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Stachelig

Monster-WG
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04.03.2018
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Stachelig

Als Kind fand ich im Herbstlaub vor dem Zaun einen Igel. Ich nahm ihn auf, legte seinen dichten Stachelpelz auf meine Hand, wiegte ihn sachte auf dem Rücken. Wenn ich stillhielt und eine Weile wartete, rollte er sich auseinander, Arme und Beine angelegt, Augen geschlossen, der weiche Bauch freigelegt. Gut fühlte sich die Handvoll Stacheln an, junges Leben in kleiner Kinderhand, leicht und doch schwer. Ich pustete gegen den hellen Flaum und sah sein Krampfen, kurz darauf bot er seine Unterseite wieder dar. Als ich die Nase senkte, roch er nach warmer Erde.
Was ich da tue, rief Mutter aus dem Sprossenfenster, Maden, Milben und Würmer würden ihn bevölkern. Durch mich würde das Ungeziefer ins Haus kommen!
Ich ließ ihn zurückfallen ins gelbe Laub, spreizte die Finger und schüttelte die Hand, als könnte ich so neben dem Gewürm auch die Mutterworte loswerden, die an mir klebten. Der Igel hatte sich zusammengekrümmt und seinen Stachelpanzer geschlossen. Nichts Weiches lag mehr frei. Mit der Stiefelspitze stieß ich ihn unter einen Busch und lief ins Haus.

Trotzig werfen die Agaven ihre Blütenstände in die Höhe und sterben schnell, bevor die neue Generation landet. Auf die Art nehmen sie die Dorfperipherie in Beschlag, recken ihre schwarzen Dornen gen Himmel, Dorfbewohner und Haustiere.
Junge Dörflinge ritzen mit Klappmessern Buchstaben und Zahlen in das dicke Agavenfleisch. Die Pflanze lässt mit Geduld und Sonne die Wunden und Liebesschwüre vergrauen, der Rest wächst sich aus. Früher haben sie die Agaven als Zaunersatz gebraucht, heute haben sich die Reihen gelichtet. Plastik und Beton kostet weniger Mühe.
Der Pfad streift den Dorfrand, schneidet durch Bruthitze, Busch und roten Lehm eine Tangente an den winzigen neuen Platz mit grünem Dorfbaum. Markttag. Es riecht nach blasigem Landbrot, frischem Ziegenkäse und Meersalz. Darunter dünstet eine Melange aus Urin, Dreck und vergehender Fauna den Sommermorgen aus.
Das Dorf hat sich verändert, die Schilder sind neu, Free WLAN, Coffee und vegan food. Damals gab es im Dorf kein Zimmer für Fremde. Dafür gab es zwei Bars, in denen Einheimische sich trafen, laut tranken und zusammen rauchten. Das heutige Dorf ist rauchfrei, gefällig bunt und hat neue Einnahmequellen entdeckt.

Weiße Mietwagen drücken sich neben rostige Pickups. Kleine Töpferwaren klappern auf Ladeflächen. Erinnerungsstücke. Stehrümchen, hättest du gesagt. Zwei Olivenschälchen, für grüne und schwarze. Und vier getöpferte Shots für den leckeren Anis, der zuhause lange nicht so gut schmeckt, doch neben dem Túnel im Regal – Ach, da wart ihr also auch! – macht er eine exzellente Figur. Es geht um was. Blitzende Touristengebisse grinsen mit vergilbten Zahnstümpfen um die Wette. Geld wechselt Hände, Zeitungspapier raschelt. Muito obrigado – you're welcome!

Hinter der weiß behausten Dorfstraße mit ihrer Schilderparade führt der Pfad zurück ans Meer und die Steilküste. Paraglider kreisen über den Hügeln, hängen mit ihren Seilen an der Sonne und fahren Runde um Runde im glühenden Kettenkarussel.
Die Abbruchkante ist hart, unten wartet lautes Rauschen. Ein Geländer aus Holz soll verhindern, dass jemand selbstvergessen geradeaus geht und vor dem Schild aufschlägt, das dort an der Felswand angebracht wurde. Dort neben dem Rinnsal aus Süßwasser, von dem die Wildcamper, die es damals gab, gelebt haben.

Am Strand unten sind die ersten Surfer, paddeln mit Händen und Geduld hinaus auf den Atlantik. Bevor ihnen aus Kältegründen die Extremitäten abfallen, werfen sie sich in die Wellen und warten auf eine Antwort. Nur ganz wenige sterben, bevor ihre Nachkommen den Boden berühren, was so gut wie nie am Atlantik liegt. Es liegt daran, dass es keine Sicherheit vor dem Leben gibt, dass es sich um uns kümmert und nicht fragt, ob es das darf, was es mit uns macht. Und so landet der eine innerhalb des Zauns, nicht weit vom Stamm und jemand anders springt mutig in die Luft, ohne je das Fliegen gelernt zu haben.
Bei dir lag es auch nicht am Atlantik. Er hat nur etwas geweckt, was in dir schlummerte. Etwas, von dem junge Menschen nicht einmal wissen, dass es das gibt – eine Ausstülpung in deinem Kopf. Aneurysma klingt wie ein griechischer Gott. Einer, der dich vorne anlächelt und dir von hinten ins Knie fickt. Der vor Freude platzt, wenn du auf das Brett springst.

Hinaus in den sternigen Nachthimmel, bling bling, wo die Pinien den harzigen Schwitz des Tages über Macchia und dürres Gras decken. Unter dem Mond scharen sich die Häuser am Meer, drücken sich in den engen Auslass zwischen verbrannten Hügelrücken. Hell verputzte Würfel stapeln sich längs wie quer, drängeln sich unter dem Sonnenabglanz. Gewürfelte Fensteraugen ohne Symmetrie.
Sie riecht latschig, die Nacht, und rauchiger als der stechendgrüne Badeschaum der fliederfarbigen Wanne im Bad ohne Ausblick. Die Fliederwanne, in der ich mich unter Schaum zu verstecken suchte, wenn Mutter ohne Klopfen die Tür aufriss. Strafender Blick über Presslippen. Seitdem riecht latschig auch immer scharf und ein wenig schlecht.

Junge, sagte Mutter, Junge, was soll aus dir werden? Gemeint war nie die Sorge um mich oder eine Andeutung von Interesse an meiner Person. Es war die Furcht vor dem Geschwätz der Nachbarn, dem Dorfgeifer mit stets veränderlichem Ziel, den sie für sich fürchtete und bei anderen mit wachsendem Eifer selbst betrieb.

