneigungen eines Maulwurfs?)
Trotzdem, zweiter Versuch:

Die Frösche […] hat er der Reihe nach aufgespießt […]. Wie er auch den Maulwurf aufgespießt hat, …

Was ja durchaus schlüssig klingt, allerdings nur so lange, bis ich zum folgenden Relativsatz komme:

…den er mit dem Spaten halbierte,

wo ich mir natürlich sofort denke: „Aufspießen und zerstückeln? Und dann vielleicht noch auf den Stückchen herumtrampeln? Geht’s noch?

Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass sich der Vergleich (Maulwurf steht immerhin im Akkusativ) eigentlich nur auf den weit vorne stehenden ersten Relativsatz („die er mit dem Haus kaufte“) beziehen kann, aber das erschließt sich eben nicht beim ersten Lesen.
Was ich sagen will: Wenn ich gleich in den ersten vier Zeilen einer Story syntaktisch dermaßen auf die Fresse fliege, suche ich in aller Regel die Schuld dafür nicht in meiner Einfältigkeit, sondern immer beim Autor. Immer!
In diesem Sinne, ich bitte um Entkomplizierung der betreffenden Stelle. :D

offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo liebe @wieselmaus,

danke für deinen Besuch und dein Auseinandersetzung mit dem Text.

ich kann es nicht glauben: Eine Stunde nach deinem Geburtstag hast du diesen Text ins Forum gestellt. Ich hab mich sowieso gewundert, dass du nach der Feierei die Kraft dazu gefunden hast. War es womöglich ein runder Geburtstag? Du wirst deine Gründe haben.
Der Text lag schon länger in der Schublade. Ich wollte ihn jetzt eh zeitnah veröffentlichen, hab das dann vorgezogen, weil ich wegen Aufgekratztheit nicht schlafen konnte und mir gesagt habe, komm mach´s einfach. That´s it. Gibt keinen tieferen Zusammenhang.

Oh je, hier ist nicht vom milden Altern und Sterben im Kreise der Lieben die Rede. Klar, der Vater wird medizinisch gut betreut, aber die Emotionen des Sohnes (?)liegen im Kälteschlaf.
Rein faktisch betrachtet ist das so. Bei der Suche nach Ursache und Wirkung, sollte dann der Blick auch zum Vater wandern. Hat er nicht die emotionale Kälte selbst durch seine Repressalien in die Beziehung gebracht?

Also ja, dass da keine Zuneigung vorhanden ist, kann ich nachvollziehen. Eigentlich ein Wunder, dass sein Sohn sich trotzdem um ihn kümmert. Ist aber auch ein schwieriges Terrain und wahrscheinlich gar nicht so selten.
Das meinte Novak auch, da hab ich ihr was zu geantwortet, ich pick das mal raus:
Der andere Punkt, der Umgang mit der Fürsorgepflicht, ist denke ich sehr abhängig von der persönlichen Konstitution und dem Gewissen. Da gibt es nichts Allgemeingültiges, manche nehme die an, manche geben die ab.
Es gibt genug Fälle, wo die Angehörigen den Pflegebedürftigen im Heim parken und vergessen. Wie gesagt, wenn jemand hilfebedürftig wird, werden die Karten neu gemischt. Da muss jeder entscheiden, wozu er bereit und in der Lage ist. Heißt für mich aber nicht, dass sich zwangsläufig die emotionale Konstellation ändert.

Deine Begründung dafür, dass der Text dieses zutiefst zerrüttette Verhältnis zeigt, kann ich akzeptieren. Ja, warum nicht einmal die traurigste Variante von Eltern-Kind-Beziehung zu schildern. Das ist dir in den unbarmherzigen Bildern über den körperlichen Zerfall sehr gut gelungen und hat mir Gänsehaut (nicht positiv besetzt!) beschert. Insofern hast du mich als Leserin sehr gut erreicht.
Authentizität hat halt immer ihren literarischen Wert.
Die traurigste Variante ist für mich ein endgültiges Zerwürfnis, mit dem folgenden Abbruch alle Kontakte (gibt es ja auch unter Geschwistern, das finde ich genauso gruselig). Das ist hier nicht gegeben, die Beziehung ist auf großer Distanz, aber es gibt sie.
Das was du als "unbarmherzige Bilder" bezeichnest, ist meinem Bestreben geschuldet, nüchtern darzustellen, was ist, ohne das durch Umschreibungen oder Schönschreiben abzufedern.

Peace, linktofink

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Hallo @Kellerkind,

schön, dass du wieder an Bord bist. ich hoffe, du hast die Folgen der Krise einigermaßen überstanden. Danke für deinen ehrlichen Kommentar.

Das ist ein ambitionierter Text. Du willst ein Gefühl dafür vermitteln, wie es sich für die Nachkommen anfühlt, in liebloser Atmosphäre aufwachsen zu müssen.
Das stimmt schon, ist aber nur ein Teil, denn es geht mir noch mehr um den Status Quo um das Jetzt. Und in diesem Jetzt verliert die Familie durch den Tod der Mutter den Anker und gerät in Schieflage. Das brückenschlagende Element fehlt dadurch und was bleibt, ist die Kluft.

Mir ist das einfach zu bedeutungsschwer inszeniert.
Ich denke, der Satz fasst deine Lesart gut zusammen, ich lese heraus: der Text will zu viel und dadurch kickt er dich raus, statt dich zu berühren. Du sagst ja auch "zu gut" geschrieben, dadurch kommt es bei dir zu einer Übersättigung.
Das wirft natürlich grundsätzlich die Frage nach der Rolle des Autors auf. Da gibt es mehrere Wege, sich als Autor zu positionieren. Stelle ich die Sprache nach vorne, die Handlung, die Figuren mit ihrer Gedankenwelt, oder wähle ich ein außergewöhnliches Setting, dem ich die Figuren aussetze? Je nach Schwerpunkt wird die Geschichte komplett anders erzählt.
Sprache ist mir persönlich immer wichtig. Ich spiele gerne damit, freue mich über gelungene Formulierungen und Bilder und mag es, wenn Sprache frisch ist. Die Gefahr dabei ist, sich als Autor mit seiner Sprache vor den Text zu schieben und damit das zu erreichen, was du beschreibst: Du erkennst die Konstruktion, das was der Text will und dadurch lässt er dich kalt. Einerseits schade, auch wenn das zunächst eine Einzelmeinung ist, denn die anderen Kritiken bezogen sich auf den Inhalt (zu schwarzweiß). Andererseits gibt mir das weiter zu denken, weil die Rolle des Autors auch in einigen älteren Threads hier im Forum diskutiert wird und ich mir da momentan viel Diskurs und Input reinziehe.

