Was ist neu

Serie Sewa - Das Zauberwort (8)

Seniors
Beitritt
03.07.2004
Beiträge
1.585
Zuletzt bearbeitet:

Sewa - Das Zauberwort (8)

Benni war sauer. Erst hatte er seine Hausaufgaben bis zum letzten Punkt erledigen müssen und dann gab es nicht einmal Pizza, obwohl er sie bestellt hatte.
„Abendessen“, rief seine Mutter aus der Küche. Benni schlurfte die Treppe hinunter und schlich in die Küche, wo er stöhnend auf seinem Stuhl zusammensackte. Papa schaute ihn streng an, sagte aber kein Wort. Mama stellte Bratkartoffeln und Bratwurst auf den Tisch. Benni gab sie einen Teller mit einer vegetarischen Bratwurst, die er anschaute, als ob sie ein hässlicher Wurm wäre.
„Wie heißt das Zauberwort?“, fragte sein Vater. Er schien sich zunehmend zu ärgern und gleich fühlte Benni sich viel besser.
„Du kannst mich mal.“
„Dann kannst du auf dein Zimmer gehen - ohne Abendessen.“
„Na endlich“, erwiderte Benni und rauschte aus der Küche. Er hortete in seinem Kleiderschrank genug schmackhaftes Essen. Da benötigte er den Familienfraß nicht.
Die Eltern zuckten nur mit den Schultern. Ihr Sohn war zwar recht klein für sein Alter und stämmig, vielleicht sogar dick. Aber seine große Klappe überragte ihn sicher haushoch. Er war gegen jeden und alles und fand für niemanden ein freundliches Wort. In der Schule hieß er nur Giftzwerg.

Zehn Jahre später feierte Benni seinen achtzehnten Geburtstag. Wenn er nicht das Geld von der Konfirmation eisern gespart hätte, müsste er immer noch auf seinen Führerschein warten. Für ein Auto hatten die Scheine leider nicht gereicht. Und bisher war es Benni auch nicht gelungen, sich einen fahrbaren Untersatz auszuleihen.
„Kann ich mal das Auto haben? Ich möchte ins Schwimmbad fahren.“
„Wenn du bitte sagst, könnten wir darüber reden“, erwiderte sein Vater.
„Überflüssige Worte“, grummelte Benni und legte einen fulminanten Abgang hin - jedenfalls seiner Meinung nach.
Einen Freund, den er fragen könnte, hatte er nicht. Also haute er die Klassenkameraden, die schon ein Auto hatten, mit seinem Vorschlag an: „Eine Stange Marlboro gegen eine Stunde Auto ausleihen.“
Beim zweiten legte er noch „und einmal volltanken“ zu. Der dritte wollte ihm gar nicht erst zuhören.
Auf dem Nachhauseweg trat Benni im Park die Mülleimer um. Er versuchte auch, einen Rosenstrauch auszureißen, aber diese heimtückischen Pflanzen hatten Dornen.
„Gibst du mir Pflaster?“, ging er zu Hause seine Mutter an.
„Du weißt doch, wo das Pflaster ist. Ich habe zu tun und ich habe keine Lust, mich um mürrische undankbare Blagen zu sorgen. Du bist jetzt erwachsen. Also sieh lieber zu, dass du ausziehst, bevor wir andere Töne anschlagen.“

Benni zog aus. Er hatte bereits in der Schule sein Talent für Zahlen entdeckt und lernte Bürokaufmann. Dabei spezialisierte er sich auf die Buchhaltung. Er bestand alle Prüfungen mit Auszeichnung und wurde von der ersten Firma, bei der er sich bewarb, sofort eingestellt. Nach vier Monaten beklagten sich die anderen Mitarbeiter der Finanzabteilung beim Personalchef: „Dieser Lechtenburg ist so was von unhöflich. Manchmal schaut er uns an, als ob er uns am liebsten ins Gesicht springen würde. Kein Fünkchen Freundlichkeit.“ So konnte Benni bald wieder losziehen und nach einer anderen Arbeit suchen.
Nach drei Jahren war er in weitem Umkreis bekannt wie ein bunter Hund und höchst unbeliebt. Überraschend stellte ihn ein großer Konzern ein - als Innenrevisor mit Sonderaufgaben, die bewusst unklar blieben. Bereits nach einem halben Jahr nannten ihn nicht nur die Mitarbeitenden, die mit ihm zu tun bekamen, den Terrier. Seine weißblonden Kräuselhaare ließ er immer sehr kurz schneiden. Aber diese Locken waren nur der letzte Pinselstrich des Bildes von einem unduldsamen Zeitgenossen, der sich in jedes Problem verbiss und es so lange schüttelte, bis es aufgab. Und der Vorstand gratulierte sich zu der Wahl - diesen Revisor würde niemand von der einmal aufgenommenen Fährte abbringen können. Sex, Alkohol, Geld, Drogen - ihn interessierten nur die Zahlen, mit denen er seine Mitmenschen drangsalieren oder bestenfalls strangulieren konnte.
Nach vierzig Arbeitsjahren erhielt er eine Gratifikation und seine Papiere. Er wurde Rentner und an seine Stelle trat ein neuer, sehr bissiger Terrier. An der Feier zu seiner Verabschiedung nahm er gar nicht erst teil. Zum ersten Mal in seinem Arbeitsleben machte er damit allen Mitarbeitenden bis zum Vorstand eine große Freude.

