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Sternennebel

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10.09.2014
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Sternennebel

Mark-Viktor Büssing, 30, ein hübscher Kerl, belockt und üppig tätowiert, ist eigentlich kein gelernter Koch, denn sein Lebensentwurf sah anderes vor. Doch unglückliche und verunglückte Liebschaften, eine gescheiterte Ehe, abgebrochenes Studium und ein Totalschaden auf der Stadtautobahn bohrten ihre tausend Stachel in ihn, in die durch Tattoo-Tinte gefüllten Poren. Er bekam einen bösen Burn-out, weil er sich durch all die Schulden, Anwaltsrechnungen, Missgeschicke und oft widersprüchlichen Aussagen aus seinem und dem Munde Anderer in einer Art Fischreuse befand, bei der die nächste Kammer spürbar kleiner war als die vorige. Es strömte und strömte, ständig negativ – und es bestand keine Hoffnung, wieder herauszufinden aus der vertrackten Reuse und am besten natürlich aus diesem ganzen Scheißfluss.
Wenn er sich beim Rasieren im Spiegel sah, dann fand er sich ganz attraktiv. Seine Eltern hatten das gut gemacht. Ihnen konnte er nichts vorwerfen.
Und ihn Viktor, den Sieger, zu nennen, war auch gut gemeint und wäre ein Ansporn für jeden jungen Mann. Doch wenn Karma und Chakra und die Sterne nicht wissen, was sie wollen und einander widersprechen, dann entsteht eben Chaos im Leben des Einzelnen.
Leider ist er momentan – eigentlich schon längere Zeit – Viktor, der Loser.

M.-V. Büssing ist seit Jahren Küchenchef leicht schräger, aber total angesagter gastronomischer Kleinbetriebe. Ein Vierteljahr hier, dann Neueröffnung dort, ein halbes Jahr im veganen Bistrot „EN VOGUE“ und sieben Monate im Homöo-Restaurant „LE SAUVAGE“ (13 Plätze). Leider nur vier Monate im VEGI-YAKITORI, wg. Insolvenz.
Anstellungen dieser Art funktionieren nur bedingt, weil die Innovatoren, seine Chefs, stets branchenfremd sind. Villenbewohner, die Lieferservice und Kartoffelsalat Lebewohl sagen wollen, reichgewordene Kleinkarierte, die mit Beaujolais und Coq au Vin nicht mehr zufrieden sind, unterschiedlich begnadete Künstler und Medienstars. Ein eigenes, unverwechselbares Restaurant zu gründen ist einfacher, als einen Miró zu erwerben. Der allerdings wäre beständiger.
Viele von diesen Gebenedeiten setzen ihr Geld auch mit einem Traumhotel in den Sand. Es muss wohl die Faszination der Worte „Restaurant“ und „Hotel“ sein.

Zur Zeit fasziniert Viktor abenteuerlustige Avantgarde-Esser im „PEARL IN THE MUSSEL“. Fünf intime Tische, deren Platten, wie auch Wände und Decke, von einer bretonischen Glaskünstlerin gestaltet wurden mit unglaublich schönen Seafood-Motiven und Farben. Wasser rinnt, an die Vergänglichkeit des Lebens erinnernd, über die Wände, bildet kleine Kaskaden – viele Damen müssen wegen der rieselnden Geräusche ihr Menü unterbrechen, ältere Herren ebenfalls.
Ein Störfaktor, der das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellt. Doch noch floriert es. Viktors Kreationen sind einfach umwerfend. Zwischen Toronto und Barcelona wird man solches kein zweites Mal finden!
Taubenhoden auf Gnocchi von Macadamiamehl in reduziertem Algenfond und mit Seetang gepiercte Austern – oder Hickory-geräucherte Bucheckern auf japanischem Yubari-Chutney. Auch sensationell: Squirdquallajla! Ein Eskimorezept, man könnte auch sagen: eine Nordpol-Bouillabaisse, nur aus Krill zubereitet, im Thermo-Mix modernisiert und mit Sechzehnteln eines gespaltenen Kabeljaus angereichert, illuminiert mit Analog-Nordlicht. Es könnte sein, dass dieses Restaurant Bestand hat – wenn das rinnende Wasser vereist würde.

Alkohol in der Küche ist nicht gern gesehen.
Früher, da tranken die Köche jeden Tag ihr Deputat, wie es auch die Bierkutscher von ihrer Brauerei bekamen. Haustrunk nannte man das. An jedem Posten - also Arbeitsplatz in der Küche - stand ein dickes Halbliter-Glas mit dem Bier des Hauses.
Das war normal und legal, die Direktion hatte Kenntnis davon und auch von der guten Eigenschaft des Haustrunks, die Arbeitsleistung steigern zu können und die besonders im Hochsommer höllischen Hitzegrade in den Küchen zu ertragen.
Demnach hätte es an den Hochöfen, in den Gießereien und Schmelzen auch einen Haustrunk geben sollen?
Aber nein, wieso denn? Sicher, es ist mörderisch heiß dort, die Männer mit ihrer Schutzkleidung haben aber ein überschaubares Arbeitspensum zu leisten. Die Arbeitsgänge wiederholen sich und es stellt sich trotz der Hitze Monotonie ein.
Nicht so in der Küche! Hundert Bestellungen zur gleichen Zeit, davon fünf Chateaubriand (das doppelte Rinderfilet), eins für Konsul Meyer, also extra soignée und trotzdem fast durch, weil dessen Gattin kein warmes Blut sehen, geschweige denn genießen kann; kaltes Blut hingegen macht ihr nichts - sie ist Ärztin in der Forensik. Das zweite für den englischen Botschafter, also rarer als rare, das dritte für einen Maharadscha, der dieses edelste Stück vom Rind aus Glaubensgründen als Schweinefilet deklariert und am liebsten gut durchgebraten isst, dann noch eines total bleu, fast im Rohzustand, für extraordinaire Gäste aus Australien und das fünfte in besonders feinen Scheiben und Teri-Yaki-Sauce für Gäste aus dem Lande der aufgehenden Sonne. Zeitgleich dazu achtzehn verschiedene Beilagen, Sauce Choron, Steinbuttfilets in Verjus, Wachteln mit Steinpilzen und Mandelpolenta, Hasenroulade mit Maronenmousse und Spitzkohl, Artischocken mit äußerst pikanter Sardellensauce und gebackenen Austern und unzähligen Details, damit alle einhundert Bestellungen zeitgleich, heiß, mit dem richtigen Garpunkt und der notwendigen Sorgfalt die Gäste erreichen. Wenn dann alles gut läuft, also ungefähr halb fertig ist, werden schon die nächsten Kommandos in die Küche geschrien. Und so geht das immer weiter und ohne den Haustrunk würde alles zusammenbrechen.

