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Stacheln

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Bas

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16.09.2018
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Stacheln

Wenn ich meinen Vater beschreiben müsste, würde ich mit Äußerlichkeiten beginnen. Glatze, Tattoos, Bart. Muskulöse Arme und ein Bauch, die Arme hatte er von der Arbeit, den Bauch, weil er trank: Nach jeder Schicht, egal, ob früh oder spät, wenn er mir einen Kuss gab, roch es nach Bier, Bier mit einem Spritzer Zitronenkonzentrat, und sein Bart stach mir in die Haut.

Wenn ich meine Mutter beschreiben müsste, würde ich mit ihrem Wesen beginnen. Sie war einfühlsam und gleichzeitig herrisch. Intelligent und aufopfernd und sensibel und gleichzeitig … hart und entschlossen in ihren Handlungen. Und ich wüsste für alles eine Erklärung. Ich wüsste, wo die Härte herkommt und ich wüsste sie zu verteidigen, doch wenn ich das Wesen meines Vaters beschreiben sollte, müsste ich mir zuerst eine Strickleiter besorgen, eine Taschenlampe und eine Karte, am besten einen Dolmetscher, einen Höhlenforscher und einen Archäologen, und alle drei müssten sie in eine tiefe Schlucht hinabsteigen, um sein Geheimnis zu ergründen. Und keiner von ihnen würde wieder zurückkehren, so viel ist sicher.
Und trotzdem steige ich immer wieder selbst in diese Schlucht hinab, kaum, dass ich im Bett liege und meine Augen schließe. Denn vielleicht habe ich etwas übersehen. Etwas, das man nur mit geschlossenen Augen sieht.

Es war Sommer. Vielleicht war ich sechs. Vielleicht war mein Vater neunundzwanzig, meine Schwester acht, und mit ihr war ich draußen, in der Siedlung, während meine Eltern in einer der unzähligen Gartenhütten im Schatten der Fabrik saßen, von denen jede einzelne aussah wie notdürftig zusammengeflickt: Aus Teerpappe und Wellblech und Holzlatten, später sollte genau diese Hütte in Flammen stehen, aber damals ahnte davon keiner etwas, und so saßen sie zusammen, abgeschaffte Männer und ihre Frauen, die sich vor allem auf eines einigen konnten: Darauf, dass das Schaffen dazugehört, dass das Jammern nichts hilft, was half, war das Zusammensein, das Nicht-Alleinesein, die wissenden, genauso müden Blicke der anderen und das Bier. Und weil wir dafür zu jung waren, meine Schwester und ich, weil wir uns schon früh sattgesehen hatten an den gelben, glasigen Augen der Männer, an den Bierdeckelhäusern und den Marlboro-Aschenbechern, blieben wir draußen. Da, wo es nicht so eng war. Wo wir durchatmen konnten, wo der Sternenhimmel so hoch war, wie er es nur in der Kindheit ist, und hier, im Schein der Laternen, im Gebüsch, entdeckten wir den Ball.

Wahrscheinlich gehörte er dem Sohn vom Türken. Oder der Tochter. Der Tochter, die uns vor einigen Abenden im Licht derselben Laternen den Mittelfinger gezeigt hatte, bevor sie in der Türkensiedlung verschwunden war. Der Tochter, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging, vielleicht, weil sie mich an das Mädchen bei Mowgli erinnerte, das singende Mädchen mit dem Wasserkrug auf dem Kopf, und genau wie im indischen Dschungel trennten auch mich und das Mädchen Welten: Ich hier, zwischen VHS-Kassetten und Pokémon-Karten, sie da, dort, wo die baufälligen Häuser aus verputztem Backstein standen, wo noch mit Holz geheizt wurde, wo die Wäsche im Vorhof an der Leine trocknete statt zuhause im Trockner.
Jeder kannte den Türken mit seinem Schnauzbart und seiner Schiebermütze und jeder kannte seinen Garten, jeder hörte das Geschrei. Jeder kannte den Taubenschlag. Jeder wusste, dass der Sohn vom Türken die freilaufenden Katzen der Siedlung mit Stöcken jagte, jeder wusste, dass Tauben dreckig sind und wahrscheinlich war der Ball vom Sohn vom Türken genauso dreckig, dachten wir damals, und trotzdem – oder gerade deswegen – holten wir den Ball aus dem Gebüsch, als wäre er unser eigner und spielten ihn uns einander zu, so lange, bis die Tür der Hütte geöffnet wurde und das gedämpfte Stimmengewirr aus der Hütte wie Zigarettenqualm in den Nachthimmel hinaufstieg. Kurz zeichnete sich die Silhouette meines Vaters deutlich vor dem schummrigen Rechteck aus Licht ab. Kurz hielten meine Schwester und ich den Atem an, bevor die Tür wieder geschlossen wurde und alles in Schatten tauchte und der Schatten meines Vaters zum Komposthaufen schlich, wo es kurz darauf klang, als hätte jemand den Gartenschlauch angestellt.

Keine dreißig Jahre später sollte mein Vater in einen Beutel pissen, nachdem man ihm die Blase ausgeschabt hatte, aber davon wusste er noch nichts, als er dort unter dem Wellblechdach stand und seinen Reißverschluss zuzog und dann, nach kurzem Zögern, nach kurzer Schattenschmelze – Vorder- und Hintergrund wurden eins, mein Vater hätte in diesem Moment genauso gut selbst ein Stück Wellblech sein können oder eine Holzlatte –, mit in den Taschen vergrabenen Händen auf uns zukam.
Was ging ihm damals durch den Kopf? Hat er gefragt, was wir da taten? Wo wir den Ball herhatten? Wie uns der Abend gefiel, ob wir Spaß hatten oder lieber heimwollten, ob er uns den Schlüssel geben sollte? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube nicht. Überhaupt kann ich mich nur an wenig Gesagtes erinnern, wenn ich an meinen Vater zurückdenke, was ich weiß, ist, dass wir dann zu dritt dort standen, meine Schwester, mein Vater und ich, das Rauschen des Fabrikkamins im Hintergrund, der immer über uns thronte, immer Rauch ausstieß, egal ob morgens, mittags oder nachts, Rauch, von dem keiner so recht wusste, was es mit ihm auf sich hatte, keiner, außer vielleicht meinem Vater, der es aber für sich behielt, wie die meisten seiner Gedanken, und stattdessen mit uns Ball spielte, einen stillen Moment lang unter dem schwindelerregend hohen Sternenhimmel. Der ihm wohl schon gar nicht mehr so hoch erschienen war wie uns Kindern. Nicht mehr so fern. Und ich weiß auch nicht mehr, wer von uns letztendlich bemerkt hatte, dass der Ball nicht dem Sohn vom Türken gehören konnte und auch nicht der Tochter, weil er in Wahrheit gar kein Ball gewesen war, sondern ein zusammengerollter, leidender, vielleicht schon toter Igel.

Wenn ich an meinen Vater zurückdenke, sehe ich einen groben Mann mit schwieligen Händen, schwieligen Hände vom Schaffen, dachte ich früher, vielleicht aber auch, weil er uns mit diesen Händen geschlagen hat, denke ich jetzt. Vielleicht haben die Schläge nicht nur bei uns Spuren hinterlassen. Aber in denselben groben Händen sah ich auch Engerlinge liegen: Schmutzigbraune Handflächen und darin die strahlend weißen, fleischigen Larven, die er über den Gartenzaun warf, statt sie mit dem Spaten zu zerdrücken, grobe Hände, die mich gegen die Wand gedrückt haben und gleichzeitig den Engerlingen ein Leben ermöglichten.