Nichts! Mutter. Am liebsten nichts!

erwidere ich auf die Frage, die ich nicht zurücklassen kann. Die Frage, die sich in meinem Nacken festgebissen hat.
Ich nehme das Nichts, wickele es um meinen Hals und würge damit die Mutterworte, bis sie blau werden und lasse das ganze Gewese auf das dampfende tiefschwarze Straßenband fallen. Dunkles Touristengold aus EU-Geldern. Touristen mögen weder Lehmpisten noch Schlaglöcher, dafür Klima, morgens einen Galão und die Welt.
Doch jetzt sitzen sie beim Bacalhao, den sie nicht mögen, und beim Loureiro, der ihnen zu leicht ist, und die Welt gehört mir. Der frische Asphalt ist noch brandheiß vom Tag, die Sohlen meiner Sandalen schmatzen leise. Erhöhte Bodenhaftung hilft gegen vieles, auch Vergangenes.
Vor meinen Füßen liegt ein blauer Hedgehog, der sich in der Hitze zusammenkrümmt. Ich trete ihn mit Anlauf die Serpentinen hinunter, Richtung fahlweißer Würfel und Silbermeer. Beim Rollen über die Straße bounct er mit einem Umpf! in die ebenfalls mit EU-Geldern finanzierten Zinkplanken, hangelt sich daran das Tal hinunter, sammelt Ring um Ring, bis er beim Dorf anlangt und die Kirchturmglocke ertönt, wie das finale Kupferglöckchen am Turm der Kugelbahn meiner Kindheit. Bling bling, es ist Mitternacht.

In der Sonne trocknen Tintenfische auf Gestellen aus vergrauten Ästen. Sie werden darauf vorbereitet, zukünftig eingeweicht in mahlenden Mündern zu verschwinden und dort auf gleichsam behandelten Tomaten den Schlund hinab zu surfen. Letztlich landen sie in einem See aus Vinho Verde, Knoblauchbrot und Magensäure, wo sie kurz erneut das Schwimmen lernen und sich mit einem gerülpsten Adieu Richtung Darmtrakt verabschieden.

Mutters Welt endete am Gartenzaun. In Mutters Küche gab es Kohl, Kartoffeln und Speck. Wegzehrung für die bekannten Bahnen im Gehege aus senkrechter Verlattung.
Ein Zaun ist Schutz und Hürde zugleich. Der Ableger, den sie von sich warf, landete deutlich innerhalb. Und auch, wenn er später manche Hürden überwand, hat er nie abgehoben, geschweige denn das Fliegen gelernt. Dazu fehlte Mutters Wurf Kraft und Reichweite. Er bleibt ein Ableger, der die Peripherie besiedelt und seine schwarzen Dornen gegen Dörflinge und deren Haustiere stellt.

Auch ihm wurde ein Liebesschwur in die Haut geritzt, der mit Zeit und Geduld verblasst. Das ist das Gute an Zeit, Schmerzen verschwinden ebenso spurlos wie Glück. Was bleibt ist ein subkutaner Tintenstich, unempfindlich gegenüber der restlichen Ordnung der Dinge. Mit der Zeit macht er sich breit und wird ungefähr, später kommt es nicht mehr darauf an.
Auch die Erinnerung wird ungefähr, die Augenfarbe, der Geruch, das Lachen. Jeder Versuch das nach oben zu holen, scheitert an der natürlichen Bleiche der wirklichen Ereignisse. Sie werden von Alltag und allerlei Firlefanz überlagert und räumen ihren Platz für die nächste Generation drängender Herzensangelegenheiten. Das Leben dreht sich, auch nach einer Polverschiebung, es drückt den letzten Rest aus seiner Verankerung und sieht zu, wie das Blut ihn wegpumpt. Was bleibt, ist ein Schild mit deinem Namen auf einem Felsen an einem Strand.
Wenn ich Aufnahmen von uns sehe, denke ich, das bin nicht ich, das waren wir nie, dazumal, so unbeschwert und jung. Wir nahmen unsere grünen Triebe und warfen sie in die Luft. So muss es gewesen sein. Doch nur eine fiel vom Brett, bevor sie landeten. Könnten wir weitermachen, wenn wir wüssten, was auf uns wartet?

Möwen tanzen über Wolken, die noch weiß angereichert sind vom Mondlicht, hacken mit Schnäbeln an Kirchturmglocken, zerfliegen das Blau in komplexe Schnittmuster und kreischen aus orangen Schnäbeln ihren Möwenstolz in den Tag.
Mein Handrücken kratzt über das Papier, schabt an der Oberfläche, furcht durch Kommata, Semikolons und Fragezeichen und schreibt doch wieder nur die bekannte Antwort, weil es keine andere geben kann.
Nichts! Mutter. Am liebsten nichts!
Mein Mantra, der Punkt, auf den ich immer zurückfalle, eine Buchstabenschlange, die ihren Schwanz frisst. Auch am heutigen Morgen riecht es latschig und somit ein wenig scharf und schlecht.

Ich habe es ihr nie erklärt, obwohl ich die Antwort parat gehabt hätte. Jetzt ist es zu spät, dabei wäre es einfach gewesen. Die Antwort hat das Leben selbst gegeben.
Ich will nichts werden, weil ich schon in jungen Jahren etwas geworden war, ein stacheliger Golem, der nach Erde riecht, gefährlich für menschliche Wesen mit zu viel Bodenhaftung, die nichts über heimtückische Götter wissen.
Lauft weg, sonst werde ich euch einholen und umarmen, werde euch treten und zusehen, wie ihr Ringe sammelt und Erinnerungsstücke hortet. Wie ihr eng an der Leitplanke talwärts hechelt und lauter sinnlose Dinge tut, bis das Leben sich um euch kümmert und final die Glocke ertönt.

 

Hallo @linktofink!

Ich muss zugeben, ich bin ein wenig überfordert mit deiner Geschichte. Du schreibst schön, dein Stil gefällt mir und du schaffst es auch gut, die Umgebung + das Gefühl, das damit verbunden wird, zu beschreiben, aber es fällt mir schwer, die Puzzlestücke aneinander zu reihen und zu begreifen, was du eigentlich mit der Geschichte erzählen willst. Du fängst mit dieser Igelpassage an und auch später kommt der blauer Hedgehog (bei dem ich unweigerlich an Sonic dachte) und am Ende noch einmal der Bogen zur Anfangsszene mit dem "stacheligen Golem" der die Hauptfigur geworden ist, der nach Erde riecht, so wie der Igel am Anfang beschrieben wurde. Aber so wirklich weiß ich noch nichts mit dem Bild anzufangen. Vielleicht auch, weil es teilweise so viele Beschreibungen sind, so viele Dinge auf die man achten könnte, dass - mir zumindest - der Blick auf das Wesentliche verloren geht. Ich gehe mal auf ein paar Passagen ein:

Bevor ihnen aus Kältegründen die Extremitäten abfallen, werfen sie sich in die Wellen und warten auf eine Antwort. Nur ganz wenige sterben, bevor ihre Nachkommen den Boden berühren, was so gut wie nie am Atlantik liegt. Es liegt daran, dass es keine Sicherheit vor dem Leben gibt, dass es sich um uns kümmert und nicht fragt, ob es das darf, was es mit uns macht.
Bei dir lag es auch nicht am Atlantik. Er hat nur etwas geweckt, was in dir schlummerte. Etwas, von dem junge Menschen nicht wissen, dass es das gibt – eine Ausstülpung in deinem Kopf. Aneurysma klingt wie ein griechischer Gott. Einer, der dich vorne anlächelt und dir von hinten ins Knie fickt.
Diese beiden Absätze lese ich so, dass es im Grunde darum geht, wie das Leben so spielt - also dass man eben nicht weiß, wo man irgendwann einmal ist und selbst wenn man sich einen Plan macht, kann Krankheit einen Treffen - wen genau hier die Krankheit trifft, wird nicht explizit gesagt, aber ich denke dass es die Mutter ist. Was ich nicht verstehe ist aber dieses Bild davor mit den Servern - du bringst sie ein, sagst, dass nur wenige von ihnen sterben und dann noch, dass (selbst bei den wenigen die Sterben) es nicht am Atlantik - also eigentlich nicht an der Tätigkeit des Servens liegt, darum geht das Bild für mich auch nicht auf. Also der Vergleich hinkt meiner Meinung nach und er hat mich eher verwirrt.

Junge, sagte Mutter, Junge, was soll aus dir werden? Gemeint war nie die Sorge um mich oder eine Andeutung von Interesse an meiner Person. Es war die Furcht vor dem Geschwätz der Nachbarn, dem Dorfgeifer mit stets veränderlichem Ziel, den sie für sich fürchtete und bei anderen mit wachsendem Eifer selbst betrieb.
Nichts! Mutter. Am liebsten nichts! erwidere ich auf die Frage, die ich nicht zurücklassen kann. Die Frage, die sich in meinem Nacken festgebissen hat.
Ich nehme das Nichts wickele es um meinen Hals und würge damit die Mutterworte, bis sie blau werden
Diese beiden Absätze fand ich sehr stark. Hier bekam ich ein Bild von dem Ich-Erzähler und seiner Beziehung zur Mutter und da habe ich mir gedacht: Ah okay, darum gehts. Eben um die Mutter, die sich wünschte, dass ihr Sohn so ist, wie sie es gerne hätte, aber eben nicht um seinetwillen, sondern damit eben die Nachbarn zufrieden sind und selbst hat die Mutter sich eingesperrt, all "die schönen Sachen" (das vermute ich), die zuvor beschrieben wurden, also gleich in den Absätzen nach dem Igel - hat sie nie gesehen. Aber auch das Bild geht nicht ganz auf, weil der Erzähler auch einen negativen Blick auf die Welt außerhalb des Zaunes hat, indem er aufgewachsen ist und das Aneurysma scheint keine allzu große Rolle zu haben. Ich habe den Text zweimal gelesen - beim zweiten Mal mehrere Stellen doppelt, weil ich denke, dass ich etwas übersehe. Aber selbst jetzt bin ich mir noch immer nicht sicher, worum es denn eigentlich geht.

Ein Zaun ist Schutz und Hürde zugleich.
Den Satz fand ich sehr gut. (Nur zur Info - mir gefallen viele Beschreibungen und Vergleiche die du bringst, mir fehlt nur der Gesamtzusammenhang).

Wenn ich Aufnahmen von uns sehe, denke ich, das bin nicht ich, das waren wir nie, dazumal, so unbeschwert und jung. Wir nahmen unsere grünen Triebe und warfen sie in die Luft. So muss es gewesen sein. Doch nur eine fiel vom Brett, bevor sie landeten. Könnten wir weitermachen, wenn wir wüssten, was auf uns wartet?
Hier war ich mir nicht ganz sicher, wen der Erzähler eigentlich anspricht - bin da ich als Leser gemeint oder bezieht sich das auf die Mutter? Hat der Sohn hier das Verlangen irgendwie doch eine Bindung zur Mutter aufzubauen oder gibt es doch eine dritte Person über die er nachdenkt, die aber nicht genannt wird?

Ich habe es ihr nie erklärt, obwohl ich die Antwort parat hatte. Jetzt ist es zu spät, dabei wäre es einfach gewesen. Die Antwort hat das Leben selbst gegeben.
Hier dachte ich dann wieder: Okay, vielleicht war ja doch die Mutter gemeint und jetzt erzählt der Erzähler halt wieder von ihr in der dritten Person und spricht sie nicht mehr direkt an. Du siehst, ich war insgesamt ein wenig verwirrt und konnte die verschiedenen Passagen nicht zu einem stimmigen Bild zusammenfügen.

Lauft weg, sonst werde ich euch einholen und umarmen, werde euch treten und zusehen, wie ihr Münzen sammelt und Erinnerungsstücke hortet.
Auch den Schluss verstehe ich nicht ganz. Wie kommt er auf den Gedanken? Hat das etwas mit seiner Mutter zu tun oder ist das Gesellschaftskritisch, weil er zuvor schon ein recht negatives Bild auf die Gesellschaft hat?

Ich weiß, das klingt sehr verwirrt, ich hoffe, es hilft dir trotzdem ein wenig.

LG Luzifermortus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @linktofink

Habe ich gerne gelesen. Schöne Bilder, schöne Sprache. Allerdings habe auch ich etwas Mühe, dem Text zu folgen, da es meiner Meinung nach schnell recht kryptisch wird und ich habe das Gefühl, dass ich nicht alles verstanden habe. Also da steckt einiges drin in dem Text. Trotzdem versuche ich mich mal an einer Interpretation:

Die Geschichte spielt in Portugal, denke ich. Dachte erst an Spanien, aber danach wurde es imo dann klar (muito obrigado). Dem Prot entgleitet langsam seine bekannte Welt, die Kindheit liegt hinter ihm, er ist erwachsen geworden und nicht nur er hat sich verändert, sondern überall gibt es Veränderung. Ich denke Veränderung ist so der Kern dieses Textes. Er muss damit klarkommen, dass jemand ihm nahestehendes beim Surfen an einem Hirnaneurysma stirbt. Zu der Mutter verliert er immer mehr den Bezug bzw. hatte da nie einen wirklich guten Draht zu ihr. Das Dorf verändert sich zusehends, die Touristen kommen und alles wird anders. Ich lese auch was vom Klimawandel raus, bspw. bei den Agaven"zäunen", die spärlicher geworden sind. Also auch da eine Veränderung. Der Prot wehrt sich gegen diese Veränderungen, in dem er sich einen Stachelpanzer zulegt, wie ein Igel, ein stacheliger Golem. Ja, und dann steht da für mich noch, dass man das Leben nicht planen kann, dass es einfach passiert und plötzlich steht man an einem Punkt, an dem man die geschehenen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen kann und sich fragt, was aus einem im Leben eigentlich werden soll bzw. geworden ist.

