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Schein

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16.03.2015
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Anmerkungen zum Text

Veröffentlicht in der Anthologie:
6. Bubenreuther Literaturwettbewerb

Schein

Elvira zupfte an meiner Krawatte und wischte eine imaginäre Fluse vom Jackett.
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd und trat durch die Tür, die Elvira mir aufhielt.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.

Zu dieser Stunde war in der SB-Bäckerei nicht viel los. Der Kaffee war heiß und günstig – es gab sogar einen Keks dazu –, und das WLAN kostenlos. Ich nippte an der Tasse, während das Notebook hochfuhr. Die Internetseiten hatte ich als Favoriten angelegt. Ich scrollte mich durch, machte mir Notizen und trank zwei weitere Kaffees.

Am Kiosk verlangte ich die Börsen-Zeitung, die Frankfurter und das Handelsblatt und steckte sie so in das Seitenfach der Aktentasche, dass die Titel herauslugten. Ich nahm den Bus, biss einmal ins Brot, stieg am Hauptbahnhof aus und warf die Brote in den Mülleimer.

Mehrmals schaute ich mich um, bevor ich das Pfandhaus betrat. Eintausendfünfhundert Euro gab mir der Mann hinter der Scheibe. Mehr wäre für die goldene Uhr meines Großvaters nicht drin. Reichen würde es für Elviras neuen Nerz zum Geburtstag nicht und viele Erbstücke besaß ich nicht mehr.

Das südliche Westend erreichte ich zu Fuß. Ich blickte auf die Hochhäuser. Weiter hinten befand sich der Glaskasten. Drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.
Auf einer freien Bank nahm ich Platz, studierte die Zeitungen und machte mir wieder Notizen.

Der Eintopf in der frei zugänglichen Kantine des Bankhauses schmeckte mir nicht. Aber ich schnappte ein paar interessante Gesprächsfetzen an den Nebentischen auf. Unterhaltungen über Geld und ähnliches zu sanfter Musik aus den Lautsprechern und dem Geruch von Gemüse, Fett und verschwitzten Oberhemden.
Das Dessert holte ich mir später, damit ich am anderen Tisch wichtigen Leuten lauschen konnte.
Egal, ob satt oder nicht, wiederholte ich das Ganze in einer anderen Kantine und an zwei Würstchenbuden, von denen ich wusste, dass die Anzugträger sie aufsuchten.

Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dorthin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.

Es war gegen siebzehn Uhr, als ich heimkam.
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Sie nahm mir Aktentasche und Jackett ab und ging ins Wohnzimmer vor, wo mich mein Cousin Josef auf der Chaiselongue sitzend erwartete.
Josef hatte sich angekündigt. Er wollte sein Gespartes investieren, einen mittleren fünfstelligen Betrag. Aktien, Optionen oder Neue Märkte, was jetzt halt so angeboten würde.
Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.

 

Hi @GoMusic
ich hätte gerne noch irgendwie den Schluss deiner Geschichte gelesen. Für mich fehlt da etwas.
Super geschrieben und ein spannender Ansatz, aber es bleibt so viel offen.
Weiß Elvira, dass ihr Mann nicht arbeitet? War er mal Banker und ist entlassen worden? War er nie Banker, sondern immer schon Bluffer? Und wenn ja, ist er erfolgreich? Werden die 5000 vom Cousin gut angelegt? Vielleicht besser als beim Investmentbanker? Das wüsste ich alles super gerne noch.
Grüße von Snowmaid

 

Oh nein, GoMusic, was ist denn das? Da mag ich gar nicht viel zu schreiben, denn bis auf die gefällige Schreibweise ist da keine Substanz. Willst du (kein Autor) wahrscheinlich nicht lesen, aber:

Deine Geschichte hat, für mich, den Charme eines Tagebucheintrags. Habe tausendmal Besseres von dir gelesen.

Gruß,
Analog

 

Hallo Showmaid,

ich hätte gerne noch irgendwie den Schluss deiner Geschichte gelesen. Für mich fehlt da etwas.
Super geschrieben und ein spannender Ansatz, aber es bleibt so viel offen.
Danke für deine Meinung.

Da sind tatsächlich viele Punkte offen - und sollen auch offen bleiben.
ich finde es toll, wenn der Leser sich so viele Gedanken macht, wie es weitergeht oder was der wahre Hintergrund ist. Da sind bestimmt noch weitere Fragen, die man sich stellen kann, zusätzlich zu deinen.
Ich selbst hatte natürlich eine Intention. Diese ist aber bloß eine von vielen möglichen. ;)

Danke für deinen Besuch. Habe mich sehr gefreut,
Schönes Wochenende.

Oh nein, GoMusic, was ist denn das?
Deine Geschichte hat, für mich, den Charme eines Tagebucheintrags. Habe tausendmal Besseres von dir gelesen.
Schreibst du, Analog, kurz nachdem du an anderer Stelle sagtest, du seist besoffen und du dich in meinen Augen in den entsprechenden Kommentaren auch so aufgeführt hast.
Da frage ich mich, wie ich auf deinen Kommentar hier reagieren soll, wie er womöglich nüchtern aussehen würde.
Wenn du dich besoffen nicht unter Kontrolle hast und hier fast schon herumpöbelst, wirkt das auf mich unreif.
Daher kann ich dir nur sagen: Analog, werde endlich digital.

Viele Grüße,
GoMusic

 

Ja moin @GoMusic ,

erstmal gefällt mir die Kürze gut. Bin ja kein Fan von ausufernden KG.
Hier muss ich allerdings @Snowmaid schon zustimmen.

Leerstellen sind wichtig. Das gehört für mich zu guten KG. Hier waren es mir allerdings etwas zu viele, da ich beim Füllen über (in diesem Fall dann eigens produzierte) Logik-Schlaglöcher gestolpert bin.

Ich geh mal der Reihe nach:

winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.