Wenn ich an meinen Vater denke, denke ich an Feuer und Igel und Bier und versuche, aus diesen Bruchstücken etwas zusammenzusetzen, das einen Sinn ergibt. Aber gleichzeitig ist alles, was ich sehe, ein Schatten. Ein Schatten mit Stacheln dran, als wollte er sich selbst jetzt noch dagegen wehren, dass man ihm zu nah kommt, ein schon toter, aber immer noch leidender Schatten. Ein harter Kerl und ein Feigling, einer, dem das Schicksal ein Bein gestellt hat, ein Mistkerl, der bekommen hat, was er verdient, der noch viel mehr verdient hätte, was weiß ich.
Wenn ich meinen Vater noch mal sehen könnte, hätte ich viele Fragen, denn als ich ihn noch fragen konnte, habe ich es nie getan, und als du mich fragtest: Sollen wir mal etwas essen gehen, meintest du da: Sollen wir mal reden? Und als ich dir sagte, dass ich nicht mag, dass ich dich nicht mag, als Person, als Mensch, und mich dann so erhaben gefühlt habe, als dir die Tränen in den versoffenen Augen standen – was war das?

 

Ich kann den Erinnerungen gut folgen. Es ist interessant geschrieben, immer wieder aufgelockert mit den Interpretationen des Sohnes (oder der Tochter?). Eine leicht bedrückende Milieustudie, die sich aber, dank der Beschreibung, vor meinen Augen abspielte. Es ist aus meiner Sicht zwar keine vollständige Geschichte mit Spannungsbogen usw., aber könnte Teil einer sein und wie ich finde ein ziemlich guter!

 

Hey @knoepsche,

freut mich, dass du gut folgen konntest.

Es ist aus meiner Sicht zwar keine vollständige Geschichte mit Spannungsbogen usw.

Ja, Anfang - MIttelteil - Schluss gibt es hier nicht, ich sortiere für mich gerade noch ein wenig, in welche Form ich dieses Thema bringen will, ob ich möglicherweise eine der Episoden ausbauen soll, irgendwo organisch eine Anfang-Mittelteil-Schluss-Passage eingeflochten bekomme ... Hm, mal sehen.

Danke jedenfalls schon mal für die Rückmeldung, dass du an für sich "einverstanden" bist mit dem, was du gelesen hast :thumbsup:

Bas

 
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Wenn ich meinen Vater beschreiben müsste, würde ich mit Äußerlichkeiten beginnen. Glatze, dazu einen Bart. Muskulöse Arme und einen Bauch, einen Bierbauch, die Glatze hatte er aus Bequemlichkeit: Um nicht zum Frisör zu müssen, und aus Eitelkeit: Um die Geheimratsecken zu kaschieren. Die Arme kamen von der Arbeit. Den Bauch hatte er, weil er trank: Nach jeder Schicht, egal, ob früh oder spät, wenn er mir einen Kuss gab, roch es nach Bier, Bier mit einem Spritzer Zitronenkonzentrat, und sein Bart stach mir in die Haut. Ich war sechs, er neunundzwanzig, und ohne es zu wissen, hatte er mehr als die Hälfte seines Lebens bereits hinter sich.

Wenn ich meine Mutter beschreiben müsste, würde ich mit ihrem Wesen beginnen. Sie war einfühlsam und gleichzeitig herrisch. Intelligent und aufopfernd und sensibel und gleichzeitig … hart und entschlossen in ihren Handlungen. Und ich wüsste für alles eine Erklärung. Ich wüsste, wo die Härte herkommt und ich wüsste sie zu verteidigen, doch wenn ich das Wesen meines Vaters beschreiben sollte, müsste ich mir zuerst eine Strickleiter besorgen, eine Taschenlampe und eine Karte, am besten einen Dolmetscher, einen Höhlenforscher und einen Archäologen, und alle drei müssten sie in eine tiefe Schlucht steigen, um sein Geheimnis zu ergründeich mich jetzt: Feuer, wie so oft hier, Gartenhütten brannten, ganze Wohnungen brannten aus, sogar die Fabrik sollte noch brennen, aber damals wusste keiner von diesen Dingen und so saßen sie zusammen, abgeschaffte Männer und ihre Frauen, die sich vor allem auf eines einigen konnten: Auf Bier. Auf Wein und auf Schnaps, auf Zigaretten, Zigarren und Zigarillos, und weil wir für all das zu jung waren, meine Schwester und ich, blieben wir draußen, da, wo der Sternenhimmel so hoch war, wie er es nur in der Kindheit ist, wo die Laternen so diffus-neblig-orange strahlten, wie sie es nur damals taten, und wir redeten. Worüber, weiß ich nicht. Sicher nicht über Alkohol und Tabak, Alkohol und Tabak gehörten dazu, waren selbstverständlich, waren nichts, worüber man sprach, geredet wurde über andere Dinge. Über den Ball, den wir im Schein der Laternen im Gebüsch entdeckt hatten.

Wahrscheinlich gehörte er dem Sohn vom Türken. Oder der Tochter. Der Tochter, die uns vor einigen Abenden im Licht derselben Laternen den Mittelfinger gezeigt hatte, bevor sie in der Türkensiedlung verschwunden war. Der Tochter, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging, vielleicht, weil sie mich an das Mädchen bei Mowgli erinnerte, das singende Mädchen mit dem Wasserkrug auf dem Kopf, und genau wie im indischen Dschungel trennten auch uns Welten: Ich hier, sie dort, da, wo die baufälligen Häuser aus verputztem Backstein standen, wo noch mit Holz geheizt wurde, wo die Wäsche im Vorhof an der Leine trocknete statt zuhause im Trockner und ihrem Vater gehörte der Garten neben der Feuerhütte.

Jeder kannte den Türken mit seinem Schnauzbart und seiner Schiebermütze und jeder kannte seinen Garten. Jeder kannte den Taubenstock. Jeder wusste, dass der Sohn vom Türken die freilaufenden Katzen der Siedlung mit Stöcken jagte und jeder wusste, dass Tauben dreckig sind und wahrscheinlich war der Ball vom Sohn vom Türken genauso dreckig, dachten wir damals, und dass wir uns dabei nichts dachten, tut mir heute, rückblickend, weh, aber damals holten wir den Ball aus dem Gebüsch, als gehörte er uns selbst und spielten ihn uns einander zu, so lange, bis die Tür der Hütte geöffnet wurde und das gedämpfte Stimmengewirr wie angestauter Zigarettenqualm in den Nachthimmel hinaufstieg. Kurz zeichnete sich die Silhouette meines Vaters deutlich vor dem schummrigen Rechteck aus Licht ab. Kurz hielten meine Schwester und ich den Atem an, bevor die Tür wieder geschlossen wurde und alles in Schatten tauchte und der Schatten meines Vaters zum Komposthaufen schlich, wo es kurz darauf klang, als hätte jemand den Gartenschlauch angestellt.

Keine neunundzwanzig Jahre später sollte mein Vater in einen Beutel pissen, nachdem man ihm die Blase ausgeschabt hatte, aber davon wusste er noch nichts, als er dort unter dem Wellblechdach stand und seinen Reißverschluss zuzog und dann, nach kurzem Zögern, nach kurzer Schattenschmelze – Vorder- und Hintergrund wurden eins, mein Vater hätte in diesem Moment genauso gut selbst ein Stück Wellblech sein können oder eine Holzlatte –, mit in den Taschen vergrabenen Händen auf uns zukam.

Was ging ihm damals durch den Kopf? Hatte er gefragt, was wir da taten? Wo wir den Ball herhatten? Wie uns der Abend gefiel, ob wir Spaß hatten oder lieber heim wollten, ob er uns den Schlüssel geben sollte? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube nicht. Überhaupt kann ich mich nur an wenig Gesagtes erinnern, wenn ich an meinen Vater zurückdenke. Was ich weiß, ist, dass wir dann zu dritt dort standen, meine Schwester, mein Vater und ich, das Rauschen des Fabrikkamins im Hintergrund, der immer über uns thronte, immer weißen Rauch ausstieß, egal ob morgens, mittags oder nachts, Rauch, von dem keiner so recht wusste, was es mit ihm auf sich hatte, keiner, außer vielleicht mein Vater, der es aber für sich behielt wie die meisten seiner Gedanken und stattdessen mit uns Ball spielte, einen stillen Moment lang unter dem schwindelerregend hohen Sternenhimmel. Der ihm wohl schon gar nicht mehr so hoch erschienen war wie uns Kindern. Nicht mehr so fern. Und ich weiß auch nicht mehr, wer von uns letztendlich bemerkt hatte, dass der Ball nicht dem Sohn vom Türken gehören konnte und auch nicht der Tochter, weil er in Wahrheit gar kein Ball gewesen war, sondern ein zusammengerollter, leidender, vielleicht schon toter Igel.

