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Sommernacht

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18.10.2007
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Sommernacht

Irgend etwas trieb ihn hinaus in die Nacht.
Warum es ihm seit einiger Zeit so schwer fiel, lange allein zu Hause zu sein, wenn er nicht arbeiten oder sich um seinen Haushalt kümmern musste, wußte er nicht und er hatte auch keine Lust darüber nachzudenken.
Er akzeptierte diesen Wunsch, der irgendwo in ihm entstand, weil er wußte, dass es ihm guttat, darauf zu hören.
Er sah auf die Uhr; es war kurz nach zehn und die Kneipen der Stadt würden noch lange geöffnet sein.
Ja, es hat durchaus seine Vorteile in einer Großstadt zu leben, dachte er, nicht in irgendeinem kleinen Kaff, wo spätestens um acht Uhr abends die Bürgersteige hoch geklappt werden, wie es so schön hieß.
Während er duschte und sich anzog, überlegte er lächelnd, dass selbst diese unruhige und geschäftige Stadt klein und provinziell wirkte wenn er an jene wirklich große, einzigartige Stadt jenseits des Ozeans dachte.
„The city that doesn´t sleep“, flüsterte er beschwörend und warf dem gerahmten Poster mit den Wolkenkratzern, das in seinem Flur hing, eine Kußhand zu.

