- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Sonnensturm
Er trat aus der Höhle heraus und blickte auf die untergehende Sonne. Das rote Licht trog, denn er merkte, wie in den letzen Tagen die Intensität der Strahlung kontinuierlich stärker geworden war.
Ein neuer Zyklus stand kurz bevor und sein Leben war abgeschlossen. Ja er war alt geworden und hatte viel erlebt. Rückblickend war sein Leben erfüllt gewesen.
Schon in seiner Jugend hatte er auf den heutigen Tag hingearbeitet. Das lag in seiner Natur. Er hatte einen Partner gefunden, mit dem er sich früh gepaart hatte. Seitdem trug er den Samen über die Jahre hinweg in sich, wohl wissend, dass er ihn eines Tages brauchen würde. Nun, jetzt war es bald soweit und er fühlte keine Reue. Sein Körper war ermüdet, er würde bald seine wohlverdiente Ruhe bekommen und die letzte große Reise antreten.
Müde schaute er über die weite Ebene, die sich unter dem Berg ausdehnte, in dem seine Zufluchtsstätte der letzten Tage lag. Der Boden war staubig und gelb geworden.
Die Pflanzen, die sich nicht gegen die Hitze wehren konnten, waren langsam verdorrt. Sie wurden von der Sonne ausgetrocknet und ohne Wasser waren ihre Blätter erst gelb, dann braun geworden. Später waren sie abgefallen und lagen nun als Staub unter den Sand gemischt. Risse taten sich auf, wo der Boden aus Wassermangel geplatzt war.
Trostlos war er geworden, der Planet, den er seine Heimat nannte.
Seine Rasse hatte ihn nie verlassen können, um ihrem Schicksal zu entgehen. Das war einfach nicht ihr Lebenszweck.
Er wusste auch nicht, wie viele seiner Artgenossen jetzt noch lebten. In früheren Jahren wimmelte es nur so von ihnen, aber so kurz vor dem Ende war er alleine geblieben. Aber er hatte den ganzen Zyklus gelebt, was eher selten vorkam.
Seine Eltern kannte er nicht, denn sie waren vor diesem Zyklus gestorben und hatten ihm damit die Chance auf ein langes Leben gegeben. Dasselbe wollte er nun seinen Kindern ermöglichen.
Am Horizont stand die alte Stadt. Irgendwie wurde sie in jedem neuen Zyklus aufgebaut und zerfiel dann wieder, wenn die Bewohner hinwegstarben. Bis die Kinder sie erneut brauchen konnten, hatte der Wind die Bauten fast vollständig abgetragen, aber der Anblick gab ihm die Hoffnung, dass der Lebenskreislauf fortgesetzt werden konnte. So wie es schon seit vielen Generationen passierte.
Er hatte die Höhle mit seinem Wissen gefüllt. Zeichnungen an den Wänden würden die ersten Wissenslücken der neuen Generation füllen, wenn sie anfingen, sich zu bewegen. Schreiben konnte er ihnen nichts, denn es würde keine Lehrer geben, die ihnen die Schrift beibringen konnten. Er hoffte, dass sie seinen Unterschlupf recht schnell fanden, sonst war sein Werk unnötig gewesen.
Aber dieser Ort war nicht gut geeignet für ein Lebewesen, welches vom Licht abhängig war wie er. Er konnte sich nicht beliebig lange im Dunkeln aufhalten, denn das würde ihn ebenfalls umbringen. Aber so besaß er eine Möglichkeit sich vor der sengen Hitze zu schützen, wenn die Sonne am höchsten stand. Dann war das Dämmerlicht der Höhle das kleinere Übel und sein Werk war ebenfalls vor der gleißenden Hitze der Sonne sicher.
Auch an seinem Körper konnte er die Spuren der Strahlung sehen. Das leuchtende Grün früherer Tage war gewichen und hatte einem erdigen Braun Platz gemacht. Seine Lungenblätter, welche das Sonnenlicht einfingen, waren fast abgestorben und würden bald abfallen. Aber noch war es nicht so weit. Noch konnte er sein letztes Werk durchführen, was den Fortbestand seiner Art und seiner Familie sichern würde. Langsam wankte er auf seinen Wurzelfüßen an den Platz, den er sich schon vor langer Zeit ausgesucht hatte. Er lag in der Nähe am Fuße des Berges, wo das Sonnenlicht nicht kontinuierlich einfiel. Dort würde er den Samen seiner Kinder ausbringen, ein Loch in den Boden graben, wo er ihn hineinlegen konnte. Dann würde er ihn sorgsam mit Sand bedecken und sich selbst als Schutz und Dünger darauf zum Sterben legen. Wenn sie in einem neuen Zyklus mit dem ersten Regen erwachten, würden sie ihrer pflanzlichen Herkunft nach zuerst ortsgebunden sein. Später würden sie sich dann, wie er es damals auch getan hatte, aus dem Boden lösen und ihre Wanderung beginnen.
Als er am Pflanzort angekommen war, führte er sein Vorhaben mit erhabener und dem Augenblick angepasster Würde durch.
Irgendwie war er glücklich, wenn er an die Abenteuer dachte, die seine Kinder erleben würden. Er konnte sie zwar nicht kennen lernen, aber er war gewiss, dass ihre Anzahl groß sein würde. Dafür musste er jetzt sorgen.
Ruhig legte er sich auf den frischen Hügel und als er sein Leben noch einmal vor seinem inneren Auge passieren ließ, wusste er, dass er alles genauso machen würde, wenn er es noch einmal hätte leben sollen.
Friedlich schlief er ein, mit dem Bewusstsein, dass er in seinen Kindern weiterlebte.
Draußen im All wuchs der innere Druck der Sonne. Bald würden die Protuberanzen ins Weltall jagen und den nahen Planeten erneut verbrennen, wie es alle 237 Jahre passierte.
Als die Sonne explodierte, schossen unendlich heiße Gasströme in den Weltraum. Auf dem Planeten verdampfte das Wasser und füllte die Atmosphäre mit Wolken. Der Himmel verdunkelte sich, obwohl die Sonne nun heller als sonst strahlte.
Pflanzliches Leben konnte in diesem Klima nicht mehr gedeihen. Deshalb warteten die Samen unter der Erde auf bessere Zeiten.
Die Pflanzenwesen lebten und starben schon seit Anbeginn der Zeit auf diese Weise.
Als die Sonne wieder ihre normale Intensität erreichte, kühlte der Planet ab. Es dauerte einige Jahre, dann fiel das Wasser in der Luft als Regen wieder zur Erde und goss den Samen an.
Ein Zyklus war abgeschlossen, nun würde ein Neuer folgen ...
Marc P.