Danke für deine Lesart.
Peace, linktofink

 

Hallo @linktofink

Bei mir auf dem Tisch liegt ein Roman von John Burnside: Lügen über meinen Vater. (übrigens ein wirklich empfehlenswerter Autor, sprachlich virtuos). Tja, die Väter, ihre Grausamkeiten, was sie den Kindern (insbesondere den Jungs) unbedingt beibringen wollen, wie sie scheitern, überhaupt keinen Sinn darin sehen, sich mit Kindern zu beschäftigen. Was sie auch gar nicht interessiert, sozialisiert als Maschinenwesen, die ihr Aufgabe erfüllen müssen und alles andere für unmännlich halten und wenn's dann zu viele wird, kriegste eine gelangt, seelisch oder körperlich, je nachdem.

Da steckt eine Menge drin in dem Text, vieles auch, dass ich mir auserzählter gewünscht hätte. Weil's ein schwieriges Thema ist. Trotzdem; fein gezeichnet, sprachlich dem Sujet gewachsen. Hier ist ja gern mal von "gern gelesen" die Rede. Ich hab's nicht gern gelesen. Ist auch kein objektives Kriterium. Wegen des Themas, das mit selbst zu schaffen macht. Ich habe aber eine ausgezeichneten Text gelesen. Und das ist schon viel.

Paar Stellen:

wegen der Wasserschildkröte, die er jahrelang mit aufgetauten Shrimps fütterte.
aufgetaut bräuchte es nicht mMn

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.
sehr passendes Bild

Er ist im Wasser, die Brille mit Schnorchel auf der Stirn, mit den sehnigen Armen stützt er sich aufs Ufer. Gerne wäre er jemand Bedeutsames, ein Jacques Cousteau vielleicht. Er würde das Steuerrad der Calypso halten und die Klasse mit zwei Fingern an der roten Mütze grüßen.
mm, schwierig, wer erinnert sich schon an Jacques Cousteau? Ich glaube, Anspielungen auf bekannte Personen taugen eher was, wenn man sicher sein kann, dass eine große Mehrheit den Vergleich versteht.

Ohne das Gebiss hängt der Mund an Falten, bildet eine trockengefallene Grotte, an deren Kanten der Atem vorbeikratzt, rhythmisch wie Meeresbrandung.
:Pfeif:

Es riecht nach Nelken, Spritzgebäck und kaltem Tier.
ich weiß nicht wie kaltes Tier riechen soll

Auf dem gebräunten Handrücken ist eine wunde Stelle. Alter Lack reißt leicht. Wächsernes Pergament auch. Verbrauchte Haut eines Sonnenanbeters.
auch eine schöne Passage

Ihre Asche liegt im Morgenschatten einer alten Eiche. Wir sind sicher, es gefällt ihr dort unter dem Blätterdach wie auch uns, den Schattengeborenen.
und noch eine

Draußen auf dem Weg ziehe ich die Tür ins Schloss und merke beim leisen Klick, wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt.
auch das Schlussbild ist sehr aussagekräftig, obwohl es die Neigung des Hauses (und die Assoziation zum Schiefen Turm von Pisa) nicht unbedingt bräuchte.

Liebe Grüße aus der Gewitternacht
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Achillus,

schön, dass du nach deiner längeren Pause bei mir vorbeischaust. Hoffe, du hast es halbwegs unbeschadet durch die Frühjahrs-Krise geschafft.

in vielerlei Hinsicht ein guter Text, finde ich. Das Thema dieses Familienkonflikts ist gesellschaftlich relevant. Die halbierten Maulwürfe zeigen das Grausame in der kleinbürgerlichen Normalität, und auch viele andere Deiner Bilder passen, charakterisieren die Figur des Vaters durch kleine Gesten. Sprachlich ist das gut durchgearbeitet.
schön zu lesen, ein Pluspunkt auf der Habenseite, das sprachliche Lob freut mich sehr, weil es da auch andere Stimmen gibt.

Meine Kritik setzt da an, wo der Text schweigt. Was sagt das Ganze? Wo ist die Haltung des Textes? Aspekte eines falsch geführten Lebens (zumindest in der Hinsicht der Elternschaft) lediglich aufzuzählen, ist mir zu wenig.
Ich sehe da zwei Themen, die nicht auserzählt werden, aber schon deutlich ablesbar sind. Der Text beschreibt die Situation am Lebensende, wenn durch die Hilfebedürftigkeit der Eltern das statische Gefüge der Positionen, die man zueinander gefunden hat, schwankt. Hier heißt das, es gab Verletzungen und ungelöste Konflikte, und jetzt wo sich die Verantwortung füreinander umdreht, wo zwangsläufig wieder mehr räumliche und zeitliche Nähe hergestellt wird, kommen die erneut ans Tageslicht - ohne dass dadurch emotionale Nähe entsteht, denn dafür sind die Narben zu groß.
Der zweite Punkt ist das Elternverhältnis. In der Generation meiner Eltern sind es oft die Mütter, die die Familien zusammenhalten, während die Väter am Nachwuchs gar nicht übermäßig interessiert sind. Mütter waren idR Hausfrauen und Väter idR oft wenig zuhause, das erklärt es aber nicht alleine. Da spielt auch die Prägung auf patriarchale Strukturen auf die Nützlichkeit für das System rein. Aber da will ich gar nicht hin. Was ich hier zeigen möchte, ist, wie durch den Wegfall der Mutter dieses Gebilde ausgehöhlt wird und sich die scheinbare Stabilität des Konstrukts auflöst.

Aber wenn ich diese Art von Generationskritiken lese, denke ich häufig, dass das ein bisschen wohlfeil ist. Die schlimmen Eltern. Auch eine bequeme Art, das eigene Versagen zu rechtfertigen, ohne sich selbst hinterfragen zu müssen.
Ja, das kann so sein, das kann als bequeme Rechtfertigung herhalten für eigenes Fehlverhalten (von Versagen will ich gar nicht reden). Eine Verlagerung der Verantwortung für das eigene Tun. Aus genau dem Grund habe ich mich bemüht, jegliches Lamento und explizite Vorwürfe aus dem Text rauszuhalten und mehr zu beschreiben, was ist und den Rest zwischen den Zeilen zu erzählen.

Und auch ein anderer Punkt ist zu bedenken. Der Mangel an elterlicher Zuneigung und dessen Konsequenzen ist in Literatur und Film ein breit ausgewalztes Thema. Wie wäre es einmal mit der anderen Seite des Spektrums?
Wie viel Schaden richten Eltern an, die ihre Kindern durch einen Mangel an Strenge (ein Mangel an Grenzen und Regeln) zu kleinen Tyrannen deformieren, die später erwachsene Tyrannen werden?
Okay, die diametrale Sichtweise hat sicherlich ihre Berechtigung, nur denke ich, dass die Schwere der Deformation durch schwarze Pädagogik im Vergleich zur fehlenden Vermittlung von Regeln ungleich größer ist. Hat Laissez faire nicht auch einen Ursprung in der Ablehnung schwarzer Pädagogik und der Verunsicherung bei der Suche nach anderen Wegen?

