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Seelenlabyrinth
Gebrochene Welten dämmern dahin, in meinem Kopfe,
zerstückeltes Gedankengut.
Heißer Wille, kalter Mut.
So häng ich nun, an des Lebens müdem Tropfe
und schwimme umher.
Immer in mir, die kalte Glut.
Ich wachte auf. Der neue Tag brannte sich geradezu in mein Bewusstsein ein. Reglos lag ich da, betrachtete die weiße Tapete über mir und dachte an das, was ich noch vor kurzem geträumt hatte. Kein schöner Traum aber immerhin ein Anfang, wie mir schien. Alles war besser als das, was noch folgen sollte.
Die Straßenbahn kam, wie immer, viel zu früh. Einem unbegründeten Hass folgend verfluchte ich den Fahrer und seine selbstgerechte Art, hier einfach so, zwei Minuten vor dem offiziellen Fahrplan, aufzukreuzen, um sich dann, wie ein Wahnsinniger, aus dem Staub zu machen. Das war schon ein starkes Stück. Egal, sei’s drum. Ich stieg ein und verkroch mich auf einem der hinteren Plätze. Angstgefühle plagten mich. Mit jeder Haltestelle, mit der ich meinem Ziel näher kam, schrumpfte ich zusehends. Als ich fast schon die Größe eines Atomkerns angenommen hatte kam der erlösende Spruch: „Nächste Haltestelle, Augustusplatz“. Die Bahn hielt und ich stieg aus.
Ich betrat den Vorlesungsraum und erstarrte innerlich. Was hatte ich auch erwartet? Als ob sie wegen mir ihre Pflichten vernachlässigen würde! Mein kurzer Rundumblick hatte sie sofort erfasst. In dem verhältnismäßig kleinen Zimmer war das auch kein großer Akt gewesen. In der vorletzten Reihe saßen sie und betrachteten mich unauffällig. Wieder vergrub ich mich, strebte nach hinten, fand einen freien Platz und setzte mich. Mein Magen schlug Purzelbäume. Alles in mir revoltierte. In Gedanken stand ich auf, stieß den Tisch um und schnappte mir den erstbesten Stuhl, mit dem ich ihm den Schädel eindrosch.
Endlich traf der Professor ein, schaute kurz um sich und begann, sein Wissen auf uns nieder regnen zu lassen. Eine wahre Wohltat. Ich notierte dies und jenes, machte mir einige Gedanken dazu und hatte teilweise sogar das Gefühl, noch nie so konzentriert bei der Sache gewesen zu sein. Die Pause nahte. Wieder Purzelbäume. Falsche Schmetterlinge.
Sie drehte sich zu mir um und legte mir etwas auf die Bank. Noch geschockt von dieser plötzlichen Zuwendung, realisierte ich im nächsten Moment, dass es mein Ersatzschlüssel war. Ihre Worte drangen nicht in mein Bewusstsein. Alles was ich sah, war dieser Schlüssel. Ein Symbol besonderer Vertrautheit. Meine rechte Hand erfasste ihn und steckte ihn irgendwohin, wo er sicher war. Da ich nicht auf ihre Oberflächlichkeit reagierte, drehte sie sich wieder um, strich sich ein, zwei Mal durch ihr schwarzes Haar, so als wollte sie diesen Moment vernichten und beteiligte sich an einem Gespräch, das zwei Kommilitonen neben ihr gerade führten.
‚Drei Verdammte Jahre’, dachte ich. Mir kam es so vor, als hätte sie, anstatt eines Schlüssels, einen überdimensionalen Radiergummi auf den Tisch gelegt, dessen abgenutzte Seite unsere Vergangenheit widerspiegelte.
Als die Vorlesung zu Ende war, blieb ich noch eine Weile sitzen. Normalerweise wäre ich jetzt schon damit beschäftigt gewesen, mir Gedanken über die übrige Tagesplanung zu machen aber ich konnte nicht anders, als dazusitzen und dem Treiben der beiden zuzuschauen. Schließlich erhob ich mich und verließ das Zimmer. Wieder stieg die Wut in mir hoch. Mit jedem Schritt den ich ging, reifte ein Verlangen in mir, mich umzudrehen und das zu tun wonach mir gelüstete. Aber was sollte das schon ändern? Schließlich erreichte ich die Haltestelle und kurz darauf kam eine Bahn, um mich nach Hause zu tragen.