Als er vor seine Haustür trat fühlte er sich leicht und heiter, bereit irgendetwas Unsinniges oder Verrücktes zu tun.
Du bist nicht mehr zwanzig, mahnte seine innere Stimme.
„Na und!“ sagte er laut, schob die Hände in die Hosentaschen, atmete den Duft des Sommerabends tief ein und ging los.
Eine halbe Stunde später betrat er eine kleine Kneipe, die erst vor wenigen Wochen eröffnet hatte und die er noch nicht kannte. Er sah sich im Gastraum um, der in ein angenehmes, nicht zu helles Licht getaucht war. Es sah aus wie in den meisten Kneipen: ein Tresen, ein paar Tische und Stühle, die hier aus dunklem, altem Holz zu sein schienen; ein ebenfalls alter aber erstaunlich heller und gut gepflegter Holzfußboden, dessen lange, breite Dielen ihn an Schiffsplanken erinnerten. An den Wänden fiel ihm eine umfangreiche Sammlung alter Werbeschilder für diverse Alkoholika, Haushaltsartikel und Schifffahrtslinien auf.
Na wenigstens keine verräucherten Gemäldereproduktionen, dachte er, das hat immer sowas Trostloses.
Die Kneipe war gut besucht, fast zu gut, fand er, denn er konnte keinen freien Platz entdecken.
Die Frau hinterm Tresen, nicht mehr ganz jung und viel zu stark geschminkt, deutete mit Kopf und Augen lächelnd in Richtung Fenster. Hier stand, in der Ecke zwischen Fenster und Wand, im Halbdunkel kaum zu erkennen, noch ein freier, langbeiniger Bistrotisch mit zwei Stühlen.
Er rückte einen davon so zurecht, dass er von seinem Platz aus den gesamten Raum überblicken konnte, setzte sich zufrieden und bestellte ein Bier. Es war ihm recht, ein wenig abseits zu sitzen, im Augenblick hatte er keine Lust möglicherweise angesprochen zu werden und sich unterhalten zu müssen. Vielleicht später.
Mit dem Fuß angelte er nach dem anderen Stuhl, zog ihn neben sich und hoffte, dass niemand den nun einzigen freien Platz entdeckte. Nach dem zweiten Bier fühlte er sich entspannter, so, als sei er erst jetzt wirklich angekommen.
Ab und zu verabschiedeten sich Gäste, neue kamen herein, meist Paare oder kleine Gruppen aus vier, fünf Leuten, die sich auf die wenigen frei gewordenen Plätze verteilten.
Er nahm die Atmosphäre in sich auf, hörte Gesprächsfetzen und Lachen, beobachtete eine zweite Frau, die nun ebenfalls hinter dem Tresen bediente. Sie war höchstens halb so alt wie ihre Kollegin und ihm fiel wohltuend auf, dass sie kaum geschminkt war. Ihre ganze Erscheinung strahlte eine natürliche, fast noch mädchenhafte Schönheit aus, die großen dunklen Augen und die langen schwarzen, leicht gelockten Haare standen in seltsamem Kontrast zu ihrer hellen Haut.
Faszinierend, dachte er und sah, wie sie ihr Haar zusammennahm und es mit Hilfe eines leuchtend roten Haarbandes nicht im Nacken, sondern seitlich über einem Ohr zusammenband.
Erstaunt nahm er wahr, wie sich durch diese Änderung der Frisur ihre ganze Erscheinung veränderte. Das Mädchenhafte verschwand, ihr Lachen klang selbstbewußt, sogar ein wenig herausfordernd, ihre Augen schienen schmaler als zuvor, der Blick frech, fast abschätzig.
Sie sah nicht zu ihm herüber und doch fühlte er sich als habe sie ihn angesprochen. Wieder breitete sich jene unerklärliche Unruhe, die ihn aus dem Haus getrieben hatte, in ihm aus.
Schlag dir das aus dem Kopf, hörte er seine innere Stimme sagen, sie könnte deine Tochter sein.
Ernüchtert wandte er den Blick ab und erschrak.
Vor seinem Tisch stand mit vor der Brust verschränkten Armen eine Frau. Er hatte, vertieft in die Betrachtung der Anderen, gar nicht bemerkt, dass sie den Raum betreten hatte.
„Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken,“ sagte sie mit amüsiertem Lächeln, „ich wollte eigentlich nur fragen, ob der Platz noch frei ist.“
Er nickte wortlos.
„Prima. Dann hole ich mir erstmal ein Bier.“
Sie warf ihre Jacke über den Barhocker und entfernte sich mit sicheren, wiegenden Schritten.
Er sah ihr nach, registrierte, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, den intensiven, würzigen Duft ihres Parfüms. Sie hatte lange schlanke Beine, trug einen engen kurzen Rock und High Heels mit erschreckend hohen Absätzen.
Als sie mit dem Glas in der Hand zurückkam, ihr langes rötlich schimmerndes Haar entschlossen über die Schultern zurückwarf und sich neben ihn setzte, fühlte er sich endlich zu einer Erwiderung imstande.
„Sorry, ich war wohl etwas in Gedanken.“
„Ich würde eher sagen, du warst abgelenkt.“
Sie zwinkerte ihm zu.
„Aber das finde ich verständlich. Sie sieht ja auch wirklich nett aus“, setzte sie mit einem Blick auf die junge Frau hinzu.
„Ja, sehr nett“, murmelte er und begann sich in der Gesellschaft seiner Tischnachbarin unwohl zu fühlen. Er hatte nichts gegen Überraschungen, aber ihr Verhalten irritierte ihn. Sie redete drauflos, als seien sie alte Bekannte, als habe sie, indem sie zufällig den freien Platz neben ihm belegte, auch das Anrecht erworben, den Abend mit ihm zu verbringen.
Er ärgerte sich über ihre vollkommen distanzlose Art und Weise ihn in ein Gespräch zu verwickeln, es fühlte sich irgendwie verkehrt an. Er hielt sich nicht für altmodisch, aber er fühlte sich wohler, wenn er als Mann entscheiden konnte, ob er eine Frau ansprechen wollte oder nicht.