Zu dieser Stunde war in der SB-Bäckerei nicht viel los. Der Kaffee war heiß und günstig – es gab sogar einen Keks dazu, – und das WLAN kostenlos. Ich nippte an der Tasse, während das Notebook hochfuhr. Die Internetseiten hatte ich als Favoriten angelegt. Ich scrollte mich durch, machte mir Notizen und trank zwei weitere Kaffee.


Im Kombination mit dem Titel war für mich hier schon klar, worauf es rauslaufen soll.

Was für mich im weiteren Verlauf aber unklar blieb:
War er je Banker? Oder lebt er schon immer so?
Auf mich wirkt er eher wie ein Hochstapler, der das schon länger macht.
Dafür spricht, dass er die Banker "die Anzugträger" nennt und sich verbal von ihnen distanziert. Müsste er sich nicht (zumindest unterbewusst) noch als Teil der Branche begreifen?
Dagegen spricht aber, dass er Erbstücke versetzen muss. Und natürlich, dass sein Cousin auch denkt/weiß (?), er sei seit 30 Jahren Banker.

Das Ende kam tatsächlich mMn sehr abrupt. Da fehlt was.
Klar ist, er wird seinen Cousin bescheißen. Und dann? Paukenschlag?

Was mir v.a. fehlt: Empathie.
Tut der Protagonist gerne, was er tut? Hat er Angst? Ist er wütend? Traurig? Das kommt für mich irgendwie nirgends durch. Er bleibt die ganze Geschichte durch neutral, emotionslos.

Wenn ich an seiner Stelle wäre, hätte ich wahrscheinlich unglaublichen Hass auf die Branche, das System, irgend jemanden. Vielleicht auf meine Frau, die unbedingt n verdammten Nerz will (Wer trägt heute noch Nerz? Dumme Nuss! ;)). Vielleicht würde ich mich über den Pfandleiher ärgern oder mich über den Cousin beömmeln, der so doof ist auf mich / das System (?) reinzufallen ... je nach Charakter eben.

Handwerklich natürlich Einsmitsternchen. :teach:

Elvira zupfte an meiner Krawatte und wischte imaginäre Fussel vom Jackett. „Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz

Ich würde hier die wörtliche Rede extra packen.

An und für sich ein sehr cooles Thema, das viele Tiefen zulässt (Identitätskrise nach Jobverlust, Bankenkrise/Systemkritik, Beziehungsprobleme,...) Vielleicht suchst du dir eins aus und baust es ein! :)

LG,
JG

 
Zuletzt bearbeitet:

Schreibst du, Analog, kurz nachdem du an anderer Stelle sagtest, du seist besoffen und du dich in meinen Augen in den entsprechenden Kommentaren auch so aufgeführt hast.

Ich glaube, der Wortlaut war "betrunken", nicht "besoffen". Und eigentlich, ganz, ganz eigentlich war ich gar nicht so betrunken. Stark angeheitert, ja, "betrunken", diesen Ausdruck habe ich, man wird es nicht glauben, selbstironisch benutzt. Präventiv.

Er nippte an seinem Glas, betrachtete sie mit gemischten Gefühlen.
»Liebling«, sagte er, »willst du heute Nacht nicht vielleicht irgendwas anderes tragen?«
»Was, wieso?«, sie sah an sich herab.
»Naja ... findest du denn, das steht dir?«
Sie musterte ihn unsicher, strich eine Strähne zurück, sah nochmal an sich herab, fragte dann vorwurfsvoll: »Findest du etwa nicht?«
Er zwang sich zu einem Lächeln. Es gelang nicht recht, saß schief und er wandte sein Gesicht ab, sagte, »vergiss es, vielleicht bin ich auch einfach nur betrunken.«

Okay?

Tatsächlich war ich gestern Nacht befangen, als ich deinen Text gelesen habe. Das war aber zu eher untergeordnetem Teil König Alkohol geschuldet. Viel mehr war da Ärger, dass eine der wenigen ekligen Geschichten hier potentiell Gefahr läuft, zu ... /hier rede ich nicht weiter, ich warte noch eine Mail vom Webby ab. Auf die Frage meinerseits, was in seinem Forum geschrieben werden darf; und was nicht./

Ich bin allerdings tatsächlich ein Schwachmat, da ich übersehen habe, und das ist dem Alkohol geschuldet, dass das, was ich in diesem öffentlichen Forum zu einer Geschichte schreibe, sich weniger ein harter Hund wie der Jimmy, als vielmehr am Rande stehende, Zuschauer, zu Herzen nehmen werden. Das was ich in dem Faden zur Geschichte geschrieben habe, täte ich im nüchternen Zustand so, oder in ähnlich harter Gangart, ebenfalls sagen oder schreiben. Ich sah da, und das war mein Fehler, nur eine simple Diskussion zwischen Jimmy und mir. RinaWu ist ins Sperrfeuer geraten. Allerdings ist sie auch hineingerannt.


Da frage ich mich, wie ich auf deinen Kommentar hier reagieren soll, wie er womöglich nüchtern aussehen würde.

Ich habe deine Geschichte gerade noch mal gelesen. Das Ende finde ich jetzt witziger. Die Geschichte ist immer noch substanzlos. Nicht persönlich nehmen.

Wenn du dich besoffen nicht unter Kontrolle hast und hier fast schon herumpöbelst, wirkt das auf mich unreif.

Hm, wie gesagt, Kontrolle war da, ich sehe aber rot, wenn man mir den Mund verbietet. Tut mir leid, wenn das bei dir als Rumgepöble angekommen ist.


Daher kann ich dir nur sagen: Analog, werde endlich digital.

Toller letzter Satz.

Gruß,
Analog

 

Hey @GoMusic,

nur kurz von unterwegs.

Ich denke, so müssen sich viele Banker nach dem Börsencrash gefühlt haben - der plötzliche Job- und Machtverlusst, der drohende gesellschaftliche Abstieg. Ich mag deine Momentaufnahme von dem Konstrukt der Scheinwelt, der für ihn sicher nur eine Übergangslösung darstellen sollte. Mehr inneren Dialog der Rechtfertigung fände ich interessant.