Wenn ich an meinen Vater zurückdenke, sehe ich einen groben Mann mit schwieligen Händen, schwieligen Hände vom Schaffen, dachte ich früher, vielleicht aber auch, weil er uns mit diesen Händen geschlagen hat, denke ich jetzt. Vielleicht haben die Schläge nicht nur bei uns Spuren hinterlassen. Aber in denselben groben Händen sah ich auch Engerlinge liegen: Schmutzigbraune Handflächen und darin die strahlend weißen, fleischigen Larven, die er über den Gartenzaun warf, statt sie mit dem Spaten zu zerdrücken, grobe Hände, die mich gegen die Wand gedrückt haben und gleichzeitig den Engerlingen ihre Freiheit schenkten, ein Leben ermöglichten, mein Vater: Ein ewiges Paradox.

Wenn ich an meinen Vater denke, denke ich an Feuer und Igel und Bier und versuche, aus diesen Bruchstücken etwas zusammenzusetzen, das einen Sinn ergibt. Aber gleichzeitig ist alles, was ich sehe, ein Schatten. Ein Schatten mit Stacheln dran, als wollte er sich selbst jetzt noch dagegen wehren, dass man ihm zu nah kommt, ein in sich selbst verkrochener, aber immer noch leidender Schatten.

schön, die Annäherung von außen
, doch wenn ich das Wesen meines Vaters beschreiben sollte, müsste ich mir zuerst eine Strickleiter besorgen, eine Taschenlampe und eine Karte, am besten einen Dolmetscher, einen Höhlenforscher und einen Archäologen, und alle drei müssten sie in eine tiefe Schlucht steigen, um sein Geheimnis zu ergründen. Und keiner von ihnen würde wieder zurückkehren, so viel ist sicher.
Das ist eine der besten Stellen
das singende Mädchen mit dem Wasserkrug auf dem Kopf, und genau wie im indischen Dschungel trennten auch uns Welten: Ich hier, sie dort, da, wo die baufälligen Häuser aus verputztem Backstein standen, wo noch mit Holz geheizt wurde, wo die Wäsche im Vorhof an der Leine trocknete statt zuhause im Trockner und ihrem Vater gehörte der Garten neben der Feuerhütte.
So viel Trennendes, so viel Fremdheit, schönes Bild
nach kurzem Zögern, nach kurzer Schattenschmelze – Vorder- und Hintergrund wurden eins, mein Vater hätte in diesem Moment genauso gut selbst ein Stück Wellblech sein können oder eine Holzlatte –, mit in den Taschen vergrabenen Händen auf uns zukam.
Großartig
Was ging ihm damals durch den Kopf? Hatte er gefragt, was wir da taten? Wo wir den Ball herhatten? Wie uns der Abend gefiel, ob wir Spaß hatten oder lieber heim wollten, ob er uns den Schlüssel geben sollte?
Papa fragt nicht, er sagt nichts, traurig..
Wenn ich an meinen Vater zurückdenke, sehe ich einen groben Mann mit schwieligen Händen, schwieligen Hände vom Schaffen, dachte ich früher, vielleicht aber auch, weil er uns mit diesen Händen geschlagen hat, denke ich jetzt. Vielleicht haben die Schläge nicht nur bei uns Spuren hinterlassen.
Eine mögliche Erklärung, Annäherung

Hallo Bas!
Deine Geschichte finde ich großartig! Hier eine Auswahl von Textstellen, die das für mich belegen.
Du beschreibst mit klaren Worten und treffenden Vergleichen die Sprachlosigkeit des Vaters, die Ratlosigkeit der Kinder, die Härte der Zeit und wahrscheinlich auch die Nachwirkungen einer noch schlimmeren Zeit.
Mich hat die Geschichte ergriffen, ich kenne sie noch, die qualmenden Schlote , die dreckigen Zechen und die Hinterhöfe mit Plumpsklo und Wellblechhütten, die trinkenden Männer, die bis zum Umfallen geschuftet haben und denen Sprache so fremd war.
Dein Protagonist erzählt ohne Gefühlsduselei von dieser Zeit, doch er fasst in Worte, was ihn lebenslang beschäftigt. Der Vater bleibt fremd, die Sehnsucht und die Liebe sind vertraut, ein geschlossenes Ende kann die Geschichte nicht haben.
Herzliche Grüße,
Jutta

 

Hallo Bas,

muss ja nicht immer einen roten Faden haben, so eine Geschichte, dabei ist sie voller Gefühl und - ja, Intimität, auch wenn sie rau und fast klobig wirkt. Eine kleine Milieustudie mit sehr detailgetreuem Hinsehen und doch dieser versteckten Liebe für jene Zeit, für den Vater.
Hat mir sehr gut gefallen.
Grüße - Detlev

 
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… vielleicht habe ich etwas übersehen. Etwas, das man nur mit geschlossenen Augen sieht.
...
Wenn ich an meinen Vater zurückdenke, sehe ich einen groben Mann mit schwieligen Händen, schwieligen Hände vom Schaffen, dachte ich früher, vielleicht aber auch, weil er uns mit diesen Händen geschlagen hat, ...​

Moin,

Bas,

bei den vielen Neuerscheinungen hierorts weiß ich nach der kleinen erzwungenen Pause gar nicht so recht, wo ich anfangen will und da kommt mir Dein Auszug aus der „Selberlebensbeschreibung“ (so nannte Jean Paul seine autobiografischen Erinnerungen) ganz gelegen und ich kann weitestgehend Juttas (@Ouwen) Beitrag folgen, denn in Industriegebieten gleicht sich manch’ Geschehen und Entwicklung (und – kein Scherz – Bier gabs lange Zeit zum Frühstück – nicht nur in proletarischen Familien … ) und dass eine Selberlebensbeschreibung mehr wird als eine Kurzgeschichte ist an sich kein Wunder, eine Geschichte ist es allemal, wenn wir wissen, dass „Geschichte“ eine umgelautete Partizipbildung des Verbes „geschehen" ist und in der Summe gar zur Historie wird.

Was mich altes, gebrechliches Menschlein irritiert ist der Titel, insbesondere weil hierorts an anderer Stelle Stacheln in Konkurrenz auftreten …

Was aber zunächst auffällt, ist die Liebe zum Doppelpunkt (sehn wir mal ab von den bereits angemahnten „einenfür Bart und Bauch)

... meine Schwester acht, wir waren draußen, meine Eltern saßen drinnen, in einer der Gartenhütten im Schatten der Fabrik, von denen jede aussah wie notdürftig zusammengeflickt:
Warum das Komma zwischen „drinnen“ und „in“? Und sagt die Logik nicht schon, dass der, der "drinnen" sitzt "in" was und wem (und sei's ein Wal) auch immer? Eines ist m. E. entbehrlich und "drin" drängelt sich da geradezu auf ...

Wie uns der Abend gefiel, ob wir Spaß hatten oder lieber heim wollten, ob er uns den Schlüssel geben sollte?
Ein Wort „heimwollen“

Wie dem auch wird,
gern gelesen vom

Friedel

Achja - weil's mir gerade einfällt - hinsichtlich der Prügel hatten wir Brüder weniger die Hand des alten Herrn als des Fräulein Mutters (solche Verniedlichungen stellen sich ein, sobald man die Ältern um Haupteslänge überragt) Verlängerung im Teppichklopfer zu fürchten ... auch eine Art Distanzwaffe ...