Es blieb ihm noch die Möglichkeit aufzustehen, das Bier zu bezahlen und zu gehen, aber das schien ihm keine wirkliche Alternative, denn in ihm regte sich etwas wie widerwilliges Interesse, eine seltsame Mischung aus Neugier und Ärger.
Wenn sie mich unbedingt anmachen will – an mir soll es nicht liegen. Vielleicht ist es genau das, was ich jetzt brauche.
Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sie mit flinken Fingern eine Nachricht in ihr Handy tippte. Sie bemerkte seinen Blick.
„Ich bin gleich fertig. Hab nur meiner Freundin Bescheid gegeben, dass ich jetzt auch gestrandet bin.“
„Gestrandet?“
Ihr Lachen klang unbeschwert und so dunkel wie ihre Stimme. Viel zu tief für eine Frau mit so aufreizenden Beinen, fand er.
„Ja, gestrandet. Das ist unser Spiel. Wir ziehen manchmal durch die Kneipen und lassen einfach passieren, was sich ergibt. Sie sitzt schon seit einer Stunde bei einem Typen in der Bar gleich um die Ecke. Das war mir auf die Dauer zu langweilig, also hab ich wieder Segel gesetzt – wie wir das nennen – na ja, und jetzt bin ich hier bei dir gestrandet.“
„Was es alles gibt“, erwiderte er hilflos.
Ihre Direktheit verblüffte ihn wieder, er fand dieses Verhalten nach wie vor eher männlich als weiblich.
Aber vielleicht, der Gedanke gefiel ihm je länger er darüber nachdachte, vielleicht ist so ein Rollentausch ganz aufregend. Möglicherweise gefällt es mir ja, das Opfer einer Amazone mit langen Beinen und High Heels zu werden?
Er wandte sich ihr zu, sah sie zum ersten Mal richtig an.
„Scheint ein interessantes Spiel zu sein, das ihr da spielt. Gibt es schon gesicherte Erkenntnisse über die Spezies Mann?“
Sie lachte wieder.
„Natürlich gibt es die. Wir sind schließlich ernsthafte Forscherinnen.“
Sie verzog den Mund als sei sie beleidigt, sah ihn aber gleichzeitig an als könne sie es nicht erwarten, weitere Beleidigungen von ihm zu hören.
Die Ironie in ihrer Stimme gefiel ihm. Plötzlich fand er es ganz einfach sich auf diese merkwürdige Unterhaltung einzulassen, seine innere Stimme schwieg, sein Kopf fühlte sich leicht und frei an.
„Wirst du einen armen, unwissenden Mann an deinen Erkenntnissen teilhaben lassen?“
„Klar, warum nicht? Je mehr die Männer über sich selbst erfahren, umso besser für uns Frauen!“
„Das hört sich an als hätten wir bisher noch in Höhlen gelebt.“
Seine Erwiderung klang provokant und verärgert. Er konnte einfach nicht verhindern, dass ihre Art ihm aufregte.
„Bis jetzt bin ich noch nie morgens in einer Höhle aufgewacht,“ entgegnete sie und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.
„Okay, ich sag nichts mehr. Ich warte auf deine Erkenntnisse.“
„So spannend sind die gar nicht.“
„Trotzdem.“
Sie holte tief Luft.
„Also gut: Männer sind entweder Beschützer oder Liebhaber.“
Die Geste ihrer Händen schloß alle Männer in der Kneipe ein.
„Das klingt tatsächlich nicht besonders spannend.“
„Sag ich doch.“
Sie neigte den Kopf und sah ihn an als taxiere sie ein Kleidungsstück von dem sie noch nicht wußte, ob sie es kaufen würde.
„So wie du mich ansiehst, scheinst du zu glauben, dass ich in keine der beiden Kategorien passe.“
„Das hast du gesagt.“
„Ja, aber nur, weil du mich so ansiehst.“
„Dass Männer sich immer einbilden, sie wüßten, was Frauen denken.“
Er versuchte sich nicht über diese Bemerkung zu ärgern, aber es gelang ihm nicht.
„Ich bilde mir nicht ein, das zu wissen, aber ich versuche seit dreißig Jahren, es herauszufinden. Ist auch eine Art Forschungsprojekt.“
„Sehr interessant! Was muss ich tun, um daran teilnehmen zu können?“
Der deutlich übertriebene, mutwillige Augenaufschlag, mit dem sie ihre Worte begleitete, machte ihn noch wütender.
„Gar nichts.“
„Schade. Passe ich nicht in dein Schema? Bin ich nicht dein Typ? Bringe ich nicht die nötigen Voraussetzungen mit?“
Aus ihrer Stimme schien jetzt ehrliches Interesse zu sprechen. Er wunderte sich, dass es ihm mühelos gelang, seine Wut zu verdrängen und ihr ruhig zu antworten, so als würde er die Fragen einer Lehrerin folgsam beantworten.
„Doch schon. Du bist eine Frau.“
„Und das reicht?“
„Manchmal ja.“
„Und wenn es nicht reicht?“
„Dann fällt der Test ausführlicher aus.“
„Also eine Beziehung?“
„Mit der Absicht eine Frau zu testen? Auf so einen Gedanken bin ich noch nie gekommen.“
„Ach so, du ein Romantiker! Erst verlieben, dann testen.“
Wieder hörte er ihr dunkles, wohlklingendes Lachen und versuchte, dem wohligen Gefühl zu widerstehen, das langsam aber unaufhaltsam durch seinen Körper zu kriechen begann.
Laß dich darauf nicht ein, warnte ihn wieder die Stimme irgendwo in seinem Kopf. Sei vernünftig, setze ihr etwas entgegen.
„Merkst du eigentlich, was für einen Schwachsinn du erzählst?“
„Klar, ich bin ja nicht betrunken. Aber es macht Spaß.“
„Auf meine Kosten.“
„Warum so verbissen? Sieh es einfach locker. Wir sitzen hier, trinken ein Bier, unterhalten uns, haben Spaß .....“
„Unterhalten? Du hast mich provoziert.“
„Ach ja? Interessant, dass das so einfach ist.“
Da waren wieder jene beiden Aspekte ihres Verhaltens, die ihn mehr verunsicherten als er wahrhaben wollte: mutwillige Ironie und herausfordernde Blicke. Er schaffte es nicht auf die Stimme der Vernunft zu hören, er wollte es wohl auch nicht mehr.
„Klar ist das einfach. Ich bin ein Mann.“
„Gut, dass du es erwähnst, ich hätte es fast vergessen.“
„Das ich ein Mann bin?“
„Nein, dass man Männer so leicht durchschauen kann, weil sie so einfach gestrickt sind.“