Gern gelesen.
Viele Grüße
wegen

 

Hallo, @GoMusic,

auch wenn die Idee der Geschichte nicht neu ist: Ein Mann verliert seinen Job und tut vor der Familie immer noch so, als würde er täglich zur Arbeit gehen, finde ich den Ansatz gelungen, auch die Länge passt: kurz und knackig, und sprachlich habe ich auch nur eine Fluse (Fussel) gefunden. Was mir aber fehlt: Ich kann nicht mitfühlen mit deinem Prot. Und ich vermute, dass liegt an der megaklischeehaften Einstiegsszene, von der ich nun allerdings nicht weiß, ob du das extra und voller Ironie so geschrieben hast, oder tatsächlich denkst, so läuft es ab.
Hier gleich schnell die Fluse, da haben wir das weg:

und wischte imaginäre Fussel vom Jackett.
mMn: imaginäre Fusseln oder eine imaginäre Fussel

Und jetzt zur Gattin:

„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
Das ist mir einfach zu plakativ, zu 50er-Jahre-Werbe-Style, zu sehr, dass ich beide nicht mag … Aber ich weiß eben nicht, wie ernst du das meinst. Ich fühle mich ein bissel verarscht ...
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd und trat durch die Tür, die Elvira mir aufhielt.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.
Das ist schon gut gemacht, du zeigst ja super, wie er das Spiel spielt, den Schein aufrecht erhält, und wie es ihn eigentlich anstrengt. Aber mir persönlich würde das ganze mehr Spaß machen, d.h., ans Herz gehen, wenn man mit ihm leiden könnte, weil er ne coole Frau hat und die beiden freuen sich vielleicht gemeinsam auf etwas, irgend eine tolle Reise, oder etwas, was sie schon immer wollten … Aber ich merke selbst gerade, dass passt nicht: Er war ja Banker und sicher auch wohlhabend - die haben schon alles, die waren schon überall … Aber irgendwas bräuchte ich, was wirklich schlimm wäre, wenn der Schwindel auffliegt. So denke ich ja nur, so what, bekommt das Püppchen halt ihren Nerz nicht! Aber @wegen hat das ja auch geschrieben, mehr innerer Dialog, und das wäre ja letztlich egal, in welche Richtung der geht, aber irgendwas, das die Motive deines Prots greifbarer macht.
Am Kiosk verlangte ich die Börsen-Zeitung, die Frankfurter und das Handelsblatt und steckte sie so in das Seitenfach der Aktentasche, dass die Titel herauslugten. Ich nahm den Bus, biss einmal ins Brot, stieg am Hauptbahnhof aus und warf die Brote in den Mülleimer.
Aber ich will ja gar nicht nur meckern, den Szenen, wie er den Schein (vor allem wohl auch für sich selbst) aufrechtzuerhalten versucht, sind dir super gelungen. Warum er die Brote allerdings wegwirft, verstehe ich nicht ganz. Die hat er ja wahrscheinlich schon immer vom Mäuschen geschmiert bekommen, auch, als er noch Banker war, also schien es ihn ja damals nicht gestört zu haben?
Reichen würde es für Elviras neuen Nerz zum Geburtstag nicht und viele Erbstücke besaß ich nicht mehr.
Also scheint er schon 'ne ganze Menge versetzt zu haben in den letzten drei Monaten..
Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten, drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.
Der Eintopf in der freizugänglichen Kantine des Bankhauses schmeckte mir nicht.
frei zugänglich (denke ich)
saugte alles in mich auf, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.
Also hier wird für mich sehr deutlich, dass er den Schein vor allem für sich selbst aufrechterhält, weil es mir nicht so aussieht, als sucht er nach konkreten Möglichkeiten, wieder ins Geschäft einzusteigen. Oder verstehe ich das falsch?
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Never ever! Barbie, äh, Elvira doch nicht!
Sie nahm mir Aktentasche und Jackett ab und ging ins Wohnzimmer vor,
Siehste …
Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.
Ja, der Schluss gefällt mir gut, wie er ist, auch, dass du es gar nicht weiter auflöst - aber wie oben schon geäußert, mir fehlt das Emotionale dabei. Wenn das sowieso deine Intention war, ist es dir gelungen, wenn nicht, bleibe ich einfach ungerührt. ;)

Liebe Grüße von Raindog

 

Hallo JGardener,

danke für deine Zeit und dass du dich mit meiner kleinen Geschichte auseinandergesetzt hast.

erstmal gefällt mir die Kürze gut.
Kürze mag ich auch.
Das ist ein Fünfminutenvorlesetext, über den man mindestens genauso lange nachdenken bzw. noch länger diskutieren kann. Welcher (meiner) Texte schafft das schon? :D

da ich beim Füllen über (in diesem Fall dann eigens produzierte) Logik-Schlaglöcher gestolpert bin.
Du hast anschließend aufgeführt, was dir unklar blieb, aber Beispiele an "Logik-Schlaglöcher" finde ich keine (oder du hast sie so beschrieben, dass ich sie nicht gefunden habe).

Was für mich im weiteren Verlauf aber unklar blieb:
War er je Banker? Oder lebt er schon immer so?
Auf mich wirkt er eher wie ein Hochstapler, der das schon länger macht.
Dafür spricht, dass er die Banker "die Anzugträger" nennt und sich verbal von ihnen distanziert. Müsste er sich nicht (zumindest unterbewusst) noch als Teil der Branche begreifen?
Dagegen spricht aber, dass er Erbstücke versetzen muss. Und natürlich, dass sein Cousin auch denkt/weiß (?), er sei seit 30 Jahren Banker.
Hochstapler ist ein guter Gedanke, der den wiederholenden Begriff "Anzugträger" erklären könnte. Aber warum sollte/müsste er sich als Teil der Branche verstehen? Als Hochstapler könnte er ja auch denken, dass er besser als die anderen, als die wirklichen Banker wäre und nicht mit ihnen in einem Atemzug genannt werden möchte. Aber: Er trägt ja selbst Jackett/Anzug ...