 

die Glatze hatte er aus Bequemlichkeit: Um nicht zum Frisör zu müssen, und aus Eitelkeit: Um die Geheimratsecken zu kaschieren.

Hallo,

moment, aber eine Glatze muss er doch auch jede Woche rasieren, das wäre ja das genaue Gegenteil von Bequemlichkeit, oder? Und er kaschiert ja nicht seine Geheimratsecken, das würde er eventuell mit längeren Haaren tun: er lässt es gar nicht dazu kommen.

Die Arme kamen von der Arbeit.
Du meinst sicher die Muskeln, die Arme waren ja auch schon vorher da.

Den Bauch hatte er, weil er trank:
Redundant, du erwähnst es bereits im ersten Satz und zwar kursiv, also von was sollte der Bauch dann sonst stammen.

Nach jeder Schicht, egal, ob früh oder spät, wenn er mir einen Kuss gab, roch es nach Bier, Bier mit einem Spritzer Zitronenkonzentrat, und sein Bart stach mir in die Haut.
Wie wäre es, wenn du umstellst: Nach jeder Schicht, egal ob früh oder spät, roch sein Kuss nach Bier. So ist es eher aktiv und nicht so umständlich. Gibt er seinem Sohn auch nach der Frühschicht einen Kuss? Also nicht nur einen Gute-Nacht-Kuss? Erscheint mir ungewöhnlich.
So wird auch die Erfahrung sensorischer: nicht sagen, der Vater trinkt, es hier an diesem sehr guten Beispiel zeigen, das spricht alle Sinne direkt an und ich weiß, aha, der Vater trinkt.

Wenn ich meine Mutter beschreiben müsste, würde ich mit ihrem Wesen beginnen. Sie war einfühlsam und gleichzeitig herrisch. Intelligent und aufopfernd und sensibel und gleichzeitig … hart und entschlossen in ihren Handlungen. Und ich wüsste für alles eine Erklärung. I
Warum musst du auf dieser Kürze noch einen zweiten Pol aufmachen? Es geht doch eindeutig um den Vater. Du benutzt hier die Mutter als Gegenpol, um an ihr zu zeigen, sie ist so und so und so, und das ist für mich immer klar gewesen und daran gibt es nichts zu rütteln, es dient aber nur als Beweis für deine eigentliche These, dass das beim Vater eben ganz und gar nicht so eindeutig ist. Warum brauchst du das hier? Das taucht ja nie wieder auf, es spielt für die Erzählung um den Vater keinerlei Rolle mehr, es ist so auch ein wenig ein billiger Effekt, finde ich. Verlass dich doch auf die Schilderung des Vaters, dadurch tritt auch das transgressive, unbestimmbare, uneindeutige Element viel deutlicher zutage: der Leser bekommt ja diese Sicherheit der Bestimmbarkeit anhand der Mutter mitgeliefert. Entlässt du ihn ohne dieses Element entwickelt sich doch dieses Verwirrende, Paradoxe viel eher selbst, hallt nach.
Aus Teerpappe und Wellblech und Holzlatten, und genau diese Gartenhütte sollte später in Flammen stehen, erinnere ich mich jetzt:
Warum genau jetzt? Bei uns gab es eine Siedlung mit alten Verkabelungen, die ständig durchbrannten, da war immer die Feuerwehr, gefühlt täglich. Ich bin direkt gegenüber, und ich meine direkt gegenüber, einer Chemie-Fabrik aufgewachsen, die für Henkel Schmierstoffe und Tenside hergestellt hat, mitten in einem Wohngebiet. Heute undenkbar. Da war die Explosionsgefahr und Brandgefahr wirklich alltäglich, und kurz bevor sie die Fabrik geschlossen haben, ist dann tatsächlich ein Kessel explodiert und hat ein Mietshaus beschädigt. Aber auf so etwas, eine Art Grundlage, die unterschwellige Gefahr und auch die Normalität, mit der man auf so etwas reagieren kann, wenn man es täglich oder oft erlebt, gehst du gar nicht weiter ein, es dient nur als Kulisse, du sagst dann so was:
aber damals wusste keiner von diesen Dingen und so saßen sie zusammen,
Damals wusste keiner von diesen Dingen. Moment, ich dachte, es brannte ständig etwas, also wussten dich doch sehr wohl etwas von diesen Dingen. Das ist so ein bag of tricks, hier wird eine Atmosphäre aufgebaut, Männer und Frauen trinken vor brennenden Fabriken, aber was sollen wir daraus schließen? Das es ihnen egal ist? Ich bin jetzt der Letzte, der dagegen ist, wenn man sagt, naja, komm, hauen wir hier schön Atmo und Kulisse rein, aber ich finde, es müsste organisch sich zum Text fügen. Würde da jetzt der Vater reagieren und sagen: Scheißegal, lass brennen, dann könnte ich damit eher etwas anfangen, so wirkt es wie ein Satz, der da steht, weil sich das gut liest.

Auf Bier. Auf Wein und auf Schnaps, auf Zigaretten, Zigarren und Zigarillos, und weil wir für all das zu jung waren, meine Schwester und ich, blieben wir draußen, da, wo der Sternenhimmel so hoch war, wie er es nur in der Kindheit ist, wo die Laternen so diffus-neblig-orange strahlten, wie sie es nur damals taten, und wir redeten.
Es ist seltsam, dass dieses Draußenbleiben der Kinder mit einem hohen Sternenhimmel und dem diffusen Licht der Laternen korrespondiert. Das hat er sich alles gemerkt, der Erzähler? Er holt das alles aus seiner Erinnerung und kleidet das in solch poetische Worte, alle Achtung. Da drinnen in der Hütte sitzt sein Vater, er raucht und trinkt mit anderen Männern und Frauen, und der Junge ist mit seiner Schwester draußen. Wollen sie gar nicht wissen, was da drinnen passiert? Wie Bier schmeckt, wie es sich anfühlt eine Zigarette zu schmecken, der Rauch? Wollen sie nicht hören, über was die Erwachsenen reden? Sie belauschen? Sie auch nachahmen? Etwas von dieser großen, geheimnisvollen Welt mitbekommen? Beobachten sie lieber den hohen Sternenhimmel und reden ... wie Teenager? Das kaufe ich irgendwie nicht.
Alkohol und Tabak gehörten dazu, waren selbstverständlich, waren nichts, worüber man sprach, geredet wurde über andere Dinge
Woher wollen sie das denn wissen? Das erschließt sich mir nicht. Da wirkt der Erzähler im Nachhinein auch etwas altklug, finde ich, weil er das damals ja auch schon gewusst haben muss.

er Tochter, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging, vielleicht, weil sie mich an das Mädchen bei Mowgli erinnerte, das singende Mädchen mit dem Wasserkrug auf dem Kopf, und genau wie im indischen Dschungel trennten auch uns Welten:
Das ist auch so eine Sache. Kiplings Dschungelbuch. Woher kennt er das? Liest ihm das seine Mutter vor, sein Vater? Konnte er das damals schon so genau differieren, wie getrennt die Welten waren? Müsste er das nicht retrospektiv auseinanderziehen und sagen, jetzt, heute, erkenne ich erst, wie weit unsere Welten auseinanderlagen. Kann man das mit sechs Jahren schon? Hat man da schon die geistige Weite und die begrifflichen Parameter für?