„Ist das so?“
Er wunderte sich, dass ihn ihre Aussage innerlich völlig kalt ließ. Er hörte, was sie sagte, sah in ihre Augen und wußte, dass ihr Gespräch längst zu einem spielerischen Kampf geworden war, der begann, über das eigentliche Wortgefecht hinauszugehen. Er konnte und wollte nicht mehr ignorieren, das in jeder Frage, jeder Antwort, jedem Blick etwas anderes mitschwang. Er wußte was es war und es gefiel ihm.
„Was willst du hören?“ fragte sie leichthin.
„Die Wahrheit.“
„Meine Wahrheit oder lieber eine tröstliche Wahrheit?“
„Mein Gott, musst du schlechte Erfahrungen gemacht haben!“
„Keine schlechten Erfahrungen, nur einfach Erfahrungen.“
„Vielleicht waren es die falschen Männer? Vielleicht hättest du deine eigene Testreihe nicht so wahllos durchführen sollen.“
„Sei nicht unverschämt! Glaubst du, dass ich wahllos Männer anspreche?“
„Mich hast du ja auch angesprochen.“
„Wer sagt dir, dass ich das nicht absichtlich und bewußt getan habe?“
„Hast du?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil nur noch an deinem Tisch ein Platz frei war.“
Wieder traf ihn ihr Lachen unvermittelt. Sein Magen zog sich zusammen.
„Gute Antwort.“
„Tja, mir fällt meistens etwas Gutes ein.“
Er wußte, dass es von seiner Erwiderung abhängen würde, ob ihr zufälliges Zusammentreffen an diesem Abend, in dieser Kneipe, an diesem Tisch, nur eine nette Plänkelei bleiben oder sich ab jetzt in eine andere Richtung entwickeln würde. Nach kurzem Zögern wußte er, was er wollte.
„Nur verbal oder auch sonst?“
„Sonst? Was verstehst du unter sonst?“
„Alles was du willst.“
„Ist das ein Angebot?“
„Ich mache keinen Frauen Angebote, die ich zufällig in einer Kneipe treffe.“
„Wow! Prinzipien hast du auch noch.“
„Du nicht?“
„Sicher habe ich welche. Aber bestimmt andere als du.“
„Okay. Was sehen deine Prinzipien denn in der augenblicklichen Situation vor?“
Sie hob die Schultern, machte eine vage Handbewegung.
„Spaß haben. Und wenn sich die Gelegenheit bietet: genießen.“
„Und dann?“
„Nichts und dann. Vielleicht bin ich einfach nur neugierig?“
„Alle Frauen sind neugierig.“
„Männer nicht? Du hast mir mindestens genauso viele Fragen gestellt wie ich dir.“
„Klar, weil es Spaß macht.“
„Das wollte ich hören!“
Jawohl, Frau Lehrerin. Seine innere Stimme klang hämisch und selbstzufrieden.
„Hey, was soll das? Denkst du, ich bin ein verklemmter Spießer?“
„Wenn du das wärst, würde ich nicht mehr hier sitzen.“
„Und woher weißt du, dass ich es nicht bin?“
„Das spüre ich.“
„Das dachte ich mir. Frauen spüren immer irgendetwas. Oder sie bilden sich ein, etwas zu spüren, selbst wenn da gar nichts ist. – Was spürst du denn jetzt, in diesem Augenblick?“
„Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen soll ......“
Er sah sie überrascht an. Irritiert, fast verlegen wandte sie den Blick ab.
„Warum nicht? Du hast gesagt, du willst Spaß haben. Und unsere Unterhaltung ist doch wohl Spaß, oder?“
„Nicht nur.“
„Sondern was?“
„Du gefällst mir.“
„So schnell geht das?“
„Bei dir nicht?“
„Ich sagte doch, ich habe Prinzipien.“
„Aber die kannst du doch auch mal vergessen.“
Wieder verzog sie den Mund als habe sie nicht bekommen, was sie wollte.
„Klar kann ich das.“
„Dann tu es doch. Mach mir ein Angebot.“
Das Blut pochte in seinen Schläfen, er konnte nicht mehr denken. Obwohl ihm nicht schwindlig war, schien sich alles um ihn herum zu drehen.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
„Mir fällt keine bessere ein.“
„Ich kann sowas nicht.“
Er hatte das nicht sagen wollen, es war einfach passiert und er wußte, wie hilflos sich seine Entgegnung anhörte.
„Sowas? Was denkst du denn, was ich erwarte?“
„Ist das nicht ziemlich eindeutig?“
Sie legte ihre Hand auf seine, sah ihn ernst an.
„Wenn du das so siehst ..... Ich habe nichts gesagt. Das sind allein deine Gedanken.“
„Die aus deinem Verhalten resultieren.“
„Wie verhalte ich mich denn? Ich rede doch nur mit dir.“
„Ach ja? Ich dachte .....“
Er brach ab, merkte, dass er im Begriff war etwas Falsche zu sagen.
„Ja?“
Schweigend schüttelte er den Kopf.
„Ich mag schüchterne Männer. Sie sind eine Herausforderung.“
Ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab, klang, als würde sie ihn streicheln.
Es fiel ihm schwer sie nicht anzusehen.
„Ich will dich nicht herausfordern. Eigentlich wollte ich nur mein Bier trinken.“
„Das glaube ich dir nicht. Dein Bier interessiert dich schon längst nicht mehr.“
„Was dann?“
„Ich.“
Seine Gegenwehr brach endgültig zusammen.
„Ja, okay! Ich finde dich interessant. – Aber das ändert nichts an den Tatsachen.“
„Welche Tatsachen?“
„Nun, wir sitzen hier in einer Kneipe, kennen uns kaum ...... du weißt: die Sache mit den Prinzipien.“
Er versuchte es noch einmal mit Ironie, trotzdem fühlte er sich als habe er einen Kampf verloren.
„Wer sagt, dass wir hier sitzen bleiben müssen? Und kennen ist ein sehr relativer Begriff.“
„Bitte jetzt keine philosophischen Erörterungen. Dazu habe ich keine Lust.“
Falsches Wort, rief seine innere Stimme, aber es war schon zu spät.
„Gutes Stichwort. Das beste, wenn du mich fragst. – Wozu hast du denn Lust?“
„Jetzt? In diesem Augenblick?“
„Ja. Sag es mir.“
„Und dann?“
„Tun wir vielleicht, worauf du Lust hast.“
Sie legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel und sah ihn an. Die Berührung traf ihn unvorbereitet.