Zumindest ist er ein schlechter Was-auch-immer, wenn er seine Wertsachen verkaufen muss. Das sehe ich auch so.

Was mir v.a. fehlt: Empathie.
Tut der Protagonist gerne, was er tut? Hat er Angst? Ist er wütend? Traurig? Das kommt für mich irgendwie nirgends durch. Er bleibt die ganze Geschichte durch neutral, emotionslos.
Die dreißig Jahre könnten ihn gefühllos gemacht haben. Seine möglichen vergangenen, fehlgeschlagenen Versuche, seine Situation zu ändern, ihn so verändert haben, dass er völlig resigniert hat.
Die einzigen Gefühle die er zeigt, ist der Hass auf den "scheiß Glaskasten" und vielleicht noch auf die Anzugträger.

Handwerklich natürlich Einsmitsternchen. :teach:
Danke für.

Ich würde hier die wörtliche Rede extra packen.
Verstehe ich nicht. Es gibt doch schon jeweils neue Zeilen bei Sprecherwechsel. Oder was einst du, JGardener?

An und für sich ein sehr cooles Thema, das viele Tiefen zulässt (Identitätskrise nach Jobverlust, Bankenkrise/Systemkritik, Beziehungsprobleme,...) Vielleicht suchst du dir eins aus und baust es ein! :)
Ich habe viele Tiefen zugelassen. Nicht, weil ich mich nicht auf eine einzige konzentrieren wolle/konnte, sondern weil ich es völlig spannend finde, welche Interpretationsmöglichkeiten sich beim Leser entwickeln.

Hallo Analog,

Ich habe deine Geschichte gerade noch mal gelesen. Das Ende finde ich jetzt witziger. Die Geschichte ist immer noch substanzlos. Nicht persönlich nehmen.
Dass du das Ende witzig findest, freut mich. Dass du die Geschichte substanzlos finde - damit kann ich leben. Muss ja nicht immer alles gefallen.

Toller letzter Satz.
Finde ich auch ;)

Wünsche euch einen tollen Samstag.
Liebe Grüße, GoMusic

+++ wird fortgesetzt +++

 

Hallo @GoMusic

vorab, auch mir hat die Geschichte und die kürze gefallen.

was mir auffiel: Am Anfang zeigst du die Situation, dann rutscht du (meines Erachtens) ins erzählen ab. Du reisst Situationen nur an, zeigst keine Situation mehr, die Dinge werden so runter-berichtet. Daher schaffst du zwar Kürze, aber auch Abstand zum Protagonisten.

soweit mein kurzer Leseeindruck.
viele Grüße
pantoholli

 

Hallo wegen,

danke für deinen Besuch.

Ich mag deine Momentaufnahme von dem Konstrukt der Scheinwelt, der für ihn sicher nur eine Übergangslösung darstellen sollte.
Ja, Übergangslösung. Die schon Jahre anhält, die vielleicht noch lange andauert, vielleicht bis zur Rente. ;)

Mehr inneren Dialog der Rechtfertigung fände ich interessant.
Es gibt jetzt schon einige Kommentare, die sich darauf beziehen. Ich bin noch nicht überzeugt, ob ich tatsächlich mehr innere Dialoge, vor allem der Rechtfertigung wegen, einbauen möchte.
Der Prota ist womöglich schon zu abgestumpft, hat aufgegeben, will die Jahre bis zur Rente noch irgendwie rumkriegen, würde sowieso keine Anstellung mehr bekommen, versucht, die Zeit bzw. den Schein mit dem Verkauf seiner wertvollen Sachen zu überbrücken bzw. aufrecht zu halten.
Vielleicht muss/will er sich gar nicht rechtfertigen.
Ich denke da auf jeden Fall noch mal drüber nach.

Ich denke dir!


Hallo Raindog,

danke für deinen tollen Kommentar, dafür, wie intensiv du dich mit meiner Geschichte beschäftigt hast.

finde ich den Ansatz gelungen, auch die Länge passt: kurz und knackig, und sprachlich habe ich auch nur eine Fluse (Fussel) gefunden.
Danke dafür und auch für den gefundenen Fussel ;)

Was mir aber fehlt: Ich kann nicht mitfühlen mit deinem Prot. Und ich vermute, dass liegt an der megaklischeehaften Einstiegsszene, von der ich nun allerdings nicht weiß, ob du das extra und voller Ironie so geschrieben hast, oder tatsächlich denkst, so läuft es ab.
Ah. Nicht mitfühlen nicht wegen den fehlenden/wenigen inneren Dialoge/n, sondern wegen der Oldschool- bzw. Klischee-Einstiegsszene? Das ist interessant.
Ich denke, die Einstiegsszene verrät auch etwas über seine Frau. Sie drückt ihm seine Brote in die Hand, hält ihm die Tür auf und "Tschüss" - um es mal so zu sagen. Vermutlich wird sie danach mit dem Mercedes zum Shoppen düsen, zum Frisur fahren, sich mit anderen Frauen aus ihrer Schicht treffen.
Wieso nimmt denn ihr Mann (wohl immer) den Bus? Nur, weil das Bankenviertel so nah ist, er so gerne zu Fuß geht? Welche anderen Gründe kann es geben?

GoMusic schrieb:
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“

Das ist mir einfach zu plakativ, zu 50er-Jahre-Werbe-Style, zu sehr, dass ich beide nicht mag …
Kann ich voll verstehen, dass dir beide unsympathisch sind. Womöglich sind es beide auch.

GoMusic schrieb:
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd und trat durch die Tür, die Elvira mir aufhielt.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.