Danke für deinen Kommentar und deine Gedanken zu dem Text.
Peace, linktofink

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Hey @ernst offshore,

Wenn ich gleich in den ersten vier Zeilen einer Story syntaktisch dermaßen auf die Fresse fliege, suche ich in aller Regel die Schuld dafür nicht in meiner Einfältigkeit, sondern immer beim Autor. Immer!
Asche auf mein Haupt, lieber offshore, es liegt an der Einfältigkeit des Autors. Iwie hab ich gedacht, ich komme damit durch (welch eine fatale Unterschätzung der WKrieger) und winde mich beim Lesen gerade vor der Tastatur, weil du natürlich recht hast. Aber ich winde mich auch vor Lachen, denn das hier:
auch den Maulwurf störte das Geräusch der Frösche.
finde ich eine zauberhafte Vorstellung … - in einem anderen Text. :D
Und auch die Vorstellung:
Aufspießen und zerstückeln? Und dann vielleicht noch auf den Stückchen herumtrampeln? Geht’s noch?
fand ich hinreißend zusammengestellt, wenn auch etwas martialisch.

Lange Rede, kurzer Sinn, lieber offshore, ich hab das natürlich umgehend geändert.
Danke und schönen Sonntag von Köln nach Wien.
Peace, linktofink

 

Hallo @linktofink :-)

Ich wollte schon vor ein paar Tagen Deine Geschichte kommentieren. Aber gerade bei dem Thema lasse ich mir etwas Zeit, denn für mich ist es ein Text, der ins Große greift. Existenz. Der Vater in der Pflege, Sondennahrung, die Erinnerungen, die mal emotional wirken, dann nicht, neue Eindrücke vom unweigerlich biologischen Zerfall und die vielen kleinen Mittel von Medizin und Pflege. Und vielleicht auch das merkwürdig Fremde von Zeitgeschichte - Zonenrandgebiet, wer kann sich das vorstellen? Anno 2020? Das sind sehr große Themen, ohne dass dein Text ins Pathos greift. Pathos hat ja immer was von einer, komischer Vergleich, ausgeschabten Avocado. Hülle, mehr nicht. Für mich eine Stärke deines Textes, dass dieser Pathos fehlt, die - ha ha - Avocado ist voll. Oder teil-gelöffelt.

Ich glaube, die Kritik an deiner Sprache - die ich nicht gänzlich teile - richtet sich im Kern an einer "Vereinzelung" deiner Eindrücke. Alles, was ich als Leser erfahre, ist vom Vater-Tochter/Sohn/Geschwister (mir war das nicht ganz klar, ist aber auch nicht relevant, es geht hier nur um die Beziehung des Vaters auf seine Kinder, ob das eine Tochter, Sohn ist, egal) - Verhältnis durchdrungen. Die Interpretationen des Ich-Erzählers reflektieren die Beziehung. Das ist nicht einfach, da man als Leser schnell nur das Plastische sieht, die Substantive und Adjektive und sich dann fragt: Häh, Jacques Costeau und jetzt Hof neu? (glaube mir: Ich kenne das Gefühl des verlorenen Lesers ausgesprochen gut :-D). So entstehen Inseln von Eindrücken und es fehlt "die Fähre dazwischen". Möglicherweise könntest du dem entgegnen, wenn du weniger einen Eindruck bildest als eine Handlung, eine Funktion, Verben statt Nomen, weniger Info und die Frage, wie väterliche Macht ausgeübt wird. Aber das ist deine Entscheidung. Ich bin, rein subjektiv, gegenüber Texten voller Eindrücke positiv eingestellt, ich lese so etwas gerne.

Das, was deinen Text aber auszeichnet, ist meiner Meinung nach die Macht. Die Macht des Vaters. Dazu gleich mehr. Ich lese deine Texte gerne, weil sie einen Weg weg von "atomistischer Reduktion" gehen und erahnen lassen, was Sprache kann. Bin ich dem Pathos verfallen? Hoffentlich nicht :-D

Der Sonnenschirm wirft einen scharfen Schatten auf den Rasen. Dort steht der Pflegerollstuhl, in dem er tagsüber kauert. Seine Lieblingsstelle am Seerosenteich – wegen der Wasserschildkröte, die er jahrelang mit aufgetauten Shrimps fütterte. Die Frösche, die er mit dem Haus kaufte, hat er der Reihe nach aufgespießt, weil ihn das Geräusch störte. Auf die Nachfragen der Nachbarn hin antwortete er, Frösche habe er hier noch nicht zu Gesicht bekommen. Und auch mit dem Maulwurf wartete er, bis die Türen der Nachbarhäuser geschlossen waren, bevor er ihn mir dem Spaten halbierte.

Sympathisch ist der Kerl nicht. Er lügt und er plant seine Taten (der Reihe nach aufgespießt!). Ich finde es schade, dass zwischen der "Lieblingsstelle" und dem "Frösche aufgespießt" eine Wasserschildkröte gefüttert wird. Oder sie wird mit besonderen Shrimps gefüttert. Da ist ein Mensch, der entscheidet, was das Gute und was das Schlechte ist. Und das Schlechte wird getötet. Punkt. Ein bisschen was von einem Patriarchen, er ist für dich da, aber wehe, du verhältst dich anders. Ist ja auch ein "schönes", ein ausgezeichnetes Bild: Der eigene Besitz, Seerosen blühen und da steht ein Pflegerollstuhl. So habe ich das zumindest gelesen.

Schon von der Terrasse aus höre ich sein Schnarchen. Er tut kaum noch etwas anderes. Ich weiß, ab und an wird es unterbrochen von Aussetzern. Schlafapnoe, bis zu einer Minute. Dann herrscht die Ruhe, die ihm so wichtig war.
Wir mussten still sein, jeder für sich in seinem Zimmer. Schon wenn wir von der Schule kamen, sagte Mutter: »Leise, Papa geht's heute nicht ...«

Ich habe mehrfach den fetten Satz gelesen und ich lese jetzt eine gewisse Gehässigkeit, einen Groll des Kindes gegen den Vater. Auch das, ein riesiges, riesiges Thema. Ausgerechnet der Atemstillstand soll des Vaters erwünschte Ruhe sein. Andererseits führt Schlafapnoe meist zum Aufwachen: Sauerstoffgehalt sinkt, Notfallzentrum im Hirn an. Vielleicht kannst du hier ein, zwei Sätze einbauen, die das Aufrappeln und Aufwachen des Vaters zeigen. Das bisschen Leben, das ist jetzt ein Aufwecken durch eine physiologische Notfallreaktion.

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.