Auf die Art nehmen sie die Dorfperipherie in Beschlag, recken schwarze Dornen gen Himmel, Dorfbewohner und deren Haustiere.
Mit dem Satz hatte ich etwas Mühe. Also nach zwei- oder dreimaligem Lesen habe ich es dann begriffen. Die Agaven recken ihre schwarzen Dornen gegen den Himmel, gegen die Drofbewohner und gegen die Haustiere. "Dorfbewohner und deren Haustiere" habe ich erst als was Eigenständiges gelesen (habe erwartet, das da noch was kommt) und war verwirrt. Ausserdem hat der Satz keinen so schönen Sound, wie der Rest, klingt etwas abgehackt. Vielleicht als Vorschlag: Auf die Art nehmen sie die Dortperipherie in Beschlag. Recken schwarze Dornen gen Himmel, Dorfbewohner und Haustiere. Klingt imo besser, obwohl nur wenig verändert und es ist klar, dass es die Haustiere der Dorfbewohner sind, oder? Naja, Geschmackssache.

You're wellcome.
Extra falsch geschrieben?

Ich nehme das Nichts[KOMMA] wickele es um meinen Hals und würge damit die Mutterworte, bis sie blau werden und lasse das ganze Gewese auf das dampfende[KOMMA] tiefschwarze Straßenband fallen.
Beim zweiten Komma bin ich mir allerdings unsicher...

Schöner Text, aber nichts, was man einfach so konsumieren kann, wenn man den Sinn hinter den Worten verstehen will. Ich weiss jetzt auch nicht, ob meine Interpretation oben stimmig oder Quatsch ist, aber ich habe mehrmals gelesen und das ist so das, was ich nach dreimaligem Lesen rausziehe. Tolle Sprache wirklich, hat mir sehr gefallen. Teilweise schrammst Du gerade so an der Linie entlang, wo es dann zu viel würde und die Sprache drüber wirkt, aber imo hast Du da schön den Bogen gefunden und diese Linie nie übertreten.

Danke für die Geschichte und einen schönen Tag,
d-m

 

@Luzifermortus, Nabend, mein Gutster,

danke für Deinen Kommentar, aus dem ich mitnehme, dass Dir stellenweise der Text gefällt, doch der Gesamtzusammenhang nicht klar wird. Deine Frage lautet: Was soll mir das Ganze sagen? Ich will das in keinster Weise abtun, die Frage kann ich verstehen und sie begegnet mir immer wieder.
Für mich ist das ein Text, der nicht linear eine Geschichte erzählt, sondern sich aus Fragmenten, Bildern, Eindrücken zusammensetzt und wo viele Punkte dann ein Ganzes ergeben. Zum guten Teil denke ich, ist das auch surreal erzählt. Insofern macht auch ein geschärfter Blick aufs Wesentliche hier genauso wenig Sinn, wie der Versuch, in jedem Bild oder jeder außergewöhnlichen Formulierung eine Allegorie oder etwas anderes Bedeutungsschwangeres zu vermuten. MMn gibt es auch wenig zu übersehen, sondern mehr die Gesamtheit zu betrachten.

Ich versuche mal in groben Strichen festzuhalten, worum es mir ging.
Es hat ein wenig von einem Reisetagebuch, der Prota wandert entlang der Küste und wird mit Erinnerungen konfrontiert, wie dem schlimmen Verlust eines geliebten Menschen an genau diesem Ort. Und mit dem Rest, der davon übrig bleibt, bzw. sich verflüchtigt.
Es ist eine Beschäftigung mit der Frage der eigenen Identität. Was hat mich geprägt? Warum bin ich so geworden, wie ich bin? Was hat das Leben aus mir gemacht?
Dazu kommen die Rückblicke auf die eigene Jugend und deren Bedingungen, die Beschränkungen durch die kleinbürgerliche Mutter und ihre Austerität. Das ist auch eine Reise in eine andere, vermutlich fremde Gedankenwelt, die auch nicht geradlinig ist. Aufgrund der Kürze wird da vieles nur angerissen, bzw. angedeutet, doch mMn werden sollten folgende Dinge schon klar werden: Prota zieht eine Parallele seiner Person zu dem Igel, fühlt sich selbst stachelig, igelt sich ein und richtet seine Dornen als Selbstschutz gegen Mitmenschen. Da liegen div. Versehrungen vor, ein großer persönlicher Verlust, auch der Verlust von Vergangenheit, die eigene Prägung durch das Aufwachsen innerhalb des Zauns, Desillusionierung, etc.
Wie ein Text aufgenommen wird, ist ja auch immer eng verknüpft mit der Erwartungshaltung an den Text. Er soll eine gute Geschichte erzählen und mir etwas zeigen, einen spez. Aspekt der Conditio humana, lehrreich oder als Gedankenanstoß und bestenfalls auch emotional berühren. Bei manchen Texten würde ich mir wünschen, die Lesenden würden sich vllt. davon losmachen und anders hinschauen.
Du hast ja auch Stellen erwähnt, die Dir gefallen haben, wie z.B. der Passus mit Mutters Frage und Protas Antwort, oder den Zaun-Satz. Andererseits lässt Dich der Text verwirrt zurück, was erstmal nichts Negatives ist, und mit die Frage stellt: Wieviel Klarheit und Stringenz braucht das Ganze denn? Gegenüber den eigenen Texten ist man da manchmal blind, weil zu nahe dran, deshalb ist jede andere Lesart wichtig. Also ja, hilft! ^^ Klar ist: Zu unverständlich darf es nicht sein. Da warte ich noch auf weitere Rückmeldungen.

Peace, l2f

 

Fast schon schade, wie wenig der Text hier kommentiert wurde. Okay, ich geb zu: Ich liebe solche Texte. Was interessiert mich das Schleifen an jedem Wort, damit es sich nahtlos in eine langen Plot einfügt, wie steife Segmente eines Tausendbeinewurms. Warum nicht den Wildwuchs zulassen und dem Leser die Machete geben, als Brotkrumen auf dem Waldweg finden lassen. Das mag ich an deinen Texten sehr, klar, das mag nicht jeder (falls es jemals etwas gab, was jeder mag), aber sie lassen mich treiben und aufblitzen und fördern Wörter aus dem passiven in den aktiven Wortschatz.

Eine besondere Sprache leuchtet besondere Räume besonders aus. Sie ermöglicht also mehr und da frage ich mich, ob du dieses mehr einlöst. Es sind Erinnerungsfragmente. Die Sprache hält also ein großes Ganzes zusammen, das jenseits der Gegenwart liegt. Sie will den Eindruck eines Menschen zusammenfassen, das ist die Verantwortung, die sie in deinem Text trägt und das macht deinen Text chronologisch chaotisch, aber auch ehrlich und realitätsnah, bildet er doch das neuronale Towubawohu der Erinnerungen besser ab. Wenn Texte überhaupt etwas abpausen, dann ist deiner einer, dem ich mehr Glaubwürdigkeit schenke, als einer mit einer fokussierten Handlung, die Figuren auf newtonsche Gesetze von Kraft und Gegenkraft reduziert.