Das ist schon gut gemacht, du zeigst ja super, wie er das Spiel spielt, den Schein aufrecht erhält, und wie es ihn eigentlich anstrengt.
Vielen Dank.

Aber mir persönlich würde das ganze mehr Spaß machen, d.h., ans Herz gehen, wenn man mit ihm leiden könnte, weil er ne coole Frau hat und die beiden freuen sich vielleicht gemeinsam auf etwas, irgend eine tolle Reise, oder etwas, was sie schon immer wollten … Aber ich merke selbst gerade, dass passt nicht: Er war ja Banker und sicher auch wohlhabend - die haben schon alles, die waren schon überall …
Ja, sie haben schon alles (gehabt), alles erlebt. Worauf sollten sie sich noch freuen können?

Aber @wegen hat das ja auch geschrieben, mehr innerer Dialog, und das wäre ja letztlich egal, in welche Richtung der geht, aber irgendwas, das die Motive deines Prots greifbarer macht.
Ich denke drüber nach.

Aber ich will ja gar nicht nur meckern, den Szenen, wie er den Schein (vor allem wohl auch für sich selbst) aufrechtzuerhalten versucht, sind dir super gelungen. Warum er die Brote allerdings wegwirft, verstehe ich nicht ganz. Die hat er ja wahrscheinlich schon immer vom Mäuschen geschmiert bekommen, auch, als er noch Banker war, also schien es ihn ja damals nicht gestört zu haben?
Brote wegwerfen. So ein typisches Kommunikationsproblem. Der Prota hat ihr nie gesagt, dass er diese Brote nicht mag, die sie vielleicht voller Inbrunst für ihn zubereitet. Und so bekommt er seit Jahren die gleichen Brote ... ;)


GoMusic schrieb:
Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten, drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.

Hier hast du einen Text zitiert, aber ohne Kommentar.
Wolltest du hier noch was sagen, @Raindog ?

frei zugänglich (denke ich)
Ja, hast recht. Habe nochmal nachgeschaut, es zwar nicht gefunden, dafür aber "schwer zugänglich". Also getrennt schreiben.

GoMusic schrieb:
saugte alles in mich auf, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.

Also hier wird für mich sehr deutlich, dass er den Schein vor allem für sich selbst aufrechterhält, weil es mir nicht so aussieht, als sucht er nach konkreten Möglichkeiten, wieder ins Geschäft einzusteigen. Oder verstehe ich das falsch?
Ja, sozusagen seine Maske.
Einsteigen ins tatsächliche Angestelltenverhältnis oder ihn die Selbständigkeit will er nicht (mehr).

GoMusic schrieb:
„Na, wie war es heute? Harter Tag?“, fragte Elvira.
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.

Never ever! Barbie, äh, Elvira doch nicht!
Dafür kennen wie seine Frau nicht gut genug. :lol:

Ja, der Schluss gefällt mir gut, wie er ist, auch, dass du es gar nicht weiter auflöst - aber wie oben schon geäußert, mir fehlt das Emotionale dabei. Wenn das sowieso deine Intention war, ist es dir gelungen, wenn nicht, bleibe ich einfach ungerührt. ;)
Freut mich, dass dir das (sehr) offene Ende gefällt.
Intention war, seine Gefühllosigkeit zu zeigen. (Es gibt ja bloß eine Stelle, wo er Gefühle zeigt, ein Anflug von Hass auf den "scheiß Glaskasten").

Vielen Dank für deine Zeit und die tollen Anmerkungen.


Schönen Sonntag euch beiden.
Liebe Grüße, GoMusic

+++ wird fortgesetzt +++

@pantoholli
Danke vorab. Ich denke drüber nach und melde ich.

 

Moin @GoMusic

Der Begriff "Schlaglöcher" war vielleicht etwas übertrieben, ok. Ich meinte damit nur, die Leerstellen, die ich im Nachfolgenden aufgeführt hatte, v.a. zum Innenleben des Protagonisten. Also das, was den anderen auch aufgefallen ist.

Das ist natürlich alles nur meine subjektive Meinung.
Ich mag Charaktere mit (gerne scharfkantigen) Konturen.

"Gefühllos" darstellen, indem man einfach (beinah) alles Emotionale eliminiert ist natürlich auch eine Lösung. Finde ich als Leser aber wenig attraktiv. Aber das ist, wie gesagt, nur meine persönliche Ansicht! ;)

Da du sagst, der Text wird gelesen, kann man hier natürlich auch viel mit der Stimme transportieren.

LG,
JG

 

Hallo @GoMusic,

wegen schrieb:
Ich mag deine Momentaufnahme von dem Konstrukt der Scheinwelt, der für ihn sicher nur eine Übergangslösung darstellen sollte.

Ja, Übergangslösung. Die schon Jahre anhält, die vielleicht noch lange andauert, vielleicht bis zur Rente. ;)

Ach was? Ich dachte, die Kündigung ist drei Monate her. So hatte ich diese Stelle gedeutet:

GoMusic schrieb:
Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten, drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.

Das Verhökern der Erbsachen - Verhältniss geschätzter Menge zu drei Monaten Verdienstausfall - machte für mich damit auch Sinn.

Viele Grüße
wegen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @GoMusic ,

um es gleich loszuwerden: Mir hat die Geschichte gefallen. Ich glaube allerdings, du hättest einige Kritik vermeiden können, wenn du sie als Flash Fiction offeriert hättest. Denn gerade die vielen absichtlich gesetzten offenen Stellen legen mir diese Einordnung nahe. Ich denke nämlich, dass du mühelos alle Lücken füllen könntest, wenn du es denn wolltest.:D

Elvira zupfte an meiner Krawatte und wischte eine imaginäre Fussel vom Jackett.
„Ich habe dir Brote mit Schinken und Gürkchen gemacht“, sagte sie, reichte mir die Aktentasche und küsste mich auf die Wange. „Schönen Tag, Schatz.“
„Danke, dir auch“, antwortete ich lächelnd und trat durch die Tür, die Elvira mir aufhielt.
Draußen schaute ich zum Fenster, winkte meiner Frau zu und ging weiter Richtung Bushaltestelle. Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.