Das ist Macht. Aber eine Macht, die nichts mit der physischen Präsenz des Vaters zu tun hat, die immer da ist. Der Satz ist hier kritisiert worden, ich finde ihn gut. Ich finde diese Richtung sehr gut, diese Macht des Vaters über das des Kindes. Das kann man nicht mit Fingern zeigen, es muss um allgemeine Merkmale von Wahrnehmung gehen, Licht, Schatten, Unergründliches, Hintergründiges, um noch eines draufzusetzen: Transzendentes!

Der Vater ist mächtig. Sehr mächtig. Er sitzt im Rollstuhl, er kriegt Sondennahrung und schnarcht vor Seerosen, aber das rüttelt, mMn, nicht an seiner Macht über den Ich-Erzähler. Ganz im Gegenteil, diese ganzen Interpretation, was der Vater gerne wäre, beweisen meiner Ansicht nach die emotionale Kontrolle über Erinnerungen, über das Verhalten von Sohn oder Tochter. Achtung, hier wurde psychologisiert!

Die Flossen liegen hinten auf der Ablage des Renault, das schwarze Gummi ist weich vor Hitze. Auf dem Weg zurück verbrenne ich mir die Füße und versuche, von Grasbüschel zu Grasbüschel zu springen. Er ist im Wasser, die Brille mit Schnorchel auf der Stirn, mit den sehnigen Armen stützt er sich aufs Ufer. Gerne wäre er jemand Bedeutsames, ein Jacques Cousteau vielleicht. Er würde das Steuerrad der Calypso halten und die Klasse mit zwei Fingern an der roten Mütze grüßen.
Halb fallen mir die Flossen aus der Hand, halb werfe ich sie vor ihn hin. Ich entschuldige mich nicht, halte die Füße ins kühle Flusswasser. Er schaut mich länger an, in seinem Blick liegt Überraschung über das, was er in dem meinen sieht.

Der fette Satz, der gefällt mir richtig gut. Syntax und einfache Worte, zack, Syntax, du bist es!

Wenn er schläft, nehmen sie ihm die unteren Zähne raus, sie könnten in den Hals rutschen.

Hm, aber das Tragen einer Zahnprothese über Nacht ist schlicht und ergreifend ungesund: Soor, Parotitis, Druckstellen, Prothesen sind eben Infektionsherde. Der Pflegedienst des Vaters sollte das wissen. Hoffe ich zumindest. Falls sie das machen. Anderes Thema.

Ohne das Gebiss hängt der Mund an Falten, bildet eine trockengefallene Grotte, an deren Kanten der Atem vorbeikratzt, rhythmisch wie Meeresbrandung.

Schöne Stelle!

Weihnachten, sein Auftritt in der Küche. Es gibt entweder Hasenbraten oder Pute, gefüllt mit gezwiebelten und bekräuterten Innereien, bis es dem Tier zum Hals herauskommt. Gelernt ist gelernt. Kinderlandverschickung. Ihn verschlug es auf den Bauernhof entfernter Verwandter. Weißenborn, nach dem Krieg auf Spuckweite zu den Sowjets, dann Anfang der Neunziger plötzlich Mitte der Republik. Im Krieg ein Hof neu mit Strom, doch ohne Toilette, dafür mit Viechern und einer Tante, die beim Melken von der Kuh zerdrückt wurde.
Mit dem Arm geht er hinein und stopft, grimmig, wie er es bei den Bauersleuten abgeschaut hat. Ein anderes Weihnachten hängt er einen ganzen Schinken über den Esstisch und schneidet mit einem großen Messer Stücke aus dem Fleisch. Er will uns zeigen, sagt er, wie die Eskimos das tun, beißt hinein und schneidet knapp vor den Lippen. Dann tropfte Blut, die Zunge war zu flink. Wortlos geht er hinaus.
Auf dem Adventskranz flackern vier Kerzen. Rot, wie ewige Lichter. Es riecht nach Nelken, Spritzgebäck und kaltem Tier.

Im Grunde die einzige Erinnerung, die erklären könnte, warum der Vater so ist, wie er ist. Du erzählst sehr schnell, die Ereignisse wirken beliebig, vielleicht sollen sie das auch: Gestern Randzone, heute Mitte der Republik. "Ein Hof neu mit Strom" hat mir gut gefallen, klingt nach Supermarkt und nach Zufall. Letzteres überwiegt. Interessant aber ist die Reaktion des Vaters, als er sich die Zunge schneidet. Kann er den Anblick vor den Kindern nicht ertragen? Dass er etwas nicht kann? Etwas nicht schafft? Selbstbild, Fremdbild. Der große starke Mann, aber alles nur ein Bild, wie er glaubt, sein zu müssen, sein zu wollen. Das ist ein spannendes Feld, vielleicht kann man das stärker herausschreiben.

Wer ist uns?

'Er meint das nicht so', heute wie damals gemurmelte Familientradition, solange er es nicht hört. Meine Mutter, die mir Tränen wegwischt. Mutter, die nicht mehr ist. Meine Wange pocht, ich habe mir den Abdruck im Spiegel der Toilette angeschaut. Tatsächlich kann man trotz der Schwellung der rechten Wange die einzelnen Finger sehen. Linkshänder. Nur wenige Male werde ich so direkt erlöst, meist geht es nicht so schnell. Oft schweigt er tagelang und wenn er redet, erzählt er von der Schule, von den patenten Schülern, mit denen er Theater spielen kann.

Zu Beginn des Kommentars habe ich geschrieben, dass die Kritik gegen deine Sprache von "Vereinzelungen" lebt, dass - haha - die Fähre fehlt. Hier sehe ich eine mögliche Alternative: Der Vater ist Linkshänder. Er wird Gewalt in der Schule erlebt haben, er wird umerzogen worden sein. Links ist böse, rechts ist gut. Vielleicht ein ganz anderes Thema, aber ein Thema, das meiner Ansicht nach viel erschließt: Die Erfahrung von Gewalt gegen mich wird zur Anwendung von Gewalt gegen andere. Dazu ein zeithistorischer Kontext. Mag sein, dass die Sowjets hinter dem Hügel standen, aber das hielt 40 Jahre lang. Da passt man sich an. Aber jeden verdammten Schultag Angst empfinden, von Kindern gehänselt werden, miese Schrift, die Disziplin, rechts schreiben zu müssen - das hat eine größere Dimension, denke ich. Heute ist Linkshändigkeit normal, in den 50er, 60ern eben nicht und das "eben nicht" wirkt so irre absurd auf uns. Aber in emotionalen Situationen wirkt die alte Händigkeit, es wird mit links geschlagen.

Für mich ist diese Stelle zentral, weil sie die Haltung des Vaters gegenüber der Mutter einordnet. Er wirkt absolut kalt, aber - glaubt er nur, so sein zu müssen oder sieht es im Inneren ganz anders aus? Ein Mensch, der sich fremd geworden ist. Es wäre bitter, denn nicht mal die eigenen Kinder erkennen die emotionale Verarbeitung des Vaters. Das wäre, zum Ende eines Lebens, eine grauenvolle Botschaft. Er kann nicht anders. Schattengeborene eben.