Ich glaube, ein Leser eines solchen Textes wird einer sein, der einen neuen, interessanten Blick auf etwas gewinnen will. Hier vielleicht die große Entwicklung des kleinen Portugals, in die die Lebensgeschichte eines Menschen eingeflochten ist. Das ist die Brut, aus der große Romane wachsen können, andererseits kann das einen Text überfordern und ihn scheitern lassen. Aber er kann auch banal werden. Er erfüllt dann jene Erwartung, die ich als Leser aus meiner Vorstellung über etwas ziehe. Ich gebe leider zu, dass deine Sprache mich an manchen Stellen mehr erwarten ließ. Das betrifft vor allem die beschriebenen Veränderung des portugiesischen Dorfes.

Das Dorf hat sich verändert, die Schilder sind neu, Free WLAN, Coffee und vegan food. Es gab zwei Bars, in denen Einheimische sich trafen, laut tranken und zusammen rauchten. Das heutige Dorf ist rauchfrei, gefällig bunt und hat neue Einnahmequellen entdeckt.
Ich nehme das Nichts wickele es um meinen Hals und würge damit die Mutterworte, bis sie blau werden und lasse das ganze Gewese auf das dampfende tiefschwarze Straßenband fallen. Dunkles Touristengold aus EU-Geldern. Touristen mögen weder Lehmpisten noch Schlaglöcher, dafür Klima, morgens einen Galão und die Welt.
Tourismus ist ja simpel: Ich reise in dein Land mit meiner Erwartung und ich gebe dir mein Geld, wenn dein Leben meine Erwartung erfüllt. In Portugal also eine verwunsche, ursprüngliche Fischerhüttenfolklore, in der alles in Olivenöl frittiert und vom Atlantik gesalzen wird. Aber Wifi muss laufen. Und Sport und gute Wellen, die gibts halt am Atlantik. Gefördert wird die ganze Infrastruktur, natürlich, mit dem EU-Geld. Das ist andererseits etwas, was, glaube ich, jeder so sieht, der mit dem deutschen Blick nach Portugal reist. Aber wo ist das spezifisch Portugiesische deines Erzählers? Seine Identität als Portugiese? Das war doch nie ein Land, das sich nach Osten orientierte, nach dem Kontinent, sondern zum Meer, eine Seefahrernation. Was ist das, was seine Identität auszeichnet? Sieht er den Tourismus als Verlust oder als simples Theater an? Wo steht er als Mensch zu dem Land, in das er geboren wurde? Was ich in deinem Text lese, sind Beobachtungen von etwas, nicht Haltungen zu etwas.
Junge, sagte Mutter, Junge, was soll aus dir werden? Gemeint war nie die Sorge um mich oder eine Andeutung von Interesse an meiner Person. Es war die Furcht vor dem Geschwätz der Nachbarn, dem Dorfgeifer mit stets veränderlichem Ziel, den sie für sich fürchtete und bei anderen mit wachsendem Eifer selbst betrieb.
Nichts! Mutter. Am liebsten nichts! erwidere ich auf die Frage, die ich nicht zurücklassen kann. Die Frage, die sich in meinem Nacken festgebissen hat.
Das klingt für mich nach einer großen Fremdheit. Ein Mensch, der nichts werden will. Warum, frage ich mich. Fühlt er sich vielleicht vollkommen fremd in einer Umgebung, mit der er sich nicht identifizieren kann? Weil er diesen Veränderungen passiv ausgeliefert ist, weil er nicht erkennen kann, wie er auf sie Einfluss nehmen kann? Ist er einfach unmotiviert? Glaubt er gar nicht an eine Zukunft? Oder protestiert er einfach gegen seine Mutter? Oder gegen das, was in seinem Land vor sich geht? So eine Art eremtische Rebellion. Klar, dein Text ist hier nicht klar, muss er auch nicht sein.

Das war's!

Lg
kiroly

 

Hi @AWM und danke für deinen Kommentar.

Ich habe das als sprachverliebten Text mit schönen Stellen gelesen. Für mich fehlt aber auch der Fokus.
Kann ich so unterschreiben, ist kein fokussierter Text, der mäandert so zwischen Rückschau, Traum und Gedanken. Das mag je nach Lesart ein Manko sein. Ein wenig verschwimmen sollte er dürfen, doch dass der Text zu kryptisch ist und zum Frust beim Lesen führt, wie du schreibst, finde ich als Rückmeldung bedenklich. Vorschläge?
spreizte die Finger und schüttelte die Hand, als könnte ich so neben dem Gewürm auch die Mutterworte loswerden
Ich finde seine Reaktion hier auf die Welt der Erwachsenen etwas widersprüchlich. Auf der einen Seite kommt es so rüber als will er der Mutter trotzen auf der anderen Seite übernimmt er aber auch sofort ihren Blick auf die Welt und kickt den Igel sogar.
Für mich ist das eine Stelle, die den Einfluss der Mutter auf das Kind zeigt. Prota kann sich dem ja auch später kaum entziehen und kämpft sich erst als Erwachsener aus der Enge. Durch den Sprung zwischen Kindheit und Gegenwart sehe ich da auch erstmal keinen Widerspruch.
Dass es früher echte Igel waren und heute Spielzeugfiguren (liegt da eine sonic spielzeugfigur? Falls ja, warum schreibst du es dann nicht einfach?). Soll das also auch für Veränderung und Entzauberung stehen?
Ist mir viel zu konkret gedacht, es geht nicht um eine Spielzeugfigur, sondern um Bilder und Assoziationen, die in der Fantasie des Protas entstehen, so als Gedankenkette, der man folgt. Ich hab auch überlegt, ob ich das so machen kann, vllt. streiche ich das auch, weil es zu viel ist.

Liebe Grüße, peace, l2f

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Nabend, @deserted-monkey, hat mich gefreut.