Bei Mark-Viktor Büssing ist die Küchensituation etwas anders, denn in diesen kleinen Szene-Restaurants gibt es zwar weniger Gäste, doch extrem hohen Anspruch.
Hier möchte das extravagante Publikum keinen Steinbutt, sondern Seefenchel zu sich nehmen, nur fünfzehn Sekunden mit einer Spur Aonoriko gegrillt, mit blauem Sesam und Schnee von pulverisierten Tamarinden besprenkelt. Sie möchten auch keine anderen Tiere essen, gern aber die seltenen Darrh-Errh-Wurzeln mit koreanischen Enokipilzen in Eukalyptussirup geschmort. Ebenfalls ganz großartig und stark sterneverdächtig: ein salziges Baiser von weißen Bohnen und gepufftem Amaranth mit kaltem veganen Spiegelei (das „Eiweiß“ ist gelierte Reismilch und das „Eigelb“ besteht aus Arganenöl und Sumpfdotterblütenstaub).
Die hier aufkreuzenden Paradiesvögel mit ihren hochgeschobenen Sonnenbrillen, weil es abends dunkel ist, und den unentbehrlichen Schals, ungeachtet der hohen Raumtemperatur, sind ständig auf der Suche nach dem letzten Kick, hauptsächlich aber nach dem Thema, das man am nächsten Tag, beim Fünf-Uhr-Tee nach dem Golf, locker ins Gespräch einbringen kann. Erwähnenswert auch, dass man mit diesem großen Küchenchef, der kurz vor seinem ersten Stern steht, per Du ist und dass der sie als reizender und liebenswürdiger Mensch an ihrem Tisch begrüßt und später dann mit Handschlag verabschiedet.
Der Küchenchef M.-V. Büssing ist arbeitsvertraglich verpflichtet, so oft wie möglich an die Tische zu treten und mit den Gästen zu parlieren, Ungewohntes zu erklären, Kundenbindung zu betreiben, hier vielleicht ein philosophisches Zitat einzustreuen und dort einen Scherz. Bei dieser Gelegenheit kann er auch gleich Unverträglichkeiten und Sonderwünsche entgegen nehmen. Nur die Weinempfehlung kommt nach wie vor vom Sommelier.
Bei seiner Rückkehr in die Küche ist dann meist ein kleines Malheur passiert, meist haben die zarten Vegetabilien etwas zuviel Hitze abbekommen, sind also angebrannt oder fast verschmort.
Man wird es trotzdem servieren; diese exotischen Materialien sind exorbitant teuer, und er wird es bei seiner nächsten Runde durchs intime Restaurant als gewollte Karamellisierung deklarieren. Die Resonanz des elitären Publikums liegt dann meist zwischen „Einfach genial“ und „Wirklich meisterlich“.
An dieser Stelle ist ihm nach dem Haustrunk der alten Meister zumute, aber in diesem schicken Laden gibt es kein Bier, weder vom Fass noch in Flaschen.
Körperliche Arbeitsleistung in seinem Alter wäre nicht der Rede wert – jedoch ist auf diesen kleinen Bühnen der Selbstbewunderung überbordende Kreativität gefragt – die wiederum braucht Stimulation. Das allgegenwärtige flaue Gefühl will vertrieben werden.
Er leidet unter diesem Kasperletheater der Tricks und des Scheins. Er hat keine vernünftige Ausbildung und trägt Weiß wie kriminelle „Heiler“, die sich als Ärzte ausgeben.
Er könnte seine Klientel mit dem Kopf in die Saucenreste auf ihren Tellern tunken, wenn sie ihn beklatschen für den Pfusch, den er angerichtet hat, wenn sie auf seine optischen Bluffs hereinfallen, mit Spray und Schaum und Glamour und Privatfeuerwerk. Mit all den bunten Tupfen aus den gekauften Saucenspendern und einem gebackenen oder gedörrten Gebilde ohne Geschmack. Oh, diese Optik! Overwhelming. Oft kommt es so heraus, dass die deutschen Gäste nur englisch sprechen, obwohl der einzige Ausländer am Tisch Mr. Yosenabe ist, der in Karlsruhe Germanistik studiert hat und mit einer Deutschen nicht nur verheiratet ist, sondern auch drei sehr gelungene Kinder hat – mit denen er ganz gut deutsch spricht.

Also trinkt M.-V. Büssing Apfelsaft, korrekt gesagt ein Getränk, das ungefähr so aussieht wie der Saft gepresster Äpfel. Leider mit verheerender Wirkung, denn seit er sich einmal mit dem streunenden Hervé aus Toulon besoffen hatte, kommt er von diesem Drecksabsinth nicht mehr los. Ein verhextes Fusselzeugs aus gebranntem Wermut! Schlimmer geht’ s nicht.
Wie in Trance verabschiedet er gemeinsam mit seinem Arbeitgeber die letzten Gäste und knipst das Küchenlicht aus. Die Grüne Fee hat ihn wieder in ihrer Gewalt. Er muss noch ins Bordell, danach noch irgendetwas trinken, und rauchen, und neuen Absinth kaufen.
Er ist fertig. Doch hellwach, dass es eine Qual ist. Er hasst seine überdrehte Kundschaft, diese Parvenüs, diese Nervensägen, die heute unbedingt alles wissen müssen und das von gestern schon wieder vergessen haben.
Er möchte gescheite Leute treffen, mit denen er einmal richtig reden kann, über all das, was ihm im Magen liegt und auf der Seele. Über Politik, über Frauen, Geschäft, Gerechtigkeit, Notwehr und Aufrichtigkeit – und Fairness.
Er will reden und nimmt sich zu dieser schlecht gewählten späten Stunde seinen Laptop vor, er muss alles aus sich heraushämmern, sonst erlebt er den nächsten Tag nicht mehr.
Je mehr er trinkt, umso trockener wird sein Mund. Der konzentrierte Wermut wütet in seinem Inneren wie Napalm. Und in seinem Hirn wie Crack.
Sein Text wütet ebenfalls und jammert. Dort die Künstler, die Intellektuellen – und hier die Leute, die bei der Maloche schwitzen wie Sau und fast verrückt werden bei diesem Druck von Höchstleistung und Tempo.
Leben und Tod, Luxus und Neid, Falschheit und verschmähte Liebe – alles schäumt über.
Und so schreibt der Galgenkandidat einfach das, was er weiß und denkt, vor allem, was er fühlt und über das, was er sich sehnlich wünscht. Plötzlich überfällt ihn irrsinniger Hunger, er reißt eine Dose Ravioli auf und schaufelt den Inhalt, ohne den Blick vom Schirm zu nehmen, in sich hinein. Tomatensoße tropft auf die Tasten, zu jedem Gedanken fallen ihm tausend Worte ein, es trägt ihn fort in bläuliche Gefilde, deren wunderliche Vegetation mit noch nie gesehenen Früchten, mit bizarren Blättern und seltsamen Sprossen ihm neue Möglichkeiten eröffnet. Vielleicht kann er diese ellipsenförmigen taubengrauen Beeren einbetten in eine Royale von Fliedersaft und Maulbeermus, die fast transparenten, rosascheinenden Blätter mit Tatar von gepökelten Flechten füllen und die Orchideensprossen rösten und anrichten auf einer Fondue von Wicken und Gänselebertran.
Es ist kein leichter Job, der Zeit immer einen Tag voraus zu sein; die Kundschaft glauben zu machen, man könne das.