Kurz hielten meine Schwester und ich den Atem an, bevor die Tür wieder geschlossen wurde und alles in Schatten tauchte und der Schatten meines Vaters zum Komposthaufen schlich, wo es kurz darauf klang, als hätte jemand den Gartenschlauch angestellt.
Das hier brauchst du, um den nächsten Absatz mit der ausgeschabten Blase vorzubreiten. Mir wird nicht klar, wofür der Ball und all das steht.
Und ich weiß auch nicht mehr, wer von uns letztendlich bemerkt hatte, dass der Ball nicht dem Sohn vom Türken gehören konnte und auch nicht der Tochter, weil er in Wahrheit gar kein Ball gewesen war, sondern ein zusammengerollter, leidender, vielleicht schon toter Igel.
Jetzt erschließt es sich. Aber, das müssten sich doch längst bemerkt haben, oder nicht? Sie haben doch den Ball schließlich aus dem Gebüsch geholt. Das kaufe ich auch nicht. Vielleicht wenn das vorsätzlich im Suff passiert und der Vater ihnen weismachen will, das ist ein Ball, aber die Kinder nachher merken, es ist ein Igel.
Und trotzdem steige ich selbst jede Nacht wieder in diese Schlucht hinab, kaum, dass ich im Bett liege und meine Augen schließe. Denn vielleicht habe ich etwas übersehen. Etwas, das man nur mit geschlossenen Augen sieht.
Jede Nacht. Denkt er jede Nacht an seinen Vater? Und jede Nacht ist er achtsam, dass er nicht doch vielleicht etwas übersehen hat. Und was genau soll das sein, was man nur mit geschlossenen Augen sehen kann? Ein Wunsch, einen Traum, eine Vorstellung? Er will ja, dass er etwas übersehen hat, so lese ich es, er will das Bild seines Vaters in irgendeiner Art korrigieren, darauf hofft er. Ich glaube, das würde besser ans Ende passen.
Aber in denselben groben Händen sah ich auch Engerlinge liegen: Schmutzigbraune Handflächen und darin die strahlend weißen, fleischigen Larven, die er über den Gartenzaun warf, statt sie mit dem Spaten zu zerdrücken, grobe Hände, die mich gegen die Wand gedrückt haben und gleichzeitig den Engerlingen ihre Freiheit schenkten, ein Leben ermöglichten, mein Vater: Ein ewiges Paradox.
Für mich eigentlich die stärkste Stelle im Text. Hier passt alles zusammen. Gewalt und dann diese fast schon absurde, gleichgültige Wegwerfbewegung, die aber Freiheit bedeutet. Ich finde es ohne den letzten Satz stärker - dieses sprachliche Bild ist schon für sich ein Paradox. Mir ist das auch fast schon zu stark, er schenkt den Engerlingen ja nicht die Freiheit, es ist kein bewußter Akt, sondern passiert so gedankenlos, im Vorbeigehen, unbewusst. Vielleicht eher was mit den Tauben oder so, die er aus den Schlägen freilässt, weil er nicht sehen kann, wie etwas eingesperrt ist, was bewusster in der Aktion ist. Für mich ist jetzt jemand, der seinen Sohn verdrischt und ein paar Engerlinge über den Zaun wirft, kein echtes Paradox.
Vielleicht haben die Schläge nicht nur bei uns Spuren hinterlassen.
Mir fällt es schwer, dazu das passende zu schreiben. Ich weiß nicht, wie authentisch bzw persönlich der Text ist, falls ja, ich bin ebenfalls in einer, sagen wir es mal so: sehr physischen Familie aufgewachsen, und deswegen klingt mir das schon eine Spur zu sehr nach Verklärung; als hätten die Schläge, die er seinen wehr und hilflosen, schutzbedürftigen Kindern da gegeben hat, die Prügel die er verteilt hat, auch etwas mit ihm gemacht, ihn gezeichnet oder ihm Leid zugefügt oder sonstwas ... auch er ist ja irgendwie ein Opfer!, so klingt das ein wenig, und sieh es mir nach, in meinen Ohren klingt es wie Hohn. Ja, sicher, die Umstände, die Zeit, der Kontext, ich kenne das, wir wussten es nicht besser!, dein Vater ist ein Flüchtlingskind und hat sie selber von seinem Alten in die Fresse bekommen, ich hatte es auch nicht einfach!, alles Ausreden, und dann diese ewigen Entschuldigungen und Beteuerungen ...
Ein Schatten mit Stacheln dran, als wollte er sich selbst jetzt noch dagegen wehren, dass man ihm zu nah kommt, ein in sich selbst verkrochener, aber immer noch leidender Schatten.
Der Vater, ein leidender Schatten ... Was ist eigentlich mit der Frau? Hat er die auch verwämmst? Oder die Tochter? Hat da nie einer was mitbekommen, was gesagt? Die Familie, die Nachbarn, seine Suffkumpane, Opa, Oma, Kindergarten, Lehrer? Hat da keiner aufbegehrt? Und wie ist der Erzähler zu dieser gütigen und altersmilden Weisheit über seinen Vater gelangt? Was hat ihn so denken und fühlen lassen? Der frühe Tod des Vaters? Sieht man dann die Dinge anders? Das kann ja sein, nur lese ich davon nichts. Ändert der frühe Tod des Vaters denn etwas an den Dingen, die ihm angetan wurden? An den seelischen Narben, den Verletzungen, der Demütigung, der Scham, der Angst? Ich würde es wirklich gerne erfahren, aber ich lese es nicht in dem Text. Wie kommt der Erzähler auch darauf, dass der Vater leidet? Hat er es ihm gesagt, vielleicht vor seinem Tod? Gab es die große Aussprache? Oder vermutet er das bloss?

Sieh mir nach, wenn ich hier vielleicht etwas persönlicher als sonst reagiere, aber insbesondere bei Vater-Geschichten kocht mir immer sehr schnell das Blut hoch, weil es die Tendenz gibt, das alles hinter einem irgendwie verklärenden Schleier zu erzählen, als sei doch alles gar nicht so schlimm gewesen, man muss das auch mal aus seinen Augen betrachten, die Situation damals, und wie er aufgewachsen ist, immer nur wenn er trank, im Grunde war er aber doch ne joote Kerl, irgendwie ... man lässt sich von so was schnell einlullen, verliert aber den roten Faden, denn hier wurde wehrlosen Kindern Gewalt von erwachsenen und voll zurechnungsfähigen Menschen angetan und oft wird dadurch ein Leben nachhaltig zerstört, oft werden es emotionale Wracks. Ich habe zu meinem Vater vor langer Zeit mal gesagt: Kein Vergessen, kein Vergeben, ich hoffe, du stirbst alleine mit dem Wissen, was du anderen Menschen angetan hast, und ich hoffe, niemand wird dich betrauern.

Bas, ich denke, du solltest dich hier fokussieren. Der Vater und du, du und der Vater. Mir ist das zu stereotyp; Bier trinken, Rauchen, Gartenhütte, und weiter? Dresche? Warum? Tausend andere Männer gehen in Fabriken arbeiten, saufen bis die Leber schreit und schlagen ihre Kinder trotzdem nicht. Was ist es hier? Die Unzufriedenheit über die eigene Situation? Die Lust an der Gewalt? Die Lust an der Demütigung? Machtgeilheit? Überforderung? Du willst hier ein Bild zeichnen, aber ich sehe kaum eine Skizze. Dem Erzähler tut weh, dass er den Ball vom Türken aus dem Gebüsch geholt hat, aber an die erhaltenen Schläge erinnert er sich erst im letzten Absatz, das wird so nebenbei erwähnt. Und: Natürlich ist kein Mensch nur das Eine. Mein Vater hat mir auch wichtige Dinge im Leben beigebracht, die essentiell waren und sind. Trotzdem war er ein gemeiner Schläger. Will sagen: Mir fehlt hier ein Gleichgewicht, der Vater im Text erscheint mir wie ein Mann ohne Charakter, ohne jegliche Eigenschaften, wie eine Blaupause. Würde es da ein erzählerischen Kreis geben, der sich schließt, dann gäbe es die im Text behauptete Ambivalnz als Narrative, als Geschichte, die sich selbst erzählt, aus der der Leser diese Prämisse mitnimmt.

Take it with a grain of salt.