Habe ich gerne gelesen. Schöne Bilder, schöne Sprache. Allerdings habe auch ich etwas Mühe, dem Text zu folgen, da es meiner Meinung nach schnell recht kryptisch wird und ich habe das Gefühl, dass ich nicht alles verstanden habe. Also da steckt einiges drin in dem Text.
Kryptisch heißt ja geheimnisvoll, unklar und schwer verständlich. Das ist der Text stellenweise, die Frage ist halt, ob das zu viel wird. MMn ist der Text nicht so angelegt, dass der Leser durch Interpretation das Kryptische quasi ins Verständliche übersetzen soll. Da steckt nicht hinter jedem zweiten Satz ein Rätsel, das entschlüsselt werden will. Für mich geht es eher darum, den Text und seine Schlenker als Ganzes aufzunehmen und sich daraus ein Bild zu machen, was bei dir ja funktioniert hat.
Schöner Text, aber nichts, was man einfach so konsumieren kann, wenn man den Sinn hinter den Worten verstehen will. Ich weiss jetzt auch nicht, ob meine Interpretation oben stimmig oder Quatsch ist, aber ich habe mehrmals gelesen und das ist so das, was ich nach dreimaligem Lesen rausziehe. Tolle Sprache wirklich, hat mir sehr gefallen. Teilweise schrammst Du gerade so an der Linie entlang, wo es dann zu viel würde und die Sprache drüber wirkt, aber imo hast Du da schön den Bogen gefunden und diese Linie nie übertreten.
Das war sehr schön zu lesen. Mir war schon klar, dass der Text an der Grenze dessen jongliert, was an Ungefährem zumutbar ist. Gut, dass es für dich persönlich diese Grenze nicht überschreitet. Und ja, was du als Kern des Textes wahrgenommen hast, entspricht dem, was ich darstellen wollte, Veränderung, das Abstreifen der Ballasts der Herkunft und klar: Verlust. Der eines geliebten Menschen, aber auch von Sicherheiten.
Der Prot wehrt sich gegen diese Veränderungen, in dem er sich einen Stachelpanzer zulegt, wie ein Igel, ein stacheliger Golem. Ja, und dann steht da für mich noch, dass man das Leben nicht planen kann, dass es einfach passiert und plötzlich steht man an einem Punkt, an dem man die geschehenen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen kann und sich fragt, was aus einem im Leben eigentlich werden soll bzw. geworden ist.
Danke für deine Lesart. Was du geschrieben hast, hat mich sehr gefreut, zeigt es mir doch, dass der eine oder die andere auch aus einem solch wilden Text etwas rausziehen kann.

Schöne Restwoche, peace, l2f.

 

Ha, @linktofink,

ich dachte noch, als ich meine aktuelle Geschichte eingestellt habe, Moment, der Titel ... Hab ich den hier nicht schon mal gelesen ... (Meine heißt Stacheln, nur so als Hinweis), na, egal. Und dann will ich schauen, was es hier so zu lesen gibt, und ja ... Und dann noch der Igel! :shy: (In meiner gibt es auch einen Igel!) Na, egal, das nur vorab, jetzt zu deiner Geschichte.

Der erste Absatz, das Kursive, gefällt mir gut. Nur wirft er auch eine Frage auf: Wer erzählt da? Meistens klingt es alltäglich, geläufig, dann gibt es aber auch Formulierungen wie:

kurz darauf bot er seine Unterseite wieder dar.

Maden, Milben und Würmer würden ihn bevölkern.

Egal, weiter, und der nächste Absatz ist ... sehr viel. Sehr anders. Wenig wird auserzählt. Einerseits gefällt mir das bzw. will mir das gefallen, eben weil es anders, besonders ist, andererseits hat der Anfang mich noch sehr an der Hand genommen, step by step, aber hier geht es Schlag auf Schlag - ich habe das auf die Schnelle nicht sortiert bekommen, vielleicht auch, weil da ein wenig das persönliche (menschliche? innere?) fehlt, es vor allem um das "Außen" geht.

Und im Grunde geht es so ja weiter. Und du wirst dir ja sehr bewusst sein, dass du hier einen experimentellen Text geschrieben hast, ich muss dir nicht im Detail erklären, dass das von mir, dem Leser, mehr abverlangt als ein x-beliebiger Roman, der eine lineare Geschichte erzählt, und das finde ich gut, denn wie schon gesagt: Es ist anders, es ist besonders, und klar, du kannst dir so was erlauben, kannst gut mit Sprache umgehen.

Nur finde ich leider keinen Zugang. Ich empfinde den Text als ... kalt. So ein bisschen fühle ich hier das, was ich fühle, wenn ich ein Sachbuch lese: Ich finde es interessant, aber es dringt nicht in diese wärmeren Hirngefilde vor, oder anders gesagt: Er lässt mich nicht wirklich mitfühlen. Lässt mich eher analytisch lesen, staunen über die ausgeklügelte Sprachgewandtheit, ja, aber das Drama, das ich da zwischen den Zeilen erahne, das du ja eigentlich auch erzählen willst, nehme ich an, das dringt null bis zu meinem Herz vor.
Ich lese da von einer spannenden Mutter-Sohn-Beziehung, von einer Entfremdung von der Heimat, von einem Aneurysma - uff, schon das Wort lässt mich schlucken -, aber wie gesagt, es erreicht mich leider nicht, es bleibt hinter der Form verborgen.

Das sollte für dich aber kein Grund sein, die Geschichte umzuschreiben, denn sie ist in dieser Form genau richtig, denke ich, die Form ist die Geschichte. Vielleicht ist es für dich aber trotzdem interessant zu erfahren, wie sie auf mich, einen x-beliebigen Leser, gewirkt hat. In jedem Fall danke fürs Teilen!

Bas

 

HI @linktofink
mhm, interessanter Text - auf jeden Fall anders als die andern. Gleich vorweg gesagt: Ich bin kein großer Fan experimenteller Texte, bin ich leider noch nie wirklich rangekommen. Und das ging mir mit diesem Text leider nicht anders. :(
Du kannst gut mit Sprache und Worten spielen, zeichnest schöne Bilder und ich vermute, dass du problemlos die verschiedensten Arten von Texten schreiben kannst (ohne bisher etwas anderes von dir gelesen zu haben).
Nun das Aber: Es fühlt sich zu gekünstelt an, an vielen Stellen zu gewollt. Too much. Es ergibt sich kein Lesefluss für mich, ich stolpere immer wieder, denke nach, versuche zu begreifen was hier gerade beschrieben werden soll - und scheitere ziemlich kläglich. Das gilt für die rein sprachliche wie auch die inhaltliche Ebene. Und sicherlich ist das für manche Leser der Inbegriff literarischen Schreibens - aber ich werde frustriert und habe das Gefühl, der Autor möchte die Arbeit auf mich abwälzen, weil er selbst nicht genug prüfen, schärfen und klar ziehen wollte. Daher ... ging dieser Text leider völlig an mir vorbei.
LG Maria

 

Könnten wir weitermachen, wenn wir wüssten, was auf uns wartet?
...
Aneurysma klingt wie ein griechischer Gott. Einer, der dich vorne anlächelt und dir von hinten ins Knie fickt.