Aha, ein arbeitslos gewordener Banker, in einer traditionellen Ehe gebunden, der seiner Frau die Wahrheit vorenthalten muss, oder doch eher will?

Die Internetseiten hatte ich als Favoriten angelegt. I

Oh, da haben wir ein Stückchen kriminelle Energie, womöglich von langer Hand vorbereitet? Eventuell schon während seiner Banker-Zeit praktiziert?

Ich nahm den Bus, biss einmal ins Brot, stieg am Hauptbahnhof aus und warf die Brote in den Mülleimer.

Aber Hallo! Dem geht es noch nicht schlecht genug. Mein Mitleid kriegt er nicht.

Mehr wäre für die goldene Uhr meines Großvaters nicht drin. Reichen würde es für Elviras neuen Nerz zum Geburtstag nicht und viele Erbstücke besaß ich nicht mehr.

Und die Frau braucht dringend einen neuen Nerz?? Was für ein antiquiertes Rollenbild des Protas.

Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dort hin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.

Also der Typ hat die Gene eines Hochstaplers! Der handelt nicht aus Notwehr. Vielleicht ist er rachsüchtig? Ein geschasster Börsenspieler, der seinen Arbeitgeber in die Bredouille geführt hat?

Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.

Ja, das Bild von sich hat er gepflegt. Vielleicht fliegt es ihm jetzt um die Ohren: das traute Familienleben mit dem Erfolgsgaranten. Das geht nicht gut.

Fragen über Fragen. Aber solche, die für mich enorm die Fantasie beflügeln. Das gefällt mir. Sympathien brauche ich nicht zu entwickeln, eher die Lust zu spekulieren, aber nicht an der Börse.
:lol:

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hi nochmal, @GoMusic,

GoMusic schrieb:
Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten, drei Monate war es her. Näher als hierhin hatte ich es seitdem nicht mehr geschafft.

Hier hast du einen Text zitiert, aber ohne Kommentar.
Wolltest du hier noch was sagen, @Raindog ?

Oh, sorry, als ich das Zitat ausgewählt habe, wollte ich das natürlich, aber dann hatte es sich irgendwie erübrigt (und ich habe es dann übersehen), weil ich meine Erkenntnis daraus, nämlich, dass er seit 3 Monaten keinen Job mehr hat, bereits in der Kommentarzeile darüber zum Ausdruck gebracht habe. Und jetzt sehe ich gerade in dem Kommentar über mir, von @wegen, dass sie es genau so gedeutet hat, aber das scheint von dir wohl ganz anders gedacht zu sein ...

Zu der Stelle:

Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Ich habe ja geschrieben, das würde sie natürlich niemals tun, und du sagst
Dafür kennen wie seine Frau nicht gut genug
Und das stimmt natürlich, aber so, wie du sie gezeigt hast, liegt das für mich so gar nicht im Rahmen des Erwartbaren.

Liebe Grüße

 

Hallo @GoMusic,

eine imaginäre Fussel
die Fluse, der Fussel? Hab nachgeschlagen, Fussel geht sowohl feminin als auch maskulin, geht aber als die Fussel quer meinen Leserhals runter.

Als ich außer Sichtweite war, verharrte ich und atmete aus.
Das finde ich merkwürdig, denn es klingt so, als wäre der Schein eine Anstrengung und nicht eine Art unauffällige Mimikry, als die ich sein Verhalten im ganzen Rest vom Text lese.

. Der Kaffee war heiß und günstig – es gab sogar einen Keks dazu, – und das WLAN kostenlos.
Muss das Komma nicht hinter den Gedankenstrich?

Ich scrollte mich durch, machte mir Notizen und trank zwei weitere Kaffee.
Kaffees

Reichen würde es für Elviras neuen Nerz zum Geburtstag nicht
Da bimmelt heftig die Klischee-Glocke

Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten
wäre an der Stelle der beschissene nicht korrekt?

Unterhaltungen über Geld und ähnliches zu sanfter Musik
Ähnliches, dank Rechtschreibreform.

Den Rest des Tages fuhr ich die Aufzüge rauf und runter, gesellte mich zu den Leuten in den Raucherbereichen vor den Gebäuden, hörte da zu, lauschte dort hin, hielt Augen und Ohren offen, saugte alles in mich auf, verarbeitete es, nahm an den Debatten der Anzugträger teil, indem ich zustimmend nickte oder bloß ein paar gescheite Worte an passenden Stellen beitrug, las die Ticker in den Foyers der Finanzinstitute und auf meinem Handy, führte Smalltalk mit Leuten, die irgendwie dazugehörten.
Mir wird im ganzen Text nicht klar: Wofür betreibt er diesen enormen Aufwand? Was ist sein Ziel? Will er sich nur weiter dazugehörig fühlen? Macht er sich selbst was vor?

Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.
Glaube ich beides nicht, denn dafür müsste sie es erst mal wissen und der Prota macht nicht den Eindruck, als würde er genau das befürchten.

Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.
Schon klar, es geht um Identität, um Status, um Selbstdefinition.
Mir fehlt ein Bruch. Du spielst reichlich mit Klischees, lässt beide ihren Rollen quasi als Selbstläufer folgen, doch es gelingt mir kein Blick hinter die Fassade und in der gewollten (fast beliebigen) Deutungsoffenheit verschenkst du auch die Chance, emotional zu berühren. Nun gut, er hat seinen Job verloren, na und? In seiner gut situierten Position kein Problem!
Mir fehlt dieser eine Moment, wo in der Truman Show der Scheinwerfer von der Decke knallt und das Ganze einen Riss bekommt. Und erst da beginne ich mitzufühlen. Deine Geschichte verharrt im Schein des perfekten Leben davor.

