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Schneegestöber - Ein Weihnachtsmärchen

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11.12.2001
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Schneegestöber - Ein Weihnachtsmärchen

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, die sich vor nicht allzu langer Zeit in einem kleinen Ort im Norden von Kanada zugetragen hat. Der Wildhüter, der sie mir erzählte, hatte mich ernst angeschaut und mir geschworen, dass die Geschichte wahr sei. Ich hatte ihn in einer kleinen Bar getroffen, wo sich an Wochenenden fast das ganze Dorf versammelte. Aber nun möchte ich euch nicht länger auf die Folter spannen.

Es war der Tag vor dem großen Sturm und schon jetzt konnte man fühlen, dass sich großes anbahnte. Der Wind trug den feinen Pulverschnee in jede Ritze und rüttelte an den Tannen, dass man jeden Augenblick damit rechnete, er würde sie ausreißen. Am Himmel trieben schwarze Wolkenfetzen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vor dem Mond dahin, wobei sie zerissen um sich dann erneut zu noch phantastischeren Formen zusammen zu ballen. Unter dem Tosen des Windes hörte man noch ein anderes Geräusch, vielleicht einen Motorschlitten.

Tom verfluchte seinen Vater. Er hatte ihn in die Kälte hinausgeschickt, um zu kontrollieren ob bei ihrer Jagdhütte draußen am Berg alles in Ordnung sei. Er hatte fast eine Stunde bis dahin gebraucht, was zum größten Teil an den vielen Schneeverwehungen lag, und war nun auf dem Weg zurück ins Dorf. Der Wind fühlte sich in seinem Gesicht wie tausend Nadeln an und er gab noch mehr Gas. Bei der Hütte war alles in Ordnung gewesen. Nur die Sturmläden hatte er noch schließen müssen. Er wollte heute abend eigentlich noch bei Anna vorbei schauen und ihr frohe Weihnachten wünschen. Das würde jetzt wohl nichts mehr werden. Anna war vor 3 Monaten aus Deutschland hierher gezogen. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung noch, als ob es gestern gewesen war.
Sie hatte bei der Schreinerei seines Vaters einen Tisch bestellt. Tom war gerade dabei gewesen Schnee zu räumen und als er um die Ecke des Hauses kam, rannte er sie über den Haufen. Er war genau auf sie gefallen und als er ihre Augen sah, war ihm als ob die Zeit stehen geblieben war. Sie waren dunkelbraun, fast schwarz und er hatte das Gefühl, in das Zentrum eines Vulkans zu blicken. Er rollte sich zur Seite und half ihr aufstehen. Dann entschuldigte er sich abwesend und noch immer fasziniert. Sie grinste ihn an, wobei sie die Augen auf eine Art und Weise zusammenkniff, dass es ihm heiß und kalt den Rücken runter lief. Wenn es Liebe auf den ersten Blick gab, dann war das bestimmt das Paradebeispiel dafür.
Er schaute auf die Uhr. "Verdammt, schon so spät" dachte er und versuchte noch mehr aus seinem Motorschlitten herauszuholen. Er näherte sich einer engen, schlecht einsehbaren Kurve. Durch das jetzt einsetzende Schneegestöber sah man zusätzlich nicht weiter als 30 Meter. "Bei dem Wetter ist sowieso niemand hier draußen unterwegs" dachte er und legte sich mit unverminderter Geschwindigkeit in die Kurve. Der ganze Schlitten vibrierte auf dem unebenen Untergrund und er hatte Schwierigkeiten, den Lenker festzuhalten. Verkniffen schaute er nach vorne und versuchte durch den Schnee etwas zu erkennen, als direkt vor ihm auf der Straße ein Schatten auftauchte.

Das einzige was er noch dachte, war "Warum gerade an Weihnachten". Dann riss er reflexartig den Lenker nach links und wich dem Schatten gerade so aus. Als der Schlitten über einen kleinen Hügel flog, wurde er aus dem Sitz katapultiert. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Er wachte irgendwann wieder auf. Wie lange er schon so im Schnee lag, konnte er nicht sagen. Er versuchte sich aufzurichten und kontrollierte, ob er alles bewegen konnte, anscheinend fehlte ihm nichts. "Man, was war das denn" dachte er und machte taumelnd einige Schritte vorwärts. Er war anscheinend ganz schön weit geflogen. Von seinem Schlitten war auf jeden Fall nichts zu sehen. Er orientierte sich kurz und ging dann in Richtung Straße. Hoffentlich hatte er niemanden überfahren.

Als er auf die Straße schauen konnte, traute er seinen Augen fast nicht. Dort stand ein Mann mit einer Krone und einem roten, mit Gold verzierten Umhang völlig regungslos. So weit er erkennen konnte, lächelte er ihn an. Dann drehte er sich um und war kurz darauf zwischen den Bäumen verschwunden. Tom lief ihm hinterher, doch der Mann war wie vom Erdboden verschluckt.
Er drehte sich um und ging zurück auf die andere Seite der Straße, um seinen Schlitten zu finden. Nach einer Weile Suchen fand er ihn. Er hatte sich mit der Spitze voraus in eine Schneeverwehung gebohrt und es schauten nur noch die Kufen raus. Als er den Schlitten mit einiger Anstrengung ausgegraben hatte, stellte er erstaunt fest, dass er blau lackiert war. Das konnte nicht sein. Sein Schlitten war rot und nicht blau. Er dachte nach. Das konnte nur bedeuten, dass hier noch jemand draußen ist. Vielleicht hat er diesem komischen Typen auch gesehen und hat genau wie ich einen Unfall gebaut.
Tom machte sich sofort auf die Suche und nach einiger Zeit sah er einige Meter vor ihm eine regungslose Gestalt im Schnee liegen. Er ging in ihre Richtung und rief ihr dabei zu, aber die Gestalt rührte sich nicht. Er ging schneller, rannte jetzt fast. Als er bei ihr angekommen war, sah er, dass die Gestalt auf dem Bauch lag und um ihren Kopf der Schnee blutgetränkt war. Vorsichtig drehte er sie um. Es musste eine Frau sein, so leicht und zerbrechlich, wie sich der Körper anfühlte.
Als er ihr den Schnee und das Blut aus dem Gesicht wischte, fiel er fast um. Es war Anna, die regungslos in seinen Armen hing. Vorsichtig legte er sie auf den Rücken und kontrollierte Puls und Atmung. Sie schien bis auf die Platzwunde am Kopf ganz in Ordnung zu sein. Er versuchte sie wachzurütteln. "Hey, Anna, wach auf. Hier ist Tom. Komm schon, wach auf. Es ist alles in Ordnung". Anna öffnete langsam ein Auge und schaute ihn glücklich an. "Wie geht's dir, meinst du, ich kann dich auf dem Schlitten mitnehmen?" fragte er. Sie nickte schwach und er trug sie zum Schlitten. Dann fuhr er langsam mit ihr nach Hause.

Anna hatte keine ernsten Verletzungen, sie war nur etwas unterkühlt. Hätte sie Tom aber nicht gefunden, so wäre sie vermutlich erfroren. Wie sich später herausstellte hatte Anna, nachdem sie wegen einem Elch von der Straße abgekommen war, eine Vision von einem König, der ihr versicherte, alles würde gut werden. Die Beschreibungen von Annas König und dem Mann, der Toms Unfall verursacht hatte ähnelten sich unglaublich. Und da behaupte einer, es gibt keine Wunder.

 

Schöne Geschichte, die Romantik und Fantasy miteinander verbindet.

Antonia
:)

 

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