Verzweifelt versuchte er sich an Worte zu erinnern, die er jetzt sagen könnte, irgendetwas, das als Erwiderung geeignet wäre, eine eindeutige Bemerkung, die die Situation entschärfen würde. Aber sein Kopf weigerte sich zu denken. Er wünschte sich nur, sie möge ihre Hand dort liegen lassen, wo sie war.
Er schloß die Augen, sah nicht, wie sie ihn mit einem siegessicheren Lächeln beobachtete.
„Gut, wenn du es mir nicht sagen willst“, sagte sie mit vollkommen neutral klingender Stimme und nahm die Hand von seinem Bein, „dann gehe ich jetzt. Hier drinnen ist es sowieso viel zu warm.“
Mit schnellen, sparsamen Bewegungen stand sie auf, nahm Jacke und Tasche, warf ihm eine Kußhand zu und war verschwunden, bevor er wieder ganz in der Wirklichkeit angekommen war. Er saß einfach da, starrte auf die Tür, die sich hinter ihr schloß und fühlte sich unfähig etwas zu tun.
Laß sie nicht gehen, raunte eine neue, fremde Stimme in seinem Kopf. Sie klang nicht vernünftig, sondern so, als wolle sie ihn auffordern etwas Verrücktes zu tun. Schwach erinnerte er sich an das Gefühl, das ihn aus dem Haus getrieben hatte. Er stand auf, bezahlte sein Bier und verließ die Kneipe.
Sie war am Fenster vorbei nach links gegangen, das hatte er gesehen, aber als er jetzt nach ihr Ausschau hielt, konnte er sie zwischen den vereinzelten Fußgängern nicht entdecken.
Er hörte das leise, entfernte Summen des Großstadtverkehrs, das auch nachts nie ganz erstarb und atmete die zwar warme, aber angenehme Luft tief ein.
Wo ist sie geblieben?
Langsam ging er in dieselbe Richtung, versuchte die Enttäuschung über ihr plötzliches Verschwinden zu verdrängen.
Vielleicht hat sie die Straßenseite gewechselt, fiel ihm ein. Suchend beobachtete er den gegenüberliegenden Fußweg, aber auch dort war sie nicht.
„Du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen“, flüsterte er ärgerlich, lehnte sich kopfschüttelnd an die Hausecke und zündete sich eine Zigarette an. Er stand in der Einfahrt zu einem kleinen Hinterhof, erkannte im Zwielicht einer einzelnen Straßenlaterne Stapel leerer Getränkekisten, ein paar Müllcontainer, ein Auto und mehrere Fahrräder. An der gegenüberliegenden Hauswand fiel ihm das große bunte Werbeplakat eines Reiseunternehmens auf.
Die frischen, aggressiven Farben, das lachende Pärchen, das sich an irgendeinem exotischen Strand vergnügte, passten so gar nicht zu den alten, schmuddeligen Fassaden ringsum und schon gar nicht zu seiner Stimmung.
Plötzlich hörte er ihr kurzes, tiefes Lachen.
Für einen Augenblick hielt er es für eine Sinnestäuschung, eine Wunschvorstellung, gleichzeitig wußte er, dass sie dort irgendwo in der Dunkelheit war und auf ihn wartete.
Er warf die Zigarette weg und betrat den Hof.
Sie lehnte an der Rückwand der Kneipe und lächelte.
„Ich dachte schon du kommst nicht mehr.“
Ihre Stimme klang verlockend.
„Ich wusste doch gar nicht .....“
Er vollendete den Satz nicht, ärgerte sich vielmehr, dass sich seine Worte schon wieder so anhörten als müsse er sich verteidigen oder entschuldigen. Er blieb einfach stehen und sah sie an.
Sie neigte den Kopf, musterte ihn mit offensichtlichem Interesse von Kopf bis Fuß, was er keineswegs unangenehm fand.
„Wie lange willst du noch da stehen bleiben?“
Sie streckte eine Hand aus.
In seinem Kopf war nur Leere, trotzdem wusste er, was er tun wollte. Er spürte den Schlag seines Herzens bis in den Hals, die Situation verwirrte und erregte ihn gleichermaßen. Der öffentliche Ort, die Nähe der Straße, die Möglichkeit, dass jemand den Hof betrat, ließ ihn unschlüssig stehen bleiben. Der Duft ihres Parfüms wehte zu ihm herüber.
„Komm her“, flüsterte sie.
Ein kaum wahrnehmbares Zittern in ihrer Stimme brachte ihn dazu, endlich zu ihr zu gehen.
Ihre Umarmung fühlte sich wie eine Erlösung an, er spürte ihren atmenden warmen Körper ganz nah, ihren Mund, der seine Lippen berührte, ihre Zunge, die erst vorsichtig, dann forschend und verlangend seinen Mund erkundete.
Zunächst ließ er es erstaunt geschehen, so, als könne er sich nicht recht erinnern wie man küsst.
Als er ihren Kuß endlich erwiderte, lösten sich Zögern und Zweifel in besinnungslosem, glühendem Verlangen auf. Mit sicheren Fingern öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, berührte ihre Haut, die sich unter seinen Händen seltsam kühl anfühlte.
„Ich will dich“, seine Stimme klang rauh und fremd.
„Ich weiß“, flüsterte sie während ihre Zunge sein Ohr umspielte und der Linie seines Nackens folgte. Ein wohliger Schauer durchdrang seinen Körper, trotzdem gelang es ihm noch einmal auf den Rest von Vernunft in seinem Kopf zu hören.
„Es könnte uns jemand sehen.“
Sie lachte leise und küsste ihn wieder. Er erwiderte den Kuß, erst sanft, dann leidenschaftlich, schließlich ungestüm und fordernd.
Es war ihm peinlich, dass er dabei eine Erektion bekam, er fühlte sich ausgeliefert und sie würde es bemerken.
Natürlich entging es ihr nicht. Ihre Hand glitt über seine Brust immer weiter abwärts, verharrte nach kurzem Zögern. Sie schob sich an ihm vorbei, drückte ihn an die Wand und ging vor ihm in die Knie.
Er hörte wie sie den Reißverschluß an seiner Hose öffnete, spürte ihre Hand, dann ihren Mund.
Er schloss die Augen und ließ es geschehen.