 

Hallo Jose,
Interessante Idee hast du da. Ich denke mal, der Koch ist eine Metapher für ein Autor, der versucht, einer Möchtegernelite exklusive Kunst vorzufaken. Entsprechend jonglierst du mit vielen pompösen Wörtern herum.
Schön finde ich, dass sich bei deiner Idee keine richtige Handlung oder Figurentiefe aufbaut. Das passt zum Thema "angesehener Künstler mit nichts dahinter".
Bei einer anderen KG hätte ich das kritisiert, aber bei dir passt es ja.
Ich finde, Satire soll witzig sein. Deine Geschichte fand ich aber nicht witzig, um ehrlich zu sein.
Was hat denn der Titel mit der Geschichte zu tun?

Alles in allem wars eine ganz nette Geschichte.
LG,
alexei

 

Hej josefelipe,

du hältst mich ganz schön auf Trab.

Es ist immer wieder unterhaltend, wenn man das, was man kennt, überspitzt wiederfindet. Du hast weit ausgeholt und rundum dich geschlagen. Wie immer mit großer Energie und hohem Tempo.

Dein Protagonist ist ein Mann wie du und ich :hmm:, dem das Leben eben so mitspielt. Du schöpfst aus dem Vollen und ich habe mich schwer daran getan zu verdauen. Das heißt aber nicht, dass es nicht geschmeckt hat, nur musste ich alle Komponenten sacken lassen.

Anfangs habe ich noch gegugelt, ob Tauben tatsächlich Hoden haben, aber dann hab ich einfach alles gefressen, was du an verblüffenden Komponenten serviert hast und mich sehr gut unterhalten/gefüttert gefühlt.

meist haben die zarten Vegetabilien etwas zuviel Hitze abbekommen,
bekommt einen festen Platz in meinem Repertoire nach missglückten Kochversuchen für enttäuschte Gäste. :lol:

Er könnte seine Klientel mit dem Kopf in die Saucenreste auf ihren Tellern tunken, wenn sie ihn beklatschen für den Pfusch, den er angerichtet hat, wenn sie auf seine optischen Bluffs hereinfallen, mit Spray und Schaum und Glamour und Privatfeuerwerk.

Ähnlich wie beim Piloten, der ja auch nur seinen Job macht, nämlich wieder landen.

Einzig die Artischocken mit Sardellensauce würd ich kosten, aber sonst macht mir alles leicht Angst.

Marc-Viktor ist schon ein armer Tropf und es wurde höchste Zeit, sich Luft zu machen.

Danke für diesen Ausflug von Kanji, die eine gute Küche schätzt und sehr gerne an das Schwarzwurzelmousse mit Trüffelspänen zu Weihnachten denkt. :shy:

 

Hola josefelipe,

also sprachlich hat mir das sehr gut gefallen. Das Küchenvokabular beherrschst du. Ein paar mal, z.B. wenn du auf die Steak-Vorlieben der hoch dotierten Gäste eingehst, sorgst du für gelungene Unterhaltung.

Allerdings las ich deinen Text mit dem ständigen Gefühl, dass da gleich etwas kommen müsste. Es kam aber nichts, der Schluss verliert sich ins Belanglose. In deiner Exposition hast Du M-V. als Pechvogel dargestellt, als Loser, der eigentlich besseres verdient hätte. Dabei bleibt es dann einfach..spätenstens im Absinth-Rausch könnte doch etwas passieren? So plätschert das alles ganz gefällig vor sich hin, ohne Spannung oder Konflikt zu erzeugen.

Ich würde da noch mal drüber gehen, vielleicht auch noch eine Figur einbauen...den Restaurant-Tester vielleicht, der seinem Loser-Dasein ein Ende bereiten könnte? A propos, da fällt mir ein, dass deine Exposition gar nicht so stimmig ist..M.V. ist immerhin Chefkoch in einem noblen Restaurant...da muss man erstmal hinkommen!

Ok, das wärs erstmal von meiner Seite.

Sonnige Grüsse
N.

 

Hallo José,

in deinem Text gibt es ebenso viele sprachliche wie kulinarische Leckerbissen zu entdecken. Sahnestückchen wie

belockt und üppig tätowiert

reichgewordene Kleinkarierte, die mit Beaujolais und Coq au Vin nicht mehr zufrieden sind

meist haben die zarten Vegetabilien etwas zuviel Hitze abbekommen

gehören dabei zu meinen persönlichen Favoriten.

Auf mich wirkt das Ganze wie eine Seifenblasenwelt, in der dein Protagonist herumschwebt, nicht glücklich, aber nicht unglücklich genug. Es ist ein leiser Konflikt ohne Steigerung, ein Hamsterrad ineinanderdrehender Scheinexistenten.
Nur ganz kurz entladen sich die Gefühle deines Prots beim Schreiben, dann ist er wieder in seiner Welt gefangen. Und der Alltag ist ein ziemlich ausbruchssicheres Gefängnis.

Bei aller Launigkeit des Textes doch ziemlich deprimierend, brrr. Aber ich finde genau solche Geschichten immer ziemlich nachhaltig hirnanregend.

Viele Grüße

Willi

 

Hola alexei,
vielen Dank für Dein Interesse an der Avantküche;)! Das ist garantiert ein Thema, das der Leserschaft größtenteils am Sitzfleisch vorbeigeht; umso schöner, dass Du den Bogen hinüber spannst zu anderen Kunst- und „Kunst“formen:

Ich denke mal, der Koch ist eine Metapher für ein Autor, der versucht, einer Möchtegernelite exklusive Kunst vorzufaken.
‚Vorzufaken’ find ich klasse. Tatsächlich habe ich oft große Not, ‚Kunstwerken’ für Auge, Zunge, Ohr gewisse Bewunderung und Respekt zu zollen, die ganz offensichtlich nicht in diese Rubrik gehören. Kann Neuntonmusik sein, ein Etwas auf Leinwand, auch ein ‚philosophischer’ Text bei uns im Forum:shy: - oder eine ungekonnte Skulptur aus Schrott, eine ‚Installation’ aus der Kleiderspende: „Venus in Lumpen“.