Am ersten Tag der Ausbildung zum Chemielaboranten an der Berufsschule stand auf dem Lehrerpult eine kleine Modelleisenbahn (Lok + zwei, drei Waggons) und der Lehrkörper fragte, was wir Lehrlinge uns unter der „Zeit“ vorstellten und als dies und das gemutmaßt war, ließ er die Eisenbahn ein wenig von A nach B rollen mit dem Effekt eines Bildes, das ich bei Gottfried Keller in Versen wiedergefunden habe: „Die Zeit geht nicht, sie stehet still, Wir ziehen durch sie hin; Sie ist die Karawanserei, Wir sind die Pilger drin. // Ein Etwas, form- und farbenlos, / Das nur Gestalt gewinnt, / Wo ihr drin auf und nieder taucht, / Bis wieder ihr zerrinnt. // Es blitzt ein Tropfen Morgentau / Im Strahl des Sonnenlichts; / Ein Tag kann eine Perle sein / Und ein Jahrhundert nichts.// Es ist ein weisses Pergament /Die Zeit, und jeder schreibt /Mit seinem roten Blut darauf, / Bis ihn der Strom vertreibt. // ...“* und beides – Gedicht wie erste Stunde Berufsschule fielen mir zu Deiner feinen Erzählung ein, wo die Mutter dem Igel gleicht, weil sie besorgt um den „guten“ Ruf ist – und das sind nun mal immer noch überwiegend die, die „das Haus“ hüten, wobei die Fähigkeit sich einzuigeln gegenüber der Außenwelt vor allem durchs „Vorbild“ weitergegeben wird und so bleiben auch nur zwo, drei kleine Anmerkungen zu der feinen Parabel,

lieber l2f,

wie hier direkt zu Anfang

Was ich da tue, rief Mutter aus dem Sprossenfenster, Maden, Milben und Würmer würden ihn bevölkern.
wo der Wechsel zu Konj. II den Effekt der Zweifel an der Aussage der Mutter erzeugen, der kindliche Empfänger der Worte – wiewohl der Autor weiß, dass sie zumindest nicht Unrecht hat . … Das schöne am Verb bevölkern ist doch die Identität von Prät. und Konj. II, bevölkerten
(was natürlich durch den Satz

Ich ließ ihn zurückfallen ins gelbe Laub, spreizte die Finger und schüttelte die Hand, als könnte ich so neben dem Gewürm auch die Mutterworte loswerden.
im modalen können bekräftigt wird.)

Mit der Stiefelspitze stieß ich ihn unter einen Busch und lief ins Haus.
Das klingt einem alten Pfadfinder nicht besonders „lebens“freundlich ...

Trotzig werfen die Agaven …
Alles ist beseelt ...

Hier

Das Dorf hat sich verändert, die Schilder sind neu, Free WLAN, Coffee und vegan food.
regt sich bei mir die Frage, wann mal wieder jemand „free Willi“ fordern wird …, was auch durch den kleinen Wehmutstropfen

Stehrümchen, hättest du gesagt.
erzeugt wird.

Paraglider kreisen über den Hügeln, hängen mit ihren Seilen an der Sonne und fahren Runde um Runde im glühenden Kettenkarussel[l].

Hier würd ich die Einheit der Zeitenfolge anregen
Ein Geländer aus Holz soll verhindern, dass jemand selbstvergessen geradeaus geht und vor dem Schild aufschlägt, das dort an der Felswand angebracht wurde.
ein „angebracht ist“ deutet ja schon auf eine vorherige Installation hin,

hier wirds aber nicht gelingen

Dort neben dem Rinnsal aus Süßwasser, von dem die Wildcamper, die es damals gab, gelebt haben.

Ich nehme das Nichts, wickele es um meinen Hals und würge damit die Mutterworte, bis sie blau werdenKOMMA und lasse das ganze Gewese auf das dampfende tiefschwarze Straßenband fallen.

Wie immer: Gern gelesen vom

Friedel

Jetzt sinds doch ein paar Anmerkungen mehr geworden. Ist aber auch kein Beinbruch ...

* https://www.mumag.de/gedichte/kel_g05.html

 

Warum nicht den Wildwuchs zulassen und dem Leser die Machete geben, als Brotkrumen auf dem Waldweg finden lassen. Das mag ich an deinen Texten sehr, klar, das mag nicht jeder (falls es jemals etwas gab, was jeder mag), aber sie lassen mich treiben und aufblitzen
Moin, kiroly, entschuldige die späte Antwort, ich bekomme gerade erst wieder etwas Luft. Du kennst meine Texte, weißt, dass ich gerne eigene Wege gehe, wie du ja auch, da sehe ich eine Verbindung, ev. auch die eine oder andere Parallele.
Du stellst die Frage nach einem neuen, interessanten Blick, nach dem Mehrwert, den die Sprache verspricht, nach dem Versprechen, dass sie nicht einlöst, festgemacht an der Beschreibung des portugiesischen Dorfs. Das ist für dich alles zu sehr aus der touristischen Sicht geschildert, dir fehlt das spezifisch Portugiesische, das dem Text innewohnen müsste, da der Prota ein Landsmann ist - was er in der Anlage für mich übrigens nie war. Deshalb geht diese Erwartung auch am Ziel vorbei.
Was ich in deinem Text lese, sind Beobachtungen von etwas, nicht Haltungen zu etwas.
Und so bleibt es auch beim Beobachten, weil es für mich genau darum geht und nicht um die Haltung zum Land, zum Tourismus und zur portugiesischen Identität. Sich selbst in Bezug setzen zur Welt, als Aufgabe und Prozess, der das ganze Leben lang stattfindet.
Da ist diese große Fremdheit, die für dich aus dem Text klingt, die ich auch sehe. Das ist nicht nur die Fremdheit dem Land gegenüber, das dem Prota einen geliebten Menschen genommen hat, sondern auch eine Fremdheit dem eigenen Leben, der eigenen Herkunft gegenüber, die als Ballast empfunden wird. Daher die Weigerung, etwas zu werden, als Absage an die üblichen Werdegänge.
Einer der ersten prof. Tätowierer der BRD hat neulich in einem Interview auf die Warum-Frage eine simple wie treffende Antwort gegeben: Anpassungsverweigerung. Ein Gefühl und Bedürfnis, das trotz fortschreitendem Zurechtstutzen durch das Leben manche von uns nie ganz verlassen hat. In dieser Spur sehe ich das spöttische Betrachten der allgemeinen Betriebsamkeit, das Einigeln, das Nichts-werden-wollen und letztlich auch die Einsamkeit. Das wollte ich rüberbringen, kann aber verstehen, wenn das zu wirr oder gar nicht ankommt, oder als larmoyant gelesen wird.