Alter Lack reißt leicht. Wächsernes Pergament auch. Verbrauchte Haut eines Sonnenanbeters.

Toller Satz! Alter Lack reißt leicht!

'Die hat sich aus dem Staub gemacht', sagt er und ich versuche, mir zu sagen, dass er das so nicht meint. Doch ich glaube mir nicht. Bei seinen Papieren im Keller habe ich eine alte Notiz gefunden. Auf dem Blatt steht: 'Aufgeben ist wie verlieren, nur schlimmer.' Da war der Parkinson in den Anfängen, heute hat die Krankheit ihn im Griff. Er hält dagegen und obwohl er nicht gewinnen kann, kaut er sich wortkarg durch sein ledriges Leben, kein Mensch weiß, wofür.

Noch ein toller Satz (oder besser: Satztteil!)

Die Nahrung ist durchgelaufen, die Pflegerin wechselt zu Tee. Ich nicke ihr zu, wende mich ab und gehe über die Terrasse durch den Flur hinaus. Draußen auf dem Weg ziehe ich die Tür ins Schloss und merke beim leisen Klick, wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt.

Ein starkes Bild.

***

So. Das war's!

Lg aus Leipzig
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims,

schön, dass du die Zeit für einen Kommentar zu meinem Text gefunden hast.

die Väter, ihre Grausamkeiten, was sie den Kindern (insbesondere den Jungs) unbedingt beibringen wollen, wie sie scheitern, überhaupt keinen Sinn darin sehen, sich mit Kindern zu beschäftigen. Was sie auch gar nicht interessiert, sozialisiert als Maschinenwesen, die ihr Aufgabe erfüllen müssen und alles andere für unmännlich halten und wenn's dann zu viele wird, kriegste eine gelangt, seelisch oder körperlich, je nachdem.
Schwarze Pädagogik par excellence. Kommt auf die Leseliste. Besonders dieses Weiterreichen der erlernten Grausamkeiten an die eigenen Kinder beschrieb auch Alice Miller sehr treffend schon Ende der 70er in "Du sollst nicht merken".

Da steckt eine Menge drin in dem Text, vieles auch, dass ich mir auserzählter gewünscht hätte. Weil's ein schwieriges Thema ist. Trotzdem; fein gezeichnet, sprachlich dem Sujet gewachsen. Hier ist ja gern mal von "gern gelesen" die Rede. Ich hab's nicht gern gelesen. Ist auch kein objektives Kriterium. Wegen des Themas, das mit selbst zu schaffen macht. Ich habe aber eine ausgezeichneten Text gelesen. Und das ist schon viel.
Danke, Ise, freut mich, dass du das so siehst. Ja, weiter ausholen und auserzählen wäre an manchen Stellen ev. bereichernd. Ich überlege noch, ob der Text das braucht.

wegen der Wasserschildkröte, die er jahrelang mit aufgetauten Shrimps fütterte.
aufgetaut bräuchte es nicht mMn
Das zeigt für mich das planvolle Handeln, er kauft und bevorratet die Nahrung für das "gute" Tier, taut sie bei Bedarf auf. Und ebenso planvoll und ohne Zögern vernichtet er die "schlechten", störenden Tiere.

Dann wussten wir, so gut der Tag bis dahin gewesen sein mochte, wenn wir nicht aufpassten, würde er mit schattigen Fingern nach uns greifen.
sehr passendes Bild
Ja, mir gefällt das auch und nach den Ausführungen von kiroly lasse ich das so stehen.

schwierig, wer erinnert sich schon an Jacques Cousteau? Ich glaube, Anspielungen auf bekannte Personen taugen eher was, wenn man sicher sein kann, dass eine große Mehrheit den Vergleich versteht.
Es geht um ein Ereignis, das ich in den Achtzigern verorten würde. Dazu muss doch der zeitgeschichtliche Bezug passen, egal, ob junge Leser 2020 das noch wechseln können.

Es riecht nach Nelken, Spritzgebäck und kaltem Tier.
ich weiß nicht wie kaltes Tier riechen soll
Nun ja, wir reden ja vom Stopfen des Weihnachtsbratens. Gekühltes Fleisch hat einen unverwechselbaren Eigengeruch. Der war gemeint.

auch das Schlussbild ist sehr aussagekräftig, obwohl es die Neigung des Hauses (und die Assoziation zum Schiefen Turm von Pisa) nicht unbedingt bräuchte.
Die Turm-Assoziation hatte ich nicht, bei mir kam sowas hoch wie Häuser, die nach einem Hangrutsch oder Küstenabbruch ins Rutschen kommen.

Grüße zurück ohne Gewitter, Peace, linktofink

 
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Hallo @linktofink

Die Flossen liegen hinten auf der Ablage des Renault, das schwarze Gummi ist weich vor Hitze. Auf dem Weg zurück verbrenne ich mir die Füße und versuche, von Grasbüschel zu Grasbüschel zu springen. Er ist im Wasser, die Brille mit Schnorchel auf der Stirn, mit den sehnigen Armen stützt er sich aufs Ufer. Gerne wäre er jemand Bedeutsames, ein Jacques Cousteau vielleicht. Er würde das Steuerrad der Calypso halten und die Klasse mit zwei Fingern an der roten Mütze grüßen.
Halb fallen mir die Flossen aus der Hand, halb werfe ich sie vor ihn hin. Ich entschuldige mich nicht, halte die Füße ins kühle Flusswasser. Er schaut mich länger an, in seinem Blick liegt Überraschung über das, was er in dem meinen sieht.
Das ist hammerstark! Nicht nur sprachlich, sondern auch wegen der, sagen wir mal, psychologischen Dosierung. Solche Szenen brennen sich sehr viel stärker ein als die üblichen Epsioden physischer Gewalt. Das ist richtig gut gemacht!
Dann herrscht die Ruhe, die ihm so wichtig war.
Seit ich das beobachtet habe, kann ich es durch die Schuhe sehen.
Er will uns zeigen, sagt er, wie die Eskimos das tun, beißt hinein und schneidet knapp vor den Lippen. Dann tropfte Blut, die Zunge war zu flink. Wortlos geht er hinaus.
Weitere Highlights! Ich finde, du triffst in dieser Geschichte einen ausgesprochen guten Ton
Und auch mit dem Maulwurf wartete er
Hier könnte man das "Und" welgassen, finde ich.
wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt.
Sehr schön. Ich möchte aber jetzt gerne noch lesen, wie es fällt!