Entsprechend jonglierst du mit vielen pompösen Wörtern herum.
Ich habe ‚Gesellschaft’ getaggt. Deren Hofnarren bedienen alle Gebiete. Vielleicht hast Du schon mal an einer Weinprobe teilgenommen, bei der Dich das Vokabular des Vorkosters besoffener gemacht hat als der Wein selbst. Und wenn ich sehe, mit wie viel Schwulst ein selbstinthronisierter Künstler sein Werk preist – und der Kritiker, um nicht am Ast zu sägen, auf dem er sitzt, noch bedeutungsvollere / pompöse Worte findet, um dieses Jahrhundertwerk zu loben, weil Kunst ja auch Geschäft ist, dann ziehe ich ein Einwegtaschentuch und weine.

Schön finde ich, dass sich bei deiner Idee keine richtige Handlung oder Figurentiefe aufbaut.
Tja – die Handlung. Alltag halt. Einer muss den Job machen. Da hast Du Recht.
Figurentiefe? Also, alexei – an diesem einzigen Punkt bin ich anderer Meinung, denn mMn ist der Viktor einschl. seines Vorlebens zu Beginn ausführlich dargestellt. Aber je nun:dozey:.
Das passt zum Thema "angesehener Künstler mit nichts dahinter".
Ja. In unserer (westlichen) Welt wächst ständig der Bedarf an Extravagantem. Und es gibt genug Spezies, die diese Marktlücke erkennen. Schau Dir mal die Wochenmärkte an – wie viele Öle und Pesti braucht der Mensch? Trotzdem wird dieser Quatsch gekauft, denn es sind die dabei gewechselten Worte und der private Auftritt bis zu einer pompösen Verabschiedung, die den Wert der Ware ausmachen. Das ist in Viktors Restaurant(s) nicht anders. Wortgewaltige Ein- und Verkaufsgespräche, auch bei Esoterik und ‚Gesundheit’, total geil auch im Bioladen:D.
Bei einer anderen KG hätte ich das kritisiert, aber bei dir passt es ja.
Sehr nett – wahrscheinlich hab ich aus meiner Privatecke heraus nur das Thema ‚mondänes, abgefahrenes, beinahe interstellares Essen’ in den Mittelpunkt geschoben, doch um den ganzen Zirkus vom grünen Krokodil bis zur Automarke zu beschreiben, taugt das Format der KG nicht.
Zugegeben, ich hatte bisschen Spaß (mit zusammengepressten Zähnen) am Schreiben – aber Du leider nicht:
Ich finde, Satire soll witzig sein. Deine Geschichte fand ich aber nicht witzig, um ehrlich zu sein.
Haste Recht. Ich dachte, das Publikum – die Leute mit dem Geld – solcherart darzustellen wäre lustig, doch weder diese Leute noch ihr Narr sind wirklich lustig.

Was hat denn der Titel mit der Geschichte zu tun?
Sternennebel? Aber das ist doch völlig klar! Unterstützende Zitate, zuvörderst die Sterne betreffend:
Sternennebel: schrieb:
Ebenfalls ganz großartig und stark sterneverdächtig: ein salziges Baiser von weißen Bohnen und gepufftem Amaranth ...

Erwähnenswert auch, dass man mit diesem großen Küchenchef, der kurz vor seinem ersten Stern steht, ...
Den Nebel betreffend:
Also trinkt M.-V. Büssing Apfelsaft, korrekt gesagt ein Getränk, das ungefähr so aussieht wie der Saft gepresster Äpfel. Leider mit verheerender Wirkung, ...

... kommt er von diesem Drecksabsinth nicht mehr los. Ein verhextes Fusselzeugs aus gebranntem Wermut! Schlimmer geht’ s nicht.
[QUOTE]Wie in Trance[/QUOTE] verabschiedet er gemeinsam mit seinem Arbeitgeber die letzten Gäste

Ich könnte mir vorstellen, dass Absinth ganz ordentlich vernebelt.

Alles in allem wars eine ganz nette Geschichte.
Ein überaus freundliches Fazit, danke schön.
Ein Autor ist nicht gut beraten, seine persönlichen Vorlieben oder Abneigungen in den Mittelpunkt seiner Story zu setzen, doch eingedenk dieses Wissens hab ich’s dennoch getan.
Vielleicht ist einer unter uns, der in Buchform diese Verrücktheiten auch in anderen Bereichen (Zitat alexei: Möchtegern-Eliten) ganz präzis auf die Schippe nimmt – auch wenn das nichts bewirkt (weil unser Verhalten und unsere Wertmaßstäbe auch schon den Marktregeln unterliegen, die wir selbst aufgestellt haben).

Anyway – keep smiling!

José

 
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Hola josefelipe,

espero que todo está bien?!

Ich habe deine Geschichte genossen. Im Moment bin ich psychisch stark verstört von dem Buch, das ich gerade lese, American Psycho, und nachdem ich mehrfach überlegt habe, es abzubrechen, halte ich die letzten 90 Seiten nun auch noch tapfer durch. Warum erzähle ich dir das? Weil der entzückende Pat Bateman mit seinen Yuppie-Freunden auch ständig von einem Szene-Restaurant ins nächste eiert. Weil sie danach lechzen, immer abgefahrenere Essenskreationen zu probieren und doch bereits so abgestumpft sind, dass es ihnen völlig egal ist, ob es wirklich gut schmeckt, weil sie es im Grunde einfach nur geil finden, etwas Hippes zu essen. Daran hat mich deine Geschichte erinnert, vor allem habe ich mir so die Gäste des PEARL IN THE MUSSEL vorgestellt.

Mich stört es ehrlich gesagt nicht, dass ich nicht weiß, wie M.-V. seinen Job in diesen It-Lokalen bekommen hat. Das zu erklären würde für mein Gefühl den Fluss der Geschichte stören. Ich meine, diese seltsamen Essenskreationen braucht man hier auch nicht zu hinterfragen, jedenfalls habe ich das nicht getan, sondern einfach nur geschmunzelt.