Gruss, Jimmy

 

Hey @Jutta Ouwens,

auch hier noch mal vielen Dank für die Empfehlung - für mich ist es jedes mal wieder ein Erlebnis, wenn jemand sagt, ein Text habe ihn/sie ergriffen, berührt, etc., also vielen Dank auch dafür. Besonders interessant war für mich auch dir Rückmeldung, dass du das offene Ende (mittlerweile habe ich es ein wenig überarbeitet, aber die Essenz ist die gleiche, denke ich) hier abnickst, für mich war das auch sehr wichtig, da zu keinem zufriedenstellenden "Ende" zu kommen, das ist ja quasi das, was der Text aussagt, dass das eine Endlosschleife ist.

Hey @Rob F,

vielen Dank fürs Vorbeischauen.

Ich finde es auch deswegen inhaltlich interessant geschrieben, da das wahrscheinlich oft passiert: Man denkt über alles mögliche nach, aber es führt zu nichts, vielleicht weil einem die eigentliche Frage nicht klar ist. Also fängt der Gedankenkreislauf irgendwann wieder von vorne an.

Ja, habe ich eben in meiner Antwort an Jutta schon erwähnt, für mich war das hier auch sehr wichtig. Ich habe etwas halbwegs Vergleichbares hier im Forum schon mal versucht, dazu hat @Carlo Zwei dann treffend gesagt:

als würde er (der Erzähler) angesichts seiner sprachlichen Unzulänglichkeit protestieren, zeigt er dem gesonnen Leser ... den erhobenen Stinkefinger.

Na und ich glaube, hier ist im Erzähler eine ganz ähnliche Unzulänglichkeit verankert, also diese Unfähigkeit, sich mit etwas auseinanderzusetzen und es in Worte zu fassen. Nur ist er hier gewillter, dagegen anzukämpfen, eher bereit, sich an dem ein oder anderen Stachel zu pieksen :shy: Bilde ich mir so ein.

Einen Kritikpunkt habe ich nur zu der Milieudarstellung, die nach und nach doch genauso beschrieben wird wie erwartet. Womit ich natürlich nicht meine, dass es unrealistisch klingt, ganz im Gegenteil. Hoffe du weißt, was ich meine, der Text geht schnell in die Richtung harte Arbeit, Alkohol, Schmutz ... vielleicht würde das Thema mit dem Vater besser zur Geltung kommen, wenn du das etwas zurückfährst.

Danke für den Hinweis, war mir beim Schreiben gar nicht so sehr bewusst, aber stimmt schon. Habe da jetzt auch schon ein, zwei Änderungen vorgenommen, mal schauen, ob ich das noch weiter austariert bekomme ...

jeweils "ein" ?

Ja, da war ich mir auch sehr unsicher, danke :shy:

Hey @Detlev,

muss ja nicht immer einen roten Faden haben, so eine Geschichte, dabei ist sie voller Gefühl und - ja, Intimität, auch wenn sie rau und fast klobig wirkt. Eine kleine Milieustudie mit sehr detailgetreuem Hinsehen und doch dieser versteckten Liebe für jene Zeit, für den Vater.
Hat mir sehr gut gefallen.

Da bleibt mir nicht viel übrig, als mich für deinen Leseeeindruck zu bedanken - freut mich, dass es genau so bei dir angekommen ist wie erhofft :thumbsup:

Bas

 

Was mich altes, gebrechliches Menschlein irritiert ist der Titel, insbesondere weil hierorts an anderer Stelle Stacheln in Konkurrenz auftreten …
Man,

bin ich schwer von k p wegen des Titels,

natürlich eine Folge, seit mindestens 50 Jahren den Bart und das Haupthaar bestenfalls "geschnibbelt" zu haben - bis mir einfiel, dass ich 1968 auch mal einen Vietnam-Nahkampf-Schnitt und lange vordem einen Mecki hatte ...

Friedel

& naturalement: Glückwunsch zur verdienten Empfehlung durch Jutta!

 

Hallo @Friedrichard,

und danke für deine Kommentare.

natürlich eine Folge, seit mindestens 50 Jahren den Bart und das Haupthaar bestenfalls "geschnibbelt" zu haben - bis mir einfiel, dass ich 1968 auch mal einen Vietnam-Nahkampf-Schnitt und lange vordem einen Mecki hatte

Ja, den Mecki hatte ich bei dem Titel gar nicht so sehr im Kopf, mehr den Igel im Busch, der so eine zentrale und gleichzeitig ja gar keine richtige Rolle spielt … Und vor allem auch die stacheligen Erinnerungen und wie man manchmal einfach nicht vordringen kann, ohne sich ein bisschen blutig zu kratzen, wenn man es dann doch tut.

Die von dir aufgelesenen Flusen habe ich gleich weggesaugt, vielen Dank dafür, und jetzt geht mir schon eine Weile die „Selberlebensbeschreibung“ im Kopf herum und je mehr ich darüber nachdenke, desto stimmiger klingt für mich die „Selberlebeschreibung“, aber nuja, bin ja auch kein Jean Paul, sondern ein

Bas

Hallo @jimmysalaryman,

auch dir vielen Dank für deinen Kommentar.

moment, aber eine Glatze muss er doch auch jede Woche rasieren, das wäre ja das genaue Gegenteil von Bequemlichkeit, oder? Und er kaschiert ja nicht seine Geheimratsecken, das würde er eventuell mit längeren Haaren tun: er lässt es gar nicht dazu kommen.

Ja, wenn mans genau nimmt … Habe den Part jetzt einfach mal gestrichen, vor allem auch, weil das ein bisschen gegen die Prämisse des Textes ging, das Nichtwissen, was im Kopf des Vaters vors sich geht – woher soll der Erzähler also wissen, was es mit der Glatze auf sich hat.

Du meinst sicher die Muskeln, die Arme waren ja auch schon vorher da.

Ja, aber die Arme, wie sie sind, die nicht. Weiß schon, was du meinst, finde das aber nicht störend.

Redundant, du erwähnst es bereits im ersten Satz und zwar kursiv, also von was sollte der Bauch dann sonst stammen.

Habe den Bierbauch gestrichen, auch wenn mir das Wort gefällt – Bierbauch … Warum auch immer.

Wie wäre es, wenn du umstellst: Nach jeder Schicht, egal ob früh oder spät, roch sein Kuss nach Bier. So ist es eher aktiv und nicht so umständlich. Gibt er seinem Sohn auch nach der Frühschicht einen Kuss? Also nicht nur einen Gute-Nacht-Kuss? Erscheint mir ungewöhnlich.
So wird auch die Erfahrung sensorischer: nicht sagen, der Vater trinkt, es hier an diesem sehr guten Beispiel zeigen, das spricht alle Sinne direkt an und ich weiß, aha, der Vater trinkt.

Auch hier kann ich gut nachvollziehen, was du sagst, stimmt ja auch. Trotzdem möchte ich da (noch) nicht umstellen. Deine Version ist die klare, eindeutige, und ja, Klarheit ist toll. Ich empfinde aber so, dass gerade dieses … Verhaspeln, das ständige Einschieben des Erzählers: Er erzählt, und dann kommt ihm ein neuer Gedanke, das Erinnerung entblättert sich im Moment des Erzählens, dass das eine ganz eigene Wirkung hat, so auch in diesem Satz hier.

Warum musst du auf dieser Kürze noch einen zweiten Pol aufmachen? Es geht doch eindeutig um den Vater. Du benutzt hier die Mutter als Gegenpol, um an ihr zu zeigen, sie ist so und so und so, und das ist für mich immer klar gewesen und daran gibt es nichts zu rütteln, es dient aber nur als Beweis für deine eigentliche These, dass das beim Vater eben ganz und gar nicht so eindeutig ist. Warum brauchst du das hier? Das taucht ja nie wieder auf, es spielt für die Erzählung um den Vater keinerlei Rolle mehr, es ist so auch ein wenig ein billiger Effekt, finde ich. Verlass dich doch auf die Schilderung des Vaters, dadurch tritt auch das transgressive, unbestimmbare, uneindeutige Element viel deutlicher zutage: der Leser bekommt ja diese Sicherheit der Bestimmbarkeit anhand der Mutter mitgeliefert. Entlässt du ihn ohne dieses Element entwickelt sich doch dieses Verwirrende, Paradoxe viel eher selbst, hallt nach.

