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Sous le ciel de Paris oder Ich

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18.06.2001
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Sous le ciel de Paris oder Ich

Sous le ciel de Paris oder Ich

Sous le ciel de Paris
S'envole une chanson
Elle est née d'aujourd'hui
Dans le coeur d'un garçon

Er legte die Platte auf, die alt und verstaubt so gar nicht mehr in die Zeit passte; in die Zeit von Cd-Spielern, DVD-Roms und Minidiscs.
Eigentlich ist er ein Kind dieser Zeit, er profitiert von der neuen Lebensqualität.
Doch er findet es schade, dass heute alles automatisiert ist, vieles so einfach geht. Er sehnt sich nach dem Paris, das Edith Piaf besingt. Er sehnt sich nach Melancholie, nach seinem Recht auf Traurigkeit.

Sous le ciel de Paris
Marchent les amoureux
Leur bonheur se construit
Sur un fait pour eux

Aber wenn diese verstaubte Platte aus dem alten Grammophon tönt (sie krächzt mehr, als dass sie tönt, doch er bevorzugt das Krächzen, er hasst das Perfekte), dann kommt es schon einmal vor, dass er sich verliert, dass er vergisst, wo und vor allem wer er ist. Er verwandelt sich dann in die unterschiedlichsten Personen und Schauplätze.

Sous le pont de Bercy
Un philosophe assis
Deux musiciens, quelques badauds
Puis des gens par milliers

Manchmal, da ist er einer von denen, die am Invalidendom betteln. Einer, allein gelassen von der Welt; einer der nichts hat, nichts zu essen, nichts, wo er schlafen könnte. Aber diese seltsame Gemeinschaft unter den Bettlern, unter den Ärmsten der Armen lässt ihn Hoffnung schöpfen (genauer gesagt ist es nur so etwas ähnliches wie Hoffnung, Hoffnung selbst hat er nicht mehr, mir fällt aber kein anderer Begriff für das Gefühl ein, das er empfindet, vielleicht Überlebenswille? Ich weiß es nicht.), überzeugt ihn auch diesen Tag durchzustehen und sich nicht in die eisige Seine zu stürzen wie viele andere. Für diese Menschen ist es der Tag, der zur unendlichen Marter wird, sobald die Sonne untergegangen ist und sie die hässlichen vergerbten Gesichter der anderen nicht mehr sehen können und für die Zeit der Dunkelheit verdrängen werden, dass das ihrige genauso verbraucht und gezeichnet ist, da holen sie die Gitarren hervor und singen und tanzen bis die Sonne, bis das Verderben auf ein Neues kommt.

Sous le ciel de Paris
Jusqu'au soir vont chanter
L'hymne d'un peuple épris
De sa vieille Cité

An einem anderen Tag ist er ein alter Mann, der in einem dieser Bergdörfer in Apulien auf einer Bank in der Nähe des Dorfplatzes sitzt. Im Schatten einer riesigen Platane, die viel älter als er, doch noch jeden Frühling ihre eigene Renaissance erlebt. Die ihre saftigen grünen Blätter über ihm ausbreitet, um ihn so vor der heißen Sonne zu schützen. Sein Haar wird für immer grau bleiben.
Er wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal jung sein zu dürfen, denn dann würde er jeden Moment auskosten, seine achtzig Jahr’ waren so, wie eines war. Noch einmal mit den Freunden Fußball spielen, nicht mit so einem weißen aus Plastik wie sie das heute tun, nein, sondern mit so einem aus braunen Leder. Er möchte wieder Frauen ansprechen können ohne mit einem Lächeln geantwortet zu bekommen, dessen Empfänger normalerweise ein Großvater wäre.
Tränen füllen seine Augen, Tränen der Wut, dass er das höchste Gut, das Leben, nicht ausgekostet hat bis zum letzten. Er hat den Jogurtbecher nicht bis zum letzten Tropfen ausgeleckt, seiner wird halbvoll weggeworfen. Und er weiß das und er stampft wütend seinen Stock auf den Boden, doch die Glocken der Kirche übertönen sein letztes Aufbäumen.

Prés de Notre-Dame
Parfois couve un drame
Oui, mais à Paname
Tout peut s'arranger

Wenn er dieser Illusion überdrüssig ist, stellt er sich vor, ein Hirtenjunge im Westen Irlands ist. Er hat nicht einmal Geld, sich Schuhe zu kaufen. Seine Fußsohlen sind über und über mit Hornhäuten bedeckt. Das macht es ihm einfacher die felsigen und unwegsamen Klippen zu begehen auf der Suche nach einer geeigneten Wiese für seine Schafe.
Um zwölf Uhr jeden Tag macht er Rast, nimmt sich sein jämmerliches Mittagessen, das diesen Namen überhaupt nicht verdient und betet zu Gott. Er dankt ihm für das bisschen Brot und Käse, wie seine Mutter es ihm beigebracht hatte. Von Tag zu Tag fällt ihm das Beten schwerer, aber er weiß nicht warum. Er weiß nur eins, nämlich dass er hier so schnell wie möglich raus muss, egal wie, irgendwie.
Deshalb geht er auch nicht ins Kino oder kauft sich Zigaretten wie seine Freunde, sondern er spart alles, um sich die Überfahrt nach Amerika leisten zu können. Er hat gehört, in Amerika müsse niemand hungern, jeder hätte eine Arbeit und die Leute dort wären so freundlich und hilfsbereit, dass ein jeder glücklich sei.
Er weiß, dass es nicht so ist.

Quelques rayons du ciel d'été
L'accordéon d'un marinier
L'espoir fleurit
Au ciel de Paris
Sous le ciel de Paris

Aufgeschreckt ist er. Wieder wach sitzt er da. Traurig darüber. Er war vollkommen gefangen von diesen Welten, die er erlebte. Für einen kurzen Moment war er Teil von einem anderen Universum. Er braucht diese Momente. Doch er weiß, dass auch dieses Universum nicht real ist, während er hier diese Zeilen schreibt. Und er ist unzufrieden mit sich, da er erkennt, dass er immer das herbei sehnt, was er nicht hat und schlimmer noch, was zu haben für ihn gänzlich unmöglich ist.
Er ist ich, aber ich wäre gerne er unter dem Himmel von Paris, sous le ciel de Paris.

 

Hallihallo,

unabhängig aller äußeren Einflüsse, ist es nach wie vor noch so, dass der Mensch seines Glückes Schmied ist. Natürlich merkt man im Alltäglichen kaum das Netz der Gewohnheiten und Abhängigkeiten. So eine alte Platte oder ein gutes Buch oder ein alter Film kann es dir nahebringen - die Freiheit und Verwirklichung. Den Geruch des wahren Menschseins. Aber auch nur nahe bringen ... den letzten Schritt muß man selber machen. Das Glück liegt nicht auf der Straße. Es versteckt sich hinter unzähligen verschiedenen Situationen. Dafür brauch man eine gute Nase.

Jeder Deiner Personen mag glücklich sein. Kein anderer könnte dieses Glück oder diese leichte Zufriedenheit spüren. Deswegen ist es auch nicht nötig, danach zu trachten.

Heiko

 

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