Ich habe, wie alexei, ebenfalls den Bogen zum Schreiben gespannt, finde es aber viel viel besser, dass du über Essen schreibst. Das hat sowas Lebendiges, Geschmackiges, das könnte man so nicht beschreiben, wenn man über das Autorendasein spricht. Und, dazu kommt, dass man deine Geschichte auf jegliche Künste anwenden kann. Es ist das Thema des ständigen Verlangens nach etwas Neuem. Und weil man irgendwann an seine Grenzen stößt, denkt man sich absurde Kreationen aus, die vielleicht auch gar nicht mehr schmecken, aber Hauptsache, der Teller sieht AMAZING aus. *kotz* Ich halte davon nicht viel. Sich ausprobieren finde ich toll, aber absurd werden, nur um jemanden damit zu begeistern und überhaupt nicht mehr auf Harmonie (in diesem Fall der Zutaten) zu achten, ist doch bescheuert. Auch beim Schreiben lässt sich das anwenden. Ich finde frische Stile toll, ich mag es, wenn jemand mal anders schreibt, als das, was ich so kenne, aber ich finde, auch bereits Dagewesenes kann man hübsch und spannend neu verpacken, ohne gleich völlig krampfhaft an einem extravaganten Stil zu schrauben. Es muss authentisch klingen, das ist mir wichtig. Und Essen muss schmecken, die Komponenten müssen zusammenpassen, das kann ganz simpel sein, Hauptsache mit Liebe zubereitet. Aber genau so, wie du es beschreibst, stelle ich mir diese Spitzenköche in den hippen Lokalen vor, die sicher unter einem hohen Druck stehen und so auf die absurdesten Ideen kommen.

Wie du siehst, du hast da einiges bei mir in Gang gesetzt. Den Rhythmus deiner Geschichte finde ich gut, da hat mich nix rausgebracht.

Gern gelesen!
RinaWu

 
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Lieber josefelipe,

gleich mal vorneweg: Ich finde es immer lohnenswert, deine Geschichten zu lesen (mitsamt den Kommentaren danach)
Es sind die witzigen, eleganten Formulierungen und prägnanten Schlussfolgerungen, die den Texten eine unverwechselbare Würze verleihen, zum Beispiel

Doch wenn Karma und Chakra und die Sterne nicht wissen, was sie wollen und einander widersprechen, dann entsteht eben Chaos im Leben des Einzelnen.

Nun bin ich bei M.-V. Büssing, dem Loser. Darf man hier auch moralisch kommen und nicht alles auf die Sterne schieben?

Ich meine, dein Prot hat eine zweifellos vorhandene Begabung selbst verschleudert, weil er, trotz seiner Erkenntnis von zunehmender Schräglage, nicht konsequent an seinen eigenen Übezeugungen festhält, sondern allen möglichen Trends nachhhechelt, zu eigenen Fehlern nicht steht, sondern sie beschönigt

...er wird es bei seiner nächsten Runde durchs intime Restaurant als gewollte Karamellisierung deklarieren

und seine Scham mit dem wieder in Mode gekommenen Absinth vernebelt.

Ja, ein benebelter Sternekoch - diese Assoziation stellt sich bei mir ziemlich schnell ein, da habe ich kein Problem mit dem Titel.

Aber versteht sich ein Sternekoch nicht auch als ein Künstler, einer, der Kreativität braucht, um das eigene Ego am Leben zu erhalten, physisch ebenso wie psychisch? Die Nähe zu einem anderen Feld der Kreativen, nämlich den Literaten, kommt wohl nicht von ungefähr, lieber José, wie sonst hättest du deinen Text in einem Literaturforum veröffentlicht und nicht in der Zeitschrift "Schöner essen"?

Ja, die Satire. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten deiner hier genannten Speisen in dieser Rubrik einzuordnen sind. Wenn nicht, dann schüttle ich mich und verrate dir, was meine Lieblingsspeise ist, badische Tradition und immer wieder neu entdeckt: gekochtes Rindfleisch mit Salzkartoffeln, Meerrettichsoße und Preiselbeeren. Hatte ich schon bei meiner Hochzeit (vor mehr als 45 Jahren) und als Nachtisch eine Weincreme auf Silvanerbasis ...

Ist die Gesellschaft schuld an der Perversion der Gourmethypes? Es gibt ganz neue Untersuchungen, die feststellen, dass zuhause gar nicht mehr oft selber gekocht wird, sondern der Single sich mit der Pizza vor den Fernseher knallt und dort eine Kochshow verfolgt.

Eins ist sicher, gute Köche sind Sensibelchen und man sollte sie liebevoll behandeln, auch wenn mal ein Gericht nicht so ganz gelingt.

Jeden Tag frisch kochen, hast du mir geraten. Das hält jung und man wird dabei uralt.

In diesem Sinne herzliche Ostergrüße

wieselmaus

 

Hallo josefelipe,

sehr gut erzählte Geschichte. Du verstehst dein Handwerk. Das Küchenvokabular verleiht der Story und dem Protagonisten Glaubwürdigkeit. Auch die Gäste hatte ich sofort vor Augen. Das Treiben im Restaurant ist für mich gut gemachte Satire mit Schuss.

Mir fehlt lediglich noch eine gute Punchline. Ich finde die Story rund und abgeschlossen. Hinten raus ginge da aber noch was.
So oder so, die Geschichte ist schon jetzt gut.
Hab mich gut unterhalten gefühlt.

Danke dafür,
LG,
Schwarz

 

Hola Kanji,

besten Dank für Deinen Kommentar. Den Küchendunst habe ich schon seit längerem hinter mir gelassen, trotzdem verfolge ich die Entwicklung in der Gastronomie mit großem Interesse. Fast sechzig Jahre nach meiner Kochlehre komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus über die Veränderungen in meinem Beruf. Aber Deine Mutter hat wohl auch anderes gekocht als ihre Tochter:

... Schwarzwurzelmousse mit Trüffelspänen ...
Toll!*) Das mit dem Malheur kann ich gar nicht glauben:
... nach missglückten Kochversuchen für enttäuschte Gäste.
Na, und wenn schon! Der Mut, Neues zu probieren, ehrt Dich mehr als auf bombensicheren Rezepten herumzureiten.

Übertreibungen gibt es zuhauf, nicht nur in meiner Branche. Die findet man in allen Lebensbereichen, was ja auch logisch ist – weil es immer mehr Reiche gibt.
Die steuern keine schicke Adresse an, um sich zu sättigen, denn das fehlte gerade noch, ganz banalen Hunger zu haben. Wenn die ihr Geld ausgeben, dann muss schon etwas passieren – und da gibt’s eben die zwei Möglichkeiten: ein klassisches & solides & besterntes Restaurant aufzusuchen (ein Stern ist ein bisschen wenig, lieber zwei oder besser noch drei) oder einem ‚echten Geheimtipp’ nachzuspüren, was selbstverständlich auf eine ganz ausgebuffte Lebensart schließen lässt. Schließlich will man’s ja morgen weitererzählen.
Und an diesen Hot Spots treffen sie dann aufeinander – all die unglaublich interessanten Personen mit beeindruckenden Profilen und höchstem Anspruch. Mann, eh.
Aber solange keiner aus der Hüfte schießt, soll’s uns egal sein. Ich habe ein Foto aus Japan auf dem Schirm, das zeigt eine Doppelhelix von Tintenfisch und Oktopus auf brennenden schwarzen Bohnen an geschabtem Gletschereis. Wär’ das nicht was für Viktor und seine Gäste?