Hier bin ich noch am Überlegen. Ich sehe, was du mit dem Effekt meinst, ja, da liest man womöglich den (sich ganz besonders ausgefuchst fühlenden) Autor raus. Aber einfach weglassen? Na, wie gesagt, ich überlege noch.

Damals wusste keiner von diesen Dingen. Moment, ich dachte, es brannte ständig etwas, also wussten dich doch sehr wohl etwas von diesen Dingen. Das ist so ein bag of tricks, hier wird eine Atmosphäre aufgebaut, Männer und Frauen trinken vor brennenden Fabriken, aber was sollen wir daraus schließen? Das es ihnen egal ist? Ich bin jetzt der Letzte, der dagegen ist, wenn man sagt, naja, komm, hauen wir hier schön Atmo und Kulisse rein, aber ich finde, es müsste organisch sich zum Text fügen. Würde da jetzt der Vater reagieren und sagen: Scheißegal, lass brennen, dann könnte ich damit eher etwas anfangen, so wirkt es wie ein Satz, der da steht, weil sich das gut liest.

Hab das an der Stelle jetzt ein bisschen zurückgefahren, jetzt ist es nur noch die Hütte, die später in Flammen stehen soll, vielleicht wirkt es so etwas weniger wie ein Taschenspielertrick? Mein Wunsch, oder das, was die Stelle für mich persönlich aussagt, ist: Wie wenig sie/wir damals eigentlich wussten, wie viel sie/wir für selbstverständlich, für immerwährend gehalten haben. Bei dir kam das so offenbar nicht rüber, schade.

Es ist seltsam, dass dieses Draußenbleiben der Kinder mit einem hohen Sternenhimmel und dem diffusen Licht der Laternen korrespondiert. Das hat er sich alles gemerkt, der Erzähler? Er holt das alles aus seiner Erinnerung und kleidet das in solch poetische Worte, alle Achtung.

Für mich sind die Sommer meiner Kindheit unter anderem unglaublich hohe, weite Sternenhimmel und diffuses Laternenlicht, und ein Stück weit bin ich ja der Erzähler, deshalb verstehe ich deine Frage hier nicht. Weshalb sollte sich so ein Bild nicht in die Erinnerung einbrennen? Und wieso sollte der Erzähler das nicht in die passenden Worte kleiden?

Da drinnen in der Hütte sitzt sein Vater, er raucht und trinkt mit anderen Männern und Frauen, und der Junge ist mit seiner Schwester draußen. Wollen sie gar nicht wissen, was da drinnen passiert? Wie Bier schmeckt, wie es sich anfühlt eine Zigarette zu schmecken, der Rauch? Wollen sie nicht hören, über was die Erwachsenen reden? Sie belauschen? Sie auch nachahmen? Etwas von dieser großen, geheimnisvollen Welt mitbekommen? Beobachten sie lieber den hohen Sternenhimmel und reden ... wie Teenager? Das kaufe ich irgendwie nicht.

Ich habe auch diese Stelle hier jetzt ein bisschen angepasst. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind ähnliche Abende amüsant fand, es war schön, die Erwachsenen so ausgelassen zu sehen. Ich weiß aber auch, dass der Zauber meist nicht lange anhielt, das Geheimnisvolle, wie du es nennst, dass solche Abende schnell mal einer Endlosschleife glichen: Noch ein Bier und noch ein Bier und noch ein Bier, dass die Erwachsenen zusehends anstrengender wurden, aufdringlich, dumm – ich muss dir nicht erzählen, was Alkohol macht.

Der Text soll nicht aussagen, dass die Kinder in dem Text kleine Poeten sind, die den Sternenhimmel beobachten und sich dabei tiefsinnige Gedanken machen, vielleicht war das in der ersten Version etwas unklar, auch, weil sie da einfach miteinander „geredet“ haben, ja, da verstehe ich deine Kritik. Ich hoffe, das Bild mit der Überarbeitung ein bisschen geradegerückt zu haben.

Woher wollen sie das denn wissen? Das erschließt sich mir nicht. Da wirkt der Erzähler im Nachhinein auch etwas altklug, finde ich, weil er das damals ja auch schon gewusst haben muss.

Guter Hinweis, habe ich gestrichen.

Das ist auch so eine Sache. Kiplings Dschungelbuch. Woher kennt er das? Liest ihm das seine Mutter vor, sein Vater?

Was würde es ändern, das hier zu erwähnen? Kann ein Ich-Erzähler nicht auf seinen eigenen Erinnerungsschatz zugreifen, ohne dem Leser bei jedem Detail zu erklären, woher diese Erinnerung kommt? Ist nicht die bloße Erwähnung, dass er es kennt, Einordnung und Charakterisierung des Ich-Erzählers genug? Er erzählt davon, dass er das Mädchen als Kind mit dem Dschungelbuch-Mädchen verglichen hat, er ist also mit dem Dschungelbuch aufgewachsen, Punkt. Muss er jetzt noch erwähnen, auf welche Weise er das Dschungelbuch kennengelernt hat?

Das ist kein Abschmettern deines Einwands, das denke ich gerade eher laut und überlege währenddessen, wie ich die Sache sehe. (Davon abgesehen, war Kiplings Dschungelbuch als Kind für mich nie Kiplings, sondern Disneys Dschungelbuch :) )

Konnte er das damals schon so genau differieren, wie getrennt die Welten waren? Müsste er das nicht retrospektiv auseinanderziehen und sagen, jetzt, heute, erkenne ich erst, wie weit unsere Welten auseinanderlagen. Kann man das mit sechs Jahren schon? Hat man da schon die geistige Weite und die begrifflichen Parameter für?

Hier gilt wieder ähnliches wie am Anfang bei der Kuss-Angelegenheit: Der Erzähler könnte sagen, dass er jetzt, heute, diese Trennung der Welten erkennt, das damals aber nicht getan hat. Aber der Erzähler erzählt von diesen Ereignissen und zieht während des Erzählens Rückschlüsse auf das Erzählte. Deutlich und klar wäre es, wie du es beschreibst, da bin ich bei dir, meinem Bild von einem authentischen Erzähler/Erinnerer entspricht die undeutliche Variante.

Jetzt erschließt es sich. Aber, das müssten sich doch längst bemerkt haben, oder nicht? Sie haben doch den Ball schließlich aus dem Gebüsch geholt. Das kaufe ich auch nicht. Vielleicht wenn das vorsätzlich im Suff passiert und der Vater ihnen weismachen will, das ist ein Ball, aber die Kinder nachher merken, es ist ein Igel.

Hm, ja, verstehe, was du meinst, das kann man schnell für Blödsinn halten. Jetzt könnte ich sagen: Sie haben ihn wohl mit dem Fuß aus dem Busch gefischt, es war dunkel … Vielleicht muss ich das irgendwie sagen, also der Erzähler, mal schauen, ob ich da elegant gelöst bekomme.

Jede Nacht. Denkt er jede Nacht an seinen Vater?

Das zielt auf die Effekt-Formulierung, oder? Einen ähnlichen Hinweis hast du mir schon mal gegeben unter einer anderen Geschichte, da war es das Wort manchmal glaube ich. Jetzt heißt es immer wieder, ist besser, denke ich.

Für mich eigentlich die stärkste Stelle im Text. Hier passt alles zusammen. Gewalt und dann diese fast schon absurde, gleichgültige Wegwerfbewegung, die aber Freiheit bedeutet. Ich finde es ohne den letzten Satz stärker - dieses sprachliche Bild ist schon für sich ein Paradox. Mir ist das auch fast schon zu stark, er schenkt den Engerlingen ja nicht die Freiheit, es ist kein bewußter Akt, sondern passiert so gedankenlos, im Vorbeigehen, unbewusst.

Auch hier vielen Dank für den Hinweis, das Paradox habe ich gestrichen, auch die Freiheit, ist jetzt stärker, denke ich.