Alte Leier, ich weiss, und dann noch in dieselbe Kerbe gehaut wie einige, die vor mir kommentiert haben. Mir wurde hier ein paar Mal unter eine Geschichte geschrieben, ich solle einen Roman daraus machen, oder es wurde zumindest: Länger, viel länger! gerufen. Hat mich manchmal gestresst, insgesamt aber motiviert. Daher rufe ich dir auch mal ganz unbeschwert zu, dass ich finde, dass du das Zeug dazu hättest. Jetzt musst du schauen, was du damit anfangen willst.
Es muss ja auch nicht dieser Text hier sein. Aber es könnte dieser Text sein. Für mich liest sich das nämlich eher wie eine Art Exposition. Natürlich müsste der Tonfall dann auch mal wechseln, einen Gang zurückschalten, wenn es um andere Dinge geht, weil es sonst vielleicht zu anstrengend wird. Aber danach wieder mit dieser Intensität fortfahren, ja, das wäre was. Deine Prämissen, die du in der Antwort auf Achillus offenlegst, finde ich sehr gut, aber das wird vom Text ein Stück weit nur angerissen, beinahe bloss behauptet (nicht im üblichen Sinne, wie wir das hier manchmal verwenden, um Show vom Tell abzugrenzen). Was mich jetzt interessieren würde, ist, wie das aussieht, dieses sich neigende Haus, das sich neigende Leben des Vaters und wie der Sohn darauf reagiert. Müsste keine Pflegegeschichte werden. Könnte auch noch mehr in die Vergangenheit gehen (mit noch viel mehr weichem schwarzen Gummi und ähnlichen Szenen). Könnte den Vater in weiteren, auch hellen Schattierungen zeigen. Könnte ein Krimi daraus werden. Was ich sagen will: Nach der Lektüre war ich inhaltlich ein klein wenig enttäuscht, gerade weil ich von Sprache und Gestaltung so angetan bin.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hey @kiroly,
sorry, hat gedauert, unter der Woche bleibt meist keine Zeit. Erst mal Danke für deinen tollen Kommentar.

Das sind sehr große Themen, ohne dass dein Text ins Pathos greift.
Pathos würde auch nicht zu der Konstellation passen, die ich beschreibe, deshalb habe ich alles Rührseelige aus dem Text verbannt. In den Rückblenden scheint das noch ein wenig durch, aber es sind erinnerte Gefühle.

So entstehen Inseln von Eindrücken und es fehlt "die Fähre dazwischen". Möglicherweise könntest du dem entgegnen, wenn du weniger einen Eindruck bildest als eine Handlung, eine Funktion, Verben statt Nomen, weniger Info und die Frage, wie väterliche Macht ausgeübt wird. Aber das ist deine Entscheidung. Ich bin, rein subjektiv, gegenüber Texten voller Eindrücke positiv eingestellt, ich lese so etwas gerne.
Ich mache das oft so, dass ich nicht stringent erzähle, sondern das Bild aus vielen Komponenten zusammensetze, wie in Big Little Homes oder dem Chamäleon. Klar, da sind Sprünge drin, aber die gibt es in meinem Denken auch und gerade wenn es um Beobachtungen geht, die Erinnerungen pushen, da brauche ich keine Fähre im Sinne einer stärkere Rahmenhandlung.
Als Rückmeldung ist mir das wichtig, das geht in Richtung Grundsatzfrage. Ich hab da keine fixe Position, weiß auch gar nicht, ob ich die haben will, das ist alles im Prozess.

Das, was deinen Text aber auszeichnet, ist meiner Meinung nach die Macht. Die Macht des Vaters. (…)
Da ist ein Mensch, der entscheidet, was das Gute und was das Schlechte ist. Und das Schlechte wird getötet. Punkt. Ein bisschen was von einem Patriarchen, er ist für dich da, aber wehe, du verhältst dich anders. Ist ja auch ein "schönes", ein ausgezeichnetes Bild: Der eigene Besitz, Seerosen blühen und da steht ein Pflegerollstuhl. So habe ich das zumindest gelesen.
Vielleicht ist die Macht, die ihm immer noch anhaftet, auf diesem binären Weltbild gegründet, Wertschätzung und Verachtung, berechenbare Reaktionen in klaren Koordinaten. Da findet eine dauerhafte Prägung statt. Wäre eine Erklärung. Du schreibst ja selbst später über emotionale Kontrolle:
Der Vater ist mächtig. Sehr mächtig. Er sitzt im Rollstuhl, er kriegt Sondennahrung und schnarcht vor Seerosen, aber das rüttelt, mMn, nicht an seiner Macht über den Ich-Erzähler. Ganz im Gegenteil, diese ganzen Interpretation, was der Vater gerne wäre, beweisen meiner Ansicht nach die emotionale Kontrolle über Erinnerungen, über das Verhalten von Sohn oder Tochter.
Und ich denke, das trifft zu, durch die zugefügten Verletzungen, durch den Rückschnitt durch autoritäre Methoden hat sich da was etabliert, das ihn auch jetzt noch mächtig scheinen lässt.

Ich habe mehrfach den fetten Satz gelesen und ich lese jetzt eine gewisse Gehässigkeit, einen Groll des Kindes gegen den Vater. Auch das, ein riesiges, riesiges Thema. Ausgerechnet der Atemstillstand soll des Vaters erwünschte Ruhe sein.
Ja, da war die Gelegenheit, etwas unterzubringen, einen auch nach Jahrzehnten noch bestehenden Groll, ohne es auszusprechen. Ich brauche das auch als Aufhänger für die kurze Rückschau.
ps. weiß aus sicherer Quelle: Apnoe führt nicht automatisch zum Aufwachen.

"Ein Hof neu mit Strom" hat mir gut gefallen, klingt nach Supermarkt und nach Zufall.
Tatsächlich wurde die Elektrifizierung auf dem Land überwiegend in den Dreißigern des letzten Jahrhunderts betrieben, deshalb neu mit Strom.

Interessant aber ist die Reaktion des Vaters, als er sich die Zunge schneidet. Kann er den Anblick vor den Kindern nicht ertragen? Dass er etwas nicht kann? Etwas nicht schafft? Selbstbild, Fremdbild. Der große starke Mann, aber alles nur ein Bild, wie er glaubt, sein zu müssen, sein zu wollen. Das ist ein spannendes Feld, vielleicht kann man das stärker herausschreiben.
Streng genommen ist das, was passiert ist ja ein Fehler, und den kann er nicht offen zugeben, nur überspielen oder aus der Situation rausgehen. Bilder, die gewahrt werden müssen, da hast du recht, ergiebiges Thema.

Wer ist uns?
die Geschwister und in gewisser Weise auch die Mutter, das sind die Schattengeborenen.