„Was mache ich nun? Was tut denn so ein Rentner?“ Er dachte an die alten Männer im Park. Nee, das wollte er nicht, den ganzen Tag rumsitzen und sich das blöde Gelaber anhören. Den ganzen Tag in seiner gut eingerichteten, großen Wohnung sitzen - da fiel ihm die Decke auf den Kopf. Einige Tage versuchte er, sich am Computer mit Zahlenspielen und kniffligen Prüfungsfragen für Buchhalter zu beschäftigen. Aber er merkte, dass ihn fiktive Probleme langweilten. Sollte er in einem Verein ehrenamtlich mitarbeiten, als Kassierer oder gar als Revisor? Wo kam er denn da hin, anderen Menschen zu helfen? Ihm hatte doch auch nie jemand geholfen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren besuchte er sein Elternhaus, aber da wohnten inzwischen andere Leute. Nachdem ihm dreimal die Tiefkühlkost im Ofen verbrannt war, weil er vor sich hin grübelte und die Zugehfrau gekündigt hatte, weil sie es nicht ertrug, ihn immer hinter sich zu wissen, kam ihm die Idee: Er würde in ein Altersheim ziehen. Da gab es eine Kantine wie in der Firma und, falls er einmal krank werden sollte – was ihm noch nicht geschehen war – würde er auch betreut werden. Also mietete er sich ein Zimmer in der Altenwohnanlage „Vergissmeinnicht“, obwohl ihm der Name nicht gefiel:
„Blöder Name. Mich haben ohnehin alle vergessen und die ganze Bagage kann mir sowieso den Buckel runterrutschen.“
Am seinem ersten Morgen im Heim klopfte es an der Zimmertür und dann kam eine Frau in einer weiß-blauen Uniform in sein Zimmer. Er lag noch im Bett und fragte sich, was er mit dem Tag anfangen sollte.
„Guten Morgen, Herr Lechtenburg. Ich bin Schwester Rosita. Wollen wir nicht mal aufstehen? Soll ich ihnen helfen?“
„Was heißt hier wir? Lassen sie mich in Ruhe.“
Schwester Rosita schaute erst verdutzt, aber dann lächelte sie weiter: „Sie dürfen gerne auch freundlich sein.“
„Warum denn? Sie werden doch für Ihre Arbeit bezahlt. Und jetzt raus hier.“ Benni drehte sich zur Wand und wartete vergeblich, dass die Tür klappte.
„Für Freundlichkeit werde ich nicht bezahlt. Ob ich bitte oder danke sage, macht sich beim Geld nicht bemerkbar. Aber mir geht es besser, wenn ich freundlich zu den anderen Menschen bin. Und wenn die anderen auch freundlich sind, wird der Tag gleich ganz wunderschön. Wollen Sie wirklich ein mürrischer alter Mann sein, den niemand leiden kann? Da sind Sie hier im Haus ganz schnell sehr einsam und alleine.“
Da brüllte Benni los: „Ich bin gerne alleine. Dieses ewige Gesülze, bitte, danke, bitte sehr, danke schön das kotzt mich an. Ich will nichts von den Menschen. Ich will nur meine Ruhe haben.“
Schwester Rosita verließ das Zimmer. An der Tür sagte sie noch: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Die Antwort schien ein „Grompff“ zu sein, aber Schwester Rosita war sich nicht sicher.
Abends kam niemand in sein Zimmer, da Herr Lechtenburg nicht zu versorgen war. Schwester Rosita hatte ihre Kolleginnen vorgewarnt und so ging Schwester Katja am nächsten Morgen vorsichtig in das Zimmer, nachdem niemand auf ihr Klopfen geantwortet hatte. Schnell konnte sie die Sachlage feststellen: Das Bett war unbenutzt, im Badezimmer standen keine Utensilien und der Kleiderschrank war leer. Schwester Katja fragte noch einmal im Schwesternzimmer nach, aber sie war im richtigen Raum gewesen. Dann wollte sie im Büro Alarm schlagen, dass sich ein Bewohner heimlich entfernt hätte, aber die Geschäftsführerin, Frau Wolfram, erklärte: „Ich habe gerade die Nachricht erhalten, dass sich Herr Lechtenburg für eine längere Reise nach Namibia entschieden hat.“
Schwester Katja und Schwester Rosita, die gerade hereingekommen war, schauten sie ebenso sprachlos an wie Frau Bremer, die Bürokraft.
„Nun ja“, fuhr Frau Wolfram fort, „Herr Lechtenburg hat in einer Zeitschrift gelesen, die Buschmenschen in Namibia hätten kein Wort für Danke. Wahrscheinlich hat er überlesen, dass sie sehen jede Hilfe als selbstverständlich ansehen und deshalb keine Worte für Bitte und Danke brauchen.“
„Unglaublich.“ Frau Bremer schüttelte den Kopf und die Schwestern staunten sprachlos mit.
Aber die stille Post im Haus Vergissmeinnicht lief tadellos. Als Frau Wolfram beim Essen mitteilte, dass der neue Bewohner wieder ausgezogen sei, krähte Frau Leimbesser, die sehr gut hören konnte, auch wenn sie blind war und im Rollstuhl saß: „Der ist jetzt bei den Hottentotten. Da ist er ganz richtig, dieser ... Primitivling.“