Peace, linktofink

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo pantoholli,

danke für deinen Besuch und deinen Eindruck,

vorab, auch mir hat die Geschichte und die kürze gefallen.
Das ist schon mal gut :-)

was mir auffiel: Am Anfang zeigst du die Situation, dann rutscht du (meines Erachtens) ins erzählen ab. Du reisst Situationen nur an, zeigst keine Situation mehr, die Dinge werden so runter-berichtet. Daher schaffst du zwar Kürze, aber auch Abstand zum Protagonisten.
Verstehe, was du meinst.
Intention war, den Anfang (wie er das Haus verlässt) und das Ende (der Besuch seines Cousins) etwas genauer bzw. präzise zu beschreiben/zeigen und das, was der Prota tagsüber erlebt, ein wenig mehr zu erzählen, da dies seit Monaten eine immer gleiche Handlung ist.

Bzgl. "Abstand zum Prota": Ist natürlich klar, dass da mit dieser Methode ein Abstand entsteht. Es gibt nur eine kleine Gefühlsregung, da, wo der Prota den "scheiß Glaskasten" sieht. Ich denke, dadurch, dass dies das einzige Gefühl in diesem Teil ist, sticht es hervor, bzw. hatte ich mir das so vorgestellt. Dieses Gefühl soll erklären oder andeuten, was mit dem Prota geschehen ist.

Ist das mit dieser "Erklärung" in deinen Augen etwas klarer oder habe ich mir da etwas ausgedacht, das vorne und hinten nicht hinhaut, @pantoholli ?

Ich danke dir.


Hallo JGardener,

Der Begriff "Schlaglöcher" war vielleicht etwas übertrieben, ok. Ich meinte damit nur, die Leerstellen, die ich im Nachfolgenden aufgeführt hatte
Danke für deine Rückmeldung.
Da bin ich froh, dass es keine tatsächlichen Logikfehler sind ;)

Ich mag Charaktere mit (gerne scharfkantigen) Konturen.
Ich auch. :thumbsup:
Ich versuche auch oft, es hinzukriegen. Muss natürlich auch zur Geschichte passen.

"Gefühllos" darstellen, indem man einfach (beinah) alles Emotionale eliminiert ist natürlich auch eine Lösung. Finde ich als Leser aber wenig attraktiv. Aber das ist, wie gesagt, nur meine persönliche Ansicht! ;)
Hm, langsam glaube ich, dass da tatsächlich etwas mehr Emotionen rein könnten, beziehen sich doch schon einige Kommentare darauf ...

Da du sagst, der Text wird gelesen, kann man hier natürlich auch viel mit der Stimme transportieren.
Ja, das stimmt fürs Vorlesen.
Dennoch sollte das reine Lesen auch funktionieren.

Ich danke dir!

Hallo wegen,

danke auch dir für die Rückmeldung.

Ach was? Ich dachte, die Kündigung ist drei Monate her. So hatte ich diese Stelle gedeutet:
Huch, da war ich schon so in den Modus "er ist seit Ewigkeiten ein Hochstapler" abgedriftet, dass ich Jahre mit Monate verwechselt habe.
Natürlich ist er "erst" seit drei Monaten arbeitslos. (Damit habe ich nun auch "verraten", dass es nie gedacht war, ihn als Hochstapler zu zeigen, so wie es schon mal vermutet wurde.)

An dieser Stelle ziehe ich meine Antwort an @Raindog vor, da es da um dieselbe Frage geht.

Hallo Raindog,

danke auch dir für die Rückmeldung.

weil ich meine Erkenntnis daraus, nämlich, dass er seit 3 Monaten keinen Job mehr hat, bereits in der Kommentarzeile darüber zum Ausdruck gebracht habe. Und jetzt sehe ich gerade in dem Kommentar über mir, von @wegen, dass sie es genau so gedeutet hat, aber das scheint von dir wohl ganz anders gedacht zu sein ...
Sorry, mein Fehler. Es muss Monate anstatt Jahre heißen, siehe auch oben meine Antwort an wegen.

Zu der Stelle:
GoMusic schrieb:
Ich nickte und wusste nicht, ob sie mich bemitleiden oder ohrfeigen würde.

Ich habe ja geschrieben, das würde sie natürlich niemals tun, und du sagst
GoMusic schrieb:
Dafür kennen wie seine Frau nicht gut genug

Und das stimmt natürlich, aber so, wie du sie gezeigt hast, liegt das für mich so gar nicht im Rahmen des Erwartbaren.

Ich denke drüber nach, vielleicht gibt es dazu auch noch andere Rückmeldungen. (Edit: @linktofink hat da ja auch was zu gesagt ... Danke vorab.)
Wäre so ein "Kill your darling"-Dingens. ;)

Danke dir!

Wünsche euch einen tollen Wochenstart.
Liebe Grüße, GoMusic

 

Hallo @GoMusic

Intention war, den Anfang (wie er das Haus verlässt) und das Ende (der Besuch seines Cousins) etwas genauer bzw. präzise zu beschreiben/zeigen und das, was der Prota tagsüber erlebt, ein wenig mehr zu erzählen, da dies seit Monaten eine immer gleiche Handlung ist.
...
Ist das mit dieser "Erklärung" in deinen Augen etwas klarer oder habe ich mir da etwas ausgedacht, das vorne und hinten nicht hinhaut, @pantoholli ?
Ich bin ja immer offen für neue Wege und Experimente und probiere ja selber auch immer aus - da rennst Du bei mir offene Türen ein :)

Aber das Ende ist leider, so wie es ist, auch nur so runtererzählt:
Mein Cousin hatte sich angekündigt. Er wollte sein Gespartes investieren, einen mittleren fünfstelligen Betrag. Aktien, Optionen oder Neue Märkte, was jetzt halt so angeboten würde.
Er gierte nach den Tipps eines Profis, dem er vertrauen konnte, der seit dreißig Jahren tagtäglich weltweit Abermillionen bewegte, Geld vermehrte, Bescheid wusste, dazugehörte.