 

Hallo Evermore,

wollte einfach rückmelden, dass ich deine Geschichte vor ca. drei Stunden gelesen und seitdem ein wenig über sie nachgedacht habe. Wirklich überzeugt hat sie mich nicht, obwohl ich sie vom Plot her halbwegs nachvollziehbar finde und denke, dass du dir beim Aufbau durchaus deine Gedanken gemacht hast. So finde ich es ganz schön, dass die beiden nicht einfach gemeinsam die Kneipe verlassen, sondern der Prot erst einmal auf die Suche nach ihr gehen muss. Das hätte eine Spannungssteigerung zum Ende hin bewirken können, verpufft bei dir dann aber.

Ich finde es schwer, zu Greifen zu bekommen, woran es lag, dass die Geschichte mich weitestgehend kalt gelassen hat.

Warum es ihm seit einiger Zeit so schwer fiel, lange allein zu Hause zu sein, wenn er nicht arbeiten oder sich um seinen Haushalt kümmern musste, wußte er nicht und er hatte auch keine Lust darüber nachzudenken.
Ich habe das Gefühl, über das Thema "Erzählperspektive" hast du dir beim Schreiben keine großen Gedanken gemacht. Auf der einen Seite bist du sehr nahe an den Gedanken der Hauptperson und zeigst diese immer mal wieder stark reflektierend; auf der anderen Seite bist du aber relativ weit weg von der Gedankenwelt des Protagonisten. Niemand würde denken: "Warum es mir seit einiger Zeit so schwer fällt...", damit zeigst du, dass der Erzähler außerhalb des Prots steht. Dann schlägst du aber mit sehr subjektiven, trotzigen Reflexionen nach: "...und er hatte auch keine Lust darüber nachzudenken". Das wieder würde kein Erzähler so zum Besten geben. Der würde eher abstrahieren, vielleicht sogar karikieren: "...so wie er sich auch in anderen Dingen vor dem Nachdenken drückte" (oder so...) Als Leser habe ich so kaum Gelegenheit, eine klare Position einzunehmen: um Empathie für den Protagonisten aufzubringen, ist er mir zu weit weg; um ihn fasziniert von außen zu betrachten, ist er mir aber zu nah am Prot.

Deine unklare Erzählperspektive führt dann auch zu verschiedenen umständlichen Formulierungen. So beschreibst du immer wieder "er sah", "er entdeckte" usw., so als wolltest du so den Blick des Lesers lenken. Wenn du aus der Perspektive des Protagonisten schreibst, sind solche "Hilfs-"Verben überflüssig, weil klar ist, dass die Dinge, die er beschreibt, von ihm gesehen werden. Schreibst du aber aus der Sicht eines Erzählers, suggerierst du, es sei von besonderer Wichtigkeit, dass der Prot bestimmte Dinge sieht. Was in dieser Geschichte in den meisten Fällen nicht stimmt. Dann wieder beschreibst du Dinge, die der Prot nicht sehen kann, die also von einem außen stehenden Erzähler stammen müssen:

Er schloß die Augen, sah nicht, wie sie ihn mit einem siegessicheren Lächeln beobachtete.

So viel zur Form. Zum Inhalt hatte ich dir ja bereits gesagt, dass mir der Aufbau eigentlich ganz gut gefiel. Allerdings ist der Hauptteil, die Mitte der Story, deutlich überproportioniert. Ich denke, da könntest du locker ein Drittel herauskürzen, ohne dass es der Geschichte schaden würde.

Nach der Einleitung beginnt der Hauptteil mit dem vielversprechenden Satz:

Als er vor seine Haustür trat fühlte er sich leicht und heiter, bereit irgendetwas Unsinniges oder Verrücktes zu tun.
Was folgt, ist aber Etikettenschwindel. Der Typ macht das Naheliegendste und Unspektakulärste: er verkriecht sich in eine Kneipe und guckt den schönen Frauen nach. Du weckst eine Erwartung - danach muss der alles dominierende Kneipen-Dialog mit Frau Langbein notwendig enttäuschen.

Sicher war zu merken, wie der Dialog auf ein Ziel zusteuert. Aber da dieses Ziel relativ schnell klar war, überraschte mich nicht einmal wirklich, dass er die Frau vor der Kneipe noch einmal aus den Augen verlor. Meine Wette stand 90 zu 10, dass er sie wiederfinden würde. Meine einzige Hoffnung war über eine lange Strecke, die Schöne könne sich als Mann entpuppen. Du brachtest ziemlich am Anfang mal so eine Andeutung bezüglich ihrer tiefen Stimme.

Auch bei den Beschreibungen hast du mich wenig überzeugt. Am Originellsten fand ich noch das New York-Poster am Anfang; schon die Kneipe mit ihrem vielen Holz war eine 08/15-Eckkneipe, und bei der Beschreibung der Frau, die sich zu ihm an den Tisch gesetzt hat, bist du dann seehr an der Oberfläche hängen geblieben. Das klang dann eher nach Klischee als nach Beobachtung - ohne dass ich nachher ein deutlicheres Bild von ihr gehabt hätte. Da bist du mit der Frau am Tresen liebevoller umgegangen. Die blieb auch als Bild in meiner Erinnerung, während ich bei der Rothaarigen außer langen Beinen und einem durchdringenden Parfum nichts mehr assoziiere. War das Absicht, dass du sie (von den roten Haaren abgesehen) nur "Bauchnabel-abwärts" beschreibst?

Dazu passt das Ende. Obwohl deine Rothaarige ja durchaus während des Gesprächs sehr zielstrebig wirkte, fällt es mir schwer vorzustellen, wie sie nun in absoluten Altruismus verfällt und bereit ist, dem Prot in einem dunklen Hinterhof auf die Schnelle einen zu blasen. Im vorausgehenden Dialog wirkte sie eher so, als sei sie selbst auf schnellen Lustgewinn gepolt. Dann aber würde sie eher seinen Kopf nach unten drücken, statt selbst in die Knie zu gehen. Oder ihn in ein Hotel schleppen. Da ist dir scheinbar deine Männerphantasie durchgegangen.