Liebe Kanji, danke für Deinen Lesebericht und schöne Grüße!
José

*) Das ‚toll!’ bezieht sich auf den Küchenaufwand, der erforderlich ist, eine solche Mousse herzustellen (wenn man keine Küchen-Fee namens Thermo-Mix zur Verfügung hat:D). Bei mir hapert’s schon daran, dass ich keinen Doofen finde, der die Schwarzwurzeln schrappt. Wenn ich’s aber gezwungenermaßen selbst mache, dann lass’ ich als Anhänger der reinen Lehre diese wunderbaren Wurzeln am liebsten im Ganzen. Nur bei den Trüffelspänen erfasste mich der Neid – so was kann ich mir nicht leisten:(.

 

Hola Nico,

ich danke Dir für Deine Meinung zum Text.
Triffst auch voll ins Schwarze:

Allerdings las ich deinen Text mit dem ständigen Gefühl, dass da gleich etwas kommen müsste. Es kam aber nichts, der Schluss verliert sich ins Belanglose.
Mein grundlegender Fehler war, diesen Text aus meinem Büchlein ‚Wein- und Küchenstories’ herauszunehmen und als Solotänzer auftreten zu lassen. Da fehlt wirklich ein Paukenschlag am Ende.
Ich habe jetzt ganz verschämt eine Dose Ravioli in den letzten Absatz geschmuggelt, die der Geplagte kalt und abwesend am Laptop auslöffelt – als Kontrast zu seinen eigenen Schöpfungen:D. Schwarz vermisste ebenfalls eine Punchline; dem schreibe ich noch.
Ich würde da noch mal drüber gehen, vielleicht auch noch eine Figur einbauen...den Restaurant-Tester vielleicht, der seinem Loser-Dasein ein Ende bereiten könnte?
Gute Idee. Mein Problem: Restaurant-Tester fallen auf solche Tricks nicht herein, die verstehen zu viel davon – und würden solche Läden geflissentlich übersehen, oder zerreißen.

A propos, da fällt mir ein, dass deine Exposition gar nicht so stimmig ist..M.V. ist immerhin Chefkoch in einem noblen Restaurant...da muss man erstmal hinkommen!
Ja, zumindest hat es den Anschein. Die von mir beschriebenen Szene-Restaurants sind aber häufig keine Orte mit wirklich sterneverdächtiger Küche (denn die ist aufwendig und sehr teuer, nicht zuletzt der Personalkosten wegen), sondern sind fixiert auf Mode und Chic – in meiner Definition auf Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit:shy:.
Die Kundschaft dieser Glamour-Tempel schaut mit Verachtung auf die Gäste der klassischen Sterneküche, die wiederum diese Blicke zurückwerfen. M. V. hätte ohne fundierte Ausbildung in der gehobenen Gastronomie keinen Job bekommen, und ‚Chefkoch’ bedeutet in diesen kleinen Avantgarde-Läden Alleinkoch – also Koch, Hilfskoch und Küchenjunge in einer Person. Als Ausgleich tragen die meist total abgefahrene Kochklamotten in Schwarz, Aubergine etc., schrill, aber es passt.

Nico, vielen Dank für die sonnigen Grüße – solche auch von mir zurück!

José

 

Hola Willi,

freut mich sehr, von Dir eine Beurteilung der Geschichte zu bekommen.

Auf mich wirkt das Ganze wie eine Seifenblasenwelt, in der dein Protagonist herumschwebt, nicht glücklich, aber nicht unglücklich genug.
Ich finde Deine Betrachtungsweise originell und treffend; in der Tat werden durch das Bedienen der Eitelkeiten gute, wenn auch flüchtige, Gefühle produziert.
Weil das auf gehobenerem Level stattfindet, braucht es einen Pusher. Dem Absinth auf der Küchenseite hätte ich Gäste gegenüberstellen können, die sich auf der Toilette die Nase pudern. Vielleicht mache ich das noch.
Es ist ein leiser Konflikt ohne Steigerung, ein Hamsterrad ineinanderdrehender Scheinexistenten.
Mensch Willi! Besser kann man das nicht sagen. Ebenfalls Alltag, nur greller, sensationeller. Man braucht einander.
Diese gegenseitigen Abhängigkeiten erklären mir viele (scheinbare) Verrücktheiten auf der Welt – im Kleinem wie im Großen.
Nur ganz kurz entladen sich die Gefühle deines Prots beim Schreiben, dann ist er wieder in seiner Welt gefangen. Und der Alltag ist ein ziemlich ausbruchssicheres Gefängnis.
Guter Spruch – in sehr vielen Fällen lebenslänglich. Wohl all denen, die einen Plan B verwirklichen können! (Ich bin schon bei Plan D:D).

Bei aller Launigkeit des Textes doch ziemlich deprimierend, brrr. Aber ich finde genau solche Geschichten immer ziemlich nachhaltig hirnanregend.
Deprimierend? Ja, schon – aber wenn jemand am Band steht und Schrauben eintütet, ist das auch nicht erheiternd. Es sei denn, er tut es von Herzen gern und pfeift dabei:hmm:.

Viele Grüße, liebe Willi, und schöne Ostertage!
José

 
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Hola RinaWu,

espero que todo está bien?!
Si, claro. No podría ser mejor:)!
Ich freue mich wirklich über Deinen Riesen-Kommentar –
da sind wir uns wohl einig bei der Betrachtung der Chose.

Im Moment bin ich psychisch stark verstört von dem Buch, das ich ...
Ach, Du Ärmste:hmm:! Hoffentlich bleiben da keine irreparablen Schäden zurück. Jetzt finde ich in der Eile das Kicher-Smiley nicht. Egal. Du bist stark.