Zu Beginn des Kommentars habe ich geschrieben, dass die Kritik gegen deine Sprache von "Vereinzelungen" lebt, dass - haha - die Fähre fehlt. Hier sehe ich eine mögliche Alternative: Der Vater ist Linkshänder. Er wird Gewalt in der Schule erlebt haben, er wird umerzogen worden sein. Links ist böse, rechts ist gut. Vielleicht ein ganz anderes Thema, aber ein Thema, das meiner Ansicht nach viel erschließt: Die Erfahrung von Gewalt gegen mich wird zur Anwendung von Gewalt gegen andere. Dazu ein zeithistorischer Kontext. Mag sein, dass die Sowjets hinter dem Hügel standen, aber das hielt 40 Jahre lang. Da passt man sich an. Aber jeden verdammten Schultag Angst empfinden, von Kindern gehänselt werden, miese Schrift, die Disziplin, rechts schreiben zu müssen - das hat eine größere Dimension, denke ich. Heute ist Linkshändigkeit normal, in den 50er, 60ern eben nicht und das "eben nicht" wirkt so irre absurd auf uns. Aber in emotionalen Situationen wirkt die alte Händigkeit, es wird mit links geschlagen.
Das geht rein in die Frage warum der Vater so ist wie er ist, das Weiterreichen erlebter Gewalt, eigene Demütigungen, Züchtigung in faschistoiden Strukturen, warum ist er so geworden und andere nicht, etc.. Ich glaube nicht, dass ich da hin will, das so tief zu beleuchten und eine Linkshändergeschichte zu erzählen. Ich denke, mir reicht, das so zu nehmen wie es ist und vielleicht noch den ein oder anderen Hinweis auf die Genese einzustreuen.

Für mich ist diese Stelle zentral, weil sie die Haltung des Vaters gegenüber der Mutter einordnet. Er wirkt absolut kalt, aber - glaubt er nur, so sein zu müssen oder sieht es im Inneren ganz anders aus? Ein Mensch, der sich fremd geworden ist. Es wäre bitter, denn nicht mal die eigenen Kinder erkennen die emotionale Verarbeitung des Vaters. Das wäre, zum Ende eines Lebens, eine grauenvolle Botschaft. Er kann nicht anders. Schattengeborene eben.
Vielleicht ist auch das eine Frage von Macht? Macht ist ja oft gekoppelt mit starkem Narzismus. Wie kann sie mich alleine lassen, wo es mir so schlecht geht.

Vielen Dank für das Anführen der Textstellen, die dir besonders gefallen haben. Ich habe jede einzelne Erwähnung gerne gelesen.
Schönen Sonntag noch. Peace, linktofink

 
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Hola @linktofink,

Dein Text ist keine leichte Kost; das war wohl auch der Grund, bislang einen Bogen drumrum zu machen. Du hast mir aber gute Tipps zu meiner KG gegeben, sodass ich mich nun doch genötigt fühle, mich zu revanchieren.

Zuvörderst sage ich, dass mir der Text wie ein Kraftpaket erscheint. Da ist richtig Wumms dahinter, sehr intensiv. Dass mancher Leser – so wie ich – an gewissen Stellen innehält, weil er etwas nicht wie gewohnt zügig überlesen kann, hängt damit zusammen. Als Beispiel die schattigen Finger. Eigentlich eine klare Sache, andrerseits doch schräg (mMn). Aber kreativ auf jeden Fall.

... für mich das planvolle Handeln, er kauft und bevorratet die Nahrung für das "gute" Tier, taut sie bei Bedarf auf. Und ebenso planvoll und ohne Zögern vernichtet er die "schlechten", störenden Tiere.
...für mich nicht unbedingt Merkmal planvollen Handelns. Das geht genauso gut mit bloßem Instinkt, aus dem Bauch heraus. Der Kopf kann bei solchem Tun geschont werden.

Alter Lack reißt leicht. Wächsernes Pergament auch. Verbrauchte Haut eines Sonnenanbeters.
Überbordende Kreativität. Zwei darlings könnten eliminiert werden (besonders wächsernes Pergament = weißer Schimmel), aber auch ‚verbraucht’ ist unnötig – Sonnenanbeter-Haut ist völlig ausreichend, mMn.*)

Auf jeden Fall ist dieser Text wieder ein Baustein für Dein literarisches Haus. Fabelhafte Kombi, Handwerker und Architekt in einem zu sein, nicht? Deine Bandbreite beeindruckt mich immer wieder.

linktofink schrieb:
Schwarze Pädagogik par excellence. Besonders dieses Weiterreichen der erlernten Grausamkeiten an die eigenen Kinder beschrieb ...
Mancheiner jedoch hat’s bewusst nicht so gemacht wie sein Alter, hat’s nicht weitergereicht, sondern seine Kinder liebevoll korrekt erzogen, weil er wusste ...
Man könnte viel zum Inhalt sagen. Ich habe jedoch eingesehen, dass alle Varianten des Miteinanderumgehens denkbar sind, dass bei solchen Schilderungen nicht wie beim Krimi erörtert werden soll, ob das passt und logisch ist, weil gerade Logik (oft verwechselt mit Berechnung) und menschliches Verhalten ein ungleiches Paar sind.

Du schreibst brutal-realistisch, und in Bezug auf die Generation des Vaters treffend. Die ‚Wir-müssen-reden’-Väter steckten noch in den Windeln.

Die Sohn-Generation reagierte sehr unterschiedlich. Hier ist Dein Text; könnte mir aber auch vorstellen, dass es vielleicht am Teich eine Szene gäbe, bei der der Sohn dem Alten im Rollstuhl ein Kissen unterschiebt, seine Hand einen Moment auf dessen Schulter legt und ihm mit einem Tempo den Mund oder die Stirn oder beides wischt. Du schreibst an wieselmaus:

Der Text lag schon länger in der Schublade. Ich wollte ihn jetzt eh zeitnah veröffentlichen, ...
Bei ‚zeitnah’ denke ich an eine Menge Dokus in letzter Zeit über den II. Weltkrieg und über den Wiederaufbau. Sicherlich haben das viele Jüngere gesehen, und sich (hoffentlich) etwas dabei gedacht, eben auch über die Lebensbedingungen ihrer Eltern. Vielleicht würde eine kleine Geste der Milde dem Ende der Geschichte das Düstere, Ausweglose nehmen, obwohl Dein Ende wirklich klasse ist:
... ziehe ich die Tür ins Schloss und merke beim leisen Klick, wie sich das Haus mit einem kaum spürbaren Ruck weiter zur Seite neigt.

Eines steht fest: Du machst keine halben Sachen, ein verdammtes Thema und bestens präsentiert.