Keine allzu positive Kritik, ich weiß. Aber vielleicht kannst du damit ja etwas anfangen.

Herzliche Grüße,
Ennka

 

Hi Ennka,

ich kann mit allem etwas anfangen .... es gibt immer was zu verbessern. Also danke erstmal für Deine ausführliche Kritik!
Ich wusste - oder ahnte zumindest - dass in der Geschichte ein paar "Stolperer" drin sind, aber manchmal ist es schwierig, die genau einzugrenzen, weil man als Schreibender so nahe am Text ist. - Deshalb nochmal danke für Deine Hinweise (mit denen ich mich erstmal in Ruhe beschäftigen muss).

Ach übrigens ..... "Männerphantasien"? Ich bin kein Mann ...;)

Gruß
Evermore

 

Ach übrigens ..... "Männerphantasien"? Ich bin kein Mann ...

Hi Evermore,

du überrascht mich. Manchmal, wenn ich nicht sicher bin, schaue ich schon nach, ob der Autor Mann oder Frau ist - weil sich einige Dinge dann von selbst (er)klären. In diesem Fall hätte ich nicht gezweifelt. Das zeigt zumindest, dass dir die Erzähl-Perspektive in dieser Hinsicht geglückt ist :)

Damit steht aber meine Bemerkung, was Frau m.E. tun oder nicht tun würde in einem völlig anderen Licht. Würde mich ja nun interessieren, wie du auf das Ende kamst: wolltest du ein männliches Klischee bedienen oder sieht du darin wirklich den Gipfel emanzipierten Verhaltens (denn du hast die Frau ja als sehr selbstbewusst/selbstbestimmt angelegt)?

Mit neugierigem Gruß,
Ennka

 

Hi Enka,


> du überrascht mich. Manchmal, wenn ich nicht sicher bin, schaue ich schon nach, ob der Autor Mann oder Frau ist - weil sich einige Dinge dann von selbst (er)klären. In diesem Fall hätte ich nicht gezweifelt. Das zeigt zumindest, dass dir die Erzähl-Perspektive in dieser Hinsicht geglückt ist :) <

Danke, dass Du das noch mal erwähnst, denn für so völlig daneben hatte ich die Perspektive auch nicht gehalten. Hatte mich nach Deiner Kritik mit dem Text beschäftigt und mich gefragt, was, wo, warum ich da ändern sollte, könnte, müsste (rein perspektivisch) :confused:


> Würde mich ja nun interessieren, wie du auf das Ende kamst: wolltest du ein männliches Klischee bedienen oder sieht du darin wirklich den Gipfel emanzipierten Verhaltens (denn du hast die Frau ja als sehr selbstbewusst/selbstbestimmt angelegt)? <

DAS ist für mich 100%ig NICHT der Gipfel emanzipierten Verhaltens - da wüsste ich schon noch ein paar andere Dinge ..... wenn es um Sex und Erotik geht, ist allerdings etwas anderes als selbstbewusstes Verhalten für mich als Frau (und also auch für mögliche Prot) schwer vorstellbar.

Ja, wahrscheinlich wollte ich ein männliches Klischee bedienen. Der Grund ist wohl, dass diese Geschichte zu einer kleinen Sammlung erotischer Geschichten gehört, die ich für einen Freund als Geburtstagsgeschenk geschrieben habe. Da ich ziemlich genau weiss, was ihm gefällt, ist dieses Ende zustande gekommen (er soll sich ja über sein Geschenk freuen :D)

Gruß
Evermore

 

Hatte mich nach Deiner Kritik mit dem Text beschäftigt und mich gefragt, was, wo, warum ich da ändern sollte, könnte, müsste (rein perspektivisch)
soll heißen, du hast mit den Beispielen, die ich oben bezüglich der Perspektive gebracht habe, nichts anfangen können? Dann muss ich wohl noch mal überlegen, wie ich das Problem klarer formuliert bekomme.

NK

 

Hallo Evermore,

Irgend etwas trieb ihn hinaus in die Nacht.
Ich stolpere schon beim ersten Satz, bzw. beim ersten Absatz deiner Geschichte. „Irgend etwas“ ist mir einfach zu schwammig. Auch wenn es vielleicht nur ein unbestimmtes Gefühl ist, das ihn hinaus in die Nacht treibt, oder die Nachtluft, oder was auch immer ...
Ich versuche mal zu erklären, was mich am ersten Absatz stört: deinem Protagonisten scheint zu Hause die Decke auf den Kopf zu fallen, er wirkt auf mich lustlos, er wirkt unmotiviert, und er hat keine Lust, darüber nachzudenken, warum das so ist. Ich gewinne den Eindruck, dass er ein eher introvertierter, ruhiger Zeitgenosse ist, für den es nicht alltäglich ist, abends um die Häuser zu ziehen, auch wenn er allein lebt. Als solcher passt er auch wunderbar in die Geschichte, aber dann zerstörst du meinen Eindruck von der Figur wieder, in dem du ihn einen Blick auf das Poster werfen lässt, und er sinniert darüber, dass das Leben in der Großstadt durchaus Vorteile hat. Für mich ist das ein Widerspruch, denn ein introvertierter Mensch würde sich mMn in einem kleinen Kaff wohler fühlen als in einer Großstadt. Dieser Gedanke, den du deinen Protagonisten in den Kopf legst, passt für mich eher zu einem aktiven, extrovertierten Menschen, für den es normal ist, am Großstadtnachtleben teilzuhaben. Bei mir entsteht da so ein bisschen der Eindruck einer gewissen inneren Zerrissenheit der Figur, ich weiß nicht, wo ich deinen Protagonisten einordnen soll. Vielleicht wolltest du ihn ja genau so darstellen, aber mir ging es beim Lesen so, dass ich eben nicht wirklich nah am Protagonisten war, ich habe ihn eher skeptisch aus der Distanz betrachtet.