Warum erzähle ich dir das? Weil der entzückende Pat Bateman mit seinen Yuppie-Freunden auch ständig von einem Szene-Restaurant ins nächste eiert. Weil sie danach lechzen, immer abgefahrenere Essenskreationen zu probieren und doch bereits so abgestumpft sind, dass es ihnen völlig egal ist, ob es wirklich gut schmeckt, weil sie es im Grunde einfach nur geil finden, etwas Hippes zu essen. Daran hat mich deine Geschichte erinnert, vor allem habe ich mir so die Gäste des PEARL IN THE MUSSEL vorgestellt
.
Oh, verdammt – das sieht aber sehr nach Abkupfern aus! Weiß nicht, wie ich da wieder rauskomme:shy:.Hüha. Aber genau Bateman & Friends hatte ich im Sinn, ohne sie zu kennen.

Mich stört es ehrlich gesagt nicht, dass ich nicht weiß, wie M.-V. seinen Job in diesen It-Lokalen bekommen hat.
Kein Geheimnis. Solche Adressen werden getauscht im Nebel von Kunst und Kaffeehaus. Wenn Show-Time angesagt ist, fragt doch keiner nach solidem Handwerk.
(Das sag ich aber um Gottes Willen nicht über das echte Showgeschäft, sondern nur über die Bluffer. Hat mit meinem Ärger zu tun, dass jedes auf der Brennsupp’n daherg’schwomm’ne Arschloch ein Restaurant aufmachen darf, in gar nicht so seltenen Fällen mit totaler Ahnungslosigkeit. Na, da schwillt mir schon der Kamm!)

Ich habe, wie alexei, ebenfalls den Bogen zum Schreiben gespannt, finde es aber viel viel besser, dass du über Essen schreibst. Das hat sowas Lebendiges, Geschmackiges, das könnte man so nicht beschreiben, wenn man über das Autorendasein spricht.
Ja, ich glaube, da gibt es allgemeine Zustimmung zu dieser Übertragung. Ich habe dieses Thema gerne im Rücken, da fühle ich mich sicher;). Aus dieser Position heraus könnte ich noch mehr Pfeile abschießen, Richtung Kunst, Politik ... Ich habe beim Lesen Deines Komms mitgeschrieben – und prompt kommt die Bestätigung:
Und, dazu kommt, dass man deine Geschichte auf jegliche Künste anwenden kann. Es ist das Thema des ständigen Verlangens nach etwas Neuem.

RinaWu, das mach’ ich fett! Du sagst es.

Und weil man irgendwann an seine Grenzen stößt, denkt man sich absurde Kreationen aus, ...
Ja mei. Ist schwierig. Zuvörderst wohl charakterabhängig. Ich bin der Typ, der bei sehr guter Leistung sagt: Jou, mehr geht nicht. Aber ein Zappelphilipp kann keine Ruhe geben und muss ständig noch einen draufsetzen – was die Sache meist nicht besser macht, sondern oft ruiniert.
Aber wer beurteilt was?

... Kreationen, ... die vielleicht auch gar nicht mehr schmecken, aber Hauptsache, der Teller sieht AMAZING aus.
Hehe! Es sind schon unvorstellbar grausliche Sachen gelobt und gepriesen worden. Vieles darüber habe ich gesammelt und glaube beim Durchblättern heute noch nicht, dass sich Köche erdreisten konnten, ihren Gästen ...
Einen Trost aber gibt es: Durch ständiges Herumexperimentieren sind oft verblüffende Dinge entstanden, die wirklich gut sind – und auch Bestand haben werden.
Na ja - Versuch und Irrtum; und jetzt werde ich ganz klein, mit Hut und Kreppsohlen: Ich hätte nicht – ewigen Ruhmes wegen – herumgetüftelt, sondern mir mit dieser Grundhaltung alle Chancen verbaut, noch zu Lebzeiten oder auch Äonen danach berühmt zu sein und zu bleiben.

Wir sind noch bei der KG;

Sich ausprobieren finde ich toll, aber absurd werden, nur um jemanden damit zu begeistern und überhaupt nicht mehr auf Harmonie (in diesem Fall der Zutaten) zu achten, ist doch bescheuert.
Das klingt so schön abgeklärt. Könnte Dich nicht kurz vor der Rente noch einmal so richtig der Hafer stechen? Impertinent gefragt: Will man irgendwelchen Leuten – oder sich selbst etwas beweisen oder ist es bewundernswerte Obsession? Manchmal kann ich mich selbst nicht leiden wegen dieser Sowohl-als-auch-Haltung.
‚Ich finde, wir sind alle wahnsinnig kompliziert’ (ständiger Spruch eines Koch-Kollegen aus Graz).

RinaWu: schrieb:
Auch beim Schreiben lässt sich das anwenden.
Es muss authentisch klingen, ...
Und Essen muss schmecken, die Komponenten müssen zusammenpassen, das kann ganz simpel sein, Hauptsache mit Liebe zubereitet.
Das unterschreibe ich ohne Vorbehalt. Im Grunde genommen sind das alles Binsenweisheiten, doch wenn ich mitkriege, wer sich wie ernährt, was in der Lebensmittelindustrie kriminell gepfuscht wird, wie einer der Grundwerte unserer Kultur entweder durch Spekulation oder als Event entwürdigt wird, dann hab ich die Nase gestrichen voll. Schnauf – in Ermanglung eines passenden Smileys – oder den::D.

Aber genau so, wie du es beschreibst, stelle ich mir diese Spitzenköche in den hippen Lokalen vor, die sicher unter einem hohen Druck stehen und so auf die absurdesten Ideen kommen.
Der reine Kapitalismus:shy:. Doch niemand muss das essen bzw. bezahlen. Im Forum muss niemand kommentieren, um anderen Gutes zu tun. Wir könnten heute noch in einem gepflegten Opel Rekord herumschleichen. Diese aus unserer Sicht Bekloppten sollen karamellisierte, also verbratene Gemüschen beklatschen, wenn sie sich im Glück der Wissenden und Connaisseure überirdisch gut fühlen.
Ich möchte Dir etwas anvertrauen, liebe RinaWu, nämlich, dass mir bekannt ist, an welchem Ort, unweit des 'Walfisch', diese Meute ihre Friedensgespräche hält bei Kölsch vom Fass und ‚Himmel un Ääd’.
Die sollten sich was schämen. Stecken alle unter einer Decke.

Meine besten Grüße & prächtige Ostertage!
José

PS - auch an alexei, Kanji, Nicolaijewitsch, Willi, wieselmaus und Schwarz

Das Ende meiner KG war bissle dünn, ich habe etwas nachgebessert (hoffentlich ausreichend):

Und so schreibt der Galgenkandidat einfach das, was er weiß und denkt, vor allem, was er fühlt und über das, was er sich sehnlich wünscht. Plötzlich überfällt ihn irrsinniger Hunger, er reißt eine Dose Ravioli auf und schaufelt den Inhalt, ohne den Blick vom Schirm zu nehmen, in sich hinein. Tomatensoße tropft auf die Tasten, zu jedem Gedanken fallen ihm tausend Worte ein, es trägt ihn fort in bläuliche Gefilde, ...