Wenn dieses Beratungsgespräch gezeigt werden würde - dann hast Du meiner Ansicht nach das "Show" im häuslichen Kontakt mit Verwandten und das "tell" im eintönigen verhassten Alltag. Dann hätte ich als Leser die spannende Aufgabe, seine harmonievollen Gespräche mit dem hasserfülltem Alttag zu verbinden und müsste entscheiden, was davon gelogen ist ;) Ich denke, das könnte funktionieren :)

Gruß
pantoholli

 

Liebe Wieselmaus,

ich danke dir für deine Zeit und den tollen Kommentar.

Mir hat die Geschichte gefallen.
:bounce:

Ich glaube allerdings, du hättest einige Kritik vermeiden können, wenn du sie als Flash Fiction offeriert hättest. Denn gerade die vielen absichtlich gesetzten offenen Stellen legen mir diese Einordnung nahe.
Diese Idee hatte ich noch gar nicht.
Da ich die Geschichte noch erweitern und überarbeiten möchte. würde ich erstmal abwarten, wie sie dann aussieht, bevor ich FF in Betracht ziehe.

Ich denke nämlich, dass du mühelos alle Lücken füllen könntest, wenn du es denn wolltest.:D
Yepp. Danke.

Aha, ein arbeitslos gewordener Banker, in einer traditionellen Ehe gebunden, der seiner Frau die Wahrheit vorenthalten muss, oder doch eher will?
Ich denke eher "will".

Oh, da haben wir ein Stückchen kriminelle Energie, womöglich von langer Hand vorbereitet? Eventuell schon während seiner Banker-Zeit praktiziert?
Das kann sein. Kann aber auch pure Arbeitserleichterung sein, dass er halt Zeit spart :-)

Und die Frau braucht dringend einen neuen Nerz?? Was für ein antiquiertes Rollenbild des Protas.
Es könnte auch alles andere als ein Nerz sein. Z.B. ein neuer Porsche. Linktofink hat den Nerz auch schon klischeehaft bezeichnet. Ich überleg mal ...

Also der Typ hat die Gene eines Hochstaplers! Der handelt nicht aus Notwehr. Vielleicht ist er rachsüchtig? Ein geschasster Börsenspieler, der seinen Arbeitgeber in die Bredouille geführt hat?
Ein Gedanke, der mir sehr gut gefällt, der seinen Reiz hat. Wäre eine Überlegung wert, dies bei einer Überarbeitung des Textes zu berücksichtigen.

Vielleicht fliegt es ihm jetzt um die Ohren: das traute Familienleben mit dem Erfolgsgaranten. Das geht nicht gut.
Ja, lange bestimmt nicht mehr. Aber der Cousin ist ja bereit, ihm einen hohen Betrag anzuvertrauen ;)

Fragen über Fragen. Aber solche, die für mich enorm die Fantasie beflügeln. Das gefällt mir. Sympathien brauche ich nicht zu entwickeln, eher die Lust zu spekulieren, aber nicht an der Börse.
:lol:
Das freut mich unheimlich. Die vielen offenen Fragen haben schon ihren Reiz. Für mich ist es spannend, das aus den Kommentaren herauszuhören.

Wie gesagt erfolgt noch eine Überarbeitung. Es sind noch weitere gute Kommentare eingetroffen, die mich beflügeln.

Ich danke dir!

Hallo @linktofink und @pantoholli

schon mal vorab vielen Dank für eure Kommentare.
Das ist so viel Gedankenfutter, dass ich dafür etwas länger benötige. Good stuff, guys!

Wünsche euch allen einen schönen Nachmittag.
Liebe Grüße, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @GoMusic,

ich habe deine Geschichte gerne gelesen.

Irgendwie hast du die ganze Thematik wunderbar runtergebrochen und auf gefühlt jeden Schnörkel verzichtet, der mich hätte "verzaubern" können. Fast steril fühlt sich das an, ein "Unmissverständlich"-Tag wäre hier vielleicht angebracht.

Um also wahnsinnig mit dem Protagonisten mitzufühlen, dazu reicht es hier definitiv nicht. Er bleibt für mich komplett gesichtlos, ist mehr Anzug als Mensch, und das liegt wohl vor allem daran, dass er den Schein - ein toller Titel übrigens, wie ich finde, auch wegen der Doppeldeutigkeit (Geldschein) - so gekonnt aufrecht erhält, zum funktionierenden Roboter verkommt und die Menschlichkeit (und die damit einhergehende Verletzlichkeit) irgendwo im hinterletzten Winkel seines Kleiderschranks verstaut.

Nur ein mal brichst du meines Erachtens ein bisschen den Erzählton, wenn du ihn das hier denken lässt:

Weiter hinten befand sich der scheiß Glaskasten

Der scheiß Glastkasten ist mir da fast zu viel, da wird der Protagonist wertend, was er ansonsten nicht ist. Alles geschieht und er lässt es geschehen, als wäre er unfähig, etwas an der Situation zu ändern. Nicht mal am Ende, als der Cousin auf der Couch sitzt und sich von ihm Tipps einholen will, kriegt man mal einen reflektierten Gedanken zu lesen, erwarten würde ich da so etwas wie: "Wenn der wüsste, was ich für ein Versager bin ...", aber nee, da kommt nichts, er bleibt seiner Rolle treu, hält die Fassade aufrecht. Belügt sich selbst und merkt das womöglich gar nicht.

Also, ja, gerne gelesen. Mein erster Gedanke war allerdings: Und jetzt? Ich kann also auch verstehen, wenn einen die Geschichte komplett kalt lässt. Sie verlangt dem Leser einen gewissen Willen zur (Über-)Interpretation ab, ansonsten könnte es auch schnell mal wie eine echt unmotivierte, austauschbare Skizze wirken.

Vielen Dank dafür, hat Spaß gemacht, auch, weil es kurzweilig und sprachlich passend gestaltet ist.

Bas

 

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