Ich grüße mit gezogenem Hut, Herr linktofink!
José

*) Vielleicht: Pergamenthaut eines Sonnenanbeters

 

Hallo @Peeperkorn,

"Das ist hammerstark! Nicht nur sprachlich, sondern auch wegen der, sagen wir mal, psychologischen Dosierung. Solche Szenen brennen sich sehr viel stärker ein als die üblichen Epsioden physischer Gewalt. Das ist richtig gut gemacht!
...
Weitere Highlights! Ich finde, du triffst in dieser Geschichte einen ausgesprochen guten Ton,
...
Sehr schön. Ich möchte aber jetzt gerne noch lesen, wie es fällt!
...
Nach der Lektüre war ich inhaltlich ein klein wenig enttäuscht, gerade weil ich von Sprache und Gestaltung so angetan bin.
...
Länger, viel länger! gerufen. Hat mich manchmal gestresst, insgesamt aber motiviert. Daher rufe ich dir auch mal ganz unbeschwert zu, dass ich finde, dass du das Zeug dazu hättest."

Wow, Peeperkorn, so etwas von dir zu lesen, finde ich schon besonders … und auch besonders ermutigend, an der Stelle weiterzumachen. Du schriebst mir ja schon unter Paria Paradise, ich hätte das Zeug, einen Science-Fiction-Roman zu schreiben. Was soll ich sagen, ich arbeite auch in diese Richtung und bin auch hoch motiviert, nur leider komme ich nicht in dem Maße dazu, wie ich es mir wünschen würde. Aber wem sage ich das, ich glaub wir alle würden uns über einen Goldesel freuen, der uns mehr Zeit zum Schreiben erkauft.

"Es muss ja auch nicht dieser Text hier sein. Aber es könnte dieser Text sein.
...
Was mich jetzt interessieren würde, ist, wie das aussieht, dieses sich neigende Haus, das sich neigende Leben des Vaters und wie der Sohn darauf reagiert. Müsste keine Pflegegeschichte werden. Könnte auch noch mehr in die Vergangenheit gehen (mit noch viel mehr weichem schwarzen Gummi und ähnlichen Szenen). Könnte den Vater in weiteren, auch hellen Schattierungen zeigen. Könnte ein Krimi daraus werden."

Ich verstehe das und sehe auch, dass es dem Text guttun würde, weiter auszuholen, das Tempo zu wechseln, ruhigere Passagen einzuarbeiten, andere Schlaglichter auf den Vater zu werfen. Ich lege mich an der Stelle aber nicht fest, denn manches Mal hab ich im Nachgang einen Text eher versaubeutelt, weil ich den Sound nicht mehr getroffen habe und das Ganze mir irgendwie entglitt.
Aber einen Versuch ist es immer wert.

Sehr nett, dein Kommentar, hat mich gefreut.
Peace, linktofink

 

@josefelipe
Hola josé,
die Woche ist mal wieder wortkriegerlos vorbeigeflogen, entschuldige bitte die späte Antwort.

Dein Text ist keine leichte Kost; das war wohl auch der Grund, bislang einen Bogen drumrum zu machen.
Ja, ein Phänomen, dass ich von mir selbst kenne, das aber leider auch dazu führt, dass "Achwieschön"-Texte aus der Komfortzone mehr Aufmerksamkeit erhalten, weil Auseinandersetzung anstrengend ist. Das soll jetzt keine Abwertung von irgendetwas sein, sondern mehr ein Apell (auch an mich), häufiger die Komfortzone zu verlassen.

Du hast mir aber gute Tipps zu meiner KG gegeben, sodass ich mich nun doch genötigt fühle, mich zu revanchieren.
Sollte nicht sein müssen, sagt der Verstand, ist aber schön, wenn es so aufgefasst wird, sagt dankend das Autorenherz.

Zuvörderst sage ich, dass mir der Text wie ein Kraftpaket erscheint. Da ist richtig Wumms dahinter, sehr intensiv. Dass mancher Leser – so wie ich – an gewissen Stellen innehält, weil er etwas nicht wie gewohnt zügig überlesen kann, hängt damit zusammen. Als Beispiel die schattigen Finger. Eigentlich eine klare Sache, andrerseits doch schräg (mMn). Aber kreativ auf jeden Fall.
Sprachlich ein Brühwürfel, das war mir klar. Auch dass mancher schreien wird "zu salzig". Dennoch schön, wenn es irgendwie für dich funktioniert hat, sonst würdest du nicht schreiben: "Auf jeden Fall ist dieser Text wieder ein Baustein für Dein literarisches Haus. Fabelhafte Kombi, Handwerker und Architekt in einem zu sein, nicht? Deine Bandbreite beeindruckt mich immer wieder." Immer aus derselben Ecke zu schreiben wäre für mich, wie jeden Tag Kartoffeln zu essen. Eigentlich lecker, aber jeden Tag … Aber wem sag ich das.

Alter Lack reißt leicht. Wächsernes Pergament auch. Verbrauchte Haut eines Sonnenanbeters.
Überbordende Kreativität. Zwei darlings könnten eliminiert werden (besonders wächsernes Pergament = weißer Schimmel), aber auch ‚verbraucht’ ist unnötig – Sonnenanbeter-Haut ist völlig ausreichend, mMn.*)
Hab deinen Vorschlag "Pergamenthaut eines Sonnenanbeters" auf dem Zettel und mach mal eine Gegenüberstellung, auch vom Leserhythmus her. Danke dafür, wird geprüft.

Du schreibst brutal-realistisch, und in Bezug auf die Generation des Vaters treffend. Die ‚Wir-müssen-reden’-Väter steckten noch in den Windeln.
… oder noch als Erwachsene in Kinderschuhen. Finde ich sehr schwierig, was macht einen guten Mann, einen guten Vater aus? Da schimmert Sinnkrise durch den Vorhang.

Die Sohn-Generation reagierte sehr unterschiedlich. Hier ist Dein Text; könnte mir aber auch vorstellen, dass es vielleicht am Teich eine Szene gäbe, bei der der Sohn dem Alten im Rollstuhl ein Kissen unterschiebt, seine Hand einen Moment auf dessen Schulter legt und ihm mit einem Tempo den Mund oder die Stirn oder beides wischt.
Vielleicht würde eine kleine Geste der Milde dem Ende der Geschichte das Düstere, Ausweglose nehmen
Ich arbeite tatsächlich weiter am Text, an der Erweiterung der Perspektive. Zwei Absätze sind schon neu hinzugekommen, ohne jetzt ein gänzlich anderes Schlaglicht hineinzubringen. Doch sie machen wenigstens das Bild komplexer.

Man könnte viel zum Inhalt sagen. Ich habe jedoch eingesehen, dass alle Varianten des Miteinanderumgehens denkbar sind, dass bei solchen Schilderungen nicht wie beim Krimi erörtert werden soll, ob das passt und logisch ist, weil gerade Logik (oft verwechselt mit Berechnung) und menschliches Verhalten ein ungleiches Paar sind.
Losgelöst vom persönlichen Standort sollte es dennoch passen, im Sinne von "einigermaßen plausibel sein".

"Eines steht fest: Du machst keine halben Sachen, ein verdammtes Thema und bestens präsentiert."
Danke, jose, das bedeutet mir was. Schönen Sonntag noch, bis bald.
Peace, linktofink

 

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