 

Ach du lieber josefelipe,

Ich habe ein Foto aus Japan auf dem Schirm, das zeigt eine Doppelhelix von Tintenfisch und Oktopus auf brennenden schwarzen Bohnen an geschabtem Gletschereis.

Und wenn dann auch noch biochemische Prozesse einspielen, denkt man Labor als an Küche. Deine Satire ist mehr als fällig und gerne darfst du meinetwegen nochmal. ;)

Ich oute mich mal und gebe zu, dass ich ausserhalb meiner Küche die gehobene Küche bevorzuge, weil ich es hasse, wenn an den Zutaten gespart wird und ich beim Zahlen denke, gute Idee, das koche ich morgen mit besseren Produkten nach und dann schmeckt es auch. :shy:
Was die Mousse mit Trüffeln angeht, habe ich das nicht bei Muttern genießen dürfen, aber zu Hause gönn ich mir das auch nicht.

Und so schreibt der Galgenkandidat einfach das, was er weiß und denkt, vor allem, was er fühlt und über das, was er sich sehnlich wünscht.

Das ist ganz reizend.
Nur die Ravioli sind dann wieder satirisch :lol:

Das Ende gefällt mir jetzt viel besser und hoffe, er söhnt sich aus und findet die Mitte. Wie immer eigentlich.

Lieber Gruß, Kanji, die auch ungerne Blumen ißt.

 

Hola José!

Hoffentlich bleiben da keine irreparablen Schäden zurück.
Kann man jetzt im Moment schwer absehen ... Ich lese jetzt mal wieder Boris Vian, der repariert immer mein Gehirn, daher bin ich frohen Mutes.

Will man irgendwelchen Leuten – oder sich selbst etwas beweisen oder ist es bewundernswerte Obsession?
Ich weiß nicht, ich bin da glaube ich einfach nicht der Typ für. Der immer ruhelose, der immer suchende, sich selbst immer wieder herausfordernde. Das ist mir zu anstrengend. Klar, habe ich solche Phasen auch, aber ich bin froh, dass ich dann auch Zufriedenheit finde. Stelle es mir nämlich ziemlich anstrengend vor, wenn man nie zur Ruhe kommt.

Viel Spaß beim Eier suchen, höhöhö :D
Muchos saludos,
RinaWu

 

Hola wieselmaus,

ganz herzlichen Dank für Deinen umfangreichen Kommentar, besonders das Schlusswort zeugt von tiefer Einsicht:

Eins ist sicher, gute Köche sind Sensibelchen und man sollte sie liebevoll behandeln, ...
Ich zähle mich mal unbescheidenerweise zu den guten Köchen, um in den Genuss der liebevollen Behandlung zu kommen.
Ja, ein benebelter Sternekoch - diese Assoziation stellt sich bei mir ziemlich schnell ein, da habe ich kein Problem mit dem Titel.
Eigentlich ist er kein Sternekoch – die Avantgarde-Läden leuchten wir Kometen auf, verglühen aber meist ziemlich schnell. Heute noch Stadtgepräch, morgen perdu.
Um einen Stern zu bekommen, muss die Qualität konstant gehalten werden – mittags und abends. Das schlaucht ganz schön. Außerdem muss Komfort geboten werden, und das ist wahnsinnig teuer, qualifiziertes Personal ebenfalls.
Eine hohe Arbeitsbelastung ist Dauerzustand, Kredite müssen bedient werden – dieser existenzielle Aspekt wird oft übersehen. Witzigmann hatte drei echte Sterne, aber ein Kokainproblem. Das ist vielleicht die Ausnahme – aber Teufel Alkohol treibt oft sein Unwesen in meiner Branche.

Aber versteht sich ein Sternekoch nicht auch als ein Künstler, einer, der Kreativität braucht, um das eigene Ego am Leben zu erhalten, physisch ebenso wie psychisch?
Ja, das sehe ich auch so. Kreativität entströmt einer robusten Natur; wenn sie andere Stimulans benötigt, dann ist sie getürkt.

Die Nähe zu einem anderen Feld der Kreativen, nämlich den Literaten, kommt wohl nicht von ungefähr, lieber José, wie sonst hättest du deinen Text in einem Literaturforum veröffentlicht und nicht in der Zeitschrift "Schöner essen"?
Oh, das wäre mir zu heikel! Ich vermute dort einige Leser, die gerne ‚schick’ essen gehen, vielleicht auch zu Büssing:D.

Ja, die Satire. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten deiner hier genannten Speisen in dieser Rubrik einzuordnen sind.
Ja und nein. Ich habe schon von grauenhaften Kombinationen gehört. Viel lieber hätte ich eine Portion davon:
... und verrate dir, was meine Lieblingsspeise ist, badische Tradition und immer wieder neu entdeckt: gekochtes Rindfleisch mit Salzkartoffeln, Meerrettichsoße und Preiselbeeren.
Ich hoffe, es gibt Nachschlag! Und für die Silvanercrème lass’ ich jede panna cotta stehen.

Ist die Gesellschaft schuld an der Perversion der Gourmethypes?
Ich hätte keine andere Erklärung.

Bleibt uns trotzdem die Gewissheit, dass die guten Dinge Bestand haben werden. Die sind immer in unserer Nähe, die machen nur nicht soviel Aufhebens um sich. Weil die und wir wissen, dass das völlig unnötig wäre.

Wieselmaus, ich wünsche Dir ein schönes Osterfest.
José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Schwarz,

schönen Dank für Deinen Kommentar, sowohl für’s Lob –

Das Treiben im Restaurant ist für mich gut gemachte Satire mit Schuss.

– als auch für den Tipp:

Mir fehlt lediglich noch eine gute Punchline. Ich finde die Story rund und abgeschlossen. Hinten raus ginge da aber noch was.

Da hast Du wirklich recht. Ich hab den Prot jetzt während seiner wilden Schreiberei nebenbei, fast unbewusst, eine Dose kalte Ravioli auslöffeln lassen. Das glibbert so schön:D und könnte als Kontrast zu seinen mutigen Schöpfungen taugen.

So oder so, die Geschichte ist schon jetzt gut.
Hab mich gut unterhalten gefühlt.

Das freut mich sehr. Ist kein Thema für die Allgemeinheit, doch vielleicht hilft es gegen Langeweile:
Schwarz: schrieb:
... suche einen erbaulichen Zeitvertreib, um mich nicht bis zur Depression zu langweilen.

Lieber Schwarz, danke, bis zum nächsten Mal und recht schöne Ostertage!
José

 

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