Als er vor seine Haustür trat fühlte er sich leicht und heiter, bereit irgendetwas Unsinniges oder Verrücktes zu tun.
Du bist nicht mehr zwanzig, mahnte seine innere Stimme.
Hier würde ich über die Wortwahl nachdenken. Du willst vermutlich sagen, dass er mit dem Gedanken spielt, in eine Kneipe zu gehen, wo – ich drücke das jetzt mal etwas salopp aus – für ihn die Gefahr besteht, dass er eine Frau kennen lernt. Wenn er schüchtern und introvertiert ist, wird ihn der Gedanke, eine gut besuchte Kneipe zu betreten, vielleicht eher ängstigen, und der Gedanke, jemanden kennen zu lernen, wird ihm utopisch vorkommen. „Verrückt“ passt hier vielleicht gerade noch, auch wenn ich an deiner Stelle versuchen würde, es präziser auszudrücken. „Unsinnig“ passt mMn nicht, denn für ihn hat es ja einen Sinn, und sei es nur der, ein Bier zu trinken und aus der Ferne Frauen zu beobachten. Bezieht man den Satz auf seinen vielleicht unterbewusst vorhandenen Wunsch, eine Frau kennen zu lernen, wird er mMn unsinnig: ich glaube, keinem Mann, und sei er auch noch so introvertiert, wird der Wunsch, eine Frau kennen zu lernen und möglicherweise Sex zu haben, unsinnig oder verrückt erscheinen.

Die Kneipenatmosphäre hast du gut rübergebracht, und auch die Beschreibung der Kellnerin wirkt lebendig. Ist dir gut gelungen. Stimmig finde ich auch, dass der Protagonist sich einen Platz sucht, der etwas abseits liegt, auch wenn du ihm die Entscheidung abnimmst, da es die einzigen freien Plätze sind. Da rückst ihn dann wieder in die eher passive Rolle, und wie oben schon gesagt finde ich, dass er durch sein schüchternes, passives Verhalten sehr gut in die Geschichte passt.

Mit der Beschreibung der Frau hältst du dich etwas zurück und überlässt es der Phantasie der Leser, sich die Frau auszumalen. Ich finde das gar nicht schlecht, denn damit zeigst du, dass dein Protagonist zumindest am Anfang gar kein Interesse an ihr hat.

Er wandte sich ihr zu, sah sie zum ersten Mal richtig an.
Hier hättest du die Frau genauer beschreiben können, du hättest zeigen können, was dein Protagonist sieht. Schließlich nimmt er sie jetzt ja genauer wahr, da sie sein Interesse geweckt hat. Mit deiner Anspielung auf ihre tiefe Stimme und den Zweifeln des Protagonisten wegen ihres „männlichen“ Verhaltens baust du zusätzlich Spannung auf. Ich gebe zu, ich habe bis zum Schluss damit gerechnet, dass sie sich als umgebauter Kerl entpuppt. Mein zweiter Gedanke war, dass sie vielleicht eine etwas abgehalfterte Nutte ist, die durch einen gespielten Flirt auf Kundenfang geht. Der lange Dialog, der hier eigentlich die ganze Geschichte trägt, ist dir ganz gut gelungen, obwohl ich sagen muss, dass mir der Part des Protagonisten teilweise unglaubwürdig vorkommt. Unglaubwürdig deswegen, weil seine doch recht schlagfertigen Antworten nicht zu dem Bild des introvertierten Menschen passen wollen, das ich mir von ihm gemacht habe. MMn lässt das die Figur einfach nicht ganz stimmig wirken.

Das Ende ist im Grunde nicht wirklich überraschend. Wie Ennka schon geschrieben hat, ahnt man, dass es auf Sex hinausläuft. Dass sie ihm dann nur einen bläst ... nun ja, da fragt man sich dann schon, was hat sie eigentlich davon? Insgesamt hat mir deine Geschichte aber trotz der kleinen Unstimmigkeiten gefallen, auch wenn ich immer noch nicht so recht weiß, wo ich deinen Protagonisten einordnen soll.

Gruß, Stefan

 

Hi Ennka,

nein, Du musst Dir keine weiteren Gedanken machen, Deine Anmerkungen wg. Perspektive usw. waren schon verständlich. Ich brauche nur Zeit, um mir über die mögliche Umsetzung Gedanken machen zu können (und an dieser Zeit mangelt es mir leider gerade).

Gruß
Evermore

 

Hi Stefan,

danke für Deine Anmerkungen!

Ja, Du hast Recht: es ist manchmal nicht so einfach, diesen Prot einzuordnen und die innere Zerrissenheit ist ein zentraler (vllt. sogar bestimmender) Teil seiner Persönlichkeit.
Er wird bestimmt in Zukunft noch öfter in Geschichten auftauchen und mit seiner Widersprüchlichkeit und Unentschlossenheit mögliche Leser zur "Verzweiflung" treiben .....

Deine Anregung, die Frau genauer zu beschreiben, werde ich auf jden Fall umsetzen. Ich überlege gerade, wie sie eigentlich aussieht ;-))).

Danke & Gruß
Evermore

 

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