 

„Guten Morgen, Herr Lechtenburg. Ich bin Schwester Rosita. Wollen wir nicht mal aufstehen? Soll ich hnen helfen?“
„Was heißt hier wir? Lassen sie mich in Ruhe.“

Da bin ich tatsächlich doch mal auf Herrn Lechtenburgs Seite,

lieber jobär,

weil ich dieses „wie geht‘s uns denn heute“, den Pluralis M. bevorzugt durch Arzt und Pflegepersonal, aber auch vermeintlich Überlegenen immer ziemlich ruppig beantworte mit „wie‘s mir geht, weiß ich – aber wie‘s Ihnen geht ...“

Aber die Antwort im Zitat zeigt schon an, wessen Leben wir von der Schulzeit bis zum seltsamen, wenn auch eigentlich logischen Ende betrachten. Dass man immer noch die San mit Buschmännern und Hottentotten bezeichnet, spricht dann zugleich gegen die Bildung der Sprecher (umzu relativieren geb ich dann mal von Marc Twain umd eine kleine Passage verlängert das Hottentottentittentantenattentat/...attentäter aus seinen Referaten zum schrecklichen Deutsch an). Gleichwohl würd ich die diskriminierenden Worte stehen lassen als Zeitzeugnis. Der Neger zB ist eben nicht ein Schwarzer, sondern ein Brauner in der braunen Farbe ganzen Bandbreite, wenn der Braune nicht schon durch Bruno, den Bären belegt wäre ...

Aber bei Benni bis hin zum weitreisenden Herrn Lechtenburg, vom Giftzwerg zum Grantler hätt ich wohl auch den Humor eingestellt.

Ein paar Flusen, zumeist Flüchtigkeit

„Abendessen[...]“, rief seine Mutter
besser "Mama", die Mamma ist der Euter und die weibl. Brust

Er versuchte auch[,] einen Rosenstrauch auszureißen, aber …
(Infinitiv vom Substantiv abhängig, darum Komma)

Nach drei Jahren war er in weitem Umkreis bekannt und unbeliebt wie ein bunter Hund.
Der „bunte Hund“ bezieht sich nur auf den Bekanntheitsgrade und nicht auf den Grad der Zuneigung, also besser „Nach drei Jahren war er … bekannt wie ein bunter Hund und unbeliebt.“

Er war Rentner geworden und an seine Stelle trat ein neuer[,] sehr bissiger Terrier.
Warum „war geworden“ wenn ein „wurde Rentner“ doch ausreichte?

Zum ersten Mal in seinem Arbeitsleben machte er damit allen Mitarbeitenden bis zum Vorstand eine große Freu[...]de.

Den ganzen Tag in seiner gut eingerichteten[,] großen Wohnung sitzen -
Einige Tage versuchte er, sich am Computer mi[t] Zahlenspielen und ...
„Sie dürfen gerne auch freundlich sein[!/ alternativ nur den Abschlusspunkt]“

„Warum denn? Sie werden doch für hre Arbeit bezahlt. Und jetzt raus hier.“

Warum ich sicher bin, dass die Höflichkeitsform verwendet werde? Im anderen Fall hätte er geduzt …

Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Friedrichard,

ja, die Schwester Rosita war da wohl zu forsch. Aber in dem Haus herrscht üblicherweise ein freundlicher zugewandter Ton, so dass dieses wir kein pluralis majestatis ist, sondern durchaus liebevoll gemeint ist.

Bei den Hottentotten habe ich auch lange gerungen, aber Frau Leimbessser ist nun mal blind und würde gar nicht sehen, welcher Hautfarbe ein Mensch ist und so gelangt sie auf dem Umweg über Deutsch-Südwest (hat ihr Vater immer von erzählt) zu dem lange gängigen Begriff für die Eingeborenen dieses Landstrichs. Sie ist halt schon etwas älter.

Mamma - auweia, da hat mich das Korrekturprogramm gelinkt.

Vielen Dank für deinen Kommentar und die gefundenen Fehlerchen. Ich hoffe, sie sind alle eliminiert.

Liebe Grüße

Jobär

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom