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Sommernachtsträume
Scholli stand neben seinem neuen Motorrad und grinste und fragte: „Isses nich geil?“ Sonnenlicht spiegelte sich in dem schwarzen Lack und schmerzte in den Augen.
„Schöne Maschine.“ Kowallik wischte sich Schweiß von der Stirn. „Wo hastn die her?“
„Ebay-Kleinanzeigen.“
„Echt? Und was haste hingeblättert?“, fragte Kowallik.
Scholli grinste noch breiter. „Über Geld spricht man nich.“
„Mach ne Ausnahme.“
„Nee, du, lass mal.“
„Komm schon.“
„Warn Schnapper. Mehr kriegste nich aus mir raus, wirst sonst nur neidisch.“ Scholli tätschelte den Sitz.
Kowallik trat näher. Von der Hitze erwärmt verströmte der Sitz den Duft von Leder, erinnerte an Neuwagen. Motor und Auspuff glänzten silbern, der Tacho war sauber und an der Windschutzscheibe klebte nicht eine Fliege. „Schnapper am Arsch“, sagte Kowallik. „Das Ding hat nur hundertsiebenundzwanzig Kilometer aufm Buckel.“
„War trotzdem günstich, was soll ich sagen.“
„Was hastn nu bezahlt?“
„Warum bistn so neugierig?“, fragte Scholli.
„Ich frach doch nur.“
„Ich lebe halt sparsam.“
„Hattest doch abern gutes Auto“, sagte Kowallik.
„Der Opel? Nee, die Klima war schon im Arsch.“
„Achso?“
„Jau“, sagte Scholli und zückte sein Handy und sah auf die Uhrzeit. „Genuch gequatscht, was? Müssen jetz ma los. Weißt ja, wie der Gruber sein kann.“
Kowallik nickte bloß. Scholli ging weg, auf die Baustelle zu, zum Schichtbeginn. Kowallik blieb noch stehen und betrachtete das Motorrad und wunderte sich, wie Scholli das Teil bezahlen konnte. Bei der schlechten Auftragslage, bei dem Scheißlohn.
Acht Stunden malochten die Männer. Die Sonne brannte unerbittlich, erst aus Südost, später aus Südwest, und die Schatten von Mauern und Balken und Zementsäcken wanderten mit. Auf der Baustelle wurde es wärmer und wärmer, als wäre sie ein Ofen aus Zement und Backstein. Schweiß tropfte Kowallik vom Kinn, während er eine Mauer aufschichtete, und die Tropfen landeten auf dem grauen Boden und verblieben dort als schwarze Punkte, bis Hitze sie wegtrocknete. Die Sonne schien Kowallik auf Arme und Gesicht und die Haut war schon ganz rot und Kowalliks Unterarme sahen aus, als hätte er dort Ausschlag. Als sich Kowallik aufrichtete, knackte es in seinem Rücken und Schmerz strahlte in seine Beine aus, bis runter in die Füße. Er streckte sich und wieder knackte es und Kowallik biss die Zähne zusammen und stöhnte. Manchmal hasste er seinen Job. Lange würde sein Rücken da nicht mehr mitmachen.
Auch die Kollegen wirkten genervt. Mit geröteten Gesichtern und herabgezogenen Mundwinkeln schleppten die Männer Säcke und Balken und redeten wenig. Nur Scholli war gut gelaunt, er pfiff beim Arbeiten und lächelte immerzu und gelegentlich schielte er zu seinem Motorrad. Dann wurden seine Augen glasig, so als wäre Scholli gar nicht mehr da, als würde er im Geiste über die Autobahn heizen, lachend den Motor aufheulen lassen, und hinter ihm säße eine schöne Blondine, die sich eng an ihn schmiegte, ihre prallen Brüste gegen seinen Rücken drückte, und ihre Haare wehten im Wind und ihre Beine wären lang und braun gebrannt. Kowallik schüttelte den Kopf. Das war bloß seine Vorstellung, seine Begierde, und er war neidisch und hasste sich dafür, denn seine Laune verschlechterte sich. Am liebsten hätte er Scholli das Grinsen mit Fäusten aus der Fresse gewischt.
Eine Woche später auf derselben Baustelle fuhr Scholli mit dem Motorrad vor. Wie jeden Tag. Kowallik hörte die Maschine schon von weitem und rollte mit den Augen.
Scholli hielt neben ihm an und winkte.
Kowallik winkte zurück und lächelte gezwungen.
Scholli stieg ab und zog sich den Helm vom Kopf und sagte: „Neuer Tach, neues Glück, was?“
„Du sachst es“, sagte Kowallik. „Bist aber spät dran.“
„Hab noch ne Extrarunde gedreht“, sagte Scholli.
„So?“
„Macht Heidenspaß. Vielleicht kommste auch noch in den Genuss.“
„Bin nich so der Biker.“
„Da verpasste aber was.“
„Mach sein.“
„Was steht heute an?“
„Mehr Mauern“, sagte Kowallik.
„Wer hätte das gedacht?“, fragte Scholli.
„Jau.“
„Die Scheißhitze wird auch nich weniger.“
„Is ätzend. Aber man kennt ja schon nix anderes mehr.“
Scholli schob den Ärmel seiner Jacke zurück und Kowallik öffnete den Mund, nur leicht, aber trotzdem kam er sich wie ein Trottel vor, als er die neue Uhr an Schollis Handgelenk erblickte. „Wasn das?“
„Schick, ne?“, fragte Scholli und drehte die Uhr Kowallik hin. Sie funkelte so grell und makellos wie das Motorrad und das Glas blendete Kowallik und er musste wegsehen. Er fragte: „War das auchn Schnapper?“
„Ja, sicher“, sagte Scholli. „Sonst könnte ich mir die ja gar nich leisten.“ Er lachte, aber es klang nicht echt.
Kowallik kniff die Augen zusammen und sagte: „Tu die lieber gut wech. Nich, dasse aufm Bau zu Bruch geht.“
„Ja“, sagte Scholli. „Und die muss auch nich jeder sehen.“ Während er das sagte, blickte er auf den Asphalt und er sah Kowallik erst wieder an, als sie die Baustelle erreichten und ihre Schutzhelme aufsetzten.
Kowallik saß in seinem Garten und trank ein kühles Bier. Nur in Unterhose auf seinem Gartenstuhl, und Kowallik trank und spürte, wie ihm die kühle Flüssigkeit die Kehle hinablief. Trotzdem schwitzte er. Die Sonne brannte weiter vom Himmel, ein gelber Feuerball in all dem Blau. Das Gras in Kowalliks Garten war braun und borstig, die Halme sahen aus wie die Stachel eines Igels. Auch die Büsche und Bäume waren vertrocknet. Blätter hingen schlaff von Ästen und die Büsche waren kahl und erinnerten Kowallik an Western, an Steppenläufer in der Wüste und an Männer, die über sandigen Boden krochen, halb verdurstet, mehr tot als lebendig, Geier zogen über ihren Köpfen Kreise. Kowallik trank einen Schluck.
Ein Zitronenfalter saß in einem kahlen Busch und bewegte die Fühler und flatterte los und umkreiste das Gestrüpp, als wäre er auf der Suche nach etwas, und dann landete er wieder in dem Gewirr trockener Zweige und flog dann weg und kam nicht wieder. Kowallik hatte lange keinen Zitronenfalter mehr gesehen, zumindest erinnerte er sich nicht daran. Oder er hatte bisher nie darauf geachtet.
Wieder trank er einen Schluck, dann noch einen und noch einen und dann war die Flasche leer und Kowallik stellte sie neben sich auf den Boden und faltete die Hände auf seinem braun gebrannten Bauch und sagte: „Ich glaub, der Scholli dreht krumme Dinger.“
Seine Frau saß neben ihm, trug einen Bikini und eine Sonnenbrille und las ein Taschenbuch, die Seiten waren wellig wegen der Hitze. Als sie Kowalliks Stimme vernahm, sah sie auf und fragte: „Dein Kollege?“
„Kennste noch nen anderen Scholli?“, fragte er.
„Nö“, sagte sie.
Er schwieg einen Augenblick, sagte dann: „Der hatn neues Motorrad. Brandneu, echt, das glänzt richtich. Und ne dicke Uhr, die hatter jetz auch noch, so eine haste noch nich gesehen. Bestimmt so eine aus dem Fernsehen. Hier, die Werbung mit dem Tennistypen.“
„Rolex?“
„Nee, so hieß der nich.“
„Ich mein die Uhr.“
„Achso, kann sein.“ Kowallik leckte sich die Lippen, sie fühlten sich rissig an, verlangten nach einem zweiten Bier. „Jedenfalls hat der Scholli jetz so eine. Neues Motorrad und neue Uhr, alles jetz die Woche.“
„Und du glaubst, der hat das geklaut?“, fragte sie und legte das Buch mit den Seiten nach unten auf ihre Brust. Sie sah Kowallik an und er war froh, dass sie eine Sonnenbrille trug. Wenn sie ihn ausfragte und ihn dabei bohrend ansah, fühlte er sich, als würde er Schwachsinn von sich geben und müsste sich für alles rechtfertigen. Er räusperte sich. „Nee, das nich. Aber vielleicht verkaufter was. Hehlerei, oder so.“
„Hehlerei?“
„Kann doch sein.“
„Hier draußen aufm Dorf? Was will der denn hier verticken? Rindenmulch?“
„Drogen, oder so.“
„Wenn ich’s nich besser wüsste, würd ich sagen, du liest zu viele schlechte Krimis.“
Kowallik sagte nichts.
Seine Frau sagte: „Vielleicht hatter geerbt oder was gewonnen.“
„Nee, das hätter doch erzählt.“
„Vielleicht nich. Nich jeder lässt sowas raushängen.“
„Und dann kaufter sichn fettes Bike, oder wie?“, fragte er.
„Ich sach ja nur“, sagte sie.
„Nee, da muss mehr hinterstecken, der verheimlicht was.“
„Bildest du dir bestimmt nur ein.“
„Und wenn nich?“
„Was soll dann schon sein?“, fragte sie. „Dann hatter haltn Geheimnis. Musst ja nich alles wissen.“
Kowallik verschränkte die Arme.
Seine Frau grinste. „Jetz sei nich so, alter Grummelbär.“
Nach einer Weile fragte er: „Warum könn wa nich was erben?“
„Von wem?“, fragte sie. „Tante Elizabeth? Die hat mehr Schulden als alles andere.“
„Nee, will ja auch nich, dasse stirbt.“
„Irgendwann musse das.“
Kowallik zuckte mit den Schultern. „Aber vielleicht kann man ja was erben von wem, den man gar nich kennt. Ein entfernter Verwandter, der zufällich Millionär is.“
Seine Frau lachte auf. „Du hast Ideen. Sowas gibt es nu wirklich nur in Filmen.“
„Ich weiß.“
„Wozu brauchste überhaupt so viel Geld?“
Kowallik betrachtete den Garten. Alte und verblichene Gartenmöbel, ein weißer Zaun, dessen Farbe größtenteils abgeplatzt war, ein verwaistes Blumenbeet, eine modrige Gartenlaube. Ein Vogel hatte gegen die Tür geschissen und die Kacke war festgetrocknet und schon eins mit dem Holz. „Ein Rasensprenger wär nich schlecht“, sagte Kowallik.
„Na, bei der Hitze kannste dir den sparen.“
Er drehte sich zu seiner Frau und sagte: „Und im Urlaub warn wa schon lang nich mehr. Das wär doch mal wieder was.“
„Schon, aber wir sind braun und haben genuch Sonne. Und die Strände sind eh zu voll.“
„Stimmt auch wieder.“ Dann saß Kowallik schweigend da und sein schweißnasser Rücken klebte an der Stofflehne des Gartenstuhls und der Wunsch nach dem zweiten Bier wurde immer stärker. Kowallik wollte aufstehen und es holen, er war sicher, das Gespräch war vorbei, doch seine Frau las nicht weiter, sah ihn immer noch an, und sie sagte: „Hier geht's um was ganz anderes.“
„So?“
„Du bist unzufrieden.“
Kowallik sah weg. Zu dem verdorrten Busch ohne Zitronenfalter. „Weiß nich, was du meinst.“
„Die Arbeit aufm Bau, du hast die Schnauze voll. Dein Kollege hat plötzlich Kohle und das willste auch. Damitte aufhören und dir den ganzen Tach die Sonne aufn Pelz brennen lassen kannst.“
Kowallik fragte mit tonloser Stimme: „Und wenn's so wär?“
„Also isses so?“
„Nein, darum geht's nich.“
„Worum dann?“
„Ich sach dazu nix.“
Seine Frau stöhnte. „Immer dasselbe mit dir.“
Kowallik erhob sich. „Ich hol mirn Bier.“
„Bringste mir eins mit?“
„Klar.“
„Und denk nich so viel über Kohle nach, die du nich hast. Das bringt doch nix.“
„Hast recht.“
Am nächsten Abend lag Kowallik vor Schollis Wohnung auf der Lauer. Kowallik war erst nach Hause gefahren und wollte wieder im Garten sitzen und in Ruhe sein Bierchen trinken und sich all das nochmal durch den Kopf gehen lassen, doch daraus wurde nichts, denn seine Tochter kam zu Besuch, ohne sich vorher anzukündigen. Kowallik hatte sich gefreut, seine Tochter länger nicht gesehen. Statt im Garten zu sitzen, aßen sie gemeinsam zu Abend und die Tochter erzählte von ihrer Arbeit. Sie war Pflegerin, hatte viel zu tun, musste vor allem an Wochenenden ran und darunter litt die Zeit mit ihrem Freund und überhaupt sei alles gerade schwierig, in der Liebe und auch finanziell und dann noch diese Hitze. Kowallik hörte zu und zwischen zwei Bissen Kartoffelgratin, das seine Frau zubereitet hatte, weil die Tochter es gern mochte, fragte Kowallik, ob sich seine Tochter vorstellen könne, die Pflegerei noch lange mitzumachen.
Die Tochter sagte, dass sie keine Wahl hätte, der Arbeitsmarkt sei eher bescheiden, als Pflegerin hätte sie zumindest einen sicheren Job, alte Menschen gab es schließlich immer, und damit hatte sich das Thema.
Nach dem Essen spielten sie Karten und lachten und vergaßen die Zeit. Dann schauten sie zusammen Nachrichten und in der Werbung rief eine junge Frau zu Spenden auf. Um die Vögel zu retten. Hunderte heimische Arten seien bedroht, weil kaum noch Insekten da waren. Und als die Frau sagte, dass jeder Cent zähle und dabei einem Vögelchen einen Wurm vor den Schnabel hielt, hatte die Tochter der Kowalliks feuchte Augen.
Als es dämmerte, ging die Tochter, und es wurde still im Haus. Kowalliks Gedanken an Scholli und seinen Reichtum kehrten zurück. Stärker diesmal, er dachte jetzt auch an seine Tochter. Wenn er etwas Geld für sie beschaffen würde, könnte sie es bei der Arbeit etwas ruhiger angehen lassen, vielleicht ganz aufhören, und dann hätte sie mehr Zeit für ihre Hobbys und ihren Freund und vielleicht wäre dann ein Enkelkind drin. Alles, was Kowallik dafür brauchte, war ein Stück von Schollis Kuchen. Also verabschiedete er sich von seiner Frau und sagte, er würde sich noch mit einem Kumpel auf ein Bierchen treffen, es würde nicht lange dauern. Sie fragte nicht weiter nach.
Als die Nacht hereinbrach und vereinzelt Lichter in den Fenstern des Wohnhauses angingen, lauerte Kowallik noch immer. Schollis Motorrad stand vor der Tür, und Kowallik saß in seinem Ford Fiesta und behielt den Eingang im Blick, blinzelte dabei wenig, aus Angst, Scholli zu übersehen. Doch es geschah nichts. Im Auto war es stickig und Kowallik hatte alle Fenster runtergelassen und mehrere Wasserflaschen lagen im Fußraum und auf dem Beifahrersitz Kekse. Kowallik fühlte sich für eine lange Observierung gewappnet.
Nach einer Stunde des Wartens kamen in Kowallik erste Zweifel auf. Wahrscheinlich verließ Scholli seine Wohnung heute nicht mehr, und je später es wurde, desto besorgter wäre Kowalliks Frau. Und sie würde ihm bei der Heimkehr viele Fragen stellen. Unangenehme Fragen. Mit ihrem bohrenden Blick.
Kowallik steckte den Schlüssel ins Zündschloss und wollte den Motor starten, als das Licht über der Eingangstür anging und sich die Tür öffnete und Scholli heraustrat. Er trug schwarze Motorradkleidung und in der rechten Hand hielt er einen Helm. Er ging auf das Motorrad zu und schwang sich drauf. Kowallik verkrampfte der Magen. Er befürchtete, entdeckt zu werden, doch Scholli sah sich nicht um, wirkte entspannt. Vielleicht stand ihm bloß der Sinn nach einer abendlichen Spritztour. Scholli ließ das Motorrad aufheulen und fuhr los und Kowallik folgte ihm, hielt dabei Abstand. So, wie es die Cops im Fernsehen immer machten.
Scholli fuhr über die Landstraße und durch einige Dörfer. Kowallik blieb an ihm dran, ließ das Rücklicht nicht aus den Augen. Es war einsam zwischen den Dörfern. Kowallik hörte keine Musik, lauschte nur den Rädern, wie sie über den Asphalt rollten, ansonsten war da nichts, keine Vögel, keine Grillen, nichts. Am sternenklaren Himmel hing der Sichelmond. Die Silhouetten karger Bäume verdeckten ihn ab und zu. Es war noch immer mild. Kowallik wischte sich Schweiß von der Stirn und fluchte leise, schloss die Fenster und drehte die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
Scholli hielt am Rande eines Dorfes an, stellte seine Maschine am Straßenrand ab und ging auf ein Haus zu. Es war riesig. Kowallik kannte sich damit nicht aus, aber er war sicher, dass es als Villa durchging. Vermutlich das Hauptquartier eines Gangsterbosses, der Scholli als Drogenkurier missbrauchte. Kowallik hoffte es, das wäre ein Job, den er leicht übernehmen und ausführen könnte. Vor allem bei der Bezahlung.
Scholli klingelte. Ein Licht ging an und nach wenigen Sekunden öffnete jemand die Tür. Kowallik konnte die Person aus der Ferne nicht erkennen. Scholli ging hinein und hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloss.
Kowallik schlich näher, tat es gebückt. Er achtete auf seine Schritte, trat weder auf Kies noch auf Ast oder Zweig. Das Licht am Eingang ging wieder aus. Umgeben von Finsternis, eins mit den Schatten, schlich Kowallik ums Haus. Er fühlte sich wie ein Ninja. Aber nur kurz, dann kam die Angst und das Adrenalin und die Befürchtung, ein Kampfhund könnte im Garten auf ihn warten. Doch es war auch dort still und dunkel. Nur ein Pool plätscherte leise. Kowallik schlich weiter, spähte durch Fenster, sah nichts, nirgends brannte Licht. Er huschte an Gartenmöbeln vorbei, die selbst im Dunkeln weiß hervorstachen, und das Gefühl von Hotel und Urlaub keimte in Kowallik auf, er sah sich schon auf einer Liege, sonnenbadend und Cocktails trinkend, gelobt von seinem Gangsterchef für seine vorbildliche Arbeit. Trotzdem fühlte sich Kowallik unwohl. Beim Anblick der teuren Gartenmöbel und des Pools fühlte er sich arm und nutzlos. Als hätte er sein Leben verschwendet, es zu nichts gebracht.
Kowallik bog um eine Ecke und bemerkte ein Licht, es schien aus einem Fenster und warf ein gelbes Rechteck auf den Rasen. Das Gras war ebenso borstig und braun wie in Kowalliks Garten und das munterte ihn etwas auf, selbst bei den Reichen und ihren Villen war das Gras nicht grüner. Mit einem Lächeln näherte sich Kowallik langsam dem Fenster und spähte hinein und da schmolz ihm das Lächeln.
Er blickte in ein Schlafzimmer. Viele Spiegel, schwarze und weiße Einrichtung, die edel aussah, Bilder von Bergen und Wiesen an den Wänden. Und ein großes Bett. Die Bettwäsche war ebenfalls schwarz und weiß und bestickt mit Blümchen. Scholli lag darauf. Nackt. Seine Hände und Füße waren am Bettgestell festgebunden und sein Glied war steif und gerötet und Scholli trug einen Penisring, der seine Eier hochdrückte und prall wirken ließ. Doch Schollis Augen weiteten sich panisch und er begann, sich zu winden, wollte sich von den Fesseln befreien. Vor ihm stand eine Frau mittleren Alters. Sie war ebenfalls nackt. Sie grinste. In der rechten Hand hielt sie ein Schälmesser.
Die Frau näherte sich Scholli und sagte etwas und Scholli schüttelte den Kopf. Kowallik verharrte, aber nur eine Sekunde, dann rasten seine Gedanken, er musste was tun, Scholli da rausholen. Kowallik sah sich um und entdeckte einen Stein und er hob ihn auf, er lag gut in der Hand, war auch schwer genug. Kowallik ging zu einem dunklen Fenster und holte aus und schmiss. Glas klirrte, Splitter landeten auf dem Rasen und glitzerten im Mondlicht. Kowallik packte den Fensterrahmen und kleine Scherben bohrten sich in seine Handfläche. Sie zwickten und warme Flüssigkeit lief über Kowalliks Handgelenk und er sagte: „Den bring ich um.“
Kowallik zwängte sich durch das Fenster, stöhnte dabei, und sein Rücken schmerzte, aber nur kurz, die Aufregung verdrängte das Ziehen. Auch die Schmerzen in der Hand merkte er nicht mehr. Dann stand er in einer Waschküche. Tops und Damenslips lagen auf der Waschmaschine. Der Trockner war an, obwohl es so heiß in dem Raum war, dass Kowallik der Schweiß übers Gesicht lief und in den Augen brannte. Kowallik hörte Stimmen, Scholli konnte offenbar noch reden, und das war gut. Das hoffte Kowallik zumindest. Er verließ die Waschküche.
Am Ende des Flurs fiel Licht aus dem Schlafzimmer und die Tür stand einen Spalt auf und eine Frau fragte: „Ist da jemand?“
Ein Fernseher war an, Kowallik erkannte den Spendenaufruf für die Vögel.
Die nackte Frau trat aus der Schlafzimmertür. „Hallo?“ Sie machte noch einen Schritt und Kowallik rannte auf sie zu, so schnell war er schon lange nicht mehr gerannt, und bevor die Frau reagieren konnte, holte Kowallik aus und dann knallte es und die Frau quiekte und das Messer flog durch den Raum und landeten neben dem Bett und die Frau taumelte und stürzte und Blut sprudelte aus ihrer Nase und hinterließ rote Striemen auf ihren Brüsten.
Mit erhobener Faust trat Kowallik in den Raum. Er sah Scholli nackt dort liegen, es war noch alles an ihm dran, aber Kowallik sah nur kurz hin. Er beugte sich zu der Frau hinab und hielt ihr die Faust vor das Gesicht und sagte: „Mach nen Mucks und ich knall dir noch eine.“
„Hurensohn“, sagte sie.
„Was hab ich gesacht?“
Die Frau schwieg und hielt sich die Nase.
Kowallik band Scholli los, sah dabei einzig auf die Fesseln und auf die Frau, die sich nicht rührte. Erst als Scholli aufstand und sich seine Unterhose anzog, sah Kowallik ihn wieder an und sagte: „Lass uns ne Biege machen. Und das Ganze hier vergessen.“
Scholli sagte: „Nix lieber als das.“
Die Frau legte den Kopf in den Nacken und fluchte.
Im Fernseher tschilpte ein Vogel und verspeiste glücklich einen Regenwurm.
Scholli und Kowallik saßen am Fluss und tranken ein Bier. Kowallik betrachtete die Wasseroberfläche. Die Sonne spiegelte sich darauf und der Fluss glitzerte. Kowallik sagte: „Ich hab noch nie eine Frau geschlagen.“
„Einmal is immer's erste Mal“, sagte Scholli. Er trank einen Schluck. „War für nen guten Zwech. Hast mir die Eier gerettet.“
„Hm.“ Kowallik trank. Das Bier war lauwarm.
„Woher wussteste, dass ich da war?“, fragte Scholli.
„Bin dir gefolgt.“
„Warum?“
„Wollte wissen, wo die Kohle herkommt.“
„Für's Motorrad?“
„Jau. Dachte, du bistn Krimineller.“
„Bin ich nich.“
„Ich weiß.“ Kowallik trank. Er musterte das andere Flussufer. Es war menschenleer. Kowallik sagte: „Hast dich also prostituiert.“
Scholli trommelte mit den Fingern gegen die Bierflasche. Das Glas klirrte, als Fingernägel darauf trafen. „Ja.“
„Warum?“
„Die hat fünfhundert pro Nacht bezahlt.“
Kowallik pfiff.
Scholli sagte: „Ja, total die Verrückte.“
„Wo hastn die gefunden?“
„Internet.“
Kowallik sagte nichts, sah Scholli bloß an.
Scholli seufzte und sagte: „Hab ne Kontaktanzeige reingestellt. Bin ja schon länger allein.“
„Tja, da biste wohl fündich geworden.“
„Und wie. Hat verrückte Sachen gemacht. Mich gewürcht und mich gekratzt und …“
Kowallik hob eine Hand. „Das will ich gar nich wissen.“
„Okay.“
„Hab gestern beschissen geschlafen deswegen. Mit Messer anne Eier, wer machtn sowas?“
„Tja, gibt alles.“
„Gibt alles“, sagte Kowallik und nahm noch einen Schluck. Nach einer Minute des Schweigens sagte er: „Hättest mir das Motorrad nich zeigen sollen.“
„Dann wär ich jetz tot“, sagte Scholli. „Oder noch schlimmer, kastriert.“
„Also biste froh, dass ich dir gefolgt bin?“
„Ja, bin froh.“
„Gut.“
Scholli kratzte sich am Kinn. „Vielleicht wollt ich‘s auch so. Unbewusst. Schätze, ich wär sonst nimmer vonner Alten losgekommen. Sie war … sie war schon irgendwie aufregend. Ganz anners. Ihr Mann is Unternehmer und sie steckt voll und wollt's mal wieder richtich treiben mit nem Jüngeren. Und dann isse komisch geworden, hat was von gesacht, dass Männer alle gleich wärn. Nur Geld und Geficke im Kopp und das muss aufhören, so kranker Scheiß.“
„Hör auf jetz.“
„Gut.“
„Die bekloppten Schnösel heutzutage. Geld hat der den Charakter verdorben.“
„Weiß nicht, damit kamma auch Gutes tun, Spenden und so.“
„Oder sich nen jungen Stecher kaufen?“
„Lass gut sein.“
Kowallik trank einen Schluck.
Scholli nicht. Er betrachtete Kowalliks Profil und fragte: „Und du?“
„Hm?“
„Warum biste mir wirklich gefolgt?“
Kowallik sagte nichts.
Scholli lächelte. „Wolltest mit einsteigen, was?“
„Na, nich, nachdem ich das Grauen da gesehen hab.“
„Aber vorher schon?“
„Vielleicht.“
„Wusst ich’s doch“, sagte Scholli. „Aber warum?“
„Geht dich nix an.“
„Komm schon. Du hast mich nackt gesehen. Mit Ständer. Da kannste mir ja wohl sowas verraten.“
Kowallik leerte die Bierflasche und stellte sie neben sich ab und verschränkt die Arme und atmete tief ein. Er sah zu den Felsen, die aus dem einst vollen Fluss ragten, zu den braunen und kahlen Bäumen, die einst blattreich das Ufer säumten, in den Himmel, der seit Monaten blau war. „Hab wohl einfach Schiss.“
„Wovor?“
„Früher kam ich oft hierher.“
„An Fluss?“
„Jau. War frisch mit meiner Frau zusammen. Meine Tochter hatten wir noch nich. Ja, müssen jetz dreißig Jahre sein.“
„Das is lang.“
„Weiß nich, eigentlich nich. Kann mich noch gut erinnern. Saßen stundenlang hier und haben gequatscht und gelacht. Und natürlich auch geknutscht.“ Kowallik lächelte Scholli an und Scholli lächelte auch. Kowallik sagte: „Die Ufer warn voll. Mit Familien und so. Kinder, die Eis gegessen haben und rumgehüpft sind wie bescheuert. Und man konnte hier nich sitzen ohne Mückenspray. Die Viecher haben einen richtich gefressen. Und gesungen haben die Vögel hier, das warn richtiges Konzert. Und schwimmen konnte man, den ganzen Tach lang.“
Scholli zog die Augenbrauen zusammen, sah sich um, senkte dann den Blick.
Kowallik sagte: „Jetzt kann man hier höchstens die Füße reinstellen. Und es is still geworden. Hier summen keine Mücken mehr.“ Er sah erneut in den Himmel. „Schätze, ich wollte Kohle, um ein bisschen das Leben zu genießen, mitter Familie. Bevor's zu spät is. Geld is Zeit.“ Kowallik erhob sich. „Und viel haben wir davon nich mehr“, sagte er und lauschte der Stille und spürte die Hitze auf seiner Haut.