Danke für deinen Kommentar, peace, l2f

~~~~~~~~~~

Ich dachte noch, als ich meine aktuelle Geschichte eingestellt habe, Moment, der Titel ... Hab ich den hier nicht schon mal gelesen ... (Meine heißt Stacheln, nur so als Hinweis), na, egal. Und dann will ich schauen, was es hier so zu lesen gibt, und ja ... Und dann noch der Igel! :shy: (In meiner gibt es auch einen Igel!) ...
Herbst ist Igelzeit, definitiv! ^^ und damit: Hallo @Bas.
und der nächste Absatz ist ... sehr viel. Sehr anders. Wenig wird auserzählt. Einerseits gefällt mir das bzw. will mir das gefallen, eben weil es anders, besonders ist, andererseits hat der Anfang mich noch sehr an der Hand genommen, step by step, aber hier geht es Schlag auf Schlag - ich habe das auf die Schnelle nicht sortiert bekommen, vielleicht auch, weil da ein wenig das persönliche (menschliche? innere?) fehlt, es vor allem um das "Außen" geht.
Damit sprichst du zunächst das Tempo an, Schlag auf Schlag, sehr viel, was da auf den Lesenden einprasselt, die Hand, die dich anfangs gehalten hat, hält dich später auf Abstand. Da wird nichts auserzählt, es geht zu schnell, der Inhalt lässt sich nicht aufnehmen, weil er schwierig zu sortieren ist. Für mich geht es nicht vorrangig um das Außen, sondern um das Verhältnis zwischen innen und außen, um Positionierung. Was passiert da? Im Grunde das, was im ersten Absatz beschrieben wird: das Einziehen der Stacheln in Zeiten der Ruhe, bis der nächste dich anpustet oder unter den nächsten Busch kickt. Und irgendwann entrollst du dich nicht mehr, sondern hältst eine gewisse beobachtende Distanz. So viel zum Titel. Es ist ein von der Form her experimenteller Text, wie du schon sagst, und die Frage ist vllt., ob er hier bei Kurzgeschichten gut aufgehoben ist.
Nur finde ich leider keinen Zugang. Ich empfinde den Text als ... kalt. So ein bisschen fühle ich hier das, was ich fühle, wenn ich ein Sachbuch lese: Ich finde es interessant, aber es dringt nicht in diese wärmeren Hirngefilde vor, oder anders gesagt: Er lässt mich nicht wirklich mitfühlen. Lässt mich eher analytisch lesen, staunen über die ausgeklügelte Sprachgewandtheit, ja, aber das Drama, das ich da zwischen den Zeilen erahne, das du ja eigentlich auch erzählen willst, nehme ich an, das dringt null bis zu meinem Herz vor.
Es berührt dich nicht. Für dich steht die Sprache im Vordergrund und verhindert den Zugang zum Inhalt, bzw. das Drama, wie du sagst, erreicht dich nicht. Dass so aber rein gar nichts ankommt, ist für mich schwer nachvollziehbar und hart, denn bislang war ich der Meinung, das Befinden des Protas sei zwar vage und wenig konkret geschildert, aber das Innenleben sollte sich dennoch mitfühlen lassen. Schade, sei es drum, es ist so wie es ist.
Das sollte für dich aber kein Grund sein, die Geschichte umzuschreiben, denn sie ist in dieser Form genau richtig, denke ich, die Form ist die Geschichte. Vielleicht ist es für dich aber trotzdem interessant zu erfahren, wie sie auf mich, einen x-beliebigen Leser, gewirkt hat.
Ich weiß nicht, ob er so bleibt. Ich denke mal, da kann und sollte noch einiges dran geschnitzt werden. Danke für deine Rückmeldungen, Bas, gibt mir zu denken. Peace, l2f

 

Hallo @Maria_Mina und danke für deinen Kommentar.

Der Text ist völlig an dir vorbeigegangen, wirkt auf dich zu gekünstelt, zu gewollt. Schade das, auch dein Frust. Keine Ahnung, ob das für manche der Inbegriff literarischen Schreibens ist, für mich ist es das nicht. Für mich ist das nur eine Sorte Texte, die ich gerne schreibe und lese, sprachlich verspielt, assoziativ und offen.
Ebenso schreibe ich auch linear aufgebaute Texte, je nach Lust und Laune. Ich will mich da aber nicht drauf festnageln lassen. Du schreibst selbst, du bist kein Fan experimenteller Texte, das erschwert die Annäherung an den Text mMn erheblich. Denn ich denke, solch ein Text sollte anders gelesen werden als eine konventionelle KG. Da geht es nicht darum, jeden Satz in Klarsprech zu übersetzen und auf seine Bedeutung runterzubrechen, den Sinn zu begreifen, sondern das, was der Text transportiert, die Andeutungen und emotionalen Zustände mit feiner Antenne aufzunehmen. Manch einer mag das als Zumutung empfinden, der Ruf nach Schärfe und Klarheit ist schnell getan, gib mir das Futter, das ich gewohnt bin. Ich würde an der Stelle gerne fragen: Wie näherst du dich einem abstrakten Gemälde?

Peace, l2f

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Nabend @Friedrichard.

Ein Tag kann eine Perle sein / Und ein Jahrhundert nichts.
Wohl wahr und vielen Dank für dein Futter zum Thema Zeit. Ich lese das gerne, die "Kellerlyrik", da ist schon einiges dabei. Da ist viel Wasser den Rhein runtergeflossen seit deinem Kommentar und die Bahn ist schon beim Y, aber jetzt mit zwei Wochen Verspätung werde ich mich um deine Korrekturen kümmern, versprochen ^^.

Eine Frage noch: was hast du gegen Stehrümchen?

Peace, bis bald, l2f

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Hallo @anschi,

ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich mit deinem launigen Kommentar anfangen soll, der wirkt auf mich so zehn mal aus der Hüfte geschossen und doch zehn mal vorbei.

Es gibt dort nicht den allergeringsten positiven Ansatz - alles ist so verwurmt, vertrocknet und verstachelt, dass man's mit der Stiefelspitze unter die Büsche kicken muss.
Vllt. muss man vom Leben erst mal eins in die Fresse gekriegt haben, um da einen Zugang zu finden, kA, mir persönlich gehen naive Optimisten tierisch auf den Sack, endloses Wachstum und Erfolg, alles immer Party und easy, höher, weiter, schneller, mir ist das zu Hypokrit, zu unecht, denn so ist das Leben meiner Erfahrung nach nicht und ich denke dann shut the fuck up.
Minutiöse Schilderungen seelischer Schleimhautentzündungen oder juckender Bartflechten allein mögen die Musen nicht; die gehen derweil lieber mit Marco und Pepe an den Strand und Surfen mit ihnen in der Sonne, bis nicht der Igel, sondern der Weiße Hai kommt und ausgerechnet den frisst, mit dem's am besten ging.
Niemand hält dich davon ab, mit Pepe und Marco an den Strand zu gehen und dich dort vom weißen Hai fressen zu lassen, statt Texte zu lesen und zu kommentieren, die dich quälen. Muss ja nich.
Ich betrachte den Text als Stoffsammlung für etwas, das erst noch geschehen muss.
Ich nicht, was soll das sein?

Peace, l2f

 

Liebe @anschi,

Ich bin total dankbar, dass du mir das Forum und gleich die Welt erklärst, wirklich. Stilübung, Stoffsammlung, Schulaufsatz, toll wie du das durchblickst und mir ungefragt nahe legst. Und doch hab ich eine Bitte an dich: Tummel dich in Zukunft unter anderen Texten, nicht unter meinen, denn ich weiß aus Erfahrung: das mit uns hier, das gibt nix.

Peace, linktofink (nicht linktofofink)

 

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