Mir fällt es schwer, dazu das passende zu schreiben. Ich weiß nicht, wie authentisch bzw persönlich der Text ist, falls ja, ich bin ebenfalls in einer, sagen wir es mal so: sehr physischen Familie aufgewachsen, und deswegen klingt mir das schon eine Spur zu sehr nach Verklärung; als hätten die Schläge, die er seinen wehr und hilflosen, schutzbedürftigen Kindern da gegeben hat, die Prügel die er verteilt hat, auch etwas mit ihm gemacht, ihn gezeichnet oder ihm Leid zugefügt oder sonstwas ... auch er ist ja irgendwie ein Opfer!, so klingt das ein wenig, und sieh es mir nach, in meinen Ohren klingt es wie Hohn. Ja, sicher, die Umstände, die Zeit, der Kontext, ich kenne das, wir wussten es nicht besser!, dein Vater ist ein Flüchtlingskind und hat sie selber von seinem Alten in die Fresse bekommen, ich hatte es auch nicht einfach!, alles Ausreden, und dann diese ewigen Entschuldigungen und Beteuerungen ...

Hier bin ich kurz aufgeschreckt – und mir mal wieder bewusst geworden, dass so ein Text, den man gemütlich vorm Laptop auf der Couch in die Tasten hämmert, etwas in Menschen auslösen kann, auch negative Gefühle. Es tut mir leid, wenn dir das missfallen hat, ich verstehe, was du da sagst über Verklärung, etc., und ich verstehe auch deine eindeutige Position, die du bei dem Thema einnimmst. Ich finde die auch sehr berechtigt.

Auch, um einer solchen verklärenden Sichtweise nicht noch Treibstoff zu geben, habe ich das Ende jetzt etwas abgeändert. Aber wie du schon gemutmaßt hast (auch wenn du ja bemängelst, es im Text selbst gar nicht gelesen zu haben), gibt es diese eindeutige Position beim Erzähler nicht.

Bas, ich denke, du solltest dich hier fokussieren. Der Vater und du, du und der Vater. Mir ist das zu stereotyp; Bier trinken, Rauchen, Gartenhütte, und weiter? Dresche? Warum? Tausend andere Männer gehen in Fabriken arbeiten, saufen bis die Leber schreit und schlagen ihre Kinder trotzdem nicht. Was ist es hier? Die Unzufriedenheit über die eigene Situation? Die Lust an der Gewalt? Die Lust an der Demütigung? Machtgeilheit? Überforderung? Du willst hier ein Bild zeichnen, aber ich sehe kaum eine Skizze. Dem Erzähler tut weh, dass er den Ball vom Türken aus dem Gebüsch geholt hat, aber an die erhaltenen Schläge erinnert er sich erst im letzten Absatz, das wird so nebenbei erwähnt. Und: Natürlich ist kein Mensch nur das Eine. Mein Vater hat mir auch wichtige Dinge im Leben beigebracht, die essentiell waren und sind. Trotzdem war er ein gemeiner Schläger. Will sagen: Mir fehlt hier ein Gleichgewicht, der Vater im Text erscheint mir wie ein Mann ohne Charakter, ohne jegliche Eigenschaften, wie eine Blaupause. Würde es da ein erzählerischen Kreis geben, der sich schließt, dann gäbe es die im Text behauptete Ambivalnz als Narrative, als Geschichte, die sich selbst erzählt, aus der der Leser diese Prämisse mitnimmt.

Vielleicht hilft das Ende auch ein Stück weit, den erzählerischen Kreis zu schließen?
Du sagst noch, ich sollte mich hier fokussieren, ich finde aber, mehr Fokus würde die Prämisse des Textes zerstören: Dann hätten wir einen deutlichen, klaren Erzähler, der seine Erinnerungen sortiert hat und dann niederschreibt. Ich wollte aber einen Text schreiben mit einem Erzähler, der seine Erinnerungen nicht sortiert bekommt, der unfokussiert erinnert und erzählt und währenddessen zu ein, zwei Erkenntnissen kommt. Sich dem Kern annähert. Vielleicht könnte ich an ein paar Stellen noch tiefer gehen, weniger skizzenhaft bleiben, da gehe ich mit und klopfe den Text noch mal ab.

So, noch mal tausend Dank für deinen Kommentar, mit dem ich mich noch eine Weile auseinandersetzen werde, auch über diese Antwort hier hinaus. Und sicher werde ich hier und da noch mal meine Meinung ändern, hier und da noch mal zu neuen Erkenntnissen kommen.

Bas

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Bas,

ja, das ist auf weiter Strecke richtig gut. Bin mir zwar nicht so sicher, ob "VHS und Pokémon" in die selbe Zeitachse gehören^^, aber okay. Unglaubwürdig finde ich das Ballspiel mit dem toten Igel ... das ist ein Darling, das ich killen würde; ein echter Ball reicht hier völlig aus, vielleicht hauen die den dann auf einen Nagel, sodass die Luft entweicht und er dann wie ein trauriger, toter Igel von der Wand hängt oder so .. dann hast du auch dein Stachelmotiv; so zündet das - meiner Meinung nach - nicht: Du kannst keinen Igel kicken! ;) Und dann der letzte Abschnitt: los, los, fertigwerden! Da hätte ich doch noch eins, zwei Seiten investiert, wie er versucht, dem Schicksal seines Vaters zu entkommen und dann doch so endet wie er. Vielleicht wird seine Freundin schwanger, und er muss dann auch an-schaffen gehen ... und vielleicht versteht er seinen Vater dann doch besser. Was ist eigentlich mit der Mutter; die ist dann gar nicht mehr vorhanden ... auch diese würde ich noch mal auftauchen lassen: Kinder, kommt rein; Miracoli ist fertig! :D Das würde ich sauber abbinden. :)

Sehr gerne gelesen.

Dante

 

Hallo @Dante,

und danke dir für deine Rückmeldung.

Unglaubwürdig finde ich das Ballspiel mit dem toten Igel ... das ist ein Darling, das ich killen würde; ein echter Ball reicht hier völlig aus, vielleicht hauen die den dann auf einen Nagel, sodass die Luft entweicht und er dann wie ein trauriger, toter Igel von der Wand hängt oder so .. dann hast du auch dein Stachelmotiv; so zündet das - meiner Meinung nach - nicht: Du kannst keinen Igel kicken!

So fern von der Realität ist der Großteil der Geschichte ja nicht, also doch, einen Igel kann mal (leider) kicken :shy: Womöglich sollte ich aber den Zeitraum zwischen "Anstoß" und Realisation (ist das ein Wort?) ein wenig einstampfen, vielleicht würde es das schon glaubwürdiger machen.

Hallo @Henry K.,

ich wollte mal versuchen, eine Story systematisch zu lesen und zu kommentieren - und deine Story habe ich mir für diesen Versuch ausgesucht ;-)

Und das ist dir gelungen, würde ich mal behaupten :D Ich glaube, das ist ein Feedback, von dem so mancher hier träumen würde, hey, ich denke, das ist mehr Text als der ursprüngliche Text Text ist, das hat ja quasi ... wissenschaftliche Züge, und umso schlechter fühle ich mich, so lange nicht darauf reagiert zu haben - und jetzt wie gelähmt davor zu sitzen, vor diesem Monolith, und dem Blinken des Striches zuzusehen, der zu signalisieren scheint: Schreib was! ... Aber nein, es will mir nicht gelingen.

Ich bin sehr dankbar für deine Auseinandersetzung mit dem Text und vermute auch, dass du unabhängig von meiner schmalen Rückmeldung hier viel für dich selbst daraus ziehen konntest. Ich habe deinen Kommentar jedenfalls mehrfach gelesen und mir jede Menge gedankliche Notizen gemacht, die mir in Zukunft noch weiterhelfen werden, da sind einige Dinge dabei, die auch über den Text hinaus interessant für mein Schreiben sind.

Vielen Dank!

Bas

 

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